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ROTFUCHS/138: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 184 - Mai 2013


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

16. Jahrgang, Nr. 184, Mai 2013



Inhalt

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Dank den Befreiern!

Wenn ich an die Befreiung eines Teils der Deutschen durch die Rote Armee zurückdenke, kommt mir eine Begebenheit in den Sinn, die zu den Schlüsselerlebnissen meiner ausklingenden Kindheit zählte. Noch keine 14, war ich im Juli 1946 wohl der jüngste Mitreisende in einem durch Marschall Shukow bereitgestellten Sonderzug, der den Leichnam Gerhart Hauptmanns aus dem polnisch gewordenen Riesengebirge in die sowjetische Besatzungszone überführte.

Die Umsiedlung war mit dem Dichter der "Weber" zu dessen Lebzeiten in seinem "Haus Wiesenstein" durch den sowjetischen Kulturoffizier Grigori Weiß und Johannes R. Becher im Beisein des Schriftstellers Gerhart Pohl und meines Vaters Peter Alfons Steiniger vereinbart worden. Das Vorhaben schien zu scheitern, da Hauptmann am 6. Juni 1946 starb. Marschall Shukow blieb jedoch im Wort. Nicht nur die Witwe Margarete und persönliche Mitarbeiter Hauptmanns, sondern auch einige Familien von Künstlern und Geistesschaffenden durften den Sarg und Hauptmanns Habe begleiten. Zu dieser Eskorte gehörten Gerhart Pohl, der durch die Rote Armee eingeladene Theologe Prof. Günther Schulemann, die später sehr bekannte DDR-Malerin Charlotte Pauly und auch wir. Obwohl sich der Dramatiker nach 1933 als einziger namhafter deutscher Literat nicht ins Exil, sondern lediglich in die - wie er meinte - "innere Emigration" begeben hatte, also kein Widerstandskämpfer gewesen war, ließ Shukow Großmut walten. Als der Sonderzug in den Grenzbahnhof Forst einlief, hatte eine Ehrenkompanie der Sowjetarmee Aufstellung genommen - eine Geste, die den Befreiungsgedanken symbolisierte.

Doch nicht jeder in Deutschland betrachtete die Sieger auch als Befreier. In der BRD führte das zum Eklat. Unter den Bundespräsidenten befanden sich Belastete wie Heinrich Lübke, Denkwürdige wie Gustav Heinemann, Blasse aller Schattierungen, Geplatzte und Gaukler. Doch es gab auch einen Richard von Weizsäcker. Dessen Rede am 8. Mai 1985 war ein Zeugnis menschlicher und politischer Souveränität. Ohne Einschränkungen erwies er denen, die Deutschland vom Faschismus befreit hatten, seine Reverenz. Gemessen an Vorgängern wie Nachfolgern zeigte dieser bedeutende großbürgerliche Politiker damit echtes Format. Mit Fug und Recht hat die DDR - ganz im Unterschied zur BRD - der historischen Wahrheit entsprochen, als sie - weit über Weizsäcker hinausgehend - den 8. Mai zum staatlichen Feiertag erklärte. Diese Entscheidung trug genauso Klassencharakter wie deren Annullierung nach der Annexion der DDR durch die BRD am 3. Oktober 1990.

Während der Einmarsch der Roten Armee eine doppelte Befreiung von amoklaufenden Nazis und deren großkapitalistischen Steigbügelhaltern bedeutete, führte der Sieg der Truppen westlicher Staaten der Antihitlerkoalition zu ganz anderen Ergebnissen. Ohne Zweifel vergossen auch deren Soldaten ihr Blut für die Zerschlagung der Nazityrannei, so daß sie aus der Perspektive des Jahres 1945 ebenfalls als Befreier zu betrachten sind. Da sie aber bei allem Heldenmut nur das Regime, nicht aber das System aus den Angeln gehoben haben, kam es im Westen Deutschlands nach nur kurzer Zurückdrängung oder zögerlicher Ausschaltung kleinerer Teile der faschistischen "Eliten" schon bald zur Rückkehr maßgeblicher Exponenten der alten Ordnung. Kurze Zeit nach dem Nürnberger Prozeß gegen die faschistischen Hauptkriegsverbrecher stießen deren weniger bekannte, gleichfalls aber schwer belastete Mittäter erneut in entscheidende Positionen des Staates und der Gesellschaft vor. Die prononcierte Nazi-Vergangenheit engster Vertrauter und Mitarbeiter Konrad Adenauers schockierte die Welt.

Während die Befreiten im Osten den Grundstein für ein neues Deutschland legten, blieben in der BRD die Strukturen des dann wie Phönix aus der Asche steigenden deutschen Imperialismus unangetastet. Auch der faschistische Machtapparat - vor allem große Teile von Justiz, Polizei und Verwaltung sowie der "neue" Geheimdienst des Nazigenerals Gehlen - stand weiterhin zur Verfügung.

Da jene wirtschaftlichen Interessengruppen, die Hitler auf den Schild gehoben hatten, in der BRD bestimmend blieben, konnte sie sich - im Unterschied zur nur wenige Monate nach ihr gegründeten DDR - nicht als Staat der Befreiten betrachten. In sie strömten vielmehr die erst gestern Besiegten aus ganz Deutschland. In Windeseile wurden die einstigen Gegner auch der Westalliierten mit Marshallplan-Spritzen aus den USA wieder fit gemacht. Der deutsche Imperialismus betrat aufs neue die Bühne der Geschichte. Deshalb sieht die Mehrheit heutiger BRD-Politiker keinen Grund, es Weizsäcker gleichzutun und von einer Befreiung des deutschen Volkes zu sprechen. Wer bejubelt schon eigene Niederlagen!

