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LICHTBLICK/151: Von Musik, Bestrafungslust und Menschenwürde


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 337 - 5/2008

Von Musik, Bestrafungslust und Menschenwürde
Die magische Kraft der schwarzen Spiegelung

Von Klaus-Dieter Langer


Es heißt, die Gefängnisse eines Staates bilden den Zustand ihrer Gesellschaft ab. Wie kommt es daher, dass unser kleiner Nachbar Dänemark wesentlich menschenwürdigere Haftverhältnisse aufweist als Deutschland? (vgl. z.B. Erfahrungsbericht v. RAPP aus lichtblick 4/2008 Seite 10, [im Schattenblick unter www.schattenblick.de: Infopool -> Medien -> Alternativ-Presse -> LICHTBLICK/139: Knast in Dänemark])

Anscheinend ist das kollektive Selbstverständnis im Umgang mit Aussenseitern menschenfreundlicher und damit wohlwollend einbeziehend. Woran kann das liegen als Teilaspekt der Betrachtung? Die Dänen exponieren sich durch ihr Gemeinschaftsgefühl: Wer jemals das Land besucht hat, kann bemerken wie die Dänen dazu neigen sich zusammenzuschließen zu Kultur, Freude und Gesang. Der Fremde kann sich leicht musikalisch unter sie mischen. Die Selbstfindung passiert über die Musik - untrennbar verbunden mit Sinnlichkeit und Lebenslust.

Musik hat immer die Eigenschaft, den ganzen Menschen zu ergreifen, indem sie sich gleich in mehreren Gehirnarealen ein- und abbildet, Erinnerungsmuster erzeugt. So werden diese verknüpft mit den umgebenden teilhaftigen Menschen. Mit einfachen Mitteln wird der Andere, der Fremde, zum angenehmen Teil der eigenen Selbsterfahrung, ein Ansatz zur Mitmenschlichkeit. (1)

Uns "der Freiheit entzogenen" sozusagen fehlt es zuweilen und unter Bezug auf die Straftat an Mitmenschlichkeit. Ob uns dabei Gesang und Gemeinschaft weiterhilft ist eine Sache, eine andere Sache ist der Umgang mit uns von denen, die uns gestalten sollen von Amts wegen. Diese bleiben unter sich in etlichen Teilanstalten der JVA Tegel beispielsweise, bilden eine eigene So-Sein-Gruppe und da sie nicht singen, zumindest nicht mit uns, erfahren wir nichts von ihnen (und ihrer Mitmenschlichkeit) und sie nichts von uns außer das, was als Bezeichnung in den Akten steht, welches von ihnen selbst stammt: Wir sind Objekte der Beschreibung und diese bilden keineswegs die Wirklichkeit ab.

Da sich die Justiz'ler abgrenzen, ist für uns strukturelle Ausgrenzung gegeben und von vornherein entschieden. Die Ausgrenzungsverhältnisse als Gestaltung bilden Dichotomien, hier die einen - dort die anderen, die Menschen entfernen sich voneinander.

Gruppenbetreuung darf nicht heißen Ein- oder Aufschließen, Post austeilen oder annehmen und Anträge weiterleiten. In vollem Umfang besteht die Betreuung aus Gesprächen auf Augenhöhe im wechselwirkenden Austausch der Präsenz. All das findet nicht statt.

Und so kommt es unter anderem, dass die einen vermehrt dazu neigen die anderen zu bestrafen, aus Berufung wie man zu meinen glaubt, doch Menschen werden geleitet von Emotionen und Lust. Dazu gibt es Untersuchungen, z. B. dass "bei Rache das Hirn aktiviert wird, als wenn man gerade Sex hätte. Bei Tests wurden Lustzentren beim Bestrafen aktiviert, wie sie sonst nur beim Essen vorkommen." (zit. n. BAST KAS, Tagesspiegel v. 9.6.08, S. 22). "Verbrecher zur Rechenschaft ziehen befriedigt uns also zutiefst." Genugtuung, wenn manch ein extremer Widerling für immer isoliert bleibt. Das Menschliche ist dabei noch die Maxime, sterben kann jeder, überleben in der Sicherungsverwahrung ist besser. Nun, wir wissen nicht, ob es das ist was so manch Einen davon abhält, Gesetze in den Vollzug umzusetzen, aber man könnte es nach der Musik einmal mit der Klärung und der daraus folgenden Neuorientierung des Begriffs "Menschenwürde" versuchen.

