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POLITISCHE BERICHTE/132: Zeitschrift für linke Politik 1/10


Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik

Nr. 1 am 14. Januar 2010


INHALT

Aktuell aus Politik und Wirtschaft
Politische Berichte im Internet
Schwierige Lage bei Metall
Verdi setzt auf das Kaufkraftargument
Gedenkstätte für Atomtest im Pazifik soll französischem Nationalstolz dienen
Europäische "Bürgerinitiative"
Auslandsnachrichten

Regionales und Gewerkschaftliches
Aktionen ... Initiativen
Stadthaushalt nach hartem Ringen verabschiedet - große Risiken lauern noch
SGB II soll kommunale Aufgabe werden
Kommunale Politik
Alternsgerechte Zielvorgaben!
Scheingewerkschaften
Nestlé-Beschäftigte in Tunesien führen ihren Arbeitskampf fort
Protest der Arbeitnehmer von TEKEL in Ankara

Diskussion und Dokumentation
Aktiv werden gegen NATO-Kriegspolitik!
13.2. Dresden: No pasarán - sie kommen nicht durch!
Jugendoffiziere raus aus Schulen
"Maritime Schicksalsdeutung"
Was das Tamm-Museum mit neueren Familien-Kriegs- und Katastrophenfilmen gemeinsam hat
Unter charismatischer Führung - Normal ist das nicht
Gysi geht auf Distanz zu Bartsch
Parlamentarier der Linken plädieren für mehr innerparteiliche Einheit

Termine

Raute

AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT

Politische Berichte im Internet


Illegale: Ärztliche Schweigepflicht hat künftig Vorrang

Jesuitenflüchtlingsdienst. Dez. 2009. Seit mehreren Jahren engagiert sich der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) gemeinsam mit anderen Organisationen wie dem Deutschen Caritas Verband und dem Katholischen Forum Leben in der Illegalität dafür, dass Menschen ohne Aufenthaltspapiere in Deutschland elementare Menschenrechte wahrnehmen können - etwa Krankenfürsorge in Notfällen, Zugang zu Schulbildung für Kinder und Schutz vor ausbeuterischen Arbeitsbedingungen. Mit den seit 31.10.2009 geltenden en Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz (VwV) sind wir diesem Ziel einen Schritt näher gekommen. Die VwV, gedacht als Auslegungshilfe für die Verwaltungsbehörden, schränken die Pflicht zur Meldung von Ausländern ohne Aufenthaltsstatus an mehreren sensiblen Punkten ein. So soll die ärztliche Schweigepflicht jetzt nicht nur für medizinisches Personal, sondern auch für die Angestellten öffentlicher Krankenhäuser und auch die Mitarbeiter von Sozialämtern gelten. Damit wird es statuslosen Migranten erleichtert, zumindest in medizinischen Notfällen ärztliche Hilfe zu erlangen. Bisher hatte in diesen Fällen für Unsicherheit gesorgt, dass unklar war, ob Krankenhauspersonal die Betroffenen an die Ausländerbehörde hätte melden müssen; das gleiche galt bei den Sozialämtern im Zuge der Abrechnung der Behandlungskosten.

Immer wieder kam es in der Vergangenheit auch dazu, dass Eltern ohne Aufenthaltsstatus aus Furcht vor Entdeckung ihre Kinder nicht zur Schule schickten. Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen haben wiederholt kritisiert, dass die Gesetzeslage damit faktisch dazu führte, dass die Kinder den Preis für die Migrationsentscheidung ihrer Eltern zahlen mussten.

Die VwV stellt nun noch einmal klar, dass öffentliche Stellen nur zur Meldung verpflichtet sind, wenn sie die Kenntnis vom illegalen Aufenthalt "in Erfüllung ihrer Aufgaben" erhalten. Wo hingegen das Landesrecht bestimmt, dass es nicht zu den Aufgaben der Schule gehört, den Aufenthaltsstatus zu erfragen, soll die Meldepflicht nicht eingreifen.

Erste Bundesländer haben entsprechende Klarstellungen bereits erlassen bzw. sind auf dem Wege dazu. Indessen wäre aus der Sicht des JRS zu begrüßen, wenn Schulen explizit von der Übermittlungspflicht ausgenommen wären. Eine entsprechende Ausnahme gibt es z. B. für Jugendämter, wenn andernfalls die Erfüllung ihrer Aufgaben gefährdet wäre.


Weiter Streit um Jobcenter-Reform und -Kosten

Berliner Zeitung, 9./10.1., Deutscher Städtetag, 15.12. rül Die Zukunft der Jobcenter und damit der Betreuung von Langzeitarbeitslosen und von Beschäftigten, die nur saisonal oder unregelmäßige Arbeit finden und deshalb im Fall von Arbeitslosigkeit von vorneherein auf Leistungen nach dem ALG-II angewiesen sind, ist weiter umstritten. Arbeitsministerin von der Leyen ließ am 8. Januar einen Sprecher ihrer Behörde verkünden, sie sehe im Unterschied zu NRW-Ministerpräsident Rüttgers keinen Grund für eine Grundrevision der Hartz-IV-Gesetze. Das Schonvermögen sei erhöht worden und die Hinzuverdienstgrenzen auch. Am 14.12. hatte eine Tagung der Arbeits- und Sozialminister von Bund und Ländern ein überarbeitetes Eckpunkte-Papier der Bundesregierung vom 11.12. mit den Stimmen der schwarz-gelben Länder erstmals als Diskussionspapier gebilligt. Damit sind zumindest die schwarz-gelb regierten Länder von ihrer Forderung nach einer Grundgesetzänderung, um die Jobcenter weiterhin als einheitliche Einrichtungen von Kommunen und Agentur für Arbeit betreiben zu können, abgerückt. Eine wirkliche Lösung des Streits ist damit aber noch nicht in Sicht. Die Zukunft der Jobcenter ab Ende 2010, wenn die jetzige gesetzliche Konstruktion ausläuft, hängt weiter in der Luft. Die Gefahr einer künftigen teuren Doppelstruktur - auf der einen Seite die Agentur für Arbeit, die die Jobcenter quasi "übernimmt" und die Arbeitsvermittlung macht, auf der anderen Seite die Kommunen, die die Kosten der Unterkunft und andere Leistungen bestreiten - ist mit dem Beschluss vom 14.12. gestiegen. Viele Kommunen, Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften lehnen das Vorhaben der Regierung weiterhin ab. Es gibt auch schon erste Gutachten, die den Plan der Bundesregierung als ebenso verfassungswidrig einstufen wie die bisherige Struktur. Am 15.12. lehnten die Länder im Bundesrat den Versuch der Bundesregierung ab, ihren Beitrag an den Kosten der Unterkunft von 25,4% in 2009 auf 23,6% in 2010 zu senken. Das entsprechende SGB-II-Änderungsgesetz wurde in den Vermittlungsausschuss überwiesen.


Hintergründige Ostpolitik Westerwelles

maf. Unerwartet gibt die SPD der deutschen Außenpolitik einen neuen Drall. Außenminister Westerwelle widersetzt sich nachdrücklich der Entsendung der Bund der Vertrieben Präsidentin Steinbach in das Kuratorium der Stiftung "Sichtbaren Zeichens". Für die Haltung Westerwelles gibt es offen zutage liegende Gründe: Frau Steinbach steht für eine Politik, die auf gewundenen Wege deutsche Ansprüche gegenüber EU-Nachbarstaaten und -gesellschaften aufrecht erhält. Diese Politik hat Halt in politischen Traditionen, stört aber die Verflechtung durch Handel und Investitionen, die im deutschen Interesse liegt. Dennoch wäre es falsch, aus der Distanz, die zwischen den Vertriebenenverbänden und der schwarz-gelben Regierung auftritt, auf einen Richtungswechsel zu schließen. Neben den genannten Gründen sind auch Hintergründe im Spiel.

Es geht dabei um die deutsche Minderheitenpolitik. Wie bekannt, sieht sich die Bundesregierung als Sachwalter ethnisch deutscher Minderheiten. Sie hat sich eine solche Rolle auch in den Verhandlungen über den deutsch-polnischen "Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit" von 1991 ausbedungen. Damals gestand Polen entsprechenden Staatsbürgern den Status einer Minderheit zu. Die Beschreibung der Rechte von Polen in Deutschland blieb dabei dunkel. Tatsache ist, dass es in Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg eine organisierte Minderheit polnischer Nationalität gab. Sie wurde am 27.2.1940 durch die Nazis per Beschluss des "Ministerrats für Reichsverteidigung" aufgelöst. Bis zu 2000 ihrer Funktionäre seien ins Konzentrationslager gekommen, viele Hundert ermordet worden. (Konrad Schuler, FAZ, 30,12.09). Auf diese grausige Weise war die Frage einer polnischen Minderheit in Deutschland faktisch erledigt und so gab es 1991 für die polnische Seite keinen praktisch zwingen Grund, auf der Anerkennung einer polnischen Minderheit in Deutschland zu bestehen. Inzwischen allerdings hat sich einiges geändert. Der Freizügigkeit innerhalb der EU folgten Niederlassungsprozesse. Eine Diskussion des Europarates führt zu einer Definition von Minderheitenrechten, mit erheblicher Folgen z.B. für Gewährung von Unterricht und Gewährleistung kultureller Ausdrucksmöglichkeiten. Die polnische Seite kann unter solchen Umständen recht gut auf Nachverhandlung drängen, die BRD könnte sich dem kaum entziehen.

Bei solchen Nachverhandlungen würde eine echt deutsches Kulturgut getroffen. Anerkennt werden hierzulande nur "angestammte", d.h. konkret vor der Reichsgründung 1871 nachweisbare Minderheiten. Die Polen, die heute in Deutschland leben, sind überwiegend jüngst zugewandert, sie können so nicht beschrieben werden. - Kurz: es besteht die Gefahr, dass sich aus Nachverhandlungen über den Minderheitenstatus von Polen eine Charakterisierung ergibt, die sich auf andere Minderheiten in Deutschland anwenden ließe, z.B. auf Menschen aus der Türkei und Kurdistan.

Die polnische Verhandlungsposition ist so beschaffen, dass es möglich wäre, eine Minderheitendefinition zu erreichen, die das deutsche Staatsziel ethnischen Homogenität ernsthaft betreffen könnte. Es wäre aber auch eine Regelung denkbar, die deutsch-polnisch exklusiv, nicht übertragbar auf andere Fälle, angelegt ist. In diesem Spielraum bewegt sich Westerwelle, für seine Rücksichtslosigkeiten gegenüber dem deutschtümelnden BdV sind höhere, noch deutschere Interessen gegeben.


Streit um Militärtransporter

Financial Times, 7.1. rül. Der Rüstungs- und Luftfahrtkonzern verlangt von den europäischen Regierungen für seinen Militärtransporter A 400 M eine Aufstockung der Zahlungen um 5,3 Milliarden Euro. Das Militärflugzeug, mit dessen Entwicklung sich die sieben an dem Projekt beteiligten Staaten (Deutschland, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Belgien, Luxemburg und die Türkei) von den US-Herstellern Boeing und Lockheed Martin auch technologisch unabhängig machen wollen, sieht bisher für insgesamt 180 Transportflugzeuge einen Festpreis von 20 Milliarden Euro vor, d.h. knapp 110 Millionen Euro je Flugzeug. Hinzu kommen die vermutlich noch einmal so hohen Kosten für Wartung und späteren Service. Erst im Dezember 2009 war der erste Prototyp des Flugzeugs gestartet, zwei Jahre später als ursprünglich geplant. 2014 sollen die ersten Modelle jetzt an Deutschland geliefert werden. Wegen der Verzögerung müsste EADS eigentlich Verzugskosten von 1,3 Milliarden Euro zahlen. Im Gegenzug verlangt EADS-Chef Enders jetzt stattdessen die Übernahme von 5,3 Milliarden Euro, das sei die Hälfte der bisher entstandenen Mehrkosten, von den Regierungen. Nach Medienberichten sollen bisher Mehrkosten von 11 Milliarden Euro entstanden sein. An dem Projekt "hängen" nach EADS- und Medien-Angaben europaweit 40.000 Arbeitsplätze, darunter 11.000 in Deutschland. Bis Ende Januar soll eine Lösung gefunden werden. Die Abgeordnete der Linken im Bundestag, Gesine Lötzsch, hat die Bundesregierung aufgefordert, aus dem Projekt auszusteigen und der Erpressung des EADS-Konzerns nicht nachzugeben. Die Aktienkurse des Konzerns stiegen dennoch in den letzten Tagen - offenbar rechnen die Aktionäre mit einer Einigung mit den Regierungen.


Befehl und Gehorsam

maf. Am 16. Dezember hat sich der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages als Untersuchungsausschuss konstituiert. Sein Auftrag lautet summarisch, "den durch den militärischen Leiter des Provinz-Wiederaufbauteams (PRT) in Kundus/Afghanistan veranlassten Luftangriff auf zwei Tanklastwagen am 3./4. September 2009, die diesbezügliche Aufklärungs-und Informationspraxis der Bundesregierung sowie die Vereinbarkeit der gewählten Vorgehensweisen mit nationalen und multinationalen politischen, rechtlichen und militärischen Vorgaben für den Einsatz in Afghanistan umfassend zu untersuchen". Der Auftrag wird in sieben Punkten spezifiziert. Die Untersuchung wird sich danach auf die Frage konzentrieren, welche Teile der zum Zeitpunkt des Massakers amtierenden Bundesregierung in welchem Umfang unterrichtet worden sind. Unzulängliche oder falsche Informationspolitik könnte betroffenen Politikerinnen und Politikern zum Laufbahnproblem werden. Während dieser Aufklärungsprozess schleppend verläuft, stockt eine andere Diskussion ganz und gar: Waren die Befehle, die der Bundeswehroffizier K. gab, nur wegen fehlender Beschlüsse des Bundestags verwerflich oder handelt es sich um Verbrechen, die auch im Sinne des Soldatengesetzes (§ 10, Pflichten des Vorgesetzen, § 11 Gehorsam), keine staatliche Stelle der BRD veranlassen oder decken darf?

http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a12/a12_ua_kundus/index.html

Raute

Tarifbewegungen

Schwierige Lage bei Metall

Die alljährlichen großen Tarifbewegungen beginnen in diesem Jahr mit dem öffentlichen Dienst. Am 13. Januar treffen sich die Tarifparteien in Potsdam, um über die künftigen Tarifentgelte für die Beschäftigten des Bundes und der Kommunen zu verhandeln. Im Vorfeld hat die Arbeitgeberseite - Kommunen und Bund - keine Gelegenheit ausgelassen, um auf die infolge der globalen Wirtschaftskrise explodierende Staatsschuld als erschwerenden Faktor der Tarifpolitik hinzuweisen. Trotzdem bestehen die Beschäftigten bei Bund und Kommunen und ihre Gewerkschaften - allen voran Verdi - zu Recht auf einer Entgelterhöhung.

Ungleich schwieriger sieht die Lage dagegen in der Metall- und Elektroindustrie aus. Viele erinnern sich noch an den vergangenen Herbst, als der Verdi-Vorsitzende Bsirske öffentlich ankündigte, seine Gewerkschaft werde auf Entgelterhöhungen bestehen, während fast zeitgleich der IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber in einem Zeitungsinterview erklärte, Lohnerhöhungen würden im kommenden Jahr vermutlich nicht im Zentrum der Bemühungen der IG Metall stehen, zudem seien die Rahmenbedingungen dafür schlecht.

Manche Zeitungen versuchten damals, aus diesen unterschiedlichen Aussagen der beiden Vorsitzenden einen Richtungskonflikt im gewerkschaftlichen Lager zu fabrizieren. Tatsächlich waren die beiden unterschiedlichen Aussagen von Bsirske und Huber nur einer von vielen Indikatoren, dass die Ausgangsbedingungen für die kommenden Tarifauseinandersetzungen in der Metall- und Elektroindustrie dieses Mal - leider - erheblich schlechter sind als im öffentlichen Dienst.


Kurzarbeit und kein Ende der Krise

In Zahlen: Die Metall- und Elektroindustrie umfasst bundesweit etwa 22.000 Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten, zusammen 3,45 Millionen Beschäftigte. Rechnet man die Betriebe mit 20 bis 50 Beschäftigte hinzu, kommt man auf 33.000 bis 34.000 Betriebe mit zusammen 3,7 bis 3,8 Millionen Beschäftigten.

Ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit schätzte kürzlich die aktuelle Zahl der Kurzarbeiter auf bundesweit etwa eine Million ("Die Welt", 6.1.10). Da Branchen wie die Nahrungsmittelbranche sehr viel weniger auf den Export angewiesen sind, Teile der chemischen Industrie wie die Pharmabranche von der globalen Krise sogar fast gar nicht betroffen sind, wird allgemein davon ausgegangen, dass etwa 80% der Kurzarbeit in der von der Weltwirtschaftskrise und dem damit verbundenen Einbruch der Exporte am meisten betroffenen Metall- und Elektroindustrie stattfindet. 80% heißt: 800.000 Beschäftigte, das sind etwa ein Viertel aller Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie, sind in Kurzarbeit. Und: Eine schnelle Änderung ist nicht in Sicht.

