Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

MARXISTISCHE BLÄTTER/562: Der Krieg vor Vietnam - Teil 1


Marxistische Blätter Heft 6-13

Der Krieg vor Vietnam
Der postkoloniale Bürgerkrieg In Korea (1945-53) führte aufgrund seiner Internationalisierung zum ersten "heißen Konflikt" im Zuge eskalierender West-Ost-Blockkonfrontation. (Teil 1)

Von Rainer Werning



"Vor uns stand eine merkwürdige, etwas vorgebeugte Gestalt mit gespreizten Beinen und seitwärts gestreckten Armen. Er hatte keine Augen, und seinen ganzen Körper; der fast überall durch verbrannte Stofffetzen hindurch sichtbar war, bedeckte eine harte schwarze, mit gelbem Eiter gesprenkelte Kruste. Der Mann musste stehen, weil sein Körper keine Haut mehr hatte, sondern von einer leicht zerbrechlichen mürben Kruste überzogen war. Ich dachte an die Hunderte von niedergebrannten Dörfern, die ich persönlich gesehen hatte, und stellte mir die Verlustliste vor die an der Koreafront ins Unermessliche wachsen musste."

Der britische Korea-Korrespondent René Cutforth über die Opfer einer bis dahin unbekannten chemischen Substanz, die erstmals flächendeckend auf der koreanischen Halbinsel als Kriegsmittel eingesetzt wurde, Napalm - Cutforth, René (1952): Korean Reporter. London, zit. nach Werning 2005.


Sehnlichst hatten die Koreaner gehofft, das Ende des Zweiten Weltkrieges werde ihnen nach 36-jähriger Kolonialherrschaft (1910-45) endlich die Freiheit bescheren. Doch bereits vor Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde durch Japan am 2. September 1945 hatten sich die Siegermächte USA und die Sowjetunion darauf verständigt, Korea entlang des 38. Breitengrads in zwei Besatzungszonen aufzuteilen und das Land auf unbestimmte Dauer, zumindest aber fünf Jahre lang treuhänderisch zu verwalten.

Nördlich des 38. Breitengrades, so war es zwischen Washington und Moskau vereinbart worden, hatte die Rote Armee das Sagen und protegierte den antijapanischen Partisanenverband des späteren Präsidenten Kim Il-Sung. Südlich des 38. Breitengrades kontrollierten die USA das politische Geschehen. Washington verhalf dort dem eigens aus US-amerikanischem Exil nach Seoul eingeflogenen Dr. Rhee Syngman zur Macht - entgegen dem Willen der damals überall in Korea rasch entstandenen Volkskomitees. Diese waren - erstmalig in der Geschichte des Landes - Ausdruck einer breiten Massenbewegung, deren vorrangiges Ziel darin bestand, die eigenen Belange selbstbestimmt und demokratisch zu regeln. Führend in dieser Bewegung waren Nationalisten, Konservative, Sozialisten und Kommunisten unterschiedlicher Couleur, die auf jeweils unterschiedliche Weise gegen die japanische Kolonialmacht opponiert oder im Partisanenkampf militärisch Widerstand geleistet hatten und die nunmehr über widerstreitende Ideen und Ideologien hinaus ein zentrales Anliegen einte - das koloniale Erbe schnellstmöglich zu beseitigen und die Weichen für ein unabhängiges und demokratisches Korea zu stellen.

Es waren die Volkskomitees, die diese Vision verfolgten, mit Kriegsende die Verwaltung des Landes übernahmen und auf ihrer am 6. September l945 tagenden Repräsentativversammlung in Seoul die gesamtnationale Volksrepublik Korea proklamierten und deren Regierung wählten. Diese fühlte sich folgenden zentralen Zielen verpflichtet - Durchführung einer umfassenden Land- und Agrarreform, Nationalisierung großindustrieller Komplexe sowie die Durchsetzung des Achtstundentags, eines Minimumlohns und Preiskontrollen bei wichtigen Nahrungsmitteln und Mieten. Diese Forderungen waren außerordentlich populär und wurden landesweit unterstützt. Dennoch litt diese Republik unter zwei Geburtsfehlern; ihr blieb die internationale Anerkennung versagt, und sie war kurzlebig.


