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MARXISTISCHE BLÄTTER/612: Die High-Tech-Terroristen


Marxistische Blätter Heft 2-16

Die High-Tech-Terroristen
Der imperialistische Repressionsapparat hat seine ultimative Form gefunden: Das anonyme, automatisierte, ferngesteuerte Mordprogramm

Von Klaus Wagener


"Unser Krieg gegen den Terror beginnt mit Al-Qaida, aber er endet nicht dort. Er wird nicht enden, bis jede terroristische Gruppe von globaler Reichweite gefunden, gestoppt und geschlagen ist." Als George W. Bush dies am 20. September 2001 vor dem US-Kongress verkündete, schien die große Erzählung des US-Imperialismus für seinen, von Brzezinski und anderen formulierten, geostrategisch motivierten, auf Permanenz angelegten und wieder global ambitionierten Interventionismus endlich gefunden. Von vornherein war der als "Kreuzzug" geheiligte "Global War on Terror" (GWOT) auf Illegalität und Staatsterrorismus und den alttestamentarischen Atavismus Gut gegen Böse, oder genauer für oder gegen die US-Herrschaft, angelegt. GWOT würde, neben den "klassischen" Militäroperationen, vor allem ein Krieg der Geheimdienste und der Special Forces, im Klartext, der Killertruppen sein.

57 bis 53 vor unserer Zeitrechnung unterwarf der römische Imperialismus das "freie Gallien", eine Vielzahl von Stammesorganisationen, dabei eine Blutspur von etwa 1 Mio. Toter und ebenso vieler Versklavter hinterlassend. Die Operationen im rechtsrheinischen Gebiet, Germania Magna, gestalteten sich schwierig. Die dauerhafte Eingliederung in das Römische Reich wurde im Jahre 16 unserer Zeitrechnung trotz erheblicher Anstrengungen aufgegeben. Die germanischen Stämme verwickelten die Besatzer in zahllose blutige Guerilla-Kleinkriege, denen das römische Heer mit verschiedenen, dem GWOT nicht unähnlichen Strafexpeditionen zu begegnen suchte. Man könnte das Ganze auch Terror und Gegenterror nennen, hätte dann aber zumindest die deutschnationale Rechte gegen sich, die in der "Hermannsschlacht" die im Walhallafries in Stein gemeißelte Grundsteinlegung deutscher Geschichte sehen will.

Obwohl das Imperium versuchte, seine Eroberungen durch ausgedehnte Grenzbefestigungen zu sichern, auch dies hat seine aktuellen Parallelen, hatten diese Limites gegen die Barbareneinfalle nur begrenzten Erfolg. Die stagnierende Wirtschaftsdynamik, die Bürgerkriege und die Notwendigkeit der Integration der Foederati (nichtrömische Verbündete) in Reichsverband und Armee schwächte die Abwehrkraft des Imperiums. Und auch das hat seine Parallelen. Im Jahr 476 errang diese barbarische Strategie ihren ultimativen Erfolg: Der weströmische Offizier mit germanischem Migrationshintergrund Odoaker schickte den letzten weströmischen Kaiser Romulus "Augustulus" vorzeitig in Rente.

Terror - integraler Bestandteil des Imperialismus

Terror ist ohne imperialen Expansionismus, seine inneren und äußeren Repressionsnotwendigkeiten kaum zu denken. Er resultiert aus der Ohnmacht der Eroberten, die Eroberer in offener Schlacht zu besiegen und der Ohnmacht der Eroberer, die Eroberten selbstbestimmt, sozial-gesellschaftlich zu integrieren. Beides liegt im Wesen des Imperialismus einerseits und in der menschlichen Auflehnung gegen imperiale Unterdrückung andererseits begründet. Terror und Gegenterror sind daher von der Antike bis heute die notwendigen Begleiter imperialer Herrschaft. Dabei stellt die europäische Expansion - der US-Imperialismus, der sich selbst als Teil des christlich-abendländischen "Westens" begreift, sei hier ebenfalls eingeschlossen - mit Opfern in dreistelliger Millionenhöhe historisch alles übrige, was sich unter dem Begriff Terrorismus fassen ließe, mit weitem Abstand in den Schatten. Terrorismus ist zuallererst, sowohl quantitativ nach Zahl der Opfer, wie auch qualitativ nach dem Grad der Brutalität, wie auch nach der Kausalität als Konfliktverursacher, zuallererst ein imperialistisches Herrschaftsmittel der "westlichen" Hauptstaaten.

