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KAZ/328: VII. Weltkongress der Kommunistischen International - Einsichten, Aussichten


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 371, April 2020
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale: Einsichten - Aussichten

von Richard Corell


In KAZ 360 hatten wir[1] in die Debatte um eine antimonopolistische Strategie mit einem Beitrag gegen rechte Verfälscher der Ergebnisse des VII. Weltkongresses eingegriffen. Auf linkssektiererische "Kritiker", die behaupten, der VII. Weltkongress sei ein "Schwenk nach rechts" in der internationalen Arbeiterbewegung gewesen, haben wir in KAZ 367 und 368 geantwortet. Nunmehr liegt eine Antwort des Genossen Spanidis dazu vor, auf die wir im Folgenden eingehen. Seine Ausführungen sind im Dezember 2019 unter dem Titel "Für eine Diskussion ohne "heilige Kühe". - Eine Erwiderung auf Richard Corell zur Einschätzung des VII. Weltkongresses der Komintern" erschienen.[2]


Anmerkung zum Stil der Diskussion

Genosse Spanidis beklagt die Form meines Beitrags als "vor Wut schäumende Polemik gegen ein vermeintliches Linkssektierertum". Ich kann versichern, dass vor dem Rechner sitzend und nach Diskussionen eines Texts mit meinen GenossInnen die Tendenz zum "Wutschäumen" bei mir tendenziell gegen Null geht. Schärfe und Ironie braucht es allerdings, wenn - m.E. von oben herab, leichtfertig und bei mangelndem Studium der Angelegenheit - grundlegende Positionen aus unserer Geschichte revidiert werden. Es sollte keine Person getroffen werden, sondern die Sache durch Zuspitzung der Positionen geklärt werden. Sollte ich mich dennoch im Ton vergriffen haben, bitte ich um Verzeihung. Ich hatte schließlich übersehen, dass Spanidis keine fertige Arbeit vorlegen wollte, sondern, wie er jetzt betont, seinen Beitrag als "Aufschlag zur Diskussion" verstanden wissen wollte.

Mich hat betroffen gemacht, dass mir Spanidis nunmehr verbohrten Dogmatismus vorhält, der den VII. Weltkongress als "heilige Kuh" behandelt. Gilt nicht von Marx/Descartes "De omnibus dubitandum est" ("An Allem ist zu zweifeln") mit der Brechtschen Ergänzung, dass die Grenze des Zweifels in der Notwendigkeit zu handeln liegt? Gänzlich zurückweisen muss ich allerdings die Aussage: "Jede Kritik, jede Infragestellung von Standpunkten, die jahrzehntelang in der kommunistischen Weltbewegung fest zum Kern der strategischen Ausrichtung und politischen Identität gehört haben, ist ein Sakrileg und darf nicht sein." Aber vielleicht ist dem Gen. Spanidis meine gründliche Auseinandersetzung mit den rechtsopportunistischen "Standpunkten, wie sie jahrzehntelang in der kommunistischen Weltbewegung" gang und gäbe waren und u.a. von Gen. Polikeit vertreten wurden, entgangen.

