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OSSIETZKY/580: Mehr Jugendliche in den Knast


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 24 vom 28. November 2009

Mehr Jugendliche in den Knast

Von Ulla Jelpke


Zum Entsetzen aller Fachleute hat die neue CDU/CSU-FDP-Regierung in ihrer Koalitionsvereinbarung Verschärfungen im Jugendstrafrecht beschlossen, wozu es nicht den geringsten Anlaß gibt. Das Jugendgerichtsgesetz gilt international als vorbildlich. Es ermöglicht mehr Differenzierungen als das für Erwachsene geltende Strafrecht und hat sich nach Auffassung aller Experten bewährt. Aktuelle Vorkommnisse, die für eine Änderung sprächen, sind nicht bekannt.

Allerdings hat sich die CDU/CSU in der Vergangenheit bei jeder sich bietenden Gelegenheit als law-and-order-Partei auch mit Forderungen nach Verschärfung des Jugendstrafrechts hervorgetan. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch wollte mit einer solchen populistischen Politik Anfang 2008 bei der Landtagswahl seine schwindende absolute Mehrheit retten. Die Wählerinnen und Wähler in Hessen gaben ihm die verdiente Quittung: Koch mußte hohe Verluste hinnehmen.

Die FDP hatte damals wie auch in der Folgezeit immer betont, man dürfe nicht nach Einzeltaten reflexhaft nach schärferen Gesetzen rufen. Die Sanktionen im Jugendstrafrecht seien völlig ausreichend. Doch kaum ist die FDP im Bund an der Regierung beteiligt, wirft sie diese richtigen Grundsätze über Bord. Im Koalitionsvertrag haben die Liberalen unter Ziffer III 2 den lakonischen Satz unterschrieben: "Im Jugendstrafrecht werden wir die Höchststrafe für Mord auf 15 Jahre Jugendstrafe erhöhen."

Bisher beträgt das Höchstmaß im Jugendstrafrecht zehn Jahre. "Heranwachsende", also junge Menschen im Alter von 18 bis 21 Jahren, können nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden und somit sogar zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Falls ein Beschuldigter aus dieser Altersgruppe wegen "Reifeverzögerungen" noch nach Jugendstrafrecht verurteilt wird, kann auch bei Mord höchstens auf zehn Jahre Freiheitsentzug erkannt werden.

Die Befürworter einer Gesetzesänderung behaupten, diese Differenz sei zu groß. Die Koalition beschränkt sich in ihrem Verschärfungsvorschlag aber nicht auf den Bereich der "Heranwachsenden", also der 18- bis 21jährigen Täter. Unterschiedslos wird die Heraufsetzung der Jugendstrafe auf 15 Jahre für alle Altersgruppen verlangt. Nach dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP könnten also künftig sogar 14jährige zu 15 Jahren Freiheitsentzug verurteilt werden - ein absurder Gedanke!

Schon den jetzigen Strafrahmen schöpfen die Jugendgerichte kaum aus. Sie erkennen selten auf die Höchststrafe von zehn Jahren, sondern bleiben in aller Regel darunter. Weshalb muß dann der Strafrahmen ausgeweitet werden?

Die Absicht, die dahintersteckt, ist aber völlig klar: Wer den Strafrahmen erweitert, will erreichen, daß sich die Rechtsprechung ändert und die Gerichte künftig höhere Strafen verhängen. Die Koalition will eine härtere Jugendgerichtspraxis herbeiführen, ohne dafür irgendeinen Grund zu haben. Im Gegenteil: Die Kriminalstatistik weist eine rückläufige Tendenz auf, und dies seit Jahren. Zudem ist längst bekannt, daß längeres Wegsperren nichts bringt.

Daher hat der Deutsche Anwaltverein (DAV) das Vorhaben der Koalition zu Recht kritisiert. Der DAV-Präsident Wolfgang Ewer hob hervor, die Anhebung der Höchststrafe werde kaum einen Täter beeindrucken. Sinnvoller sei es, beispielsweise die Bewährungshilfe zu verbessern.

Interessant ist am Rande, daß Ewer noch vor kurzem als Prozeßbevollmächtigter von FDP, Linken und Grünen beim Bundesverfassungsgericht in dem Rechtsstreit um die Herausgabe von Akten an den BND-Untersuchungsausschuß tätig gewesen ist. Er erfocht ein wichtiges Urteil, das die Kontrollrechte des Parlaments gegenüber der Bundesregierung gestärkt hat. Es wäre gut gewesen, wenn die FDP auf den fachkundigen Rat ihres eigenen Anwalts auch bei den Koalitionsverhandlungen gehört hätte.

Allerdings hat sich schon im Wahlkampf abgezeichnet, daß die Liberalen in der Rechtspolitik auf konservative Positionen umschwenken. Im FDP-Bundestagswahlprogramm war bereits die Forderung nach dem sogenannten Warnschußarrest enthalten. Bisher kann ein Jugendlicher, der zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wird, nicht gleichzeitig in Arrest genommen werden. Künftig soll eine Kombination von bis zu vier Wochen Arrest und Jugendstrafe auf Bewährung möglich sein. Diesen Punkt aus dem FDP-Wahlprogramm nahmen die Hardliner der Union dankbar auf, und er findet sich nunmehr ebenfalls im Koalitionsvertrag.

DAV-Präsident Ewer forderte statt des Warnschußarrests politische Aktivitäten gegen wachsende Armut, Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und psychische Probleme junger Menschen.

Für die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ) sagte deren Strafrechtsexperte Kai Bussmann, der Glaube, eine Ausweitung des Arrests halte Jugendliche von weiteren Straftaten ab, sei "unglaublich naiv". Studien hätten gezeigt, daß die Rückfallquote von Arrestierten höher sei als die von Nichtarrestierten. 70 Prozent der arrestierten Jugendlichen würden erneut straffällig, bei Strafaussetzung zur Bewährung nur 60 Prozent. Bussmann schlug der Bundesregierung vor, sie solle lieber mehr Geld in sozialpädagogische Maßnahmen oder die Bewährungshilfe stecken. Hinsichtlich der Ausweitung der Höchststrafe für jugendliche Straftäter auf 15 Jahre sprach Bussmann von "blankem Populismus". Die abschreckende Wirkung sei "gleich null".

Dies ficht die schwarz-gelbe Koalition nicht an. Die Reaktionäre von der CDU/CSU treffen auf Liberale, die sich in atemberaubender Geschwindigkeit von ihren in Oppositionszeiten vertretenen bürgerrechtlichen Ansätzen verabschiedet haben. Das läßt für die nächsten vier Jahre Schlimmes befürchten.


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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Zwölfter Jahrgang, Nr. 24 vom 28. November 2009, Seite 899 bis 901
Herausgeber: Dr. Rolf Gössner, Ulla Jelpke, Prof. Dr. Arno Klönne,
Otto Köhler, Eckart Spoo
Redaktion: Eckart Spoo (verantw.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Dezember 2009