Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


LICHTBLICK/219: Ist ein Therapiehund die ultimative Lösung und wer erhält ihn?


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 371 - 2/2017

Who let the dogs out?

Ist ein Therapiehund die ultimative Lösung und wer erhält ihn?


Haustiere für tegeler Insassen sind schön. Reichen uns die Katzen nicht mehr? Was kommt als nächstes? Tierpark Seidelstraße? Eine subjektive Betrachtungsweise sei an dieser Stelle erlaubt.


Es war schon ein merkwürdiger Anblick, als ich am Samstagvormittag zwei Personen sah, die mit einem weißen Hund über das Justiz-Gelände liefen. Ich machte mir auch keine weiteren Gedanken dazu, aber dann las ich einen Artikel in der Zeitung, der über den tegeler Therapiehund berichtete. Später erfuhr ich, dass es im RBB-Fernsehen ebenfalls eine Sendung dazu gab.

Ist das nun Verschwendung von Steuergeldern oder doch die billige Variante zu dringend benötigten Psychologenplanstellen? Anders gefragt: Sind Hunde die besseren Psychologen, um unsere suboptimalen Lebenswege zu korrigieren und aufzuarbeiten? Geraten wir mit der "Hundenummer" in den apokalyptischen Strudel eines Vollzugs-Wirrwars? Die Materie ist durchaus komplex. Nach Auskunft der Anstalt schult der Umgang mit Tieren, die sozialen Fähigkeiten die gegenseitige Rücksichtnahme, die Geduld, die Frustrationstoleranz, das Verantwortungsbewusstsein und das Durchhaltevermögen. Wuff! Das hört sich alles sehr löblich an, aber die Grenzen einer Hundetherapie werden einem auch mit gesundem Menschenverstand schnell einsichtig oder ist der Hund auch für begleitete Ausgänge vorgesehen?

Später, sehr viel später habe ich erst erfahren, dass der Hund nur für die Sicherungsverwahrten zur Verfügung steht. Ist schon klar, dass sich die Kluft zwischen den bekundeten Ambitionen und den tatsächlichen Maßnahmen als Luftblase entpuppt, weil die Sicherungsverwahrten auch mehr Platz in ihren "Räumen" haben und ein Hund nun mal mehr Platz braucht als ein Gefangener in einem Gefängnis hat.

Das kann nicht unwidersprochen bleiben. Auf der einen Seite wird ein "Therapiehund" angeschafft und auf der anderen Seite ist es nicht möglich für menschenwürdige Unterbringungen zu sorgen, weil die Teilanstalt II immer noch der Bodensatz der Berliner Justiz ist und es sich in der heutigen Zeit einfach nicht gehört so ein Haus weiter zu betreiben. In dem seuchengeplagten Moloch der tegeler Teilanstalt werden sämtliche vollzuglichen Risse sichtbar. Es packt uns zuweilen die Wut, wenn die Insassen zu der Erkenntnis gelangen, dass sich auch künftig kaum etwas ändern wird. Auch die ersten zaghaften Anzeichen für eine Besserung (z.B. die um Jahre verspäteten installierten Stationsduschen) täuschen nicht darüber hinweg, dass eine sofortige Schließung dieser Teilanstalt für alle Beteiligten besser ist. Um aber auf die prachtvolle Geschichte mit dem Therapiehund zurück zukommen, hierdrin liegt noch großes Potential, wenn demnächst jede Teilanstalt ihren eigenen Therapiehund bekommt. So wird die vollzugliche Verschlossenheit Schritt für Schritt abgebaut und viele unserer Sorgen ausgeblendet. Mit dem erfreulichen Nebeneffekt, dass es doch noch Gestaltungswillen gibt, der ausbaufähig ist.

Die entsprechenden Hundetrainer müssen dann aber auch vorgehalten werden sonst wird die große Herausforderung heruntergespielt und der Trott geht mit voller Wucht wieder von vorn los. Wir glauben nämlich, dass uns ein großes Stück Menschlichkeit verloren geht, wenn wir aufhören, unsere Sehnsüchte zu stillen oder keine Ziele mehr haben. Jeder Gefangene kennt den Effekt, dass die Motivation oftmals im Keller ist, wenn die Ruhe fehlt, um einen klaren Gedanken zu fassen.

Trotzdem ist der Versuch aussichtsreich, die vollzugliche Not mit der Anschaffung von Hunden zu lindern. Oder ist er nur ein versteckter Spürhund, den die Justiz den eigenen natürlichen Spieltrieb, zum Zwecke der Überwachung, abtrainiert hat. Das wäre dann perfide, wenn das Belohnungszentrum im Hundegehirn ihm signalisieren würde: "Ich habe der Gesellschaft geholfen und zur Sicherheit beigetragen". Wuff! Der Therapiehund ist dann der erste Schritt und entfaltet vielleicht eine strategische Absicht für eine gewisse Gelassenheit an der wir uns erst noch gewöhnen müssen. Damit sind ja auch Anzeichen für eine Entschleunigung zu beobachten, die nicht zu ignorieren sind und die die Verengung unseres Zukunfthorizonts mit der Betreuung eines Tieres sicherlich in positive Bahnen lenkt. Bei allem vollzuglichen Raffinement ist ersichtlich, dass die Justiz mit dieser Maßnahme keine empathischen Eruptionen hervorrufen wollte. Das dürfte auch jedem Insassen klar sein und bedarf keiner weiteren Erklärung.

N. K.

*

Quelle:
der lichtblick, 49. Jahrgang, Heft Nr. 371 - 2/2017, Seite 20-21
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
(Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel)
Seidelstraße 39, 13507 Berlin
Telefon: 030/90 147-23 29
Fax: 030/90 147-2117
E-Mail: gefangenenzeitung-lichtblick@jva-tegel.de
Internet: www.lichtblick-zeitung.com
 
"der lichtblick" erscheint vier- bis sechsmal im Jahr.
Der Bezug ist kostenfrei. "der lichtblick" ist auf Unterstützung
durch Spenden angewiesen.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang