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OSSIETZKY/1145: Die Kampagne gegen die Friedensbewegung


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 8 vom 14. April 2023

Die Kampagne gegen die Friedensbewegung

von Bernhard Trautvetter


Mit dem Osterfest rückten die Ostermärsche für den Frieden immer massiver in den öffentlichen Diskurs, in die Auseinandersetzung zwischen Befürwortern der Nato-Waffenhilfe für die Ukraine und den Kräften, die immer noch im Pazifismus die Chance sehen, dass die Menschheit dieses Jahrhundert überlebt.

Die letztjährige in den Medien verbreitete Haltung wird daran deutlich, was der Spiegel kurz vor den Ostermärschen 2022 schrieb: "Für Frieden zu demonstrieren, das mag auf den ersten Blick konsensfähig erscheinen. Über die sogenannten Ostermärsche der Friedensbewegung (...) ist jedoch eine scharfe Debatte entbrannt. Hintergrund ist der russische Angriffskrieg auf die Ukraine." Das Motto "Frieden schaffen ohne Waffen" sei angesichts der Lage unpassend, so die Kritik.

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) begann mit ihrer Kritik an der Friedensbewegung unmittelbar mit dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine: "Die faulen Tricks der Putin-Versteher und Möchtegernpazifisten: Nach dem infamen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine haben es westliche Putin-Versteher nicht mehr so leicht. Und doch halten sie sich argumentativ über Wasser." Die Formulierung vom infamen Angriffskrieg unterstellt die Alleinverantwortung für das Kriegsgeschehen auf der Seite Russlands. Implizit sind damit breite Teile der Friedensbewegung, die der Nato und ihrer Lobby eine Mitverantwortung an der Eskalation der Gewalt geben, zumindest naiv und schon dadurch gefährlich. Die Zeitung verglich die Friedensaktivisten mit Vorschulkindern, also mit Kritikern, die man nicht ernst nehmen muss,

Es fiel dem Autor dieser Herabwürdigung nicht auf, dass die Position der Alleinverantwortung Russlands für die Entwicklung hin zum Krieg von renommierten Persönlichkeiten nicht geteilt wird. Argumente wie die des einstigen Bundesministers und Hamburger Oberbürgermeisters Klaus von Dohnanyi (SPD) und des UNO-Experten und taz-Journalisten Andreas Zumach über den Anteil der Osterweiterung der Nato samt ihres militärischen sowie nuklearen Drohpotentials finden gemeinhin kaum Widerhall in den meinungsführenden Medien. Diese Tatsache korrespondiert mit Beobachtungen des weltberühmten kritischen Wissenschaftlers Noam Chomsky und dessen Einschätzung: Im Youtube-Beitrag "Nuclear Dangers in Ukraine" führt er ab circa Minute 17:30 aus: "Wir können viel über uns lernen und darüber, wie wir unsere Hoffnung aushalten darauf, dass Menschenleben in der Ukraine nicht ausgelöscht werden." Und er bedauert: "Dieser Krieg hätte nicht stattfinden dürfen, aber er findet statt." Er schlussfolgert: "Verhandlungen sind die einzige verantwortliche Alternative zu Tod, Flucht und Zerstörung" (Übersetz. vom gesprochenen Vortrag: B.T.).

Diese Position entspricht der von Jeffrey Sachs, Johannes Vad und Erich Varwick, Harald Welzer und Richard David Precht, die aller massiven Meinungsmache gegen die Friedensbewegung wenige Wochen nach den Ostermärschen 2022 zum Trotz eine rasche Beendigung der Kampfhandlungen und Diplomatie statt Gewalt forderten. "Wir teilen den Wunsch nach Gerechtigkeit. Verhandlungen sind indes ein notwendiges Mittel, um Leid vor Ort und Kriegsfolgen auf der ganzen Welt zu verhindern."

Wolf Biermann warf daraufhin Harald Welzer und Richard David Precht und ihren Unterstützern vor, sie seien "Secondhand-Kriegsverbrecher". Ähnlich delegitimierende Worte fand Herfried Münkler vor wenigen Wochen gegenüber Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht und den annähernd 800 000 Unterstützerinnen und Unterstützern des Friedensmanifest, das die beiden im Februar veröffentlichten, es sei ein "verlogenes, kenntnisloses" und "gewissenloses Manifest" der "Komplizenschaft mit dem Aggressor Putin".