Das Statistische Bundesamt meldete am 7. und 8. Januar, im Oktober und November 2009 habe die Produktion im gesamten produzierenden Gewerbe arbeitstäglich um 10,2% niedriger gelegen als in den beiden Vergleichsmonaten des Vorjahres. In der Metall- und Elektroindustrie allein dürfte das Niveau etwa doppelt so niedrig gelegen haben, also ca. 20% unter Vorjahr. Bei den Auftragseingängen zeichnet sich zwar nach den enormen Einbrüchen in den Vorquartalen eine leichte Besserung ab. Die Auftragseingänge aus dem Ausland etwa lagen im gleichen Zeitraum, also Oktober und November 2009, "nur" noch um 5,2% unter Vorjahr. Aber auch diese Zahlen gelten für das gesamte produzierende Gewerbe.

In der Metall- und Elektroindustrie, besonders in den Bereichen Automobil und Maschinenbau, sieht die Situation weiterhin ungleich schwieriger aus. Das zeigt ein Blick auf den Export, der bei Auto und Maschinenbau zwischen 60 und 80% des Absatzes ausmacht. Ebenfalls am 8. Januar meldete das Statistische Bundesamt, dass die deutschen Ausfuhren von Januar bis November 2009 etwa 180 Milliarden Euro niedriger lagen als im gleichen Zeitraum 2008. Das ist ein Einbruch um ziemlich genau 20%.

Noch schroffer als das Statistische Bundesamt kommentierte - nicht überraschend - der Arbeitgeberverband Gesamtmetall die Situation der Branche. Die Zahlen des Bundesamtes seien "enttäuschend": "Dies zeigt, dass die Hoffnungen auf eine rasche Belegung der Konjunktur verfrüht waren." (Gesamtmetall-Pressemitteilung vom 7.1.10) Und, ebenda: "Um auf den Stand von vor der Krise zu kommen, müssen die Aufträge um 34% wachsen". Gemeint ist damit nicht das gesamte produzierende Gewerbe. Wohl aber die Metall- und Elektroindustrie.

Allgemein wird in der Branche erwartet, dass das Produktionsniveau von 2008, also vor Ausbruch der globalen Wirtschaftskrise, im allerbesten Fall 2011, vermutlich aber erst in den Jahren 2012 bis 2013 erreicht wird. Für Teilbereiche wie etwa die Automobilindustrie gibt es sogar nicht wenige, die davon ausgehen, dass die hiesigen Werke ihre Fertigungs-Stückzahlen von 2008 gar nicht mehr erreichen werden - einfach deshalb, weil bis zu einer technologischen und strukturellen Erholung dieser Branche beträchtliche Fertigungsmengen endgültig nach Osteuropa, Indien, China oder in andere Regionen verlagert worden sind.

Wie man's auch nimmt, eines scheint festzustehen - mit einem schnellen Anziehen von Aufträgen und Fertigungszahlen rechnen in der Metall- und Elektroindustrie nur wenige.


Was tun in 2010?

Damit aber rücken zwei Themen in den Vordergrund, jedenfalls auf IG Metall-Seite. Erstens: Bei Kurzarbeit lässt sich schlecht streiken. Zweitens: Irgendwann läuft jede Kurzarbeit aus. Was dann?

Von der amtierenden Bundesregierung erwarten, um es klar zu sagen, beide Tarifparteien nicht viel, nicht die Arbeitgeber, und schon gar nicht die IG Metall. Nach dem fulminanten Auftakt von Schwarz-Gelb mit dem "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" und so furiosen konjunktur- und wachstumspolitischen Volltreffern wie der Mehrwertsteuersenkung für das deutsche Übernachtungsgewerbe ist das Vertrauen in den wirtschaftspolitischen Sachverstand dieses Kabinetts, um es mal sehr höflich auszudrücken, bestenfalls grenzwertig.

Zwar hat die Bundesregierung die geltenden Regelungen für Kurzarbeit noch einmal bis Mitte 2011 verlängert. Aber diese Regelungen besagen: nach maximal 24 Monaten ist Schluss mit Kurzarbeit. Und nicht wenige Betriebe der Branche haben Ende 2008 bzw. Anfang 2009 mit Kurzarbeit begonnen. Deren Möglichkeiten, Kurzarbeitergeld der Agentur für Arbeit in Anspruch zu nehmen, laufen also Ende 2010 aus. Mit einer Verlängerung der Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld rechnet niemand, zumal das Mehrkosten für die Agentur für Arbeit bedeutet und ohnehin schon alle Welt über eine Anhebung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nachdenkt.

Was dann? Zumal, wenn die Auslastung in der Metall- und Elektrobranche bis dahin möglicherweise immer noch 10 oder 20% niedriger liegt als Ende 2008? Diese Frage stellt sich nicht nur, aber vor allem die IG Metall.

Seit Dezember gab es diverse regionale Sondierungsgespräche zwischen den Tarifparteien. Im Kern geht es dabei darum, welche tariflichen Möglichkeiten zur Sicherung von Beschäftigung und Ausbildung in der Branche möglich sind. Dabei geht es zum einen um mehr Ausbildungsplätze und längere Übernahmeregelungen für Auszubildende in der Branche. Die Zahl der Ausbildungsplätze ist bereits im vergangenen Jahr in der Branche um mehr als 10% gefallen. Noch schneller stieg die Zahl der Auszubildenden, die nach ihrer Ausbildung keine dauerhafte Übernahme in ihrem Betrieb schafften und nun von Arbeitslosigkeit bedroht sind, wenn sie nicht schon arbeitslos sind. Das ist viel, vor allem im Hinblick auf die demografische Struktur nicht weniger Belegschaften, wo in den nächsten Jahren viele Facharbeiter ausscheiden.

Zweiter und vermutlich noch gewichtigerer Teil des "Job-Pakets", über das die Tarifparteien sondieren, sind Maßnahmen zur allgemeinen Beschäftigungssicherung in der Branche, darunter Anschlussregelungen für den Fall des Auslaufens des Kurzarbeitergelds. "Wir benötigen Lösungen, die schneller sind als die Probleme, denen wir uns 2010 in den Betrieben zu stellen haben", hatte etwa der NRW-Bezirksleiter der IG Metall, Oliver Burkhard, betont.

Das "Handelsblatt" berichtete am 7. Januar: "Im Zentrum steht die Idee, eine bestehende Option im Tarifvertrag zu erweitern, die Arbeitszeitverkürzungen mit Lohnsenkung erlaubt. Bisher können Betriebe die Arbeitszeit von 35 auf 29 bezahlte Stunden pro Woche senken. Nun geht es darum, den Rahmen etwa bis 25 Stunden zu öffnen - wobei die IG Metall dann aber Einkommensverluste mindestens durch einen "Teillohnausgleich" begrenzen will. Und sie will bei alledem sicherstellen, das es jedenfalls dort ein Lohnplus gibt, wo es Firmen trotz Krise gut geht."

Was das Blatt verschweigt: Nicht wenige in der IG Metall erwarten eine Kombination von "Job-Paket" plus einem - konjunkturell bedingt niedrigen, vielfach erwartet wird ein Plus von 2% - Entgeltanstieg. Denn die Preise - etwa bei Benzin - steigen schon wieder, und die von der FDP betriebene Kopfpauschale in der Krankenversicherung bedeutet ebenfalls eine kräftige Kostenverlagerung weg von den Arbeitgebern, hin zu den abhängig Beschäftigten.

Die Überschrift des Berichts im "Handelsblatt" - sie lautet: "Schluckt die IG Metall wirklich eine Nullrunde?" - ist deshalb mehr dem Wunschdenken der Arbeitgeber geschuldet als der Diskussion in der Gewerkschaft.


Vorentscheidung Ende Januar?

Der derzeitige Tarifvertrag der IG Metall läuft Ende April aus. Das bedeutet: nach den üblichen Verfahrensregeln würde irgendwann Mitte Februar der IG Metall-Vorstand seine erste Forderungsempfehlung vorstellen. Dann beraten die regionalen Tarifkommissionen auf dieser Grundlage über ihre Forderungen. Anfang bis Mitte März besteht dann eine "Forderungslage", auf deren Grundlage erste Sondierungsgespräche mit den Arbeitgebern beginnen, um vor Ablauf der Friedenspflicht Ende April die Möglichkeiten einer Lösung und einer Einigung zu prüfen.

Diese Situation ist jetzt angesichts der anhaltenden Krise etwas anders. Bereits Ende Januar will der IG Metall-Vorstand das Ergebnis der regionalen Sondierungsgespräche mit den Arbeitgebern zusammenfassen und bewerten. Dann könnte möglicherweise eine Vorentscheidung fallen, wie es in dieser Branche tarifpolitisch weitergeht.   rül


Quellen: Handelsblatt, 7.1.2010; Die Welt, 6.1.2010; Gesamtmetall-Pressemitteilung vom 7.1.2010; Statistisches Bundesamt, Pressemitteilungen vom 7. und 8.1.2010.

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Diagramme der Originalpublikation:

- Auftragseingangsindex im Verarbeitenden Gewerbe
- Produktionsindex für das Produzierende Gewerbe

Raute

Tarifverhandlungen öffentlicher Dienst

Verdi setzt auf das Kaufkraftargument

Unter www.kaufkraft-staerken.de ist knapp zusammengefasst die Argumentation der Gewerkschaft Verdi zu finden, mit der sie in die Lohntarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst geht:

Gerade jetzt: Wachstum sichern, Binnenmarkt stärken, Löhne erhöhen!

Löhne sind entscheidend für die Wachstumsentwicklung. Ihre Entwicklung bestimmt hauptsächlich das Wachsen oder Schrumpfen des privaten Konsums, der wiederum knapp 60 Prozent der Endnachfrage in Deutschland ausmacht.

Im Kriseneinbruch 2008/2009 haben die privaten Konsumausgaben bisher stabilisierend gewirkt. Tarifliche Einkommenserhöhungen von im Schnitt drei Prozent aus der Spätphase des vorhergehenden Aufschwungs und zunehmende Sozialleistungen für Renten und Kurzarbeit waren dafür eine wesentliche Stütze.

Exporte und Investitionen sanken um etwa 20 Prozent und führten den tiefsten Kriseneinbruch seit der Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren herbei. Für 2010 wird prognostiziert, dass Exporte und Investitionen wieder ansteigen und das Wirtschaftswachstum anschieben. Aber für eine dauerhafte Erholung ist es unbedingt erforderlich, dass auch die Konsumausgaben wachsen. Nur durch eine nachhaltige Stärkung der bundesdeutschen Nachfrage kann ein stabiles Wachstum erreicht und ein lang anhaltender Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert werden.

Zu befürchten ist aber, dass steigende Arbeitslosigkeit, eine zu schwache Lohnentwicklung sowie Sozialkürzungen die Massenkaufkraft und damit die Binnennachfrage strangulieren. Ein jahrelang andauernder Teufelskreis aus sinkenden Einkommen, schrumpfender Nachfrage, wirtschaftlicher Stagnation und steigender Arbeitslosigkeit könnte die Folge sein. Deshalb müssen auch und gerade 2010 höhere Löhne durchgesetzt werden, um dem entgegen zu wirken.

Zudem sind die Lohnzuwächse in Deutschland schon seit über zehn Jahren eher zu gering ausgefallen. Von 2000 bis 2008 sanken die Bruttolöhne preisbereinigt um zwei Prozent, während die Gewinne und Vermögenseinkommen um ein Drittel anstiegen. Es gibt einen erheblichen Nachholbedarf der Beschäftigten.


Mehr Lohn - mehr Beschäftigung
Veränderung 2007 gegenüber 1999


Arbeitentgelte
je Stunde (%)
Beschäftigung
in Stunden (%)
Bruttoinlandsprodukt,
preisbereinigt (%)
Deutschland
Frankreich
Niederlande
Großbritannien
12
33
35
44
-0,6
3,3
5,3
4,6
12
18
18
24

Im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern sind die Arbeitnehmereinkommen permanent zurückgeblieben. Leidtragende sind die Beschäftigten, aber auch die Arbeitslosen. Denn nicht nur Löhne, auch Wachstum und Beschäftigung entwickelten sich in Deutschland erheblich ungünstiger als in anderen Ländern.

Der Grund: stagnierende oder sogar sinkende Kaufkraft. Darunter leiden Handwerk, Dienstleistungen und andere Betriebe, die für den regionalen und inländischen Markt produzieren. Steigende Exporte können dies nicht dauerhaft ausgleichen. Notwendig ist mehr denn je die Stärkung der Binnennachfrage. Eine "Lohnpause" würde die Krise nur verlängern.

Die ArbeitnehmerInnen in Deutschland brauchen höhere Löhne.

• Das schafft mehr Kaufkraft für sie und ihre Familien
• Das stabilisiert die Konjunktur
• Das stärkt die Binnennachfrage,
• Das mindert die Exportabhängigkeit.

Sozial ist, was Kaufkraft schafft!


Öffentlich ist wesentlich!

Auf Teufel komm raus beharrt die FDP auf weiteren Steuergeschenken. Selbst der Koalitionspartner rudert inzwischen zurück: "Wenn die FDP weiß, wie man etwas finanziert, ohne Einnahmen zu haben, dann sollte sie sich einfach melden. Vielleicht kriegt sie dafür den Ökonomie-Nobelpreis", ätzt CDU-Vize Rüttgers.

Bisher - bei den Geschenken an Unternehmen, Hoteliers und reiche Erben - war allerdings auch die CDU/CSU munter dabei. Doch wenn es um den öffentlichen Dienst geht, zeigt sich Finanzminister Schäuble "erschrocken": Für die Tarifforderung sieht er keinen Spielraum. Dabei sind die Einkommen dort in den letzten zehn Jahren viel langsamer gestiegen als in der Gesamtwirtschaft. Und Arbeitsplätze bei Bund, Ländern und Gemeinden wurden seit 1991 um 1,6 Millionen abgebaut, die der Vollzeitbeschäftigten fast halbiert. Hinzu kamen Privatisierung und Personalabbau bei Bahn und Post. Kein Land in der EU gibt heute weniger für den öffentlichen Dienst aus.


Vollzeitbeschäftigung fast halbiert
Beschäftigte bei Bund, Ländern und Gemeinden in Mio.

Vollzeit
Teilzeit
gesamt
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
4,35
4,28
4,06
3,87
3,74
3,65
3,55
3,44
3,31
3,19
3,09
2,97
2,91
2,80
2,69
2,64
2,53
2,50
0,87
0,89
0,94
0,99
0,99
0,99
0,99
1,02
1,05
1,08
1,09
1,11
1,15
1,14
1,14
1,15
1,12
1,11
5,22
­
­
­ 4,74
­
­
­
­ 4,28
­
­
­
­ 3,84
­
­ 3,61

Statt Schrumpfpolitik und Steuersenkung brauchen wir mehr Geld und Stellen für Bildung, Kitas, Sicherheit, Gesundheit und vieles mehr. Das ist bezahlbar, wenn Reiche und finanzstarke Unternehmen endlich wieder ordentlich Steuern zahlen. Private Bereicherung oder vernünftig bezahlte Arbeit und ausreichende öffentliche Leistungen - was ist wichtiger?


Unterdurchschnittlicher Anstieg der Tarifverdienste

Die Tarifentwicklung im öffentlichen Dienst ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich langsamer verlaufen als in den meisten anderen Branchen. Dies geht aus einer Analyse des WSI-Tarifarchivs in der Hans-Böckler-Stiftung hervor.

Seit dem Jahr 2000 sind die Tarifvergütungen im öffentlichen Dienst in den alten Bundesländern nominal um 17 Prozent gestiegen, in der Gesamtwirtschaft dagegen um 21,4 Prozent und in einzelnen Branchen der Privatwirtschaft um bis zu 27,4 Prozent (Metallindustrie). Die etwas stärkeren Tarifsteigerungen der Jahre 2007 bis 2009 haben den Rückstand des öffentlichen Dienstes nicht wettmachen können. Die Berechnungen basieren auf dem jährlichen Anstieg der Tarifverdienste einschließlich Pauschal- und Einmalzahlungen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Plakat von Verdi
- Öffentlicher Dienst: Tarifanstieg unter dem Durchschnitt (Grafik)

Raute

Gedenkstätte für Atomtest im Pazifik soll französischem Nationalstolz dienen

Französisch-Polynesien: Der französische Senat hat auf Betreiben des französischen Staatspräsidenten Sarkozy in seiner Sitzung am 6. November 2009 die Atolle Moruroa und Hao im französischen Überseegebiet Französisch-Polynesien zu "Stätten des Gedenkens und des französischen Nationalstolzes" erklärt. Die beiden Atolle sollen als "Orte der Erinnerung" fungieren für Menschen, die an französischen Atomtests in Polynesien teilgenommen haben. So die offizielle Begründung.

Demnach sollen die Polynesier stolz darauf sein, im "Namen der nationalen Verteidigung geopfert worden zu sein". So interpretiert es jedenfalls der polynesische Verband der Maohi-Opfer durch französische Atomtests "Moruroa e tatou" ("Moruroa und Wir"). Der polynesische Verband kritisierte Sarkozys Plan scharf und warf dem französischen Präsidenten vor, die Opfer der Atomtests zu provozieren und zu verhöhnen.