"Befriedung" statt Unabhängigkeit
Während Einheiten der Roten Armee bereits Mitte August 1945 in Korea einmarschierten und - wie zuvor mit den USA vereinbart - am 38. Breitengrad Halt machten, landete erst am 8. September 1945 die 7. US-Infanteriedivision in Incheon an der Westküste Koreas an. Von der gerade gebildeten koreanischen Regierung nahmen die Besatzungstruppen unter Führung von General John R. Hodge keine Notiz. Stattdessen entstand südlich des 38. Breitengrads das United States Army Military Government in Korea, die US-amerikanische Militärregierung in Korea - kurz: USAMGIK. Sie bestimmte, was die Koreaner fortan zu um und zu lassen hatten. Im ersten Generalbefehl der USAMGIK wurde die Bevölkerung aufgerufen, deren Anweisungen strikt zu befolgen. Die Menschen in der Hauptstadt Seoul staunten nicht schlecht, als dann auch noch anstelle der koreanischen Flagge das Sternenbanner gehisst wurde.

Kein Mitglied der US-amerikanischen Militärregierung in Korea sprach Koreanisch. Die Volkskomitees waren für die neuen Besatzer von Anfang an ein Dorn im Auge und galten - so wörtlich - als "akute Bedrohung und kommunistisch unterwandert". Es kümmerte sie auch nicht, dass in diesen Komitees hoch angesehene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Yo Un-Hyong, Kim Ku und Kim Kyu-Sik eine herausragende Stellung einnahmen. Tragischer noch: Die Sicherheitskräfte der USAMGIK und Rhee Syngmans rekrutierten sich mehrheitlich aus pro-japanischen Kollaborateuren. "Als wir hier die Polizei übernahmen", erklärte dazu der US-amerikanische Chef der südkoreanischen Polizeidivision, Oberst William H. Maglin, "waren unter den 20.000 Mann 12.000 Japaner. Was wir taten, war Folgendes: Wir schickten die Japs nach Hause, stockten die Zahl der Koreaner auf und bauten einen Apparat auf, in den sämtliche jungen Männer integriert wurden, die der Polizei vorher geholfen hatten. Einige fragten sich, ob es klug sei, von den Japanern ausgebildetes Personal einfach zu übernehmen. Doch wir dürfen nicht vergessen: Viele Leute sind geborene Polizisten. Wenn sie unter den Japanern einen guten Job verrichteten, warum nur sollten sie dann nicht auch für uns einen guten Job tun? Es wäre doch unfair gewesen, sie nur deshalb davonzujagen, weil sie früher einmal unter den Japanern gedient hatten." (zit. nach: Gayn 1948: 391)

Als ein Mitte November 1945 tagender Kongress der Volksrepublik es ablehnte, sich selbst aufzulösen, erklärte General Hodge ihn kurzerhand für ungesetzlich. Auf Initiative der USAMGIK konstituierte sich Mitte Februar 1946 ein so genannter Parlamentarischer Demokratischer Rat, dessen Vorsitz Rhee Syngman übertragen wurde, der während des Pazifischen Krieges in Washington die Korea-Kommission geleitet hatte. Obgleich er die koreanische Nachkriegsrealität nicht kannte, avancierte Rhee mit aktiver amerikanischer Rückendeckung zur Galionsfigur konservativer, rechter Kräfte - Großgrundbesitzer, Adelige, Staatsbürokraten und Sicherheitskräfte -, die meist mit der früheren Kolonialmacht Japan zusammengearbeitet hatten. Rhee Syngman genoss deshalb von Anfang an wenig Sympathien. Selbst unter Mitarbeitern der USAMGIK stieß Rhees Auftreten und sein zunehmend autoritärer Führungsstil auf Kritik. "Rhee Syngmans Rückkehr fand im allgemeinen wenig Beachtung, obwohl er offenbar vom ersten Augenblick an die Gunst der kollaborationistischen Gruppen gewonnen hatte", urteilte beispielsweise Alfred Crofts, ein Mitglied der USAMGIK, und er fuhr fort: "Vor der Landung der Amerikaner konnte eine politisch rechtsgerichtete Partei, die in der Vorstellung des Volkes mit der Kolonialherrschaft assoziiert wurde, nicht bestehen. Doch kurz danach sollten wir wenigstens drei konservative Parteicliquen unterstützen."

