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ROTFUCHS/107: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 153 - Oktober 2010


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

13. Jahrgang, Nr. 153, Oktober 2010



Inhalt
Massive Rechtseinbußen durch Zwangsanschluß
Verlust einer Gesellschaftsformation
Gerhard Beils letzte Zeilen:
Imperialistische Handelsbarrieren gegen die DDR (Teil 1)
Erstarrung in der Stunde großer Gefahr
Meckels Dauerkrieg mit der Grafenfamilie
Abc des Marxismus: Arbeit
Außenpolitik oder Ausverkauf?
Über Urlaub im Sozialismus
Erfahrungen eines LPG-Vorsitzenden
Sachsen-Anhalts "größte Familie"
Selbsttor mit Birthler-Vorlage
"Miteinander - Füreinander": 65 Jahre Volkssolidarität
Antifaschistische Zivilcourage
Vom Reiten auf einem anderen Pferd
Ein Fall von Volksverhetzung?
"Synonyme für das Abgrundböse"
Egon Schansker - Er lebt in unseren Herzen
Seibert statt Wilhelm: Die Stimme ihrer Herrin
RF-Extra Bildung oder Bildung?
RF-Extra Vom "Pantoffelgymnasium" zur Wissensquelle
Vorkämpfer eines freien Südafrika: Denis Goldberg
Shuntaro Hida überlebte das Inferno
Patriot und Internationalist: Jean-Pierre Timbaud
Fotoreportage: Die Kinder von Hiroshima
China: Der wirklich große Sprung
Das U.S. Strategic Command
Indien: Proletarisches Muskelspiel
Islamophobie schändet Europa
Israels Attribute: "Gegossenes Blei" und Operation Flickenteppich
Libanon: Dringende Bitte um Solidarität
Wann sorgt Obama für die Freilassung der "Cuban 5"?
Pol-Pot-Regime war menschenfeindlich
Neues Werk Manfred Schelzels
Arnold Zweig - ein großer Erzähler des 20. Jahrhunderts
Archie auf dem "Sächsischen Reiter"
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Eine quicklebendige Tote

Als der Pariser Metallarbeiter Jean-Pierre Timbaud - ein Funktionär der Gewerkschaftszentrale CGT - am 22. Oktober 1941 im Steinbruch von Châteaubriant vor dem Erschießungskommando der hitlerfaschistischen Okkupanten stand, rief er mit lauter Stimme: "Vive le Parti Communiste Allemand!" - Es lebe die Kommunistische Partei Deutschlands! Selbst im Angesicht des Todes wußte er als proletarischer Internationalist zwischen dem guten und dem schlechten Deutschland zu unterscheiden. Die Straße im Berliner Arbeiterbezirk Friedrichshain, die das gute Deutschland nach diesem kommunistischen Helden der französischen Résistance benannt hatte, wurde vom schlechten Deutschland nach dessen temporärem Sieg vor zwei Jahrzehnten übrigens bald wieder mit einem anderen Namen bedacht.

So sind wir direkt beim Thema: Vor 20 Jahren wurde die Deutsche Demokratische Republik - das gute Deutschland - von der Konterrevolution zu Fall gebracht und der imperialistischen BRD - dem schlechten Deutschland - einverleibt. Ihrem abrupten, nicht vorhersehbaren Untergang lag nicht in erster Linie mangelnde Führungskunst der eigenen Spitze zugrunde. Das Debakel hatte tiefergehende politisch-ideologische und ökonomisch-strukturelle Gründe, wobei neben inneren vor allem auch äußere Faktoren den Ausschlag gaben. Ohne die sich seit langem abzeichnende und von der antisowjetischen KPdSU-Führung um Gorbatschow bis zum Äußersten vorangetriebene Erosion der UdSSR, von deren Weiterbestehen die Existenz der anderen sozialistischen Staaten Europas in entscheidendem Maße abhing, wäre auch die DDR nicht sang- und klanglos von der Bühne abgetreten.

Trotz ihrer keineswegs in Abrede gestellten Schwachstellen und Fehlleistungen sowie ungeachtet des beschämenden Ausgangs der Ereignisse bleibt die DDR das höchste Gut und die größte Errungenschaft in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und des deutschen Volkes. Ihre historische Leistung besteht nicht nur darin, dem Kapital in einem Drittel Deutschlands für vier Jahrzehnte die politische Macht und das ausbeuterische Eigentum an Produktionsmitteln entzogen zu haben, sondern auch im Aufbau einer ausbeutungsfreien sozialistischen Gesellschaft und der Schaffung eines Staates, den die arbeitenden Menschen zu Recht als ihr Vaterland betrachten konnten. Er gehörte - im übertragenen Sinne - nicht nur den DDR-Bürgern, sondern stand auch den Klassengenossen und Weggefährten in aller Welt offen, darunter jenen auf der anderen Seite der Elbe.

Marxisten sind durchaus keine Tagträumer, die einer unwiederbringlich verflossenen Zeit in tatenloser Nostalgie nachtrauern. Für uns ist die DDR - der deutsche Friedensstaat, der seine "Freiheit" nicht am Hindukusch zu "verteidigen" vorgab, sondern in Europa als verläßlicher Partner des Warschauer Vertrages zur Zügelung potentieller Aggressoren beitrug - natürlich ein Stück Geschichte. Aber sie ragt, wie jeder täglich erfahren kann und spürt, weit in die Gegenwart hinein und entwirft Umrisse für die Zukunft. In diesem Sinne bleibt die DDR auf immer und ewig unser Vaterland. Wir waren trotz mancher Irr- und Umwege im Prinzip auf der richtigen Spur.

"Vaterlandslose Gesellen" hat eine ihnen dann das Sozialistengesetz auf den Hals schickende imperiale Obrigkeit einst die revolutionären deutschen Proletarier und deren unter der Fahne von Marx und Engels versammelte sozialdemokratische Vorkämpfer um August Bebel und Wilhelm Liebknecht genannt. "Die Arbeiter haben kein Vaterland", scholl es ihr aus der linken Ecke entgegen. Das gilt - bei allem Wandel der Verhältnisse und angesichts mehrfach ausgetauschten Personals - bis in unsere Tage. Verkörpert etwa die BRD mit ihrer massakerfahrenen Afghanistan-Truppe und ihrer als Demokratie daherkommenden Diktatur der Monopole, mit dem klaffenden Abgrund zwischen prassenden Millionären und Millionen an der Elendsschwelle Vegetierenden, mit Elite-Universitäten und grassierendem Bildungsnotstand, mit Massenarbeitslosigkeit und als Gesundheitsfürsorge bezeichneter Profitmacherei der Pharmakonzerne ein Vaterland, zu dem man sich bekennen sollte? Nein, die kapitalistische BRD, deren Staatsbürger wir wider Willen sind, kann nicht als die geistig-moralische Heimat aller Deutschen betrachtet werden. Wir sind - wie jedes andere Volk der Welt - stolz auf das große positive Erbe unserer Geschichte, unserer Kultur, Kunst und Wissenschaft. Dazu bekennen wir uns ohne jede Einschränkung, wobei wir nicht in chauvinistischen Taumel verfallen und allenthalben schwarz-rot-goldene Fahnen schwenken.

Noch ein Wort des Dankes an den deutschen Imperialismus, dessen Regierung, dessen Parteien und dessen stets einsatzbereite Medien! Niemand trägt so dazu bei, die Deutsche Demokratische Republik im Bewußtsein der Massen am Leben zu erhalten, wie jene, welche 20 Jahre nach deren staatlichem Ende Tag für Tag, Stunde für Stunde alle Register der Lüge, des Hasses und der Verleumdung ziehen.

Jede Schlammflut, die sich über die DDR ergießt, wirkt wie ein Bad in Sekt. Warum? Über Tote sagt man nichts Schlechtes, weiß der Volksmund. Auf Tote zielt man nicht, gehört zum militärischen Einmaleins. Und: Totgesagte leben länger, heißt es. Wäre die DDR politisch-ideologisch, mental und historisch so mausetot, wie das die Schreier und Schmäher unablässig verkünden, dann hätte es keiner von ihnen nötig, der Verblichenen auch nur einen einzigen Fluch hinterherzuschleudern. Sie könnten mit einem schlichten "Ruhe sanft!" von der Gewesenen scheiden. Doch die Gruft bleibt geöffnet. Aus ihr steigt jenes "Gespenst", welches Marx und Engels schon vor mehr als 160 Jahren beim Nachdenken über ein Kommunistisches Manifest entdeckt haben. Die Verfolger konnten seiner trotz aller Schläue und Schliche nicht habhaft werden! Es begegnet den hochmütigen Rittern des Kapitals wie deren buntem Troß unablässig in ihren Wach- und Alpträumen. So hört sich die Kakophonie des antikommunistischen Schauorchesters der DDR-Hasser am Ende wie eine wunderschöne Melodie an. Eine mit Schaum vor dem Mund gesungene Ode auf jene längst Gestorbene, die ihren Tod überdauert hat. Es lebe die Deutsche Demokratische Republik!

Klaus Steiniger

Raute

Über juristische Konsequenzen der Einverleibung der DDR

Rechtseinbußen durch Zwangsanschluß

Das neue Buch von Erich Buchholz kommt zur rechten Zeit. 20 Jahre nach dem Anschluß der DDR an die BRD haben Meldungen über angebliche Erfolge der "Wiedervereinigung" Hochkonjunktur. "Entweder blind, blöd oder bösartig" sei derjenige, der blühende Landschaften im Osten nicht sehe, gab kürzlich Herr de Maizière von sich. In unzähligen Veranstaltungen und Publikationen wird das "Unrecht" der DDR gegeißelt und der vermeintliche Rechtsstaat BRD glorifiziert. Angesichts solcher Botschaften ist es höchste Zeit, über die jüngste Vergangenheit wahrheitsgetreu Bilanz zu ziehen. Erich Buchholz tut dies mit seiner Publikation auf dem Gebiet des Rechts. Juristisch akribisch untersucht er durch Vergleiche von Normen beider Staaten im Zeitraum des Anschlusses der DDR an die BRD, ob der Bürger im Osten Rechte gewonnen oder verloren hat.

In den ersten beiden Kapiteln prüft der Autor anhand der Verfassung der DDR und des Grundgesetzes der BRD die klassischen politischen und Bürgerrechte sowie die sozialen, kulturellen und ökonomischen Grundrechte. Zur DDR gehören Achtung und Schutz der Würde wie der Freiheit der Persönlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Schutz von Ehe, Familie, Mutterschaft und Kind, Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, Freizügigkeit innerhalb des Territoriums sowie freie Religions- und Berufsausübung. Buchholz gelangt zum Ergebnis, daß "bei allen Unterschieden und unabhängig von der Rechtswirklichkeit und der jeweiligen Staatspraxis ... grundsätzliche Entsprechung konstatiert werden (darf)". Unterschiede sind in den politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnissen begründet. So regelt die DDR-Verfassung das Mitgestaltungsrecht der Gewerkschaften.

Besonders aufschlußreich ist das zweite Kapitel. Hier gibt es nichts zu vergleichen. Während sich nämlich das Grundgesetz der BRD in den klassischen Bürgerrechten erschöpft, enthält die DDR-Verfassung einen ganzen Katalog sozialer, kultureller und ökonomischer Grundrechte. Hier hat die DDR die Allgemeine Menschenrechtserklärung von 1948 und die Menschenrechtskonventionen von 1966 in ihre Verfassung transformiert. Dieses Kapitel garantiert Rechte, die man im GG an keiner Stelle findet: das Recht auf Arbeit, auf Bildung, auf Teilnahme am kulturellen Leben, auf Freizeit und Erholung, auf Schutz der Gesundheit und Arbeitskraft, auf Fürsorge im Alter und bei Invalidität sowie auf Wohnraum. Welche fundamentale Bedeutung gerade diese Rechte für die Entwicklung der Persönlichkeit und für die soziale Sicherheit haben, liegt auf der Hand. Buchholz zieht das Fazit: "Mit dem Anschluß an die BRD verloren die DDR-Bürger ihre sämtlichen sozialen, ökonomischen und kulturellen Grundrechte."

Im dritten Kapitel vergleicht der Autor Rechte unterhalb von verfassungsmäßigen Grundrechten. Er greift hierbei drei bedeutsame Lebensbereiche und Rechtsgebiete heraus: das Arbeitsrecht, das Wohnungsmietrecht und das Familienrecht. Dabei macht er fundamentale Unterschiede deutlich, die Rechtsverluste für die Bürger im Anschlußgebiet nachweisen. Ausführlich behandelt er die prozessuale Geltendmachung der Rechte auf den genannten Gebieten. Und er belegt hier anhand der Normen die Verständlichkeit und Überschaubarkeit der DDR-Regelungen. Die Wahrnehmung der Rechte war nicht vom Geldbeutel der Bürger abhängig. Entscheidender Maßstab für die gerichtliche Tätigkeit war die Aufklärung der Wahrheit.

Das Ergebnis seiner Untersuchungen faßt Buchholz im fünften Kapitel mit der eindeutigen Aussage zusammen, der DDR-Bürger habe durch den "Beitritt" seines Staates zum Geltungsbereich des Grundgesetzes "massive und weitgehende Rechtsverluste" erlitten. Ausdrücklich weist er darauf hin, daß nicht die Rechtsverwirklichung Gegenstand seiner Arbeit ist. Bekanntlich sind Rechtsnormen und Rechtswirklichkeit in keinem Staat völlig identisch. Allein aber der direkte Normenvergleich und die daraus resultierenden subjektiven Ansprüche machen deutlich, daß der ostdeutsche Bürger nach DDR-Recht stärker geschützt war. Insofern ist allein die bloße Gegenüberstellung des geschriebenen Rechts erkenntnis- und aufschlußreich.

Buchholz bleibt aber nicht beim Normenvergleich stehen. In einem letzten Kapitel behandelt er "Fragen über Fragen und weitere juristische Auswirkungen des Beitritts auf die DDR-Bürger". "Hatten die Abgeordneten der letzten DDR-Volkskammer bei Zustimmung zum Einigungsvertrag ausreichende Sach- und Rechtskenntnis über die Rechtslage? Haben sie sich um diese Kenntnis bemüht, um sachgerecht entscheiden zu können? Hat dies die Mehrheit der Abgeordneten nicht zumindest grob fahrlässig unterlassen?", fragt der Autor. Und er kommt zu dem Ergebnis: "Ein solcher Rechtsvergleich paßte nicht in die auf Anschluß der DDR an die Bundesrepublik gerichtete Politik." Entgegen Artikel 146, wonach das Grundgesetz nach Vollendung der Einheit Deutschlands seine Gültigkeit verliert, wenn eine Verfassung in Kraft tritt, "die vom deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist", erfolgte auf Betreiben maßgeblicher Politiker, insbesondere Kohls, der schnelle Anschluß nach Artikel 23 GG.

Wissenswertes und Kritisches vermittelt Buchholz zum Einigungsvertrag, der kein gegenseitiger Vertrag im "klassischen Sinne" war, sondern für die DDR-Bürger eine Unterwerfung unter die bundesdeutsche Rechtsordnung bedeutete. - Festzustellen ist: Der Vergleich der Rechtsnormen spricht für sich. Der Leser erhält Informationen und Wissen, die ihm die bundesdeutsche "Bildungs- und Mediengesellschaft" vorenthält. Das Buch behandelt zwar eine juristische Materie, ist aber nicht nur für Juristen bestimmt. Im Gegenteil: Es deckt für politisch Interessierte Wahrheiten auf, die man anderswo vergeblich sucht. Ein notwendiges Buch, das nicht nur zur Aufklärung über den Charakter beider Rechtssysteme beiträgt.

RA Hans Bauer

Erich Buchholz: Rechtsgewinne? Welche Rechte gewannen die DDR-Bürger durch den Beitritt? Haben sie Rechte verloren? Verlag Wiljo Heinen, Berlin 2010, 286 Seiten, 12 EUR, ISBN 978-3-939828-54-9

Raute

Wie wir vor 20 Jahren in das Deutschland von gestern zurückgestoßen wurden

Verlust einer Gesellschaftsformation

Landauf, landab würdigten die Medien der BRD im März 2008 das Ende der Amtszeit des Pfarrers der Leipziger Nikolaikirche. Als Prediger bei Bittgottesdiensten und als geistiger Urheber von Umzügen durch die Messemetropole hatte er sich in einschlägigen Kreisen einen Namen gemacht. Manche priesen Christian Führer so überschwenglich, als wäre er Spartakus und Robin Hood in einer Person, allerdings mit Jeansweste. Todesmutig hatte er dem "menschenverachtenden Unrechtsregime der stalinistischen DDR" die Stirn geboten und eine ständig größer werdende Schar von Gesinnungsgenossen an jedem Montag und bei jedem Wetter so lange um sich versammelt, bis das marode System zusammenbrach. Kurzum: Er war der Held, der Schulter an Schulter mit dem polnischen Papst Johannes Paul II. den Kommunismus in Europa zu Fall brachte. Die biblische Botschaft "Schwerter zu Pflugscharen" traf genau die allgemeine Sehnsucht nach Beseitigung der Massenvernichtungspotentiale in Ost und West. Damit hatte sich die Kirche in raffinierter Weise an die staatliche Friedenspolitik der DDR gehängt und so eine unangreifbare Einstiegsdroge für alles Weitere gefunden. Man sollte bei der Würdigung der Befreiungsschläge des Pfarrers der Nikolaikirche und seiner Amtsbrüder - von Eppelmann über Gauck bis Eggert - nicht vergessen, welche schwerwiegenden "Kollateralschäden" die Bevölkerung im Osten dafür hinnehmen mußte.

Doch zunächst einmal brachen "Freiheit" und "Menschenrechte" mit unglaublicher Urgewalt über das staunende Volk herein. Westautos, Kaufrausch, Reisemöglichkeiten in aller Herren Länder sowie vermeintlich unzensierte Medien waren deren populärste Attribute.

Aber alles hat seinen Preis. Der wird im allgemeinen mit Geld in Verbindung gebracht. Deshalb führte man schon vor dem offiziellen Ende der DDR die D-Mark ein. Etwa 40 Jahre nach jener ersten Währungsumstellung, welche 1948 der Spaltung Deutschlands den Weg bereitet hatte, wollte man diese nun mit den gleichen Mitteln wie einst überwinden. Weil es den Leuten damit aber noch zu gut ging, stieg man 2002 auf den Euro um, der zwar keine direkte Preiserhöhung mit sich brachte, aber in der Folge zur faktischen Halbierung aller Bezüge und Guthaben führte.

Zunächst mußte die "freiheitlich-demokratische Grundordnung" importiert werden. Die DDR-Bürger durften hautnah und zum ersten Mal erleben, was unter "freien Wahlen" zu verstehen war. Vom Westen aus stabsmäßig organisiert, wurde der Wahlkampf so durchgezogen, daß eine handverlesene Bande von Kapitalisten-Knechten ans Ruder gelangte, was die Entsorgung der gesellschaftlichen Alternative bewirkte. Jene Abgeordneten der letzten "DDR"-Volkskammer, welche der "Einheit Deutschlands" zustimmten, begingen Hochverrat, da nach der noch gültigen Verfassung ihres Staates darüber per Volksabstimmung zu befinden gewesen wäre.

Auch die Gottesdiener verrieten ihren spirituellen "Chef", der ihnen ausdrücklich auferlegt hatte: "Ich bin der Herr, Dein Gott, Du sollst nicht andere Götter haben neben mir!" Die damals dem Kapitalismus die Tore aufstießen, wußten genau, daß fortan das Geld und nicht Gott regieren würde. Dessen Sohn Jesus Christus aber hatte einst die Geldwechsler aus dem Tempel vertrieben. Nun holten sie gewissenlose Kirchenmänner ins Land. Was begann, war eine gottlose Zeit. Über das so "befreite" Territorium ergossen sich - Heuschreckenschwärmen gleich - die Sendboten westlicher Demokratie: Banker und Bankräuber, Versicherungs-, Anlagen- und Steuerberater, Supermarktbetreiber, Polizisten und Politikaster, Schranzen und Wanzen aller Art. Es handelte sich um echte Westimporte, meist dritte Wahl, und Rückkehrer, die der DDR einst die kalte Schulter gezeigt hatten. Wer es auf sich nahm, als Amtsträger in den Osten zu gehen, erhielt eine gepfefferte "Buschzulage". Auch Neonazis strömten nun scharenweise in die unterworfenen Provinzen. Die Wirtschaft wurde dem Volk gestohlen und bis auf ein paar Filetstücke, die sich Konzerne unter den Nagel rissen, plattgemacht. Die unbequeme Konkurrenz, deren Erzeugnisse keineswegs nur Schrott gewesen waren, verschwand so von den Märkten. Das auf echter Chancengleichheit beruhende, weil gebührenfreie Bildungssystem der DDR wurde ebenso liquidiert wie das vorbildliche Gesundheits- und Sozialwesen. Millionen Menschen standen über Nacht vor dem Nichts, ihre Lebensleistung reduzierten die Sieger auf "Mauer, Stacheldraht und Stasi". Die DDR wurde von jenen beurteilt und verurteilt, die nie in ihr gelebt hatten.

Für die Seelenhirten fand sich bald eine missionarische Aufgabe. Das weithin atheistische Volk der Ostler erfuhr auf einmal in ganz praktischer Weise die Bedeutung des Abendmahlgebets: "Unser täglich Brot gib uns heute ...". Doch auch Erfolge stellten sich ein: So ließ sich Nina Hagen - das "Gesamtkunstwerk" - evangelisch taufen. Da dürfte der liebe Gott, der doch allerhand gewöhnt ist, nicht schlecht gestaunt haben. - Der Arbeitsmarkt erwies sich als ein äußerst wirksames Instrument zur Beschneidung von Lohnforderungen. Denn Arbeitslose waren vom Unternehmerstandpunkt aus schon immer das beste Regulativ bei Tarifverhandlungen. Auch die Tätigkeitsstrukturen veränderten sich fundamental. Jetzt gibt es auch im Osten Aufstocker, Leiharbeiter, Ein-Euro-Jobber, "Hartzies", Straßenkinder, Obdachlose, Bettler, Erpresser, Suppenküchenbetreiber, Bordellbesitzer, Steuerbetrüger und Paparazzis. Die "Freiheit" öffnete den ganzen Fächer ihrer Möglichkeiten. In Sachen Kriminalität hat der Osten am schnellsten mit dem Westen gleichgezogen. Während zu DDR-Zeiten die Zahl verfolgter Straftaten nur etwa ein Zehntel der BRD-Vergleichsziffer betrug, wurde auch hier der Anschluß hergestellt.

Großartig ist die Pressefreiheit. Von einigen Monopolisten beherrscht, bieten Funk, Fernsehen und bunte Journale der "objektiven und vorurteilsfreien Meinungsbildung" ungeahnte Spielräume. Vom Flaggschiff des Schmierenjournalismus "Bild" angeführt, berichtet die Medien-Armada buchstäblich über alles, was unwesentlich ist. Wesentliches hingegen wird entweder unterschlagen, auf Nebenschauplätze verlegt oder einfach fehlinterpretiert. Haben unsere Vorkämpfer der Freiheit im Herbst 1989 tatsächlich weder gewußt noch geahnt, daß im Osten des nun unter imperialistischer Vormundschaft vereinigten Deutschlands die Menschenrechte derart mit Füßen getreten würden? Immerhin haben sie doch an unseren Universitäten jahrelang studiert und Wissen wie Überblick erworben.

Was Christian Führer betrifft, so blieb er bis zum Ende seiner Amtszeit in der Sakristei oder suchte gelegentlich eine Talk-Show auf. In manchen Fragen soll er sogar zu neuen Einsichten gelangt sein. Doch die Entwicklung ist über Leute seines Schlages längst hinweggegangen. Von den eigentlichen Regisseuren des keineswegs spontanen Geschehens, das sich vor 21 Jahren in der "Heldenstadt" zutrug, bis auf den heutigen Tag verklärt, bildeten die Leipziger Predigten und Aufmärsche jedoch nur den Auftakt eines ganz und gar unheroischen Vorgangs: des Sieges der Konterrevolution auf deutschem Boden.

Peter Pöschmann, Döbeln

Unser Autor war zu DDR-Zeiten Produktions- und Betriebsdirektor.

Raute

Gnadenlose Ausnutzung von Disproportionen (Teil 1)

Imperialistische Handelsbarrieren gegen die DDR

Unmittelbar vor seinem Ableben am 20. August schrieb Genosse Dr. Gerhard Beil einen für den "RotFuchs" bestimmten umfangreichen Beitrag zu Problemen der Außenwirtschaft. Seine Angehörigen übermittelten uns das wertvolle Material. Das "RotFuchs"-Kollektiv trauert um einen standhaften Kommunisten, herausragenden Staatsmann der DDR und Buchautor, der ein treuer Leser unserer Zeitschrift war. Wir veröffentlichen den informativen und bewegenden Text unseres Autors in drei aufeinanderfolgenden Heften.

Im Oktober 2010 jährt sich zum zwanzigsten Mal der Tag, an dem die DDR ihre Existenz als selbständiger Staat verlor. Dieses "Jubiläum" wird abermals genutzt, um ihre 40 Jahre währende Geschichte weiter zu verfälschen, Unwahrheiten zu verbreiten und davon abzulenken, daß die jetzt dominierende Art zu wirtschaften und zu konsumieren nicht die Lösung globaler Probleme, sondern deren Ursache ist. Der profitorientierte Raubbau an Menschen, Ressourcen und Umwelt führt immer tiefer in die Krise des kapitalistischen Systems. Das wird großen Teilen der Bevölkerung täglich bewußter. Sie verspüren täglich die Auswirkungen und machen sich Sorgen um ihre eigene Zukunft und die ihrer Kinder. Das die Herrschenden Beunruhigendste daran ist, daß in diesem Zusammenhang die Erinnerung an die DDR zunimmt und Vergleiche mit der heutigen Situation angestellt werden.

Das will man unter allen Umständen verhindern. Deshalb wird über die DDR und die sozialistische Idee mit enormer Aggressivität ein falsches Bild vermittelt. Entsprechende Fernsehsendungen und Filme, neue Lehrbücher in den Schulen und unablässige Berichte über den "Unrechtsstaat" sollen das Erinnern daran, wie es wirklich war, auslöschen. Der Schriftsteller Christoph Hein hat es auf den Punkt gebracht: Angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen in der BRD sei "der Verweis auf einen Staat, in dem es keine Arbeitslosigkeit gab und große soziale Sicherheit herrschte, besonders fatal" und müsse "zurückgewiesen werden".

Dabei waren 1945 die Ausgangsbedingungen für die sowjetische Zone, das spätere Gebiet der DDR, außerordentlich schlecht. Zu den starken Kriegszerstörungen - hier fanden schließlich die letzten Schlachten statt - kamen noch objektive Bedingungen hinzu. Es gab nur wenige Rohstoffvorkommen, eine ganz geringe metallurgische Basis bei einem überdurchschnittlichen Anteil des Maschinenbaus, auch keine leistungsfähigen Überseehäfen. Die deutsche Schwerindustrie hatte sich in Schlesien, das nun polnisch war, und im Ruhrgebiet konzentriert. Im Osten lagen die Zentren der Fertigwarenproduktion, im industrialisierten Sachsen wurden Automobile und Maschinen produziert. Es fehlten aber Grundstoffe. So verfügte die sowjetische Besatzungszone lediglich über 3 Prozent der deutschen Steinkohle, über 0,9 Prozent des Kokerei-Kokses, über 1,6 Prozent des Roheisens und über 7,6 Prozent des deutschen Rohstahls. Von 24 Hochöfen, die 1936 in Deutschland Roheisen erzeugten, befanden sich gerade einmal vier in der sowjetischen Zone. Der Osten Deutschlands war auf Kohle, Eisen und Stahl aus dem Ruhrgebiet angewiesen. Um die aus den vier Besatzungszonen resultierenden Disproportionen auszugleichen, wurden in der Nachkriegszeit zahlreiche Abkommen im sogenannten Interzonenhandel geschlossen.

Doch in dem Maße, wie sich die Spannungen zwischen den Großmächten verschärften, nahmen auch die Probleme im Warenaustausch zu. Die Handelsbeziehungen der Westzonen zur sowjetischen Zone wurden bereits unmittelbar nach Kriegsende zur Störung der Entwicklung benutzt. Seit Ende 1947 traten bei Roheisenlieferungen zunehmend Rückstände auf. Im November 1947 wurden zudem die Eisen- und Stahlpreise erhöht. Nach der separaten Währungsunion der Westzonen im Juni 1948 und der darauf folgenden Berlin-Blockade kam der Interzonenhandel nahezu zum Erliegen. Im Oktober 1949 schuf das Frankfurter Abkommen zwischen den beiden in jenem Jahr gegründeten deutschen Staaten kurzfristig neue Voraussetzungen für normale Handelsbeziehungen. Doch schon wenige Monate später, im Februar 1950, verhängte das Bonner Bundeswirtschaftsministerium faktisch ein Stahlembargo gegen die DDR, weil es Warenbegleitscheine für Eisen und Stahl verweigerte. Die westdeutschen Lieferungen gingen zwischen Januar und Juni 1950 von 12.500 Tonnen Roheisen und 22.500 Tonnen Walzstahlerzeugnisse auf 1800 bzw. 4500 Tonnen zurück.

Der innerdeutsche Handel war im Kalten Krieg zur Waffe gemacht worden. 1950 wurden nicht einmal 10 Prozent des Handelsumfangs von 1939 zwischen diesen Gebieten erreicht. Im Spätsommer 1951 verboten die Hohen Kommissare in der Bundesrepublik die bereits vereinbarten Lieferungen von Blechen und anderen Walzwerkerzeugnissen. Am 30. September 1960 kündigte die BRD das seit 1951 laufende Handelsabkommen auf.

Zu diesen dramatischen und ausschließlich politisch motivierten Belastungen der ostdeutschen Wirtschaft kamen die Reparationsforderungen hinzu. Nachdem die westlichen Zonen mit Billigung ihrer Besatzungsmächte jegliche Lieferungen an die UdSSR eingestellt hatten, mußten diese Forderungen nun von der sowjetischen Besatzungszone und nachfolgend der DDR bedient werden. Am Ende trug der Osten 98 Prozent und der Westen die restlichen zwei Prozent der Reparationskosten. Von 1946 bis 1953 handelte es sich um Waren und Leistungen im Wert von 99,1 Milliarden D-Mark (zu Preisen von 1953), also zwischen 40 bis 60 Prozent mehr, als in Potsdam ursprünglich für die sowjetische Zone vorgesehen war. Und während der Osten zahlte (was kein Vorwurf an die Adresse der UdSSR ist, deren Forderungen berechtigt waren), erhielt der Westen Milliardenhilfen im Rahmen des Marshallplans. Natürlich stellten die USA damit Abhängigkeiten her und leiteten absichtsvoll einen Prozeß der "Westintegration" ein. Die "Hilfe" war kein selbstloser Akt, weil man damit gleichsam ein "Bollwerk gegen den Kommunismus" errichtete. Sie war ein strategischer Baustein in der Politik des Containment (Eindämmung). Dennoch war dieser Anschub außerordentlich wirksam, um die Wirtschaft wieder in Gang zu setzen.

Im Osten hingegen wurden die Nachkriegsprobleme durch Demontage und Reparationen verschärft. Neben laufenden Produktionsentnahmen erfolgten auch Profiländerungen: Die Lieferungen entsprachen sowjetischen Forderungen, was Einfluß auf Struktur und Sortiment hatte. Der Bau von Schiffen und Eisenbahnwaggons erforderte eine Schwerindustrie, die erst aufgebaut werden mußte, was zusätzliche Anstrengungen erforderte. Und weil es kaum Steinkohle gab, konzentrierte man sich im Osten zwangsläufig auf Abbau und Verarbeitung von Braunkohle, was ebenfalls weitreichende Konsequenzen für die vorbereitende und die weiterverarbeitende Industrie hatte. Verglichen damit waren Umweltzerstörung und -belastung eher marginal. Und: Der Abbau von Uran-Erz wurde aus militärstrategischen Gründen um jeden Preis betrieben. Mit der Konstituierung eines Staates auf dem Territorium der sowjetischen Besatzungszone trug man im Osten notwendigerweise der zuvor erfolgten Bildung eines westdeutschen Separatstaates Rechnung. Notwendig insofern, als die drei Westzonen sich zu einem Völkerrechtssubjekt zusammenschlossen und die "Ostzone" gleichsam aus dem gemeinsamen Deutschland verdrängt hatten. Auf diese Spaltung mußte "Restdeutschland" reagieren. Es konnte nicht einfach als "Zone" weiterexistieren.

Dr. Gerhard Beil

Raute

Nachdenken über innenpolitische Ursachen des Untergangs der DDR

Erstarrung in der Stunde großer Gefahr

Zu den großen Leistungen der Bevölkerung der DDR gehört der Aufbau einer soliden ökonomischen Basis in Industrie und Landwirtschaft. Die volle Versorgung der eigenen Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen konnte garantiert werden. Industrie und Handel sicherten zwar den Grundbedarf, vermochten aber das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bei anspruchsvolleren Gütern immer weniger abzubauen. In der Endphase des Bestehens der DDR war dessen Beseitigung objektiv nicht mehr möglich.