Nach PINKER (2) ist "Würde" nicht hinreichend definiert weil wir uns darüber alles Mögliche vorstellen und damit jedwedes Handeln rechtfertigen können bis hin ins Gegenteil verkehrte. Moralische Ansichten, ethische und geschichtsabhängige Aspekte fließen mit ein so wie restaurative und konventionelle Einstellungen gegenüber Ausgegrenzten. Ein Beispiel sind politische oder religiöse Repressionen, die als Verteidigung der Würde eines Staates ausgegeben werden. Ein anderes Beispiel lässt sich aus dem Vollzug von Strafe ableiten: Dem Gefangen, viele Stunden an Händen und Füßen gefesselt und auf Pritsche montiert, bleibt seine Würde dadurch erhalten weil er umgeben ist von (lustvollen?) Beobachtern, die ihn dann gemeinsam mit einem Arzt aufsuchen und in pathetischen Gegenblickkontakt geraten. Solche "Fixierungen" müssen als unmenschlich geächtet werden. Da dies einer Vergewaltigung ähnlich ist, könnten damit abnorme Schläfer erschaffen werden. (vgl. lichtblick 3/2007, Seite 42-43)

PINKER kommt zu dem Schluss, dass wir für Leben, Gesundheit und Sicherheit die Würde gern beiseite lassen. Wie wahr. "Würde" ist nicht nur relativ, sondern auch ersetzbar, man kann sich ihr entledigen. Deshalb schlägt PINKER vor, den Begriff der "Menschenwürde" zu ersetzen durch "menschliche Autonomie", demnach Selbstbestimmung. Wenn menschliche Autonomie als sie zu achten eingeführt würde, so könnte der Tegeler Knast denen dänischer Verhältnisse ähneln oder in den Schatten stellen. Es wird inhaltlich ausgestaltend uns nur soviel Selbstbestimmung genommen wie nötig ist, um die Allgemeinheit vor regelwidrigen Taten zu bewahren. Sodann werden Hospitalismusschäden verhindert, die sich ausdrücken in Selbstentfremdungsprozessen und monströser Abartigkeit, freundlich als Psychosen etikettiert. Die Entfernung von Gesetzesverletzern aus ihrer gewohnten willenfreiheitlichen Umgebung ist als Übel völlig ausreichend. Stärkere Sanktionen bewirken meist nur größere Anstrengung, das eigene Leid zu vermeiden, indem es verdrängt und verleumdet wird. Da Strafe zudem noch auf das Selbstwertgefühl zielt, entsteht beim Bestraften eine reaktionäre rituelle Einstellung des perseverierten (=zwanghaftes Hängenbleiben an Bewusstseinsinhalten) Bewegungsmusters mit Einhergehen von Komplexitätsreduktion des Denkapparates, statt wie vom Gesetzgeber gewünscht, des resozialisierenden Wachsens und Werdens. Deswegen beobachten wir immer dort ein Anwachsen des Drogenkonsums wo mehr sanktioniert oder presswurstartig verwahrend gehandelt wird.


Der Tweet von Kuriosität und Fingerzeig

Lasst uns also erst Musik machen damit wir uns einander verstehen und gegenseitig achten, zweitens ihr da der Strafeslust entsagen und drittens die Menschenwürde in menschliche Autonomie umwandeln. Wir wären ein Stück weiter in der Resozialisierungswirklichkeit. Wenn da nicht noch das Folgende im Weg stünde: Die hartnäckige Einstellung, dass zum Wesen des Vollzugs das Leid gehört mit möglichst vielen Autonomie-Einschränkungen und Versagungen. Nicht ausgesprochener Maßen, sondern implizit. Auf alltägliche Weise uns ein tragisches Leben führen lassen heißt, sein Tun immer mit Ordnung und Sicherheit zu begründen. Die Anwender sind schauervoll und anziehend zugleich, verrätselt und geheimnisvoll larviert, Abkömmlinge und Anhänger einer abgewandelten oder synkretistisch verschliffenen Form von "Schwarzer Pädagogik" (3), die auf Verabreichung von schmerzenden Reizen basiert. Das Schlechte soll mit dem Noch-Schlechteren ausgetrieben werden, jedoch nicht Vergeltung heißen. Nun haben wir ja den humanen Strafvollzug. Dies geschieht im Tegeler Knast kommunikativ als Kunstform des "Twittens". Twitten meint eigentlich das große Schnattern von Gänsen und ist als Sprache sublimiert: Es geht darum, das eigene Selbst zu entäußern, es ist lustvolles Gestalten, Zuschauen, Unterhalten und es ist ebenso selbstbezogen wie selbstversunken. Beim Twitten entsteht ein irreversibles Grinsen, das hin und wieder dem Anwender selbst gilt.

Vielleicht deshalb oder aber aus Langeweile, aus Spieltrieb oder aus anderen fehlgeleiteten Gründen entdecken Entscheidungsträger die Möglichkeit der, wie ich sie nennen möchte, "Schwarzen-Spiegel-Resozialisierung" (4) in der uns die eigene Schlechtigkeit, aber in objektivierter Form links- bzw. abseitig reflektiert werden soll. Dies geschieht folgender Maßen und wirkt magisch:

Der Bestrafer bzw. der Verweigerer deines Vollzugsfortkommens hält stets seine Absichten geheim, gibt etwas Kurioses vor und erscheint dabei aufrichtig und sachlich. Er spielt mit deinen Träumen, Wünschen und Hoffnungen. Deshalb beruft er sich nicht auf die Realität. Aber er möchte dir eine Lektion erteilen. Komm nicht auf die Idee, dies als "zynisch" zu benennen. Du sollst nur den grausamen, beleidigenden Spott spüren, ihn nicht erkennen, sonst wirst du erst wütend, dann ohnmächtig. Wieder erwacht, stellst du dann fest, dass dein Inventar zerschlagen ist oder dein Nachbar ein blaues Auge hat. Beruhige dich - sei gelöst. Objektive Begründungen, die nicht die wahren sind, sollen dir zeigen wie unfair du selbst einst in Freiheit mit deinen Mitmenschen umgegangen bist und sie geschädigt hast. Dadurch spürst du, wie sehr dein damaliges Verhalten schlecht war. Es beschämt dich, wie sehr du mit deinem umtriebigen Tun andere Menschen ihrer Redlichkeit narrtest. Diese Lektion über dich selbst hilft dir, besser - soll dir helfen dich zu erkennen. Soweit die These der schwarzen Spiegel-Resozialisierung. Die Illuminaten illuminieren in der schwächeren Version gern ihre ach so zum Schein vorgegebene Inkompetenz. Sie berufen sich bei der Schwarzen Spiegelung gern auf mangelnde Ressourcen und genießen schon jetzt deine mögliche Reaktion darauf. Das nenne ich "Twitten" in der stillen Amtsstube. Man entledigt sich bequem der Aufgabe dich zu lockern und mit dir authentisch umzugehen - und nennt das Ganze zur Not den Test deiner Frustrationstoleranz. Wer auf mangelnde Möglichkeiten verweist, die Umstände vorschiebt und dir blümerant verschweigt, dass der Mangel absichtsvoll verwaltet wird, der, welcher nach oben zeigt, möchte von dir dein Verständnis, dein Mitgefühl, wenn nicht, giltst du als untherapierbares kleines zorniges Männlein. Lass lieber sie bis zur Besinnungslosigkeit zufrieden sein, statt dass du ohnmächtig bist. Die magische Botschaft ihres Schwarzen Vexierspiegels lautet: Gib ihnen Resonanz. Verstell Dich, sei unecht und ironisiere boshaft polykontextural die Welt. Okkupiere okkultistisch den Anderen als Beherrschung seines Geistes, kurz: Twitte!