Nicht die erste Diskussion zu Faschismustheorien

Ich erlaube mir auch darauf hinzuweisen, dass dies nicht die erste Diskussion in der BRD zu Faschismustheorien ist. Ich erinnere mich noch, wie mir von Vertretern der DKP z.B. 1977 erklärt wurde, dass man doch angesichts der Stärke des sozialistischen Lagers nicht mehr von einer faschistischen Gefahr sprechen könne und die Losung: Nie wieder Faschismus, Nie wieder Krieg! nun wirklich obsolet sei. Dimitroff? Schnee von gestern! Von daher auch eine gewisse Allergie, wenn leichtfertig mit Dimitroff und dem VII. Weltkongress umgesprungen wird. Zum Studium gehört das gesamte Protokoll des Kongresses mit den großen Reden von Pieck, Dimitroff, Togliatti/Ercoli, Manuilski, den Diskussionsbeiträgen (etwa von Maurice Thorez), Dimitroffs Schlusswort, der Resolution u.a.. Dann muss man wenigstens nicht diskutieren, was auf dem VII. Weltkongress gesagt und an Festlegungen getroffen wurde. Und dann wird der geneigte Leser zur Auffassung kommen, dass der VII. Weltkongress damals kein Schwenk nach rechts war. Er wird zu dem Schluss kommen, dass hier der Marxismus-Leninismus konsequent auf die für die internationale Arbeiterbewegung neue Lage nach dem Machtantritt des Faschismus in Deutschland, dem Land einer imperialistischen Großmacht mit der weltweit stärksten KP nach der KPdSU, angewandt wurde. Und anerkennen, dass durch die neu ausgerichtete Einheitsfronttaktik der faschistische Angriff in dem Land einer anderen imperialistischen Großmacht, in Frankreich, zurückgeschlagen wurde mit einer relativ kleinen KP, die genau in diesem Abwehrkampf gewaltig erstarkte. Der geneigte Leser, der sich dann auch noch mit den damaligen Faschismustheorien auseinandersetzt, mit denen von Trotzki[3], Thalheimer oder auch der des ehrenwerten Genossen Rajani Palme Dutt, kann feststellen, dass der VII. Weltkongress in seinen Aussagen zu Wesen, Formen und Funktion und zu den Kampfaufgaben der Arbeiterklasse und der Kommunisten Substantielles auf der Höhe der Zeit festgehalten hat. Substantielles, das für unseren heutigen Kampf eine bedenkenswerte Grundlage liefert - nicht mehr und nicht weniger.

Es ist der Eiche wurscht ...

Was alles aus Dimitroff und dem Kongress gemacht wurde, vor allem die Verdrehungen von Rechts (wie von Gen. Georg Polikeit in der Auseinandersetzung um eine antimonopolistische Strategie - s. KAZ 360) oder von Links (wie eben Gen. Thanasis Spanidis), dafür kann Dimitroff nichts; genausowenig wie Karl Marx oder das kleine Jesulein etwas dafür können, wenn sie für Zwecke eingespannt werden, auf die sie keinen Einfluss mehr haben. Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass Dimitroff gründlicher auf Horthy in Ungarn oder auf Rumänien und andere Länder eingegangen wäre, mehr zu den Unterschieden in den halbkolonialen bzw. kolonialen Nationen gesagt hätte; mehr zu den Monopolgruppen, die in den imperialistischen Ländern den Faschismus stützen, direkter auf die Sozialfaschismus-These eingegangen wäre usw.. Letztlich verlangen solche Kritiker wie Spanidis, dass Dimitroff besser eine umfassende akademische Studie vorgelegt hätte, statt eine grandiose Rede zum Aufrütteln der internationalen Arbeiterbewegung für den Kampf gegen den mörderischen, kriegsträchtigen Faschismus zu halten. Palme Dutt liegt von dieser Sicht her dem Kritiker natürlich besser. Doch bleibt unverständlich, weshalb Spanidis auf ihn verweist. Dort wo Dutt fehlzuinterpretieren ist, nämlich in der These, dass letztlich die ganze imperialistische Entwicklung auf den Faschismus zusteuert, und deshalb der Faschismus unvermeidlich sei, wird er von Dimitroff implizit widerlegt. Dort wo Dutt richtig liegt und mit Dimitroff übereinstimmt, nämlich in der Befürwortung einer Einheitsfronttaktik von Unten und von Oben, steht er gerade diametral entgegen den Vorstellungen von Spanidis.[4]

Nochmal zu: Faschismus als andere "Staatsform"