In den 60er Jahren wurden wirtschaftliche Reformen angestrebt. Das von SED-Wirtschaftssekretär Erich Apel im Auftrag Walter Ulbrichts entwickelte Neue Ökonomische System der Planung und Leitung (NÖS) lief auf eine sozialistische Marktwirtschaft hinaus und stellte Wertekategorien in den Mittelpunkt. Auf Verlangen Moskaus wurde die Arbeit an diesem Projekt unter Erich Honecker vollständig eingestellt. Konsumtion und Akkumulation gerieten vor allem nach dem VIII. Parteitag in eine Schieflage, da die Aufteilung der Mittel zunehmend zugunsten der Konsumtion und zu Lasten der Akkumulation erfolgte. Das hatte natürlich negative Folgen für die notwendige Erneuerung der industriellen Basis.

Die Kreditaufnahme wurde sowohl im Inneren überzogen als auch im Ausland mit wachsenden Beträgen realisiert, ohne sie investiv wirksam zu machen.

Arbeitsmöglichkeiten für alle sicherten jedem ein würdiges Leben ohne Angst, wenn auch nicht in Reichtum oder Überfluß. Diese Garantie war zugleich auch die Voraussetzung für ein kameradschaftliches Miteinander der Menschen - ein Wert, der heute schmerzlich vermißt wird. Urlaub, Gesundheitsfürsorge, extrem billige Mieten und Tarife, darunter auch Fahrpreise, waren absolute Selbstverständlichkeiten und wurden durch jedermann als solche betrachtet. Das hatte indes den schwerwiegenden Nachteil, daß sie dadurch als echte Werte zu wenig erkannt und geachtet wurden.

Friedenspolitik war in der Verfassung verankerte Staatspolitik. Sie wurde von der Bevölkerung voll unterstützt. Gleiches galt für den Antifaschismus, der nicht verordnet zu werden brauchte. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß in den letzten Jahren rechte Skinheads und andere Neonazis hier und dort, z. B. bei Fußballspielen, in Erscheinung traten. "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!" war das Vermächtnis der Vergangenheit und die stärkste Motivation zur Herausbildung eines neuen Staates.

So ehrenwert das soziale Anliegen der Sicherung des Grundbedarfs aller Bürger (Wasser, Energie, Lebensmittel, Heizung usw.) war, so verführte es in der praktizierten Form zur Verschwendung und überstieg unsere ökonomischen Möglichkeiten.

Der richtige Grundsatz "Guter Lohn für gute Leistung" wurde zwar proklamiert, aber nicht oder nur ungenügend praktiziert. Schlamperei wurde nicht selten wie Qualitätsarbeit abgerechnet.

Die falsche Bewertung des geistigen und organisatorischen Anteils am Arbeitsergebnis wirkte sich ebenfalls verheerend aus. Wenn qualifizierte Meister oder Ingenieure trotz hohen Fachwissens oft mit weniger Geld nach Hause gingen als viele einfache Arbeiter, dann handelte es sich dabei um die Vergeudung von Bildungspotentialen, was sich negativ auf die Produktionsergebnisse und die Arbeitsmoral auswirkte.

Bildung sowie wissenschaftliche Forschung und Leistung erreichten in der DDR einen hohen Stand, der aber nicht effektiv umgesetzt werden konnte, da der notwendige Prozeß der Arbeitsteilung im RGW völlig unzureichend war. Die sehr kostspielige Entwicklung wissenschaftlicher Spitzenleistungen bedarf beim Absatz ihrer Ergebnisse eines großen Marktes, um den Aufwand wirtschaftlich effektiv zu machen. Die DDR war dafür zu klein und verfügte quantitativ nicht über die notwendigen Kapazitäten zur produktiven Umsetzung aller Forschungsresultate.

Die Diktatur des Proletariats, die sich als politische Herrschaft der Mehrheit über eine Minderheit verstand, entartete immer mehr zu einer Diktatur der Parteiführung. Die sozialistische Demokratie, deren Wesen auf der Balance zwischen Zentralismus und kritischer Mitbestimmung beruht, verschob sich unverkennbar zugunsten von Führungsentscheidungen. Das führte zur Passivität der Basis, die selbst noch in der existenzbedrohenden Krise des Sommers und Herbstes 1989 auf Anweisungen von "oben" wartete. Als die Spitze versagte und ausfiel, war man "unten" handlungsunfähig. Die Kampfkraft der Partei erlosch unter diesen Bedingungen weitgehend. 1989 sah sich die DDR zwar vor ökonomische Schwierigkeiten gestellt, war aber zu diesem Zeitpunkt nicht pleite, wie heute gern behauptet wird. Sie verfügte gegenüber den RGW-Staaten über einen Aktivsaldo von 6,1 Mrd. Valutamark, davon 3,1 Mrd. gegenüber der UdSSR.

Ihre Belastung in bezug auf Länder des nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiets (NSW) betrug 19,9 Mrd. Valutamark. Das war keine bedrohliche Größenordnung. Zinsen und Rückzahlungen hatte die DDR stets verläßlich beglichen. Das gern zitierte "Schürer-Papier", welches im Auftrag von Egon Krenz zustande gekommen war, weist lediglich auf Gefahren für den Fall hin, daß nicht ernsthaft an einer Erhöhung der ökonomischen Effektivität gearbeitet werde. Die Verhinderung einer echten Diskussion über entstandene Probleme, die ausstehende Weiterentwicklung des sozialistischen Gesellschaftsmodells angesichts einer veränderten Weltlage und die immer totalere Abschottung der Führung von der Parteibasis und der Bevölkerung gehören zu den wesentlichen Ursachen für die Erstarrung in dieser äußerst zugespitzten Situation. All das führte dann letztlich zum Untergang der durch die UdSSR Gorbatschows im Stich gelassenen DDR.

Horst Neumann, Bad Kleinen

Raute

Wie ein als "Mann des Ausgleichs" Posierender die Zähne fletscht

Meckels Dauerkrieg mit der Grafenfamilie

Markus Meckel, Pfarrer, Berufsbürgerrechtler und Sozialdemokrat, markiert mit Vorliebe den Mann für Friedensmissionen. Als letzter "DDR"-Außenminister gibt er sich gerne gemäßigt, integrationsstiftend und kompromißbereit. Daß er in Wirklichkeit auch ganz andere Saiten aufziehen kann, hat sich im uckermärkischen Mahlendorf herumgesprochen. Dort fletscht er bisweilen die Zähne und spuckt der Grafenfamilie von Arnim, die ihren "altangestammten Familienbesitz" durch Kauf zurückerworben hat, in die Suppe. Der 58jährige Theologe besitzt eine im malerischen Ort am Küstrinsee gelegene Immobilie mittlerer Größe, um die er hart hat kämpfen müssen.

Das vom "Spiegel" als "Zaunlattenstreit" bezeichnete Fingerhakeln zwischen Meckel und seiner adligen Nachbarschaft sorgte in der Vergangenheit bei der auf Ereignisse dieser Art geeichten bürgerlichen Presse des öfteren für Schlagzeilen. Der Streit wurde nämlich ohne Glacéhandschuhe ausgetragen. Mal war es der Bootssteg, mal die Wiese, mal die Grundstücksbegrenzung, die durch unterstellte Böswilligkeit der jeweils anderen Seite Schaden genommen haben sollten. Die sicher mit Klagen überhäuften Gerichte könnten ein Lied davon singen.

Übrigens sollen sich bei Meckels vor zehn Jahren erfolgtem Hauserwerb die Kontakte zum damals SPD-geführten Brandenburger Finanzministerium ausgezahlt haben. Und zwar im durchaus wörtlichen Sinne. Wie verlautete, soll das in Geldsachen sonst äußerst zugeknöpfte östliche Bundesland beim Meckelschen Grundstückskauf glatt auf 73.000 D-Mark verzichtet haben. Schon kurz nach dem Anschluß der DDR an die BRD tauchten Adolf-Heinrich Graf von Arnim und Gräfin Angelica zunächst unweit des Kanzlerinnen-Städtchens Templin auf, um "nach dem Rechten zu sehen". Mit anderen Worten: Sie wollten die einstmals gräflichen Latifundien wieder einsacken. Da die Arnims aber an ihren vormaligen Familienstammsitz nicht herankamen, verlegten sie sich auf Mahlendorf, wo ihnen der Rückkauf dann gelang. Dort begann unser wackeres Adelspaar mit der Zucht von Trakehnern.

Kurz darauf strebte auch der muntere SPD-Mann Markus Meckel dem Ort des Geschehens zu. Im September 1996 mietete er "vom Forst" ein Sechszimmerhaus als "Nebenwohnung". Zuvor hatte die Landesregierung den Arnims bereits ganz Mahlendorf mündlich zugesagt. Bei der indes unvermeidlichen Ausschreibung für das durch Meckel gemietete und nun auch von ihm als Kaufobjekt begehrte Anwesen bot dieser selbst mit, blieb aber weit unter der großzügigen Offerte seiner gräflichen Konkurrenz. Dennoch erhielt er erstaunlicherweise den Zuschlag. Begründung: Für Mahlendorf sei es besser, wenn es dort mehrere Eigentümer gebe. So sozial denken eben Sozialdemokraten, wenn sie einem der Ihren etwas zuschanzen wollen.

Die Schmierenkomödie hatte allerdings noch einen weiteren Akt: eine abermalige Ausschreibung. Jetzt brachten die Grafen eine deutlich höhere Kaufsumme mit der Begründung ins Spiel, ihr "Betriebskonzept" gehe ohne die Einbindung des Meckelschen Grundstücks nicht auf. Doch wiederum bissen sie auf Granit. Am 29. Dezember 2000 erwarb Markus Meckel das Objekt der Arnimschen Begierde. Er zahlte dafür 127.000 D-Mark - 73.000 weniger, als die adligen Nachbarn auf den Tisch gelegt hätten. Eine Bevorzugung durch seine Potsdamer "Genossen" sei das nicht gewesen, scherzte Meckel.

Seitdem lodert der Buschbrand des kleinen Dauerkrieges. Auch gelegentlich einziehende Waffenruhe hat die Flammen wohl nicht endgültig ersticken können.

RF, gestützt auf "Der Spiegel" (37/2009)

Raute

Abc des Marxismus - Arbeit

Arbeit ist zweckmäßige, bewußte Tätigkeit des Menschen, in der er mit Hilfe von Arbeitsmitteln Arbeitsgegenstände verändert und sie seinen Zwecken nutzbar macht. Durch die Arbeit verausgabt er seine Kräfte im Stoffwechselprozeß mit der Natur. Sie ist neben dieser die Quelle allen Reichtums in jeder Gesellschaftsordnung.

"Die Arbeit ...", schrieb Friedrich Engels, "ist die erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen Maße, daß wir in gewissem Sinn sagen müssen: Sie hat den Menschen selbst geschaffen." (MEW, 20/444) Durch die Arbeit, die immer mehr gesellschaftlichen Charakter annahm, haben sich die Menschen aus der Tierwelt herausgehoben. So ist der Mensch als Teil seiner Gattung ein geselliges Wesen, das nur in bezug auf die Gesellschaft seine Individualität entwickeln kann.

Mehr noch: Alles, was spezifisch "menschlich" genannt zu werden verdient, ist der durch Arbeit erworbenen Fähigkeit geschuldet, zweckmäßig und bewußt, also planend, zu agieren. Denn "zweckmäßig" zu handeln setzt voraus, daß der Mensch eine ideelle Vorstellung vom angestrebten Resultat seiner Aktion entwickelt. So gesehen hat die Arbeit nicht nur in einem langen Entwicklungsprozeß sein materielles Leben geprägt. Sie war letztlich auch die Voraussetzung für das menschliche Vermögen, abstrakt zu denken, Kunstwerke zu schaffen, moralische Normen des Zusammenlebens zu entwickeln und Weltanschauungen zu begründen. Das trifft auch auf religiöse Vorstellungen zu. Es gilt erst recht für den von Karl Marx und Friedrich Engels begründeten dialektischen und historischen Materialismus. Er ermöglicht ein wissenschaftliches Verständnis des Geschichtsverlaufs und liefert den Schlüssel für die Aufdeckung der - angesichts der Wechselwirkung von objektiven Bedingungen und subjektiven Faktoren - komplexen Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung.

Der Kapitalismus beraubt einen stetig wachsenden Teil der Arbeitsfähigen (also nicht der zur Arbeit noch zu Jungen oder der Alten bzw. der wegen Krankheit oder Invalidität nicht Leistungsfähigen) des Rechts, im Stoffwechsel mit der Natur durch gesellschaftlich nützliche Arbeit ihre Kräfte zu erproben und ihr Menschsein zu entfalten. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung hat nicht zuletzt aus diesem Grund auf längere Sicht keine Zukunft. Auch die allgegenwärtige Angst davor, in das Heer der bereits Ausgestoßenen zu fallen, ist nichts anderes als eine permanente Verletzung des grundlegenden Menschenrechts, selbstbewußt vernünftige Verhältnisse des Zusammenlebens der Menschheit zu schaffen und auszugestalten. Erst wenn die ganze Gesellschaft um die Sonne der Arbeit kreist, ist wirkliche Freiheit möglich.

Prophetisch sind Goethes stolze Worte, die er Prometheus an Zeus richten läßt:

Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte, die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.

Wer so klar die Grundlage seines Menschseins und seiner Kraft erfaßt hat, ist letztlich nicht zu bezwingen.

Prof. Dr. Götz Dieckmann

Raute

Wie ein "Spitzendiplomat" die DDR zur Disposition stellte

Außenpolitik oder Ausverkauf?

Unablässig wird an den Weg zur "Wiedervereinigung" vor 20 Jahren erinnert. Warum erscheint es so, als hätte es 1990 gar keine DDR-Außenpolitik mehr gegeben? Die 10. Volkskammer, die am 18. März 1990 gewählt wurde und am 12. April die Regierung berief, brach den bewährten Kurs des zweiten deutschen Staates abrupt ab. Zuvor war es den Abgeordneten um die jeweils besten äußeren Bedingungen für das Wirken der DDR und ihrer Bürger gegangen. Zu den unveräußerlichen Prinzipien hatten der sozialistische Internationalismus in bezug auf die Bruderländer, die friedliche Koexistenz gegenüber imperialistischen Staaten und die antiimperialistische Solidarität mit der Dritten Welt gehört. Die Außenpolitik der DDR genoß Achtung, wie sich bei Abstimmungen in der Vollversammlung der Vereinten Nationen immer wieder zeigte.

Die 10. Volkskammer beschritt einen diametral entgegengesetzten Weg. Der 1990 ans Ruder gelangte Mann fürs Äußere Markus Meckel (SPD) versucht seitdem eine Pseudo-Erfolgsbilanz seiner Amtszeit zu präsentieren.

Zu den "Leistungen" der Meckel-"Crew" gehört die Preisgabe aller Grundsätze, die der DDR als souveräner Staat zustanden: des Selbstbestimmungsrechts, der Gleichberechtigung, der Nichteinmischung und der Achtung der Souveränität. Durch ihr gesamtes Agieren trugen Meckel & Co. zum Untergang des eigenen Staates bei. (Wir haben das bereits im Beitrag über die Zwei-plus-vier-Verhandlungen nachgewiesen.) Sie begingen im Sinne der DDR-Verfassung Hochverrat. Es gab indes auch gewisse Scheinaktivitäten. So besuchte Frau Dr. Bergmann-Pohl als Volkskammerpräsidentin einige DDR-Botschaften. Ihre Auftritte dort wurden von den jeweils beteiligten Diplomaten als peinlich bezeichnet.

Meckel fand für Angehörige seiner Sippe attraktive Pöstchen - für kurze Zeit. Die erfahrenen und qualifizierten Mitarbeiter des MfAA der DDR wurden hingegen "abgewickelt".

Am 22. April nahm die "DDR"-Volkskammer eine Erklärung an, in der es hieß: "Durch Deutsche ist während der Zeit des Nationalsozialismus den Völkern der Welt unermeßliches Leid zugefügt worden. Nationalismus und Rassenwahn führten zum Völkermord, insbesondere an den Juden aus allen europäischen Ländern, an den Völkern der Sowjetunion, am polnischen Volk und am Volk der Sinti und Roma. Diese Schuld darf niemals vergessen werden. Aus ihr wollen wir unsere Verantwortung für die Zukunft ableiten."

Meckel begründete die "Notwendigkeit" dieser Erklärung mit den Worten: "Die SED hatte eine solche Verantwortung immer geleugnet. Sie glaubte sich von jeder nationalen Verantwortung frei."

Pfarrer Meckel wäre allerdings schon im Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 im umgekehrten Sinne fündig geworden: "Um so mehr müssen in jedem deutschen Menschen das Bewußtsein und die Scham brennen, daß das deutsche Volk einen bedeutenden Teil Mitschuld und Mitverantwortung für den Krieg und seine Folgen trägt. Nicht nur Hitler ist schuld an den Verbrechen, die an der Menschheit begangen wurden! Ihr Teil Schuld tragen auch die zehn Millionen Deutschen, die 1932 bei freien Wahlen für Hitler stimmten, obwohl wir Kommunisten warnten: 'Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!'

Unser Unglück war, daß Millionen und aber Millionen Deutsche der Nazidemagogie verfielen, daß das Gift der tierischen Rassenlehre, des 'Kampfes um Lebensraum', den Organismus des Volkes verseuchen konnte", hieß es in diesem historischen Dokument.

Die Kommunisten, die sich auch hier zu ihren eigenen Fehlern am Nichtzustandekommen einer Einheitsfront gegen Hitler bekannten, zogen aus der Spaltung der Antifaschisten vor 1933 die entscheidende Schlußfolgerung für ihre Politik nach 1945: Arbeitereinheit und Block der Demokraten.

Meckel verweist als besonderes Verdienst auf die Erklärung der Volkskammer vom 12. April 1990, in der "die Juden in aller Welt um Verzeihung gebeten" wurden für "Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Lande". Tatsache ist: Die DDR verurteilte in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und der überwältigenden Mehrheit der UNO-Staaten wiederholt die Aggressionspolitik Israels. Das aber hat mit Antisemitismus nicht das geringste zu tun. Als die 10. Volkskammer diesen Beschluß faßte, waren führende jüdische Funktionäre in der DDR bereits für vogelfrei erklärt und zum Teil inhaftiert worden. Unter ihnen befand sich auch der Auschwitz-Überlebende Hermann Axen.

Jene Volkskammer-Abgeordneten von 1990, die heute noch im Bundestag sitzen, sollten die Regierung Merkel vielmehr dazu bewegen, das Wirken des Judenmörders Hans Globke als Staatssekretär Adenauers endlich zu verurteilen.

Gegenüber der Tschechoslowakei bekannte sich die 10. Volkskammer zu einer angeblichen Mitschuld der DDR "an der Niederschlagung des Prager Frühlings" 1968 durch Truppen des Warschauer Vertrages und bat dafür um Entschuldigung: "Wir haben in Angst und Mutlosigkeit diesen Völkerrechtsbruch nicht verhindert. Das erste frei gewählte Parlament der DDR bittet die Völker der Tschechoslowakei um Entschuldigung für das begangene Unrecht."

Dazu nur so viel: Die DDR und ihre NVA waren stets ein verläßlicher Partner des Warschauer Vertrages, aber nicht am Einmarsch 1968 in Prag beteiligt. Schon 1950 hatte die DDR das Münchner Diktat als für von Anfang an ungültig erklärt, was die BRD bis heute verweigert.

Meckel spiegelt vor, erst am 18. Mai 1990 sei jemand in der DDR darauf verfallen, etwas für die Versöhnung mit Polen zu tun. Da kam er jedoch 40 Jahre zu spät.

Am 21. Juni 1990 nahm die 10. Volkskammer eine zuvor mit dem Bonner Bundestag im Wortlaut abgestimmte Entschließung zur Endgültigkeit der Oder-Neiße-Grenze an. In dieser verkündeten beide Parlamente ihren Willen, den Verlauf der Grenze zwischen der größer gewordenen BRD und Polen durch einen völkerrechtlichen Vertrag definitiv zu bekräftigen. Darin müßten gegenseitige Gebietsansprüche ausgeschlossen werden. Auch hiermit wurden Eulen nach Athen getragen. Denn bereits im Juli 1950 hatte Otto Grotewohl im Namen der DDR haargenau das mit seinem Signum unter das Görlitzer Abkommen bekundet, während die BRD 40 Jahre lang darauf "verzichtete", die Oder-Neiße-Grenze völkerrechtlich anzuerkennen.

Meckels "Verdienste" auf außenpolitischem Gebiet schrumpfen also auf Null zusammen. Seine Direktiven holte er sich im Bonner Privathaus Hans Dietrich Genschers. Interessen der DDR wurden dabei durch den "DDR"-Außenminister mit Gewißheit nicht vertreten. Nachträglich schrieb dieser offenherzig: "Ziel der freigewählten DDR-Regierung war die Herstellung der deutschen Einheit. Unsere Aufgabe war es, die Selbstauflösung der DDR vorzubereiten und durchzuführen, bei rechtlichem Fortbestehen der Bundesrepublik Deutschland als vereinigtes Deutschland."

Jene Monate im Sommer 1990 waren das wohl schmählichste Kapitel eines bereits in Liquidation befindlichen Staates, dessen Anführer dem deutschen Imperialismus sämtliche Tore öffneten.

Mit der DDR, deren eigentliche Geschichte am 18. März 1990 ihr Ende fand, hatte das de facto nichts mehr zu tun.

Prof. Dr. Horst Schneider

Raute

Der FDGB-Feriendienst war eine große Errungenschaft der DDR

Über Urlaub im Sozialismus

Schenkt man den Veröffentlichungen in Blättern und Magazinen der BRD Glauben, so hat es in der DDR offenbar kaum ein "normales" Leben gegeben. Dort herrschten ausschließlich Unterdrückung, Bespitzelung durch die "Stasi", Doping im Sport, Bevormundung auf Schritt und Tritt. Die Bürger lebten ja auch in einem Unrechts- und Polizeistaat. Offenbar geht man davon aus, daß eine deutliche Mehrzahl heutiger Leser, Hörer und Zuschauer die DDR gar nicht, kaum oder zumindest nicht bewußt erlebt hat. Das stimmt zweifellos. Der Kreis jener wird immer kleiner, welche noch klare Vorstellungen von ihr haben. Deshalb sollte man alles tun, um zu verhindern, daß die Wahrheit über den ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden völlig unter die Räder kommt.

Wie überall ging es auch in der DDR ganz normal zu. Die Arbeitszeiten waren gesetzlich geregelt. Der Mindesturlaub wurde garantiert. Die berufstätigen Frauen bekamen im Monat einen bezahlten Hausarbeitstag. Behinderte, Schichtarbeiter und weitere Werktätige hatten Anspruch auf Zusatzurlaub. Auch in der DDR war der Sonnabend in späteren Jahren arbeitsfrei.

Jedem Bürger blieb überlassen, was er in seiner Freizeit unternehmen wollte. Das Angebot an kulturellen und sportlichen Veranstaltungen und Betätigungsmöglichkeiten war groß, der Erwerb von Bildung stand allen offen. Wer wollte, konnte sich in Kulturgruppen, Sportvereinen und anderen Kollektiven aktiv einbringen.

Kleingärten, Freibäder, Gartenlokale, Grünanlagen und auch der eigene Balkon dienten der Erholung. Viele verreisten im Urlaub, gemeinschaftlich oder individuell. Wer diesen organisiert verbringen wollte, mußte dabei Hilfe in Anspruch nehmen. Allerdings war nicht - wie im kapitalistischen Deutschland unserer Tage - eine unüberschaubare Zahl kommerzieller Reiseanbieter zur Stelle. Zu DDR-Zeiten lag das in der Hand staatlicher und gesellschaftlicher Organe.

Zum Freien Deutschen Gewerkschaftsbund gehörte der FDGB-Feriendienst. Er unterhielt vielerorts eigene Heime, die von seinen Mitgliedern im Urlaub genutzt werden konnten. Sie befanden sich vorwiegend in den beliebtesten Erholungsgebieten, so im Harz, im Thüringer Wald, in der Sächsischen Schweiz, an der Mecklenburgischen Seenplatte und natürlich an der gesamten Ostseeküste. Zunächst waren es Einrichtungen, die schon früher ähnlichen Zwecken gedient hatten. Bald kamen zahlreiche neue Bauten hinzu, die entweder vom Staat oder durch die Gewerkschaften selbst finanziert wurden. Sie entstanden z. B. an Talsperren und in anderen landschaftlich reizvollen Revieren. In Klink an der Müritz wurden komplette Urlaubersiedlungen geschaffen. Schließlich übernahm der FDGB sogar Kontingente der recht luxuriösen Interhotels und verfügte damit über Ferienplätze sämtlicher Kategorien. Übrigens nutzte die Gewerkschaft auch zwei recht großzügig ausgestattete Urlauberschiffe.

Der überwiegende Teil der Plätze ging zur Vergabe an die Betriebsgewerkschaftsleitungen (BGL). Dabei wurden kinderreiche Familien bevorzugt. In den Sommermonaten dauerte ein Turnus meist 14 Tage, im Winter eine Woche. Die Leistungen umfaßten neben dem Quartier auch Vollverpflegung sowie die kulturell-sportliche Betreuung. 14 Tage kosteten pro Person 30 DDR-Mark. Die Differenz zum tatsächlichen Aufwand trug der FDGB. In den 60er Jahren wurden die Preise dann vom Einkommen der Nutzer abhängig gemacht. "Besserverdienende" zahlten nun mehr. Der Höchstpreis für Erwachsene lag bei 100 Mark, für Kinder verlangte man in allen Kategorien nach wie vor 30 Mark.

Neben dem FDGB schufen sich größere volkseigene Betriebe und Kombinate zusätzliche Kapazitäten für die Urlaubsgestaltung ihrer Mitarbeiter. Hier war das Spektrum sehr vielseitig. Es reichte von festen Gebäuden bis zu mobilen Campingeinrichtungen. Die Preise orientierten sich an denen des FDGB-Feriendienstes.

Damit ist gesagt, daß sich die Kosten auf diesem Gebiet in einer Höhe bewegten, die für alle DDR-Bürger erschwinglich war. Im Schnitt zahlte eine Familie mit zwei Kindern für 14 Tage 250 bis 300 Mark.

Doch die bereitgestellten FDGB-Plätze reichten nicht aus. So blieben Bewerber unberücksichtigt. Nicht jeder konnte jedes Jahr bedient werden. Aus diesem Grunde verbrachten viele ihren Urlaub individuell, was zur Entspannung der Lage beitrug.

Auslandsurlaub und Auslandsreisen vermittelte das Reisebüro der DDR. Vorrangig orientierte man sich dort auf sozialistische Staaten Osteuropas und die UdSSR, in geringerem Umfang auch auf Länder anderer Regionen und Erdteile. Meist wurde ein Visum benötigt. Es gab Beschränkungen bei der Ausstattung mit Zahlungsmitteln des Gastlandes. Aber auch hier fand man Auswege: Viele Betriebe unterhielten durch ihre wirtschaftlichen Kontakte Verbindungen zu Unternehmen in sozialistischen Partnerländern. So wurde ein internationaler Urlauberaustausch organisiert. Die Beteiligten zahlten für die Gasturlauber in der jeweiligen Währung. Das war bisweilen nicht ganz legal, doch der Zweck heiligte die Mittel.

Erwähnenswert ist, daß die vom FDGB in eigener Regie betriebene Sozialversicherung (SVK), die alle Beschäftigten sowie deren Familienangehörige erfaßte und betreute - es herrschte ja nicht der Kassenwirrwarr der BRD - auf ärztliche Verordnung auch sämtliche Vorbeugungs- und Heilkuren vergab. Obwohl diese aus medizinischen Gründen erforderlich waren, hatten sie stets einen hohen Erholungseffekt, was von nicht wenigen DDR-Bürgern als zusätzlicher Urlaub betrachtet wurde.

Es soll indes nicht verschwiegen werden, daß es neben der hier geschilderten Palette großzügiger Urlaubsmöglichkeiten auch Unzufriedenheit auslösende Einschränkungen gab. Sie betrafen vor allem Reisen in das nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet (NSW), zu dem die BRD gehörte. Verboten waren sie nicht generell, aber schwer zu erhalten. Die DDR-Führung befürchtete nicht ganz grundlos, daß ein Teil der Reisenden im Westen bleiben würde. Der in Betracht kommende Kreis von "Reisekadern" bestand daher im wesentlichen aus zwei Gruppen: Dienstreisenden, die im NSW politische, wirtschaftliche, kulturelle und andere Aufgaben zu erfüllen hatten, und Personen, deren Reisezweck in der Wahrnehmung familiärer Anlässe bestand. Rentner durften ihre Verwandten in der BRD besuchen.

Andere Bürger konnten zwar ebenfalls "Westreisen" beantragen, hatten dabei aber wenig Aussicht auf Erfolg. Ihre Anträge wurden in einem mehrstufigen Verfahren bearbeitet. Zunächst mußten die Leiter der Betriebe diese unterstützen. Dann prüften sie die zuständigen Staatsorgane. Erst wenn alle zugestimmt hatten, konnte die Reise stattfinden. Die aus politischen, vor allem aber auch aus ökonomischen Gründen eingeschränkte Reisefreiheit erwies sich als Achillesferse der DDR.

Prof. Dr. Erich Dreyer, Dresden

Unser Autor war vor seiner Berufung an die TU Dresden Fachdirektor für Arbeit und Soziales im Volkseigenen Kombinat Robotron.

Raute

Warum die "zwangskollektivierten" Genossenschaftsbauern 1990 ihre Betriebe nicht auflösten

Erfahrungen eines LPG-Vorsitzenden

Am 8./9. Mai 2010 veröffentlichte die "Märkische Allgemeine" (MAZ) einen Artikel unter der Überschrift "Das Tribunal fiel ins Wasser". Darin befaßte sich Igor Göldner mit der Position des Ministerpräsidenten von Brandenburg, Matthias Platzeck, zum Thema "Zwangskollektivierung" von Bauern in der DDR. Platzeck verurteilte die von ihm unterstellte Tatsache als "DDR-Unrecht", machte jedoch keine weiteren Ausführungen dazu. Kerstin Kaiser von der Partei Die Linke unterstützte diese Position.

Göldner schreibt: "Es geht um den Umgang mit der Zwangskollektivierung in der DDRLandwirtschaft vor 50 Jahren ..." Es sei völlig unstrittig, daß damals Tausende Bauernfamilien großes Unrecht erlitten hätten. Mit Repressalien und Schauprozessen seien sie zur Aufgabe ihrer Höfe gezwungen worden. CDU-Vizefraktionschef Peter Dombrowski vermißte bei Platzeck "Selbstkritik und hinreichenden Respekt vor den Opfern der Enteignungen".

Das sind drei Lügen auf einmal. Als Beteiligter bei der Bildung von Genossenschaften in jener Zeit und aus der Erfahrung meiner Tätigkeit als Agronom, Zootechniker und LPG-Vorsitzender möchte ich einiges richtigstellen:

Es gab in der DDR kein Gesetz, das Bauern verpflichtete, einer LPG beizutreten. Von der Bildung der ersten Genossenschaft 1952 bis 1960, als schließlich 99,8 % aller Bauern LPG-Mitglieder waren, vergingen acht Jahre. In dieser Zeit wurde intensiv daran gearbeitet, die Bauern zum freiwilligen Eintritt zu bewegen. (1989 gab es immer noch Einzelbauern, vor allem in solchen Gebieten, wo der Einsatz von Großmaschinen nicht möglich war.)

Auch wenn in Einzelfällen von übermotivierten Vertretern des Staats- und Parteiapparates Druck ausgeübt wurde, konnte kein Bauer wegen seiner Weigerung, in die LPG einzutreten, bestraft werden. Wer eintrat, wurde dadurch nicht enteignet. Der eingebrachte Boden blieb weiter Privatbesitz und wurde von der LPG nur bewirtschaftet.

Die Bauern entschieden selbst, welchem der drei LPG-Typen sie beitreten wollten. Zur Auswahl standen: Typ I, bei dem nur das Ackerland gemeinsam bewirtschaftet wurde; Typ II mit gemeinsamer Nutzung von Ackerland, Wiesen und Maschinen und Typ III, bei dem die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche, das Vieh, die Gebäude und Maschinen in die LPG eingebracht wurden. In manchen Dörfern gab es mehrere Genossenschaften unterschiedlichen Typs.

Im Typ III hatte jede Familie das Recht, einen halben Hektar Acker privat zu nutzen. Die Bauern erhielten je Hektar eingebrachten Bodens jährlich Geld oder Produkte für die individuelle Viehhaltung. Erlaubt waren eine Kuh mit Nachwuchs, eine Sau mit Nachwuchs sowie Federvieh in unbegrenzter Zahl. Mit zunehmendem Einkommen aus der LPG verzichteten die meisten Bauern auf die individuelle Viehhaltung und ließen sich das Äquivalent der Produkte in Geld auszahlen. Für die beim Eintritt übergebenen Gebäude, Maschinen und Tiere wurde ein deren Wert entsprechender Betrag auf einem Konto gutgeschrieben. Bei zunehmender Leistungsstärke der LPG konnte dieser über den Pflichtbeitrag hinaus in den folgenden Jahren ratenweise ausgezahlt werden. Der Vorsitzende und der Vorstand der LPG wurden von den Mitgliedern in freier Wahl bestimmt.

