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LICHTBLICK/225: Das Für und Wider der lebenslangen Freiheitsstrafe ist ständig im Fokus


der lichtblick - Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 373 - 4/2017

Das Für und Wider der lebenslangen Freiheitsstrafe ist ständig im Fokus

Die Lebenslänglichen werden schon länger mit einer neuen Konzeption vertröstet.


Den "Lebenslänglichen" in Tegel scheint es gut zu gehen. "Allet in Butter, weiter so" oder wie sind die kaum wahrnehmbaren Reaktionen zu verstehen. Ab und zu wird mal einer entlassen, aber wenn wir uns auf den Stationen so umschauen, dann wird schnell klar, dass hier noch viele Langstrafer ohne Lockerungen rumgammeln, die schon reichlich Jahre auf der Vollzugsuhr haben.

Wie passt das alles zusammen? Versteht uns bitte nicht falsch, wir wollen hier keineswegs zur Meuterei aufrufen, aber man hört wenig bis gar nichts. Zurzeit gibt es ca. 1800 Personen mit lebenslanger Freiheitsstrafe in den deutschen Gefängnissen, statistisch kommen jährlich 100 Verurteilte dazu. Monatlich gibt es im Bundesdurchschnitt 8 Entlassungen nach § 57a StGB. Das bedeutet, dass die Anzahl Lebenslänglicher seit Jahren konstant bleibt. Die Seelsorgenden erleben in der Begleitung "Lebenslänglicher" den Verlust jeglicher Perspektiven dieser Menschen und die Schwierigkeiten bei der wichtigen Wiedereingliederung in soziale Beziehungen. Das Gefängnissystem verlangt Rituale der Unterwerfung durch Anpassung an geforderte Regeln. Das führt in jedem Fall zu einer real empfundenen Ohnmachtserfahrung. Auch der Verlust an Gestaltungsmöglichkeiten für das eigene Leben führt zur Abstumpfung. Die Inhaftierten arbeiten sich so mit der Zeit der Inhaftierung eher am System und seinen Begleiterscheinungen ab, als dass sie sich mit ihrer Biografie beschäftigen.

Die Lebenslänglichen werden schon lange mit einer neuen Konzeption vertröstet. Ob wirklich etwas Nennenswertes dabei herauskommt ist völlig ungewiss. Angeblich soll es für die Zukunft mehr Spielraum geben. Spötter nennen es "mehr Willkür". So hat jeder seine Wahrnehmung und erst in paar Jahren kann wirklich bilanziert werden, ob die Modalitäten sinnstiftend waren. Viele Gefangene haben auch erfahren müssen, dass die Drei-Phasen-Konzeption nicht immer konsequent umgesetzt wird. Im Klartext: Einige Insassen kommen nach zwei oder drei Jahren in die Teilanstalt V, andere sehen Haus II nie. Das hierbei Unmut aufkommt ist verständlich. Unabhängig davon muss aber auch eine Reform des § 211 StGB erfolgen. "Experte fordert Obergrenze für Mord-Strafen". Das die BILD-Zeitung unter dieser Schlagzeile am 18.06.2017 im Internet über die Ergebnisse einer Tagung der Evangelischen Akademie in Loccum berichtete, dürfte ein seltener Ausnahmefall sein. Dabei hätte die Tradition rechtspolitischer Tagungen in der Akademie durchaus öfter Anlass für eine öffentliche Berichtserstattung sein sollen.

Diesmal hatten sich eine Reihe von Experten und rechtspolitisch Interessierten getroffen, um über das "Für und Wider der lebenslangen Freiheitsstrafe" zu diskutieren. Aufgrund des aktuellen Themas wurde auf die anstehende Reform der Tötungsdelikte hingewiesen. Neu sei die Forderung nach Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe allerdings nicht. Schon 1955 hatte man auf dem Deutschen Juristentag erklärt, dass diese unbegrenzte Strafe nicht mehr unserer heutigen Auffassung entspreche.

