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LICHTBLICK/216: Wie komme ich aus dem Hamsterrad raus?


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 370 - 1/2017

Wie komme ich aus dem Hamsterrad raus?


Die Gefangenen beklagen immer mehr die faktische Rechtlosigkeit. Wir wünschen uns ein Anstaltsklima, dass unterstützenswert erscheint und den Mangel an Perspektive abbaut.


Die Gesellschaft im Allgemeinen und jeder Einzelne für sich, der draußen in Freiheit seinem Leben nach geht und mit Haft und Gefängnis noch nie etwas zu tun hatte, ist überwiegend der Meinung, dass wir in Deutschland ein funktionierendes Rechtssystem haben. Jeder, der eine Straftat begeht, erhält einen fairen Prozess nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten und dementsprechend auch eine angemessene Strafe.

Diese Überzeugung mag sich in der Praxis wohl auch meist bewahrheiten. Für viele Menschen enden damit alle weiter führenden Überlegungen, der Straftäter ist weggesperrt, der Gerechtigkeit ist genüge getan und die Gesellschaft wird vor weiteren Straftaten geschützt. Was aber passiert mit dem Verurteilten im Gefängnis und wie wird er dort behandelt? Oder in welchem Zustand wird er danach entlassen? Dafür interessieren sich nur ganz wenige, weil er ja bestraft ist und büßen soll und seine Strafe absitzen muss.

Der Inhaftierte wiederum macht sich Gedanken, einige sind reumütig oder geloben Besserung, doch im Laufe der Zeit passiert mit dem Gefangenen in der Anstalt etwas, das genau das Gegenteil von dem bewirkt, was die Gesellschaft anstrebt. Die Gesellschaft, die Polizei und die Richter bekommen von diesem sich im Gefängnis anbahnenden Missständen kaum etwas mit. Wer schaut schon hinter diese Mauern? Wer beschäftigt sich mit dem Strafvollzug und dem Anstaltsklima in den Gefängnissen? Wer sieht Gefangene, die mit einem blauen Müllsack entlassen werden?

Wir, die selbst von der Haft betroffen sind, erleben am eigenen Leib, was in deutschen Anstalten täglich passiert oder eben auch nicht. Über den Sinn und Unsinn von Gefängnissen wurde schon viel geschrieben. Das Strafen selbst kann man nicht abschaffen. Das Strafsystem sollte sich aber besser und effektiver gestalten lassen. Es ist weder zeitgemäß, noch wird es dem Sinn unseres Strafvollzugsgesetzes gerecht. Fast jeder Straftäter wird irgendwann wieder in die Gesellschaft zurückkehren und es liegt auch an der Gesellschaft wie sie die Rückkehrer dann gerne hätten, wirklich verändert und dankbar für die zweite Chance oder verbittert und dem sozialen Verhalten entwöhnt und mit negativer Grundeinstellung gegenüber Staat und Gesellschaft.

Wie kann ein besserer Strafvollzug in der Zukunft aussehen? Der richtungsorientierte Besserungsgedanke ist dabei sicherlich nicht der einzige Faktor, wir meinen, mehr Flexibilität wäre wünschenswert, z. B. bei Vollzugskonzepten, die überholt oder zu starr sind. Verbesserungen bei der Atmosphäre innerhalb von Gefängnissen, wo sich aus den erzwungenen, dauerhaften Zusammenleben der verschiedenen Personen innerhalb der Anstalt, oft Sozialisationsmängel ergeben.

Darüber hinaus dürfen keine falschen Erwartungen geweckt werden und Alibi-Veranstaltungen sind sowieso kontraproduktiv. Jeder ist aber für das sogenannte Anstaltsklima mit verantwortlich, damit das Durchleben einer Haftstrafe nicht zum Desaster wird. Die eigene soziale Atmosphäre findet schon in der einzelnen Station statt und hat erheblichen Einfluss auf den Inhaftierten. Die grassierende Bereitschaft sich aufhetzen zu lassen, fußt auf einem Defizit an Anerkennung, aber die soll die auch entstehen? Die Anstalt leistet wenig zur Abhilfe und Schulabschlüsse oder Gruppenangebote sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Justiz ist ziemlich kreativ darin, uns etwas vorzugaukeln, wir erkennen aber meistens, wenn wir getäuscht wurden. Es ist, als ob sich ein Riss in der Realität auftut. Nichts ist so wie es scheint oder wie wir es uns wünschen. Unser Kopfkino signalisiert uns, dass die Realität da draußen eben doch anders beschaffen ist, als wir es auf den ersten Blick glauben möchten und zur Selbsterkenntnis ist es ein langer Weg, der nur mit einer großen Portion Gelassenheit gelingt.