In der 2001 gegründeten Organisation haben sich 6.000 Maohi zusammengeschlossen, die als Gelegenheitsarbeiter in dem Atomversuchszentrum beschäftigt waren. Bis zu 15.000 Polynesier arbeiteten von 1962 bis heute mit am französischen Atomtestprogramm CEP, euphemistisch verharmlosend "Centre d'expérimentation du Pacifique", Versuchszentrum im Pazifik, genannt. Meist waren diese Menschen für untergeordnete Tätigkeiten wie Bauarbeiten oder Küchendienst zuständig, einige mussten aber auch hochgefährliche Dekontaminierungsarbeiten ausführen oder auf Bohrplattformen die Detonationskammern graben und nach der Explosion dort Proben entnehmen. Von 1966 bis 1996 hat Frankreich auf seinem Atomversuchsgelände Moruroa im Südpazifik 46 Atombomben in der Atmosphäre und 147 Atombomben unterirdisch gezündet. Dieses Gebiet ist bis heute eine radioaktive Zeitbombe. Das gesamte Korallenatoll ist porös und die noch eingekapselten Überreste der unterirdischen Atomversuche drohen durch Korrosion und Erdbewegungen freigesetzt zu werden.

Stationiert waren die Arbeiter auf den Atominseln Moruroa und Fangataufa, der Garnisonsinsel Hao oder in den Labors und Einrichtungen auf der Hauptinsel Tahiti. Viele von ihnen kamen während ihrer Arbeit mit Radioaktivität in Berührung, wussten aber offenbar nicht Bescheid über diese Gefahr. Es waren oftmals einfache landwirtschaftlich geprägte Menschen, die kein Französisch verstanden. Begriffe wie "Strahlung" und "Kontaminierung" gab es in ihrem von der Natur geprägten Erfahrungsschatz nicht.

Der Verband "Moruroa e tatou" begründet seine Empörung damit, dass bis heute die meisten Maohi, die bei den Versuchen verstrahlt wurden, nahezu vergeblich um Schadensersatz und eine angemessene medizinische Betreuung kämpfen. Jedes Jahr würden Dutzende von ihnen an Krebserkrankungen sterben, berichtet er auf seiner Homepage. Jahrzehnte lang hat Frankreich seine Verantwortung für die radioaktive Verseuchung von Mensch und Natur in Polynesien geleugnet. Ein im Oktober 2009 endlich vom französischen Senat verabschiedetes Gesetz sehe zwar vor, Opfer der Tests in begrenztem Umfang zu entschädigen. "Doch die meisten Maohi werden nichts bekommen, weil die französischen Behörden die Archive mit ihren Daten und medizinischen Gutachten nicht öffnen." Gleichzeitig fordern dieselben Behörden von den Betroffenen aus der Zeit ihrer Beschäftigung auf den Atollen Belege dafür vorzulegen, dass die eigenen Krankheiten und die Krankheiten von Familienangehörigen auf die radioaktive Verstrahlung im Testzeitraum zurückzuführen sind. Der Verband bezeichnete das Gesetz als bürokratische Farce. Ohne professionellen Rechtsbeistand sei es den Betroffenen praktisch nicht möglich, angemessenen Schadensersatz zu bekommen. Dafür tritt "Moruroa e tatou" ein; und so ist es in der Vergangenheit in Einzelfällen doch gelungen, bescheidene Entschädigungen oder Renten einzuklagen.

Dennoch lehnt "Moruroa e tatou" eine Gedenkstätte für die Opfer der Verstrahlung nicht generell ab. Im Gegenteil: bereits seit 2006 fordern sie die Einrichtung eines "Friedensmuseums" in der tahitianischen Hauptstadt Papeete. Nach den Vorstellungen des Präsidenten von "Moruroa e tatou" Roland Oldham könnte dieses Museum ein ähnlicher Ort wie die Gedenkstätten in den japanischen Städten Nagasaki und Hiroshima sein. Es sei aber, so der Präsident Oldham, mehr als zynisch und menschenverachtend, die unbewohnten und radioaktiv verstrahlten Testgelände zu nationalen Gedenkstätten zu erheben. Mehrere Pressemitteilungen der Vereinigungen von Atomtestveteranen aus Tahiti und aus Frankreich (AVEN, Association des Veterans des Essais Nucleaires) unterstützen ihn in seiner Argumentation.

Karl-Helmut Lechner

Quelle: http://www.moruroaetatou.com/


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Proteste von Moruroa e Tatou in Patetee auf Tahiti

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Europäische "Bürgerinitiative"

Mit dem Vertrag von Lissabon sind punktuell die Bürgerrechte gegenüber den europäischen Institutionen gestärkt worden. Dies unter anderem mit der jetzt bestehenden Möglichkeit von Bürgerbegehren, mit denen die europäische Kommission unmittelbar aufgefordert werden kann, politische Initiativen zu ergreifen. Die entsprechende Festlegung findet sich in Titel II, "Bestimmungen über die demokratischen Grundsätze". Die konkrete Festlegung in Artikel 11 lautet folgendermaßen: "Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, deren Anzahl mindestens eine Million betragen und bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten handeln muss, können die Initiative ergreifen und die Europäische Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen." Das Bürgerbegehren wird in im Vertrag "Bürgerinitiative" genannt.

Bezüglich der unbestimmten Begriffe dieses Artikels hat die Europäische Kommission am 11. November 2009 ein sogenanntes Grünbuch (KOM[2009]622 endgültig)[1] veröffentlicht, mit dem ein Konsultationsverfahren bezüglich der verschiedenen Aspekte des Verfahrens für eine Bürgerinitiative eingeleitet wurde. Im Rahmen dieser Konsultation sind alle "interessierten Kreise" aufgerufen Stellung unter anderem zu folgenden Fragen zu nehmen:

Minimum der an einem solchen Bürgerbegehren beteiligten Länder
Minimum der Unterzeichner pro Mitgliedsstaat
Mindestalter für Unterzeichner eines solchen Begehrens
Wie genau ein Begehren formuliert sein muss und Anforderungen an seine Form
Zur Gewährleistung der Authentizität der Unterschriften
Wie Initiativen angemeldet und in welchen Zeitraum sie durchgeführt sein müssen.
Bezüglich eines Zeitraumes, innerhalb dessen die Europäische Kommission sich zu dem Begehren verhalten muss.

Die Konsultation läuft bis Ende Januar 2010, und es ist damit zu rechnen, dass die Europäische Kommission noch in diesem Jahr einen legislativen Vorschlag zur Ausgestaltung des Artikels 11 vorlegen wird.   rog

[1] http://eur-lex.europa.eu

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AUSLANDSNACHRICHTEN

Süditalien: Hetzjagd auf afrikanische Wanderarbeiter

Nach schweren Auseinandersetzungen und anhaltenden pogromartigen Übergriffen auf afrikanische Wanderarbeiter in der italienischen Kleinstadt Rosarno, Kalabrien, hat die Polizei am Wochenende 9./10. Januar mit der Evakuierung Hunderter Migranten begonnen (Bild). Zunächst war am Donnerstag, 7.1., ein Afrikaner verletzt worden, nachdem auf eine Gruppe von Migranten geschossen worden war. Daraufhin versammelten sich bis zu 2000 aufgebrachten Migranten zu einer Demonstration vor das Rathaus mit dem Ruf "Wir sind keine Tiere" und der Forderung nach menschenwürdigen Lebensbedingungen. Die Demonstration eskalierte, bei Auseinandersetzungen zwischen den Wanderarbeitern und Einwohnern sowie Polizei wurden Dutzende Menschen verletzt und sieben Afrikaner, dagegen nicht ein einziger italienischer Einwohner festgenommen. Nach der Demonstration veranstalteten mit Schrotflinten, Eisenstangen und Benzinkanistern bewaffnete Einwohner, wie die Schweizer Tagesschau berichtet, "eine regelrechte Jagd auf die Einwanderer", dabei fuhren auch Autos in Gruppen von Afrikanern. Mehrere Einwanderer wurden zum Teil schwer verletzt. Innenminister Maroni von der Lega Nord entschuldigt die rassistische Gewalt als "Ergebnis von zu viel Toleranz gegenüber illegaler Einwanderung". Demgegenüber fordert das UN-Flüchtlingskommissariat höchst besorgt, dass die Verantwortlichen für die Gewalt gegen die Einwanderer, unter denen sich viele politische Flüchtlinge befänden, unverzüglich ausfindig gemacht werden müssten. Ein Sprecher äußerte die Befürchtung, dass es zu weiteren Hetzjagden auf Flüchtlinge und Wanderarbeiter kommen könne. In der 15.000 Einwohner zählenden Kleinstadt arbeiten unter sklavenartigen Bedingungen mehrere tausend afrikanische Wanderarbeiter in der Landwirtschaft, täglich 15 Stunden für 20 Euro, von denen die Mafia oft noch 5 Euro als "Aufenthaltssteuer" einzieht. Sie "wohnen" in Kartonhütten, ohne Strom und Wasser. Nach Angaben der Gewerkschaft CGIL leben rund 50.000 Migranten in Italien unter ähnlich schlechten Bedingungen wie in Rosarno.
SF Tagesschau, NZZ, 8. und 9.1.


Israels Oberster Gerichtshof sieht Menschenwürde der Gefangenen durch Privatisierung verletzt

Fünf Jahre nach Verabschiedung einer entsprechenden Gesetzesänderung hat der Oberste Gerichtshof Israels die Privatisierung von Gefängnissen für verfassungswidrig erklärt. Ein von Privatunternehmen geführtes Gefängnis würde "den Grundrechten der Häftlinge und ihrer persönlichen Freiheit und Menschenwürde ernstlichen Schaden zuführen", heißt es in der Begründung. Kosteneffizienz sei kein ausreichendes Argument, um das Gewaltmonopol des Staates auszuhebeln, etwa das Recht, Gefangene mit Einzelhaft zu bestrafen oder einer Leibesvisitation zu untersuchen. Außerdem wäre ein privates Unternehmen womöglich versucht, auf Kosten der Häftlinge den Profit zu steigern, etwa durch Einsparungen am Essen oder bei der Ausstattung. Die Beschwerdeführer gehen davon aus, dass das Urteil, dass sie als internationalen Präzedenzfall begrüßten, Auswirkungen auf alle Lebensbereiche in Israel haben werde.
Quelle: Strafvollzugsarchiv


Israel: Mordechaui Vanunu erneut in Haft

Der als "Atomspion" bekannte, 1986 wegen Hochverrats verurteilte Israeli Vanunu wurde Ende Dezember erneut verhaftet, weil er gegen das Kontaktverbot mit Ausländern verstoßen habe. Vanunu saß 18 Jahre in Haft, davon elfeinhalb Jahre in Einzelhaft, verurteilt, weil er einer britischen Zeitung Einzelheiten über das israelische Atomprogramm preisgegeben hatte. Obwohl er die Strafe bis zum letzten Tag verbüßt hat, wurde ihm bei der Freilassung zur Auflage gemacht, jeden Kontakt und jede Kommunikation mit Ausländern zu meiden, Israel nicht zu verlassen und sich ausschließlich in einem bestimmten ihm zugewiesenen Gebiet aufzuhalten. Sein jetziges "Verbrechen" besteht darin, gegen diese die Persönlichkeitsrechte verletzenden Regeln verstoßen zu haben.


Mexiko muss aufklären

Der Interamerikanische Gerichtshof hat Mexiko für schuldig am Verschwinden eines Menschenrechtlers vor 35 Jahren erklärt. In den 70er Jahren fand im Bundesstaat Guerrero ein sogenannter "schmutziger Krieg" statt, nachdem sich die ländliche Bevölkerung gegen die soziale Ungleichheit erhoben hatte. Im Zuge der staatlichen Repressionswelle und Militarisierung der Region "verschwanden" rund 1000 Menschen, höchstwahrscheinlich von Militärs ermordet. Die Tochter eines der Opfer kämpfte über 30 Jahre für Aufklärung und war jetzt vor dem Interamerikanischen Gerichtshof erfolgreich. Das Gericht sprach ihr 200.000 Dollar Schmerzensgeld zu und verfügte, dass Mexiko seine Strafgesetzgebung reformieren müsse, um Menschenrechtsverletzungen durch das Militär zukünftig vor zivilen Gerichten untersuchen zu lassen. Bisher ermittelte das Militär selbst, fast immer ohne Ergebnis. Das Innenministerium hat Kooperation zugesagt.
(Quelle: Deutsche Welle)


Argentinien: Geheimhaltung beendet

Endlich hat die argentinische Regierung durch einfachen Gesetzesakt die Geheimhaltung der Armeedokumente aus der Zeit der Militärdiktatur 1976-1983 beendet. Damit reagierte sie auf die Forderung des Bundesgerichts in La Plata nach Zugang zu den Informationen über ein geheimes Gefangenenlager in der Provinz Buenos Aires. Neben diesem Prozess finden derzeit weitere Prozesse zur Aufklärung der Staatsverbrechen statt. In der Zeit der Diktatur waren schätzungsweise 30.000 Menschen spurlos "verschwunden" bzw. nachweislich ermordet worden.

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REGIONALES UND GEWERKSCHAFTLICHES

AKTIONEN ... INITIATIVEN


BGH hebt Freispruch im Fall Jalloh auf

KARLSRUHE. Nach mehr als fünf Jahren hat der Bundesgerichtshof die Freisprüche des ehemaligen Dienstgruppenleiters des Polizeireviers Dessau sowie eines mitangeklagten Kollegen wegen fahrlässiger Tötung aufgehoben. Nach dem Oury Jalloh am 15. Januar 2005 von der Dessauer Polizei aufgegriffen wurde und auf einer feuerfesten Matratze auf dem Bauch liegend gefesselt wurde, verbrannte er noch am gleichen Nachmittag in der Zelle Nummer 5 des Dessauer Gefängnisses. Mit ihrem Urteilsspruch am 7. Januar 2010, fünf Jahre nach dem grausamen Tod des Asylbewerbers, kamen die Richter des BGH zu dem Schluss, dass das Verfahren noch einmal neu aufgerollt werden müsse, da das Urteil des Landgerichts Dessau "wesentliche Lücken in der Beweiswürdigung" aufweist. Nicht nur für die durch Mouctar Bah, einem Freund von Oury, welcher nach seinem Tod die "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" ins Leben gerufen hat und im Herbst 2009 durch die Liga der Menschenrechte mit der Carlvon-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet wurde und selbst Opfer polizeilicher Repressionen zu werden drohte. Auch weiteren von Polizeirepression Betroffenen gibt das Urteil der Richter wieder Mut - Mut für den Kampf gegen die anhaltenden Repressionen von Seiten der Staatsgewalt.   www.pm-buendnis.de


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Antifaschismus bleibt international! Kongress in Berlin

BERLIN. Am 9./10. Januar 2010 findet in Berlin der XV. Kongress der FIR (Internationale Föderation der Widerstandskämpfer) statt. Dr. Ulrich Schneider, Generalsekretär der FIR erklärt dazu u.a.: "Was man in Deutschland im Zusammenhang mit dem 20. Jahrestag des 9. November 1989 erleben konnte, das geschieht in verschiedenen europäischen Ländern - die Neudefinition von Geschichte. Es geht soweit, dass in Ungarn und Polen das Zeigen von Symbole, unter denen Partisanen und andere Antifaschisten für die Freiheit ihres Landes gekämpft haben, per Gesetz als "extremistisch" bestraft werden kann. Es findet auf unterschiedlichen Ebenen eine massive "Entsorgung der Geschichte" des Faschismus statt. Kollaborateure werden zu "Freiheitskämpfern" umgedeutet. Partisanen werden wegen ihres Kampfes angeklagt, geschichtliche Erinnerung und Gedenkorte massiv angegriffen.

Dass vor diesem Hintergrund Kriminelle mit rechtem Hintergrund sich kurz vor Weihnachten nicht scheuten, die Gedenkstätte Auschwitz zu schänden, macht deutlich, wie weit das gesellschaftliche Klima bereits vergiftet ist. Andererseits hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen erst vor wenigen Monaten eine Resolution mit überwältigender Mehrheit verabschiedet, die betont, dass der antifaschistische Kampf zum Welterbe der Menschheit gehört und keinerlei Relativierung oder gar Leugnung der faschistischen Vernichtungspolitik zugelassen werden darf. Wir sind als FIR gemeinsam mit unseren Mitgliedsverbänden in Europa und Israel also gefordert, hier deutliche Signale zu setzen. Zum zweiten hat die FIR eine Verpflichtung im Friedenskampf. Vor vielen Jahren zeichnete die UNO uns als "Botschafter des Friedens" aus. Wir sehen darin eine bleibende Aufgabe, uns für nichtmilitärische Konfliktlösungen in Afghanistan, im Irak und natürlich auch im Nahen Osten einzusetzen. Wir sind in diesem Punkt eng verbunden mit unseren Partnerverbänden in Israel, die bei diesem Kongress auch vertreten sein werden."   www.fir.at/index.de.php


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50.000 Unterschriften für Petition Finanztransaktionssteuer!

BERLIN. Mehr als 50.000 Bürgerinnen und Bürger haben innerhalb von drei Wochen die Online-Petition zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer unterzeichnet - online, per Fax oder per Brief. Damit hat die Petition des Bündnisses "Steuer gegen Armut" das erforderliche Quorum für eine öffentliche Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestages erreicht. "Eine Finanztransaktionssteuer wird die Profitabilität kurzfristiger Spekulation mindern und so die Instabilität von Wechselkursen, Rohstoffpreisen und Aktienkursen dämpfen. Gleichzeitig wird eine solche Steuer erhebliche Erträge bringen, die unter anderem für die Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen dringend benötigt werden", erklärte der renommierte Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister vom österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO).