Im September 1946 erließen die amerikanischen Behörden Haftbefehl gegen namhafte kommunistische Führer. Diese setzten sich daraufhin in den nördlichen Landesteil ab. Überhaupt: Alle, die im südlichen Landesteil in der Kunst- und Kulturszene, im Literatur- und akademischen Betrieb und als kritische Intellektuelle - von Sozialisten und Kommunisten ganz zu schweigen - Rang und Namen hatte, zogen es aufgrund des zunehmend repressiver werdenden Klimas in den folgenden Monaten vor, sich nördlich des 38. Breitengrads niederzulassen. Im Süden eskalierten Widerstand und gewaltsame Proteste, die sich in erster Linie dagegen richteten, dass pro-japanische Kollaborateure in Amt und Würden belassen und die Bauern gezwungen wurden, zusätzliche Ernte-)Abgaben an die Behörden zu leisten. Dissens und Demonstrationen wurden von US-Truppen und vor allem rechten paramilitärischen Schlägertrupps niedergeknüppelt. Dazu zählte unter anderen die notorische "Nordwest-Jugend", die als Söhne von im Norden enteigneten Grundbesitzern und pro-japanischen Kollaborateuren auf Rache sannen und unter den Fittichen der USAMGIK ihr Unwesen treiben konnten. Zur zusätzlichen Überwachung und Einschüchterung der Bevölkerung entstanden so genannte "strategische Weiler", zentrale Sammelstellen, in die sich die Menschen zu Zehntausenden begeben und sich einer "vorsorglichen Untersuchung und Inhaftierung" (Yebi geumsok) unterziehen mussten, um nicht als "Umstürzler" zu gelten.


Separatwahlen und fortschreitende Entfremdung
Im November 1947 beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen, die sich damals mehrheitlich aus den Vertretern pro-amerikanischer Staaten zusammensetzte, die Gründung einer Provisorischen Kommission für Korea. Als Reaktion auf diese Internationalisierung der Korea-Frage verweigerte die Sowjetunion Vertretern der Kommission die Einreise in den von ihr kontrollierten Norden. Im Gegenzug propagierten Washington und die Korea-Kommission die Durchführung separater Wahlen zur Nationalversammlung im südlichen Landesteil. Dort fanden schließlich am 10. Mai 1948 unter UN-Aufsicht die Wahlen statt, die allerdings von den meisten Parteien als "Schandwahlen" boykottiert wurden. Betrug, massive Stimmenthaltung, Schlägereien und Benachteiligung der Opposition kennzeichneten sie. Die Wahlen waren alles andere als frei; die so genannten ungebildeten Bevölkerungsschichten durften an ihnen ohnehin nicht teilnehmen.

Im Vorfeld der Wahlen hatten sich überdies Terrorbanden blutige Gefechte geliefert, die über 500 Menschenleben kosteten. Und die wenigen Wahlbeobachter der UN, etwa drei Dutzend, waren außerstande, ihrer Aufgabe auch nur annähernd gerecht zu werden. Trotzdem bestätigte die UN-Vollversammlung Rhee Syngman wenig später als Wahlsieger und drückte ihm und der von seiner Regierung am 15. August 1948 ausgerufenen Republik Korea den Stempel der Legitimität auf. Wörtlich hieß es in der UN-Resolution vom Dezember 1948, dass "die Regierung Rhee Syngman gesetzmäßig ist, die über den Teil Koreas, den die Provisorische Kommission zu inspizieren imstande war, wirksame Machtbefugnisse ausübt, dass diese Regierung aus Wahlen hervorgegangen ist, die einen gültigen Ausdruck des freien Willens der Wähler in jenem Teil Koreas darstellen, und dies die einzige derartige - das heißt: gesetzmäßige und frei gewählte - Regierung in Korea ist."

Landesweit hatten diese Wahlen einen Sturm der Enttäuschung und Entrüstung entfacht. Zahlreiche gesamtkoreanische Konferenzen von Parteien und gesellschaftlichen Organisationen hatten wiederholt und eindringlich davor gewarnt, separate Wahlen abzuhalten, und gefordert, dass sämtliche im Lande stationierte ausländische Truppen abgezogen werden müssten. Andernfalls drohe die in den bleiernen Jahren der japanischen Okkupation immerhin gewährte nationale Einheit gesprengt und das Land auf Dauer geteilt zu werden. Eine berechtigte Befürchtung; als Reaktion auf die Ereignisse im Süden fanden im August 1948 im Norden Wahlen zur Obersten Volksversammlung statt. Sie verliefen weitaus weniger turbulent als im Süden, doch frei und fair waren auch sie nicht. Wer sich an den Urnen im Sinne der Herrschenden nicht botmäßig verhielt, dem entzogen die Behörden kurzerhand den Bezugsschein für Lebensmittelrationen. Am 9. September zog die Regierung in der Hauptstadt Pjöngjang nach, und Kim Il-Sung rief dort die Demokratische Volksrepublik Korea aus.