Die Bereitschaft zur billigenden, oder eher vorsätzlichen Inkaufnahme von "Kollateralschäden" (die Bezeichnung "unschuldige Opfer" suggeriert, dass es auch "schuldige Opfer" von Interventions- und Terrorkriegen gibt), genauer also, von Angriffen auf Nichtkombattanten, hat, relativ betrachtet, in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Der Anteil an zivilen Kriegsopfern ist gestiegen, je moderner und "präziser" diese Kriege wurden. Laut IKRK von 5 Prozent zu Anfang, auf 90-95 Prozent zu Ende des 20 Jahrhunderts. Die modernen imperialistischen Kriege (unter humanistischen Aspekten ohnehin Großverbrechen) sind - selbst nach den Kriterien der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konvention - in hohem Maße kriegsverbrecherisch-terroristische Veranstaltungen.

Was ist "Terror"?

Der Begriff Terror ist in seinem Bemühen eine Differenzierung der verschiedener Kampfmethoden und -mittel zu versuchen zugleich ein normativ-wertender. Was unter "Terror" gefasst werden kann, oder auch nicht, folgt bestimmten Konventionen, die historisch-kulturell, als auch interessenabhängig sind. Da Terror im allgemeinen Sprachgebrauch pejorativ konnotiert ist, dient der Begriff vor allem dazu, die Kampfmethoden und -mittel des jeweiligen Gegners, und damit ihn und seine Ziele schon im Diskussionsvorfeld als antihuman stigmatisierend, ohne inhaltliche Erörterung seiner Ziele und Begründungen zu delegitimieren. Terror ist vor allem aktuell ein Begriff der imperialen Kriegspropaganda, die der Herabsetzung und Entmenschlichung des Gegners zu legitimerweise zu vernichtenden Zielen dient.

Um trotzdem die umgangssprachliche Bedeutung des Begriffs "Terror" von dem "regulärer" Kriegshandlungen zumindest in etwa phänomenologisch abzugrenzen, könnte man Terrorismus als die, in der Regel verdeckte, militärisch-geheimdienstliche Anwendung gewaltsamer Mittel (durch Special Forces, Delta Forces, Navy Seals, Einsatzgruppen etc.) definieren, mit eher symbolischen, allenfalls indirekt-politischen Zielstellungen, vorwiegend gegen Nichtkombattanten und nichtmilitärische Einrichtungen (Zivilisten, Wohngebiete, Krankenhäuser, Infrastruktureinrichtungen etc.) auch und insbesondere in Nicht-Kriegsgebieten. Aber solch eine Bestimmung ist notwendig schwach, da es sich bei "regulären" Kriegshandlungen wie bei staatsterroristischen Maßnahmen um gleichgerichtete strategische Zielstellungen handelt, bei denen sich häufig nur operative Aufgaben unterscheiden, die sich aber gegenseitig bedingen. Die Übergänge sind schon deswegen fließend, weil sich allenfalls die Methoden und die ausführenden Truppenteile unterscheiden, beide aber, und häufig einer als integraler Bestandteil des anderen, fungieren.

Wesentlicher als eine Typologie von Kampfmethoden erscheint die Differenzierung nach dem sozial-gesellschaftlichen Inhalt und Zielen als Terror zu bezeichnender Aktionen. Hier zeigt sich, dass ganz generell staatlicher als auch nichtstaatlicher Terror sowohl progressiven als auch reaktionären Zielstellungen dienen kann. Der staatliche Terror des Ancien Regímes war dem der Jakobiner direkt entgegengerichtet. Ähnliches gilt für den zaristischen "weißen" Terror und den "roten" Terror zur Unterdrückung der Konterrevolution. Das Volk sei durch Vernunft zu leiten und die Feinde des Volkes durch "terreur" zu beherrschen, so Robespierre am 5. Februar 1794 vor dem Konvent.