Unter den Unterstützerinnen des Friedensmanifests von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht war die kürzlich verstorbene Antje Vollmer, einst als bündnisgrüne Führungspersönlichkeit Vizepräsidentin des Bundestages. Antje Vollmers Testament ist ihr letzter Text zum Thema, den die Berliner Zeitung veröffentlichte; Zitat: "In unseren Medien verkörpert die Ukraine das Ideal und Vorbild einer freiheitsliebenden westlichen Demokratie heroischen Zuschnitts. ... Wer sich machtpolitisch behauptet, wer seine Existenz mit blutigen Opfern und Waffen verteidigt, gilt als Bollwerk für die europäischen Ideale der Freiheit, koste es, was es wolle. Wer aber den Weg des Konsenses, der Kooperation, der Verständigung und der Versöhnung sucht, gilt als schwach und deswegen als irrelevant, ja als verachtenswert. (...) Wer die Welt retten wollte, musste ein festes Bündnis zwischen Friedens- und Umweltbewegung anstreben, das war eine klare historische Notwendigkeit, die wir lebten. (...) Heute aber gilt: Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planeten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption."

Antje Vollmers Weggefährtin Petra Kelly beklagte 1983, dass die Regierungen der Welt offiziell jede Minute 2,3 Millionen Dollar für die Vernichtungsmaschinerie der Militärs ausgeben (Um Hoffnung kämpfen, Göttingen 1983, S. 15). Aktuell hat sich dieser Wert, wenn man die 2113 Jahresmilliarden Weltrüstungsausgaben auf die Minute umrechnet, nahezu verdoppelt. Wenn die Staaten diese Entwicklung nicht umkehren, droht der Menschheit die finale Katastrophe.

Das Hochrüstungs-"100 Milliarden Sondervermögen" zusätzlich zu den im Haushalt sowieso ausgewiesenen weit über 50 Mrd. Euro für den Militärsektor folgt der sprachlichen Manipulation der Öffentlichkeit. Bundeskanzler Olaf Scholz verteidigte sie mit einem von ihm so bezeichneten Erfordernis, gegen Russland vorzugehen, während die USA, als Partner, mit ihren Kriegen weltweit ganz anders behandelt werden. Solche Doppelzüngigkeit offenbart sich unter anderem darin, dass die Bundesregierung nur wenige Wochen zuvor ganz anders mit dem Irak-Krieg umging, wie die Berliner Zeitung am 18.12.2022 meldete: "Bundesregierung will nicht sagen, ob Irak-Krieg ein Angriffskrieg war." Eine parlamentarische Anfrage zeigt: Die Lüge von den Massenvernichtungswaffen lebt in den Akten weiter.

Das zusätzliche Aufrüstungspaket, das die Bundesregierung mit dem Ukraine-Krieg rechtfertigt, umfasst mit zunächst fast 10 Mrd. $ die Anschaffung von F 35-US-Tarnkappenbombern von Lockheed Martin, die zusätzlich zu den Eurofightern der Bundeswehr dafür "gebraucht" werden, um die nuklearen Arsenale der USA in Deutschland für Atomschläge einzusetzen, also für den finalen Krieg der Menschheitsgeschichte.

Die Kampagne gegen die Friedensbewegung führt dazu, dass es in sozial-alternativen, bündnisgrünen und sozialdemokratischen Spektren Kritik an der Friedensbewegung gibt, sie sei 1. rechtsoffen, 2. pro Putin und 3. antiamerikanisch.

Rechts ist Nationalismus, Rassismus, Law and Order-Machtdenken und Militarismus. Das ist das Gegenteil der friedenspolitischen Vision. Dies wird in der Meinungsmache verdreht, sodass die Forderung nach Diplomatie statt Eskalation als aus der Zeit gefallen oder gar amoralisch hingestellt wird. Doch die Friedensbewegung steht auch 2023 aktiv in der Öffentlichkeit, sie ist ein Bündnis aus Initiativen und Organisationen wie den Internationalen Ärzten zur Verhütung des Atomkriegs IPPNW, den Naturfreunden, kirchlichen Bewegungen und friedensökologischen Kräften, die der Manipulation nicht anheimgefallen sind. Das haben die Ostermärsche erneut gezeigt - und machen deshalb Hoffnung auf eine überlebensfähige Gesellschaft.

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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
26. Jahrgang, Nr. 8 vom 14. April 2023, S. 282-284
Redaktion: Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin
E-Mail: redaktion@ossietzky.net
Internet: www.ossietzky.net
 
Ossietzky wurde 1997 von Eckart Spoo begründet und erscheint zweiwöchentlich.
Einzelheft 3,- Euro, Jahresabo 65,- Euro (Ausland 108,- Euro) für 25 Hefte frei Haus.
Halbjahresabo 35,- Euro für 12 Hefte frei Haus.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 19. Mai 2023

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