Die politische Lage blieb in all diesen Monaten vor allem im Süden extrem angespannt. Die Menschen dort waren unzufrieden über die anhaltend miserablen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Überall mangelte es an Nahrungsmitteln, Kleidung und Unterkünften. Die alten, wieder zur Macht gelangten Großgrundbesitzer beuteten die Bauern schamlos aus; Pachtabgaben bis zu 70 Prozent des Ernteertrags waren nicht selten. Häufig auch wurden Pächter kurzerhand von ihren Parzellen vertrieben. Protest und Widerstand wurden stets umgehend und unerbittlich unterdrückt. Willige Instrumente der Repression waren nebst ehemaligen japanischen Kollaborateuren vor allem aus dem nördlichen Landesteil geflüchtete Großgrundbesitzer samt ihren Schergen. Zu Letzteren zählten hysterisch antikommunistische Banden der "Nordwest-Jugend", deren brutales Vorgehen gegen alles tatsächlich oder vermeintlich Oppositionelle selbst die US-amerikanischen Militärberater erschreckte. Dieser geballten Repression fielen Zehntausende zum Opfer, sodass quasi die Führung fortschrittlicher und linker Bewegungen im Süden der Halbinsel physisch liquidiert wurde.


Verdrängtes Trauma der Aufstand von Cheju
Vor allem auf der südlichen Insel Cheju (Jeju), wo sich die Volkskomitees am Längsten zu halten vermochten, war es Anfang April 1948 zu einem Volksaufstand gegen die Regierung gekommen. Dieser Aufstand wurde mit äußerster Brutalität niedergeschlagen und kostete allein zwischen 30.000 und 60.000 Menschen das Leben. Neuere südkoreanische Untersuchungen gehen indes davon aus, dass etwa ein Viertel der damals 300.000 Residenten auf Cheju ums Leben gekommen sind. 40.000 Personen soll die erfolgreiche Flucht nach Japan geglückt sein. Lange Zeit in den USA unter Verschluss gehaltene Dokumente und eine über ein halbes Jahrhundert von den jeweiligen Regierungen in Seoul strikt verfügte Tabuisierung dieses dunklen Kapitels sorgten dafür, dass der Getöteten und ihrer Hinterbliebenen erst Jahrzehnte später öffentlich gedacht werden konnte.

"Es waren koreanische Polizisten und Paramilitärs, die sich die Inselbewohner mit Folter und Mord schon zu Feinden gemacht hatten, bevor der Aufstand am 3. April 1948 begann. Es waren koreanische Soldaten, die nicht nur die kleinen Trupps der Rebellenführer jagten, sondern Kinder exekutierten, Greise zu Tode quälten und Frauen vergewaltigten, erschossen oder bei lebendigem Leibe begruben. Und es war die amerikanische Militärregierung (USAMGIK), die vom 15. August 1945 bis zum 15. August 1948 als höchste und einzig legale Autorität über das Korea südlich des 38. Breitengrades wachte. Koreanische Armee und Polizei standen über diese Frist hinaus bis zum 30. Juni 1949 unter operativer Kontrolle der USA. Wie die Kontrolle über die Insel aussah, kann heute in den US-Nationalarchiven eingesehen werden. Bruce Cumings, Geschichtsprofessor und Korea-Experte an der Universität Chicago, hat die 30 Jahre lang geheimen Berichte der lokalen Polizeistellen, der US-Militärregierung und des Counter-Intelligence Corps der Armee (CIC) durchforstet. Sein Urteil: 'Diese Materialien dokumentieren einen gnadenlosen, totalen Angriff auf die Bevölkerung von Jeju.'" (Schmidt-Hauer 2002) Der verstorbene südkoreanische Präsident Roh Moo-Hytm entschuldigte sich am 31. Oktober 2003 erstmals offiziell für das Massaker, während rechtsradikale und antikommunistische Gruppierungen im Lande dieses noch heute als "notwendige Maßnahme" für das Entstehen der Republik Korea erachten.