Komplizierter ist das Problem des Terrors, oder allgemeiner der Gewaltanwendung"von Unten". Aufgrund des zynisch-brutalen, Hunderttausende Opfer fordernden imperialen Staatsterrors(1) sahen sich antikapitalistische Revolutionäre, anti-imperialistische und antikoloniale Befreiungsbewegungen fast immer auch zur Gewalt gezwungen. (Einer Gewalt, die von der Gegenseite naturgemäß als Terror dargestellt wurde.) Die Anwendung von Gewalt kann durch den Marxismus also nicht ausgeschlossen werden. Wie Lenin in "Was tun?" deutlich macht, ist die Gewaltfrage für Marxisten aber eine abhängige Variable, Mittel zum Zweck des übergeordneten und letztlich entscheidenden Kampfes um Arbeiterorganisation und Massenmobilisierung. (LW 5/431 ff.) Die entscheidende Aufgabe ist der geduldige Kampf um die Köpfe, um gesellschaftliche Positionen, um Überzeugungen und letztlich um Hegemonie. Dieser Kampf schließt individuellen terroristischen Aktionismus in einem nichtrevolutionären Umfeld aufgrund seiner kontraproduktiven Wirkung nahezu vollständig aus. Das klassische Beispiel ist der Terror der "RAF". Er legitimierte fast ohne Widerstand eine beispiellose Aufrüstung des bundesrepublikanischen Repressionsapparats. Gleiches gilt für "9/11" oder die Attentate von Paris.

Als eine rationale, dem Humanismus verpflichtete Kraft betrachtet die organisierte Arbeiterbewegung das Mittel der Gewalt vor allem unter der Zwecksetzung eines gesellschaftlichen Umwälzung, einer Emanzipation der Arbeiterklasse und mit dieser der Menschheit insgesamt. Diese gesellschaftlich-historische Zielstellung determiniert auch die Wahl der Kampfmittel, wie bspw. bei der auf Massenverankerung orientierte Taktik der kubanischen Guerilla. Dies unterscheidet sie von rechten, sich nationalistisch, rassistisch oder religiös legitimierenden Organisationen. Selbstverständlich vom faschistischen Terror, vom Terror des Ku-Klux-Klan, oder dem Terror der Haganah, oder des Irun/Lechi. Aber auch von den Kampfformen des bürgerlichen Nationalismus/Separatismus in Irland oder Nordspanien. Und natürlich auch von dem vom Westen und seinen klerikalfaschistischen Verbündeten am Golf mit Milliarden subventionierten islamistischen Terror.

Terror in der Herrschaftspropaganda

Natürlich ist den Herrschenden die Funktionalität des Terrors als Repressionslegitimation nur allzu bewusst. Wurde im Kalten Krieg die Bedrohung durch "den Russen" in immer apokalyptischeren Farben an die Wand gemalt, um das Programm des Totrüstens zu begründen, so muss heute die terroristische Bedrohung herhalten, um das Programm der Totalüberwachung und der bürgerkriegsähnlichen Aufrüstung plausibel zu machen. Diese hohe Funktionalität des Terrors für die Herrschaftslegitimation motiviert die "Dienste" nicht selten den erforderlichen Terror, wo nicht anders möglich, mittels agents provocateurs gleich selbst zu bewerkstelligen. So werden imperialistische Kriege in schöner Regelmäßigkeit durch "False Flag Operations" propagandistisch und emotional eingebettet. Es braucht seit den Erfahrungen mit dem Hurrah-Pariotismus des Ersten Weltkriegs fast immer dieses "Pearl-Harbor-Momentum" um den Pazifismus der Massen in aggressive Kriegsbegeisterung umschlagen zu lassen. Und es gibt auch diesmal nicht wenige substantielle Zweifel an der amtlichen Verschwörungstheorie des offiziellen "9/11-Reports" und nicht wenige an den offiziellen Darstellungen der Pariser Anschläge.

