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OSSIETZKY/1010: Zum 50. Todestag von Fritz Bauer


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 13 vom 30. Juni 2018

Zum 50. Todestag von Fritz Bauer

von Conrad Taler


Er war ein Fremder unter Seinesgleichen, der Zeit immer voraus, angetrieben von einer tiefen Liebe zu den Menschen, ein Humanist hohen Grades. Gestorben ist der schon zu Lebzeiten legendäre hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer in seiner Frankfurter Wohnung. An welchem Tag genau und zu welcher Stunde weiß niemand, und niemand kennt die Ursache seines Todes. Es geschah an einem Wochenende. Fritz Bauer wurde ohne äußere Verletzung tot in der Badewanne aufgefunden, nachdem ihn Hausbewohner vermisst hatten. Seine Biographin, die Historikerin Irmtrud Wojak, nennt den 30. Juni 1968 als Todestag. Das war ein Sonntag. Der Polizeiarzt datierte den Zeitpunkt des Todes auf Sonntagmorgen, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Ausgabe vom 2. Juli 1968. Andere Quellen nennen den 1. Juli als Todestag.

Die Nachricht vom Ableben des Generalstaatsanwalts erregte beträchtliches Aufsehen. Bauer hatte wegen seiner Bemühungen um die Ahndung von NS-Verbrechen und die Bloßlegung ihrer Wurzeln immer wieder Morddrohungen erhalten und durfte zu seinem Schutz eine Waffe tragen. Gleichwohl ließen Polizei und Staatsanwaltschaft die nötige Umsicht bei der Klärung der Todesumstände vermissen. Die Staatsanwaltschaft ignorierte den Wunsch des stellvertretenden Generalstaatsanwalts Krüger, eine gerichtliche Obduktion zu beantragen und gab die Leiche zur Feuerbestattung frei. Eine dienstliche Anweisung, die erwähnte Obduktion zu beantragen, erfolgte nicht. Bauer wurde entgegen jüdischer Tradition auf eigenen Wunsch hin eingeäschert. Die in solchen Fällen übliche Verwaltungssektion nahm ein Rechtsmediziner vor, der in seinem Gutachten freimütig bekannte, dass die Beurteilung der Todesursache schwieriger sei, als zunächst angenommen. Mit der Einäscherung waren am Ende sämtliche Spuren zur Herausfindung der Wahrheit für immer vernichtet.

Der hessische Ministerpräsident Georg-August Zinn, einer der wenigen Freunde Fritz Bauers und wie dieser ein Sozialdemokrat vom alten Schlag, würdigte die Persönlichkeit des Verstorbenen: "Mit Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer ist ein Mann dahingegangen, der ohne Furcht und Tadel mit großer Leidenschaft dem Recht gedient hat. Er hat sich auch nicht gescheut, mancherlei Anfeindungen in Kauf zu nehmen, wenn er glaubte, der Freiheit und der Gerechtigkeit nützen zu können. Fritz Bauer war eine im höchsten Maße unabhängige Persönlichkeit, was sich auch in seinem entschiedenen politischen Engagement ausdrückte."

Dieses Engagement hatte die oppositionelle hessische CDU immer wieder zur Weißglut gebracht. Wegen seines Widerstandes gegen die Notstandsgesetze verscherzte sich Fritz Bauer auch die Sympathien vieler Parteifreunde auf Bundesebene, die 1966 erstmals ins Koalitionsbett mit der CDU/CSU gestiegen waren und den bis dahin bekämpften Grundgesetzänderungen zu einer Mehrheit im Bundestag verhalfen.

In ihrer kürzlich auch auf Englisch erschienenen Biographie erinnert Irmtrud Wojak daran, dass Fritz Bauer zehn Tage vor seinem Tod an der Wirkungsstätte der Geschwister Scholl in München über das Thema "Ungehorsam und Widerstand in Geschichte und Gegenwart" gesprochen hat. Auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik bezogen sagte er, sowohl das Beamtengesetz als auch das Soldatengesetz verlangten eine Pflicht zum Ungehorsam. "Es gibt nur eine Pflicht zum passiven Widerstand", so Fritz Bauer, "nur eine Pflicht, das Böse zu unterlassen, nur eine Pflicht, nicht Komplice des Unrechts zu werden." Eine Pflicht zum aktiven Widerstand könne nicht verordnet werden, weil von niemandem das Opfer seiner selbst verlangt werden könne. "Unsere Strafprozesse gegen die NS-Täter beruhen ausnahmslos auf der Annahme einer solchen Pflicht zum Ungehorsam. Dies ist der Beitrag dieser Prozesse zur Bewältigung des Unrechtsstaates in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft."

In einer kleinen Kapelle des Frankfurter Hauptfriedhofs sprach die Juristin Ilse Staff 1968 während einer nichtoffiziellen Trauerfeier von ihren persönlichen Erinnerungen an Fritz Bauer. Mit dem Auschwitz-Prozess seien die Drohungen gegen ihn gekommen, die anonymen Telefonanrufe, die Beschimpfungen. "Was haben wir getan?" fragte sie. "Wir haben es... zu einer Situation kommen lassen, in der er unendlich einsam, unendlich deprimiert, unendlich traurig gestorben ist." Ilse Staff zitierte den letzten Satz in einer der letzten Veröffentlichungen Fritz Bauers, der da lautet: "Der praktische Mensch hält es mit dem Prinzip Hoffnung, mag er auch selbstkritisch sich mitunter des Gefühls nicht erwehren können, es könnte eine Lebenslüge sein."


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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Einundzwanzigster Jahrgang, Nr. 13 vom 30. Juni 2018, Seite 447-448
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2018

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