Die Kampagne "Steuer gegen Armut", die sich für eine Finanztransaktionssteuer zur Förderung von Entwicklung und Bekämpfung von Armut einsetzt, findet immer breitere gesellschaftliche Unterstützung. Der Offene Brief der Kampagne an die Bundesregierung vom 17. Oktober 2009, der als Grundlage des Kampagnenbündnisses dient, wird inzwischen von 48 namhaften Organisationen und 24 Einzelpersonen unterstützt. Neu hinzugekommen seit dem Start der Petition sind unter anderem die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung, der Bund Umwelt und Naturschutz BUND, das Ökosoziale Forum sowie Bundestagsabgeordnete der Grünen, der Linkspartei und der SPD. Zeitgleich wächst in der FDP der Widerstand. So will Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel laut Spiegel-Online vom 5.12.2009 die Einführung der Steuer gegen den Rat seiner eigenen Mitarbeiter verhindern und sogar die von seiner Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul eingeleitete Mitarbeit in einer internationalen Arbeitsgruppe zum Thema beenden. "Es wird immer klarer, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel im Wahlkampf nur für die Finanztransaktionsteuer ausgesprochen hat, weil sie das Thema nicht dem damaligen SPD-Finanzminister Peer Steinbrück überlassen wollte", sagte Detlev von Larcher vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac. Aus der CDU erhält die Petition denn auch kaum Unterstützung.   www.steuer-gegen-armut.org


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Bildungsstreik: Internationales Vernetzungstreffen vom 15.1. bis 17.1.2010

BERLIN. Aufgrund der internationalen Studentenproteste findet in der Humboldt Universität zu Berlin vom 15.1. bis 17.1.2010 das erste offizielle internationale Vernetzungstreffen statt. Europaweit sind zur Zeit über 280 Universitäten besetzt und haben Forderungen, welche für eine vernünftige Bildung dringend erforderlich sind, gegenüber den jeweiligen Verantwortlichen gestellt. Weltweit sind es mehr als 580 Universitäten, die sich an den Protestaktionen beteiligen. Die meisten von ihnen sind ebenfalls besetzt. In Deutschland, dem direkten Nachbarland von Österreich (wo die Protestaktionen ihren Ursprung haben), sind über 70 Universitäten besetzt, über 20 weitere waren besetzt und wurden von der Staatsgewalt mit Gewalt geräumt. Sie sind weiterhin alternativ aktiv. Aufgrund der stetig zunehmenden Beteiligung Studierender und mittlerweile auch sehr vieler Nichtstudierenden, sieht sich der Bildungsstreik als bestätigt und erforderlich. Bis auf weiteres werden die Studierenden die Universitäten besetzt halten. Die Dauer der Besetzung hängt von allen beteiligten Studierenden, genauso wie von den verantwortlichen Instanzen, wie Präsidium, Rektorat und Politikern ab. Informationen unter: http://unserehu.de


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Wohnungslose auf der Straße erfroren - BAG fordert Hilfe

BIELEFELD. Um den 21. Dezember 2009 sind mindestens vier wohnungslose Männer in Deutschland erfroren. Sie erfroren im Freien, unter Brücken, in Hauseingängen und in scheinbar sicheren Gartenlauben, Abrisshäusern und sonstigen Unterständen.

"Leider müssen wir davon ausgehen, dass noch weitere Wohnungslose die kalten Tage nicht überlebt haben, denn der BAG W werden auch nur die Fälle bekannt, über die in der Lokalpresse berichtet wird", erklärte Dr. Thomas Specht, Geschäftsführer der BAG Wohnungslosenhilfe in Bielefeld. Während in vielen Großstädten inzwischen bedarfsgerechtere Hilfeangebote vorgehalten werden und durch Kältebusse die Versorgung im Rahmen der Winternotprogramme besser geworden ist, ist das Hilfeangebot im ländlichen Raum, in Klein- und Mittelstädten immer noch unzureichend. Oft wird überhaupt kein Hilfeangebot vorgehalten oder der Aufenthalt im Obdachlosenasyl wird rechtswidrig befristet. Viele Einrichtungen stellen ein Angebot zur Verfügung, das von den Betroffenen nicht angenommen wird.

Seit Jahren appelliert die BAG deshalb an die Kommunen, von menschenunwürdig ausgestatteten Asylen Abstand zu nehmen. Stattdessen sollten dezentrale Unterbringungsmöglichkeiten für jeweils nur eine kleinere Zahl von Wohnungslosen geschaffen werden. Wichtig ist, dass die Betroffenen ggf. als Gruppe untergebracht werden können, dass sie auch ihre Hunde mitbringen können, dass sie keine Angst vor Diebstahl und Gewalt haben brauchen. Benötigt werden Unterkünfte mit Einzelzimmern, die ein Mindestmaß an Privatheit garantieren, in denen sich die Betroffenen auch tagsüber aufhalten können und die ggf. auch noch nachts aufgesucht werden können. Es muss ein Bleiberecht geben, d.h. Schluss sein mit der rechtswidrigen Befristung des Aufenthaltes auf einen oder wenige Tage pro Monat. Die Stadtverwaltungen sollten telefonische Notrufe einrichten und die BürgerInnen dazu auffordern, diesem Notruf sofort zu melden, wenn sie einen Wohnungslosen sehen, der in Gefahr ist, Opfer der Kälte zu werden.

Darüber hinaus sind in diesen Tagen notwendig:

- Keine Vertreibung wohnungsloser Menschen aus Einkaufspassagen, U- und S- Bahnhöfen
- Zulassen des Aufenthalts wohnungsloser Menschen in Bahnhöfen der DB.
www.bag-wohnungslosenhilfe.de


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"Strahlende Exporte? - Nicht mit uns!"

SASSENBERG. Siemens hat den ersten Antrag auf eine Hermes-Deckung für Atomexporte gestellt. Es geht um das in Brasilien geplante Atomkraftwerk Angra 3, das in einem Erdbebengebiet im Bundesstaat Rio de Janeiro gebaut werden soll. Siemens hat hierfür eine Hermesbürgschaft in Höhe von 1,4 Milliarden Euro beantragt. Die Organisation "urgewald", die gegen negative Auswirkungen deutscher Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik vorgeht, startet eine Aktion: "Strahlende Exporte? - Nicht mit uns!" und ruft zum Mitmachen auf.

Sicherlich will Siemens mit diesem Antrag auch die neue Bundesregierung unter Druck setzen, möglichst schnell die seit 2001 gültigen Hermes-Umweltleitlinien außer Kraft zu setzen. Diese schließen nämlich Atomexporte von der Bürgschaftsvergabe aus.

Im Rahmen der Kampagne "Strahlende Exporte - Nicht mit uns!" werden bundesweit Mitstreiter und Mitstreiterinnen gesucht, die bereit sind sich als "Hobby-Lobbyisten" zu betätigen und den örtlichen Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU/FDP einen Besuch abstatten. Denn die Abgeordneten müssen spüren, wie sensibel das Thema Hermesbürgschaften für Atomexporte ist und dass Steuerzahler aus ihrem Wahlkreis keine Lust haben, die gefährlichen Geschäfte von Siemens und Co. abzusichern.   www.urgewald.de


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Attac-Aktionen im Jahr 2010

BERLIN. Mit einer Aktion vor dem Brandenburger Tor in Berlin hat Attac das neue Jahr eingeläutet. Als Politiker und Wirtschaftsführer verkleidet, warfen Attac-Aktive ihre unbekömmlichen Zutaten in die gemeinsame Krisensuppe, die in einem überdimensionalen Suppenkessel zusammengebraut wurde: Steuernachlässe für Wohlhabende, Sozialkürzungen, Geschenke an Banken, Klimalügen und Welthandel brutal. Attac kündigte für 2010 unter anderem ein großes Bankentribunal an. Vom 9. bis 11. April werden sie an der Berliner Volksbühne Vertreter der Bankenbranche, Politiker, Aufsichtsbehörden sowie Rating-Agenturen und Wirtschaftsprüfer anklagen. Ziel des Verfahrens ist es, die Finanzkrise und Bankenrettung kritisch zu durchleuchten und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. In Vorbereitung ist eine dezentrale Kampagne gegen Public Private Partnerships (PPP). Mit aggressivem Lobbying umwerben Investoren und Berater vor allem Kommunalpolitiker und überreden sie, noch mehr Tafelsilber zu verscherbeln - mit verheerenden Folgen für viele Gemeinden, die so in die Schuldenfalle getrieben werden. Unterstützt werden die Privatisierer von der Bundesregierung. So hat die vom Finanzministerium 2008 gegründete "Partnerschaften Deutschland Gesellschaft" (PDG) den Auftrag, den PPP-Anteil an den Investitionen der öffentlichen Hand bundesweit um 15 Prozent steigern. Ebenfalls geplant ist eine Attac-Kampagne für Betriebsübernahmen durch Belegschaften. Anders als etwa in Italien sind bei uns Übernahmen von Unternehmen durch Mitarbeiter kaum Thema. Stattdessen dreht sich bei Insolvenzen alles um die Frage, welcher Investor einsteigen könnte. Das will Attac ändern.   www.attac-netzwerk.de

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Stadthaushalt nach hartem Ringen verabschiedet - große Risiken lauern noch

STUTTGART. Am 18. Dezember verabschiedete der Stuttgarter Gemeinderat den Doppelhaushalt 2010/2011. Die Haushaltsberatungen waren spannend wie ein Krimi. Drei Faktoren trugen dazu bei:

Erstens: Nach fetten Jahren ist die wirtschaftliche Lage der Stadt schlecht: Ursachen sind u.a. der Einbruch der Gewerbesteuer um ca. 630 Mio. Euro, die Ausfälle durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz der schwarzgelben Koalition (vom OB zu Recht als Schuldenbeschleunigungsgesetz für die Städte bezeichnet), selbst gemachte Probleme durch jahrelanges Verrottenlassen der Schulen, jahrelange Unterfinanzierung des Klinikums einschließlich der Kinderklinik "Olgäle" und Verbrauch aller frei verfügbaren Rücklagen.

Zum zweiten gibt es seit den Kommunalwahlen letzten Juni eine "neue" Mehrheit, von der Presse auch als "alternative" oder als "ökologisch-soziale" bezeichnet. Vorher hatte die CDU mit den Freien Wählern und der FDP eine sichere Mehrheit oder von Fall zu Fall auch mal mit der SPD oder mit den Grünen. Jetzt sind die Grünen die stärkste Fraktion und haben mit der SPD und SÖS und Linke 31 von 61 Stimmen (60 plus OB), wahlweise auch mit der CDU - aber die ist jetzt ziemlich von der Rolle und bockig.

Die Verwaltungsspitze ist mit CDU-OB und CDU-Stadtkämmerer nach wie vor CDU-dominiert, und das wirkte sich in der Haushaltsdiskussion aus.

Der OB und der Kämmerer schlugen ein Haushaltssicherungskonzept mit dem Rasenmäher vor: Zehn Prozent weniger quer über die ganze Stadtverwaltung und Einstellungsstopp vor. Sie beantragten die Erhöhung der Grundsteuer von 400 auf 470 Hebesatzpunkte und die Aufnahme von bis zu 500 Mio. Euro Krediten bzw. Schulden. Die dann immer noch bleibende Lücke sollte der Gemeinderat mit direkten Kürzungsvorschlägen decken.

Gegen diese Sparvorschläge entwickelte sich eine heftige Protestbewegung in der Stadt. Hunderte von Eltern forderten per Mail an alle Stadträte die Sanierung der Schulen. Die Elternvertretungen der Kitas organisierten mehrere große Demonstrationen. Die Kulturschaffenden schrieben massenhaft offene Briefe und führten eine "Art Parade" kurz vor der Abschlussberatung durch. Die Mitglieder des Gemeinderats gelangten nur durch lautstarke Protestspaliere von städtischen Beschäftigten, Eltern, Lehrern, Schülerinnen, Kita-Kindern und Künstlern.

Trotzdem konnte sich keine Fraktion im Stadtrat dem Sparzwang entziehen. Die Vorschläge und Schwerpunkte waren allerdings sehr verschieden. Die Bürgerlichen wollten gar keine Grundsteuererhöhung, sondern nur wegsparen. Die SPD schlug 500 Hebesatzpunkte vor, die Grünen 520. SÖS und Linke wollten der Verwaltung bei 470 Punkten folgen, beantragten außerdem aber eine Gewerbesteuererhöhung von 420 auf 450 Punkte, weil sich an der Bewältigung der Krise alle in der Stadt nach ihrem Vermögen beteiligen sollten. Mit 450 Punkten wäre die Stadt Stuttgart bei der Gewerbesteuer, bisher am Ende der Tabelle, zukünftig im Mittelfeld der Großstädte. München erhebt z.B. 540 Punkte. In der großen Krise der 90er-Jahre hat CDU-OB Rommel 445 Punkte durchgesetzt. 2009 erklärten die Bürgerlichen jede Erhöhung der Gewerbesteuer als Teufelszeug. Die Grünen drückten sich, weil sie das negative Medienecho fürchteten. Die SPD war gespalten (ihre Kreismitgliederversammlung war dafür, die Mehrheit der Fraktion jedoch dagegen).

SÖS und Linke waren angetreten mit dem Ziel: Erhalt der städtischen Daseinsvorsorge und - wo krisenbedingt nötig oder für die Zukunftssicherung erforderlich - sogar einen Ausbau. Daher beantragten sie: Keine Kürzungen im sozialen, Jugend-, Gesundheits-, Bildungs- und Kulturbereich. Dazu kamen Anträge im Umweltbereich. Eingespart werden sollte durch Wegfall von Bauprojekten, die nicht zwingend erforderlich sind (S21, Mobilitätserlebniszentrum, Rosensteintunnel, Kulturmeile, Mobilitätserlebniszentrum etc.) oder durch Verschieben des Baubeginns z.B. der neuen Rathausgarage.


Was ist herausgekommen?

Für Jugend, Gesundheit, Soziales nicht weniger, sondern mehr: Alle Fraktionen halten sich zugute, dass nun trotz Krise und Sparzwang die Kinderbetreuung weiter stark ausgebaut wird. Die Sanierung der Schulen ist mit 450 Mio. in den nächsten fünf Jahren angesetzt. Im Sozial-, Jugend- und Gesundheitsbereich verhinderten Grüne, SPD, SÖS und Linke, dass durch externe Gutachten die zehnprozentige Kürzung irgendwie noch rausgequetscht wird. Im Gegenteil: Für den Kinderschutz, den Sozialbereich, die Frauenhäuser und die Fürsorgeunterkünfte gibt es mehr Stellen, wenn auch nicht so viele, wie es den gestiegenen Fallzahlen entsprechen würde. Das "Ranzengeld", ursprünglich als einmalige Leistung zur Einschulung für alle Bonuscard(*)-Kinder beschlossen, wird jetzt - nachdem die Kinder aus Alg-2-Haushalten vom Bund 100 Euro pro Schuljahr erhalten - an die anderen Kinder mit Bonuscard in "Schwellenhaushalten" in Höhe von 50 Euro gezahlt. (SÖS und Linke hatte 100 Euro beantragt.) Nachdem ihr Antrag: Keine Kürzung bei der Kultur abgelehnt war, stimmten SÖS und Linke dem Kompromiss zu, statt zehn nur fünf Prozent zu kürzen. Das Kinderhospital "Olgäle" erhält einen Zuschuss von 5 Mio., damit die Kinderambulanz aufrechterhalten werden kann.

Bittere Pillen mussten SÖS und Linke schlucken bei den Kita-und-Hort-Gebühren. Sie haben als einzige gegen die Erhöhung gestimmt. Ebenso ging es bei der Verteuerung des School-Abos für den ÖPNV. Die Erhöhung des Zuschusses zum ÖPNV für Bonuscard-Inhaber wurde abgelehnt, ebenso die beantragten Sozialarbeitern für jede Schule. Keinen Erfolg hatte auch alle Anträge, die auf die Entwicklung von Konzepten für längerfristige Strukturverbesserungen zielten, so das Thema kostenlose Kitas und Horte, ein besseres Flüchtlingskonzept, Beteiligungshaushalt, Stelle zur Bekämpfung des Rechtsextremismus, Sicherstellung von kostenlosem Mittagessen an allen Schulen, Ersetzen der notdürftigen Verlässlichen bzw. flexiblen Grundschule durch Horte an den Schulen mit den Qualitätsstandards der Jugendhilfe. Nicht besonders erfolgreich waren auch die SÖS-Linke-Anträge im ökologischen Bereich. Abgelehnt wurden die Anträge für eine Langfriststudie CO2-freie Stadt, für ein Solarkataster, für ein stadtinternes Contracting, für zusätzliche Stellen für den Klimaschutz und beim Umweltamt. Die Erhöhung der Parkgebühren wurde mitgetragen, weil dies ein Instrument ist, um den Umstieg v.a. von Pendlern vom Auto auf den ÖNPV attraktiver zu machen.

Sichtbar wird: Die neue Fraktion SÖS und Linke kann erfolgreich Einfluss nehmen auf konkrete Entscheidungen. Aber keine Fraktion kann ihre Anträge alle und gar ungekürzt durchsetzen, so auch nicht die kleinste.