Mitte 1959 waren in meinem Dorf etwa 90 % der Bauern Mitglieder der LPG. Die Flächen der verbliebenen Einzelbauern lagen teilweise zwischen unseren, was die Arbeit erschwerte. Deshalb suchten wir die noch Außenstehenden zu gewinnen. Die Diskussionen mit ihnen zogen sich manchmal bis in die Nacht hin. Niemals wurden Zwangsmaßnahmen angedroht. Allerdings ist es auch bei uns vorgekommen, daß die Zusage zum Eintritt in die LPG zwar gegeben wurde, die Bauernfamilie aber tags darauf in Richtung Westberlin verschwand. Die Zusicherung der Bundesregierung, für den hinterlassenen Hof einen Ausgleich zu zahlen, war in vielen Fällen sicher das treibende Motiv. Übrigens kam das Geld für die aufgelösten oder verkauften Haushalte geflüchteter Bauern auf ein Sperrkonto, über das die Eigentümer im Falle ihrer Rückkehr verfügen konnten.

Die aufgegebenen Höfe mußten bewirtschaftet werden. Teilweise wurden sie zu Örtlichen Landwirtschaftlichen Betrieben (ÖLB) zusammengefaßt. Diese standen unter staatlicher Aufsicht. Nach 1960 wurden die ÖLB meist von LPG bzw. Volkseigenen Gütern (VEG) übernommen.

Bei der Bodenreform im Jahre 1946 sind nur Betriebe mit einer Fläche von mehr als 100 Hektar LN sowie solche von Kriegsverbrechern und Nazi-Aktivisten enteignet worden. Viele Umsiedler und Landarbeiter, die aus dem Bodenreformfonds etwas bekommen hatten, waren keine gelernten Landwirte. Oft waren diese Neubauern außerstande, der staatlichen Ablieferungspflicht zu festen Preisen voll nachzukommen. An die Lieferung "freier Spitzen" zu höheren, jedoch wechselnden Preisen war bei solchen Betrieben gar nicht zu denken. Über die Bäuerliche Handelsgenossenschaft (BHG) sowie durch die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) wurde mit staatlicher Unterstützung versucht, diesen "Landwirten" unter die Arme zu greifen.

1952 entstanden die ersten LPG, denen vor allem die wirtschaftlich schwächsten Bauern des Dorfes zustrebten. In den Anfangsjahren durften Großbauern nicht aufgenommen werden. Für die LPG-Vorsitzenden jener Etappe war es nicht leicht, von einem eigenen 8- bis 10-Hektar-Hof auf die Bewirtschaftung von 1000 und mehr Hektar umzuschalten. Man entsandte Studenten landwirtschaftlicher Hoch- und Fachschulen in die Dörfer, um den Genossenschaften bei der Planung und Lösung ihrer Aufgaben zu helfen.

Die DDR-Regierung unterstützte die LPG durch Sicherstellung eines Mindesteinkommens für jedes Mitglied, bevorzugte Versorgung mit Saatgut und Düngemitteln sowie durch die Schaffung von Maschinen-Ausleih-Stationen (MAS). Sie waren Dienstleistungsbetriebe für die Landwirtschaft. Bei ihnen arbeiteten zunehmend Absolventen entsprechender Hoch- und Fachschulen, die den Genossenschaften zur Seite standen. In späteren Jahren wurden sie direkt in die LPG delegiert, während der Staat ihr Gehalt weiterzahlte.

Nachdem sich die Genossenschaften einigermaßen gefestigt hatten, konnten auch Großbauern in sie eintreten. Die MAS wurden in Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) umgewandelt. Diese arbeiteten auf Antrag für die LPG, aber auch für Einzelbauern. Nachdem 1960 fast alle Mitglieder der LPG waren, ging die Technik der MTS zum eigenverantwortlichen Einsatz an diese über. Auch die meisten Traktoristen traten ihr bei. Die früheren MTS hießen nun Kreisbetriebe für Landtechnik (KfL) und übernahmen die Instandsetzung von Maschinen und Geräten der LPG.

Das Dorfleben wurde weitgehend durch die Genossenschaften beeinflußt. Für deren Mitglieder war Urlaub kein Fremdwort mehr. Viele Betriebe hatten sich eigene Ferienheime geschaffen und tauschten die Plätze untereinander aus. Die LPG-Kantinen sorgten für warmes Mittagessen, das 0,80 bis 1 Mark kostete. Kindergärten, Kulturgruppen, Wäschedienst, Winterdienst und vieles mehr gehörten selbstverständlich dazu. Darüber ist aus den heutigen Medien allerdings nichts zu erfahren.

Symptomatisch dafür, daß die LPG gesunde Betriebe waren, deren Mitglieder sich wohl fühlten, ist die Tatsache, daß nach 1990 die Mehrzahl von ihnen trotz aller durch die neuen Machthaber ersonnenen und errichteten Hindernisse noch heute besteht, wenn auch in geänderter Rechtsform.

Dr. Manfred Graichen, Berlin

Raute

Frühere DDR-Heimkinder weisen Verdächtigungskampagne zurück

Sachsen-Anhalts "größte Familie"

In der zweiten Julihälfte fand nach zweijähriger Pause wieder ein traditionelles Treffen ehemaliger Heimkinder und ihrer Angehörigen sowie früherer oder noch heute tätiger Erzieher des Kinderheimes "Bruno Tesch" in Friedrichsbrunn statt. Wir Unterzeichner befanden uns dort in der Zeit von 1975 bis 1986 für jeweils mehrere Jahre, oftmals bis zum Schulabschluß. Es war bereits unsere siebente Wiederbegegnung.

Die damaligen Erzieher sowie das Personal gaben uns Geborgenheit und eine Heimstatt. Heute kommen wir aus allen Teilen Deutschlands stets für einige Tage hier zusammen. 2008 nahmen 29 Ehemalige teil, doch seitdem haben wir immer mehr der Unseren im Internet gefunden. Diesmal reisten 35 frühere Heimkinder an, die in herzlicher Atmosphäre in Erinnerungen schwelgten und sich einer Zeit besannen, die ihnen einen guten Start ins selbständige Leben ermöglicht hat. Jedes Mal sind wir Gäste in unserem Kinderheim, das heute "Zur Tannenspitze" heißt. Wir danken der jetzigen Leiterin Frau Kessler, die uns immer noch das Gefühl gibt, wir wären hier zu Hause. Dabei fühlen wir uns so wie erwachsene Kinder, die in ihre Familie zurückkehren. So sind wir auch nach fast 30 Jahren allen Mitarbeitern unseres Heimes, auch den technischen, für ihre damaligen Bemühungen verbunden.

Wir danken auch den Lehrern der örtlichen Schule, die es nicht immer leicht damit hatten, daß wir das Lernziel erreichten. Unser Dank richtet sich auch an viele Einwohner und Eltern der Mitschüler aus dem Ort, die uns nie das Gefühl des Fremdseins spüren ließen. Wir waren dort nicht Außenseiter, und viele persönliche Verbindungen haben sich bis heute erhalten.

Wir kamen alle nicht freiwillig, sondern aus notwendigen familiären Gründen unterschiedlicher Art ins Heim. Es fiel uns anfangs schwer, mit den neuen Bedingungen zurechtzukommen. Doch dank des geduldigen und einfühlsamen Bemühens unserer Erzieher und aller anderen Mitarbeiter des Heimes hatten wir uns bald eingelebt. Wir denken gern an die schöne Zeit zurück. Wir haben in all den Jahren weder physische noch psychische, noch sexuelle Erniedrigung durch Erwachsene des Heimes erdulden müssen.

Bei persönlichen Konflikten, welche unter 60 Kindern einer so engen Gemeinschaft unvermeidlich sind, standen uns die Erzieher stets zur Seite. Keiner wurde gewollt ausgegrenzt oder an den Rand der Gemeinschaft gedrängt. Wir haben fast alle die 10. Klasse abgeschlossen und konnten später einen Beruf erlernen. Dabei sorgten Erzieher und Heimleiter dafür, daß jeder auch eine für ihn passende Ausbildung erhalten hat. Durch sie wurde uns, soweit wir nicht in unsere Familien zurückkehren konnten, ein möbliertes Zimmer beschafft, in dem man sich zu Hause fühlen konnte. Heute haben wir fast alle selbst eine Familie und als Eltern den Kindern gegenüber unsere Verantwortung weitestgehend erfüllt.

Wir wenden uns ganz entschieden gegen das politisch gewollte Bemühen, durch unzulässiges Verallgemeinern einzelner Fälle kriminellen oder unpädagogischen Handelns von Erwachsenen und Erziehern in ehemaligen Kinderheimen der DDR einen ganzen Berufsstand unter Verdacht zu stellen, der an schwierigster Stelle dieses pädagogischen Bereichs gewirkt hat. Als von der Heimerziehung in DDR-Jahren Betroffene sind wir Zeitzeugen und stellen uns hiermit vor unsere Erzieher, Heimleiter und alle Mitarbeiter unseres Kinderheimes für den jeweiligen Abschnitt unseres persönlichen Erlebens. Sie sind und bleiben stets gern gesehene Mitglieder der "größten Familie von Sachsen-Anhalt", als die wir uns seit unserem jüngsten Heimtreffen empfinden. Wir erwarten von glaubhaften und ernstzunehmenden Politikern, daß solche unverantwortlichen Kampagnen künftig unterlassen werden. Wir bestätigen mit unserer Unterschrift bei Angabe unserer Adressen, daß diese Erklärung unserem Willen und unserer Auffassung entspricht.

Friedrichsbrunn, 25. Juli 2010

(Es folgen die Unterschriften. Namen und Adressen sind nur im Original einsehbar und werden vor Mißbrauch geschützt.)
Das Material wurde übermittelt von

Konrad Zink, Berlin

Raute

Wie sich das ND vor den Karren notorischer Geschichtsfälscher spannte

Selbsttor mit Birthler-Vorlage

Seit Bildung der angeblich rot-roten Landesregierung in Brandenburg hat die Veröffentlichung von sachlich-objektiv verpackten Berichten mit antikommunistischer Tendenz auch in Publikationen zugenommen, die sich zum linken Spektrum rechnen.

Im Mittelpunkt steht dabei die Klitterung und Entstellung der DDR-Geschichte. Ein besonders krasses Beispiel lieferte am 5. August das als "Sozialistische Tageszeitung" posierende ND. Unter der harmlos klingenden Schlagzeile "DDR-Geschichte künftig ab Klasse 7" brachte das überregionale Blatt auf seiner Brandenburg-Seite den Wortlaut einer vom Evangelischen Pressedienst (epd) lancierten Meldung tendenziöser Art. Darin wurde zunächst mitgeteilt, für die Unterrichtsfächer Geschichte und Politische Bildung, die fortan bereits den Schülern der 7. Klasse vermittelt würden, seien vom Potsdamer Bildungsministerium neue "Rahmenlehrpläne" eingeführt worden. Bisher hatte die Indoktrination dieser Art erst in den Klassen 9 und 10 stattgefunden. Auch der Besuch "außerschulischer Lernorte" - gemeint dürfte hier nicht zuletzt Knabes Hohenschönhausener Gruselkabinett sein -, wird künftig verbindlich vorgeschrieben. Die Geschichtslehrer könnten fortan zwischen den in ihrer antikommunistischen Vorgabe unzweideutigen Themen "Schule in der Diktatur und in der Demokratie" oder "Plan- und Marktwirtschaft" wählen. Mit anderen Worten: Zwischen Sodom und Gomorrha. Natürlich darf hier die Unterweisung in Sachen "Menschenrechte" aus kapitalistischer Sicht nicht fehlen.

Bei der Überarbeitung der Rahmenpläne - berichtet das ND völlig wertfrei - sei auch die "Stasi-Landesbeauftragte" Ulrike Poppe "einbezogen". Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) will aus solchen Kanälen "Wissen über die DDR" vermittelt sehen.

Wie es in der vom ND kolportierten epd-Meldung weiter heißt, erhalten alle Schulen in Brandenburg und Berlin eine von der Robert-Havemann-Gesellschaft und dem Landesinstitut für Schule und Medien vorgelegte "Arbeitsmappe" mit dem Titel "Opposition und Repression in der DDR". Dem ND zufolge wurde das illustre Projekt übrigens von der einschlägig bekannten "Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur" gefördert.

Die "Sozialistische Tageszeitung" spannte sich nicht nur einmal mehr vor den Karren professioneller DDR-Verleumder, sondern empfahl ihren Lesern auch noch den günstigen Erwerb der hier erwähnten Arbeitsmappe, von der "einzelne Exemplare für Adressaten in Berlin und Brandenburg sogar kostenlos abgegeben" würden.

Eine Veröffentlichung, die dem Ansehen des ND erneut Abbruch tun dürfte.

K. S.

Raute

Vor 65 Jahren wurde auf den Trümmern des Faschismus die Volkssolidarität gegründet

"Miteinander - Füreinander"

Die Volkssolidarität begeht am 24. Oktober den 65. Jahrestag ihres Bestehens. Gegenwärtig sind etwa 280.000 Mitglieder, rund 30.000 ehrenamtliche und 15.000 hauptamtliche Mitarbeiter erfolgreich im Sinne der humanistischen Werte und sozialen Ziele gemeinnützig tätig und handeln solidarisch.

Seit der Gründung am 24. Oktober 1945 wurden unersetzliche Erfahrungen für die Arbeit der Volkssolidarität gesammelt: die Tradition der solidarischen Hilfe zur Selbsthilfe unter Einbeziehung vieler Bürger, der Verein als parteiübergreifender, nichtkonfessioneller Sozial- und Wohlfahrtsverband, seine Orientierung auf offene und betreuende Altenarbeit, seine Basis in den Ortsgruppen mit starkem Ehrenamt und die Entwicklung zur Massenorganisation.

Ab 1945 entstand ein breites, demokratisches Aktionsbündnis: Solidarität der Arbeiterklasse, christliche Nächstenliebe, gewerkschaftliches solidarisches Handeln, die sich gegen die Brutalität des Faschismus bewährten, vereinten sich zu einem großen Hilfswerk. Dieses kam Kindern, sozial Schwachen, Umsiedlern, Heimkehrern und Arbeitern in Schwerpunktbetrieben zugute. Die durch den Hitlerkrieg entstandene Massenarmut wurde bekämpft. Die Migration von ca. vier Millionen Umsiedlern in die SBZ, der wirtschaftliche Aufbau, Katastrophenhilfe und die Wiedergutmachung für die Opfer der Hitlerdiktatur konnten nur mit einer breiten Volksbewegung bewältigt werden.

Es ist daran zu erinnern, daß Kommunisten und Sozialdemokraten mit Erfahrungen aus der Roten Hilfe oder dem illegalen Widerstand (Jenny Matern, Gerda Sucker, Kurt Roßberg) und Gewerkschafter (Ottomar Geschke) in Dresden, Berlin, Halle, Schwerin und anderen Städten die Initiative ergriffen.

1949 wurde das Aktionsbündnis zur "Gemeinschaft Volkssolidarität in der DDR" mit einheitlichem Logo ins Leben gerufen, womit ein gemeinnütziger, rechtlich eingetragener Verein entstand. In den Folgejahren erfuhr die Volkssolidarität Umgestaltungen, die durch die politisch-sozialen Veränderungen in der DDR bestimmt wurden:

Nach dem erfolgreichen Aufbau des staatlichen Sozial- und Fürsorgesystems bei Durchsetzung der einheitlichen Führung durch die SED in allen Lebensbereichen stand in den 50er Jahren die Frage der weiteren Existenz der Volkssolidarität. Ihre Verbindung mit der Bevölkerung und ihre Leistungen führten zu ihrer Weiterentwicklung als Massenorganisation. Die Finanzierung erfolgte durch Mitgliedsbeiträge sowie kommunale und staatliche Mittel.

Die nationale und internationale Solidarität (Griechenland, Korea, Vietnam) war einer ihrer Schwerpunkte, wofür sie breite Unterstützung aus der Bevölkerung erhielt.

Seit den 50er Jahren wurde die Volkssolidarität langfristig auf die betreuende und offene Altenarbeit (ohne stationäre Einrichtungen) orientiert. Unvergeßlich bleiben die Betreuung der Älteren und Hilfebedürftigen, die Rentnerbrigaden, der Mittagstisch, die Ortsgruppen, die Einbeziehung der Senioren in das gesellschaftliche Leben (Seniorenclubs), die Hauswirtschaftleistungen für berufstätige Frauen u. v. m. Mit dabei waren die Timur- und FDJ-Gruppen.

Die Ortsgruppen und die ehrenamtlich Tätigen waren und sind im Verband der Volkssolidarität die entscheidenden Garanten des Erfolgs. Territorial organisiert, gewährleisteten sie, daß die älteren Menschen sozialen Halt im Leben ihrer Kommune fanden. Sie waren Gremien sozialer, demokratischer Selbstverwaltung und trugen zur Hilfe durch Selbsthilfe bei.

Diese Sozial- und Altenarbeit war eine notwendige Ergänzung zur einseitig auf die Jugend und die Werktätigen orientierten Sozialpolitik des VIII. Parteitags der SED. Für die Volkssolidarität und ihre Mitglieder galt 1990 wie für jeden DDR-Bürger: Geschichte wird nicht beschlossen; sie wirkt und erfordert - ungeachtet von Sieg oder Niederlage - aktives Handeln. Unterschiedliche Erfahrungen halfen ab 1990 bei der komplizierten Umwandlung in eine gemeinnützige Organisation der freien Wohlfahrtspflege unter völlig veränderten Rahmenbedingungen. Es wurden die Fortexistenz des Mitgliederverbandes, die aktive sozialpolitische Interessenvertretung und die Einbindung in die bestehenden Wohlfahrtstrukturen bewerkstelligt. Ihre antifaschistischen und antirassistischen Wurzeln blieben erhalten.

Es entfiel die staatliche Finanzierung. Viele, vor allem formale Verbandsmitgliedschaften erloschen, Einrichtungen (Veteranenclubs, preiswerter Mittagstisch) wurden geschlossen, Mitarbeiter entlassen.

Die Volkssolidarität ordnete sich als einer der größeren sozialen Verbände im Osten Deutschlands (neben ASB, Diakonie, Caritas, Rotes Kreuz) in die neuen Bedingungen ein. Sie schloß sich dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPW), einem fairen Partner, an.

Die Volkssolidarität versteht sich als gemeinnütziger, parteipolitisch und konfessionell unabhängiger, selbständiger Verein der freien Wohlfahrtspflege. Der Verband arbeitet vorrangig in den östlichen Bundesländern und Berlin. Er umfaßt sechs Landesverbände sowie 98 Kreis-, Stadt- und Regionalverbände. Das aktive, vielfältige Mitgliederleben in Ortsgruppen, das Ehrenamt und die soziale Interessenvertretung sind bestimmende Charakteristika. Mit ihren Aktivitäten wendet sich die VS insbesondere an Menschen im Alter von 50 plus.

Die Volkssolidarität ist jetzt 20 Jahre in der kapitalistischen Bundesrepublik tätig. Schnell zeigte sich dringender Hilfebedarf: Aufgaben, wie sie zuletzt nach 1945 zu lösen waren - Armutsbekämpfung, Obdachlosigkeit, Folgen von Arbeitslosigkeit und sozialer Verwahrlosung -, stehen auf der Tagesordnung.

Die Volkssolidarität beteiligte sich am Ringen vieler ehemaliger DDR-Bürger und gesellschaftlicher Partner um Einkommens-, Verteilungs- und Rentengerechtigkeit, Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und eine solidarische, bezahlbare Gesundheitsversorgung. Das systematische Wegbrechen "normaler" Erwerbsverläufe, Lohneinbußen, der kontinuierliche Sozialabbau, Rentenkürzungen, Einschränkungen bei Gesundheit und Pflege verunsichern die Bürger und untergraben die Zukunftsfähigkeit des sozialen Netzes der BRD.

Die Volkssolidarität hat eine beachtliche Akzeptanz erreicht. Sie wurde und wird als "Ostverein" und Mitbewerber aber auch geschnitten, belächelt, immer wieder "interpretiert", auch diffamiert.

Die Möglichkeiten kultureller und sportlicher Betätigung, des gemeinschaftlichen Reisens und der menschlichen Begegnung stehen den Mitgliedern bzw. allen Bürgern offen. Das ist erlebte Solidarität und Vermeidung von sozialer Isolation. Im Jahr 2008 fanden 115.000 Veranstaltungen mit 2,1 Millionen Teilnehmern statt. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter sind die entscheidenden Garanten dieser Arbeit. Täglich werden mehr als 100.000 Menschen durch die Volkssolidarität betreut - von der Kinderkrippe bis zum Hospiz. Dafür sorgen die hauptamtlichen Mitarbeiter, die angesichts permanenter Veränderungen des sozialen Umfeldes eine solide professionelle Arbeit leisten.

Seit 1990 ist die Bewahrung und Förderung des sozialen Wertes Solidarität in der sich schrittweise entsolidarisierenden Umwelt eine besondere Herausforderung und Chance erfolgreicher Sozial- und Wohlfahrtsarbeit. Solidarität bleibt die Handlungsmaxime vieler aktiver Menschen. Die Volkssolidarität bietet dafür eine solide Basis aktiver Mitwirkung. Ihr Motto lautet zu Recht "Miteinander - Füreinander".

Ingolf Hähnel

Raute

Thüringen: Wachsender Widerstand gegen Neonazis

Antifaschistische Zivilcourage

Die Gefahr ist real. Im gemeinsamen Kampf muß sie gebannt werden. Auch im Freistaat Thüringen - angeblich eine Bastion der "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" der BRD - kriechen alte und neue Nazis vielerorts aus ihren Löchern. Sie werden durch die Tolerierung seitens der bisherigen und der jetzigen Landesregierung begünstigt. Eingefleischte Faschisten sind ihre Geldgeber, Drahtzieher, Lehrmeister und Propagandisten, halten sich aber meist im Hintergrund. Die neuen Nazis treten als gelehrige Schüler und aggressive Akteure auf. Politische Speerspitze ist die NPD mit ihren Freien Kameradschaften, deren Jugendorganisation "Junge Nationalisten" und andere Gruppierungen.

Thüringen blickt auf eine politisch sehr wechselhafte Geschichte zurück. Schlaglichtartig seien einige Stationen erwähnt: 1. Wartburgfest 1817 in Eisenach; "Vereinigungscongress" von Lassalleanern (ADAV) und Eisenachern (SDAP) 1875 in Gotha; heldenhafter und siegreicher Kampf der Arbeiter, vor allem der "Suhler Hinterwäldler", 1920 gegen die Kapp-Putschisten; Geburtsstunde der ersten Republik 1918 in Weimar; deren schmählicher Zusammenbruch durch Machtübertragung an Hitlers NSDAP am 30. Januar 1933.

Danach versank Thüringen im braunen Sumpf, der sich als fruchtbarer Boden für das faschistische Terrorregime erwies. Fritz Sauckel, seit 1933 dort Reichsstatthalter, wurde nach der Verurteilung im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß am 16. Oktober 1946 gehenkt. In seinem Machtbereich befand sich das Konzentrationslager Buchenwald mit 22 Außenlagern, darunter Dora-Mittelbau Nordhausen. In Thüringen bestanden überdies mehr als 50 Lager für nach Deutschland verschleppte Zwangsarbeiter, die in Betrieben der Rüstungsindustrie geschunden wurden. Zu diesen gehörten Carl Zeiss Jena und die V-2-Produktionsstätte Ohrdruf.

Nach dem Sieg der Alliierten über den Hitlerfaschismus vollzog sich auch in Thüringen eine antifaschistisch-demokratische, dann sozialistische Entwicklung, die mit der Konterrevolution von 1989/90 ihr Ende fand. Der Antikommunismus wurde als Staatsdoktrin von der alten Bundesrepublik übernommen. Die CDU regierte das Land wiederholt allein, manchmal auch mit einer willfährigen SPD als Koalitionspartner, wie das heute der Fall ist.

Die politisch Herrschenden taten alles, um faschistoiden Kräften Vorschub zu leisten. So erkühnte sich Ex-Ministerpräsident Althaus (CDU) zu behaupten, der Rechts-extremismus habe seine Wurzeln im "staatlich verordneten Antifaschismus" der DDR. Er sagte das ausgerechnet bei einer Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Selbstbefreiung des Konzentrationslagers Buchenwald. Althaus unternahm Anstrengungen, seinem ausgeprägt rechtslastigen Unionsfreund Krause das Bildungsressort zu übertragen. Althaus-Amtsnachfolgerin Lieberknecht (CDU) verschleppt das versprochene Regierungsprogramm gegen Rechtsextremismus, dessen Bekämpfung sie zuvor lautstark als Priorität angekündigt hatte.

So ist es kein Wunder, daß sich die Neofaschisten in Thüringen dazu ermuntert sahen, mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf den Plan zu treten. Sie erwarben in Städten und ländlichen Regionen ganz ungeniert Immobilien, darunter das Jenaer "Braune Haus" als Schulungszentrale der NPD. Sie organisierten sogenannte Feste der Völker, Rudolf-Heß-Aufmärsche, Thüringen-Tage der "Nationalen Jugend", Rockkonzerte und andere "Events" mit rechtsradikalem Einschlag, bei denen sich bisweilen Tausende Neonazis aus ganz Deutschland und anderen europäischen Staaten zusammenrotteten. Gebäude und andere Flächen wurden mit faschistischen Losungen beschmiert.

Zugleich formierte sich Widerstand gegen die neonazistischen Umtriebe. Antifaschistische Bürger bewiesen Zivilcourage. Vor allem in Jena, aber auch in anderen Thüringer Städten und Gebieten wurden Gegenaktionen unternommen. Die Motivation der die Nazis Ablehnenden ist dabei durchaus unterschiedlich. Nur zum geringeren Teil entspringt sie fester Überzeugung. Vorherrschend sind "politikfreie" humanistische und religiöse Beweggründe. Dennoch dient auch dieses Engagement dem gemeinsamen Kampf. Eine spontane Demonstration von 6000 Menschen, die sich 2005 gegen das sogenannte Fest der Völker richtete, rief auch überregional große Aufmerksamkeit hervor. 2007 harrte eine Menschenkette drei Tage und Nächte am Ort einer von Jenas Stadtverwaltung zwar verbotenen, dann aber vom Verwaltungsgericht Gera zugelassenen und durch die Polizei geschützten Naziveranstaltung aus. Die Antifaschisten erfuhren spürbare Solidarität von Jenaer Einwohnern und darüber hinaus.

Inzwischen hat sich der Widerstand gegen die neuen Braunen auch organisatorisch gefestigt. 2007 entstand in Jena ein "Aktionsnetzwerk gegen Rechtsextremismus", dem sich bereits mehrere Hundert Mitglieder und Förderer angeschlossen haben. Sein Zusammenwirken mit anderen Bündnissen und Gruppen macht Fortschritte. 2008 fuhren Omnibusse mit Antifaschisten nach Altenburg, um dort gegen das "Fest der Völker" aufzutreten. Im Februar 2010 brachten 13 Busse Thüringer von Jena nach Dresden, wo sie an der Durchkreuzung des geplanten Aufmarsches der Neonazis teilnahmen.

Diese und weitere gemeinsame Aktivitäten in Städten und ländlichen Gebieten Thüringens bringen die wachsende Kraft der Protestbewegung zum Ausdruck. Die Sensibilisierung der Bürger für antifaschistische Zivilcourage ist keine zeitweilige Aufgabe und darf sich nicht auf Gegenaktionen beschränken. Der Kampf und die dazugehörige Überzeugungsarbeit müssen ständig geführt werden. Dann kann den Neonazis auch bei uns der Weg auf Dauer verlegt werden.

Hannes Peuker, Jena

Raute

Klaus Lederer und die Angst vor dem sozialistischen Eigentum

Vom Reiten auf einem anderen Pferd

Schon kurz nach Veröffentlichung des PDL-Programmentwurfs wurden "moderne" und "reformsozialistische" Kommentare am laufenden Band publiziert. Ihre Urheber möchten antikapitalistische Ansätze in diesem wichtigen Dokument gerne beseitigt sehen. So wählte Klaus Lederer - einer der prononciertesten Sprecher der Parteirechten - für seinen am 5. Juli im ND erschienenen Beitrag die Überschrift: "Beim Eigentum zu kurz gegriffen".

Aus der Fülle zu kurz greifender Thesen Lederers seien nur zwei skizzenhaft herausgegriffen. Wenn im Programmentwurf behauptet werde, daß dort, wo "vor allem der Profit regiert, kein Raum für Demokratie" bleibe, führe das in die Irre, verkündet dieser "Reformsozialist". "Gerade Demokratie ist das Schlüsselelement für die Lösung der Eigentumsfrage, in ihrem institutionellen Raum streiten die 'Klassen' die zentralen Kämpfe aus." Und dann versteigt sich Lederer zu der Behauptung: "Die heutige Demokratie ist Voraussetzung und Schlüssel zur Lösung der Eigentumsfrage!"

Abgesehen davon, daß es dem Gesellschaftsbild des Autors überlassen bleibt, das Wort Klasse mit Anführungszeichen zu versehen, sei die Frage gestattet: Ist ausgerechnet die heutige "Demokratie" der Schlüssel zur Lösung der Eigentumsfrage? Die in der BRD bestehende Diktatur der Monopole wird im Selbstverständnis der Bourgeoisie als parlamentarische Demokratie dargestellt. Diese aber ist selbst nach Aussagen bürgerlicher Politologen durch die reale Macht der Banken und Konzerne, der Unternehmerverbände und ihrer Lobbyisten in Berlin und Brüssel in hohem Grade deformiert. Bundestagsentscheidungen etablierter Parteien widersprechen immer öfter und immer krasser dem Willen der Mehrheit der Bürger. Die diktatorische Seite dieser Nicht-Demokratie wurde schlagartig enthüllt, als es Ackermann und seinesgleichen zu Beginn der jüngsten Krise gelang, bei Merkel fast über Nacht dreistellige Milliardensummen aus Steuermitteln für die Banken lockerzumachen, während die Regierung bei jedem Cent für Bedürftige den Offenbarungseid leistet. Und ausgerechnet diese "Demokratie" soll der Schlüssel zur Lösung der Eigentumsfrage sein?

In Wahrheit würde das gerade die Überwindung jenes Typs von Machtausübung erfordern, welcher die Profite der Superreichen schützt und mehrt, die Arbeitenden bei der gerechten Verteilung des Erwirtschafteten aber im Regen stehen läßt. Macht- und Eigentumsverhältnisse prägen immer den Charakter der Politik. Die Überwindung ihres kapitalistischen Typs erfordert deshalb Übergänge zur sozialistischen Demokratie.

Bei Lederer heißt es: "Die Entgegensetzung von privatem und kollektivem Eigentum, die im Programmentwurf überall durchschimmert, führt hier nicht weiter." Und an anderer Stelle wird unser ein ganz anderes Pferd reitender "Reformsozialist" noch deutlicher: "Es ist kein Wunder, daß nach dem Scheitern des Staatssozialismus die Frage aufgeworfen wird, welche Ökonomie hier entstehen soll. Eine Ökonomie der VEBs?"

Natürlich führt die "Entgegensetzung" (für dieses Deutsch wird keine Haftung übernommen!) von privatem und kollektivem, besser privatkapitalistischem und sozialistischem Eigentum stets zur objektiven Einschätzung von Gesellschaftssystemen. Dabei darf eine wichtige Tatsache nicht außer acht gelassen werden: Das sozialistische Eigentum ist zwar gewinn-, aber nicht profitorientiert. Mit hoher Effizienz eingesetzt, mehrt und schützt es durchaus auch das persönliche Eigentum.

Zugleich haben wir die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten künftiger sozialistischer Eigentumsverhältnisse noch gar nicht vollständig im Blick. Im 21. Jahrhundert dürften - bei sorgfältiger Analyse unserer Siege und Niederlagen im 20. Jahrhundert - international neue Gestaltungsformen sozialistischen Eigentums ebenso zur Debatte stehen wie Inhalte und Formen verschiedener Stufen der Vergesellschaftung. Dabei geht es um staatliche Betriebe - wir nannten sie volkseigene -, kommunale Einrichtungen, Genossenschaften in Landwirtschaft und Handwerk oder höhere Formen der Gesundheits- und Altenbetreuung. Eine Kooperation zwischen sozialistischen und privaten Mittelstandsbetrieben ist in Zukunft keineswegs ausgeschlossen. Produktivität, soziales Leistungsvermögen und ökologische Ausgewogenheit stellen Kriterien für die Daseinsberechtigung sozialistischer Eigentumsverhältnisse dar. Viel hängt dabei vom demokratischen Charakter des sozialistischen Staates ab, dessen aktive wirtschaftsgestaltende Rolle zu den Fördermechanismen neuer Produktions- und Gesellschaftsverhältnisse gehört.