Wie in der Pharmazie sollten die Anwender jedoch diesen Beipackzettel über Folgen und Nebenwirkungen lesen, statt generativ-institutionell fossilartig das Immergleiche trotz 40 Jahren Lichtblick und 30 Jahren Vollzugsreformgesetz zu tun. Denn die Behandlung dringt tief in deinen Körper und in deinen Geist. Du wurdest für dumm verkauft, dein Selbstwertgefühl herabgesetzt, das Misanthropische (Menschenfeindliche) ist in dir mimetisch eingedrungen als Internalisierung (Verinnerlichung) der Ereignisfolgen. Neben deines eigentlichen Schadens, weshalb du hier bist, bekommst du zumindest noch einen dazu, nämlich den, dass man sich ganz toll fühlen kann, wenn man lustvoll seine private Vernunft als objektiv-sachliche Verklärung entäußert.

Wenn du dann draußen bist, tendierst du anspruchsvoll anmaßend zum Chauvinisten, trägst eine flamboyante Haartolle. Was kannst du aber gegen den "magischen Spiegel" tun? Ist doch klar, nur das Begehren zählt: Das Unglaubliche zum klingen bringen - ein überhauchter leiser Ton zunächst, dann: Mach' Musik! Die anderen sollten sich eine Glatze schneiden lassen, der äußeren Unerkennbarkeit wegen.

Was bleibt? Ach ja, die Justiz'ler mit ihren Ambivalenzen (Zwiespältigkeiten) und ihren Ambiguitäten (Mehrdeutigkeiten). Sie versuchen es doch bitte nach dem Beipackzettel erst mit dem Transponieren (in eine andere Tonart übertragen) von BOB DYLAN's "All along the Watchtower", dann mit MICHAEL JACKSON's Einsicht "You know I'm bad" oder bleiben zurück mit den ISLEY BROTHERS: "I can't help myself". Vielleicht kommt ja auch die Hilfe von unerwarteter Seite - Die Justizsenatorin versucht es kongestiv peinlich genau mit BARBARA STREISAND's: "Woman in love". Sie muss uns nicht lieben, aber vielleicht wird sie uns mögen, wenn sie singt? Bis es soweit ist, bleiben wir sehnsuchtsvoll schwärmerisch romantisch und zaubern uns als Dirigentin des Männerchors LADY BITCH RAY (5) herbei: - schnips. Diese bläst uns dann einen anderen Wind.


Anmerkungen:

(1) Mit "Musik" ist auch das Symbol "Musik" gemeint: Als Harmonie, Akzeptanz, Achtung, Autonomie, Einfühlung, Wärme, Authenzität, Aufbegehren. Über die Wirkung von Musik vgl. OLIVER SACKS: "Der einarmige Pianist"

(2) PINKER, STEVEN: "Das unbeschriebene Blatt". Der Begriff Menschenwürde wird zu sehr ausgeweitet, auf alles angewandt. Besser ersetzen durch "menschliche Autonomie".

(3) "Schwarze Pädagogik" werden diejenigen Erziehungsmaßnahmen genannt, die subversiv (zerstörerisch) wirken, z. B. Schläge, Wegsperren, Isolieren, süffisantes Verachten, Sadismus. Folgen sind Zwangshandlungen und Realitätsverlust. Gelernt wird vor allem den Aggressor zu hassen oder sich ihm ähnlich zu machen, mimetisch.

(4) Schwarze Spiegel-Resozialisierung ist die Anlehnung an schwarzer Pädagogik, denn Resozialisierung ist Erziehungshandeln, mithin Pädagogik. Weil die Spiegelromantik der Bestrafer subversiv wirkt, ist sie schwarz und damit ungeeignet zur wirklichen Resozialisierung.

(5) LADY BITCH RAY ist eine sweet tweet music produzierende exotische Rapperin, die den Sex in den Vordergrund ihres Begehrens stellt und sich über ihn im umgekehrten Verhältnis zur Missionarsstellung positioniert.


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Quelle:
der lichtblick, 40. Jahrgang, Heft Nr. 337, 5/2008, Seite 45-47
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2009