Entscheidend waren am Ende der Haushaltsberatungen zwei Fragen: Stimmen SÖS und Linke der Grundsteuererhöhung auf 520 Punkte zu, obwohl sich für ihren Antrag auf Gewerbesteuererhöhung keine einzige Hand hob? Und: Stimmen SÖS und Linke überhaupt dem Gesamthaushalt zu, obwohl mit der Ablehnung der Gewerbesteuererhöhung gerade die nichts beitragen müssen, die die Krise verursacht haben?


Verantwortung fürs Ganze

Mit diesen Fragen entschied sich, ob der Gemeinderat überhaupt einen bzw. ob er einen genehmigungsfähigen Haushalt zustande bringt. Gar kein Haushaltsbeschluss bzw. im neuen Jahr alles noch mal neu zu beraten hätte bedeutet, dass die Stadt monatelang nicht handlungsfähig wäre, im Wesentlichen nur Gehälter und Mieten zahlen und bereits bestehende Verträge erfüllen dürfte - mit ungewissem Ausgang, was den Haushalt betrifft. Ein nicht genehmigungsfähiger Haushalt bedeutet, dass dann das Regierungspräsidiums vorschreibt, im welchem Bereich wie viel eingespart werden muss, und zwar zuerst alle freiwilligen Ausgaben, dann alle Möglichkeiten zur Einnahmeerhöhung durch Gebührenerhöhungen und Verkäufe ausschöpfen und schließlich Herunterfahren aller Pflichtaufgaben auf das Minimum. Was das im Sozial-, Jugend-, Gesundheits-, Bildungs- und Kulturbereich bedeuten würde, kann man sich leicht ausmalen. Bei den Mehrheitsverhältnissen im Stadtrat hätte das Fehlen einer Stimme oder eine Enthaltung also weitreichende Folgen. Damit wäre auch dokumentiert worden, dass die "neue" oder "ökologisch-soziale" oder wie sonst immer genannte Mehrheit nicht die Kraft hat, die Stadtpolitik zu gestalten.

Es hatte sich in der Beratung abgezeichnet, dass vor allem die CDU ihre Wahlniederlage noch bei Weitem nicht verkraftet hat und auf Destruktion setzt. Ganz am Ende legte der CDU-Kämmerer Föll eine Liste von noch nötigen Einsparungen von 2,5 Millionen Euro vor, ohne die die Genehmigungsfähigkeit nicht hergestellt werden könnte. Diese Föll-Liste enthielt nur Punkte, die die "neue" Mehrheit gegen den Willen der Bürgerlichen beschlossen hatte. Auf Initiative der Grünen gab es eine modifizierte Liste, die das nötige Sparvolumen sicherte. Erneut mussten dafür Kompromisse gemacht werden. In der Abstimmung der einzelnen Punkte manifestierte sich dann ein Lagerkampf Bürgerliche gegen neue Mehrheit, die Verweigerung der Bürgerlichen gegen einen Haushalt, der nicht ihre Handschrift trägt. CDU/FDP/Freie Wähler und der REP begründeten in der Endabstimmung ihre Ablehnung mit der Grundsteuererhöhung. Dass dann der OB gegen seine Partei und das bürgerliche Lager dem Haushalt zustimmte, war überraschend.

Wo liegen die Risiken?

Mit dem Beschluss des Haushalts sind nicht alle Risiken eingedämmt. Erstens drohen weitere Verschlechterungen aus Berlin. Die geplante Steuersenkung aus Berlin belastet die Kommunen. Auch deren Krankenkassenvorschläge können zu Mehrausgaben im Sozialbereich führen. Für 2010 hat der Kämmerer einen Bundeszuschuss zu den Kosten der Unterkunft von 27 Prozent eingerechnet, das entspricht der Gesetzeslage. Aber für 2011 hat er 34 Prozent gerechnet, das könnte eine waghalsige Annahme sein. Zweites Risiko ist die Arbeitslosigkeit, sie ist in der Region doppelt so stark gestiegen wie bundesweit. Wenn im Maschinenbau und bei den Automobilzulieferern weitere Arbeitsplätze verloren gehen, erhöhen sich die Sozialkosten der Stadt. Drittens: Bereits jetzt stehen kritische Posten im beschlossenen Haushalt. So kann bei den geplanten Grundstücksverkäufen niemand garantieren, dass und zu welchem Preis ein Grundstück weggeht. Auch hier spielt die Wirtschaftslage eine Rolle. Zudem steht im Haushaltssicherungskonzept eine "globale Minderausgabe" von 1,5 Mio. Euro und im Haushalt für 2011 von 4,5 Millionen Euro. Das sind 120 bis 150 Personalstellen. Bei der Kultur soll 2011 nochmal eine knappe halbe Million eingespart werden - von den Kulturschaffenden selbst.

Es ist zu vermuten, dass der Gemeinderat spätestens 2011 wieder über die Gewerbesteuererhöhung diskutieren muss.

Ulrike Küstler

(*) Die Bonuscard ist eine Art Sozialpass für Hartz-IV-Berechtigte und sog. Schwellenhaushalte mit einem Einkommen von ca. 12 Prozent über dem Regelsatz.

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SGB II soll kommunale Aufgabe werden

STUTTGART. In einem gemeinsamen Antrag vom 7.12.2009 fordern die Fraktionen der Grünen, der SPD sowie SÖS und Linke im Stuttgarter Gemeinderat:

"1. Die Landeshauptstadt Stuttgart lehnt die geplante getrennte Aufgabenwahrnehmung zur SGB-II-Umsetzung ab und fordert den Städtetag und die Landesregierung auf, sich eindeutig für die Erweiterung der Optionsmöglichkeit einzusetzen.

2. Sie erklärt bereits jetzt ihre Absicht, die Möglichkeit der Option zu nutzen, sofern dies auf der Grundlage der bisherigen Regelungen möglich ist, und beantragt bereits jetzt vorsorglich die Zulassung als Optionskommune beim Land."

Dieser Antrag hat zu Kritik aus den Reihen von Verdi geführt. Die Arbeitslosenberaterin für den Ortsverein Stuttgart, Christa Cheval-Saur, hat mitgeteilt, dass sie dieses Ziel für äußerst problematisch hält, weil "Erwerbslose bei einer kommunalen Anbindungen stark auf die Interessen der kirchlichen/städtischen Träger orientiert werden. Hier entstände ein dritter Arbeitsmarkt. Besser wäre, sie an die Arbeitsagenturen anzubinden".

Der örtliche Personalrat des JobCenters bei der Stadt Stuttgart teilt dagegen mit: "Wir haben nun einige große Städte zusammen gebracht und kämpfen nun zusammen für eine Öffnung der Option für die großen Kommunen. Wir möchten den Gemeinderat über unsere Aktivitäten ... informieren und sie auffordern, das Gleiche wie Frankfurt, Mannheim, Hamburg, Nürnberg zu unternehmen."

Mitte Dezember hat die SPD im Bundestag einen Gesetzentwurf vorgelegt, zu dem es heißt: "Die Grundsicherung für Arbeitssuchende in den Arbeitsgemeinschaften hat sich bewährt. Sie bietet beiden zuständigen Trägern die Möglichkeit, ihre Kompetenzen bei der Durchführung der Aufgabe einzubringen. Die Zusammenarbeit gewährleistet die Betreuung und Leistungserbringung aus einer Hand und soll daher fortgeführt werden. Mit dem Gesetzentwurf werden die verfassungsrechtlichen Grundlagen dafür geschaffen, dass die Zusammenarbeit über 2010 hinaus fortgeführt werden kann." Die Grünen haben gleichzeitig einen ähnlichen Antrag eingebracht mit dem Ziel, zum Erhalt des Prinzips der Leistung aus einer Hand im SGB II die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Fortführung der Arbeitsgemeinschaften aus den Agenturen für Arbeit und den Kommunen über 2010 hinaus dauerhaft zu ermöglichen. Die "Experimentierklausel" für die Einrichtung von Optionskommunen soll ausgeweitet werden.

Ulrike Küstler

Raute

KOMMUNALE POLITIK

Bürgerhaushalt: SPD lernt von der Linken. FRANKFURT a.M. "Wenn die SPD von der Linken noch lernen kann, gibt es noch Hoffnung", kommentiert Carmen Thiele, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Römer, den Anlauf der SPD für einen Bürgerhaushalt in Frankfurt. "Dass sich die Bürger mit Ideen, die auch umgesetzt werden und nicht nur als Alibi für Bürgerbeteiligung herhalten müssen, in den Haushalt der Stadt einbringen, hat die linke Bürgermeisterin Christina Emmrich in Berlin Lichtenberg bereits über Jahre erfolgreich praktiziert. Genau dort hin fährt die SPD jetzt, um sich über den Bürgerhaushalt in der Praxis belehren zu lassen." Es ist erstaunlich, wie die SPD seit der Bundestagwahl wieder linke, soziale Themen für sich entdeckt, die viele Jahre lang offensichtlich für sie keine Rolle gespielt haben. Auch Frankfurt würde davon profitieren, wenn man Bürger bei der Planung für die Zukunft ihrer Stadt viel stärker einbeziehen würde.
www.linke-frankfurt.de


Geld für Niederflurbahnen statt für Tunnel ausgeben! HANNOVER. "Die immensen Ausgaben für eine mögliche Tunnellösung sollte man lieber in die Anschaffung von behindertengerechten Niederflurbahnen investieren." Das betont der linke Ratsherr Oliver Förste in Reaktion auf ein von der üstra in Auftrag gegebenes Gutachten für die zukünftige D-Linie. Der Kommunalpolitiker bezeichnete die betreffende Studie als Gefälligkeitsgutachten und kritisierte, dass der unterstützenswerte Vorschlag der CDU, eine mögliche Niederflurstrecke bis in die Südstadt zu führen, scheinbar keinerlei Berücksichtigung gefunden habe. Vor dem Hintergrund dieser Studie stelle sich die Frage, ob andere Städte, die sowohl Hoch- wie Niederflurbahnen betreiben, das Geld zum Fenster rausschmissen, so Förste weiter. Die Linke setzt sich gerade auch bei der Verkehrsplanung für mehr Bürgerbeteiligung ein und warnt davor, vor der Kommunalwahl 2011 im Schnellverfahren Fakten zu schaffen.
www.linksfraktion-hannover.de


Kein städtischer Empfang für die Teilnehmer der NATO-Sicherheitskonferenz: MÜNCHEN. Antrag der Linken Stadtratsfraktion: Der Stadtrat lehnt es ab, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der "Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik" durch einen städtische Empfang zu ehren. Begründung: Große Teile der Münchner Bevölkerung lehnen sowohl den Afghanistan Einsatz der Bundeswehr als auch die jährlich statt findende "Münchner Sicherheitskonferenz" ab (siehe auch Seite 18 PB). Bei der "Sicherheitskonferenz" 2010 werden große Teile der Münchner Bevölkerung gemeinsam mit Kriegsgegnern aus ganz Deutschland und anderen Teilen Europas auf die Straße gehen und ihren Protest zum Ausdruck bringen. Bereits im Juni fanden in München, zwei von FriedensaktivistInnen organisierte Protestaktionen gegen die Beteiligung der Bundeswehr an dem NATO Einsatz in Afghanistan, vor der CSU Zentrale und dem Parteitag der SPD statt. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz werden militärische Strategien entwickelt, die in völkerrechtswidrige Militäreinsätze münden, sei es im ehemaligen Jugoslawien, dem Irak oder zunehmend in Afghanistan. (...) Alleine die Durchführung der "Sicherheitskonferenz" ist mit enormen finanziellen Ausgaben verbunden. Auch der ehrende Empfang am 5.2.2010 ist mit hohen Kosten verknüpft, die die Münchner Bevölkerung zu tragen hat, und das, obwohl die Durchführung der Sicherheitskonferenz und die Rolle der deutschen Truppen in Afghanistan sowie der gesamte Einsatz der Bundeswehr in Frage gestellt werden.

Orhan Akman Stadtrat der Linken.
www.dielinke-muenchen-stadtrat.de


Diegel macht Bochumer Rat zum Kasperletheater: BOCHUM. Seit Juni berät die Stadt Bochum, wie sie die von Regierungspräsident Diegel geforderten 100 Millionen Euro Einsparungen in ein Haushaltssicherungskonzept gießen kann. Dies forderte intensive Beratungen in den Ausschüssen und führte zu schmerzhaften Einschnitten in der öffentlichen Daseinsvorsorge in Bochum. Doch nun scheint dies alles hinfällig zu sein. Nach ersten Gerüchten über zunächst weitere 30 Millionen Euro, die gespart werden sollen, hat Regierungspräsident Diegel jetzt mindestens 40 Millionen Euro zusätzlich gefordert. Dazu erklärt der Fraktionsvorsitzende der Linken Uwe Vorberg: "Was der Regierungspräsident da mit den gewählten Vertreterinnen und Vertretern der Stadt Bochum macht, ist unwürdig. Wir sind doch kein Kasperletheater, das zur Belustigung von Herrn Diegel auftritt. Die ganzen vergangen Wochen und Monate sind aus demokratischem Blickwinkel eine Farce. Der Regierungspräsident hatte offensichtlich kein Interesse an einem genehmigten Haushaltssicherungskonzept in Bochum, denn schon vor einigen Tagen war Bochum in einer Karte unter den Städten ohne genehmigtes Haushaltssicherungskonzept verzeichnet. Weitere 40 Millionen Euro jährlich einzusparen, das ist sozial nicht zu verantworten. Die Linke wird sich an weiteren Sparvorhaben nicht mehr beteiligen. Zudem bin ich der Meinung, dass sich die Stadt nicht an einer Zukunftskommission beteiligen sollte, wenn diese mit der Einsparvorgabe von mindestens (!) 140 Millionen jährlich verknüpft ist. Ich weise noch einmal darauf hin, dass die Haushaltsmisere der Stadt Bochum zu einem ganz geringen Teil hausgemacht ist. Der Rat hat auf der letzten Ratssitzung mit einer breit getragenen Resolution darauf hingewiesen. Wenn die Bundesregierung jetzt Steuergeschenke an Unternehmen verteilt, wird das auch Bochum im nächsten Jahr in Millionenhöhe treffen. Hier sind die Kommunal- und LandespolitikerInnen von CDU und FDP gefragt, innerhalb ihrer Parteien dieses gewaltige zusätzliche Finanzloch der Kommunen zu verhindern."
www.dielinke-bochum.de


Norderstedter Appell kritisiert Repression gegen "Gaspreis-Rebellen": Werkleiter Jens Seedorff hatte Ende November insgesamt 72 sogenannte "Gaspreis-Rebellen" per Zahlungsaufforderung auffordern lassen, die teilweise von den Kunden einbehaltenen Entgelte nachzuzahlen, andernfalls wollten die Stadtwerke das Geld einklagen. Letzteres ist offenbar jetzt geschehen, denn mindestens zwei Stadtwerke-Kunden erhielten dieser Tage Mahnschreiben des Zentralen Mahngerichts in Schleswig. Am Dienstag trafen sich mehrere Betroffene im Restaurant Lindenhof und erarbeiteten eine vorläufige Strategie für den (juristischen) Umgang mit den Stadtwerken und die heißt vorerst: Ohne weitere Begründung Widerspruch gegen die Bescheide einlegen und abwarten. Unterstützt werden die "Rebellen" unter anderem von der Norderstedter Verbraucherzentrale, die das Vorgehen Seedorffs empört zurückweist. Der Stadtwerke-Chef habe sich, so Verbraucherschutz-Anwalt Arne Timmermann, "offenbar ein schlechtes Beispiel an E.on Hanse" genommen, der Energie-Riese hatte zuvor ebenfalls zahllose - juristisch recht aussichtslose - Mahnverfahren in Gang gesetzt. In dem Streit geht es darum, dass (u.a.) Energieversorger die sogenannte "Billigkeit" (nach natürlichem Empfinden gerecht) ihrer Preise nachweisen müssen und dafür unter anderem darzustellen haben, wie genau sich der Gaspreis zusammensetzt. Außerdem haben die Norderstedter Stadtwerke Preiserhöhungsklauseln in ihren Verträgen, die möglicherweise unwirksam sind. Im Norderstedter Appell vernetzen sich die "Rebellen" nun erneut und kritisieren unter anderem die hohen Gewinne der Gaspreis-Sparte des städtischen Eigenbetriebs.
www.infoarchiv-norderstedt.org


Dienst am Patienten: STUTTGART. Medizinische Versorgung für alle auf hohem Niveau ist ein Kern öffentlicher Daseinsvorsorge. Dafür stehen die städtischen Krankenhäuser. Das wird oft erst dann bewusst, wenn man sie braucht. Alle Parteien haben dies ebenso betont wie die Verwaltungsspitze. Doch mit Haushaltssperre und Sparprogramm schwindet die Einsicht, dass gute medizinische Versorgung nur gewährleistet ist, wenn der Gemeinderat die notwendigen Mittel für Investitionen im Katharinen- und Bürgerhospital, Klinik Cannstatt und Olgäle beschließt. Das fordern SÖS und Linke. Werden die Kliniken weiterhin gezwungen, dafür Kredite aufzunehmen, wird Zins, Tilgung und Abschreibung aus dem Klinik-Personal herausgequetscht. Gute Medizin und Patienten drohen auf der Strecke zu bleiben!
www.domino1.stuttgart.de/grat/soesundlinke.nsf