Demgegenüber tragen Staatsbetriebe im Kapitalismus keineswegs sozialistische Züge, sondern sind kapitalistische Betriebe in der Regie eines ebensolchen Staates. Das gilt auch für andere Formen scheinbarer Vergesellschaftung, die den Gesetzen der Profitmaximierung unterworfen sind.

Lederer urteilt, im PDL-Programmentwurf werde nicht so sehr das Herrschafts- und Aneignungsverhältnis als das entscheidende Problem betrachtet, "sondern die juristische Form des Eigentums, die Inhaberschaft an den Unternehmen".

Eigentumsverhältnisse sind der Kern aller Produktionsverhältnisse. Sie prägen die Verteilung, den Waren- und Geldumlauf, die Konsumtion sowie deren Rückwirkungen auf das Eigentum. Dazu gehören sowohl die Verfügung über Güter als auch die daraus resultierenden Beziehungen zwischen Menschen. Die Effektivität der Eigentumsformen ist wiederum vom Entwicklungsniveau der Produktivkräfte abhängig.

Im Programmentwurf wird das sozialistische Eigentum durchaus als Herrschafts- und Aneignungsverhältnis betrachtet. Auch aufgrund historischer Erfahrungen hat kein Marxist das Recht, die juristische Form des Eigentums zu unterschätzen. Erinnern wir uns nur an die Strategie der Treuhand. Kaum waren die Plünderer aus dem Westen wie Heuschreckenschwärme über die volkseigenen Betriebe und Genossenschaften der DDR hergefallen, da wurde auch schon die kapitalistische Privatisierung von Notaren rechtlich in Sack und Tüten gepackt.

Sozialisten und Kommunisten wenden sich gegen eine dogmatische Auslegung sozialistischen Eigentums. Dessen gesellschaftliche Wirkung ist keineswegs pro forma garantiert, sondern hängt stets vom Engagement der Beteiligten ab. Ist deren sozialistisches Eigentümerbewußtsein hinreichend ausgeprägt, dann werden die neuen Verhältnisse angenommen und verteidigt. Wir haben das Gegenteil dessen 1989/90 in der DDR erlebt. Fördert ein konsequent angewandtes, gegen Gleichmacherei gerichtetes Leistungsprinzip die Produktivität, stimmen die staatlichen Rahmenbedingungen und die gesellschaftlichen Kontrollmechanismen, dann dürfte die sozialistische Ordnung nicht in Gefahr sein.

Werden auf demokratischem Wege ständig die besten Varianten der Wirtschaftsentwicklung erörtert und verwirklicht, dann sichern die neuen Eigentumsverhältnisse wie keine anderen stetig wachsenden Wohlstand für alle.

Prof. Dr. Harry Milke

Raute

Wie H. Knabe die Hinrichtung des SS-Ghettomörders Blösche kommentiert

Ein Fall von Volksverhetzung?

Am 12./13. Juni erschien in der "Berliner Zeitung" ein Artikel von Andreas Mix. Darin hieß es, der Fall des NS-Verbrechers Josef Blösche aus Thüringen zeige ein "seltsames Wettrennen zwischen Ost- und Westdeutschland". Darum dürfte es sich indes wohl kaum gehandelt haben.

Im folgenden soll erklärt werden, wie es zur Aufspürung dieses Gestapo-Mörders kam, der im Warschauer Ghetto Tausende jüdische Menschen umbringen ließ oder selbst tötete. Nach Kriegsende lebte er bis Januar 1967 unerkannt in Thüringen.

Mix behauptet, Blösche sei vom Westen enttarnt worden. Als Zeitzeuge und im Artikel genannter Offizier des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, der das Untersuchungsverfahren gegen Blösche bis zur Abgabe an den Staatsanwalt bearbeitete, muß ich folgendes betonen: Ebenso wie die am Strafverfahren beteiligten Staatsanwälte und Richter sowie vermutlich auch einige Hamburger Juristen habe ich meine Verpflichtung darin gesehen, den Opfern der faschistischen Verbrechen sowie den Überlebenden die Gewißheit zu geben, daß die Schuldigen konsequent aufgespürt und ihrer gerechten Bestrafung zugeführt werden. Josef Blösche war in den letzten Kriegstagen als vermeintlicher Wehrmachtsangehöriger untergetaucht.

Er geriet in Pisek/CSR in Gefangenschaft, arbeitete dann in einem Bergwerk und erlitt 1946 einen schweren Unfall, bei dem er zwischen Förderkorb und Schachtwand geriet. Sein Gesicht wurde bis zur totalen Unkenntlichkeit entstellt. In Urbach bei Mühlhausen, damals SBZ, fand er seine Familienangehörigen wieder und nahm dort auch seinen Wohnsitz. Außer Eltern und Geschwistern wußte niemand, daß Blösche in Warschau Gestapo-Mann gewesen war.

1962 wurde er im Verfahren gegen den Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD von Warschau, SS-Standartenführer Ludwig Hahn, das auf Druck Polens eingeleitet werden mußte, gesucht. In Hamburg ermittelte man seinen Bruder Gustav, der ebenfalls der Gestapo angehört hatte. Dieser nannte Urbach/DDR als Josef Blösches Aufenthaltsort. Erst im April 1966 forderte die bundesdeutsche Oberstaatsanwaltschaft vom Generalstaatsanwalt der DDR die Festnahme und Auslieferung des inzwischen per Haftbefehl Gesuchten. Sie tat das, ohne Beweismittel mitzuliefern und ohne Täteridentifizierung. Vor allem aber negierte sie die Tatsache, daß es zwischen der BRD und der DDR kein Rechtshilfe- und Auslieferungsabkommen gab. Dennoch wurde seitens der DDR in diesem Fall Rechtshilfe geleistet. Während die BRD damals auf Verjährung aus war, galt in der DDR der uneingeschränkte Verfolgungswille im Sinne der Beschlüsse der Alliierten der Antihitlerkoalition.

Im Dezember 1965 erfuhr das Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR über Kontakte, wo Blösche zu finden sei. Die zuständigen Diensteinheiten des MfS wurden sofort tätig. Es galt, seinen genauen Aufenthaltsort zu ermitteln, ihn eindeutig zu identifizieren und Beweise zur Begründung eines dringenden Tatverdachts zusammenzutragen, um das Ermittlungsverfahren einleiten zu können. Da aus Polen erst danach Rechtshilfe zu erwarten war und die BRD bis zum 23. September 1966 keine Beweismittel zugestellt hatte, mußten sich die DDR-Organe weitgehend auf ihre eigenen Nachforschungen verlassen. Ein schließlich aus Hamburg eintreffender "Sonderband Blösche" enthielt nur zwei bis drei Seiten Belastungsmaterial gegen einen im Warschauer Ghetto eingesetzten SS-Mann namens Flescher oder Fleszer, Becher oder Blecher über von diesem durchgeführte oder veranlaßte Erschießungen, aber keinerlei Hinweise zur Täteridentifizierung. Das sehr oberflächlich zusammengestellte Material reichte lediglich für die Begründung eines Anfangsverdachts. Bis zur Festnahme Blösches am 11. Januar 1967 hatten die zuständigen DDR-Behörden, wozu das Untersuchungsorgan des MfS unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft zählte, gerade einmal ein Jahr ermittelt, während die Hamburger Staatsanwälte fünf Jahre gebraucht hatten, um den erwähnten "Sammelband" anzufertigen. Hierbei wurde dem DDR-Organ von dort ein wichtiger Zeuge, der auf Grund seiner Tätigkeit beim "Judenrat" - der "Selbstverwaltung" des Warschauer Ghettos - vermutlich genauere Kenntnisse besessen haben dürfte, vorenthalten. Es handelte sich um Marcel Reich-Ranicki. Als ich Blösche vernahm, gab er an, daß er den späteren BRD-Literaturkritiker beim Aufsuchen des Leiters der Gestapo-Dienststelle im Ghetto, SS-Untersturmführer Brandt, wiederholt gesehen habe.

Während Blösche zum Tode verurteilt wurde, kam einer der Hauptverantwortlichen für den Massenmord an den Warschauer Juden, Ludwig Hahn, recht glimpflich davon. Er wurde in Hamburg erst nach zwölfjährigen Ermittlungen vor Gericht gestellt. Obwohl er eine lebenslange Freiheitsstrafe erhielt, entließ man ihn - angeblich aus Krankheitsgründen - bald wieder aus der Haft, so daß er im Genuß seiner Beamtenpension friedlich sterben konnte.

Angemerkt sei, daß im Ergebnis des Verfahrens gegen Blösche in der DDR weitere Mittäter ermittelt, dingfest gemacht und abgeurteilt werden konnten.

Staatsanwältin Solf aus Stuttgart hatte den Auftrag, die durch das Untersuchungsorgan des MfS bearbeiteten Verfahren gegen Nazi- und Kriegsverbrecher zu überprüfen. Sie bescheinigte ihm eine exakte, akribische, nicht zu beanstandende kriminalistische Ermittlungsarbeit und stellte fest: "In der strafrechtlichen Verfolgungspraxis hat es seitens des MfS keine Ungesetzlichkeit gegeben. Das ist von vielen Seiten ausdrücklich bestätigt worden ... Vorgaben an die Staatsanwaltschaft oder gar an das Gericht konnten nicht festgestellt werden."

Demgegenüber geiferte der Pseudohistoriker und Geschichtsfälscher Hubertus Knabe seinerzeit in der "Südthüringer Zeitung": "Die DDR ließ Blösche hinrichten, um sich als antifaschistischer Musterstaat darstellen zu können ... Wenn ein Verbrecher einen anderen erschießt, hat das mit strafrechtlicher Aufarbeitung nichts zu tun ..." Erfüllt das nicht den Tatbestand der Volksverhetzung?

Major a. D. Reiner Stenzel, Berlin


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildung:

- Blösche (re.) bei einer Razzia im Ghetto

Raute

Wie die BRD ihre Jagd auf Hoheitszeichen der DDR begründete

"Synonyme für das Abgrundböse"

Bei aller Benennung und Darstellung der großen oder kleinen Lügen über die DDR fehlt oft die Grundlüge: Über viele Jahrzehnte hinweg wurde die bloße Existenz dieses Staates geleugnet! Das fand seinen krassesten Ausdruck im Bulletin Nr. 145 der Bundesregierung vom 7. August 1956. Dort stellte und beantwortete Adenauers Legationsrat Rumpf die Frage: "Ist die Sowjetzone ein Staat? Nein. Denn diese 'Deutsche Demokratische Republik' ist weder deutsch noch demokratisch, noch eine Republik ... Sie stellt keine Organisation des deutschen Volkes, sondern eine pseudostaatliche Tarnorganisation sowjetrussischer Fremdherrschaft über deutsches Volk in deutschem Land dar."

Herr Markwardt, ein altgedienter Mann der "Organisation Gehlen" und des BND (zuletzt im Range eines Regierungsdirektors) konnte es sich nicht verkneifen, die DDR noch etliche Jahre später in Anführungszeichen zu setzen. "Ob Tscheka, GPU oder NKWD, ob Gestapo oder SD, ob MfS oder Stasi - es blieb dabei, daß alle diese Bezeichnungen und Abkürzungen Synonyme für das Abgrundböse, das Gefährliche und Unmenschliche blieben", gab er in seinen Memoiren von sich.

Mit der Überschrift "Gegen das Zeigen der Spalterfahne. Einheitliches Vorgehen zwischen Bund und Ländern vereinbart" wurde im Bonner Regierungsbulletin Nr. 234 vom 17. Dezember 1959 eine Richtlinie veröffentlicht, die koordiniertes polizeiliches Handeln gegen das "Zeigen" der DDR-Fahne vorsah. Sie enthielt folgende Festlegungen:

"1. Nach übereinstimmender Auffassung der Regierungen von Bund und Ländern ist das Zeigen der Sowjetzonenfahne eine Störung der verfassungsmäßigen und damit der öffentlichen Ordnung. Die zuständigen Behörden haben hiergegen nach Maßgabe dieser Richtlinie einzuschreiten.

Als Fahnen gelten auch Standarten und Wimpel.

Die sachliche und örtliche Zuständigkeit richtet sich nach Landesrecht ­...

Ein polizeiliches Einschreiten ist erforderlich, wenn die Fahne in der Öffentlichkeit gezeigt wird. Hierunter fallen auch Sportveranstaltungen, Ausstellungen und Messen.

Bei einem nur die Herkunft bezeichnenden Zeigen der Fahne im See- und gewerblichen Binnenschiffsverkehr ist von einem Einschreiten abzusehen.

Vorstehende Richtlinie gilt auch für das plakatmäßige Zeigen der Fahne oder des Sowjetzonenemblems."

Obwohl seit 1966 vom Bonner Kabinett mehrfach Einschränkungen und Veränderungen der Richtlinie erfolgten, wurde am 31. August 1967 erneut beschlossen, daß "das Zeigen der Fahne und das Abspielen der Hymne der DDR ... weiterhin nicht zugelassen werden".

Im Hinblick auf die Teilnahme einer DDR-Mannschaft an den Münchener Olympischen Spielen 1972 gab es dann erhebliche Bedenken gegen die Durchführbarkeit solcher Bestimmungen. Die Bundesregierung wurde von den Ländern aufgefordert, ihre bisherige Haltung in der Flaggen- und Hymnenfrage zu überprüfen.

Am 4. Februar 1970 wurde daraufhin folgender Beschluß gefaßt: "1. Die Vereinbarung vom 4. November 1959 kann aufgehoben werden. 2. Die Innenminister und -Senatoren der Länder sind entschlossen, Provokationen mit DDR-Symbolen auch in Zukunft entgegenzutreten."

Am 9. März 1970 gelangte man in Bonn zu der Auffassung, daß ein Zeigen der Flagge der DDR und ihrer Symbole "nicht ohne weiteres als eine Störung der verfassungsmäßigen und damit öffentlichen Ordnung anzusehen ist ... Es wäre also künftig davon auszugehen, daß für ein polizeiliches Einschreiten gegen das bloße Zeigen der Flagge und den Gebrauch anderer Staatssymbole der DDR keine Rechtsgrundlage gegeben ist." Diesen käme rechtlich ein (innerdeutscher) Sonderstatus zu. Strafrechtlich handle es sich nicht (!) um Symbole der BRD oder eines ihrer Länder. Der Paragraph 90 a StGB (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole) sei daher bei einem Angriff auf die DDR-Flagge nicht anzuwenden. Die DDR-Staatssymbole genössen auch keinen strafrechtlichen Schutz als ausländische Hoheitszeichen gemäß § 104 StGB.

Schon das Fehlen diplomatischer Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten schließe die Strafverfolgungsabsicht des § 104 a StGB aus. In Betracht kämen lediglich Eigentumsdelikte, begangen an DDR-Symbolen, sofern die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür vorlägen.

Der Besuch des DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph in Kassel jährte sich im Frühjahr zum vierzigsten Mal. Wer gedacht hätte, daß zum seinerzeitigen Empfang des Repräsentanten der DDR oder zu den Provokationen gegen ihn und seinen Staat in den hiesigen Medien etwas Kritisches geschrieben worden wäre, der irrt. Damals war der DDR-Regierungschef durch DKP-Genossen am Bahnhof Bebra mit einem Plakat begrüßt worden, auf dem die Worte standen: "Willi Stoph im Hessenland, die DDR wird anerkannt!" Eine Kranzniederlegung am Mahnmal für die Opfer des Faschismus in Begleitung Willy Brandts und des damaligen hessischen Ministerpräsidenten Albert Osswald konnte indes nicht stattfinden, weil Kassels Polizeipräsident Ahlhorn mitgeteilt hatte, er könne für die Sicherheit des DDR-Repräsentanten nicht garantieren.

Stoph erwiderte am 21. Mai 1970 auf Ausführungen Brandts: "Sie haben zum Ausdruck gebracht, daß es bei Ihnen im Rahmen Ihrer Rechtsordnung gestattet sei, gegen offizielle Gäste der Bundesregierung und Vertreter eines von der Bundesrepublik unabhängigen Staates zur Mordhetze aufzurufen und daß gegen diese Personen nicht eingeschritten wird. Das empfinde ich als eine sehr starke Vorbelastung dieses Gesprächs."

Die Reste einer während des Stoph-Besuchs zerrissenen DDR-Fahne werden übrigens im Kasseler Stadtmuseum als Trophäe aufbewahrt und gelegentlich gezeigt.

RA Dr. Klaus Emmerich, Kassel

Raute

Egon Schansker - Schriftsetzer, Kommunist und "RotFuchs"-Gestalter

Er lebt in unseren Herzen

Egon Schansker war etliche Jahre Gestalter des "RotFuchs" und anderer Publikationen des linken Spektrums. Geboren am 2. April 1934, starb er am 10. Mai vergangenen Jahres an den Folgen eines schweren Unfalls, der ihn an allen vier Gliedern gelähmt hatte. Die Stärke, mit der er dieses Schicksal ertrug, hat alle, die ihn kannten, tief bewegt. Tapferkeit, Selbstbeherrschung durch Gedankentraining und sein großer Lebenswille ließen ihn ein schweres Los aushalten. In Gegenwart von Besuchern hörte man aus Egons Mund kein einziges Wort der Klage.

Wenn er in Stimmung war und ein Gläschen Cabernet Sauvignon getrunken hatte, erzählte er gerne von seiner ostfriesischen und oldenburgischen Herkunft, von der Schneidermeisterin Tante Hiskeline oder von Onkel Ulpts, dem Steuermann auf großer Fahrt. Er psychologisierte und fabulierte, wie seine Mutter zu dem Namen Egon gekommen sei. Liebevoll sprach er von seinem Vater, der Tischler am Stadttheater war und sich geweigert hatte, in Hitlers NSDAP einzutreten. Seinem Unmut über den Einmarsch der faschistischen Wehrmacht in Polen machte der in aller Öffentlichkeit Luft. In einer Gastwirtschaft rief er trotz der allgemeinen Begeisterung mutig und laut: "Ihr habt in Polen nichts zu suchen!" Faschismus und Krieg waren für Egon besonders schmerzlich. Er verlor seinen Vater, der ins Zuchthaus kam und nach dem Krieg nicht mehr zurückkehrte.

Egon war stolz auf seinen Beruf. Nachdem er das Gymnasium verlassen mußte, weil ihm sein Stiefvater das Leben zur Hölle gemacht hatte, war er froh, daß er den Schriftsetzerberuf erlernen durfte. Obwohl er sich traditionsbewußt im Kreuzberg-Museum ehrenamtlich engagierte, widmete er sich autodidaktisch den neuen Techniken, die er bald mit Perfektion beherrschte.

Wie sein Vater ließ sich auch Egon nicht beugen. Gradlinig wie er war, ging er den unbequemen Weg. Er folgte seinem Gewissen und seinem Verstand, nicht aber konjunkturellen Erwägungen. Er war ein zutiefst politischer Mensch, der selbstbewußt für die Interessen seiner Klasse und für eine gerechte Gesellschaft stritt.

Egon gehörte zu jenen, welche bald nach dem Anschluß der DDR an die BRD auf dem Alexanderplatz standen und dann an jedem 7. Oktober öffentlich der Gründung des sozialistischen deutschen Staates gedachten. Man sah ihn auch vor dem Berliner Landgericht in Moabit mit einem eigens zu diesem Zweck geschaffenen Plakat "Freiheit für Erich Honecker!" Egon bewies Courage, als er sich mit einem selbstgestalteten Presseausweis bei einer Veranstaltung von Nachkommen ehemaliger Junker aus den Ostgebieten, die Gorbatschow eingeladen hatten, Zugang ins ICC verschaffte. Er nutzte diese Gelegenheit, Fragen an den "Ehrengast" zu stellen, die den Moskauer Renegaten aus der Fassung brachten. Als er daraufhin des Saales verwiesen wurde, trug er den Rausschmiß mit Würde.

Kennengelernt habe ich Egon am 3. Oktober 1990 bei einer Demonstration gegen den Einheitstaumel. Er blieb mir bis zu seinem Tod ein väterlicher Freund und Genosse. Oft kam ihm die Parole "Klassenkampf statt Volksgemeinschaft" in den Sinn. Jede Deutschtümelei auf dem Boden völkisch-nationalistischer Gesinnung widerte ihn an. Egon war belesen, besaß ein erstaunliches Gedächtnis und hatte einen scharfen Verstand. Er war originell und einfallsreich, stets aufmerksam und geistesgegenwärtig - ihm entging nichts. Ja, er hat es sich und anderen nicht leicht gemacht. Egon war ein Genießer durch und durch. Er liebte das Leben und die Kommunikation. Bis zu letzten Stunde war er ein überzeugter Kommunist und revolutionärer Klassenkämpfer. So bleibt er uns im Gedächtnis. Egon, wir danken Dir. Wir konnten viel von Dir lernen!

Ulla Ermen

Der redaktionell leicht überarbeitete Text wurde der brandenburgischen DKP-Monatsschrift "Rote Kalenderblätter" vom April 2010 entnommen.

Raute

Seibert statt Wilhelm: Die Stimme ihrer Herrin

Ulrich Wilhelm wird Intendant des Bayerischen Rundfunks, nachdem er seit 2005 das Bundespresseamt geleitet und - im Rang eines Staatssekretärs - für Frau Merkel als Regierungssprecher gearbeitet hat: stets lächelnd, blumig und wortgewandt, wie es offizielle Schönredner nun einmal sind. Publizistische Sporen hat er sich in Bayern verdient, seit 1991 im dortigen Innenministerium, später als Pressesprecher von Edmund Stoiber. Seine Verdienste für Vaterland und Kanzlerin sind durch viele Wortblasen-Meldungen inzwischen hinreichend nachgewiesen; jetzt darf er den Bayerischen Staatsfunk leiten. Die Nähe zum Staat hat er von seinem Vater Paul Wilhelm. Der war, nach juristischer Ausbildung beim führenden NS-Juristen Theodor Maunz, in die Landesdienste eingetreten und saß dann als CSU-Abgeordneter seit 1970 im Landtag.

Bis 2003 war er Staatssekretär. Steffen Seibert wurde neuer Pressesprecher der Kanzlerin. Dafür ist er gut geschult: Seit 1989 war er in der ZDF-Nachrichtenredaktion, im "Heute-Journal", als Auslandskorrespondent und Wahlberichterstatter. Seit 2007 erlebte man ihn als Chefsprecher in den ZDF-Abendnachrichten. Eine Musterkarriere beim Funk der Schwarzen. Die "neue Herausforderung" paßt damit nahtlos zusammen: Beim ZDF Regierungsnachrichten zu verlesen und nett zu kommentieren ist so weit nicht davon entfernt, als Regierungssprecher den ZDF-Kollegen lächelnd zu diktieren, was die Öffentlichkeit von Frau Merkels Großtaten zu halten hat.

Der Dritte in der Runde, Peter Voß, hat eine ähnliche Laufbahn: ARD-Nachrichtenredakteur, ZDF-Korrespondent, ARD-"Report"-Moderator, "Heute-Journal" beim ZDF, schließlich die Intendanz beim SWR, also wieder ARD - ein munteres Hin und Her von Sender zu Sender. Professor war er auch schon. Neuerdings leitet er die private Berliner Hochschule "Quadriga", die PR-Leute ausbildet, welche im Zweifelsfall anderen beibringen, was sie kaufen oder denken müssen.

Mit sachlicher und unabhängiger Berichterstattung über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben alle drei Karrieren nichts zu tun. Diese Herren haben bei ihren wechselnden "Arbeitgebern" nur eines gelernt: wie man mit gesalbten Worten und gewinnendem Lächeln das Tun der Herrschenden schönredet. Regierungen und Parteien bedienen sich ihrer und setzen sie nach Belieben ein, wenn Not am Mann ist. Sie bestellen sich ihre Nachrichten wie andere zum Döner die scharfe Soße.

Aus "Die Rote Spindel", Kreiszeitung der DKP Nordhorn (31. 7. 2010)

Raute

RF-Extra

Wie Leistungsschwache auf Leistungsstarke "herabblicken"

Bildung oder Bildung?

Im Laufe meines Lebens und Wirkens als Pädagoge habe ich die Etappen eines Lehrers, Fachberaters, Forschers, Stellvertretenden Chefredakteurs der Zeitschrift "Pädagogik", Hochschuldozenten und Bildungspolitikers durchlaufen. Ich wurde ganz wesentlich durch meine Erfahrungen in der DDR geprägt.

Seit 20 Jahren sehen wir uns mehr denn je mit massiven Angriffen konservativer Kräfte und bürgerlicher Medien gegen die DDR und deren Leistungen konfrontiert. Zwei Jahrzehnte nach ihrem staatlichen Ende steht das DDR-Bildungswesen nach wie vor im Mittelpunkt der Delegitimierungskampagne. Die von der DDR auf diesem Gebiet vollbrachten Leistungen werden durch die derzeit in der BRD Herrschenden diffamiert oder ignoriert. Damit tritt man die Lebensleistungen von Millionen DDR-Bürgern mit Füßen. Eine sachliche Auseinandersetzung und kritisch-ausgewogene Wertung scheinen unerwünscht zu sein.

Um so mehr halte ich es für erforderlich und nützlich, daß jene, welche die DDR selbst erlebt haben, ihre Sicht und ihre Erfahrungen einbringen, um das Feld nicht "Fremdbeurteilern" zu überlassen. Es ist grotesk, wenn Leistungsschwache hochmütig auf Leistungsstarke "herabblicken".

Als Lehrer und Erziehungswissenschaftler möchte ich einige Gedanken zur Reflektion meines Tätigkeitsbereichs äußern. Dabei erscheint es mir wichtig, jeder besserwisserischen, pauschalen, ideologisch abwertenden Sichtweise entgegenzutreten.


Brechung von Bildungsprivilegien
Eine seriöse Analyse kann nur unter Berücksichtigung der jeweiligen konkrethistorischen Situation in den einzelnen Entwicklungsetappen des sozialistischen Bildungswesens der DDR erfolgen. Wenn diesem heute von bestimmter Seite vorgeworfen wird, es habe vordergründig politisch-ideologische Erziehungsziele verfolgt, dann ist grundsätzlich zu bemerken, daß jedes gesellschaftliche System und dessen Bildungswesen von solchen Prämissen ausgehen. Es kommt nur darauf an, ob es sich um humanistische, demokratische Anliegen handelt oder nicht. Auch geht es darum, ob die gestellten Ziele realitätsbezogene Orientierungen vermitteln.

Dabei sollten wir uns auch der Grenzen von Bildung und Erziehung durchaus bewußt sein. Die Persönlichkeitsentwicklung ist ein lebenslanger Prozeß, in dem die Schule nicht alles leisten kann.

Es bleibt ein historisches Verdienst, daß die DDR unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen ein vorbildliches Bildungssystem hervorgebracht hat. Es vermittelte von der Vorschulerziehung über die Schule bis zu weiterführenden Einrichtungen eine hohe allgemeine und berufliche Qualifikation. Die erste Voraussetzung dafür war die Beseitigung der Bildungsprivilegien und -barrieren nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus. Wenn im Laufe der Zeit Widersprüche und Defizite auftraten, dann ist zu bedenken, daß auch das Bildungswesen Schauplatz einer erbitterten Systemauseinandersetzung war, in der sich die DDR vor enorme Herausforderungen gestellt sah. Es sei hier nur an Abwerbung und Republikflucht vieler hochqualifizierter pädagogischer Fachkräfte erinnert. Die von der DDR aufgewendeten Ausbildungskosten blieben der BRD zu einem großen Teil erspart, ganz zu schweigen von dem verursachten politischen Schaden.

Im Prozeß der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung ging es zunächst darum, das nazistische "Bildungswesen" restlos zu zerschlagen und eine neue demokratische Schule für alle aufzubauen. Da die meisten Lehrer Mitglied der NSDAP gewesen und durch deren Ideologie geprägt waren, galt es, aufgeschlossene junge Menschen für diesen Beruf zu gewinnen. 1945 wurden zu 80 % Neulehrer eingesetzt, die eine Schnellausbildung von nur wenigen Wochen durchlaufen hatten. Sie mußten sich neben ihrer beruflichen Tätigkeit jahrelang weiterqualifizieren.

Die Grundlage einer Schulreform bildete das im Mai/Juni 1946 von den Ländern der sowjetischen Besatzungszone verabschiedete Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule. Danach wurde die einheitliche achtjährige Grundschule mit einem differenzierten Fachunterricht ab der fünften Klasse und einer Fremdsprache sowie einem Kern- und Kursunterricht in den 7. und 8. Klassen eingeführt. Die Rückständigkeit des Landschulwesens, der Einklassenschulen und des Mehrklassenunterrichts konnte bis 1959 schrittweise überwunden werden. Die im Gesetz verankerten Grundsätze Einheitlichkeit, Staatlichkeit und Wissenschaftlichkeit wurden konsequent verwirklicht.

Weitere entscheidende Schritte auf diesem Gebiet waren das 1959 beschlossene "Gesetz über die sozialistische Entwicklung des Bildungswesens in der DDR" und das 1965 beschlossene "Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem". Im Verlauf der 70er Jahre wurde die zehnklassige allgemeinbildende Polytechnische Oberschule (POS) überall eingeführt. Der Übergang nach der 8. Klasse zur 12klassigen Erweiterten Oberschule (EOS) erfolgte bis in die 80er Jahre.


Unterricht und produktive Arbeit
Von grundlegender Bedeutung für die inhaltliche Neugestaltung der Allgemeinbildung war die Einführung des polytechnischen Unterrichts einschließlich praktischer Tätigkeit älterer Schüler in Betrieben. Damit wurde das Prinzip von Unterricht und produktiver Arbeit realisiert.

Ab Ende der 80er Jahre schuf man in der DDR für die POS wie für die EOS neue Lehrplanwerke. Grundlegende Bedeutung hatte eine stärkere Hinwendung zur Individualitätsentfaltung der Lernenden. Eine positive Rolle spielte dabei die differenzierte Unterrichtsgestaltung und die Einführung wahlweiser Möglichkeiten. Schon seit Mitte der 80er Jahre war dem Ruf nach weiterer Differenzierung dadurch nachgekommen worden, daß sich die Zahl fakultativer Kurse in den Klassen neun und zehn auf 22 erhöhte. Das Profil wurde stärker im Sinne eines projektorientierten Unterrichts verändert. Fragen von Wissenschaft und Technik, des Umweltschutzes, der Landeskultur, der bildenden Kunst sowie praktisch orientierte Kurse (Kraftfahrzeugtechnik, Kochen, Servieren, Nähen, Maschinelles Stricken) fanden Aufnahme in die Rahmenprogramme. Den Lehrern wurden in ihren Fächern größere Spielräume eröffnet. So führte man frei verfügbare Stunden ein. Beispielsweise wurden im Fach Staatsbürgerkunde wegen des starken Bedürfnisses nach Debatte und Information fünf Stunden für aktuelle Probleme extra eingeplant. Um mit den Schülern sie bewegende Fragen intensiver diskutieren zu können, erhöhten nicht wenige Lehrer in ihrer Unterrichtspraxis diese Stundenzahl um ein Mehrfaches. Für die Einführung differenzierter Formen der Bildung und Erziehung war nicht allein das jeweilige Rahmenprogramm entscheidend, sondern in besonderem Maße auch die Persönlichkeit des Erziehenden. Da im Unterricht die Interessen- und Erfahrungswelt der Schüler unmittelbar berührt wurde, boten sich mannigfache Ansatzpunkte für Selbsttätigkeit und Selbstentfaltung der Lernenden.

In den letzten Jahren der DDR wurde verstärkt betont, daß der gesamte Organismus der Schule - anspruchsvolle unterrichtliche wie außerunterrichtliche Tätigkeit, das Wirken der Jugend- und der Kinderorganisation, die Wechselbeziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden sowie unter den Lehrenden selbst - in seiner erzieherischen Effizienz vom Mitwirkungsniveau der Schüler an der Führung und Gestaltung des Schullebens abhängig ist. Dieser hohe Anspruch geriet allerdings oft in Gegensatz zu Erlebtem und den realen Möglichkeiten an den jeweiligen Schulen.


Kritik an Stereotypen
In Erkenntnis der Tatsache, daß der oft formale und eingeschliffene Stil des Jugendverbandes nicht mehr griff, wurde die Einführung von Schülerselbstverwaltungen als Ausdruck eines demokratischen Schullebens erörtert. Scharfer Kritik unterzog man das FDJ-Studienjahr, dessen Thematik recht abgehoben und dessen Durchführung oft langatmig waren. Darüber konnten auch Massenveranstaltungen, die bei vielen Jugendlichen auf Resonanz stießen, nicht hinwegtäuschen. Die überdimensionale Auswertung von ZK-Plenen und FDJ-Zentralratstagungen kam bei den Lernenden nicht an, da deren soziale Erfahrungen zu wenig Beachtung fanden. Die Freizeittätigkeit der Jugendlichen wurde häufig als "überorganisiert" empfunden. In der Praxis gestalteten aber viele FDJ-Gruppen ihre Zusammenkünfte mit eigenen, die Teilnehmer tatsächlich bewegenden Themen.

Wirkungsvoll arbeiteten jene Schulklubs, welche von den Heranwachsenden selbst gestaltet und geleitet wurden, wobei sie eine Lehrkraft lediglich beriet und den Ablauf des Klublebens dezent begleitete. Dort wurden oft brisante Fragen aufgegriffen und Experten als Gesprächspartner gewonnen.

Eine für die Individualitätsentwicklung der Lernenden außerordentlich positive Rolle spielten eine Vielzahl von Arbeitsgemeinschaften und Zirkeln an Schulen und in Pionierhäusern sowie die Stationen "Junge Touristen", "Junge Naturforscher" und "Junge Techniker", wo jegliche "Verschulung" unterblieb. Hier gab es in hohem Maße Möglichkeiten einer freien Entfaltung der Persönlichkeit bei sinnvoller Freizeitnutzung und Orientierung auf künftige Berufe. Das Leben in den Arbeitsgemeinschaften verlief so, daß sich die Schüler mit Freude den sie interessierenden Gegenständen zuwenden konnten.

Jugendstunden zur Vorbereitung auf die Jugendweihe sowie Religionsstunden und andere kirchliche Veranstaltungen außerhalb des Unterrichts entsprachen den differenzierten weltanschaulichen Positionen und Bedürfnissen. Das politisch-ideologische Anliegen der Jugendweihe, die nicht in die Zuständigkeit des Volksbildungsministeriums fiel, war auf die Vermittlung humanistischer Werte wie Frieden, Völkerfreundschaft, Solidarität und Verbundenheit mit dem sozialistischen Vaterland gerichtet. Viele Jugendstunden wurden von Müttern und Vätern gestaltet, aber auch durch Künstler, Wissenschaftler, Ingenieure, Ärzte, Facharbeiter und andere geeignete Persönlichkeiten. Dabei trug man den Wünschen und Interessen der Jugendlichen Rechnung. Angestrebt wurden nachhaltige Eindrücke und Erlebnisse. Die Teilnahme an der Jugendweihe beruhte auf dem Prinzip der Freiwilligkeit.

Der ab November 1989 einsetzende kapitalistische Rückverwandlungsprozeß führte im Osten zu radikalen Veränderungen, zum Abbruch und zur Zerstörung von Lebensperspektiven und -vorstellungen. Die Biographien vieler Menschen sollten nach dem Willen der "neuen Herren" aus dem Westen auf einmal nichts mehr wert sein. Existenzangst griff um sich. Nicht wenige wurden aus ihrer Bahn geworfen und verloren den Lebensmut.


"Abwicklung" ohne viel Federlesen
Zweifellos brach die DDR auch aufgrund eigener Widersprüche zusammen, wobei innere und äußere Faktoren eine Rolle spielten. Ihre echten Errungenschaften und Erfahrungen aber konnten in der diametral entgegengesetzten kapitalistischen Gesellschaftsordnung nicht positiv aufgehoben werden. Man beseitigte und ignorierte sie einfach.

Unter dem, was man ohne viel Federlesen "abwickelte", befand sich auch das international anerkannte und entsprechend bewertete Bildungssystem der DDR, das Gerechtigkeit und Chancengleichheit für alle auf hohem Niveau gesichert hatte. Bei ihm stand die Förderung von Begabungen und Talenten im Vordergrund. Finnische und schwedische Experten kamen damals in die DDR, um aus dem dort Erfahrenen wertvolle Anregungen für ihre eigene Arbeit zu erhalten.

Tatsächlich wurde so manches auf dem Gebiet der Volksbildung abgeschaut und übernommen. Das längere gemeinsame Lernen der Schüler, die Ganztagserziehung, die Frühförderung und Betreuung im Kindergarten sind heute in der BRD vieldiskutierte Themen. In der DDR hatte man diese Probleme längst gelöst. Ihr politisches System bot dafür ausgezeichnete Rahmenbedingungen. Die einstigen Bürger der DDR, nicht zuletzt auch ihre Pädagogen und Erziehungswissenschaftler, können mit Stolz auf jene Ergebnisse blicken, die sie auf seiner Grundlage erreicht haben.

Doch Abbau und Vernichtung gehen weiter. So wird sich die Bildungsmisere der BRD noch mehr vertiefen. Da lohnt es sich schon, bei der Suche nach Lösungsansätzen unter den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen an die Erfahrungen des Bildungssystems der DDR zu erinnern.

Dozent Dr. sc. Horst Adam, Berlin


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildung:

- Am 11. Oktober 1949 gratulierte Margot Feist als jüngste Abgeordnete der Provisorischen Volkskammer Wilhelm Pieck zu seiner Wahl als Präsident. Später leitete sie - nun Margot Honecker - das Ministerium für Volksbildung der DDR.

Raute

Wie ich vier verschiedene Schultypen in zwei konträren Gesellschaftssystemen durchlief

Vom "Pantoffelgymnasium" zur Wissensquelle

Lehrer haben mich in Kinder- und Jugendjahren wiederholt auf jenen klassischen Spruch hingewiesen, der da lautet: Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir! Und seit langem weiß ich, daß nicht nur die alten Römer, die zu dieser Erkenntnis gelangten, sondern auch die Pädagogen, die sich um meine Bildung bemühten, durchaus recht hatten - allerdings, so sagt es meine Erfahrung, mit Einschränkungen und Abstrichen. Denn was und wieviel die Schüler lernen, lernen dürfen oder lernen sollen, hängt in hohem Maße nicht allein vom Wollen und Können des Einzelnen ab. Nicht weniger Bedeutung kommt dem jeweiligen Schulsystem, den Vorgaben des Lehrplans, dem Inhalt der Lehrbücher, der Qualifikation und Motivation der Erzieher zu. Schließlich ist das Bildungswesen vor allem staatliche Angelegenheit und gehört somit zu den Instrumenten der Machtausübung durch die jeweils herrschenden Klassen. Ich habe das in den 13 Jahren meiner Schulzeit zwischen 1939 und 1952 nachhaltig erfahren. In dieser Zeit durchlief ich vier grundverschiedene Bildungsetappen in zwei konträren gesellschaftlichen Systemen.


Einklassige Dorfschule
Der Zweite Weltkrieg hatte gerade begonnen, als ich im September 1939 in die Volksschule kam. Sie befand sich im Nachbarort und war eine einklassige Dorfschule. In einem einzigen, nicht sehr großen Raum mit acht hölzernen Bankreihen hintereinander saßen etwa 50 Mädchen und Jungen, vorn die Abc-Schützen, in der letzten Reihe die Konfirmanden, also jene, welche die letzten Monate im "Pantoffelgymnasium" hinter sich brachten. Da Dorfschulmeister Landmann bald eingezogen wurde, um für Führer, Volk und Kapital fremde Länder zu erobern, lag es an Frau Scholz, einer gutmütigen und nachsichtigen Vorrentnerin, uns Schreiben, Lesen, Rechnen und etwas Heimatkunde beizubringen. Viel Wissen sprang dabei für uns nicht heraus, aber mehr brauchten wir Sprößlinge von Arbeitern und kleinen Bauern wohl auch nicht zu lernen. Hinzu kam, daß vor allem Mädchen und Jungen der älteren Jahrgänge zunehmend fehlten, weil sie daheim die eingezogenen Väter und älteren Brüder bei der Versorgung der Familien zu ersetzen hatten.

Zugute halten muß ich meiner Lehrerin, daß sie im Unterricht den Krieg von uns fernhielt, auf "Frontberichte" und "Sondermeldungen" verzichtete und der Klasse auch nichts von "Nationalsozialismus", "Rassen" und ähnlichem erzählte.


"Zucht und Ordnung"
Meinen Erziehungsberechtigten mißfiel, daß ich auf dem Dorf zu wenig lernte. So beschloß man, daß ich zu den Großeltern umziehen und fortan die Stadtschule besuchen sollte. Es handelte sich wiederum um eine Volksschule. Schon von außen flößte das Gebäude, ein riesiger roter Ziegelbau, Respekt ein, innen ähnelte es mehr einer Kaserne als einer Bildungseinrichtung. Wir Jungen - Mädchen wurden separat unterrichtet - befanden uns in einem Alter, in dem man den "Pimpfen" beim "Deutschen Jungvolk" Zucht, Ordnung und Disziplin einbleute. Man konnte vor Unterrichtsbeginn nicht einfach in den Klassenraum gehen, sondern hatte anzutreten, bei schönem Wetter draußen vor dem Schultor, bei schlechtem im Haus auf dem Flur, um dann auf Kommando einzurücken. Stehend erwarteten wir den Lehrer oder die Lehrerin, die mit einem zackigen "deutschen Gruß" den Unterricht begannen. So etwa ging es weiter. Klassenlehrer Weder, offensichtlich ein verhinderter "Unteroffizier Himmelstoß", forderte strengste Disziplin, die er auch mit Rohrstockschlägen auf Handflächen und Hinterteile durchsetzte. Wir hatten mucksmäuschenstill zu sein, bei Antworten aufzuspringen und strammzustehen. Immer wieder verkündete er uns das Wort des "Führers", wonach der deutsche Junge "hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder und flink wie Windhunde" zu sein habe.

Sicher wurde mir in dieser Zeit mehr Wissen als zuvor vermittelt, denn der Lehrplan wies eine größere Anzahl Fächer auf. Der Stoff allerdings war streng auf die Staatsideologie ausgerichtet. In Biologie, damals "Lebenskunde" genannt, erhielten wir Kenntnis von "Rassen" und "germanischem Blut". In Erdkunde verfolgten wir an der Europakarte den Vormarsch der Wehrmacht und erfuhren, welche Länder "wir" besetzt hatten. Auch zeigte man uns auf dem afrikanischen Kontinent die "verlorenen Kolonien", die Deutschland unbedingt als "Lebensraum" benötigte. Im Sportunterricht, als Leibesübung bezeichnet, wurde exerziert und marschiert, an Reck, Barren und Kletterstange hatten wir "Mutproben" zu bestehen.

Häufigere Luftangriffe und der damit verbundene Unterrichtsausfall sowie familiäre Gründe führten dazu, daß ich meinen Schulbesuch in der Stadt abbrechen mußte. Es ging zurück aufs Dorf. Die wenigen Wochen bis zum Kriegsende verliefen wie ehedem, doch niemand gab sich jetzt noch besondere Mühe. Auch uns Kinder hatte die Ungewißheit, was die Zukunft bringen würde, erfaßt.

Bis zum späten Frühling des Jahres 1946 blieb zunächst alles beim alten. Dann deutete sich eine erste Änderung an. Ein junger Mann, ein Neulehrer, kam. Er übernahm die Klassen 1 bis 4, wir "Großen" blieben bei Frau Scholz. Unterricht fand ab sofort im Wechsel statt, in der einen Woche am Vormittag, in der folgenden nachmittags. 1947 endete meine Volksschulzeit.


Bürgersöhnchen unter sich
Offenbar hatte ich einige Kenntnisse mehr aus der Stadtschule mitgebracht, denn die Lehrerin machte den Vorschlag, daß ich mich weiterbilden sollte. So zog ich ein paar Monate später wieder zur Großmutter in die Stadt und wurde Schüler des Goethe-Gymnasiums. Schon in den ersten Tagen zeigte sich, daß ich dort wohl aus mehreren Gründen fehl am Platze war. Meine neuen Mitschüler hatten schon seit dem 5. Schuljahr Gymnasialunterricht. Andererseits befand sich die Verwirklichung der Schulreform in der sowjetischen Besatzungszone erst im Anfangsstadium, so daß die bürgerlich-kapitalistischen Zöpfe noch nicht überall abgeschnitten waren. Ich hatte zwar erste Russischkenntnisse, aber Latein und Englisch waren für mich "böhmische Dörfer", von den Naturwissenschaften und der höheren Mathematik ganz zu schweigen.

Es galt also einen erheblichen Wissensvorsprung aufzuholen. Doch Geld für außerschulischen Nachhilfeunterricht besaßen wir nicht. Bat ich aber einen der Mitschüler um Hilfe, hatte der wegen irgendwelcher Verpflichtungen gerade keine Zeit. Schon bald kam ich dahinter, daß mich die anderen gar nicht haben wollten. Ohne Ausnahme entstammten sie betuchten Familien. Ihre Väter waren Ärzte, Rechtsanwälte, Unternehmer, Pastoren, Kaufleute, Apotheker und Lehrer. So zeigten sich die Söhne "standesbewußt". Sie trugen bessere Kleidung als ich, besaßen Uhren und hatten hinreichend Taschengeld, um sich auf dem "schwarzen Markt" zu versorgen. Ein Arbeiterjunge gehörte einfach nicht in ihren Kreis. Auch von den Lehrern dieser Anstalt, die sich damals noch überwiegend dem Bürgertum zugehörig fühlten, war keine Hilfe zu erwarten. Zu ihnen gab es kaum Kontakt. Sie absolvierten ihren Unterricht und überließen es den Schülern, mit dem Stoff fertig zu werden. Häufig kam es vor, daß sie abfällige Bemerkungen machten, wenn ich eine Frage nicht beantworten konnte oder eine schriftliche Arbeit verpatzt hatte. Mein Klassenlehrer, Studienrat Dr. Ruprecht, sprach dann die Meinung seiner Kollegen und meiner Mitschüler aus, indem er sagte, ich solle doch lieber die Anstalt verlassen, es fehle mir an Intelligenz.

Ähnlich war das politische Klima. Obwohl es seit zwei Jahren in der SBZ eine fortschrittliche Jugendorganisation - die FDJ - gab, spürte man an der Schule davon nichts. An das Wirken einer Partei war ebensowenig zu denken. Im Unterricht bemühte man sich, möglichst indifferent zu bleiben, und wich Gegenwartsfragen, die sich nachgerade aufdrängten, gänzlich aus. Andererseits erörterte man unter den Schülern, was man in den damals noch überall frei erhältlichen Journalen aus den Westzonen gerade gelesen hatte. Die meisten machten kein Hehl daraus, daß für sie "der Westen", was Technik und Kultur betraf, das Erstrebenswerte sei. Alles, was sich im Lande an gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen vollzog, stieß bei den Bürgersöhnchen auf entschiedene Ablehnung. Für "die Russen" und deren "Primitivität" hatten sie nur Hohn und Spott übrig.

Nach einem Jahr verließ ich das Gymnasium, ein Relikt der Vergangenheit.


Chance für Arbeiterkinder
Inzwischen, man schrieb September 1948, hatten die jetzt machtausübenden antifaschistisch-demokratischen Kräfte nach Bodenreform und Enteignung des Großkapitals mit der grundlegenden Veränderung auch des Volksbildungswesens begonnen. Jedenfalls unterbreitete mir die neue Schulbehörde das Angebot, meine Lernbemühungen an einer der neu geschaffenen Aufbauschulen fortzusetzen. Ich bezog das Internat dieser Einrichtung, die den Namen eines in der Region beheimateten Dichters und Humanisten trug. Sie war ausschließlich Kindern von Arbeitern und kleinen Bauern vorbehalten, denen das kapitalistische Deutschland eine gediegene Entwicklung ihrer Fähigkeiten und Talente verweigert hatte. Sehr vielen meiner Mitschüler war im Krieg Schlimmes zugestoßen. Sie hatten nahe Angehörige verloren, oft auch die Heimat. Wir konnten uns im wahrsten Sinne als Oberschule für Arme bezeichnen. Keiner mußte Schulgeld bezahlen, Unterbringung, Lehrmaterial und Vollverpflegung kosteten unsere Eltern keinen Pfennig. Jeder erhielt überdies monatlich Taschengeld.

Mehr als 30 Lehrer und Erzieher, vorwiegend älterer Jahrgänge, aber antifaschistischer Gesinnung und hochqualifiziert, kümmerten sich um etwa 240 Schülerinnen und Schüler. Erst nach und nach kamen jüngere Leute hinzu, Absolventen der sich wandelnden Universitäten Ostdeutschlands. Sie unterrichteten nach einem Lehrplan, der unseren Voraussetzungen entsprach und alle Gymnasialfächer enthielt. Das Schüler-Lehrer-Verhältnis gestaltete sich ganz anders, als ich es von der Stadtschule und dem "bürgerlichen" Gymnasium her kannte. Wir bildeten eine richtige Lehr- und Lerngemeinschaft, denn die Pädagogen standen zu jeder Zeit an unserer Seite.

Nicht nur der reguläre Unterricht vermittelte Wissen und Kenntnisse. Zum Ausbildungsprogramm gehörten Betriebsbesichtigungen, Besuche von Museen, Theateraufführungen und Sehenswürdigkeiten am Schulort wie in der Umgebung, selbstverständlich aber auch Wanderfahrten bis nach Thüringen, dem Harz oder an die Ostsee. Großen Wert legte man auf die musische Erziehung. Ihr dienten Konzerte und literarische Veranstaltungen in der Aula. Wer selbst ein Instrument spielen wollte, erhielt nicht nur dieses, sondern auch den Lehrer dazu. Alles war unentgeltlich!

Wir hatten genügend Freiräume für außerschulische Betätigung. In Arbeitsgemeinschaften fanden sich Interessenten für spezielle Wissensgebiete zusammen. Fußball- und Handballmannschaften trainierten und trugen Freundschaftsspiele aus. Unser Chor war mit seinem Programm in der Stadt und im Kreis gefragt. Die Laienspielgruppe ließ schauspielerische Talente zur Geltung kommen. Nicht zuletzt luden wir zu Tanzabenden ein und feierten fröhliche Feste.

Anfangs vertrat ein Schülerrat die Interessen der Mädchen und Jungen. Er beriet sich mit dem Direktor und der Internatsleitung über alle wesentlichen Aufgaben, natürlich auch Konflikte, die hin und wieder entstanden. Später ging dessen Funktion auf die Schulgruppenleitung des Jugendverbandes über, denn die Mehrheit von uns trat nach und nach der FDJ bei. Überdies bildeten sich Grundorganisationen zweier Parteien, darunter der SED, denen sowohl Lernende als auch Lehrende angehörten. Sie nahmen Einfluß auf das Schulleben.

Übrigens bestanden solche Aufbauschulen nur etwa zehn Jahre, bis das einheitliche sozialistische Bildungssystem vollends zu greifen begann und allen Kindern eine gediegene Ausbildung gewährleistete. Die von dieser Sonder-Schulreform Begünstigten legten bis auf wenige Ausnahmen das Abitur ab und ergriffen nicht selten akademische Berufe. Viele promovierten, etliche wurden sogar angesehene Wissenschaftler.

Oberstleutnant a. D. Günter Freyer, Diplom-Historiker


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildung:

Der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät - hier Hörer der Berliner ABF - entsprachen Aufbauschulen und Aufbauklassen zur Überwindung der alten Sozialstrukturen im Bildungswesen.

Ende RF-Extra

Raute

Der weiße Kommunist Denis Goldberg wurde 22 Jahre in Apartheid-Kerkern gequält

Vorkämpfer eines freien Südafrika

Am 12. Juni 1964 wurden im Rivonia-Prozeß, der in die Geschichte des südafrikanischen Befreiungskampfes gegen die Apartheid der weißen Rassisten für immer eingegangen ist - sein Hauptangeklagter war niemand anderes als Nelson Mandela - die Urteile gefällt. Dem Antrag des Staatsanwalts, der acht Angeklagte dem Henker übergeben wollte, folgte das Gericht nicht, verhängte aber drakonische Freiheitsstrafen. Damals sagte Denis Goldberg, ein ANC-Führer weißer Hautfarbe: "Leben! Leben ist wunderbar!"

So liest man es auch in seinem jetzt erschienenen autobiographischen Bericht "Die Mission: ein Leben für Freiheit in Südafrika". Das eindrucksvolle Buch ist seinen ermordeten und im Kampf gefallenen Genossen gewidmet. Die Londoner marxistische Zeitschrift "The Socialist Correspondent" nannte es "eine bewegende und inspirierende Rechenschaftslegung über Mut, Kühnheit, Ergebenheit und Handlungsbereitschaft auf der Grundlage starker persönlicher und politischer Überzeugungen".

Denis Goldberg, Sohn kommunistischer Eltern, der im Kampf gegen die Apartheid Schreckliches erlitten hat, verschweigt die Qualen in seinem Report nicht. Schon während des Ingenieurstudiums wurde er auf Grund seiner antirassistischen Haltung von den meisten weißen Kommilitonen geschnitten und angefeindet.

Nach einem Jahrzehnt aktiver Tätigkeit in der Befreiungsbewegung erfolgte 1960 die erste Verhaftung des jungen Mannes. Das war zur Zeit des Polizeimassakers von Sharpeville, nach dem der Ausnahmezustand verhängt wurde. Damals verbot man den Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) und andere fortschrittliche Organisationen. Vier Monate verbrachte Goldberg in "Schutzhaft".

In der Zeit verschärfter Unterdrückung sowie als Reflex auf den Befreiungskrieg der Algerier gegen die französische Kolonialherrschaft und den Sieg der kubanischen Revolution beschlossen die miteinander kooperierenden Spitzengremien des ANC und der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP), Umkhonto we Sizwe (MK - Speer der Nation) als bewaffneten Arm der südafrikanischen Widerstandsbewegung zu schaffen. Denis schloß sich dem MK sofort an und nahm an dessen militärischer Ausbildung teil. Das überstieg die "Toleranzschwelle" der in Pretoria Regierenden. Das Apartheidregime schlug brutal zu. Während sich Denis in Haft befand - das Urteil lautete auf viermal lebenslänglich - ließen ihn die Wärter unverblümt wissen, er werde das Gefängnis nur im Sarg verlassen.

Nach 22 Jahren kam er 1985 dennoch frei. Er selbst hatte nicht darum nachgesucht, aber von draußen Unterstützung erhalten. Als disziplinierter Kämpfer wandte sich Denis Goldberg, nachdem man ihm die Entlassung angeboten hatte, zunächst an die ANC-Führung, um deren Zustimmung einzuholen. Damals war er bereits 52. Man entließ den Schwergeprüften unter der Auflage, Südafrika sofort zu verlassen. Zunächst wollte er sich zu seiner Tochter nach Israel begeben, dann aber ging er nach London, wo sich damals die Auslandszentrale des ANC befand. Dort widmete er sich dem Ausbau internationaler Beziehungen seiner Organisation und knüpfte besonders enge Bande zu den Genossen in der DDR, aber auch zu denen in der BRD. 1994 traf er aus familiären Gründen die Entscheidung, in Großbritannien zu bleiben und von einer Rückkehr in das nun von der Apartheid befreite Südafrika abzusehen. Mit Unterstützung Nelson Mandelas und weiterer Kampfgefährten gründete er 1995 in London eine Gesellschaft, die sich mit der Formierung von Kadern für das Gesundheits- und Erziehungswesen sowie den Wiederaufbau beschäftigt.

Sechs Jahre später verlor Denis seine Frau Esme. Auch sie hatte sich große Verdienste im Befreiungskampf erworben. 2002 heiratete er Edelgard und kehrte mit ihr nach Südafrika zurück, wo er zunächst als Sonderberater des Ministers für Wasserwirtschaft und Forstwesen arbeitete. Diese Tätigkeit befriedigte Dennis nicht, vor allem auch wegen beim ANC inzwischen aufgebrochener Konflikte.

Denis Goldberg betrachtet das Ende der Apartheid als großen Triumph für die Sache der Freiheit, auch wenn noch ein erbitterter und lang anhaltender Kampf erforderlich sein dürfte, um die Hauptaufgabe der südafrikanischen Revolution in Angriff nehmen zu können: die sozialökonomische Umwandlung der Gesellschaft. Indes hält er das in Südafrika - verglichen mit früheren Zeiten - bereits Erreichte nicht für so unbefriedigend wie andere Beobachter der Entwicklung im In- und Ausland. Seine Meinung hat Gewicht, weil er Herausragendes für die Überwindung der Apartheid und all ihrer häßlichen Begleiterscheinungen geleistet hat. Goldbergs Buch ist dazu ein weiterer profunder Beitrag.

RF, gestützt auf "The Socialist Correspondent", London


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildung:

Am 27. März 2009 erhielt Denis Goldberg vom damaligen Präsidenten Südafrikas, Kgalema Motlanthe, eine der höchsten Auszeichnungen des Landes.

Raute

Der japanische Militärarzt Shuntaro Hida ging durch die atomare Hölle

Ein Mann, der das Inferno überlebte

Im August gedachten Menschen in aller Welt der Opfer des USA-Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki vor 65 Jahren. Dieses Gedenken hat einen höchst aktuellen Bezug. Noch immer stellen die 20.400 Atomsprengköpfe der Vereinigten Staaten und Rußlands ein Damoklesschwert dar, das über der Menschheit schwebt. Die neue NATO-Strategie, die im November in Lissabon verabschiedet werden soll, erteilt allen Forderungen nach Abzug der Massenvernichtungswaffen aus Europa eine klare Absage, ja sie verlangt sogar deren Modernisierung. Etwa 200 US-Atombomben lagern derzeit auf unserem Kontinent, allein 20 im Fliegerhorst Büschel auf dem Boden der BRD. Jede von ihnen besitzt die mehrfache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe. Über diese furchtbarste aller bisher eingesetzten Waffen ist viel geschrieben worden. Die Erinnerungen des japanischen Militärarztes Shuntaro Hida, die der Donat-Verlag unter dem Titel "Der Tag, an dem Hiroshima verschwand" herausbrachte, besitzen dabei besonderes Gewicht. Sie sind ein authentischer Report über grauenvolles eigenes Erleben. Ein flammender Appell, so etwas nie wieder geschehen zu lassen.

Als Schuljunge sah ich in der Nazi-Zeit den von der Ideologie des japanischen Faschismus durchdrungenen Film "Nippons wilde Adler". Es ging um das Kamikaze-Training junger Piloten, die dazu erzogen wurden, für den Tenno, ihren Gott-Kaiser, freudig in den Tod zu gehen. Meine Mutter fragte mich damals: "Willst Du auch einmal ein Flugzeug auf ein anderes Flugzeug oder auf ein Schiff stürzen, die Menschen darin umbringen und selbst elend zugrunde gehen?"

Warum machten diese Männer das? Die Frage war bohrend. Hida antwortet darauf, indem er seinen eigenen Werdegang schildert. 1917 geboren, wurde er als Heranwachsender vom japanischen Militarismus zunächst geistig vereinnahmt. Da er dennoch ein denkender und empfindender Mensch geblieben ist, führt ihm das Selbstdurchlittene die Sinnlosigkeit seiner ärztlichen Tätigkeit vor Augen, soll er doch im Dienst der kaiserlichen Militärbürokratie aus Verwundeten nur neues Kanonenfutter machen. Das "Ethos" des japanischen Berufssoldaten schockiert ihn. Hida erkennt: Nippons Armee verwandelt Menschen in gedankenlose Tötungsmaschinen. Der Krieg erscheint ihm als Quelle aller Übel ... Im Mai 1945 lag das faschistische Japan am Boden. Zwischen den Alliierten der auch auf Asien bezogenen Antihitlerkoalition war vereinbart worden, daß die Sowjetarmee drei Monate nach der Kapitulation Deutschlands im Fernen Osten eingreifen und an der Niederwerfung des japanischen Aggressors teilnehmen würde. So gab es zwar keinen militärischen Grund für den Abwurf von Atomwaffen, dafür aber einen politischen: Die reaktionärste Fraktion des USA-Imperialismus wollte Moskau vor Augen führen, wer künftig auf dem Planeten das Sagen haben würde! "Die Toten von Hiroshima waren nicht die letzten Toten des II. Weltkrieges", sagt Robert Steigerwald, "sondern die ersten des Kalten Krieges." Es ging Washington darum, die Weltherrschaftsansprüche der USA zu proklamieren. Dabei ist es bis heute geblieben.

Wer die Wirkungen der Atombombe auf lebende Menschen erfahren will, muß zu Hidas Buch greifen. Er schildert sie bis ins letzte Detail: den qualvollen Tod, die unheilbaren Verletzungen und Krankheiten, jahrzehntelanges Siechtum, unerträgliche Schmerzen, innere und äußere Verstümmelungen, psychische und soziale Ausgrenzung.

Der Mediziner Shuntaro Hida hat sich seit dem 6. August 1945 dem Kampf für die Ächtung der Atombombe, die Einstellung aller Kernwaffenversuche und weltweite Abrüstung gewidmet. Hochbetagt lebt er heute in einer japanischen Kleinstadt.

Dr. Ernst Heinz

Shuntaro Hida: Der Tag, an dem Hiroshima verschwand. Erinnerungen eines japanischen Militärarztes.
Donat-Verlag, Bremen 1989, 128 S., 12,80 €, ISBN 3-924444-42-0

Raute

Patriot und Internationalist: Jean-Pierre Timbaud

1989 erhielten mehrere Straßen der DDR-Hauptstadt im Gedenken an den 200. Jahrestag der Französischen Revolution Namen bedeutender Persönlichkeiten der Grande Nation. Zweieinhalb Jahre sah man in der früheren Fredersdorfer ein Straßenschild mit folgender Erläuterung: "Timbaud, Jean-Pierre, Kommunist, Kämpfer der Résistance, geboren am 20. September 1904, ermordet am 22. Oktober 1941".

Wer war Timbaud? In der Kindheit hatte er harte Arbeit auf einem Bauernhof kennengelernt. Es folgten Lehr- und Arbeitsjahre als Gießer. Erst Jungkommunist, trat er später der FKP bei. Im Militärdienst beteiligte er sich an der Kampagne gegen den Marokko-Krieg. Er war Kunstgießer und Funktionär der Metallarbeitergewerkschaft in Paris, kommunistischer Kandidat zu den Parlamentswahlen, erfolgreicher Streikführer von 18.000 Arbeitern bei Citroën und in weiteren Werken, Organisator von Arbeitslosenkomitees und Fabrikbesetzungen. Auch bei Solidaritätsaktionen für die Spanische Republik tat er sich hervor. Zu Kriegsbeginn einberufen und Kraftfahrer eines Obersten, kehrte er illegal an die Seine zurück und beteiligte sich in Paris am Kampf der Résistance gegen die hitlerfaschistischen Okkupanten. Von der Polizei des Kollaborateurs Petain gefaßt, wurde er binnen Jahresfrist durch vier Konzentrationslager geschleift. In Chateaubriant gehörte er zur politischen Leitung der dort Internierten.

Als ein Kommandeur der Nazi-Besatzer in Nantes von Widerstandskämpfern erschossen wurde, rächten sich die Faschisten grausam, indem sie 27 Häftlinge, darunter Jean-Pierre Timbaud, ermordeten.

Im Abschiedsbrief an Frau und Tochter gesteht er beiden noch einmal seine große Liebe. "Es lebe Frankreich! Es lebe das internationale Proletariat!", lauten die letzten Worte. Im Angesicht des Erschießungskommandos bekennt er sich zur Kommunistischen Partei Deutschlands. Mit der Marseillaise auf den Lippen fallen die Antifaschisten.

Jean-Pierre Timbaud wurde nach der Befreiung Frankreichs auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise beigesetzt. Dort ruhen auch die Kommunarden von 1871. Heute tragen 25 Straßen des Landes, ein Stadtteil seines Geburtsortes sowie Schulen, eine Hochschule und ein Rehabilitationszentrum seinen Namen. Das Straßenschild in Berlin-Friedrichshain wurde im Dezember 1991 auf Beschluß des Bezirksamtes entfernt.

E. H.

Raute

Die Kinder von Hiroshima

Am 6. August 1945 verglühte die Großstadt Hiroshima auf Japans Hauptinsel Honshu im Feuersturm der ersten gegen Menschen eingesetzten Atombombe. Deren Abwurf war durch USA-Präsident Harry Truman befohlen worden, obwohl der Einsatz dieser Massenvernichtungswaffe keinerlei kriegsentscheidende Bedeutung mehr besaß. Anläßlich des 65. Jahrestages der Auslöschung Hiroshimas und Nagasakis bringen wir - wie bereits im Septemberheft angekündigt - bisher nicht veröffentlichte Bilder Klaus Steinigers. Er hielt sich 1973 zu zwei längeren Reportagereisen in dem fernöstlichen Land auf und führte eingehende Gespräche mit Genossen der Bezirksleitung Hiroshima der KP Japans. Im Friedenspark der leidgeprüften Stadt - zuvor Zentrum totaler Verwüstung - beobachtete der damalige ND-Sonderkorrespondent die heute erwachsenen einstigen Kinder von Hiroshima mit der Kamera. Seine Aufnahmen sind bei aller Schmerzlichkeit des Geschehenen der Zukunft zugewandt.


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen:

- Die Handelskammer hielt allein dem Feuersturm vom August 1945 stand. Ihre Ruine ist heute ein Mahnmal.

- Mit Millionen selbstgefalteter Papierkraniche schmücken Japans Schüler das Denkmal für die von der Atombombe getöteten Kinder.