Am 18. Juni 1971, auf dem Höhepunkt des Vietnam-Krieges, rief US-Präsident Richard Nixon den War on Drugs (WOD), den Krieg gegen die Drogen aus. Der WOD war sowohl propagandistisch, wie auch operativ gewissermaßen ein Vorläufer des GWOT. Schon der WOD legitimierte den Aufbau eines enormen Repressions- und Überwachungsapparates, im Inneren wie im Ausland. Er schuf die Begründung für die massive Einmischung in die Politik der lateinamerikanischen Staaten bis hin zur groß angelegten Militärintervention inklusive Regimechange. Bei der "Operation Just Cause", der größten Luftlandeoperation nach dem Zweiten Weltkrieg, kamen in Panama vom 20.12.1989 bis zum 30.1.1990 etwa 2.000 bis 3.000 Menschen ums Leben. Fast überflüssig zu erwähnen: Der WOD verringerte den Drogenkonsum natürlich genau so wenig wie die Prohibition den Alkoholkonsum.

US-Counterinsurgency I

Organisierten schon die Römer barbarische Foederati um in römischen Diensten so etwas wie Counterinsurgency, also Aufstandsbekämpfung als Staatsterror zu betreiben, so zieht sich dieses Muster durch die ganze imperiale Geschichte. Wenn diese terroristischen Hilfstruppen nicht die Eigenmotivation mitbrachten, wie zahlreiche "Beute-Germanendeutsche" während des Zweiten Weltkrieges, so gab es in der Regel das schlichte Ultimatum entweder mitzumachen oder selbst in die Feindkategorie eingeordnet zu werden.

Der US-Imperialismus entwickelte, die Erfahrungen der "alten" Kolonialmächte nutzend (Indian Army, Légion étrangère), diese "offiziellen" Hilfstruppen zur Aufstandsbekämpfung hin, zu einer massiven, breit angelegten, geheimdienstlich organisierten, terroristischen Kriegführung "von Unten", bei dem alle Reaktionäre, Kriminellen, und religiös Besessenen, alle blutigen Warlords, Mafia-Bosse und Diktatoren willkommen waren und mit modernsten Mitteln ausgestattet wurden, wenn sie nur antikommunistisch genug und dabei hinreichend erfolgreich waren.

Ziel dieser ersten Etappe der US-Aufstandsbekämpfung waren natürlich nicht nur die Kommunisten, sondern alle, die sich den geostrategischen Interessen des "Westens" entgegenstellten, und die sich im Freund-Feind-Schema des Kalten Krieges auf der Gegenseite einsortieren ließen. Der strategische Unterschied zur Phase vor dem Zweiten Weltkrieg bestand darin, dass es nun einen atomar bewaffneten, sicheren Rückraum für den Antikolonialismus und Antiimperialismus gab. Und dass daher militärische Erfolge, wie in der Schlacht um Dien Bien Phu 1954 und der Aufbau unabhängiger staatlicher Strukturen, wie in Indien 1947 und Algerien 1962, möglich waren. Der Counterinsurgency-Terror wandelte sich von einem "offiziellen" Einsatz regulärer Verbände, wie bei Briten und Franzosen, hin zu einem geheimdienstlich verdeckt gesponsorten Kampf "unerschrocken aufrechter Freiheitskämpfer" wie in der Operation Cyclone, 1980 in Afghanistan; der Iran-Kokain-Contra-Connecticut gegen das sandinistische Nicaragua oder der Aufrüstung von Jonas Savimbis UNITA gegen das von der MPLA befreite Angola (Letzteres nicht ohne tatkräftige Beteiligung der VR China). Es waren Goldenen Jahre für die korruptesten und blutigsten "Hurensöhne" (Roosevelt) der Welt. Jeder, der genügend Skalps von abgeschlachteten "Commies" vorweisen konnte, durfte in Washington die Hand aufhalten.

Mit der historischen Niederlage des Sozialismus wandelte sich der strategische Rahmen für Counterinsurgency erneut. Zentral wurde der geostrategische Ansatz einer möglichst langfristigen Stabilisierung der US-amerikanischen Vorherrschaft offensiv gewendet von dem Washingtoner Think-Tank "Project for The New American Century" (PNAC). Dieses Vorhaben bekommt seine besondere Aggressivität durch den sukzessiven Vormachtverlust der US-Ökonomie und der rapiden Aufholbewegung des "ROW" (Rest of the World). PNAC fordert eine Rückkehr zum offenen, geostrategischen Interventionismus, in gewisser Weise zum Imperialismus vor 1914 mit modernen Mitteln. In "Rebuilding America's Defenses" wird von PNAC schon 1997 die Forderung nach massiver Aufrüstung und Modernisierung für einen weltweit führbaren "preemptive war" (Präventivkrieg) mit der Spekulation auf ein hilfreich-beschleunigendes "katastrophisches und katharsisches" Ereignis - wie einem "New Pearl Harbor" verknüpft. Die zweite Phase der US-Aufstandsbekämpfung war angebrochen.

US-Counterinsurgency II

Mit der Bush-Regierung bekamen die Neocons unmittelbaren Zugriff auf die politisch-administrative Macht. Nach "9/11", dem nun tatsächlich eingetretenen "New Pearl Habor" wurden ihre radikalen Vorstellungen Grundlage der offiziellen Regierungspolitik, niedergelegt bspw. in der "National Security Strategy of the United States" (9/2002), oder im "Patriot Act", (10/2001). Bush hatte in seiner "Citadel"-Rede, "A Period of Consequences", (12/2001), keinen Zweifel an der Aggressivität des neuen technologie-gestützten Unilateralismus gelassen: "Unser Militär muss in der Lage sein, Ziele (targets) mit verschiedenen Mitteln zu identifizieren, sie nahezu unmittelbar zu zerstören, wir müssen in der Lage sein, quer über den Globus mit höchster Genauigkeit zu treffen (...) mit unbemannten Systemen." Es folgten die schon lange geplanten Interventionen in Irak, Afghanistan, Pakistan, den Philippinen, Somalia, in die Transsahara/Sahel-Region, Kamerun, Libyen, Syrien, Jemen, Kaschmir, etc. ...

Die Ergebnisse dieses Interventionismus waren allerdings nicht ganz so, wie sie das hoffnungsfrohe "Nationbuilding" der Neocons versprochen hatte. Es gelang der überlegenen Militärmaschine zwar recht mühelos den ersehnten "Regimechange" zu bewerkstelligen, aber die Lage wendete sich dadurch kaum zum Besseren. Im Gegenteil, die große Masse der Verlierer war auch weiterhin Verlierer, nur kamen weitere Verlierer aus dem Staatsapparat zerschlagener Staaten hinzu. Teilweise mit erheblicher militärischer Expertise. Die neue US-gesteuerte Herrschaft bot zwar einigen Kollaborateuren gewisse Vorteile, aber keine nationale Perspektive. Die von Afghanistan bis Jugoslawien gepäppelten "Hurensöhne" bekamen reichlich Zulauf und begannen auf eigene Rechnung zu arbeiten. In einem hatte George W. Bush nicht zu viel versprochen: GWOT wurde ein Krieg ohne Ende.

Angesichts der miserablen Ergebnisse, der immensen Kosten und des katastrophalen Imageverlustes begann unter Barak Obama eine Art strategischer Frontbegradigung. Hatte bislang die Stationierung hunderttausender Truppen, die globale Überwachung, der permanente Terror der "Einsatztrupps", der Präzisionsbombardierungen und der Foltergefängnisse zu keinen substantiellen Fortschritten geführt, so bedurfte es eines neuen Ansatzes.

In der Sache hat sich seither nicht viel geändert. Die repressiv-terroristische Strategie der planmäßigen Ermordung vor allem der obersten und mittleren Führungsschicht der "Terroristen" besteht nach wie vor. Sie geht auf die israelische Counterinsugency-Doktrin, prominent vertreten durch Schin Beth-Chef Avi Dichter, zurück: "Wir haben immer das Gras zu mähen - immer - und die erfahrenen Führer werden sterben und die anderen werden keine Erfahrung haben, am Ende wird das 'Fass des Terrors' ausgelaufen sein."

Dichters "Optimismus" wird durch die US-Erfahrungen nicht wirklich gestützt. Gleichwohl hält auch die Obama-Administration am Konzept des planmäßigen Mordens fest. Was sich geändert hat, ist die Verlagerung auf eine Technisierung, Automatisierung, Privatisierung und Fernsteuerung des Terrors. Und seiner Dimension. Aufstandsbekämpfung ist zum dominierenden Bestandteil des GWOT geworden. Andrew Cockburn, Redakteur bei Harper's Magazin, hat diesen Prozess in seinem Buch "Kill Chain - Drones and the Rise of the High-Tech Assasins", 2015, aufschluss- und kenntnisreich nachgezeichnet. Seine Anfänge im computergestützten "Phoenix"-Programm während des Vietnam-Kriegs, bei dem über 80.000 Menschen "neutralisiert", mehr als 40.000 umgebracht wurden. Dann der "Durchbruch" im ferngesteuerten Morden mit der Entwicklung der Predator-Drohne, ihre Bewaffnung mit Hellfire-Raketen und der Aufbau des dazu unabdingbaren globalen Spionage-, Informations- und Steuerungsnetzwerkes. Dazu das Erstellen und Abarbeiten der immer länger werdenden Todeslisten und der Einstieg der Privatfirmen in das lukrative Mordgeschäft. Angefangen bei den Blackwater-Söldnern, weiter über die NSA-"Beratungsfirmen" wie Booz Allan Hamilton, bei der Edward Snowdon arbeitete, bis zu den "Private-Contractors" welche die Predator oder Reaper-Drohnen steuern.

Die Geheimhaltungsmanie der Obama-Administration übertrifft den der Bush-Ära deutlich. Was sich vor allem geändert hat, ist die Außendarstellung des GWOT. Es geht vor allem darum den Krieg, das Morden und Foltern aus dem Focus der öffentlichen Wahrnehmung heraus zu halten. Was es medial nicht gibt, existiert nicht. Wer kennt schon Waziristan?

Terror ist Ausdruck des Weltzustands, in dem eine Handvoll Superreiche so viel besitzen wie die Hälfte der Weltbevölkerung. In dem die Menschen selbst in den kapitalistischen Zentren jede Perspektive verlieren und nur mit Billigkonsum und Tittytainment von der großen Leere abgelenkt werden. Die imperialistischen Strategen empfinden das drastische Sinken der kapitalistisch-"westlichen" Integrationskraft als existentielle Bedrohung. Aus dem "Leuchtturm der Freiheit" wurde die "größte Gefahr für den Weltfrieden" (Win/Gallup, EoY-Survey, 2015) Da ist der "find, fix, finish"-High-Tech-Terroristen der USA, das erste post-industrielle, auf globaler Totalüberwachung basierende, anonyme, ferngesteuerte, automatisierte Mordprogramm, das ultimative Herrschaftsmittel.

"Linke" Haltung zu imperialem Terror und revolutionärer Gewalt. Dialektische Einheit von Kampf-Methode und -Inhalt

Mit der Entwicklung des Kapitalismus zum Imperialismus hatte sich angesichts des bevorstehenden imperialistischen Krieges die Notwendigkeit zur revolutionären Überwindung des kapitalistischen Systems existentiell verschärft. Gleichzeitig mit dem Eintritt des Kapitalismus in sein "höchstes Stadium" wuchs aber auch seine Integrationskraft für die privilegierteren Teile der Arbeiterbewegung. Mit den ersten Schüssen des ersten Großen Krieges zwischen den imperialistischen Machtblöcken zerbrach die noch in Basel 1912 beschworene Einheit der II. Internationale am Sozialchauvinismus, erwies sich ihr Aufruf die Krise des imperialistischen Krieges zu einer "Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft" zu nutzen als Leerformel.

Als dann die Bolschewiki im Roten Oktober mit Basel ernst machten, sahen sich die Führer der internationalen Sozialdemokratie eher als Kumpane des Weißen Terrors als an der Seite des Überlebenskampfes der Großen Alternative. Diese strategische pro-kapitalistische und proimperialistische Wende, die "linke" Unterstützung des imperialen Terrors, hat von Gustav Noskes und Karl Zörgiebels Schießbefehlen, über Helmut Schmidts Doppelbeschluss und Gerhard Schröders Bomben auf Belgrad bis zu Peter Strucks Verteidigung deutscher Interessen am Hindukusch bis heute Bestand. Und das galt und gilt im Grundsatz, trotz aller taktischer Differenzierung, weitgehend auch für die Haltung zum kolonialen und vor allem zum neokolonialen Befreiungskampf.