Für Kulturhauptstädter reichen sechs Tage zum Einkauf: ESSEN. Für alles andere als gelungen hält Die Linke. Essen den Werbespruch, mit dem die Essener Marketinggesellschaft (EMG) und der Einzelhandel auf großen Plakaten für den verkaufsoffenen Sonntag am 10.1.2010 wirbt. Nicht nur die Verbindung, die der Spruch "Kulturhauptstädter shoppen sonntags" herstellt, ist absurd. Vielmehr wird geradezu der Eindruck erweckt, als sei Konsum eins der wesentlichen Kulturgüter der Region, für das sechs Tage pro Woche nicht reichen. Im zuständigen Ordnungsausschuss hat Die Linke. Essen den verkaufsoffenen Sonntag als einzige Partei abgelehnt. "Der Werbespruch bedient Klischees, die ins Abseits gehören", so Cornelia Swillus-Knöchel, Sprecherin des Kreisverbandes Die Linke. Essen und Mitglied im Ausschuss für Ordnung und Personal. "Die Region hat Theaterhäuser, Opern, soziokulturelle Zentren und vor allem viele Künstler, von denen das umfangreiche Programm zur Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres einige aufbietet. Und EMG und Einzelhandel fällt nichts anderes ein, als noch einen verkaufsoffenen Sonntag einzuführen. Kreativ ist etwas anderes! Die Interessen der Verkäuferinnen und Verkäufer werden völlig ignoriert, jetzt müssen sie nach dem anstrengenden Weihnachtsgeschäft auch noch am Sonntag arbeiten. Von den Veranstaltungen zur Eröffnung der Kulturhauptstadt und des Ruhrmuseums werden sie so ausgeschlossen." Die Linke.Essen hält es nach wie vor für wichtig, die Kleinkunstszene und die soziokulturellen Zentren der Region stärker am Programm zu beteiligen, als offiziell geplant. Nur so kann Nachhaltigkeit gesichert werden. Sie bedauert, dass die Ruhr2010 GmbH als Veranstalter trotz mehrerer Vorstöße der Fraktion Die Linke im Regionalverband Ruhr (RVR) keinen Vorstoß gemacht hat für ruhrgebietsweite Ermäßigungen für Hartz-IV-Bezieher/innen und andere Niedrigverdiener. Viele Kulturschaffende selbst gehören zu den Niedrigverdienern.
www.dielinke-essen.de


Die Einführung eines Mobilitätstickets abgelehnt: KIEL. Im Antrag von Die Linke heißt es: "Die Stadt Kiel führt ein Mobilitätsticket für den öffentlichen Nahverkehr innerhalb der Landeshauptstadt Kiel ein. Der Preis dieses Tickets entspricht der Höhe des für Mobilität vorgesehenen Anteils im ALG-II. Nutzungsberechtigt sind BezieherInnen von Transferleistungen nach SGB II oder SGB XII, BezieherInnen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, von wirtschaftlicher Jugendhilfe nach SGB VIII, WohngeldempfängerInnen und BezieherInnen von Kindergeldzuschlag." Für das Mobiltätsticket hatte die Linke in kurzer Zeit 1.200 Unterschriften gesammelt, die auf der Ratsversammlung am 10.12.2009 an die Stadtpräsidentin übergeben wurden. Die SPD-Fraktion sorgte dann für die Zurückstellung des Antrages, weil nähere Berechnungen der Verwaltung nötig seien. Von der KVG war zu vernehmen, das Ticket könne möglicherweise ein Defizit von neun Mio. verursachen, wenn die Kosten statt von der Bundesagentur für Arbeit von der Stadt getragen werden müssten. Das stellte sich aber als "heiße Luft" heraus, denn die Bundesagentur kann bis zu 4% des Hartz IV-Satzes übernehmen, so dass die Kosten für die Stadt überschaubar wären. Städte wie Dortmund oder Köln, die bereits ein Mobilitätsticket z. B. für 25 Euro anbieten, unterstützen dies mit 1 bis 1,5 Mio. Euro. Das Mobilitätsticket ist seit Längerem eine Forderung von Verdi Kiel/Plön und der Verdi-Erwerbslosengruppe und sollte für alle Bedürftigen, wie z. B. auch für SeniorInnen angeboten werden. Es war ein richtiger Schritt, die KVG zu rekommunalisieren, aber es müssen Fahrpreissenkungen folgen, um den öffentlichen Nahverkehr für alle erschwinglich und attraktiv zu machen.
www.sozialismus-jetzt.de


Kommunen droht der Kollaps: BERLIN. Die deutschen Kommunen können sich nach Einschätzung des Deutschen Städtetags ohne Hilfe von Bund und Ländern nicht aus ihrer gewaltigen finanziellen Schieflage befreien. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur DAPD nannte Hauptgeschäftsführer Stephan Articus die Haushaltsmisere der Städte "beispiellos in der Nachkriegsgeschichte". Massiv sinkende Einnahmen auf der einen und ständig steigende Sozialausgaben auf der anderen Seite drohten viele Kommunen handlungsunfähig zu machen. Als Konsequenz forderte Articus eine Senkung der Gewerbesteuerumlage an Bund und Länder. Grund für die Finanzmisere sind nach Erkenntnis des kommunalen Spitzenverbands vor allem die anhaltende Wirtschaftskrise, die immer wieder erfolgte Übertragung von zusätzlichen Aufgaben auf die Kommunen und hohe Altdefizite. In dieser Situation ist die den Städten auferlegte Pflicht zum Ausbau der Kinderbetreuung schwer zu bewältigen. Nach Angaben von Articus haben die Städte bereits gewaltige Anstrengungen unternommen, um mehr Krippenplätze zu schaffen. Der Versorgungsgrad sei in mehreren westdeutschen Städten auf deutlich über 20 Prozent der Kinder unter drei Jahre erhöht worden. Um den bis 2013 verlangten Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung zu erfüllen, sei der Bedarf aber vielerorts größer als die bisher von Bund und Ländern geplanten Plätze für 35 Prozent der Kinder dieser Altersstufe. Um etwa eine Betreuungsquote wie in den östlichen Bundesländern zu erreichen, würden weitere rund 510.000 Krippen- oder Kitaplätze erforderlich. Diesen gewaltigen Ausbaubedarf könnten die Kommunen trotz aller Anstrengungen ohne weitere Finanzhilfen nicht bewältigen. Articus sieht hier vor allem die Länder in der Pflicht, nach dem sogenannten Konnexitätsprinzip den Kommunen die zusätzlichen Kosten für die ihnen übertragene Aufgabe zu erstatten. Alle Länder weigerten sich jedoch bisher, dieses Prinzip "Wer bestellt, bezahlt" anzuerkennen. Im zu Ende gehenden Jahr sinken die Steuereinnahmen der Kommunen laut Articus voraussichtlich um mehr als sieben Milliarden Euro. Der Löwenanteil des Rückgangs entfällt auf die Gewerbesteuer als Haupteinnahmequelle der Städte und Gemeinden. Hatten diese 2008 noch schwarze Zahlen geschrieben, befürchten sie für 2009 einen Absturz ihres Finanzierungssaldos um deutlich mehr als 10 Milliarden Euro. "Schwierigere Jahre stehen noch bevor", warnt Articus. Das gerade verabschiedete Wachstumsbeschleunigungsgesetz reiße ein zusätzliches Loch. Hinzu kämen die geplanten weiteren Steuersenkungen ab 2011. Die Städte steuerten auf ein Rekorddefizit zu: Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben werde 2010 mit mehr als elf Milliarden noch deutlich größer sein als die 8,4 Milliarden im bisher schwärzesten Jahr 2003.
www.staedtetag.de


(Zusammenstellung: ulj)

Raute

"Demographie-Problem" - aus einem bisher wenig beachteten Blickwinkel

Alternsgerechte Zielvorgaben

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

"Goldene Nase" für Anton Schlecker.

Ein Zusammenschluss aus DGB-Gewerkschaften, Kirchen und Mitgliedern von Attac verlieh Anton Schlecker die "Goldene Nase 2009", einen Anti-Preis mit dem die Veranstalter auf die Machenschaften "besonders dreister Arbeitgeber" aufmerksam machen wollen. Der Preis wurde in diesem Jahr zum ersten Mal vergeben. Anton Schlecker wurde prämiert, weil sein Unternehmen immer mehr seiner Drogeriemärkte schließt, um in unmittelbarer Nähe so genannte XL Märkte zu eröffnen. Die Beschäftigten wurden aufgefordert, Aufhebungsverträge zu unterzeichnen, um künftig dieselbe Arbeit - dann bei der konzerninternen Verleihfirma Meniar GmbH - mit fast halbierten Löhnen zu verrichten. Es versteht sich von selbst, dass die Meniar GmbH die Tarifverträge der CGZP (Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen) anwendet.

Quelle: Newsletter Leiharbeit 01/10 - Verdi

Raute

Scheingewerkschaften

Um Scheingewerkschaften, die unter verschiedenen Namen auftreten, geht es in der aktualisierten Neuauflage der IG Metall Broschüre "Verraten und verkauft".

Aus dem Vorwort: Gewerkschaften sind einst gegründet worden, um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verbessern. Seitdem vor über 160 Jahren die Buchdrucker die ersten Tarifverträge über den Wochenlohn, die Arbeitszeit und die Zuschläge für Mehrarbeit durchsetzten konnten, hat sich ohne jeden Zweifel viel zu Gunsten der Beschäftigten getan.

Aus gutem Grund verträgt sich das Bild des selbstherrlichen Unternehmers des 19. Jahrhunderts, der nach Gutdünken schaltet und waltet, nicht mehr mit unserem Verständnis von Demokratie. Es stimmt, die bis heute erreichten Verbesserungen sind den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gewiss nicht in den Schoß gelegt worden. Sie mussten in langwierigen Auseinandersetzungen durchgesetzt und immer wieder aufs Neue verteidigt werden. Heute sind das Streikrecht, die Koalitionsfreiheit und das Recht, sich in Gewerkschaften zusammenschließen zu können, durch das Grundgesetz geschützt. Dieser verfassungsgemäße Schutz ist ein hohes Gut, der allerdings für sich allein genommen nicht ausreichend ist. So gehören heute leider auch ein brutaler Wettbewerb, der zunehmend über Tarifdumping ausgetragen wird, zur Realität in vielen Branchen und Betrieben. Vor allem die Praktiker aus den Betrieben wissen, dass hinter diesen Fehlentwicklungen bewusste Strategien der Arbeitgeber stecken.

Diese Gefahren werden nicht nur von den Gewerkschaften gesehen. Beispielsweise beobachtet die CDU-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen mit Sorge die Gefahren für die Tarifautonomie durch selbsternannte Pseudogewerkschaften. So heißt es in einer Erklärung vom September 2008 "Zugleich treten 'Scheingewerkschaften' auf, die ausschließlich oder weitgehend dem Gestaltungsinteresse der Arbeitgeber dienen". Eine richtige und gleichzeitig beachtenswerte Feststellung, der es an Deutlichkeit nicht mangelt. Um diese Scheingewerkschaften, die unter verschiedenen Namen auftreten, geht es in dieser aktualisierten Neuauflage dieser Broschüre. Soviel sei bereits an dieser Stelle verraten: Derzeit versuchen Teile der Arbeitgeber mit Hilfe der Pseudogewerkschaften, die gewerkschaftliche Solidarität zu untergraben. Zahlreiche Beispiele werden dargestellt, in dem diese Clubs willfährig Arbeitgeberwünsche erfüllen und damit die Tarifautonomie missbrauchen. Diesem Treiben werden wir nicht tatenlos zusehen! Aufklärung lautet das Gebot der Stunde. Wir müssen in der betrieblichen Diskussion überzeugen und die Gefälligkeits-Tarifverträge als das geißeln, was sie sind: Manöver der Arbeitgeber, die unsere solidarische gewerkschaftliche Schutz- und Gestaltungsaufgabe zu behindern versuchen.

Wolfgang Rhode Geschäftsführendes Vorstandsmitglied IG Metall

Quelle: igm

Raute

Nestlé-Beschäftigte in Tunesien führen ihren Arbeitskampf nach verheimlichtem Verkauf einer Speiseeisfabrik fort

Arbeitnehmer, ihre Gewerkschaft und der Bund der Lebensmittel- und Tourismusarbeitnehmer (FGAT) verlangen, die Hintergründe über den verheimlichten Verkauf einer Speiseeisfabrik zu erfahren.

Nach dem Streik vom 3. bis 4. Dezember und den erfolglosen Vermittlungen, die unter Leitung des Arbeitsinspektorats stattfanden, sind die Beschäftigten der Speiseeisfabrik in Carthago vom 27. bis 30. Dezember erneut in Streik getreten.

Am 17. November 2009 wurden die Arbeitnehmer der Nestlé-Speiseeisfabrik in Carthago durch einen Anschlag am schwarzen Brett darüber informiert, dass ihre Fabrik verkauft worden sei. Kein Grund zur Beunruhigung, versicherte Nestlé, sie würden an die neuen Besitzer transferiert und diese würden alle Rechte anerkennen.

Das Problem ist, dass Nestlé sich weigert, Einzelheiten über die Verkaufsbedingungen mitzuteilen. Als das Arbeitsinspektorat die Parteien zu Vermittlungen aufforderte, verlangte es ausdrücklich, dass die im Verkaufsvertrag festgelegten sozialen Bestimmungen zur Verfügung gestellt würden. Nestlé jedoch unterbreitete lediglich eine von einem Anwalt unterzeichnete Erklärung, derzufolge er während der Verkaufsverhandlungen anwesend gewesen sei und er den Schutz der Rechte der Beschäftigten bestätigen könne.

Die Betriebsübergabe ist auf den 1. Januar festgelegt worden, was die Versetzung der von Nestlé Ice Cream Tunisia angestellten 105 Arbeitnehmern an einen neuen Arbeitgeber bedeutet. Die Gewerkschaft rief zu Verhandlungen über die Zukunft dieser Beschäftigten auf, von denen viele erst kürzlich von anderen Nestlé-Unternehmen in Tunesien in die Speiseeisbetrieb transferiert wurden, ein Detail, das angesichts des Verkaufs und der damit verbundenen Heimlichtuerei weitere Fragen aufwirft.

Nestlé hat versucht, den Generalsekretär Habib Ben Aifa zum Schweigen zu bringen, indem es ihn von seiner Position als Verkaufsvertreter für Nestlé Nutrition entfernte und an einen Bürojob versetzte, der Aufgaben umfasste, die er innerhalb einer Woche nach seiner Umstufung erledigt hatte. Er geht weiterhin zur Arbeit, wo er unter ständiger Überwachung steht.

Die tunesische Nestlé-Gewerkschaft und der Bund der Lebensmittel- und Tourismusarbeitnehmer verlangen: 1. Verhandlungen über die Zukunft der 105 Speiseeisarbeitnehmer. 2. Einstellung der Belästigungen der Gewerkschaft und Wiedereinstellung ihres Generalsekretärs an seine frühere Position im Unternehmen.

Quelle: www.iuf.org

Raute

Protest der Arbeitnehmer von TEKEL in Ankara

Seit dem 15. Dezember demonstrieren in Ankara bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt Arbeitnehmer des früheren staatlichen Tabakunternehmens TEKEL mit Angehörigen und Anhängern aus Protest gegen eine Blitzentscheidung der Regierung, ihre Arbeitsstätten Ende Januar 2010 zu schließen.

Der Protest begann vor der Zentrale der AKP (der regierenden politischen Partei), doch die Polizei räumte am 16. Dezember das Gelände und trieb die Demonstranten in einen nahegelegenen Park. Am nächsten Tag errichtete sie einen Barrikadenzaun rund um den Park und setzte Wasserwerfer und Tränengas gegen die Demonstranten ein. Die Polizeigewalt eskalierte, und gegen die Demonstranten wurde mit Knüppeln vorgegangen, so dass viele von ihnen in Krankenhäuser gebracht werden mussten. Mustafa Türkel, der Präsident des IUL-Mitgliedsverbandes Tekgida-Is, der diese Arbeitnehmer vertritt, und Generalsekretär des Landesgewerkschaftsbundes Türk-Is, wurde verhaftet, aber noch am gleichen Abend wieder freigelassen.

Das gewaltsame Vorgehen der Polizei führte zu einem heftigen Protest im türkischen Parlament, doch die regierende Partei lehnt es nach wie vor ab, die Forderungen der Arbeitnehmer zu erfüllen, ihnen wie im Privatisierungsgesetz vorgesehen eine alternative Beschäftigung unter Wahrung ihrer vollen Anrechte zu bieten.

Die Protestierenden haben sich jetzt vor der Zentrale des Landesgewerkschaftsbundes Türk-Is versammelt, während rund ein Dutzend Arbeitnehmer im Park verblieben und dort in den Hungerstreik getreten sind (Bild unten). Trotz der Versuche der Polizei, weitere in Bussen eintreffende TEKEL-Arbeitnehmer daran zu hindern, in die Innenstadt zu gelangen, wächst ihre Zahl ständig. Die Stadt Ankara hat ihnen Unterkünfte in Sporteinrichtungen zur Verfügung gestellt, und Tekgida-Is bietet Lebensmittel und Transportmöglichkeiten.

Die Arbeitnehmer sind entschlossen, ihren Protest so lange fortzusetzen, bis die Regierung ihre Forderungen erfüllt.