Die durchschnittliche Vollzugsdauer bei den Lebenslänglichen beträgt mehr als 19 Jahre. Das BVerfG hat 1977 geprüft, ob das Resozialisierungs der lebenslangen Freiheitsstrafe entgegenstehen könne, sofern diese irreparable Schäden verursache. Die dazu angehörten Sachverständigen waren sich aber uneins, zudem trat damals das Strafvollzugsgesetz in Kraft, das den Grundrechtsschutz der Gefangenen gewährleisten sollte. Deshalb hat das BVerfG die Gefahr irreparabler Schäden für die Gefangenen nicht feststellen können. Es verpflichtete den Gesetzgeber zur Beobachtung, der jedoch untätig blieb. Die lebenslange Freiheitsstrafe war im römischen Recht als Gnadenakt nach der Todesstrafe entstanden. Rational könne die lebenslange Freiheitsstrafe heute nicht mehr begründet werden. Höhere Rückfallquoten als bei anderen hohen Strafen sind nicht festzustellen. Allerdings spielen auch im Strafrecht Gefühle und Symbole eine Rolle; deshalb müsse die lebenslange Freiheitsstrafe als Leitwährung beibehalten werden.

Laut Juristen wird öfter die Verhängung von "lebenslang" erwartet als dies dann tatsächlich geschieht. Nebenkläger würden von ihren Anwälten offenbar schlecht beraten und verstünden deshalb oft nicht, warum "nur" zeitige Freiheitsstrafen verhängt werden. Die Schöffen gingen davon aus, dass lebenslang tatsächlich nur 15 Jahre Haft bedeute. Für hochgefährliche Täter sei diese Höchststrafe weiterhin erforderlich, auch wenn sie nach der Mindestverbüßungsdauer faktisch eine Maßregel darstelle. Aus der Sicht der Experten gebe es bei den Gerichten die Tendenz, lebenslang zu vermeiden. Es wird bestätigt, dass lebenslange Haft nur bei Mordtaten verhängt wird. So wird den Gerichten bei der Strafzumessung kein Spielraum gelassen, da nur die Motivlage des Täters oder eine bestimmte Begehungsweise der Tat ausschlaggebend ist, während andere Tatumstände keine Berücksichtigung finden. Die vom Gericht etikettierte "Mörderpersönlichkeit" ist wiederum entscheidend dafür, ob eine Tat als Totschlag oder Mord geahndet wird.

Viele der Tötungsdelikte sind Beziehungstaten, bei denen es ein kompliziertes Beziehungsgeflecht mit verschiedenen, die Tat beeinflussender Vorfällen zwischen Täter und Opfer gibt, das bei der Beurteilung der Tat eine Rolle spielen sollte. Die absolute Strafandrohung lasse aber keine Ausnahme zu, selbst wenn der Täter die noch unbekannte Tat selbst offenbart habe und er ohne sein offenes Geständnis nicht hätte verurteilt werden können. Experten stellten dann weitere Ergebnisse ihrer Untersuchungen über die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafen in den Jahren 2013/14 vor. Danach dominieren die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe, gefolgt vom Merkmal der Habgier. Die besondere Schwere der Schuld wird in 15 % der Urteile festgestellt, insbesondere wenn mehrere Mordmerkmale vorliegen. Wenn Strafmilderungen erfolgen, geschieht das zu 75 % über die Feststellung einer erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB). 50 % dieser Verurteilten haben keine Vorstrafen; Mord steht also nicht am Ende einer langen kriminellen Karriere. Die Rückfallquote ist deutlich geringer als bei anderen Inhaftierten.

Die Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 57a StGB ist kein kriminalpolitisches Allheilmittel. Mehr als 10 % der Verurteilten versterben im Vollzug. Rechtspolitisch muss über Alternativen zur lebenslangen Freiheitsstrafe nachgedacht werden. Das ist unlösbar mit der Reform der Tötungsdelikte verbunden. Als Eckpunkte einer möglichen Reform ist zumindest neben der lebenslangen Freiheitsstrafe auch eine zeitige Freiheitsstrafe vorzusehen. Wenn es weiterhin lebenslang geben soll, muss der Gesetzgeber hierfür klare Kriterien bestimmen. Bei der "besonderen Schwere der Schuld" müssen gesetzliche Gründe benannt werden, die eine längere Mindestverbüßungszeit rechtfertigen. Der Vorschlag für eine zeitige Freiheitsstrafe würde bei ca. 20 Jahren liegen, sofern es sich nicht um mehrere Taten handelt.