Erfreulich ist, dass Genosse Spanidis in der Staatsfrage nicht mehr den ideellen Gesamtkapitalisten im Zusammenhang mit dem Faschismus bemüht, sondern nun auch von staatsmonopolistischem Kapitalismus spricht. Erfreulich ist auch, dass er nun qualitative Unterschiede zwischen Faschismus und bürgerlicher Demokratie einräumt. Nur den Dimitroffschen Hinweis auf den Faschismus als andere Staatsform sollte er nochmals überdenken:

"Der Machtantritt des Faschismus ist keine einfache Ersetzung der einen bürgerlichen Regierung durch eine andere, sondern eine Ablösung der einen Staatsform der Klassenherrschaft der Bourgeoisie - der bürgerlichen Demokratie - durch eine andere Form - durch die offene terroristische Diktatur. Die Ignorierung dieses Unterschiedes wäre ein ernster Fehler, der das revolutionäre Proletariat daran hindern würde, die breitesten Schichten der Werktätigen in Stadt und Land zum Kampf gegen die Gefahr einer Ergreifung der Macht durch die Faschisten zu mobilisieren sowie die Gegensätze auszunutzen, die im Lager der Bourgeoisie selbst vorhanden sind. Doch ein nicht minder ernster und gefährlicher Fehler ist die Unterschätzung der Bedeutung, die die gegenwärtig in den Ländern der bürgerlichen Demokratie sich verschärfenden reaktionären Maßnahmen für die Aufrichtung der faschistischen Diktatur haben, jene Maßnahmen, die die demokratischen Freiheiten der Werktätigen unterdrücken, die Rechte des Parlaments fälschen und beschneiden, die Unterdrückungsmaßnahmen gegen die revolutionäre Bewegung verschärfen." (Hervorhebungen Dimitroff)

Immer also Klassenherrschaft der Bourgeoisie, die von der Monopolbourgeoisie/Finanzoligarchie geführt wird. In diesem Teil der Bourgeoisie haben die aggressivsten Kräfte das Übergewicht gewonnen und betreiben die Machtübergabe an die Faschisten. Unter Staatsformen bürgerlicher Klassenherrschaft nennt z.B. das "Kleine Politische Wörterbuch" (DDR - auch keine "Heilige Kuh", aber doch lesenswert) u.a. Monarchie, parlamentarische Republik, faschistischer Staat. Das ist insofern wichtig, als bei einer Veränderung der Staatsform, sich nicht unbedingt der Inhalt des Staats (also Diktatur der Bourgeoisie) ändern muss, wohl aber durch Machtverschiebungen innerhalb der herrschenden Klasse und Änderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse sich die Form ändert. Eine Änderung der Form erfordert also eine tiefgehende Änderung in den zugrundeliegenden Klassenverhältnissen, die allmählich vor sich gehen (quantitative Änderungen) bis zu einem qualitativen Sprung hin zur Staatsform der bürgerlich-faschistischen Republik. Ist diese einmal etabliert, gehen wieder schrittweise (quantitative) Veränderungen vor sich (z.B. verlorene Schlachten im 2. Weltkrieg) die den Weg markieren, der von der bürgerlich-faschistischen Republik zurück zur bürgerlich-demokratischen Republik[5] (qualitativer Sprung) gehen oder mit verschiedenen Übergangsformen (z.B. der Einheitsfrontregierung) an die sozialistische Revolution heranführen kann. Deren Ziel ist die Errichtung der proletarischen Klassenherrschaft, die einen qualitativen Sprung sowohl im Inhalt des Staats (Diktatur des Proletariats) als auch in der Form des Staats bedeutet: Räte- (Sowjet-Republik, also proletarisch-demokratische oder der volks- oder neudemokratischen Republik, jedenfalls nach unseren bisherigen Erfahrungen.

Zur Dialektik von Bourgeoisie, Monopolbourgeoisie und den aggressivsten Elementen

Aber was soll man dazu sagen? Genosse Spanidis: "Seine Bestimmung des Faschismus als 'offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals' stellt zwar einerseits richtigerweise heraus, dass nicht die gesamte Bourgeoisie die Machtübergabe an den Faschismus aktiv unterstützt hat und danach auch nicht alle Gruppen des Kapitals im gleichen Maße mit dem faschistischen Staat verwoben waren. Auf der anderen Seite legt diese Definition aber auch nahe, es wäre möglich, dass der faschistische Staat ausschließlich die Herrschaft einer begrenzten Gruppe des Finanzkapitals repräsentieren würde. Das würde bedeuten, dass die sonstigen Monopole und sowieso die nichtmonopolistische Bourgeoisie in keiner Weise an der Herrschaft beteiligt wären; dass ihre Interessen in keiner Weise in der staatlichen Politik zum Ausdruck kämen; dass die staatlichen Institutionen diesen Fraktionen des Kapitals in keiner Weise zur Organisierung ihrer Herrschaft, zur Formulierung und Durchsetzung ihrer Strategie gedient hätten. Teile des Kapitals würden demnach zu den Beherrschten gehören, denn in einer antagonistischen Klassengesellschaft gibt es nur herrschende und beherrschte Klassen. War das im Faschismus der Fall? Das denke ich nicht." - Es möge mir nicht als kleinlich oder buchstabengläubig ausgelegt werden, aber Spanidis hätte nur ein paar Zeilen bevor Dimitroff den Faschismus an der Macht charakterisiert, lesen können: "Unter den Verhältnissen der hereingebrochenen überaus tiefen Wirtschaftskrise, der heftigen Zuspitzung der allgemeinen Krise des Kapitalismus, der Revolutionierung der werktätigen Massen ist der Faschismus zum breiten Angriff übergegangen. Die herrschende Bourgeoisie sucht immer mehr ihre Rettung im Faschismus, um die schlimmsten Ausplünderungsmaßnahmen gegen die Werktätigen durchzuführen, um einen imperialistischen Raubkrieg, um den Überfall auf die Sowjetunion, die Versklavung und Aufteilung Chinas vorzubereiten und durch alle diese Maßnahmen die Revolution zu verhindern." - Hervorhebung Corell). Man muss leider feststellen, dass Dimitroff besser ist als manche seiner leider lesefaulen Kritiker vermuten und besser als seine falschen Freunde, die aus der Dimitroff-Rede geschlossen haben, dass bürgerliche, oder nicht-monopolistische oder Mittelklasse-Gegner des Faschismus Freunde der Arbeiterklasse geworden seien, weil sie immer noch der Mär aufsitzen, dass der Feind meines Feindes auch gleich mein Freund sein müsse. Ein bisschen dialektisches Denken kann in solchen Fragen nicht schaden.

Der Feind meines Feindes ...

Wie sehr das von politischer Relevanz ist dazu nur ein Beispiel: Die KP China etwa hat sich mehr als 30 Jahre mit dem Führer der Kuomintang Tschiang Kai-schek (seit den frühen 1920er Jahren bis 1949 und danach) herumschlagen müssen. In diesem Kampf ging es immer um die potentiellen Bündnispartner im antiimperialistischen Befreiungskampf, nämlich die Bauernschaft, das städtische Kleinbürgertum und die nationale Bourgeoisie. Das ging sogar soweit, dass die KP China (nicht zuletzt die Lehren des VII. Weltkongresses in Anwendung gebracht) - diesem Massenschlächter von Kommunisten - 1937 das Leben gerettet hat - vor seinen eigenen Leuten, die ihn hinrichten wollten (die berühmten "Ereignisse von Xian"). Das war die Voraussetzung, um den Widerstand der antiimperialistischen Volksfront gegen die japanischen Invasoren aufzurichten, zu festigen und auszuweiten. Die Kommunisten vergaßen aber nicht, dass Tschiang nicht nur Bündnispartner, sondern auch den Feind, den Imperialismus und seine Kompradorenbourgeoisie, repräsentierte. Sie jagten ihn - im Übrigen gegen den Rat der KPdSU-Führung - im Bürgerkrieg von 1945-49 davon. Das hat immerhin zur volksdemokratischen Revolution und schließlich zum Aufbau des Sozialismus im bevölkerungsreichsten Land der Welt geführt. Gestern Feind, heute Bündnispartner, morgen wieder Feind - damit haben wir zu rechnen.