Quelle: www.ifu.org

Raute

Aufruf zu Protesten gegen die "Nato-Sicherheitskonferenz" am 5./6. Februar 2010 in München

Aktiv werden gegen NATO-Kriegspolitik

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Raute

Dresden: No pasarán - sie kommen nicht durch

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
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Raute

DISKUSSION UND DOKUMENTATION

IMI-Standpunkt 2009/067

Jugendoffiziere raus aus Schulen

Zur neuen Kooperationsvereinbarung zwischen dem Kultusministerium Baden-Württembergs und der Bundeswehr:

Bereits im Jahresbericht der Jugendoffiziere 2008 wurde die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Kultusministerien der Länder gelobt. Anfang Dezember 2009 hat nun das Kultusministerium Baden-Württembergs einen Kooperationsvertrag mit der Bundeswehr geschlossen, der einer Intensivierung dieser Zusammenarbeit dienen soll. Die 94 hauptamtlichen und ca. 300 ehrenamtlichen Jugendoffiziere sollen vorrangig in Schulen - aber auch an Universitäten und anderen Orten, wo Jugendliche und mit Jugendarbeit betraute Erwachsene anzutreffen sind - die Sichtweise der Bundesregierung und der Bundeswehr zur Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands vermitteln.

Als die Institution "Jugendoffizier" 1958 gegründet wurde, hatte sie die Aufgabe, die Bevölkerung in Deutschland, die einem Beitritt zur NATO und der Wiederbewaffnung Deutschlands überwiegend kritisch gegenüberstand, von der Notwendigkeit dieser Maßnahmen zu überzeugen. Heute sollen sie dafür sorgen, dass es in der Bevölkerung die notwendige Zustimmung zu den zunehmenden Auslandseinsätzen - vor allem dem Afghanistan-Einsatz - gibt. Dies ist aus Sicht der Bundesregierung auch dringend notwendig: Einer Umfrage vom 3.12.2009 zufolge wollen 69 Prozent der Bürger, dass die Bundeswehr Afghanistan so schnell wie möglichst verlässt (Spiegel Online 4.12.09). Auch wenn am gleichen Tag der Bundestag mit großer Mehrheit der Verlängerung des ISAF-Mandats in Afghanistan zustimmte, ist eine ablehnende Haltung innerhalb der Bevölkerung für die Parteien und die Abgeordneten, die sich für ihr Abstimmungsverhalten gegenüber ihren Wählern rechtfertigen müssen, sehr lästig.

Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr, das sowohl die Stimmung bezüglich der Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands in der Bevölkerung als auch die Bereitschaft von Jugendlichen, sich bei der Bundeswehr zu verpflichten, misst, kommt zu dem Ergebnis, dass für die ausreichende Rekrutierung von Soldaten die Einstellung der Bevölkerung gegenüber der Bundeswehr und ihrer Einsätze enorm wichtig ist. Vor allem Freunde und Familie, aber auch die Medien könnten die potentiellen Soldaten enorm in ihrer Entscheidung beeinflussen. Um dieses "positive Umfeld" zu schaffen, sind die Jugendoffiziere da.


Propaganda und Rekrutierung: faktisch nicht voneinander zu trennen

Während Wehrdienstberater Jugendliche direkt anwerben, sie über die Möglichkeiten bei der Bundeswehr "umsonst zu studieren", "Karriere zu machen" und "Kameradschaft zu erleben" anlocken, ist den Jugendoffizieren dieses direkte Rekrutieren - zumindest offiziell - verboten. Allerdings scheinen es die Jugendoffiziere mit dieser Trennung in der Praxis nicht allzu erst zu nehmen. Zum einen wird - eigenen Angaben zufolge - eng mit den Wehrdienstberatern zusammengearbeitet, Anfragen weitergegeben, Schulen gemeinsam angeschrieben oder sie treten gleich zusammen mit Wehrdienstberater auf (vgl. Bericht der Jugendoffiziere 2006). So kann dann der Jugendoffizier für eine grundsätzlich positive Haltung gegenüber der Militärpolitik sorgen, der Wehrdienstberater gleich diejenigen abgreifen, die für diese Politik dann in den Krieg ziehen.

Zum anderen lohnt sich der Blick in Schülerzeitungen, in denen über den Besuch der Jugendoffiziere berichtet wird. Aus der Schülerzeitung einer Krefelder Hauptschule: "Am 28. April besuchte ein Jugendoffizier der Bundeswehr die Klasse 10B. Er erzählte den Schülern etwas über seinen Beruf und die Leistungen, die man erbringen muss, wenn man sich bei der Bundeswehr bewerben möchte. Er sprach auch über die besonderen Möglichkeiten und Angebote bei der Bundeswehr: Wenn sich z.B. jemand für 12 Jahre dort verpflichtet, erhält er die Chance zu studieren; die Bundeswehr finanziert dann das Studium. Man bekommt auch die Gelegenheit, einen Führerschein oder einen Pilotenschein zu machen. Anhand einer Weltkarte informierte er auch darüber, wo in der Welt zurzeit Bundeswehreinsätze stattfinden". Soviel zum Thema, die Jugendoffiziere würden keine Rekrutierung betreiben.

Doch Jugendoffiziere gestalten nicht nur Unterrichtsstunden, sie organisieren auch Ausflüge, Truppenbesuche und das Simulationsspiel Polis. Bei diesem "Spiel" geht es darum, den Jugendlichen zu zeigen, dass "große Politik" und die Einsetzung von Militär nun einmal zusammengehören und ihnen ein für alle mal die Flausen von Lichterketten und Friedensbewegung auszutreiben (vgl. Humburg, Heiko: PR-Strategien der Bundeswehr, in: W&F Dossier 58).

Die Anzahl der Truppenbesuche nimmt aber ab, da die Bundeswehr ob ihrer zahlreichen Einsätze kaum noch Kapazitäten hat, Soldaten damit zu beschäftigen, Kindern und Jugendlichen den "Truppenalltag" vorzuführen (Bericht der Jugendoffiziere 2008). Manchmal jedoch finden solche Schulausflüge noch statt. Anders aber als Jugendoffiziere sind die Soldaten nicht dazu getrimmt, mit Jugendlichen so umzugehen, dass es dem Image der Bundeswehr nützt. Im Oktober 2009 besuchten Schüler der 8. Klasse eine Eutiner Kaserne. Dabei wurde den Jugendlichen der Schießsimulator vorgeführt, an dem Soldaten mit Elektrowaffen für den realen Einsatz in Afghanistan trainieren. So ein Schießkino sei tausendmal besser als eine Playstation, prahlte der vorführende Soldat. Diese Aussage und die Vorführung der "besseren Playstation" sorgten dann bei Eltern, verschiedenen Abgeordneten des Landtages und bei der Bundeswehr selbst für Kritik. Gegen weniger plumpe, aber deshalb nicht weniger gefährliche Beeinflussung von und Anbiederung an Jugendliche durch die Jugendoffiziere, ist aber immer noch wenig zu hören.

Im Gegenteil: Insgesamt scheinen die Jugendoffiziere mit der Zusammenarbeit mit Schulen sehr zufrieden zu sein. Tatsächlich steigt die Anzahl der Besuche seit 2003 kontinuierlich an.


Die Kooperationsvereinbarungen

Die 2005 aufgestellten Bezirksjugendoffiziere haben die Aufgabe, mit den jeweiligen Kultus- bzw. Bildungsministerien zusammenzuarbeiten und der Bundeswehr den Zugang zu Schulen, Universitäten und vor allem auch zu den Referendaren und Lehrern zu eröffnen. Mit drei Kultusministerien - Nordrhein-Westfalen (Oktober 2008), Saarland (März 2009) und Baden-Württemberg (Dezember 2009) - wurden Kooperationsvereinbarungen getroffen. Die Verträge sollen die Kooperation zwischen den Schulen und den Jugendoffizieren "intensivieren": "Jugendoffiziere bieten dazu wie bisher ihre Besuche in Schulen an. Sie werden darüber hinaus in die Aus- und Fortbildung von Referendarinnen und Referendaren und von Lehrkräften eingebunden. Außerdem bietet die Bundeswehr Lehrerinnen und Lehrern sowie Vertretern der Schulaufsicht ihrerseits Besuche in ihren Einrichtungen und Seminare zur Sicherheitspolitik an". Zusätzlich sollen die Angebote der Bundeswehr auf den Bildungsservern der Länder und in anderen Medien der Kultusministerien beworben werden (alle Pressemitteilungen zu den Kooperationsvereinbarungen der jeweiligen Länder finden sich auf der Seite www. bildungklick.de).

Offensichtlich scheinen die Verantwortlichen in den Ministerien kein Problem damit zu haben, dass die Bundeswehr damit direkten Einfluss auf die Meinung der Schüler und die Ausbildung der Lehrer nehmen kann und so wesentliche Grundsätze der politischen Bildungsarbeit missachtet werden. Seit 1976 besteht der so genannte Beutelsbacher Konsens, der die Mindestanforderung an die politische Bildung in der Schul- und Erwachsenenbildung festlegt. Dieser Konsens beinhaltet drei Grundsätze, wobei mindestens zwei durch die Präsenz von Jugendoffizieren an Schulen missachtet werden: Das Überwältigungsverbot besagt: "Es ist nicht erlaubt, den Schülern - mit welchen Mitteln auch immer - im Sinn erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hindern". Wie oben beschrieben hatten die Jugendoffiziere zunächst die Aufgabe, die Remilitarisierung Deutschlands zu legitimieren, heute müssen sie erklären, warum die Bundeswehr überall in der Welt Krieg führt. Das so genannte Kontroversitätsgebot besagt: "Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten".

Mit ihrer Begeisterung für die Jugendoffiziere sind die Kultusministerien aber nicht alleine, auch die Bundesregierung und verschiedene Landesregierungen haben in Antworten auf Anfragen im Bundestag und den Ladtagen betont, dass sie keinerlei Probleme damit haben, Jugendliche derart zu beeinflussen. Auch - vor allem junge - Lehrer und Referendare nutzen das Angebot der Bundeswehr ausgiebig. Allerdings regt sich vor allem seitens der Schüler massiver Widerstand: es gibt zahlreiche Berichte von Schulklassen, die den Jugendoffiziere und Wehrdienstberater nicht nur unangenehme Fragen gestellt haben, sondern teilweise auch auf sehr eindringliche Weise ihren Protest kundtaten.

Jonna Schürkes

Raute

Im Juni 2008 wurde in Anwesenheit des Bundespräsidenten und begleitet von lautstarken Protesten das Internationale Maritime Museum eröffnet, das die maritime Sammlung von Peter Tamm beherbergt. Der langjährige Vorstandsvorsitzende des Axel-Springer-Verlags hatte in 74 Jahren ein Sammelsurium aus über 36.000 Schiffsmodellen, 1000 Uniformen, 5000 Gemälden, unzähligen Büchern, Bildern, Orden und Konstruktionsplänen angebaut. Der Eröffnung war eine lange Kritikkampagne vorausgegangen. In dem Buch Tamm-Tamm, das pünktlich zur Museumseröffnung in dritter Auflage beim VSA-Verlag erschien, war der militaristische Charakter der Ansammlung kritisiert worden. Über 80 Künstler griffen die Kritik auf, die sich auch daran entzündete, dass ein privater Sammler eine städtische Immobilie in Toplage für 99 Jahre mietfrei und zusätzlich noch einmal 30 Millionen für die Renovierung erhielt und die Stadt auf jegliche kuratorische Mitsprache verzichtete. Bis heute flammt die Kritik immer wieder auf.


"Maritime Schicksalsdeutung" - Was das Tamm-Museum mit neueren Familien-, Kriegs- und Katastrophenfilmen gemeinsam hat

So lautete der nicht wenig anspruchsvolle Titel einer Veranstaltung, zu der die AG Frieden und Abrüstung der Partei Die Linke am 15.12. ins Curiohaus der GEW eingeladen hatte. Im Info-Blatt wurde versprochen, dass der Diplom-Kulturwissenschaftler Dr. Gerhard Wagner aus Berlin "die in der öffentlichen Kritik bislang wenig beachtete Kapitalismusverherrlichung", die das Tamm-Museum betreibe, "im Vergleich mit Filmen zum selbigen Zweck" "argumentativ und kulturvoll" beleuchten würde.

Mochten mich an dieser Stelle noch manierierte Wendungen wie "zum selbigen Zweck" oder Begriffe wie "kulturvoll" oder der Anspruch, endlich auf die Kapitalismusverherrlichung durch das Tamm-Museum aufmerksam gemacht zu haben, unangenehm berühren, so wurde dann aber doch mein Interesse geweckt durch die These, das Tamm-Museum betreibe "im neoliberalen 'Zeitgeist' Naturalisierung und Verewigung von kapitalistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsform sowie von Militarismus und Krieg".

Zwar war ich skeptisch, ob das Versprechen, die Kino- bzw. Fernsehfilme "Die Buddenbrooks", "Das Boot" und "Die Sturmflut" in die Betrachtungen einzubeziehen, einzulösen sein würde - aber das wäre ja noch abzuwarten.

Nun ist das Bedürfnis nach kompetenter Kritik an Tamms "Internationalem Maritimem Museum" in Hamburg weiterhin groß, aber andererseits ist ja - seit "Tamm-Tamm" - bereits Einiges geleistet. Wer die Kritik auf erweiterte Grundlage stellen will, muss sich an Maßstäben messen lassen, die sich seitdem entwickelt haben.

Um es kurz zu machen: Leider hat der Referent diesen Ansprüchen meines Erachtens nicht genügen können. Zu flüchtig ging er auf das Tamm-Museum selbst ein; zu schnell war sein oben erwähntes Urteil gesprochen - aber eben nur gesprochen und nicht begründet; schon war er bei den erwähnten Filmen, und bald schon war nicht mehr klar, ob er deren Ideologie oder die des Tamm-Museums kritisieren wollte. (Er hätte sicher gesagt: beide.) Zu selbstverliebt wirkten die sprachlichen Spielereien, mit denen er seine Ausführungen garnierte.

Diese stießen offenkundig auf geteilte Resonanz: Während die einen sich vor Lachen schier auf die Schenkel schlagen wollten, reagierten andere eher befremdet. Ein ähnliches Bild dann schließlich bei der Diskussion, wenn diese sich überhaupt so bezeichnen lässt. Meist hatten die Redner und wenigen -innen schon alles gesagt, und meist konnte der Referent nur eingreifen, wenn jemand etwas missverstanden hatte.

Eine nennenswerte Debatte entwickelte sich nur innerhalb des Publikums, als nämlich einer der Teilnehmer, der durch Aktivitäten gegen das Tamm-Museum hervorgetreten ist, sich nicht mit der Etikettierung des Tamm-Museums mit dem Begriff "neoliberal" zufrieden geben wollte, eine detailliertere Einordnung einforderte und diese selbst auch lieferte: Eine gar nicht harmlose Spielart des bräsigen Hanseatentums, das sich aber stets bewusst ist, dass es das Heft in der Hand behalten wird und sich daher liberal geben kann, außer wenn ­...

Diese Einschätzung hätte sich allerdings nicht so bequem illustrieren lassen, wie es der Referent getan hatte.

Lothar Zieske

Aus: Lokalberichte Hamburg Nr. 25/2009


Friedrich Möwe
TAMM-TAMM
Eine Anregung zur öffentlichen Diskussion über das
Tamm-Museum. Herausgegeben vom Informationskreis
Rüstungsgeschäfte in Hamburg Aktualisierte Auflage 2008

112 Seiten; mit zahlreichen Fotos und eingeklebter DVD (2008)
EUR 8.50 sFr 15.60 ISBN 978-3-89965-306-9

Raute

IN & BEI DER LINKEN

Unter charismatischer Führung - Normal ist das nicht

Im Mai hat die Linke Wahlparteitag und es zeigt sich, dass der Prozess der Parteifusion noch nicht abgeschlossen ist. Bei den harten Fakten dadurch, dass die statuarischen Regelungen Übergänge enthalten, so z.B. die Bevorzugung der West-Landesverbände beim Delegiertenschlüssel.(1) Die Satzung sieht ferner vor, dass bei der jetzt, 2010, anstehenden Vorstandswahl die gegenwärtige Einrichtung der "Doppelspitze" (z. Zt. noch Lothar Bisky und Oskar Lafontaine) aufgegeben werden soll. Vorläufigen Charakter hat auch die programmatische Grundlage der Partei, die sog. "Eckpunkte", sie schließt mit einer langen Liste offener Fragen(2). Es gehört zu den bekannten Paradoxa des politischen Lebens: Je unklarer ist, was zu geschehen hat, umso wichtiger wird, wer es macht. Und in der Diskussion um die Personen geht es um die "Ausstrahlung" oder das "Charisma" des Führungspersonals. Warum ist das so vielen - in der Öffentlichkeit, in der Partei - so wichtig?