Raute

China überholt Japans Wirtschaft und wird weltweit die Nummer 2

Der wirklich große Sprung

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Der gefährlichste Ort auf der Erde befindet sich in Nebraska

Das U.S. Strategic Command

Im überwiegend agrarischen USA-Bundesstaat Nebraska befindet sich - 25 km südlich von Omaha - eine Pentagon-Zentrale, deren Auftrag unumwunden lautet: Beherrschung der Welt und des Kosmos. Ihr Name: Strategic Command (StratCom). In seinem tausendfach abgesicherten Komplex hatte sich Ex-Präsident George W. Bush am 11. September 2001 - nach dem Anschlag auf das New Yorker World Trade Center - als Oberbefehlshaber der Streitkräfte zunächst einmal verkrochen. Aus seinem Bunker eröffnete er Washingtons weltweiten "Krieg gegen den Terror" - eine Chiffre, die für den Verlust des Erzfeindes Bolschewismus herhalten muß. Ende des 20. Jahrhunderts war das Strategic Command plötzlich auf der Suche nach einem neuen Gegner. Denn der Zusammenbruch der Sowjetunion hatte zunächst zu einem Sinnverlust des US-Kernwaffenarsenals geführt. Die Zentrale bei Omaha geriet vorübergehend sogar auf die Liste von der Schließung bedrohter Luftwaffenbasen.

Doch der 11. September änderte schlagartig die Situation. Ein Jahr später wurde das U.S.-Weltraumkommando der Kontrolle des Strat-Com unterstellt. Innerhalb von fünf Jahren hatte sich das Spektrum seiner Aufgaben von nur einer "Mission" (Nukleare Abschreckung) auf acht erweitert. Man war von nomineller Defensive zur Offensive übergegangen, vom Besitz einer Waffe, die - wie man zunächst scheinheilig versicherte - "hoffentlich niemals benötigt würde", zu einer, die "für alles gebraucht" werden könnte.

Im Februar 2008 schlug StratCom-Befehlshaber und Luftwaffen-Viersterne-General Kevin Chilton - ein früherer Astronaut - dem US-Kongreß vor, den Namen seines Befehlsbereichs zu ändern. Fortan solle es statt Strategic besser "Global Command" heißen. Chilton kam damit allerdings noch nicht durch. Doch das anvisierte Ziel ist klar: Es geht um die Vorherrschaft auf der Erde wie im Weltraum. Heute ist dieser für das Pentagon bereits ein Kriegsschauplatz.

Eigens dafür wurde eine den neuen Bedingungen angepaßte Technologie entwickelt: die unbemannten, von Satelliten gesteuerten "Drohnen", die über eine Distanz von 15.000 Kilometern Raketen zentimetergenau ins Ziel bringen können. Die Predator- und Reaper-Drohnen gelangen in Pakistan und Afghanistan schon seit Jahren zum Einsatz.

Der Vorsitzende einer in Colorado Springs angesiedelten "Weltraumstiftung" brachte es 2006 bei einer Konferenz in Omaha auf den Punkt: "StratCom ist ein Laboratorium für die Zukunft der Kriegsführung." Im Zusammenwirken mit der US-Geheimdienstzentrale National Security Agency (NSA) überwacht StratCom unterdessen Telefongespräche in aller Herren Länder, durchschnüffelt global den E-Mail-Verkehr und macht sich im Weltmaßstab mit finanziellen Transaktionen beliebiger Art vertraut. Es holt verirrte Satelliten vom Himmel, betätigt sich als Lobbyist für neue Generationen von Kernwaffen und plant aktiv den nächsten Krieg - irgendwo auf dem Erdball. StratCom ist dazu autorisiert, in jedem beliebigen Winkel des Planeten innerhalb von einer Stunde mit konventionellen oder atomaren Waffen zuzuschlagen, sobald auch nur der Verdacht einer "Gefährdung der nationalen Interessen der Vereinigten Staaten" sprich: des US-Imperialismus besteht.

Das militärische Oberkommando für Washingtons globales Empire hat sich in Nebraskas Erde sechs Stockwerke tief eingegraben. "StratCom ist der gefährlichste Platz auf der Erdoberfläche", schrieb Timm Rinne, Gesamtkoordinator der Antikriegsbewegung Nebraskas.

"Eine gute Verteidigungskapazität hängt von einer guten Angriffsbereitschaft ab", erklärte General Chilton einem Reporter der US-Nachrichtenagentur AP. Bei solcher Art Freimütigkeit ist jedermann vorgewarnt.

RF, gestützt auf "The Guardian", Sydney

Raute

Bisher größte Streikwelle erschüttert den indischen Subkontinent

Proletarisches Muskelspiel

Die außer Kontrolle geratene Preisexplosion - vor allem bei einigen Grundnahrungsmitteln, Petroleum und Tarifen - hat in Indien zu einer besonders heftigen Streikwelle geführt. Drei landesweite Arbeitsniederlegungen von erheblicher Dimension und Durchschlagskraft erschütterten zwischen April und September den südasiatischen Staat. Trotz jährlicher Zuwachsraten der nationalen Wirtschaftskraft von acht Prozent und einem damit verbundenen Boom vor allem, aber nicht nur des Finanzsektors, unterliegt der Lebensstandard der Arbeiter und eines Teils der Mittelschichten weiterhin stetiger Erosion. Hunderte Millionen Inder vegetieren in oder leben am Rande von bitterer Armut. Nach offiziellen Angaben begingen zwischen 1997 und 2008 nahezu 200.000 ins Elend getriebene Bauern Selbstmord.

Während China 9 % seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den Ausbau der Infrastruktur und des öffentlichen Dienstleistungssektors steckt, sind es in Indien gerade einmal 4 %. Stellen wir einen weiteren Vergleich an: Im Unterschied zu China, das Milliardenbeträge für eine halbwegs ausgewogene Entwicklung der Regionen des Riesenlandes bereitstellt, vollzieht sich Indiens Wachstum höchst unausgeglichen. Neben den städtischen Vierteln der wohlhabenden Oberschicht und des mittleren Bürgertums gibt es riesige Slums für Millionen und Abermillionen "Unterprivilegierte".

Der Landbevölkerung - sie macht immer noch etwa 70 % der 1,15 Mrd. Inder aus - geht es schlechter als vor 30 Jahren. Nehmen wir noch einen dritten Vergleich mit China vor: Während Beijing Hunderte Milliarden Euro Jahr für Jahr in seine alle Dimensionen sprengende Wirtschaft investiert, ist Indien auf die Gnade seiner Kreditgeber und Gläubiger angewiesen. Die Verschuldungsrate des Staates macht jetzt 82 % des indischen BIP aus. Das ist der elftschlechteste Platz in der Welt.

Seit dem Ende der britischen Kolonialherrschaft hat sich der Prozentsatz Schreib- und Lesekundiger in Indien von 12 auf 66 % (2007) erhöht. Er liegt aber noch immer weit unter dem Weltdurchschnitt von 84 % und der durch China ausgewiesenen Erfolgsrate von 94 %.

Der "Allindische Bandh" vom 5. Juli war im Urteil der Presse der bis dahin umfassendste Streik seit 30 Jahren und wahrscheinlich auch die größte Kampfaktion dieser Art seit dem legendären Bombayer Textilarbeiterausstand von 1982. Er wurde durch die Linkskräfte - die KP Indiens (Marxistisch), die KPI, den Allindischen Vorwärtsblock und die Revolutionäre Sozialistische Partei - gemeinsam ausgerufen. Seine Durchschlagskraft war so stark, daß sich sogar die rechtsgerichtete und hinduistische Janata-Partei (BJP) dazu entschloß, ihn - wenn auch von den anderen getrennt - zu unterstützen. Deren Gewerkschaftszentrale BMS, die rund 6,2 Millionen Mitglieder zählt, ist die derzeit größte in Indien. Im Lande bestehen insgesamt 13 gewerkschaftliche Dachorganisationen, die in der Regel mit politischen Parteien verbunden sind.

Bei einer 2002 durchgeführten Erhebung wurden dem der Kongreßpartei nahestehenden INTUC 3,9 Millionen, dem WMS des Vorwärtsblocks 3,3 Millionen, dem der KPI (M) nahestehenden Center of Indian Trade Unions (CITU) 3,2 Millionen und dem Allindischen Gewerkschaftskongreß der KPI 2,6 Millionen organisierte Anhänger zugeordnet. 2004 gehörten insgesamt 40 Millionen Inder gewerkschaftlichen Zusammenschlüssen an - ein Zehntel der Arbeitenden und ein Viertel der Lohn- und Gehaltsempfänger. Über den diesmal auch vom Nationalen Gewerkschaftsdachverband der Kongreßpartei unterstützten landesweiten Streik vom 7. September lagen bei Redaktionsschluß noch keine genaueren Informationen vor. Er soll den Bandh vom 5. Juli, den sogar die großbürgerliche "Times of India" mit Respekt kommentierte, noch übertroffen haben. Damals schrieb das Blatt, die Streikenden hätten vielerorts "ihre Muskeln spielen lassen" und der regierenden Kongreßpartei "einen Schuß vor den Bug verpaßt".

Unter Indiens großstädtischen Zentren wurde allein Madras vor ernsteren sozialen Erschütterungen bewahrt. Während in Mumbai (Bombay) die Börsenkurse im freien Fall abstürzten, schätzte der Verband Indischer Handels- und Industriekammern die Juli-Streikkosten auf 1,8 Mrd. britische Pfund. Natürlich war die Polizei allerorts auf seiten der Unternehmer. Ihre brutalen Angriffe auf Streikteilnehmer lösten entsprechende Gegenreaktionen der Arbeiter aus. Allein in Mumbai gelangten 48.000 Beamte zum Einsatz. Über 3500 Demonstranten wurden festgenommen. Im Unionsstaat Maharashtra arretierten die Ordnungshüter 4000 Teilnehmer von Streikmeetings, darunter 33 Mitglieder des lokalen und 4 Abgeordnete des zentralen Parlaments.

Wie die Zeitung "Volksdemokratie", das Organ der KPI (M), zu berichten wußte, zielte ein höherer Polizeioffizier in Kolhapur mit seiner Dienstwaffe direkt auf Streikende, was "Erinnerungen an die britische Kolonialherrschaft" wachgerufen habe. Auch in Delhi, wo insgesamt 77.000 Polizisten für "Ruhe und Ordnung" sorgten, erfolgten 4300 Festnahmen. In Bihar waren es sogar 8500.

Wie man sieht, steht es in Indien um die Meinungsfreiheit nicht zum besten. Das Land ist Schauplatz erbitterter Klassenauseinandersetzungen. Die Wut der politisch Herrschenden, die ihren Repressionsapparat zu äußerster Härte antreiben, ist ein Reflex auf die zunehmende Kampfentschlossenheit der antikapitalistischen Massenbewegung. Auch wenn die Wahlresultate der letzten Zeit die Kongreßpartei und andere Rechtskräfte extrem begünstigt haben, könnte schon das Ergebnis des nächsten oder übernächsten Urnenganges ganz anders ausfallen.

RF, gestützt auf "The New Worker", London

Raute

Rassist Sarrazin - eine BRD-Variante des Holländers Geert Wilders

Islamophobie schändet Europa

Das faschistische Deutschland hat mit Hitlers im Massenmord gipfelnden antisemitischen Exzessen, die zur Ausrottung von sechs Millionen europäischen Juden führten, und mit dem gnadenlosen Genozid gegen Sinti und Roma die bisher schlimmste Ausgeburt des Rassenwahns hervorgebracht. Dieser erlebt derzeit seine Wiederauferstehung. An die Stelle des Antisemitismus, der latent existiert, aber in offiziellen Kreisen der BRD aufgrund der engen Verflechtung des deutschen Imperialismus mit Israels Führungskreisen um Lieberman und Netanjahu gegenwärtig keine so sichtbare Rolle spielt, ist die Islamophobie - die Jagd auf "Islamisten" - getreten. Die Propaganda der neuen Rassisten steckt gläubige Muslime mit "Terroristen" in einen Sack, um den Eindruck zu erwecken, "der Islam" habe etwas mit Gewalttätigkeit zu tun. Bekanntlich gibt es sowohl unter Christen als auch unter Muslimen und Gefolgsleuten anderer Religionen etliche schwarze Schafe, nämlich tatsächliche Terroristen.

Zum Wortführer des "Anti-Islamismus", bei dem es um das unterschiedslose und willkürliche Schüren von Angst vor Andersdenkenden, Andersgläubigen und Menschen anderer Hautfarbe geht, schwingt sich ein auf zivilisiert getrimmter und im Lächeln geübter niederländischer Demagoge auf: Geert Wilders und seine politischen Wilden erzielten bei den jüngsten Parlamentswahlen mit ihrer Partei für Freiheit (PVV), die auf potenzierten Ausländerhaß setzt, einen spektakulären Erfolg. Die PVV erhielt Millionen Stimmen, stieß auf den dritten Rang vor und nimmt in Hollands 2. Kammer jetzt 24 der 150 Sitze ein. Sie beeinflußt in Den Haag fortan den Regierungskurs. Die Wilders-Losung "Stoppt den Islam!" ist auch bei den Rechten in der Bundesrepublik populär. Die rassistischen Ausfälle Thilo Sarrazins sind dafür der eklatanteste Beweis!

Wie einst Hitler sucht sein holländischer Nachahmer die "Bewegung" zu internationalisieren. Inzwischen schwappt die braune Wilders-Brühe in jene Länder über, die er in seinem Kampf für eine nicht näher definierte "Freiheit" besonders ins Kalkül gezogen hat. Der unverhüllte Rassismus findet nicht nur bei Le Pens Front National - der durch Sarkozy hofierten Sturmspitze des französischen Faschismus - und bei den Vollstreckern von Berlusconis faschistoider Hatz auf eingewanderte wie in Italien alteingesessene Sinti und Roma großen Anklang. Auch in der bundesdeutschen NPD und anderen Gliederungen rechtsextremistischer Tendenz ist er zu Hause.

"Ich habe ein Problem mit der islamischen Ideologie, der islamischen Kultur, weil ich fühle: Je mehr Islam wir in der Gesellschaft unserer Länder bekommen, um so weniger Freiheit erhalten wir", erklärte Wilders im Vorjahr bei einer Zusammenrottung seiner britischen Anhänger in London. Es versteht sich von selbst, daß auch der holländische Chauvinist entschieden bestreitet, jemals Rassist gewesen zu sein. Ihm gehe es ausschließlich um mehr "Freiheit".

Besonders makaber ist die Tatsache, daß Wilders ihm geeignet erscheinende Passagen aus dem Koran mit Filmdokumenten unterlegt, die gewalttätige Muslime in Aktion zeigen. Er bringt die üble Mixtur als Streifen "Fitna" allenthalben unter die Leute.

Inzwischen hat der niederländische Faschist angekündigt, er wolle seine "Bewegung" auch in den USA, Kanada, Frankreich und Großbritannien etablieren. In London hat sich bereits das konservative Unterhausmitglied Philip Hollobone öffentlich geweigert, auf Versammlungen in Gegenwart verschleierter Frauen zu sprechen. Empörend ist auch die Tatsache, daß die anti-islamischen Haßgesänge des Wilders-Lagers unter Berufung auf die christliche Bibel angestimmt werden. Dabei war Jesus - unterstellt man einmal seine historische Authentizität - keineswegs der einzige Prophet und Religionsstifter.

Jene, welche dem Islam gegenüber ständig ihre Intoleranz bekunden, sollten wissen, daß es kein Glaubensmonopol gibt. "Viele Wege führen zu Gott", pflegen die Prediger zu sagen. Der Islam ist eine friedensstiftende Religion, islamistischer Fundamentalismus indes deren krasses Gegenteil. Doch die Entscheidung einer muslimischen Frau für die Burka berechtigt ebensowenig zu der Unterstellung, sie sei eine Terroristin, wie die Annahme, katholische Geistliche hätten grundsätzlich pädophile Neigungen, weil der Klerus ihrer Kirche in dieser Hinsicht nicht ganz unbefleckt ist.

Der Islam hat eine wunderbare Kultur hervorgebracht und unvergängliche Werke geschaffen. Er blickt auf eine große und reiche Tradition zurück. Islamistische Extremisten, die im Namen Allahs zu handeln vorgeben, beschädigen das heilige Erbe ihrer Glaubensbrüder. Aus dem gleichen Grunde muß Geert Wilders und seinen Nachbetern eine entschiedene Abfuhr erteilt werden. Sein von üblem Rassismus durchtränktes Denken hat nichts mit Zivilisation, aber sehr viel mit Wildheit zu tun.

RF, gestützt auf "Prawda", Moskau

Raute

Wie Tel Aviv im wörtlichen Sinne über Leichen geht

"Gegossenes Blei" und Operation Flickenteppich

Wer sich zu Israel und seiner Politik äußert, wird oft in eine antijüdische Ecke gestellt. Auch Juden, die einen kritischen Blick auf Tel Aviv werfen, müssen im günstigsten Fall mit schroffer Ablehnung rechnen. Selbst unter Linken scheinen grundlegende Positionen ungeklärt zu sein.

Für viele Menschen stellt sich Israel als permanente Kriegspartei im Konflikt mit Palästinensern und arabischen Nachbarn dar. Die von ihm ausgehenden Kriege sind indes nur schwer zu begreifen, wenn geschichtliche Aspekte und globale politische Strategien sowie die Rolle des Zionismus ausgeblendet werden.

Großbritannien erklärte sich gegen Ende des Ersten Weltkrieges in der nach seinem damaligen Außenminister benannten Balfour-Deklaration vom 2. November 1917 damit einverstanden, den zionistischen Bestrebungen Raum zu geben, eine "nationale Heimstätte" des jüdischen Volkes in Palästina zu errichten. Dabei sollten die Rechte dort lebender nicht-jüdischer Gemeinschaften gewahrt bleiben.

Die Zionisten hatten jedoch immer einen eigenen Staat im Visier, der nur auf Kosten der in Palästina ansässigen arabischen Bevölkerung geschaffen werden konnte. So initiierten und organisierten sie mehrere Einwanderungswellen nach Palästina. Insbesondere die Verfolgung und Vertreibung jüdischer Menschen durch die Hitler-Faschisten führten zwischen 1933 und 1939 zu einem Anwachsen des jüdischen Bevölkerungsanteils in der Region.

Die veränderte Situation begünstigte die Zionisten. Sie schufen eine antibritische Bewegung, die durch Streiks, Demonstrationen und Überfälle auf Stützpunkte, Militärbasen und Verbindungslinien seiner Truppen London zu einer prozionistischen Politik und zur Gründung eines jüdischen Staates zwingen wollte.

1937 lenkte Großbritannien als Mandatsmacht des Völkerbundes ein und deutete erstmals die Absicht einer Teilung Palästinas und der Bejahung eines jüdischen Staates an. Am 29. November 1947 stimmte dann die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit Zweidrittelmehrheit für einen Teilungsplan. Palästina sollte in einen jüdischen und einen arabischen Staat getrennt werden. Viele Araber im Lande und arabische Staaten lehnten das Projekt ab, da mit ihm die Enteignung und Vertreibung der arabischen Bevölkerung verbunden sein würde.

Im ersten Krieg zwischen arabischen Staaten und Israel (Mai 1948 bis Juli 1949) wurde deutlich, daß Israel und dem Zionismus durch die USA eine neue Rolle im globalen Machtpoker zugewiesen worden war. Dieser Stellvertreterkrieg war zugleich eine Machtprobe zwischen Großbritannien und den USA. Die Briten unterstützten dabei arabische Staaten gegen Israel. Der antiarabische Staatsterrorismus entwickelte sich seitdem zu einer wesentlichen Grundlage israelischer Außen- und Innenpolitik. Der zionistische Gedanke eines Groß-Israel gewann an Kontur. Unter Ausnutzung der Konfrontation der beiden politischen und militärischen Blöcke im Kalten Krieg baute Israel seine regionale Position weiter aus. Für den Westen gewann es enorm an strategischer Bedeutung. Als Kairo 1956 die Suezkanalgesellschaft nationalisierte, begann Israel am 29. Oktober eine Aggression gegen Ägypten. Seine Unterstützerstaaten Großbritannien und Frankreich besetzten Anfang November nach schweren Bombardierungen die ägyptische Hafenstadt Port Said.

Jeder weitere Krieg gegen arabische Nachbarn war nur möglich, weil insbesondere die USA das militärische Potential Israels entwickelten und finanzierten. Ihm wurde sogar der Zugang zu nuklearen Waffen ermöglicht. Die Ergebnisse aller Kriege, hauptsächlich des Sechstagekrieges von 1967, sind eindeutig: Israel vertrieb arabische Bevölkerung völkerrechtswidrig aus angestammten Gebieten, zerstörte Lebensgrundlagen, eignete sich Land (z. B. die Golanhöhen) und Ressourcen an, was zur Erweiterung seines ursprünglichen Staatsgebietes führte.

Der weitere Ausbau seiner politischen und militärischen Rolle soll die Einflußnahme anderer Mächte auf den Nahen Osten einschränken oder erschweren.

Der Krieg Israels gegen Libanon bzw. gegen die libanesische Hisbollah im Juli/August 2006 demonstrierte einmal mehr die Rolle Tel Avivs. Mit der UN-Resolution 1701 wurden die Kampfhandlungen zwar eingestellt, aber die EU und die NATO engagierten sich als Partner Israels immer stärker in diesem Konflikt - auch unter dem Deckmantel der Vereinten Nationen.

Am 25. Januar 2006 siegte die radikal-moslemische Hamas bei Wahlen im Gazastreifen über die "gemäßigte" Fatah. Nach dem mit Gewalt verbundenen Bruderzwist fiel dieser im Juni 2007 an die Hamas, während das Westjordanland unter Kontrolle der Fatah verblieb. Wegen der deutlichen Positionen der Hamas gegen Israel wurde der Gazastreifen abgeriegelt und einer Blockade unterworfen. Ägypten förderte diese Maßnahme und sperrte ebenfalls seine Zugänge zu den Palästinensergebieten. Tausende Menschen können seitdem nicht mehr ungehindert ausreisen, ihrer Arbeit in israelischen Gebieten nachgehen oder die eigenen Felder bestellen, zumal Tel Aviv einen Grenzzaun errichtete, durch den es sich weitere palästinensische Gebiete de facto einverleibte. Die Versorgung im Gazastreifen ist zusammengebrochen. Unverändert geht die widerrechtliche Aneignung palästinensischen Bodens im Westjordanland weiter. Es werden Tatsachen geschaffen. Durch israelische Bauvorhaben ähnelt dieses Gebiet einem Flickenteppich. Es ist von israelischen Siedlungen durchsetzt.

Mit der Operation "Gegossenes Blei" (27. Dezember 2008 bis 18. Januar 2009) versuchte Israel durch Luftangriffe, die sich hauptsächlich gegen die Zivilbevölkerung und die Infrastruktur des Gazastreifens richteten, die Hamas auszuschalten. Dabei wurden auch UNO-Hilfseinrichtungen gezielt zerstört. Tel Aviv begründete die Militäroffensive mit dem Raketenbeschuß israelischer Gebiete aus dem Gazastreifen. Die israelischen Luftangriffe waren die schwersten im Nahostkonflikt seit dem Sechstagekrieg von 1967. Auf palästinensischer Seite gab es mehr als 1300 Tote und Tausende Verletzte. Israel hatte lediglich den Verlust von zehn Soldaten zu beklagen. Der im Mai d. J. von Friedenskräften unternommene Versuch, die vor drei Jahren über Gaza verhängte Blockade mit Schiffen zu durchbrechen, endete ebenfalls mit einem Blutbad. Israelische Soldaten töteten neun unbewaffnete Personen und verletzten viele andere.

Als Barack Obama sein Amt antrat, versprach er eine Lösung des Nahostkonflikts. Doch offensichtlich setzt auch der schwarze Präsident den Kurs seiner weißen Vorgänger fort. Das bestätigte sein Zusammentreffen mit Israels Premier Netanjahu am 7. Juli. Bedenken gegen Siedlungsbau und Blockade scheinen vergessen.

Indes ist allen Beteiligten klar, daß es einen dauerhaften Frieden in der nahöstlichen Krisenregion nur bei einer auf dem Völkerrecht basierenden Gesamtlösung geben wird. Israel muß sich auf seine Grenzen von vor 1967 zurückziehen, was die Rückgabe der Golanhöhen an Syrien einschließt. Die Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staates steht nach wie vor auf der Tagesordnung. Grundlage hierfür bildet die UN-Resolution 242 vom November 1967, die Israel und dessen westliche Verbündete beharrlich ignorieren.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin

Raute

Politbüro der Libanesischen KP zu neuen Kriegsplänen Israels

Dringende Bitte um Solidarität

Die Libanesische Kommunistische Partei (LKP) ist eine der ältesten konfessionsübergreifenden Parteien des Landes. Gegründet 1926 als Libanesische Volkspartei, die später Kommunistische Partei Syriens und Libanons hieß, wirkt sie seit 1944 als selbständige politische Kraft unter ihrem heutigen Namen. Syrien und Libanon hatten im Herbst 1941 die politische Unabhängigkeit als selbständige Staaten von der französischen Kolonialmacht ertrotzt. Im antikolonialen und antiimperialistischen Widerstand spielte die Partei bereits in den 20er Jahren eine hervorragende Rolle.

Die LKP erwies sich seit ihrer Gründung als konsequente Verfechterin der nationalen Interessen. Bei der erfolgreichen Zurückschlagung der US-Aggression 1958 und während des Bürgerkrieges von 1975 bis 1990 vertrat sie standhaft die Positionen der patriotischen und fortschrittsorientierten Kräfte. Dadurch erlangte sie große Anerkennung im Land. Sie kämpfte vorbehaltlos gegen die israelischen Aggressionen von 1982 und 2006, für die Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit Libanons.

In der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung ist die LKP als marxistische Partei geachtet und beteiligt sich auf internationalistischen Positionen an deren Aktivitäten. Großes Ansehen brachten ihr Initiativen für die Rechte des palästinensischen Volkes und gegen die amerikanische Aggression in Irak ein.

Nachdem ein Appell der Partei angesichts der sich häufenden Drohungen und Provokationen Israels gegen Libanon Anfang dieses Jahres bereits ein starkes internationales Echo ausgelöst hatte, wandte sich ihr Politisches Büro am 21. Juli an "alle linken, progressiven, der Arbeiterklasse verbundenen demokratischen und kommunistischen Kräfte in der ganzen Welt" mit einem Aufruf "zur Solidarität mit dem libanesischen Volk". Einleitend wird darin unterstrichen, daß "sich Israel wieder auf die Sprache der Drohungen und des Terrors gegen das ganze libanesische Volk und seine Widerstandsbewegung verlegt und dies mit offener Unterstützung der Vereinigten Staaten tut. Erneut versichern uns die Herrscher Israels, daß sie nicht zögern werden, Wohnungen zu zerstören, die unbewaffneten Zivilisten sowie kleinen Kindern und Säuglingen Zuflucht bieten, womit sie uns an die Greueltaten erinnern, die sie bei ihrer Aggression gegen Libanon im Sommer 2006 und viele Male davor begangen haben. Diese Drohungen erfolgen als verzweifelter Versuch, einen virtuellen Sieg über die Widerstandsaktivitäten in Libanon zu erringen, sowie als das zum Scheitern verurteilte Streben nach Rache für die Niederlagen, die ihre Vernichtungsarmeen von 1982 bis heute erlitten haben. Israelische Spionagezellen in Libanon werden enttarnt und brechen zusammen, wobei deren Verzweigungen darauf hindeuten, daß Israel in die Durchführung und Vertuschung vieler Morde und Sprengstoffanschläge verwickelt sein dürfte, die sich seit 2005 in Libanon ereignet haben. Gleichzeitig 'prophezeien' einige israelische Minister und Generäle, daß sich das Land erneut am Rande eines Bürgerkrieges befinden könnte - wobei sie sogar ein genaues Datum für den Beginn des Ausbruchs von Feindseligkeiten angeben, indem sie eine direkte Verbindung mit der Eröffnung des Tätigwerdens des internationalen Tribunals herstellen, welches die Ermordung des ehemaligen libanesischen Premierministers, Rafiq Hariri, aufklären soll. Vor diesem Hintergrund fährt die israelische Netanjahu-Lieberman-Ashkenazi-Regierung fort, entlang der Demarkationslinie mit Libanon durch eine Reihe von aggressiven und provozierenden Maßnahmen ernste Spannungen zu erzeugen, darunter das Kidnappen unbewaffneter Zivilisten, Militärmanöver und Verletzungen des libanesischen Luftraums und der libanesischer Territorialgewässer. Kürzlich kündigte sie an, daß sie soeben das 'Eisen-Dom'-Projekt zum Schutz ihres Luftraums fertiggestellt hat, und daß sie dafür zehn moderne amerikanische Militärflugzeuge erhalten wird.

Das Verhängnisvollste an dieser Entwicklung ist die Vogel-Strauß-Politik der Vereinten Nationen und einiger Länder der EU. Die UNIFIL-Streitkräfte im Süden Libanons beteiligen sich ihrerseits an dem Versuch, die UN-Resolution 1701 und deren Inhalt zugunsten des Unterdrückers und Besatzers (Israel) und zuungunsten des Unterdrückten (Libanon) auszulegen. Diese Position von UN und EU ist in ihrer Stoßrichtung gegen die arabischen Menschen und deren gerechte Sache leider nicht neu. Offenkundig wird dies in dem anhaltenden Leiden des palästinensischen Volkes infolge von Embargos, Mordversuchen, Massenevakuierungen und ethnischen Säuberungen, in bewaffneten Siedlungen auf besetztem Land und Zwangsumwandlungen vieler Städte, insbesondere Jerusalems, in rein jüdische Städte. Diese Voreingenommenheit von UN und EU offenbart sich auch im Schweigen zu den Greueltaten, die gegen das libanesische Volk begangen wurden und werden.

Wir betrachten die fortgesetzten israelischen Verletzungen unseres Territoriums zu Wasser, zu Land und in der Luft, verbunden mit der anhaltenden US-Unterstützung für die Netanjahu-Lieberman-Ashkenazi-Regierung, als ein klares Signal, daß Krieg gegen unser Land wieder auf der Tagesordnung steht ... Kolportiert werden alarmierende Szenarien des US-Außenministeriums für einen 'dritten Libanon-Krieg'."

Die LKP ruft zu weltweiter Solidarität mit dem libanesischen Volk auf und äußert die Hoffnung, "daß eine solche Kampagne Israel, die USA und die NATO zwingen wird, von der Durchführung ihres neuen zerstörerischen Kriegsprojekts Abstand zu nehmen. Wir appellieren auch an alle kommunistischen und Arbeiterparteien der euro-mediterranen Region, sich auf ein Treffen in naher Zukunft vorzubereiten, um alle Aktivitäten und Bewegungen zu koordinieren, insbesondere mit dem Ziel, die USA daran zu hindern, Israel die Nutzung von US- oder NATO-Stützpunkten in der Region für einen Angriff auf unser Land und unser Volk zu erlauben."

Wie berechtigt und notwendig der Appell der libanesischen Kommunisten ist, wurde - abgesehen von wiederholten militärischen Zusammenstößen an Libanons Südgrenze - besonders durch ein in der jüngeren Geschichte der arabischen Welt einmaliges Ereignis unterstrichen: Syriens Präsident Assad und der jordanische König Abdullah, bislang stets als Antipoden wahrgenommen, unternahmen eine gemeinsame Initiative, um einen neuen militärischen Konflikt in Libanon im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme des Hariri-Prozesses abzuwenden.

Bernd Fischer

Raute

Wann sorgt Obama für die Freilassung der Cuban 5?

Im Juli gab die kubanische Regierung ihre Entscheidung bekannt, insgesamt 52 Gefangene, die 2003 wegen der Entgegennahme von Geldern dubiosen Ursprungs verhaftet worden waren, in Etappen freizulassen. Die Festnahmen waren seinerzeit erfolgt, nachdem Havannas Sicherheitsorganen schlüssige Beweise dafür vorlagen, daß die Betreffenden nicht unerhebliche Summen aus offiziellen und privaten Kanälen der USA erhalten hatten. Natürlich wurden die Valuta-Empfänger, die gegen Kubas Strafgesetze verstoßen hatten und deren angedachter Einsatz für antisozialistische Zwecke gegen ihren Staat zweifellos den Hintergrund der nordamerikanischen Spendenfreudigkeit bildete, von den imperialistischen Medien sofort als Widerstandskämpfer hochstilisiert.

Die Entlassung der 52 war zwischen Kuba, der Römisch-Katholischen Kirche und der Madrider Regierung ausgehandelt worden.

Ein Teil der nunmehr durch Havannas humanitäres Entgegenkommen Begünstigten ist unterdessen nach Spanien und in andere Länder ausgereist. Zweifellos würde in den Vereinigten Staaten jeder US-Bürger, der Gelder oder andere Zuwendungen kubanischen Ursprungs ohne Genehmigung der zuständigen Behörden angenommen hätte, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Politische Beobachter knüpften an die beschlossene Freilassung der 52 die Erwartung, daß die Washingtoner Administration auf die großzügige Entscheidung Havannas fair reagieren würde. Kubas Präsident Raúl Castro hatte nach Barack Obamas Einzug in das Weiße Haus sofort die Bereitschaft zu einem Gefangenenaustausch signalisiert. Gemeint war damit die Freilassung kubanischer "Dissidenten", um im Gegenzug die als "Cuban 5" bekanntgewordenen fünf Kundschafter der Seguridad del Estado freizubekommen, die in Miami geplanten Terroranschlägen von Exilkubanern durch rechtzeitige Aufklärung hatten vorbeugen sollen. Ein solcher Austausch wäre sicher ein erster wichtiger Schritt zur Normalisierung der seit Jahrzehnten äußerst gespannten Beziehungen zwischen beiden Staaten.