Aber Spanidis zweifelt ja generell an Erfolgen, die der vom VII. Weltkongress eingeschlagene Kurs gebracht haben soll. Neben dem gerade genannten chinesischen Beispiel seien, Vietnam und die Demokratische Republik Korea genannt; in Kuba musste Fidel Castro die alte Kommunistische Partei erst vom revolutionären Gehalt der Einheitsfronttaktik überzeugen. Die Erfolge bei der Errichtung der Volksdemokratien in Europa von Bulgarien bis Albanien wären ohne Anwendung der Einheitsfronttaktik während und nach dem Krieg nicht möglich gewesen. Und die Bildung der Volksfront in Frankreich und Spanien hat den Angriff auf die Sowjetunion verzögert; der VII. Weltkongress steht Pate beim Aufbau der Résistance in Frankreich und der Resistenza in Italien, des Nationalkomitees Freies Deutschland und der Gründung der SED (wie Gen. Spanidis zugeben muss) usw. Die These, dass Erfolge verspielt wurden auch unter Berufung auf den VII. Weltkongress, bedarf einer genaueren Untersuchung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die schlimmsten Abweichungen vom revolutionären Kurs immer unter Berufung auf unsere großen Revolutionäre erfolgt sind, garniert mit "schöpferische Anwendung" auf "neue Verhältnisse".

Und die "Faschisierung"

Nochmal zur "Faschisierung". Wenn der Begriff verwendet wird, um das zu bezeichnen, was Dimitroff oben angeführt hat: Verschärfung der reaktionären Maßnahmen wie Abbau demokratischer Rechte und Freiheiten der Werktätigen, Fälschung und Beschneidung des Parlaments, Verstärkung der Repression gegen die revolutionäre Bewegung, dann mag das angehen. Wenn aber damit eine schleichende Entwicklung suggeriert wird, die unterschiedliche viertel-, halbfaschistische Phasen unterstellt, endend in einem Zustand, wo man aufwacht und feststellt. Jetzt ist Faschismus! Dann wird es krumm. Es ist ja gerade Aufgabe der Kommunistischen Partei zu entscheiden, ob im Monopol-/Finanzkapital (und nicht einfach bei irgendwelchen Wahlen, Anschlägen etc.) eine Wende zum Faschismus stattfindet. Da können Fehler (mit scherwiegenden Folgen) gemacht werden, aber um die Bewältigung der Aufgabe kommt die KP nicht herum, schon um ggf. den Weg in die Illegalität vorzubereiten. Das ist etwas anderes als die Beliebigkeit von Faschisierung und Entfaschisierung (die man ja dann auch mitdenken müsste), die Gen. Spanidis andeutet: "Es handelt sich, wie schon gesagt, um Varianten (!) der bürgerlichen Herrschaft, die wechselseitig ineinander übergehen können." Es geht auch hier nichts ohne Sprung von Quantität in Qualität, und der Faschismus ist eine neue Qualität bürgerlicher Klassenherrschaft.

Und es ist auch etwas anderes als eine "rasiermesserscharfe" Trennung von bürgerlicher Demokratie und Faschismus. Genausowenig gab es rasiermesserscharfe Trennung von Feudalismus und Kapitalismus. Und wir wissen grade aus Deutschland, wie lange die Bourgeoisie den Ballast von Adel und Prälaten mitgeschleppt und wie lange andererseits auch das Proletariat noch die Muttermale der alten Gesellschaft samt ihren Spießbürgern mit sich zu tragen hat.