Das neue Berliner Strafvollzugsgesetz steht erst am Anfang und es ist noch zu früh, um eine erste Bestandsaufnahme vorzunehmen, die uns die vollzuglichen Abänderungspotentiale vor Augen führen. Die Verwaltungsanweisungen müssen erst noch gedruckt werden und doch ist der angedachte gute Geist des Bundesstrafvollzugsgesetz auch gegenwärtig nicht zu erkennen. Es geht um die Sorge, dass sich die Gefangenen von der Wucht der unzähligen Reglementierungen beeindrucken lassen. Der Vollzug ist immer noch trostlos und schockierend und am Ende doch nur Ausdruck eines Scheiterns. Man kann ihn mit einen von Motten zerfressenen Teppich des Unmuts vergleichen.

Steigende Selbstmordraten untermauern diese Aussagen in dramatischer Weise. In den letzten drei Monaten gab es in der Teilanstalt II in Tegel drei Suizide. Diese geballte Form der Ausweglosigkeit ist mehr als bedenklich und hat uns alle sehr erschüttert. Hat denn wirklich niemand frühzeitige Anzeichen bemerkt? Immer mehr Gefangene erkranken psychisch und bieten somit noch mehr Zündstoff für die neue Bescheidenheit im Vollzug. Es ist der verbreitete Eindruck, dass der verkümmerte Vollzug hier überfordert ist. Dieses Unbehagen wird täglich gelebt und ist nicht von der Hand zu weisen, dass heißt die Apokalypse Befürchtungen in Tegel sind nicht unerwartet.

Zwei Stellen in der JVA Tegel für den PTB (Psychotherapeutische Beratungs- und Behandlungsstelle) sind ein schlechter Witz (in Moabit sieht es übrigens nicht besser aus) und die überall verbreitete Behauptung "es gibt eben kein vollzugliches Allheilmittel" hilft uns auch nicht weiter. Kein Allheilmittel ist praktisch das Gegenstück zu alternativlos. Gibt es denn überhaupt ein Allheilmittel? Iboprofen ist schon mal gar keins, auch wenn es allerhand nützliche Wirkungen für den Körper hat. So lässt sich also fast sicher feststellen, dass es kein Allheilmittel gibt und deshalb ist es auch nicht notwendig, diese Tatsache immer wieder auf's neue daherzuschwatzen. Die recht hohen Rückfallquoten stehen dabei oftmals im Zusammenhang mit dem negativen Anstaltsklima, das es natürlich gilt zu verändern.

Die Zukunft bei den Hörnern packen und raus aus dem Hamsterrad zu kommen ist für viele Inhaftierte nicht einfach. Die Frage ist auch, wie viel Zukunft ist noch vorhanden. Bevor man sich's versieht, hat man, während man auf die letzte Strecke wartet, verpasst mitzukriegen, welche Träume schon gestorben sind. Welche Perspektive zeichnet sich nach einer langen Haftstrafe ab? Ist es mit dem schrumpfenden Schwerpunkt meiner Talentlage noch möglich mir Hilfe von außerhalb zu besorgen? Bin ich mit meinen bestimmten Verhaltensweisen schon so eingefahren, dass ich gar nicht mehr begreife, was um mich herum so passiert? Wo nur noch strategisches und opportunistisches Verhalten zählt, ist es aus mit dem sozialen Frieden und ein zusätzlicher Mangel an sozialer Anerkennung wirkt verletzend.

Hafterfahrung lässt sich aber auch positiv deuten, indem ich mit zunehmender Zeit herausgefunden habe, was gut für mich ist und wie ich Struktur in meinen Alltag und meine Finanzen bringen kann. Die Hoffnung kann auch im hohen Alter noch große Räder schlagen. Wie gestalte ich meine Freizeit und welche Möglichkeiten stehen mir zu Verfügung. Kann ich außer meinem momentanen Schuldenabbau noch anderweitig Vorsorge betreiben? Reicht mein Wiedereingliederungsgeld für meine späteren Bedürfnisse? Eine genaue Budgetplanung ist dabei der Ausgangspunkt und es ist sehr einfach zu bewerkstelligen. Wo liegt meine Chance, damit mir später auch die Teilhabe an einem richtigen sozialen Leben eröffnet wird.

Viele Fragen, die einen leicht überfordern können, aber ein Anfang muss gemacht werden, wenn der Inhaftierte nicht versumpfen will und die Möglichkeit auf ein selbstbestimmtes Leben erhalten möchte. Sich über einen Neuanfang Gedanken zu machen, lohnt sich auf jeden Fall und schließt auch Hilfe von außerhalb der Gefängnismauern mit ein. Im übrigen ist es außerhalb der Mauern auch nicht einfach und lässt sich auf den Punkt bringen mit der schlauen Frage: Leben wir nicht alle ein bisschen im Hamsterrad?

N.K.

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Quelle:
der lichtblick, 49. Jahrgang, Heft Nr. 370 - 1/2017, Seite 20-21
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2017

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