Die inhaftierten "Lebenslänglichen" sind im Durchschnitt deutlich älter als andere Gefangenen und die materielle Situation ist bei der Entlassung (wenn sie denn stattfindet) schlecht, wegen des geringen Verdienstes in den Haftanstalten. Es gibt kaum einen Anreiz, in außenorientierten Formen leben zu wollen. Der Langstrafer verliert sein Selbstbild, Fotos von sich selbst sind bei ihnen nicht zu finden. Eine Verbüßung von mehr als 15 Jahren kann kein Schuldausgleich mehr sein, sondern diene allenfalls der Prävention. Prof. Dr. Helmut Pollähne (Bremen) wies in einem Vortrag darauf hin, dass Lebenslang eine absolute Strafandrohung ist, eine Strafzumessung findet anders als sonst nicht statt. Im Kern stimmt die immer wieder hörende Behauptung nicht, Lebenslang entspreche 15 Jahren Freiheitsentzug. Das ist falsch, denn von einer quasi automatischen Entlassung nach 15 Haftjahren kann keineswegs die Rede sein. Viele Verurteilte würden bis zum bitteren Ende vollstreckt, das sei dann eine "Todesstrafe auf Raten". Lebenslang sei eine Strafe mit Sicherungsüberhang; Dadurch werde eine Rückfallgefahr unterstellt, die mit empirischen Erkenntnissen nicht im Einklang steht. Die Rückfallquote (einschlägiger Taten) liegt bei unter 1 %. Letztlich ist lebenslang eine Vernichtungsstrafe, sie macht den Bürger zum Objekt. Diese absolute Strafe passt nicht zum begrenzenden System des Schuldstrafrechts. Zur Generalprävention sei sie nachweislich nutzlos. Der Vollzug müsste eigentlich die Fortdauer der Haft entbehrlich machen. Erforderlich sei eine Anpassung des Vollzugs an das Abstandsgebot, das für die Sicherungsverwahrung gilt, jedenfalls bei Vollstreckung des Sicherungsüberhanges.

Bei Prüfung der vorzeitigen Entlassung müsse vom Grundsatz der Ungefährlichkeit ausgegangen werden. Mit Einführung der Bewährungsmöglichkeit des § 57a StGB sank offenbar die Hemmschwelle, lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen, die Zahl der Verurteilungen stieg an. Die Verurteilten leiden unter der Ungewissheit, wie lange sie in Haft bleiben müssen. Lebenslang heißt für sie 15 Jahre plus X. Erst 10-13 Jahre nach dem Urteil erfahren sie, wann sie frühestens mit einer Entlassung rechnen können. Diese Unbestimmtheit ist eine Doppelbestrafung, sie führt oft zu psychischen Schäden in der Haft wie Persönlichkeitsverfall, Lethargie, Abstumpfung und Lebensuntüchtigkeit. Theologen weisen darauf hin, dass auch bei schrecklichen Taten Alternativen zur Bestrafung möglich seien. Gerade der Umgang mit Sonderfällen und Höchststrafen zeige den Zivilisierungsgrad einer Gesellschaft. Die Scham des Täters habe besondere Bedeutung und müsse ihm möglich sein, werde im Gefängnis aber eher unmöglich gemacht. Das Hoffnungsprinzip sei von ethischer Bedeutung, die lebenslange Freiheitsstrafe stehe damit nicht im Einklang. Der EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) verlange, dass jeder die Chance auf die Rückkehr in die Gesellschaft haben müsse, deshalb sei eine Aussicht auf eine Entlassung notwendig.

Lebenslang als obligatorische Strafe gebe es in Europa nur in Deutschland und in Großbritannien, das sollte reformiert werden. Die Alternative sei die Einführung der zeitigen statt der lebenslangen Freiheitsstrafe, die bei 15-20 Jahren liegen könne. Zu klären sei dabei, ob es eine Mindestverbüßungsdauer geben sollte, wie die Strafaussetzung zur Bewährung zu regeln sei und ob es zwingend einen Vorbehalt der Sicherungsverwahrung geben solle. Wenn die Abschaffung von Lebenslang nicht durchsetzbar sei, müsse zumindest ein minder schwerer Fall des Mordes geregelt werden. Die Reform der Tötungsdelikte sei ohnehin angezeigt. Außerdem müsse die Gestaltung des Vollzuges frühzeitig und regelmäßig von der Strafvollstreckungskammer geprüft werden, die der JVA dann auch Vorgaben für den weiteren Vollzug machen können muss.

Fazit: Lebenslang als absolute Strafe muss abgeschafft werden. Diese Sonderstrafe ist weder Generell noch spezialpräventiv erforderlich. Mehr als 15 Jahre Haft stellt faktisch eine Sicherungsverwahrung dar, ohne dass sie angeordnet worden wäre. Es wäre zu wünschen, dass die Rechtspolitik das Thema aufgreift und endlich angeht.

N. K.

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Quelle:
der lichtblick, 49. Jahrgang, Heft Nr. 373 - 4/2017, Seite 14-15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2018

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