Die bürgerliche Demokratie hat als Klassenherrschaft der Bourgeoisie die Ausbeutung als Kern der Sache mit allen Mittel zu fördern und zu schützen. Mit allen Mitteln heißt: vor keinem Verbrechen zurückscheuen. Deswegen braucht es auch nicht erst den Faschismus, um die Überlebtheit der Bourgeoisherrschaft festzustellen, die Notwendigkeit, sie lieber heute als morgen abzuschaffen. Vor der Gefahr als Bourgeoisie abgeschafft zu werden, dazu braucht sie den Faschismus gegen die eigene Bevölkerung, vor der Gefahr als deutsche Bourgeoisie von den anderen imperialistischen Großmächten abgeschafft bzw. kleingemacht zu werden, dazu braucht sie den Krieg und den Faschismus; jedenfalls nach derzeitiger Lage. In diesem Sinn müssen wir im antifaschistischen Kampf auch die Bourgeoisie vor sich selbst schützen, vor ihrem Weg in die Katastrophe, in denen Teile der Bourgeoisie sich und die ganze Nation, die Gesellschaft, ja die Menschheit zu stürzen droht. Wir verteidigen dabei die bürgerliche Demokratie doch nicht, um sie zu festigen und zu stärken, sondern um sie zu überwinden durch die proletarische Demokratie, nicht wahr? Und wir wissen genau, wenn wir den Faschismus nicht aufhalten können, wenn wir diese Niederlage erleiden würden, die Aussichten für die proletarische Revolution sich nicht verbessern, sondern verschlechtern. Wir wissen mit Lenin,[6] dass die demokratische Republik der beste Boden, die "beste Staatsform" für die Vorbereitung der proletarischen Revolution ist. In der (bürgerlich-demokratischen Republik wird deutlich, dass das Elend nicht von mangelnden Rechten und mangelnder Gerechtigkeit kommt, sondern vom Kapitalverhältnis. Gegen den Faschismus muss erst wieder die Freiheit erkämpft werden, überhaupt zu Kapital und Ausbeutung offen sprechen zu können geschweige denn offen zu kämpfen.

Deswegen gilt als grobe Orientierung: Gegen den faschistischen Angriff die bürgerliche Demokratie verteidigen, für die proletarische Revolution bürgerliche Demokratie angreifen und überwinden!

Ohne Sozialdemokratie wird alles besser?

Froh bin ich, dass Genosse Spanidis unsere Differenzen in der Bündnisfrage aufgreift. Er schreibt:

  • "Indirekt kann man aus einem Dimitroff-Zitat herauslesen, dass er wohl meint, dass die Einheitsfront mit den sozialdemokratischen Parteien in keinem Widerspruch dazu stehe, einen 'unversöhnlichen Kampf gegen den Sozialdemokratismus als Ideologie und Praxis des Kompromisses mit der Bourgeoisie' zu führen.
  • Ebenso kann man herauslesen, dass er wohl der Ansicht ist, die Sozialdemokratie wäre im Betrieb und den Gewerkschaften so stark, dass man die Massen nicht gegen sie in Bewegung bringen könne."

Letzteres hat Dimitroff allerdings nie gesagt oder gemeint. Er wusste noch, dass spontane Bewegung zum Widerstand gegen das Kapital unabhängig von Willen selbst der besten Parteien entsteht. Der Kampf geht darum, ob der Widerstand unter sozialdemokratischen, und damit bürgerlichen, oder kommunistischen, und damit proletarischen, Einfluss kommt. Und Widerstand, ohne dabei um gewerkschaftliche Unterstützung gekämpft zu haben, ist eine Kampftaktik, die genau überlegt sein will. Aber die Diskussion um die historisch als RGO-Politik bezeichnete Kampftaktik soll hier nicht eröffnet werden.

Hat Spanidis noch in keinem Betrieb gestanden, wo wir uns mit den sozialdemokratischen Kollegen fetzen, dass die Schwarte kracht zu den Schandtaten der Regierungs-SPDler, aber zusammenstehen, wenn das Kapital angreift. Er könnte als Kommunist auch wissen, dass die Einheitsfront kein Händchenhalten ist, sondern eine wichtige Form, die Massen in den Kampf zu ziehen und sie anhand von eigenen Erfahrungen zu überzeugen, wo Freund und Feind steht. Dazu reicht Aufklärung und Entlarvung allein nicht aus. Und man mache sich keine Illusionen: Die Abstrafung der SPD bei Wahlen oder der Rückgang der Mitgliedszahlen (immerhin noch 420.000) spiegelt den Einfluss nicht wider. In den Ländern, den Kommunen, im Staatsapparat insgesamt inklusive Polizei und Militär, und im ganzen Sozialbereich von AWO bis Rentenversicherung, in den Gewerkschaften usw. sitzen hunderttausende KollegInnen, die der SPD verpflichtet und mit tausend Fäden mit ihr verbunden sind und was gravierend ist, trade-unionistisch denken.[7] Darauf gründet der Einfluss, dass die SPD sich darstellen kann als die Partei, die - scheinbar - beim "Markten um den Preis der Arbeitskraft", beim Verhandeln mit dem Kapital, mit der Sozialpartnerschaft, die relativ besten Ergebnisse für die Arbeiter und anderen Lohnabhängigen herausholt. Die SPD repräsentiert die Arbeiteraristokratie, die vermittels der Gewerkschaften weite Teile der Arbeiterklasse beeinflusst und das, was in der Klasse ohnehin und unvermeidlich an trade-unionistischem Bewusstsein vorhanden ist versucht zu zementieren, objektiv zum Erhalt der Klassenherrschaft der Bourgeoisie. Wenn dieser Einfluss bei Zuspitzung der Krise schwindet, (s. Thälmanns Widerspruch der Sozialdemokratie) und die Kollegen anderweitig nach Auswegen suchen, glaubt Gen. Spanidis dann, dass sie auf uns gewartet haben, wenn wir vorher nicht zusammen mit ihnen gekämpft haben, wenn sie in den Kämpfen gemeinsam mit uns nicht gelernt haben, dass die sozialdemokratischen Führer sie unters Joch statt zu Erfolg und Sieg führen. Man schaue sich doch die großen Massenaktionen mit hunderttausenden Teilnehmern an. Etwa 2004 als auf einmal über 200.000 in Berlin gegen die Hartz-Gesetze protestierten, die Proteste gegen TTIP oder jüngst die #-Unteilbar-Aktionen, alle sozialdemokratisch beeinflusst, haben uns doch überrollt. Aber Gen. Spanidis meint wohl, dass es besser ist, das zu ignorieren, bevor wir nicht selbst eine Massenbewegung aus dem Hut gezaubert haben, die unseren blitzsauberen Vorstellungen vom revolutionären Kampf entspricht. Da erscheint uns der Kampf um die Aktionseinheit, um die Einheitsfront, die den Kampf auf eine höhere Stufe hebt, doch unverzichtbar und der richtige Weg. Zur Aktionseinheit braucht es allerdings eine Kommunistische Partei mit klarem Profil und keine Spaltung in die selbstzufriedene Isolation.


Anmerkungen

[1] Wenn von "wir" gesprochen wird, dann handelt es sich um Vorlagen des Gen. Corell, die in der KAZ-Fraktion "Ausrichtung Kommunismus" diskutiert und zur Veröffentlichung freigegeben wurden.