Diese "linke" Unterstützung des imperialen Terrors hat nach der Niederlage des Sozialismus einige neue Varianten erfahren. Da die laizistisch-rationale Große Alternative nach dem Wegbrechen des unterstützenden Rückraums für die meisten objektiv anti-imperialistischen Kräfte keine Option mehr darstellt, haben religiös-irrationale, politisch rechtsbürgerlich bis klerikal-faschistoide Kräfte hegemoniale Kraft gewonnen. Dies gilt insbesondere für die Region der MENA-Staaten (Middle East & North Africa). Mit dem Scheitern des anti-imperialistischen Panarabismus - katastrophal, die Niederlage im "Sechstage-Krieg 1967 - begann der Aufstieg eines sich mehr und mehr radikalisierenden und zu den Methoden des rücksichtslosen Terrors greifenden islamischen Fundamentalismus. Die imperiale Vorherrschaft in dieser geostrategisch zentralen Region wird nun nicht mehr progressiv fortschrittlich, sondern fast ausschließlich reaktionär-rückwärtsgewandt in Frage gestellt. Dazu kommt, dass diese Infragestellung statt in einem konfrontativ-systemüberwindenden Kampf, in einem für bürgerlich-klerikale Kräfte typischen, widersprüchlich-komplexen Prozess von Kumpanei und Konfrontation erfolgt, der zudem von den zum Teil konträren Vormachtambitionen der regionalen Hauptmächte Iran, Irak, Syrien bzw. Saudi-Arabien, Katar, Türkei überlagert ist.

Diese komplizierte Lage veranlasst nicht wenige sich links Verstehende, in den imperialen Mächten den letzten Hort der Rationalität und der Vernunft zu sehen und insofern auch in der Fortsetzung genau der imperialistischen Kriege, die diese Situation geschaffen haben, eine Lösung des Problems, ein Zivilisierungsprojekt zu sehen. Dieser immer populärer gewordene Aufguss der Zivilisierungs- und Christianisierungsrhetorik der Kolonisatoren des 19. Jh., oder der Manifest Destiny-Legitimationsphantasien zur Eroberung des amerikanischen Kontinents, greift umso mehr um sich, je weiter die immer massierteren Kill-Kampagnen des Counterinsurgency-Terrors eine radikalere Islamismus-Variante nach der anderen hervorbringt. Schlicht, indem sie die jeweils moderateren "in die Hölle bomben". Eine besonders prägnante Positionierung in dieser Denkschule markieren die sogenannten Antideutschen. Sie schafften es sogar einen fast schon untergegangen geglaubten Rassismus zu revitalisieren, und zwar mit einem, aus einem Anti-Antisemitismus sich speisenden, Pro-Semitismus. "Juden", und hier ist, ganz im alten Rassistenstil, keineswegs nur die Glaubensgemeinschaft gemeint, sind nicht Menschen wie Du und ich, sondern per se die Guten. So auch der "jüdische Staat" und so auch dessen Schutzmacht, genauer dessen Terrorpaten, die USA.

Die Terroristen seien Anbeter "der Spontaneität der leidenschaftlichsten Empörung der Intellektuellen", die es nicht verstünden oder nicht die Möglichkeit hätten, "die revolutionäre Arbeit mit der Arbeiterbewegung zu einem Ganzen zu verbinden", meinte Lenin 1902. Und weiter: "Wer den Glauben an diese Möglichkeit verloren oder nie besessen hat, dem fällt es tatsächlich schwer, für seine Empörung und seine revolutionäre Energie einen anderen Ausweg zu finden als den Terror." (LW 5/432) Das erlaubt angesichts des historischen Zustands der sozialdemokratisch dominierten Arbeiterbewegung und des bürgerlich-kleinbürgerlich bis klerikalen Backgrounds der heutigen "Empörung" nicht gerade einen positiven Ausblick.

Klaus Wagener, Dortmund, MB-Redaktion


Anmerkung

(1) Zu Counterinsurgency (COIN) siehe: Roger Trinquier: "La guerre Moderne", 1961; David Petraeus/James Amos: "Field Manual 3-24 Counterinsurgency", 2006.

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 2-16, 54. Jahrgang, S. 73-81
Redaktion: Marxistische Blätter
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2016

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