US-Außenministerin Hillary Clinton kommentierte Kubas Ankündigung, die 52 für Finanzdelikte mit politischem Hintergrund Verurteilten freizulassen, zunächst als "positiv". Sie verlangte jedoch sofort, auch den US-Bürger Alan Gross in diese Liste aufzunehmen. Der war im Dezember 2009 in Kuba festgenommen worden und steht unter dringendem Tatverdacht, als illegaler Kurier eines "Vertragspartners" des U.S. State Department tätig gewesen zu sein. Wie zu erfahren war, brachte er hochentwickelte elektronische Ausrüstungen nach Kuba. Seine offenbar mit Geheimdienstkreisen liierte Firma soll seit langem zu konterrevolutionären "Dissidenten" Kontakt halten.

Gross gab an, er habe lediglich örtlichen jüdischen Gruppen bei deren Ausrüstung mit gebräuchlicher Nachrichtentechnik helfen wollen. Jüdische Verantwortungsträger in Havanna erklärten, ihnen sei der Mann völlig unbekannt.

Unterdessen appellierte Hillary Clinton - als Scharfmacherin hinlänglich erfahren - an jüdische Organisationen in den USA, Druck auf Havanna auszuüben.

RF, gestützt auf "People's World", New York

Raute

Das Pol-Pot-Regime war menschenfeindlich

Folgt man der Kambodscha-Darstellung der imperialistischen Medien, dann war die das südostasiatische Land in den 70er Jahren drangsalierende und fast ein Viertel der Bevölkerung - darunter die meisten Intellektuellen - ausrottende Herrschaft der "Roten Khmer" eine "kommunistische Diktatur". Doch trotz ihrer radikalen und pseudomarxistischen Verbalistik praktizierten die Anhänger des zeitweiligen Regierungschefs und späteren Kommandeurs "befreiter Zonen" Pol Pot nicht nur keinerlei "Kommunismus", sondern fügten der revolutionären Sache auch schweren politisch-moralischen Schaden zu. Im Zusammenhang mit der unlängst in Phnom Pen erfolgten Aburteilung eines Kerkermeisters der Pol-Pot-Leute - er erhielt in der ersten Instanz 30 Jahre Freiheitsentzug - war in Berichten der bürgerlichen Presse einmal mehr vom "kommunistischen Regime" die Rede. Obwohl sich viele der überwiegend jungen Anhänger Pol Pots zu hehren theoretischen Zielen bekannten, hatte deren tatsächliches Handeln sehr negative Konsequenzen.

Pol Pot war in einer frühen Phase des Vietnamkrieges aus Paris nach Kambodscha zurückgekehrt, wo er sich zwar als ein Mann voller Tatendrang, aber keineswegs als Marxist-Leninist auswies. Er lehnte die führende Rolle der Arbeiterklasse ab und favorisierte statt dessen die Bauernschaft. Während Kambodschas wirkliche Kommunisten in den Indochinakrieg zogen, um gegen die USA-Aggressoren zu kämpfen, festigte der Kreis um Pol Pot im Innern des Landes seine Vormachtstellung. Nachdem er in Phnom Penh ans Ruder gelangt war, nutzte Pol Pot seine Spitzenposition zur Ausschaltung persönlicher und politischer Gegner. Er vertrat die abenteuerliche These, der Klassenfeind bestehe nicht nur aus Angehörigen der alten ausbeuterischen "Eliten", sondern auch aus Besitzern jeglichen Eigentums, darunter des persönlichen. Pol Pot schickte nahezu sämtliche Städter aufs Land, wo sie von den Bauern lernen sollten. In der Stadt füllten sich unterdessen die Gefängnisse und Folterhöllen.

Als kambodschanische Kommunisten, die dem Terror hatten entkommen können, nach Vietnam gelangten, berichteten sie dort von den erlebten Greueln. Sie baten Hanoi, ihre im Dschungel aufgestellte Rebellenarmee zu unterstützen. Bald darauf rückten reguläre vietnamesische Truppen in Kambodscha ein, wo sie Pol Pots Genozid-Regime ein Ende setzten. Doch die jahrelange Diskreditierung der Sache des Sozialismus wirkt bis heute nach. Während sich Marxisten-Leninisten weltweit von den Methoden Pol Pots distanzierten, schlachteten die Medien der Bourgeoisie dessen Wüten genüßlich aus. Sie behaupteten, das Pol-Pot-Regime sei der schlagendste Beweis für die Gefährlichkeit der kommunistischen Theorie und Praxis. Selbst fortschrittliche Persönlichkeiten verschiedener Länder erlagen in dieser Frage der gegnerischen Propaganda und distanzierten sich unter Verweis auf Pol Pot von den Kommunisten.

Ohne Zweifel war der kambodschanische Pseudorevolutionär, der seine Massaker unter ständigem Schwenken der roten Fahne mit Hammer und Sichel beging, kein Kommunist. Im Gegenteil: Sein Regime besaß einen volksfeindlichen Charakter - die Antithese zu wahrhaft revolutionärer Machtausübung im proletarischen Sinne.

RF, gestützt auf einen Artikel von Rob Gowland in "The Guardian", Sydney

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Diskussionsangebot Prof. Schelzels zu weltwirtschaftlichen Perspektiven

Neues Werk eines Rostocker Politökonomen

Das von einem namhaften Rostocker Politökonomen verfaßte Buch, das hier Gegenstand der Besprechung sein soll, könnte den Eindruck erwecken, beim globalisierten Kapitalismus handele es sich um eine völlig neue Spielart dieses Systems. Das ist natürlich nicht der Fall. Und dennoch bringt der objektive Vorgang der Globalisierung bei allen derzeit existierenden Formen menschlicher Gesellschaft wesenseigene Veränderungen mit sich, die deren Entwicklungsprozesse und - perspektiven sowie das Zusammenwirken untereinander modifizieren. Der Analyse solcher Wandlungen und ihrer verständlichen Darlegung ist Manfred Schelzels Buch gewidmet.

Mehr noch: Es wird auf Konsequenzen hingewiesen, die Politiker und Parteien generell zur Kenntnis nehmen und berücksichtigen sollten. Wenn der Autor die Einleitung mit der Bemerkung beginnt, es handele sich nicht um kein Lehrbuch der Ökonomie, so mag dies vielleicht für seine Bescheidenheit sprechen, nicht jedoch für die von ihm geleistete Arbeit. Sicher mögen in didaktischer Hinsicht und auch bezüglich des Umgangs mit Kategorien und der vorausgesetzten Kenntnisse des Lesers an ein Lehrbuch andere Maßstäbe anzulegen sein. Ich hätte mir indes im Rückblick auf viele meiner eigenen Vorlesungen an der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt und der Pädagogischen Hochschule Güstrow gewünscht, auf dieses Buch früher zurückgreifen und es den Studenten als Lektüre empfehlen zu können.

Gemessen an der Tiefe der Analyse von Funktionsmechanismen des Kapitalismus und der Wirklichkeitsnähe vom Verfasser gezogener Schlußfolgerungen war die politökonomische Literatur in der DDR - sowohl die des Grundlagenstudiums als auch der wirtschaftswissenschaftlichen Fachausbildung - mitunter recht vordergründig, zugleich aber auch durch ideologische Überfrachtung bisweilen geradezu unverständlich. Schelzel ist erfolgreich bemüht, das Phänomen zu beherrschen, daß sich der heutige Kapitalismus längst von seiner einstigen Mission als fortschrittlicheres Gesellschaftsmodell verabschiedet hat, wobei er aber nach wie vor dazu in der Lage ist, beachtliche wissenschaftlich-technische und wirtschaftliche Potenzen zu mobilisieren.

Nach einer kurzen Darstellung der Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise widmet sich der Verfasser deren globalen Spezifika in der Gegenwart. Dabei wünschte man sich an einschlägigen Stellen eine sachliche Auseinandersetzung mit der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus, wie sie seit Lenin bekannt ist und seither - aktuellen Wandlungen weitgehend angepaßt - Verbreitung gefunden hat. Leider diente die akademische und propagandistische Art der Verbreitung dieser Theorie in der DDR häufig dem Zweck, bei den Hörern Vorstellungen von einem beinahe automatischen Ablauf der Geschichte zu erzeugen. Nicht zuletzt wurde dadurch die Illusion hervorgerufen, daß sich im Verbund von Staat und Monopolen die historische Notwendigkeit einer Planwirtschaft ergebe, was einen revolutionären Umschlag zum Sozialismus in absehbarer Zeit zwangsläufig zur Folge haben werde.

Bei der in Schelzels Buch akribisch belegten Darstellung des vielgestaltigen Globalisierungsprozesses dominiert zu Recht die Rolle des Finanzkapitals. Überzeugend wird verdeutlicht, daß - einem Wesenszug bourgeoisen Denkens folgend - auch im Handeln des global agierenden Finanzkapitals nicht der wirtschaftliche und soziale Effekt des jeweiligen Unternehmens oder Landes im Vordergrund steht, sondern allein die Verwertungsrate des eingesetzten Kapitals. Wiederholt stellt der Verfasser logische Zusammenhänge zur weltweiten Wirtschaftskrise dar und belegt, daß die globale Spekulation der Banken und Börsen als deren Hauptursache zu betrachten ist.

Als Kernstück des Wirtschaftsgeschehens im heute global agierenden Kapitalismus werden dessen Spielarten und Strukturen genannt, vor allem transnationale Konzerne und international operierende Großbanken. An deren Interessen orientiert sich die jeweilige nationale Wirtschaftspolitik der kapitalistischen Länder und fördert u. a. durch Mitgliedschaft in entsprechenden Organisationen auf verschiedenen Ebenen den Globalisierungsprozeß.

Diese Wirtschaftspolitik wird in Schelzels Buch anhand der Problemfelder Staat und Markt, Kapital und Arbeit, Lohnarbeit und Kapital sowie Konjunktur und Krise verdeutlicht. Dabei untersucht der Autor, wie sie sich auf die Bewältigung weltweiter Herausforderungen - schwindende Ressourcen, gefährdete Umwelt, Armut und Kriege - auswirken.

Manfred Schelzel wagt an mehreren Stellen illusionslose Blicke in die Zukunft und befaßt sich ausführlich mit Formen und Aussichten vielfältiger Globalisierungskritik, ohne den objektiven Verlauf dieses Prozesses selbst in Abrede zu stellen. Das Ganze gipfelt in Gedanken über eine Zukunft der Menschheit ohne Kapitalismus. Eine äußerst wertvolle Bereicherung der gesellschaftswissenschaftlichen Zukunftsdiskussion sind die sehr fundierten, mit zuverlässigen Quellen belegten Ausführungen zu Perspektiven asiatischer und lateinamerikanischer Länder im Globalisierungsprozeß.

Nicht nur in diesem Zusammenhang hebt der Verfasser die nach wie vor aggressive Außenpolitik der USA hervor und führt entsprechende Beweise ins Feld. Er stellt fest, daß das Finanzkapital der Vereinigten Staaten bestrebt ist, seine Vorherrschaft unter den Ländern des Westens zu behaupten und zu festigen.

Von besonderem Interesse für den politökonomisch interessierten Leser mit DDR-Hintergrund dürfte die Schilderung von Entwicklungsprozessen in China sein. Ausgehend von den bereits nach dem Tod Maos 1978 eingeleiteten Reformen zur sozialistischen Modernisierung der Wirtschaft wird der Weg zum erfolgreichen Industriestaat detailliert geschildert. Nachdenklich stimmt, daß Anfang der 60er Jahre auch in der DDR über ähnlich motivierte Reformen nicht nur nachgedacht, sondern als Einstieg in ein Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft bereits entsprechende Schritte vorbereitet wurden.

Ungeachtet der Tatsache, daß China über eine weitaus günstigere Rohstoffbasis verfügt und sich die nationalen wie territorialen Bedingungen anders als in der DDR gestalteten, bestand der Grundgedanke in beiden Fällen darin, den Plan und die Gesetze des Marktes effektiv zu verschmelzen und so, ob nun als solche bezeichnet oder nicht, eine sozialistische Marktwirtschaft auf den Weg zu bringen.

Geleitet von dogmatischem und voluntaristischem Denken wurden nach Erich Honeckers Amtsantritt und Günter Mittags Absage an die zuvor unter seiner Mitwirkung erarbeiteten Reformgedanken die ausgetretenen Pfade einer marktfernen Zentralverwaltungswirtschaft erneut belebt.

Manfred Schelzel sei für sein viele Denkanstöße vermittelndes Werk gedankt.

Prof. Dr. sc. oec. Alfred Leonhardt, Güstrow

Manfred Schelzel, Globalisierung - Politische Ökonomie des globalen Kapitalismus, Eigenverlag, Rostock 2009, 464 Seiten

Raute

Arnold Zweigs Weltkriegszyklus bewegte Millionen Leser

Ein großer Erzähler des 20. Jahrhunderts

Arnold Zweig war neben Lion Feuchtwanger und Thomas und Heinrich Mann einer jener seltenen großen Erzähler der Deutschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bevor er seine berühmten Romane schrieb, wurde Zweig mit den "Novellen um Claudia" (1912) bekannt. Mit seinem bereits 1928 erschienenen Roman "Der Streit um den Sergeanten Grischa" erlangte er sofort Weltgeltung. Der Schriftsteller sah sich veranlaßt - wie Eberhard Hilscher in seiner Zweig-Monographie schrieb - das grauenvolle Morden zwischen 1914 und 1918 dem Vergessen zu entreißen. Der sechsbändige Romanzyklus "Der große Krieg der weißen Männer", den Feuchtwanger eine "Enzyklopädie des Ersten Weltkrieges" nannte, umfaßt den Zeitraum von 1913 bis zum Herbst 1918. Die einzelnen Romane des Zyklus erschienen nicht in chronologischer Reihenfolge: der erste "Die Zeit ist reif" (1957), der zweite "Junge Frau von 1914" (1931), der dritte "Erziehung vor Verdun" (1935), der vierte "Der Streit um den Sergeanten Grischa" (1928), der fünfte "Die Feuerpause" (1954) und der sechste "Einsetzung eines Königs" (1937). Der Schlußband von Zweigs Weltkriegszyklus' "Das Eis bricht" blieb ein Fragment. Das vielschichtige Prosawerk zeichnet sich durch feinfühlige Menschengestaltung, exakte Durchdringung gesellschaftlicher Prozesse und hohe Formkunst aus, wie auch Zweigs antifaschistischer Roman "Das Beil von Wandsbek" (1943). Abschließen konnte der Schriftsteller 1961 seinen umfassenden Roman "Traum ist teuer". Hilscher resümierte: "Während der sechsbändige Zyklus bereits die Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges enthält, bietet 'Traum ist teuer' durch die Schilderung von Episoden aus den Jahren 1941/42 ein Stück Vorgeschichte unserer heutigen weltpolitischen Situation."

Anläßlich seines 70. Geburtstages 1957 begann der Aufbau-Verlag mit der Herausgabe "Ausgewählter Werke in Einzelausgaben", die 16 Bände umfassen sollten, wozu die Romane, Novellen, Essays, Gedichte und Dramen zählten. An der Spitze der Auflagenhöhe beim Aufbau-Verlag lagen die Romane "Der Streit um den Sergeanten Grischa" und "Junge Frau von 1914" mit jeweils 200.000 Exemplaren.

Zu verweisen ist auf den beachtlichen Band "Arnold Zweig. 1887-1968, Werk und Leben in Dokumenten". Im Jahr des 100. Geburtstages des Schriftstellers brachte der Aufbau-Verlag zwanzig der schönsten Erzählungen Zweigs aus den Jahren 1905 bis 1950 unter dem Titel "Ein bißchen Blut" heraus. In der einst beliebten bb-Taschenbuchreihe erschien "Verklungene Tage". Georg Wenzel publizierte im Rahmen der "Lesebücher für unsere Zeit" ein Zweig-Buch, in dem er einen Querschnitt durch dessen vielfältiges Schaffen vorstellte. Ein beachtenswertes Standardwerk bildete die zweibändige "Bibliographie Arnold Zweig" von Maritta Rost unter Mitwirkung von Jörg Armer, Rosemarie Geist und Ilse Lange. In der Veröffentlichung der Akademie der Künste der DDR und der Deutschen Bücherei Leipzig dokumentierte man das ungewöhnliche Lebenswerk des Dichters. Eine Bibliographie stellten zuvor H. Röhmer, W. Heidrich und I. Lange zusammen, die die Festschrift "Arnold Zweig zum siebzigsten Geburtstag" (1957) enthielt.

Die DEFA und das Fernsehen der DDR erwarben sich das Verdienst, mehrere Romane des Autors einem Millionenpublikum vorzustellen. Zweigs Wohnnachbar Heinz Kamnitzer (1917-2001), legte nicht nur seinen vielbeachteten Essay "Der Tod des Dichters" (1974) vor, sondern verfaßte auch Szenarien und Drehbücher für drei Fernsehfilme. Zu den Zweig-Verfilmungen zählten: "Das Beil von Wandsbek" (1951, Regie: Falk Harnack) mit Erwin Geschonneck und der zweiteilige Fernsehfilm "Der Streit um den Sergeanten Grischa" (1968, Regie: Horst Schiemann) mit dem tschechischen Schauspieler Josef Karlik. Der "Grischa"-Roman war bereits 1930 in Hollywood verfilmt worden, dort aber zu einem Zerrbild geraten. Anläßlich des 70. Geburtstages Zweigs erfolgte in Halle die DDR-Erstaufführung seines Dramas "Das Spiel vom Sergeanten Grischa", das er 1921/22 verfaßt hatte. Dieses Stück wurde 1963 in der Bearbeitung von Heinz Kamnitzer und Hagen Müller-Stahl als Fernsehspiel verfilmt. Regisseur Egon Günther drehte den zweiteiligen Fernsehfilm "Junge Frau von 1914" (1971) mit Jutta Hoffmann und Klaus Piontek. Er schuf auch die dreiteilige Fernsehfassung "Erziehung vor Verdun" (1973). Letztere war ein groß angelegtes Zeitgemälde, eine echte künstlerische Synthese von Spiel- und Dokumentarfilm. Klaus Piontek verkörperte in dem Streifen den Werner Bertin. Für den Fernsehfunk der DDR verfilmte Wolf-Dieter Panse die fünfaktige Tragödie "Ritualmord in Ungarn" aus dem Jahre 1914, die 1964 gesendet wurde. Diese Filmadaptionen reflektierten deutsche Geschichte in schonungsloser Direktheit und Authentizität, aber auch weltanschauliche und philosophische Auseinandersetzungen im 20. Jahrhundert. Mit seinen Werken erhob sich der Humanist Arnold Zweig zu einem weltliterarischen Chronisten. Der Schriftsteller war auch ein exzellenter Briefschreiber, wie sich Ilse Lange, seine letzte Sekretärin, Vorleserin, Mitarbeiterin und Bibliographin erinnerte. Sie leitete später das Arnold-Zweig-Archiv. Der Briefbestand umfaßt annähernd 40.000 Blatt und stammt hauptsächlich aus der Zeit nach 1933. Der einstige Nestor der Literatur der DDR - er hatte 1949 zu den Paten des jungen Staates gehört - war Präsident der Akademie der Künste und des PEN-Zentrums der DDR. Er starb, fast völlig erblindet, am 16. November 1968 und wurde auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin beigesetzt. Der polnische Schriftsteller Leon Kruczkowski rühmte an dem "Freund des Menschen" Arnold Zweig: "Dieser feinsinnige, ältere Herr - subtil in jeder Äußerung seiner geistigen und physischen Haltung und von einer seltenen Kultiviertheit - ist der hartnäckige und unnachgiebige Held dieses von seinem Leben diktierten Werkes ..."

Dieter Fechner

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Archie auf dem "Sächsischen Reiter"

Der "Sächsische Reiter" schien sie mächtig anzuziehen, die Mutter und Archie. Wohin sie damals nach dem Krieg auch wollten, stets landeten sie an der so bezeichneten Kreuzung der F 6 zwischen Bautzen und Bischofswerda, die näher bei Schiebock lag, wie man die an zweiter Stelle genannte Stadt auch bezeichnete. Rechts ging es zu den Steinbrüchen nach Demitz-Thumitz, links nach Uhyst a. T. und ins Sorbische; wenn man von Schiebock kam, von Bautzen aus, war es gerade umgekehrt. Fuhr man nur durch, weil der große Viadukt in Demitz-Thumitz zerstört war, mochte es noch angehen. War man indes zum längeren Verweilen gezwungen, weil man fußlahm, bargeldlos, krank, hungrig oder gar unfähig war, sich ein Gefährt zu besorgen, dann konnte einem der "Sächsische Reiter" schon aufs Gemüt gehen.

Auf der einen Seite der Kreuzung stand ein stolzer Dorfgasthof, mächtig, mit blinden Scheiben, früher noch Bauernhof und Metzgerladen, wo es 1945/46/47 kaum etwas zum Verzehren gab, dicht daneben ein verfallener Biergarten, dahinter ein Fußballfeld, ein großer häßlicher Hartplatz, wo einmal die Dorfvereine gespielt hatten. Das war alles. Auf der Gegenseite ein unansehnliches, größeres, bröckelndes zweistöckiges Gebäude eines Dorfes, das eben mit diesem Monsterhaus an der Chaussee aufhörte. Da vegetierte einst die Dorfarmut. In der Nachkriegszeit fiel das nicht mehr auf, weil ohnehin alles in Trümmern lag. Archie war noch schlechter untergebracht. Eine barmherzige, freundliche Frau klaubte ihn aus einer Scheune in der Nähe auf, wo er im Stroh mit akuter Angina lag, während Ratten um ihn herumturnten, als die Mutter in Panik unterwegs war, um etwas Eßbares zu "organisieren", wie es damals hieß.

"Mir kennen den kleenen Kerle nich hier liegen lossen", sagte Gertrud, die Frau aus dem Haus vom "Sächsischen Reiter". "Diese Großbauern haben ja keen Herz im Leibe, lossen den Jungen ock liegen wie een krepiertes Kalb." Von da ab wohnten Archie und die Mutter bei Gertrud, die zwei Zimmer mit Wohnküche auf dem "Sächsischen Reiter" hatte. Sie lebte mit zwei halberwachsenen Söhnen, einem jungen Liebhaber, einem Hund und einer Katze. Gertruds Ehemann war in Rußland, wie es hieß, vermißt. Sie galt als resolut und entscheidungsfreudig. Kurz entschlossen gab sie ein Zimmer ab und schlief fortan in der geräumigen Wohnküche.

"Wenn se alle so wärn, wie unsre Gertrud", sagte der alte Hilfspolizist, der sehen wollte, wer sich bei ihr da eingenistet hatte, und schnupperte in der Armenküche herum. "Das riecht aber gutt nach Maggikraut", fügte er hinzu. Sie schob ihn aus der Küche. "Hau ab, du alter Goldfasan!" Gertrud konnte forsch und geschickt mit Männern umgehen, auch mit den "Russen", die oft um den "Sächsischen Reiter" herum auf dem Fußballfeld samt Pferden, Panjewagen, Motorrädern und Gulaschkanone biwakierten. Sie erwehrte sich ihrer Zudringlichkeiten, flirtete mit den Offizieren, schlug immer etwas dabei heraus, Brot und Speck, das sie dann mit anderen teilte. Auch brannte sie im Waschhaus Kartoffelschnaps, auf den die Rotarmisten besonders scharf waren. Archie kam mit den "Iwans", wie es im Sprachgebrauch der Dörfler damals hieß, ganz gut zurecht, lauschte ihnen etwas von ihrer Sprache ab, was sie honorierten. Er sah ihnen beim Wodkatrinken und Ziehharmonikaspielen zu und bemerkte, wie sie danach stets traurig wurden. Zu Kindern waren sie in der Mehrzahl freundlich. Archie kam das erste Mal mit Pferden in Berührung. Die "Russen" ließen ihn sogar aufsitzen. So erhielt der "Sächsische Reiter" in all seiner Tristheit auch manchmal ein anderes Aussehen als an trüben, verregneten Novembertagen oder im dunklen Winter.

Gertrud half bei einem verwitweten Bauern in der Hauswirtschaft, staubte dort öfter mal ein altes Buch für Archie ab, der sich langweilte. Sie konnte diese antiquierte Schrift nur mit Mühe entziffern, und da las er ihr manchmal was vor, von einem Ludwig Ganghofer oder so. Fernsehen gab es ja noch nicht. Die Zeit verging, und der "Sächsische Reiter" wurde zum beliebten Treffpunkt aller möglichen Leute, auch zwielichtiger, oder politischer, religiöser und anderer Wanderprediger, die von Ost nach West zogen und umgekehrt, meist auf der Suche nach etwas Schutz und Heimat.

Archie und die Mutter, die aus Schlesien stammten, waren schon bis Berlin und Bremen gekommen, den Harz rauf und runter, das Erzgebirge entlang, durch Thüringen, aber nirgendwo waren sie willkommen. Selbst Bekannte und entfernte liebe Verwandte winkten ab: kein Platz, keine Arbeit, keine Nahrung, nichts. Von Bayerns Bergen riet man ihnen ab, die Leute dort mochten die "Saupreißn" bekanntlich nicht, zu denen sie auch die Schlesier zählten. Die Mutter und Archie halfen Gertrud so gut es ging bei allen Dingen des Alltags: Wäschewaschen, Holz hacken, Essen organisieren. Doch eines Tages stellte die Mutter fest: "Wir leben hier nicht viel anders als auf der Tschepine (einem Breslauer Armenviertel - M. H.), nur daß die Nazis weg sind, wenn auch nicht alle. Auf Dauer geht das nicht so weiter. Du mußt in die Schule." Das wollte Archie auch. Inzwischen hatte in Bischofswerda ein KZ-Überlebender eine gute Leihbücherei eröffnet, zu der es beide hinzog, sowohl zu den Büchern und als auch zu den Erzählungen des hohlwangigen alten Mannes.

Glücklicherweise meldete sich der Vater über Suchdienste aus Taucha bei Leipzig. In der Lausitz angekommen, fand der gestandene Antifaschist dann Arbeit als einfacher Eisenbahner. Jetzt erhielten sie eine eigene kleine Wohnung am Klosterberg, wo sie von der Gemeinde eingewiesen wurden. Archie ging zur Grundschule, die er 1948 beendete, um dann zur Oberschule nach Schiebock delegiert zu werden. Ein Jahr später wurde die DDR gegründet, und plötzlich hatte alles eine Perspektive, ohne Übertreibung. 1952 machte Archie Abitur. Sein Vater wurde inzwischen Offizier bei der Volkspolizei, Mutter arbeitete im Kulturbund. Später bezogen sie eine AWG-Wohnung in Bischofswerda. "Es geht auf der ganzen Linie voran", sagte der Vater oft, wenn einer meckerte. Danach kam ein knatterndes, kastenförmiges, kleines Auto, genannt "Trabant", dazu.

Der "Sächsische Reiter" war inzwischen zu einer florierenden HO-Gaststätte geworden, bei der die Eltern oft einkehrten. Die Fußballer von Fortschritt/Bischofswerda spielten sogar eine Saison lang in der Oberliga. Die DDR schien ein neu entdecktes Erfolgsmodell für fleißige Werktätige zu werden. Aber kann der Frömmste denn in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt? Zu einfach? Eine Frage, die sich Archie neben vielen anderen oft stellt, wenn er an das Schicksal des Sozialismus in seinem Lande denkt.

Manfred Hocke

Raute

Leserbriefe an ROTFUCHS

Am 12. September jährte sich die Inhaftierung der "Miami Five" oder "Cuban Five" in den USA zum zwölften Mal. Die fünf kubanischen Patrioten hatten den Auftrag, die verbrecherischen Pläne und Absichten der Exilkubaner-Mafia und der durch sie gesteuerten Terroristengruppen gegen die Insel der Freiheit an Ort und Stelle - in Florida - aufzudecken und zu durchkreuzen. In ihrem Prozeß konnten keinerlei Beweise der Spionage gegen die USA erbracht werden. Nicht eine einzige vom Standpunkt Washingtons aus geheimzuhaltende Information wurde an Kuba übermittelt. Die zu drakonischen Strafen Verurteilten hatten keinerlei Zugang zu derartigen Quellen.

Ich rufe alle "RotFuchs"-Leser auf, Briefe an USAPräsident Barack Obama mit der Forderung nach unverzüglicher Freilassung der "Cuban Five" und nach Aufhebung der völkerrechtswidrigen Blockade der Vereinigten Staaten gegen Kuba zu senden. Anschrift: To President Barack Obama The White House 1600 Pennsylvania Ave. NW Washington, DC 20500 U.S.A.

Heinz Oehme, Chemnitz


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Das Bundesverfassungsgericht hat die "Rentenbegrenzung" für hohe DDR-Funktionäre als grundgesetzgemäß gebilligt. Es folgte damit der "Annahme" (!) des Bundestags, daß deren früheres Arbeitsentgelt nicht nur die Arbeitsleistung honorierte, sondern auch die "politische Anpassung" und "Regimetreue". Daß es genügt, der Rentenkürzung eine Annahme zugrunde zu legen, ohne Beweise erbringen zu müssen, ist schon recht fragwürdig. Absurd erscheint indes diese Begründung, wenn man sie auf ihren Wahrheitsgehalt abklopft: Die betroffenen DDR-Funktionäre verfügten in der Regel über akademische Abschlüsse auf ihrem Tätigkeitsgebiet, konnten oft auf langjährige erfolgreiche Arbeit in Leitungsfunktionen nachgelagerter Ebenen verweisen. Ausschlaggebend für ihre Berufung war die fachliche Eignung. Bizarr und grotesk erscheinen hingegen die Anwürfe vor dem Hintergrund der BRD-Wirklichkeit. Wer besetzt denn nach jeder gewonnenen Wahl Hunderte gut dotierter Posten mit Parteigängern und belohnt damit deren Verdienste in den Wahlkämpfen? Fachliche Eignung scheint bei dieser Tombola die geringste Rolle zu spielen. Eben noch Verteidigungsminister, von Stund an Arbeitsminister. Hier gäbe es in Fülle klassische Beispiele für die Annahme des Bundestags, daß politisches Engagement vor Arbeitsleistung honoriert wird. Wo also bleibt die Rentenkürzung für Funktionsträger der BRD?

Klaus Brosig, Berlin


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Das Bundesverfassungsgericht hat für rechtens erklärt, daß 1200 hohe Funktionäre der DDR weniger Rente bekommen. Eigentlich operiert dieses Gericht ja unter falschem Namen, denn die BRD besitzt bis zum heutigen Tag bekanntlich keine Verfassung, sondern lediglich ein von den westlichen Alliierten abgesegnetes Grundgesetz. Also müßte diese Institution doch Bundesgrundgesetzgericht heißen.

Ein Rentenstrafrecht sei nicht zu erkennen, die Renten der Kläger lägen immer noch über den Durchschnittsrenten früherer DDR-Bürger, befand das Gericht.

Hans Reichelt, Minister für Umweltschutz und Wasserwirtschaft, erhielt nach 37 Dienstjahren das Höchstgehalt von 5000 Mark Brutto. 2005 bezog er eine Rente von 1179 Euro. Wie hoch wäre die Rente bei gleicher Lebensarbeitszeit eines Westministers? Muß ein BRD-Minister wegen politischer Anpassung und Regimetreue Abschläge von seiner Rente hinnehmen?

Helmut Baumgarten, Halle (Saale)


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Das Urteil von Den Haag zum Kosovo durfte nur so und nicht anders lauten: Serbiens berechtigter Anspruch auf diesen Landesteil wird abgewiesen.

Wer das nicht versteht, läßt die Vorgeschichte der Zerstückelung Jugoslawiens durch die imperialistischen Mächte außer acht. Der Zerfall wurde durch den Niedergang der Volkswirtschaft eingeläutet, die sich in den Würgegriff des IWF begeben hatte. Mit Genscher und Kohl an der Spitze erfolgte die diplomatische Anerkennung der Teilrepubliken Kroatien und Slowenien als selbständige Staaten. Blutigste Konflikte und eine beispiellose Lügenkampagne der westlichen Medien untersetzten das Drama. Eines sollte jedermann eingehämmert werden: Schuld an allem ist das Serbien von Milosevic. In Rambouillet wurde unter der Regie von US-Außenministerin Madeleine Albright ein erpresserischer Plan gegen Jugoslawien geschmiedet. Dazu erfand man den serbischen "Hufeisenplan", KZs und Massaker. Von BRD-Seite gab Kriegsminister Scharping (SPD) den Ton an. Die albanisch-chauvinistische Mörderbande UCK, inzwischen zur "Befreiungsarmee Kosovo" hochstilisiert, sowie die NATO, die gegen Serbien in Aktion traten, spielten ebenso eine Rolle wie die höchste Gerichtsbarkeit der UNO, die den Willen der NATO-Staaten bediente.