[2] Auf der Homepage der Kommunistischen Organisation (KO):
kommunistische.org/wp-content/uploads/2019/12/Spanidis-Antwort-auf-Corell.pdf

[3] Trotzki hat im Übrigen den VII. Weltkongress kommentiert: "Er ist schon dadurch wichtig, dass er die opportunistische Wendung in Frankreich legalisiert und sogleich auf die gesamte übrige Menschheit ausdehnt." - "Wird sie von dem seichten «Realismus» des 7. Kongresses («Einheitsfront», «Massen», «Mittelklassen» usw.) sich angezogen fühlen, oder wird sie umgekehrt von seinem verspäteten und umso verderblicheren Opportunismus (Klassengemeinschaft unter der leeren Fahne des «Antifaschismus». Sozialpatriotismus unter dem Deckmantel der «Verteidigung der UdSSR» usw.) abgestoßen werden?" - Man sieht, in welche Gesellschaft man geraten kann, wenn bei der Schlachtung von "heiligen Kühen" nicht "fachgerecht" vorgegangen wird.

[4] "Auf der anderen Seite haben die Beispiele Deutschlands und Österreichs zu einem weitreichenden Erwachen der Arbeiterklasse und der allgemeinen Volksopposition gegen den Faschismus in allen Ländern geführt; und dies hat zu einem raschen Vordringen der Einheitsfront der Arbeiterklasse und insbesondere der Einheitsfront der Sozialistischen und Kommunistischen Partei gegen die faschistische und Kriegsdrohung in einer Reihe von führenden Ländern geführt. Diese sich verbreiternde Entwicklung der Einheitsfront der Arbeiterklasse ist die wichtigste und hoffnungsvollste Entwicklung im Jahr 1934. Bei diesem Vorstoß hat die französische Arbeiterklasse die Führung übernommen. Der Einheitsfrontpakt der Sozialistischen Partei Frankreichs und der Kommunistischen Partei Frankreichs wurde schließlich am 27. Juli 1934 unterzeichnet; und der mächtige Einfluss dieser gemeinsamen Front stimuliert und mobilisiert die gesamte Arbeiterklasse, verbreitet Vertrauen und Kampfgeist und war der entscheidende Faktor für die Verzögerung der geplanten raschen Offensive des Faschismus in Frankreich im Jahre 1934." (R. Palme Dutt, Faschismus und soziale Revolution, Vorwort zur zweiten Ausgabe, 1934 - eigene Übersetzung - www.marxists.org/archive/dutt/index.htm)

[5] Oder zurück zur bürgerlich-konstitutionellen Monarchie wie es bei der Volksabstimmung 1946 in Italien beinahe geschehen wäre.

[6] "Wir sind für die demokratische Republik als die für das Proletariat unter dem Kapitalismus beste Staatsform, aber wir dürfen nicht vergessen, dass auch in der allerdemokratischsten bürgerlichen Republik Lohnsklaverei das Los des Volkes ist. Ferner. Jedweder Staat ist "eine besondere Repressionsgewalt" gegen die unterdrückte Klasse. Darum ist ein jeder Staat unfrei und kein Volksstaat. Marx und Engels haben das ihren Parteigenossen in den siebziger Jahren wiederholt auseinandergesetzt." (W.I. Lenin; Staat und Revolution, LW 25, S. 410) oder noch eine heilige Kuh zum Schlachten: "Die Marxisten aber wissen, dass die Demokratie die Klassenunterdrückung nicht beseitigt, sondern lediglich den Klassenkampf reiner, breiter, offener, schärfer gestaltet, und das ist es, was wir brauchen. ... Je demokratischer die Staatsordnung, umso klarer ist es den Arbeitern, dass die Wurzel des Übels der Kapitalismus ist und nicht die Rechtlosigkeit." (Über eine Karikatur auf den Marxismus und über den 'imperialistischen Ökonomismus', LW Bd. 23, S. 68)

[7] Lenin hat schon darauf hingewiesen, dass die Arbeiter spontan nur zu trade-unionistischem Denken gelangen und der Kampf um den Sozialismus von außen in die Arbeiterklasse hineingetragen werden muss.

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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 371, April 2020, S. 29 - 32
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2020

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