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OSSIETZKY/616: Wie FIAT-Arbeiter einmal wählen durften


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 16 vom 7. August 2010

Wie FIAT-Arbeiter einmal wählen durften

Von Susanna Böhme-Kuby


Die kollektiven Rechte der Arbeiter in Italien stehen auf der Kippe. Was in den Sechziger und Siebziger Jahren hart erkämpft wurde, soll künftig alles nicht mehr gelten. Die Tarifverträge und die im "Statuto dei lavoratori" zusammengefaßten arbeitsrechtlichen Errungenschaften einschließlich des Streikrechtes, seit langem angefeindet, sind jetzt akut bedroht, ihr Ende ist absehbar. FIAT, der führende private Industriekonzern des Landes, hat jetzt das entscheidende Signal gegeben und der Öffentlichkeit gezeigt, wie einfach es ist, Verträge außer Kraft zu setzen. Man stellt die Beschäftigten vor die Alternative: Entweder sie akzeptieren verschärfte Arbeitsbedingungen, oder die Produktion wird ins Ausland verlagert. In der Konzernsprache klingt das so: Entweder Modernisierung und Anpassung an den Markt oder Stillstand und Niedergang.

Die bisherige patriotische Devise "Was gut ist für FIAT, ist gut für Italien" wird obsolet. Das jetzige Management der Agnelli-Erben, geführt von dem Italokanadier Sergio Marchionne, versteht den Turiner Konzern im neuen Zusammenspiel mit Chrysler nur noch als "global player", der seine Kosten "marktgerecht" kalkulieren müsse, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.

Das bedeutet, daß die Produktion auch dann in Billiglohnländer verlegt wird, wenn Gewinne und Dividenden steigen, wie es bei FIAT derzeit der Fall ist. Arbeitsplätze in Italien werden also auf jeden Fall abgebaut. Aber das sagt man nicht so deutlich, sondern man setzt die Beschäftigten mit der Drohung der Produktionsverlagerung unter Druck, als wären sie die Verantwortlichen für Fortbestand oder Abbau ihrer Arbeitsplätze.

Konkret lautet die Alternative jetzt so: Entweder investiert FIAT 20 Milliarden Euro in italienische Standorte wie zum Beispiel Pomigliano d'Arco in Kampanien, nahe Neapel, um die Produktion zu verdoppeln; Voraussetzung ist, daß sich die Beschäftigten auf neue Arbeitsbedingungen einlassen. Oder der Konzern wird neue Modelle nicht mehr in Italien, sondern in Serbien herstellen, auf dem Gelände der 1999 von der NATO zerbombten Zastava-Werke in Kragujevac, wo seit 1953 rund 50.000 und auch vor dem Ende Jugoslawiens noch 35.000 Zastava-Arbeiter verschiedene Automodelle (von Fiat 600 aufwärts) billig herstellten. Die 2008 aufgenommenen Verhandlungen haben ergeben, daß FIAT dort optimale Konditionen erhält: Dank Aufbauhilfe der Europäischen Union kann die Regierung in Belgrad rund 600 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, mit denen Minen geräumt, Bombenschäden behoben und die Produktionsanlagen erneuert werden. FIAT bleibt dann zehn Jahre lang steuerfrei und erhält für jeden neueingestellten serbischen Arbeiter 10.000 Euro aus Belgrad; das heißt bei einem Monatslohn von etwa 400 Euro zweieinhalb Jahre lohnkostenfreie Produktion für FIAT.

Die Alternative ist also eine Schein-Alternative. Tatsächlich macht der Konzern beides: In Pomigliano wurde die rechtliche Bindung an den FIAT-Konzern bereits aufgelöst. Der Betrieb gehört einer neugegründeten Gesellschaft, die nicht dem Industriellenverband angehört und nicht an den alten Tarifvertrag gebunden ist. Sie übernimmt die Arbeiter, die klein beigeben, weil sie keine Existenzalternative haben. Und mit Belgrad ist man sich einig - es bietet einmalige Chancen. Übrigens: Auch die süditalienischen FIAT-Standorte waren vor Jahrzehnten mit hohen günstigen Staatskrediten subventioniert worden.

Die schwankende Regierung Berlusconi beschäftigt sich derweil mit ihren internen Problemen. Sie betreibt seit langem keine aktive Industriepolitik mehr. Die oppositionelle Demokratische Partei (PD) verhält sich hörbar still, ebenso die Kurie. Die beiden als "moderat" geltenden Gewerkschaften der einstigen Sozialisten und Christdemokraten (CISL, UIL) haben Marchionnes Entweder-Oder-Angebot in Pomigliano zähneknirschend angenommen. Nur die Metaller der FIOM (zum ex-kommunistischen Gewerkschaftsbund CGIL gehörig) halten heroisch dagegen und werden von den Medien dafür als vorsintflutlich geächtet. Bei einer Direktabstimmung Ja/Nein, die Marchionne Ende Juni unter den 5000 Arbeitern in Pomigliano durchführen ließ, stimmten 63 Prozent für die neuen Knebel-Bedingungen (intensivere Arbeit, weniger Lohn, keine Mitbestimmungsrechte, kein Streikrecht und so weiter) und immerhin fast 37 Prozent dagegen, weit mehr als die Mitglieder der FIOM. Die große Mehrheit der Ja-Stimmen war von vorn herein absehbar, denn nicht nur die private Existenz der Arbeiter und ihrer Familien, sondern der gesamte Standort und die Umgebung hängen von FIAT ab - gerade dort im Süden, wo es keine alternativen Arbeitsmöglichkeiten gibt. Marchionne begründete das Referendum damit, daß sich FIAT für die Zukunft gegen alle Risiken durch Streiks und Arbeitsausfälle absichern müsse. Die Produktion soll Tag für Tag 24 Stunden ohne Unterbrechung reibungslos laufen.

In den FIAT-Werken in Melfi und Termoli wurden in den vergangenen Wochen fünf Arbeiter fristlos entlassen, weil sie sich mit ihren Kollegen in Pomigliano solidarisiert hatten. Disziplinierungsmaßnahmen bei FIAT sind berüchtigt, seit in den Nachkriegsjahren Marchionnes legendärer Vorgänger Valletta eine Totalkontrolle über die Arbeiter auszuüben versuchte. Beim großen, von der CGIL ausgerufenen Generalstreik gegen den Sozialabbau der Regierung am 25. Juni, an dem sich landesweit mehr als eine Million Menschen beteiligten, stand auf Spruchbändern zu lesen: "Wir alle sind Pomigliano!" Das Bewußtsein der Notwendigkeit, Auswege aus der Sackgasse zu finden, in die die FIAT-Offensive führt, fand für kurze Zeit eine Stimme.


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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Dreizehnter Jahrgang, Nr. 16 vom 7. August 2010, Seite 578-579
Herausgeber: Dr. Rolf Gössner, Ulla Jelpke, Prof. Arno Klönne,
Otto Köhler, Eckart Spoo
Redaktion: Eckart Spoo (verantw.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2010