Die Umbildung des Parteiensystems in der BRD wurde durch den Zerfall des realen Sozialismus und den nachfolgenden Anschluss der DDR an die BRD eingeleitet. In den neuen Bundesländern scheiterte ein Aufbau Ost nach dem Muster der alten BRD. Dabei misslang auch die Übertragung des Parteiensystems der BRD. Die im Staatssozialismus herrschende SED wandelte sich zur PDS, die in eine kritische Auseinandersetzung der DDR-Geschichte eintrat und gleichzeitig im neuen Staat Demokratie, Selbstverwaltung und Anerkennung der Lebensleistung der vormaligen DDR-Bürgerinnen und Bürger einforderte. Dieser - im Rückblick - so naheliegende Weg war im damaligen Durcheinander alles andere als leicht zu erkennen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass erst diese mit dem Namen Gregor Gysis verbundene Strategie jenen Kräften den Wind aus den Segeln genommen hat, die auf eine Abrechnung mit den Kräften der Linken aus waren.

Der sichere Blick für die Möglichkeiten einer neue Kombination und die beredete Kraft, diese Chance in einer Situation von Unsicherheit und Bedrängnis zu erläutern, erzeugt zwischen dem, der spricht, und jenen, die hören, Ungleichheit: Max Weber spricht von "charismatischer Herrschaft". Psychologisch handele es sich um eine "aus Begeisterung oder Not und Hoffnung geborene gläubige, ganz persönliche Hingabe"(3).

In der alten BRD hat die SPD für Millionen als Garant einer besseren Zukunft - der eigenen oder wenigstens der eigenen Kinder - gegolten. Mit der Generation Gerhard Schröders hat die SPD diese integrierende Funktion aufgegeben. Sie hat eine große Zahl sozialdemokratischer Wähler abgehängt. Parteipolitik besteht nicht nur aus kurzfristigen Wahlversprechen. Sie enthält auch langfristige, für die Lebensgestaltung wichtige Garantien. Die Politik der SPD hat solche Garantien (wie sie insbesondere im Godesberger Programm der SPD formuliert worden waren) wertlos gemacht. Der Übertritt eines ehemaligen Parteivorsitzenden der SPD zur WASG und dann zur Linken hat diesen Versprechen neue Bedeutung eingehaucht. Atomisiertes Unglück konnte so zu einer politischen Kraft werden. Diese Chance hat Oskar Lafontaine gesehen und realisiert. Auch auf ihn richtet sich die "ganz persönliche Hingabe", von der Max Weber spricht.

Hiermit hört die Parallele aber auch. Während die mit dem Namen Gysi verbundene Strategie dazu beitrug, einer großen Zahl von Bürgerinnen und Bürgern der alten DDR Platz und Geltung im neuen Staat zu verschaffen, können die von Oskar Lafontaine so nachdrücklich glaubhaft gemachten Versprechen zur Zeit nicht eingelöst werden. Die Ballung zersplitterter Proteste genügt dazu nicht. Es müssten effektive Reformen entwickelt und dazu noch eine parlamentarische Mehrheit gefunden werden. Solche Prozesse sind ansatzweise in der Kommunalpolitik und hier und da in den Bundesländern zu sehen, in der Bundespolitik aber nicht. An dieser Konstellation könnte sich nur etwas ändern, wenn die Koalition aus Union und FDP in näherer Zukunft zerbrechen würde. Am 9. Mai wird in NRW gewählt. Würden CDU und FDP die Mehrheit verlieren, wäre abermals eine neue Konstellation da ...

Die letzten Wahlen im Westen wurden durch Versprechen gewonnen, die auf charismatischem Wege glaubhaft gemacht worden waren. Mit dieser Strategie müssen auch die NRW-Wahlen bestritten werden. Die ungünstige Konstellation in der Bundespolitik lässt Zweifel zu, nicht an den guten Absichten, wohl aber an den praktischen Erfolgsaussichten Der Linken. Die Ausstrahlung verblasst. Eine mögliche Gegenreaktion ist, die Versprechungen zu steigern (siehe Landtagswahlprogramm NRW). Eine andere, die Bedeutung der charismatischen Person, die der Öffentlichkeit als Garant gilt, zu unterstreichen. In archaischen Zeiten griff man zum Menschenopfer, heute zur Personalentscheidung. Je höher das Opfer steht und je weniger eigentlichen Anlass zu seiner Entfernung es bietet, je irrationaler und willkürlicher also die Personalentscheidung ist, um so mehr kann sie als Beweis von Vertrauen in die Macht gedeutet werden, die durch das Opfer gnädig gestimmt werden soll. Der Träger des Charismas ist auch Schuldner der Öffentlichkeit, die ihm glaubt. Gläubige mögen blind sein, Gläubiger sind es nicht.

Eine regelmäßige Begleiterscheinung charismatischer Herrschaft ist die ins Groteske gesteigerte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für Eigenschaften und Verhalten der charismatischen Führungskraft, die blitzschnell in Spott und Hohn umschlagen kann. Unvergesslich ist vielen US-Präsident Lyndon B. Johnson, der die Narbe einer eben überstanden Gallenblasenoperation entblößte (die Karikatur zeigt sie in den Umrissen Vietnams). In den nachfolgenden Vorwahlen für eine weitere Präsidentschaftskandidatur schnitt Johnson enttäuschend ab und resignierte. Gesteigert durch die Medien beeinflussen Ausstrahlung und Charisma das öffentliche Urteil stark, aber die damit verbundene Haltung gläubiger Verehrung weckt Gegenkräfte: Spott und auch Kritik...

Auch an diesem Punkte hilft uns die Darstellung des Phänomens bei Max Weber weiter: Auf den Paragrafen 10, "charismatische Herrschaft", folgt in Max Weber Werk(4) tröstlich der Paragraph 14, "Die herrschaftsfremde Umdeutung des Charismas": Zitat: "Das seinem primären Sinn nach autoritär gedeutete charismatische Legitimationsprinzip kann antiautoritär umgedeutet werden. Denn die tatsächliche Geltung der charismatischen Autorität ruht in der Tat gänzlich auf der durch 'Bewährung' bedingten Anerkennung durch die Beherrschten". Durch Wahlen wird der "kraft Eigencharisma legitime Herr" zu einem "Herrn von Gnaden der Beherrschten". Und: "Die antiautoritäre Umdeutung des Charismas führt normalerweise in die Bahn der Rationalität". - Hoffentlich bald.

Martin Fochler


Quellen:
1) http://die-linke.de/partei/dokumente/bundessatzung_ der_partei_die_linke/
2) http://die-linke.de/partei/dokumente/programm_ der_partei_die_linke_programmatische_eckpunkte/v_nachbemerkung/
3) Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. revidierte Auflage, Tübingen, 1921/1972, S. 140 ff
4) a.a.O. S. 255 ff
L.B. Johnson-Karrikatur http://3.media.tumblr.com/WXCapTL7FfdqwopioVRlj7I7o1_500.jpg

Raute

Gysi geht auf Distanz zu Bartsch - Führung der Linken fordert Ende des Streits und will Konfliktlösung "ohne Demütigung"

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Parlamentarier der Linken plädieren für mehr innerparteiliche Einheit und Solidarität "Gemeinsam Erfolge organisieren!"

6.1.2009. Zu den anhaltenden Personaldebatten innerhalb der Partei Die Linke erklären Steffen Bockhahn (Landesvorsitzender Mecklenburg-Vorpommern), Rico Gebhardt (Landesvorsitzender Sachsen), Matthias Höhn (Landesvorsitzender Sachsen-Anhalt), Knut Korschewsky (Landesvorsitzender Thüringen), Klaus Lederer (Landesvorsitzender Berlin) und Stefan Ludwig (Landesvorstand Brandenburg):

"Die Linke ist seit ihrer Gründung 2007 eine Erfolgsgeschichte. Tausende sind neu in die Partei eingetreten. Bei Wahlen auf kommunaler und Landesebene konnten hervorragende Ergebnisse erzielt werden. Die Linke ist nicht nur Volkspartei im Osten, sondern auch eine starke Adresse für eine Politik der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens in den alten Bundesländern geworden. Mit 11,9 Prozent und 16 gewonnenen Direktmandaten hat Die Linke bei der Bundestagswahl alle Erwartungen übertroffen. Nun gilt es, diesem WählerInnenauftrag praktische und erlebbare Politik folgen zu lassen. Die Linke muss vor Ort sein, wenn es z.B. darum geht, Antikriegsaktionen, Erwerbsloseninitiativen oder Gewerkschaften zu unterstützen. Die Linke muss in den Parlamenten ihre Stimme erheben für einen Politikwechsel, und sie darf Chancen dort nicht ungenutzt verstreichen lassen, wo ein solcher auch real möglich wird. Leider müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass einige in unserer Partei ihre Kraft jedoch dafür verwenden, seit Wochen immer wieder aufs Neue eine Personaldebatte medial zu befeuern. Das nützt niemandem in der Partei und ist geeignet, das große Vertrauen der WählerInnen wieder zu verspielen. Die Linke steht 2010 und 2011 vor wichtigen Wahlen. Der Einzug in das Landesparlament des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen ist für die Gesamtpartei von strategischer Bedeutung. In Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Berlin wollen die GenossInnen politisch handlungsfähige Mehrheiten jenseits von CDU und FDP schaffen bzw. erhalten und linke Gestaltungskompetenz unter Beweis stellen. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wollen wir erstmals den Sprung in den Landtag schaffen, in Bremen kämpfen wir um den Wiedereinzug. Diese Ziele können wir nur gemeinsam erreichen! Unsere Erfolge der letzten Jahre haben viele Mütter und Väter. Das sind zunächst die vielen Mitglieder unserer Partei im aktiven Wahlkampf. Das sind unsere Genossinnen und Genossen in den Gremien der Partei und den Fraktionen. Das sind die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Partei. Diese Erfolge sind aber ebenso mit den Namen Lothar Bisky, Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Dietmar Bartsch verbunden. Oskar Lafontaine steht für die gewonnene Akzeptanz der Linken insbesondere in den alten Bundesländern und unsere bundespolitische Wahrnehmung. Dietmar Bartsch hat als Bundesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter ma€Ygeblichen Anteil an unseren Wahlergebnissen. Wir glauben, dass die erfolgreiche Entwicklung unserer Partei nur durch das Mitwirken von Oskar Lafontaine und Dietmar Bartsch gelingen kann. Unsere Partei braucht beide! Wir hoffen, dass Oskar Lafontaine nach seiner Genesung unserer Partei wieder aktiv als Parteivorsitzender zur Verfügung steht und im Mai erneut kandidiert. Wir weisen die öffentlich vorgetragenen Rücktrittsforderungen gegen den Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch zurück. Letztlich: Es war und bleibt schlechter Stil, angeblich persönliche Briefe bewusst der Presse zuzuspielen. Es ist derselbe, der anderen darin unterstellt wird."

http://blog.matthias-hoehn.de/

Raute

TERMINE

Texte und Publikationen

Bedingungsloses Grundeinkommen - Beiträge zu einer kontroversen Diskussion

Berichte von und Beiträge zu einer Arbeitstagung des
Kurt-Eisner-Vereins - Rosa-Luxemburg-Stiftung Bayern.

Inhalt:
Einleitung. Stefan Breit
Veranstaltungsbericht. Christa P. Meist

Dagobert-Duck-Kapitalismus? - Eine Kritik des bedingungslosen Grundeinkommens. Michael Wendl

Bedingungsloses Grundeinkommen in emanzipatorischer Perspektive und Kritik einer marktorientierten Gesellschaftsgestaltung. Ronald Blaschke

Das bedingungslose Grundeinkommen - "ein Freiheitsgewinn für alle Menschen"? Martin Fochler

Jenseits der Erwerbsarbeit? Christa P. Meist

Resümee. Otto Feldbauer

Studienreihe Zivilgesellschaftliche Bewegungen - Institutionalisierte Politik Nr. 13, November 2009, Bedingungsloses Grundeinkommen - Beiträge zu einer kontroversen Diskussion.

PDF-Download über www.rosalux. de, Rubrik Texte und Publikationen oder als Papierausgabe über: Kurt-Eisner-Verein Westendstr. 19, 80339 München.


Aus der Einleitung

Am Sonntag, den 18. Oktober 2009, veranstaltete der Kurt-Eisner-Verein in Zusammenarbeit mit dem Rosa-Luxemburg-Club Oberfranken einen eintägigen Workshop zu dem Thema "Bedingungsloses Grundeinkommen". Veranstaltungsort war die Franken-Akademie in Schney bei Lichtenfels. Ungefähr 30 Personen, die aus den verschiedensten Schichten kamen, nahmen an der Veranstaltung teil.

Der Workshop behandelte ein Thema, über das in der Partei "Die Linke" vor der Bundestagswahl sehr kontroverse und leidenschaftliche Debatten geführt worden waren, vor allem zwischen der Bundesarbeitsgemeinschaft "Bedingungsloses Grundeinkommen" und gewerkschaftlich engagierten Politikern der Linken, wie z.B. Klaus Ernst. Ein Kompromisspapier von Klaus Ernst und Katja Kipping versuchte, diesen Streit vor der Wahl vorläufig zu beenden, um gegenüber potenziellen Wählern ein Bild der Zerstrittenheit der Partei zu vermeiden. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die Diskussion aber anlässlich der programmatischen Debatte erneut aufflammen. Der Diskurs um das bedingungslose Grundeinkommen berührt einen Themenkomplex, der essenziell zur Programmatik der Linken gehört, die Sicherung vor der Armut. Einer der zentralen Wahlslogans der Linken in der vergangenen Bundestagswahl war "Weg mit Hartz IV". Dies führt zu der Frage, was an die Stelle von "Hartz IV" treten soll. Soll der Zustand vor der Umsetzung der Agenda 2010 wiederhergestellt werden und damit die alte Arbeitslosenhilfe in irgendeiner Form wiederbelebt werden. Das würde bedeuten, dass frühere Inhaber eines gut bezahlten Arbeitsplatzes gegenüber gering entlohnten Beschäftigten, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, privilegiert und damit Gehaltsunterschiede zementiert würden? Oder soll eine einheitliche hohe und repressionsfreie Existenzsicherung für alle, unabhängig vom vorherigen Einkommen, geschaffen werden? Oder kann eine Kompromisslösung zwischen beiden Extremen ausgehandelt werden, wie dies z.B. im Papier von Klaus Ernst und Katja Kipping versucht wurde.

Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens wird parteiübergreifend, man denke an das Bürgergeld der FDP, und weltweit diskutiert, erinnert sei an den jüngst stattgefundenen Modellversuch in einem Dorf in Namibia.

Der Workshop sollte den Teilnehmern Gelegenheit geben, sich die kontroversen Standpunkte anzuhören, sodass als Ergebnis eine differenzierte Meinungsbildung stehen sollte. Der Kurt-Eisner-Verein hatte zu diesem Zweck zwei prononcierte Vertreter der beiden gegensätzlichen Standpunkte eingeladen: Ronald Blaschke (pro-Referat) und Michael Wendl (contra-Referat).

Raute

Die nächste Ausgabe der Politischen Berichte erscheint am 11. Februar.

Redaktionsschluss: Freitag, 5. Februar.
Artikelvorschläge und Absprachen über pb@gnn-verlage.de. Tel: 0711/3040595, freitags von 7-12 h.

Die nächsten Erscheinungstermine, jeweils donnerstags: 11. März, 8. April, 6. Mai


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IMPRESSUM

Politische Berichte

ZEITUNG FÜR LINKE POLITIK - ERSCHEINT ZWÖLFMAL IM JAHR

Herausgegeben vom: Verein politische
Bildung, linke Kritik und Kommunikation,
Venloer Str. 440, 50825 Köln
Herausgeber: Barbara Burkhardt, Christoph Cornides,
Ulrike Detjen, Emil Hruska, Claus-Udo Monica,
Brigitte Wolf.

Verantwortliche Redakteure und Redaktionsanschriften:

Aktuelles aus Politik und Wirtschaft;
Auslandsberichterstattung:
Christiane Schneider, (verantwortlich),
GNN-Verlag, Neuer Kamp 25, 20359 Hamburg,
Tel. 040/43 18 88 20, Fax: 040/43 18 88 21.
E-mail: gnn-hamburg@freenet.de - Alfred Küstler,
GNN-Verlag, Postfach 60 02 30, 70302 Stuttgart,
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Regionales / Gewerkschaftliches: Martin Fochler,
GNN Verlag, Stubaier Straße 2, 70327 Stuttgart,
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Diskussion / Dokumentation: Rüdiger Lötzer,
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In & bei der Linken: Jörg Detjen,
GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte mbH,
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Termine: Alfred Küstler, Anschrift s. Aktuelles.

Die Mitteilungen der "Bundesarbeitsgemeinschaft
der Partei die Linke Konkrete Demokratie - Soziale
Befreiung" werden in den Politischen Berichten
veröffentlicht. Adresse GNN Hamburg

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Halbjahresabonnement kostet 29,90 Euro (Förderabo
42,90 Euro), ein Jahresabonnement kostet 59,80 Euro
(Förderabo 85,80 Euro). Ein Jahresabo für Bezieher
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Sozialabo: 46,80 Euro. Ausland: + 6,50 Euro
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Druck: GNN Verlag Süd GmbH Stuttgart

Gegründet 1980 als Zeitschrift des Bundes Westdeutscher Kommunisten unter der Widmung
"Proletarier aller Länder vereinigt Euch!
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt Euch".
Fortgeführt vom Verein für politische Bildung, linke Kritik und Kommunikation.


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Quelle:
Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Ausgabe Nr. 1, 14. Januar 2010
Herausgegeben vom: Verein politische Bildung, linke Kritik und
Kommunikation
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E-Mail: gnn-koeln@netcologne.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2010