Aufbruchstimmung im Norden
Anders verlief die Entwicklung im nördlichen Teil der Halbinsel. Dort ließ die sowjetische Besatzungsmacht die Volkskomitees im Wesentlichen gewähren und warf ihr politisches Gewicht für die vormals im Grenzgebiet zur Mandschurei und der Sowjetunion operierende antijapanische Partisanentruppe um Kim Il-Sung in die Waagschale, die lediglich als eine von mehreren solcher Verbände aktiv war. Bereits im Frühjahr 1946 hatte der Norden ein sozialpolitisches Signal gesetzt, als eine weitreichende Bodenreform über 700.000 besitzlosen Bauernfamilien zu Landbesitz verhalf - zum Verdruss der früheren Grundbesitzer. Die sahen in Nordkorea keine Zukunft für sich. Scharenweise wanderten sie in den Süden ab, wo sich zahlreiche Söhne dieser Enttäuschten bei den Sicherheitskräften bewarben_ oder mit gleichgesinnten Jugendlichen paramilitärische Schlägertrupps formierten. Für Kim und seine Gefolgsleute bedeutete die überaus populäre Bodenreform zusätzlich einen enormen Legitimationsgewinn (was seinerzeit selbst USAMGIK-Vertreter offen eingestanden), zumal eine ähnliche Reform im Süden der Halbinsel ausblieb. Vor allem kam der nordkoreanischen Führung zugute, dass sie nicht im Entferntesten mit dem Makel von pro-japanischer Kollaboration und politischer Repression behaftet war. Gesellschaft, Politik und Wirtschaft wurden dominiert von Personen, die gegen das japanische Kolonialjoch gekämpft hatten - ein scharfer Kontrast zu den alt-neuen Eliten im Süden, die es, gestützt auf die Bajonette der USAMGIK, erneut und schnell geschafft hatten, Macht und Pfründe unter sich aufzuteilen. Ein Personenkult um Kim Il-Sung existierte damals nicht. Dieser entwickelte sich erst in den Jahren nach dem Ende des Koreakrieges (1953) und vor allem zu dem Zeitpunkt, als die Führungsgruppe um Kim politisch konsolidiert war und unangefochten den Kurs strikter Selbstbestimmung einschlug und eine Politik der Äquidistanz favorisierte, sich also weder eng an Moskau noch an Peking (Beijing) anlehnte.


Erst Teilung ...
Beide Staaten beanspruchten jeweils für sich, legitimer Sachwalter des einen Korea zu sein. Sah sich die Regierung in Seoul als "Vorposten der freien Welt und im Feldzug gegen den Kommunismus", wähnte sich die Regierung in Pjöngjang als "Basis der koreanischen Revolution und als Bollwerk nationaler Befreiung". Notfalls, so die schrille Propaganda in beiden Hauptstädten, werde man mit Gewalt die Einheit wiederherstellen. Bewaffnete Provokationen und Konfrontationen entlang der Demarkationslinie am 38. Breitengrad waren an der Tagesordnung und häuften sich seit der Jahreswende 1949/50. Noch herrschte ein labiles Gleichgewicht, wenngleich selbst US-Außenminister Dean Acheson mehrfach gerügt hatte, wie launisch und unkalkulierbar Südkoreas Präsident handelte. Dieser hatte sich mehrfach öffentlich damit gebrüstet, für einen Waffengang gerüstet zu sein und "im Marsch gen Norden Pjöngjang innerhalb von drei Tagen zu erobern". "Ich fühle sehr", schrieb Rhee beispielsweise in einem vom 30. September 1949 datierten Brief an Dr. Robert Oliver von der Penn State University im US-amerikanischen Bundesstaat Pennsylvania, "dass jetzt der beste psychologische Zeitpunkt gekommen ist, eine aggressive Maßnahme zu ergreifen. (...) Wir werden einige von Kim Il-Sungs Leuten in die Berge vertreiben und dort aushungern. Dann werden wir in einer hundertprozentig besseren Ausgangslage sein."

Diese Einschätzung teilten hochrangige Offiziere der südkoreanischen Armee. Südkoreas Präsident war unbeliebt und hätte sich in Friedenszeiten nicht lange an der Macht halten können. Für ihn wie auch für Tschiang Kai-shek im benachbarten Taiwan schrieb der US-amerikanische Journalist Isidor F. Stone, hätte Frieden das politische Ende bedeutet. Der verschlagene Rhee wusste nur zu gut, dass im Falle einer Eskalation militärischer Auseinandersetzungen US-Truppen in das Geschehen eingreifen und ihm Rückhalt verschaffen würden. Gleichermaßen hätte Frieden, so jedenfalls die damalige Mehrheitsmeinung in Washington, den Plan erschwert, die alten Achsenmächte, vor allem Japan und Westdeutschland, in einen neuen antisowjetischen Kreuzzug einzubinden.