Manfred Holfert, Löbau


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Der ehemalige Bundespräsidentschaftskandidat Joachim Gauck befürwortete die Angriffskriege gegen Jugoslawien, ohne UN-Mandat, Irak und Afghanistan. Er verurteilte die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze im Jahre 1950 durch die DDR. Gauck meint, daß die ostdeutschen Kommunisten "fast nichts von dem ausgelassen" hätten, "was Kommunisten der Menschheit angetan haben". Er verstieg sich sogar zu der Behauptung, in der DDR habe es "nahezu alle politisch motivierten Massenverbrechen" gegeben.

In einem Gespräch mit der Zeitung "Woche" gab Gauck von sich: "Ich habe von einem polnischjüdischen Soziologen, Zygmunt Baumann, gelernt, daß der Holocaust im Grunde nicht etwas speziell Deutsches, sondern ein Element der Moderne ist."

Gaucks "Entdeckung", daß der Kommunismus verbrecherisch sei, ist nichts Neues. Schon 1852 gab es in Köln den ersten Kommunistenprozeß. Ebert und Noske identifizierten ihre Opfer als "rote Verbrecher". Sie ließen Rosa, Karl, Eugen Levine ermorden. 30.000 Kommunisten wurden unter Hitler umgebracht. Adenauer hat dann jene, welche den Faschisten entronnen waren, einsperren lassen, darunter die Gebrüder Baumgarte, Karl Schabrod und Max Reimann. Der "antitotalitäre Konsens" der BRD drückte sich darin aus, daß ein Zuarbeiter von Goebbels Bundeskanzler werden, ein Anhänger Thälmanns aber kein Briefträger bleiben konnte.

Gerd-Rolf Rosenberger, Bremen-Nord


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Warum mußte Gregor Gysi eigentlich den Reportern des Fernsehens auf die Frage, weshalb "Die Linke" bei der Bundespräsidentenwahl Herrn Gauck keine Stimme gegeben habe, antworten: "Ihr hättet euch früher mit uns verständigen müssen, jetzt ist es zu spät." Wer keinen Klassenstandpunkt besitzt, schlängelt sich eben so durch. Gysi meinte mit seiner Antwort offenbar, daß die Wahlmänner und -frauen der "Linken" bei einer rechtzeitigen Einladung möglicherweise Herrn Gauck mit gewählt hätten.

Manfred Wulf, Glauchau


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Ein Wort zum Leitartikel "Hundte, die bellen ...". Ja, so ist es, jedes Wort stimmt. Auch ich bin der gleichen Ansicht im Hinblick auf die beiden entscheidenden Fehler (zeitweilige Aufnahmeverweigerung für Großbauern und vorzeitige Überführung halbstaatlicher Betriebe in Volkseigentum (d. R.). Ich habe alles selbst miterlebt, auch den Aufschwung in der LPG. Ich erinnere mich an die Paten-LPG in Schenenberg, wo unsere Schauspielstudenten, wie sie selbst sagten, 14 Tage vor Studienbeginn mit der landwirtschaftlichen Praxis in Berührung kamen und sie als positiv empfanden. Hoffentlich bleibt Gesine Lötzsch auf ihrer moralischen Höhe. Es ist sicher nicht einfach, sich im Kreis der eigenen Genossen durchzusetzen.

Dr. Käthe Vogeler-Seelig, Rangsdorf


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Zum Artikel über Wolfgang Junker: Er wurde nicht Nachfolger des angeblich 1964 verstorbenen Dr. Ernst Scholz. Dieser starb erst in den 70er Jahren. Ernst Scholz wurde zum Beauftragten der Regierung der DDR für die arabischen Staaten ernannt und wirkte im Range eines Botschafters in Kairo. Er war dann stellvertretender Außenminister, bis der in Frankreich sehr bekannte Kämpfer der Résistance zum ersten Botschafter der DDR in Paris ernannt wurde.

Botschafter a. D. Günter Mauersberger, Berlin

Die Redaktion entschuldigt sich für ihre Unkenntnis. Ernst Scholz starb tatsächlich 1986.


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Im Leitartikel des RF 151 ist von den auf sämtlichen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens praktizierten Versuchen die Rede, das "allgemein Menschliche" dem unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Besitzenden und Besitzlosen entgegenzustellen. Darüber schreibt Bert Brecht in der nächsten Strophe des im Leitartikel anfangs zitierten Gedichts: "Das Wort ist noch nicht erfunden, das uns beide jemals vereint. Der Regen fällt von oben nach unten - und du bist mein Klassenfeind." Vielleicht paßt das noch in die "Nußschale der Wahrheit" hinein.

Wolfgang Kroschel, Cottbus


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Dem Standpunkt von Klaus Steiniger im Leitartikel des RF 151 kann ich ohne Abstriche zustimmen. Ab 1952 war ich mehrere Jahre Mitarbeiter der Abteilung Landwirtschaft des ZK. Bei der Vorbereitung der II. Zentralen Konferenz der Vorsitzenden und Aktivisten der LPG gehörte ich zur Arbeitsgruppe Statuten. Vorsitzender war Prof. Dr. Rainer Arlt von der Akademie für Staat und Recht in Babelsberg. Unter den Mitgliedern befanden sich auch einige LPG-Vorsitzende. Etwa drei Wochen vor der Konferenz mußte in einer Beratung bei Walter Ulbricht über die vorgeschlagenen Veränderungen am Musterstatut berichtet werden. Mitten in der Aussprache stellte Genosse Ulbricht plötzlich die Frage: "Was habt Ihr denn für den weiteren Umgang mit den Großbauern vorzuschlagen? Gibt es Anfragen dazu, selbst von Großbauern, was mit ihnen weiter werden soll?"

Ich mußte nun alle Briefe zu diesem Thema in die Beratung bringen und sie ihm übergeben. Einige davon las er vor. Dann begründete er, warum es richtig ist, den Großbauern in der DDR eine Perspektive zu geben und sie deshalb in die LPG aufzunehmen. Auf der Konferenz hielt Walter Ulbricht dann das Referat und sprach ausführlich über diese notwendige politische Entscheidung zur Änderung des Musterstatuts. Nach ausgesprochen heftiger Diskussion, in der es auch Ablehnung gab, nahm er nochmals Stellung. Es war eine sehr freimütige Aussprache, die zur Korrektur eines Fehlers in der Agrarpolitik führte.

Arno Wendel, Neubrandenburg


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Meine Frau und ich waren Lehrer bzw. Erzieher in der DDR. Meine Frau hat bis zu ihrer Entlassung von 1961 bis 1992 als Unterstufenlehrerin gearbeitet. Ich war zuerst Heimerzieher, danach bis 1985 Heimleiter in meinem Heimatdorf Tessenow. Ich bin bis heute Mitglied der Partei Die Linke und gehöre zugleich dem RF-Förderverein an, weil ich die Zeitschrift großartig finde.

Wir hören seit längerem, daß es in den vergangenen Jahren und bis heute in meist kirchlichen Kindereinrichtungen der BRD zu sexuellen Übergriffen und anderen Straftaten gekommen ist. Wie nicht anders zu erwarten, traten die bürgerlichen Medien auf den Plan, um der DDR ähnliches zu unterstellen. So verbreitete die Evangelische Nachrichtenagentur in Wetzlar am 12. Mai den tendenziösen Bericht "Die Hölle von Torgau". Darin hieß es, unter 57 DDR-Jugendwerkhöfen habe es dort "den schlimmsten Kindesmißbrauch in Deutschland gegeben". Ich bitte darum, daß sich ehemalige Erzieher und auch betroffene Jugendliche melden, die den Mut haben, die Wahrheit über Torgau zu verbreiten und zu solchen Behauptungen Stellung zu nehmen.

Peter Gelewski, Peckatel


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In der Tat: "Das Kapital ließ seine Hundte von der Kette." Doch wie reagieren die von ihnen Gehetzten? Sie sind enttäuscht, schimpfen: "So haben wir das nicht gewollt." Meist folgt noch die Erkenntnis: "In der DDR war nicht alles schlecht." Ich korrigiere das sofort mit der Bemerkung: Falsch, in der DDR war nicht alles gut!

Manches, was man so hört, läßt einen nur den Kopf schütteln. So bekannte z. B. ein ehemaliger Hauptmann der Grenztruppen, später Lehrer für Gesellschaftswissenschaften an einer DDR-Berufsschule: "Ich war nie Marxist." Da ich ihm gesagt hatte, ich führe zu einer Tagung der Kreis-Arbeitsgruppe Senioren in der Partei Die Linke, meinte er: "Laß das doch die anderen machen." Ich frage mich: Wie viele Karrieristen dieser Art hatten wir aufgrund einer verfehlten Kaderpolitik wohl in der SED?

Die Tatsache, daß wir heute einem gnadenlosen Klassenkampf von oben ausgesetzt sind, ist auch den eigenen Nachkommen nicht immer leicht zu vermitteln. Dieser Pflicht werden wir jedoch bis an unser Ende nachgehen müssen.

Werner Döring, Hohnstein OT Lohsdorf


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Der Beitrag von Dr. Ehrenfried Pößneck zum "undogmatischen Marxismus" des Eric Hobsbawm ist sehr anregend. Zu solchen gründlichen Überlegungen ist wohl der ganze sozialistische Blätterwald nicht in der Lage. Dennoch sollten wir sehr behutsam mit Eric Hobsbawm verfahren, wo nötig, auch von ihm lernen. Das betrifft z. B. den Umgang mit Fakten. Hobsbawm sieht ihnen unerschütterlich ins Auge, wozu ganze Heerscharen unserer Theoretiker über Jahrzehnte nicht in der Lage waren. Nehmen wir die einfachsten Dinge. So war z. B. die Große Französische Revolution von 1789 nicht als Weltrevolution konzipiert, erwies sich aber letzten Endes als solche. Die - außerordentlich hoch zu schätzende - Oktoberrevolution war als Auftakt zur Weltrevolution gedacht, setzte sich aber als solche nicht durch. Hobsbawm würde diese Frage beantworten.

Walter Ruge, Potsdam


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Das Urteil von Dr. Pößneck über Eric Hobsbawm empfinde ich als zu hart. Richtig ist, daß dessen Liebäugeln mit dem "Eurokommunismus" ihn in seinen späten Jahren vom Marxismus weggeführt hat. Über Jahrzehnte jedoch wurde die marxistische Geschichtswissenschaft durch ihn bereichert: "Das Zeitalter der Extreme" mit dem klaren Bekenntnis zur Oktoberrevolution kann als historisch-materialistisches Standardwerk über das 20. Jahrhundert gelten. Auch wollen wir nicht vergessen, daß Hobsbawm der KP Großbritanniens in deren Niedergangsphase als Mitglied treugeblieben ist und nicht, wie so viele andere, den opportunistischen Abgang gewählt hat.

Dr. Walter Lambrecht, Zingst


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Guten Tag, Genosse Pößneck. Ihre Kritik hat mich zu Fragen an Sie angeregt. Sie beschreiben als Hobsbawms Hauptprobleme der Menschheitsentwicklung u. a. die Umweltschäden und den Neoliberalismus. Können wir nicht voraussetzen, daß Hobsbawm diesen neben dem Faschismus als die brutalste Form des Kapitalismus versteht? Wer Umweltschäden und Neoliberalismus überwinden will, ist der nicht unterstützenswert? Halten Sie jeden, der auch dumme Aussagen macht (zu Biermann, Gorbatschow u. a.) für einen Revisionisten? Sind Ihre Beispiele für Hobsbawms Kritik an Fehlern der DDR und an Lenin nicht arg verkürzt? Würden Sie sich mit mir darauf einigen können, daß Hobsbawms Konzept für eine globale Regulierung der Wirtschaftstätigkeiten mit einer antikapitalistischen Systemveränderung errungen werden muß? Wir meinen natürlich nicht "ein bißchen" Regulierung, sondern die Vergesellschaftung aller für das Gemeinwohl existentiellen Produktions- und Dienstleistungsbereiche.

Kennen Sie die Ökosozialistische Plattform der PDL? In dieser Richtung engagiere ich mich für einen Systemwechsel. Hobsbawms Prioritäten für größere Verteilungsgerechtigkeit und für eine Postwachstumsökonomie mit Begrenzung des Verbrauchs natürlicher Ressourcen macht ihn für mich mehr zum kooperativen Kritiker als zum Gegner.

Themenwechsel: Bernd Gutte hat mir aus dem Herzen gesprochen mit seinem Lob auf das Trio "RotFuchs", "junge Welt" und "Ossietzky". Genau wie er dachte auch ich, daß ich dieses Buch über Hacks nicht kaufen müßte, weil ich alle Artikel über ihn aus der jW gesammelt habe. Nun hat er mich mit wichtigen Hinweisen davon überzeugt, "Vorsicht Hacks!" doch zu erwerben

Dr. Manfred Lotze, Hamburg


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Dem RF-Autor Bernd Gutte möchte ich sagen - dabei mit ihm durchaus konform gehend in der Einschätzung der Leistungen der Eulenspiegel-Verlagsgruppe und der Bedeutung der Edition Aurora -, daß man gute Literatur (was immer das bedeuten soll) auch in den großen und traditionsreichen Verlagen und Buchhäusern findet. Hacks ist bedeutungsvoll, aber es gibt durchaus RF-Leser, die wissen, was bürgerliche Verleger leisten konnten und können. Was wäre die Literaturwelt ohne Suhrkamp, Luchterhand, Rowohlt und Siedler?

Dr. Peter Fisch, Dresden


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Meine Zustimmung zum Artikel von Bernd Gutte (RF 151), vor allem auch zu seiner Feststellung, daß in Buchhandlungen - ich erweitere das auf Bibliotheken - fortschrittliche Literatur bzw. solche, die der Verbildungskampagne des Klassengegners zuwiderläuft, kaum im Angebot ist. Natürlich kann man sie bestellen. Mir ging es so, als ich für die Enkel das Buch "Fragen an das MfS" nicht fand und es erst ordern mußte. Ich konnte es mir nicht verkneifen, der Verkäuferin zu sagen: "... damit die Enkel nicht mal dumm durchs Leben gehen müssen". Sie stimmte zwar zu, zuckte aber zum Nichtausliegen des Titels nur die Schultern. Haben Buchhändler selbst Angst vor der Wahrheit oder lassen sie sich durch die Verleumdungskampagne gegen die DDR beeinflussen? Courage und Toleranz sind gefragt!

Gert Thiede, Suhl


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Vor kurzem bin ich RF-Leser geworden und möchte mich zum Artikel "Ein Hartz-IV-Empfänger als Romancier" (Nr. 151) äußern. Es war super, daß ich 2006 eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner erhalten habe. Das entsprach meinem Berufswunsch. Alle willigen Jugendlichen würden mit Ausbildungsplätzen versorgt, hieß damals die Erfolgsmeldung. Nach abgeschlossener Lehre wollte ich richtig loslegen. Der diesjährige Sommer mit seinem fruchtbaren Regen und die dazugehörige Sonne ließ die Vegetation so richtig explodieren.

Auch ich könnte explodieren, allerdings vor Wut. Abgesehen von einem kurzen Intermezzo als Gießereihilfsarbeiter ging ich leer aus. Dabei könnte ich nun schon seit fast einem Jahr in meinem Beruf arbeiten. Soll ich so lange warten, bis man mir sagt: "Ausbildung cool, aber wo bleibt die Berufserfahrung?" Die ständigen Besuche bei meiner Betreuerin auf dem Arbeitsamt machen mich auch nicht gerade happy. Auf Weiterbildung folgt Warten, auf Arbeitsangebote folgen dann wieder Weiterbildung und sinnlose Bewerbungstrainings. Meiner Mutter, bei der ich noch lebe, sagte man: "Sie sind zu alt." Dabei könnte sie noch einige Jahre als Steuerfachgehilfin oder in der Buchhaltung arbeiten. Sie ist gut ausgebildet, aber ohne Berufserfahrung. Das alles sind tolle Einsichten und Aussichten für mich.

P.S.: Mir wurde mal gesagt, in der DDR habe es nach der Ausbildung immer auch einen Arbeitsplatz gegeben. Nun kann ich ja leider nicht mehr in die DDR abhauen. Aber vielleicht klappt es im Ausland? Es lebe die kreuzfidele Marktwirtschaft!

Sebastian Hanske, Eggesin


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Am 17. Juli stellte Prof. Tyrell von der Zeppelin-Privatuniversität Ludwigshafen in der bürgerlichen "Thüringer Allgemeinen" Thesen einer "Wissenschaftlichen Studie" vor. Darin behauptete er, das "Gift der Stasi" habe im Osten noch immer verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft, auf die ungenügende Wahlbeteiligung der Bürger und deren Mitarbeit in Vereinen sowie auf ihre mangelnde Organspende-Bereitschaft. Diese "Erkenntnisse" lösten eine lebhafte Leserdiskussion aus, die - mehrfach verlängert - Mitte August noch anhielt. Die überwiegende Reaktion: Empörung, Hohn und Spott zu den "Thesen" (mit Stand vom 12. 8. gab es 44 kritische Meinungsäußerungen gegenüber fünf zustimmenden). In den Briefen war von "Frechheit, Unverschämtheit, lächerlichen Behauptungen, Unglaubwürdigkeit, Märchenerzählerei, als Wissenschaftlichkeit verkauftem Unfug, Schnee von gestern, Bärendienst u. a. die Rede. Es wurde gefragt, wer einen solchen Schwachsinn wie diese "Studie" eigentlich bezahle. Der Schuß ging also nach hinten los. Das Fiasko war so komplett, daß sich die Redaktion gezwungen sah, Prof. Tyrell nochmals zu einem "kontrovers"-Gespräch einzubestellen, bei dem er zusicherte, seine Thesen zu überarbeiten.

Klaus Schmidt, Weimar


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Dank und Anerkennung für die vielen interessanten Ausgaben, die ich schon seit geraumer Zeit lese. Ich bin 1960 in der DDR geboren und betrachte sie auch heute noch als meine Heimat. Ich hatte, wie zig andere Menschen eine behütete Kindheit und Jugend. Probleme bekam ich erst in der Schule, speziell im Staatsbürgerkundeunterricht. Als 14jähriger habe ich viel gefragt, zugegeben, auch etwas spitz. Warum wird in der Berliner Klement-Gottwald-Allee immer der Berufsverkehr gestoppt, wenn die DDR-Nomenklatura nach Wandlitz düst?, wollte ich z. B. wissen. Warum fahren unsere Funktionäre Westwagen, taten es die sowjetischen nicht mehr? Warum bekommen unsere Klassenfeinde in der BRD Produkte aus der DDR, welche bei uns Mangelware sind, zu Spottpreisen?

Das waren alles Fragen, die man als Berliner Jugendlicher, mit Westfernsehen und Westverwandten aufgewachsen, einigermaßen intelligent, guter Schüler, Kinderkrippe-Kindergarten-Hort-Pionier-FDJler und 1974 EOS-Anwärter, eben so hatte. Als ich diese Fragen, auf die ich von meiner Staatsbürgerkundelehrerin keine Antworten bekam, dann mal öffentlich an der Wandzeitung stellte, erhielt ich plötzlich eine Reaktion: Runter zum Direktor, Aussprache. Auch der Parteisekretär, der Klassenlehrer, der Weißenseer Volksbildungsrat und der Elternaktiv-Vorsitzende traten in Aktion. Meine EOS-Kandidatur war hin! Meine FDJ-Leitungstätigkeit auch. Mein Glaube an die DDR - damals ebenfalls.

Warum hat man uns, die wir fragten, allzuoft keine richtigen Antworten gegeben, hat uns mit dem Zwiespalt der DDR-Wirklichkeit und der DDR-Selbstdarstellung den Westmedien ausgeliefert? Warum hat man der Bevölkerung zu den Wirtschaftsproblemen keinen reinen Wein eingeschenkt, um sie durch Einsicht zu gewinnen? Der Elan, der in den 50er und 60er Jahren geherrscht haben muß, verpuffte in den 70er und 80er Jahren, welche ich bewußt miterlebte.

Heute kenne ich die Geschichte der DDR und ihre Entwicklung und lese gerade deswegen den "RotFuchs", weil dort von jenen authentisch berichtet wird, die dabei waren, gekämpft haben, Siege und Niederlagen miterlebten. Ich glaube, daß der Untergang des Sozialismus in der DDR mit all seinen Konsequenzen für die meisten von uns noch gar nicht überschaubar ist. Nur die Richtung kann man schon erkennen: Barbarei oder Sozialismus!

Bernd Nantke, Berlin


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Durch den Beitrag "Mahnende Erinnerung" in der Göttinger Regionalzeitung "Blick" fühlte ich mich herausgefordert. Es ging darin um die Wiedereröffnung des Grenzlandmuseums Eichsfeld, in das 2,5 Mill. Euro investiert wurden. Dem Blatt schrieb ich u. a.:

"In Ihrem Beitrag ist von der "menschenverachtenden Ideologie des DDR-Systems" die Rede. Haben Sie in der DDR gelebt? Mit Sicherheit nicht! Woher wissen Sie dann, daß die DDR ein solches System war? Ich hatte eine sehr glückliche, unbeschwerte Kindheit und Jugendzeit in der DDR und bin diesem Staat sehr dankbar dafür. Zukunftsängste kannte ich dort nicht, die lernte ich erst in diesem Staat kennen. Glücklicherweise habe ich in der BRD Arbeit. Ich konnte sogar mehrere Qualifikationen erwerben.

Aber fragen Sie doch mal einen großen Teil der Arbeitslosen im Osten! Die wünschen sich alles ungeschehen und die Mauer doppelt so hoch wieder zurück. Ich habe beide Staaten erlebt und kann Vergleiche ziehen. Glauben Sie mir: Die DDR war niemals ein menschenverachtender Staat.

Ich war zu keiner Zeit in der SED oder sonstwo organisiert und habe dennoch in der DDR keine Steine in den Weg gelegt bekommen.

Natürlich war ich damals neugierig auf den 'bunten, reichen Westen'. Ich hatte mir vom Besuchergeld Bananen und eine Palme gekauft, aber ich wußte auch, daß die Geborgenheit nun vorbei war.

Wir werden verdummt, verklapst und ausgenommen - und das mit steigender Tendenz!"

Jeannette Kasel, Dransfeld


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Eine Anmerkung zum "überbordenden Religionschauvinismus" in Indien. RF Nr. 151 (Bild-Text): Die Genossen der KPI (M) wären zumindest verschnupft, wenn sie lesen würden, daß sie Westbengalen schon an die Rechten verloren hätten. Ihre jüngste Niederlage bezieht sich auf Munizipalwahlen. Die Wahlen zur Westbengalischen Volksvertretung finden erst im Frühjahr 2011 statt. Bis dahin regiert dort noch die linke Allianz. Allerdings wird es sehr schwer für sie, an der Macht zu bleiben.

Ansonsten macht es Spaß, Euer Produkt zu lesen.

Hilmar König, E-Mail


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Nun haben Bundesanwaltschaft und Bundeswehr die Ermittlungen in Sachen Kundus und Oberst Klein eingestellt. Begründungen wurden - wie zu erwarten war - nicht veröffentlicht.

Sogar in der faschistischen Wehrmacht wurde vermittelt, daß von "Soldaten im Wach-Sicherheits-Dienst" der Waffengebrauch gefordert wird, um einen Angriff abzuwehren. Wie steht es um die heutigen "rechtsstaatlichen" Bestimmungen? Inwieweit stellten gekaperte und im Flußbett versackte Tankwagen eine Angriffsbedrohung dar? Wo blieben da nur die ach so aufrechten Bürgerrechtler?

Egon Storch, Löbau


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Vor geraumer Zeit erschien im Magdeburger "elbekurier" unter der Schlagzeile "ein Stück Identität gewonnen" der Artikel eines gewissen Stefan Müller: Der behauptete: "Anfang der 50er Jahre wurde in der DDR wieder eine Judenkartei angelegt." Bei "Schauprozessen" habe man "Juden wegen ihrer Forderung nach Entschädigungszahlungen für die während der Nazidiktatur erlittenen Verbrechen zum Tode verurteilt".

Selbst mit jüdischen Opfern der Nazidiktatur befreundet, weiß ich, daß sie in der DDR Sonderrenten bezogen. Von einer Judenkartei oder Todesurteilen gegen jüdische Mitbürger war uns nichts bekannt. Um das genau in Erfahrung zu bringen, wandte sich meine Frau an den Zentralrat der Juden in Deutschland. Dessen Referatsleiter Erinnerung-Gedenkstätten Dr. Fischer schrieb u. a.: "Todesurteile, zumindest in der DDR, gab es ... nicht, auch ist mir eine Judenkartei nicht bekannt." Die Behauptungen des "elbe-kurier" bezeichnete Dr. Fischer als "eine im Ergebnis profane Geschichtsklitterung".

Herr Müller berief sich übrigens auf Äußerungen des Veranstalters der Ausstellung "Antisemitismus in der DDR" der Amadeu-Antonio-Stiftung in Trier.

Joachim Kirmis, Magdeburg.


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Fast vor unserer Haustür kämpft in und mit der kurdischen Bevölkerung der Türkei eine der weltweit stärksten und erfolgreichsten emanzipativen Bewegungen. In der Bundesrepublik leben über 500.000 Kurdinnen und Kurden. Wo aber ist die deutsche Solidaritätsbewegung, wo die materielle, politische, wissenschaftliche, kulturelle und mediale Unterstützung, vergleichbar der einstigen für Vietnam, Palästina, Angola, Moçambique, Guinea-Bissau, Portugal, die Westsahara, Südafrika, Chile, Nicaragua oder El Salvador? Wer außer ihr selbst betrachtet die kurdische Bewegung als Teil der weltweiten Emanzipation? Sie ist von der nationalen zur sozialen Phase des Befreiungskampfes übergegangen und wird dennoch als nationalistisch diffamiert und weitgehend nicht zur Kenntnis genommen. Die Globalisierung von unten hat noch nicht stattgefunden.

Uwe Steinberg, Deutsch-Kurdischer Freundschaftsverein "Hasan Keyf", Rostock


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Der "RotFuchs" beantwortet mir viele Fragen korrekt und zuverlässig. Heute möchte ich zu einem Thema nachfragen, das sicher viele Menschen im Osten beschäftigt. Unsere Sozialversicherung ist weg, dafür aber haben wir etwa 200 neue Krankenkassen bekommen. Wem dient diese Vielzahl? Heute einen Arzttermin zu erhalten, ist fast ein Glücksspiel. Ich erfragte einen Anfang August und bekam ihn für Ende Oktober (Internistin).

Welche Vorteile bietet das System der "Krankenkassen-Vielfalt" gegenüber unserer SV? Handelt es sich um einen Wettbewerb zum Vorteil der Patienten? Warum die vielen Zuzahlungspflichten? Muß ich im Zeitalter modernster Technik den Mehraufwand für einen unsinnig hochgetriebenen Verwaltungsapparat so vieler Kassen finanzieren? Wozu gibt es 200 Vorstände und einen Riesenapparat gutbezahlter Angestellter? Hat der RF einen in dieser Sache kundigen Autor an der Hand, der dazu Auskunft geben könnte?

Gerhard Masuch, Leipzig


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Wenn Angela Merkel in Marxismus-Leninismus die Note 4 erhalten hat, dann war das mangelhaft. Genügend ist es erst nach den neuen Bestimmungen. Bernd Gutte (Insel der Morgenröte) spricht bei Peter Hacks von "kommunistischem Scharfsinn". Er schreibt dann, daß ihm das auch solche Leser sichern sollte, die über weniger Anspruchsvolles bisher nicht hinausgekommen sind. Das ist - wahrscheinlich ungewollt - eine Herabsetzung von Kommunisten.

Dr. Kurt Laser, Berlin


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Die FDP-Politiker betonen immer, Leistung müsse sich lohnen. Sie tun das besonders dann, wenn sie über Hartz IV sprechen. Sie meinen aber sicher - um im heutigen Sprachgebrauch zu bleiben: "Die Leistung der Arbeitnehmer muß sich für den Arbeitgeber lohnen." So kann man durch ungenaue Wortwahl die Leute täuschen.

Hans-Joachim Heinecke, Rostock


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Der Beitrag "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" (RF Nr. 151) regt mich zu folgender Ergänzung an. "Der Spiegel" (31/10) kündigt im Inhaltsverzeichnis ein Material über die gezielte Mordaktion der Task Force 373 gegen Zivilisten in Afghanistan ... "im deutschen Territorium" an. Das ist wohl die deutlichste Enthüllung der wahren Ziele dieses Krieges: Afghanisches Gebiet wird einfach zu deutschem Territorium erklärt.

Horst Gröger, Bautzen


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Zum Beitrag "Seine Wintzigkeit, der Graf" übermittele ich Euch einen Auszug aus meiner seinerzeitigen E-Mail an die Redaktion der "Motorwelt": "Der Leserbrief des blaublütigen Kalten Kriegers, dessen Hirn seinem Alter offensichtlich weit voraus ist, ließ mich das Heft beinahe zu Boden fallen. Vielleicht ist nicht nur das Kürzel BRD, sondern auch das Kürzel USA ein Teil der Diktatursprache. Vollends fiel mir das Heft aus der Hand, als ich die Anmerkung der Redaktion las. Wenn die ausschließliche Beschäftigung mit Motorthemen offensichtlich einen Tunnelblick erzeugt, sollte man sich als Redakteur im Interesse eines ordentlichen Journalismus auch mit Zeitgeschichte befassen. Wenn die eigene Schulbildung nicht ausreicht, hilft sogar die sogenannte Bundeszentrale für politische Bildung weiter, der man wahrlich keine DDR-Nähe unterstellen kann."

Karl-Heinz Günther, Rudolstadt


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In Berlin-Mitte gab es einst die Johannes-Dieckmann-Straße, benannt nach dem Liberaldemokraten, Volkskammerpräsidenten und stellvertretenden DDR-Staatsratsvorsitzenden. Dort befand sich lange Zeit die Parteizentrale der LDPD. Heute heißt sie wieder Taubenstraße.

Die LDPD hatte die Weichen zur Preisgabe der DDR frühzeitig gestellt. Die westdeutsche FDP witterte vor allen anderen BRD-Parteien ihre Chance, die rund 150.000 DDR-Liberalen zu vereinnahmen und deren Parteivermögen gleich mit zu kassieren. Von einer solchen Mitgliederzahl hatte die West-FDP bis dato nur träumen können. Die Weichen zur Fusion wurden am 10./11. Februar 1990 auf einem LDPD-Sonderparteitag gestellt, bei dem Prof. Rainer Ortleb neuer Vorsitzender der LDPD/LDP, wie sich die Partei jetzt nannte, wurde. Er war zuvor LDPD-Kreisvorsitzender in Rostock. Die Macher aus dem Westen - Graf Lambsdorff, Genscher & Co. - betrachteten Ortleb als Interimsfigur in ihrem Spiel. Er war der von Lobbyismus geprägten politischen Szene der BRD nicht gewachsen.

Es fragt sich indes: Warum hatten gerade die Liberalen der DDR solche Eile, als Erste mit einer Westpartei, der FDP, zu fusionieren? Zu diesem Zeitpunkt stand ja der Termin des Anschlusses der DDR an die BRD noch gar nicht fest.

Wilfried Steinfath, Berlin


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In diesen Tagen ziehen die Sieger auf Zeit wieder hämisch über gravierende Fehleinschätzungen Margot Honeckers (die DDR als gebildete Nation) und Erich Honeckers (Den Sozialismus in seinem Lauf, halten weder Ochs' noch Esel auf) her. Tatsache ist leider: Ochsen und Esel waren dazu imstande, den Sozialismus einer gebildeten Nation aufzuhalten. Kein Grund zum Feiern!

Siegfried Wunderlich, Plauen


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In der Juli/August-Ausgabe der Moskauer Zeitschrift "Kommunist" entdeckte ich in einem Beitrag Sergei Bobrows folgendes Resümee, das ich den RF-Lesern nicht vorenthalten möchte: "Ehemalige Mitglieder der KPdSU sind oft der Meinung, der Zerfall der Partei und der UdSSR sei allein mit der Kehrtwende und dem Verrat der Parteiführung zu begründen, während die einfachen Parteimitglieder keine Schuld träfe. Sie vergessen dabei allerdings aus irgendeinem Grund, daß gerade ihr Versöhnlertum, ihre sklavische Ergebenheit gegenüber jeder Forderung der Parteizentrale dazu beitrug, daß diese Leitung letztlich aus Karrieristen und Wendehälsen zusammengestellt wurde, die das Auseinanderfallen der KPdSU und des Sowjetstaates verursachten. - Deshalb tragen alle Mitglieder der Partei, soweit sie nicht aus dieser wegen des Widerstands gegen solche sich entwickelnden Tendenzen ausgeschlossen wurden, die volle Verantwortung für das Geschehene. Und wir, alle ehemaligen Mitglieder der KPdSU, müssen uns schämen, daß wir unsere Degradierung zugelassen haben. Es geht um ein Höchstmaß an Anstrengungen, damit sich dieses Szenarium nicht wiederholt." - Da ich solche Bemerkungen leider auch auf mich beziehen muß und andere Genossen ähnlicher Meinung sein könnten, halte ich eine Veröffentlichung im RF für angebracht.

Dr.-Ing. Peter Tichauer, Berlin

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Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift für Politik und Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft.

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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2010