Gleichermaßen ging die Führung um Kim Il-Sung davon aus, dass sich vor allem nach der Proklamation der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949 in Beijing durch Mao Tse-tung (Mao Zedong) die Ausgangslage für einen unter ihrer Ägide geführten Befreiungskrieg spürbar verbessert hatte. Mittlerweile ist verbürgt, dass Kim Il-Sung seit 1949 sowohl Stalin als auch Mao um logistische Unterstützung für ein solches Unterfangen bat (Cold War International History Project of the Woodrow Wilson International Center, Washington, D.C.). Auf der Grundlage geöffneter russischer Archive hat Kim Il-Sung 1949/50 mehrere Geheimreisen in die Sowjetunion und die VR China unternommen, um Stalin und Mao zu überzeugen, dass der Zeitpunkt günstig sei, gegen die Truppen des Südens offensiv vorzugehen und das Regime Rhee Syngmans zu stürzen. Erst im Frühjahr 1950 gab man in Moskau wie in Beijing grünes Licht für eine derartige Intervention. Für das Kalkül Kim Il-Sungs dürfte unter anderem die Äußerung von US-Außenminister Dean Acheson mit ausschlaggebend gewesen sein, wonach sich der US-amerikanische Verteidigungsgürtel ("defensive perimeter") lediglich von den Aleuten über Japan sowie über die Ryukyu-Inseln bis zu den Philippinen erstrecken würde - Korea mithin implizit "außen vor" ließ. Rhee Syngman hingegen spekulierte - zu Recht - darauf, dass Washington ihm und seinem Regime im Falle einer Eskalation bewaffneter Auseinandersetzungen militärisch zur Seite stehen würde. So wartete man sowohl in Seoul wie in Pjöngjang auf den geeigneten Moment beziehungsweise auf entsprechend provokante Aktionen der Gegenseite, um eine neue Phase einer großangelegten militärischen Offensive einzuleiten. Seit Mai 1949 war es entlang des 38. Breitengrads mehrfach zu unterschiedlich heftigen militärischen Auseinandersetzungen gekommen.

Der Süden verübte mehrfach militärische Angriffe nördlich des 38. Breitengrads, derer sich südkoreanische Offiziere öffentlich brüsteten. Ein Ziel dieser Attacken war die Halbinsel Ongjin, die, wenn sie eingenommen worden wäre, den Truppen Rhee Syngmans einen direkten und raschen Zugang nach Pjöngjang ermöglicht hätte. Vieles spricht dafür, dass im Nordwesten der Demarkationslinie - nahe der Stadt Haeju - südkoreanische Vorstöße auf erbitterten nordkoreanischen Widerstand stießen und nordkoreanische Verbände ihrerseits Vorstöße unternahmen und mehr und mehr militärische Kontingente in dieser Region massierten. Einige Autoren verweisen in diesem Zusammenhang auf Meldungen des United States Armed Forces Radio Service aus Seoul, wonach Haeju Anfang Juni 1950 von südkoreanischen Einheiten eingenommen worden war. Gleiches vermeldete die New York Herald Tribune unter Berufung auf Militärkreise in der südkoreanischen Hauptstadt. Vor allem galten die in fraglichem Gebiet operierende 1. Division und das 17. (Infanterie-Regiment, eine Spezialeinheit antikommunistischer Hardliner, unter dem Befehl des späteren ersten Viersternegenerals Südkoreas, Paik Sun-Yup, und Brigadegenerals Kim Sok-Won als "draufgängerische" Kampfeinheiten. Paik hatte seine militärischen Sporen in der Armee des Vasallenstaates Mandschukuo verdient, während Kim zuvor der Kaiserlich-Japanischen Armee als Generalmajor gedient hatte. Nur zu gern hätte Rhee Syngman Letzteren zum Armeechef ernannt, was der US-Generalstab letztlich vereitelte. Für diesen war Kim unberechenbar und dragonerhaft; mehrfach hatte Kim öffentlich als sein oberstes Ziel verkündet, "in Haeju zu frühstücken, in Pjöngjang zu Mittag zu essen und das Abendessen in Wonsan (nordkoreanische Hafenstadt an der Ostküste - RW) einzunehmen." (Deane 1999: 86)



... dann Krieg

Im Morgengrauen des 25. Juni 1950 überquerten dann nordkoreanische Panzereinheiten die Demarkationslinie entlang des 38. Breitengrads. Ohne nennenswerte Gegenwehr rückten sie in Seoul ein und stießen binnen weniger Tage sogar bis kurz vor die Hafenstadt Busan im Süden vor. Rhees Truppen mangelte es an Motivation und Kampfkraft; scharenweise desertierten seine Soldaten und liefen zur anderen Seite über.

Die Stimmung jener Tage hatten ehemalige Mitglieder der USAMGIK wie folgt beschrieben: "Die russischen Panzer der Invasoren hätten in den Bergen von einer entschlossenen Verteidigung leicht aufgehalten werden können. Die kommunistische Doktrin machte wenig Eindruck auf eine Bevölkerung, der die grässlichsten Berichte nordkoreanischer Flüchtlinge bekannt waren. Andererseits begrüßten Millionen von Südkoreanern die Aussicht auf Wiedervereinigung des Landes, selbst unter den Bedingungen der Kommunisten. Diese Menschen hatten die Brutalität der Polizei, geistige Unterdrückung und politische Säuberungen erlebt. Nur wenige waren bereit, für Kriegsgewinnler und Schieber zu kämpfen oder für Rhee Syngman zu sterben. Nur zehn Prozent der Bevölkerung von Seoul verließen die Stadt; zahlreiche Truppen desertierten, und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, darunter Kim Kyu-Sik, liefen zu den Nordkoreanern über." (Crofts 1960 & Robinson nach Scher 1973)


Dr. Rainer Werning, Bonn, Politikwissenschaftler und Publizist, Dozent und Lehrbeauftragter



Literaturhinweise:

Crofts, Alfred (1960): The Case of Korea: Our Falling Ramparts, in: The Nation (New York), 25 June, S. 544-8.

Cumings, Bruce (198 1/ 1990): The Origins of the Korean War. Princeton, NJ. 2 vols. - hier vor allem Bd. 2, S. 753 f.

Deane, Hugh (1999): The Korean War, 1945-1953. San Francisco.

Endicott, Stephen/Hagerman, Edward (1999): Der Koreakrieg als Testfeld für die biologische Kriegführung, in: Le Monde diplomatique, Berlin/Zürich. Juli.

Fleming, D. F. (1961): The Cold War and Its Origins, 1917-1960. New York. 2 vols.

Gayn, Mark (1948): Japan Diary. New York,

Gupta, Karunakar (1972): How did the Korean War begin?, in: The China Quarterly 52: 699-716.

Hart-Landsberg, Martin (1998): Korea: Division, Reunification, and U.S. Foreign Policy. New York.

Henderson, Gregory (1968): Korea: The Politics of the Vortex. Cambridge.

Meade, E. Grant (1951): American Military Government in Korea. New York.

Scher, Mark J. (1973): U.S. Policy in Korea 1945-1948: A Neocolonial Model Takes Shape, in: Bulletin of Concerned Asian Scholars (BCAS). Vol. V, No. 4, December, S. 17-27. Der Autor zitiert mehrfach und ausführlich aus unveröffentlichten Notizen Richard D. Robinsons, eines hochrangigen Mitglieds der Informationsabteilung der USAMGIK.

Schmidt-Häuer, Christian (2002): "Tötet alle, verbrennt alles!", in: Die Zeit, 23. Mai. Hamburg.

Steininger, Rolf (2006): Der vergessene Krieg. Korea 1950-1953. München.

Stone, Isidor F. (1952): The Hidden History of the Korean War. New York.

Werning, Rainer (2005): "... ein einziger Schutthaufen" - Krieg am 38. Breitengrad. Zweite Folge der vierteiligen Reihe KOREA. Ausgestrahlt von SWR 2 am 21. Oktober. Stuttgart.

*

Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 6-13, 51. Jahrgang, S. 89-94
Redaktion: Marxistische Blätter
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Telefon: 0201/23 67 57, Fax: 0201/24 86 484
E-Mail: redaktion@marxistische-blaetter.de
Internet: www.marxistische-blaetter.de
 
Marxistische Blätter erscheinen 6mal jährlich.
Einzelheft 9,50 Euro, Jahresabonnement 48,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2014