Fast viereinhalb Jahrzehnte sah es für die Menschen im Osten, von denen sich viele nicht ohne Stolz DDR-Bürger nannten, so aus, als sei das Blut von Millionen und Abermillionen Sowjetsoldaten wie aller anderen Kämpfer gegen die faschistische Gewaltherrschaft nicht umsonst geflossen.

Doch Sozialismus und Antifaschismus haben eine schwere, wenn auch nicht endgültige Niederlage erlitten. Man sollte das Geschehen vom Standpunkt der Dialektik und des historischen Materialismus aus betrachten. Unumstößlich bleibt die Tatsache, daß die Streitkräfte aller Staaten der Antihitlerkoalition bei einem sowjetischen Löwenanteil Europas blutigstes Mordregime zerschlagen haben. Rotarmisten brachten die faschistische Bestie in ihrer eigenen Höhle zur Strecke.

Wenn wir uns in dieser Runde der Geschichte als Verlierer und um die Früchte der Befreiung Betrogene betrachten müssen, gilt es eine Komplexität von Ursachen zu ergründen: Die ökonomische Überlegenheit des Westens, die jahrzehntelange ideologische Diversion des Gegners, eigene Fehler und Versäumnisse, vor allem aber der abgrundtiefe Verrat einer Clique sich als Kommunisten ausgebender, doch längst zum Antisowjetismus konvertierter Mantelwender an der Spitze der UdSSR bewirkten letztlich den Untergang aller sozialistischen Staaten Europas. Angesichts des verheerenden Rückschlags gibt es jedoch für Kommunisten, Sozialisten und andere zu wirklicher Gesellschaftsveränderung Entschlossene keinen Grund, die Fahne sinken zu lassen. Übrigens bin ich dem großen sowjetischen Heerführer Georgi Shukow - wieder indirekt und erst Jahrzehnte nach seinem Tode - noch ein zweites Mal "begegnet":

Die "RotFuchs"-Redaktion befindet sich in Berlin-Karlshorst nur wenige hundert Meter von jenem Gebäude entfernt, in dessen Räumen Hitlers durch das Nürnberger Tribunal gerichteter Generalfeldmarschall Keitel vor Shukow und den Vertretern der Westalliierten am 8. Mai 1945 bedingungslos kapitulierte. Eine solche Nähe betrachten wir als Omen und Ansporn, nicht nur von einer sozialistischen Menschheitszukunft zu träumen, sondern auch - wie bereits in anderen Teilen der Welt - neue Schritte auf dem langen, gefahrvollen und konfliktreichen Weg zu endgültiger Befreiung zu unternehmen.

Klaus Steiniger

*

Aus Träumen wurde Sehnsucht

Was hatten wir für wunderbare
Träume, Hoffnung und Zuversicht!
Wir pflanzten nicht nur Bäume, Rosen,
wir stellten auch Blumenschalen auf.
Wir hörten das Rattern der Maschinen,
den Ruf der Sirenen und sahen den roten Stern.

Und wenn wir lachten,
dann taten wir es zusammen.
Und wenn wir uns sorgten, dann gemeinsam.
Und wenn wir tanzten, dann waren wir fröhlich.

Nun ist alles anders.
Jeder allein.
Aus unseren Träumen wurde Sehnsucht.
Wonach?
Neue Botschaft zu sein.


Waltraud Kulla, Jahrgang 1927, übersiedelte vor langer Zeit aus der BRD in die DDR. Jetzt hat die 85jährige Vorkämpferin für Frauenrechte Bilanz gezogen und ihre Erfahrungen mit Glück und Unglück zu Papier gebracht. Auch wenn Enttäuschung über Nichterreichtes mitschwingt, läßt sie die Hoffnung auf bessere Zeiten nicht sinken. Sie berichtet im folgenden, wie sie den 8. März in den Zeitläuften erlebte.

Mit 23 Jahren hielt ich zum ersten Mal in Köln zum Internationalen Frauentag eine Festansprache. Etwa 500 Frauen waren im Saal. Plötzlich löschte ein Trupp Polizisten das Licht aus und begab sich zum Präsidium. Mit ihren Taschenlampen fixierten sie unter Protest der Frauen deren Gesichter.

Wir hatten damals eine Genossin aus Halle zu Gast. Die Polizei schleppte sie ab, niemand wußte, warum. Nur fünf Jahre nach dem schrecklichen Zweiten Weltkrieg begann die Adenauer-Regierung ihre Ansage gegen die Friedensbewegung.

Mit 24 Jahren wurde ich zusammen mit zwei anderen Frauen auf dem Bochumer Rathausplatz verhaftet und, bewacht von zwei Polizeihunden, in einen Keller gesperrt. Grund: Wir trugen ein Plakat, auf dem nichts weiter stand als: "Frieden statt Remilitarisierung!" Mit 30 Jahren erlebte ich erstmals den Frauentag in der DDR. Ich fühlte mich aufgenommen.

Mit 40 Jahren hatte ich Freude an den Feierlichkeiten und Ehrungen im Kultursaal des Steinkohlenwerkes "Martin Hoop".

Mit 50 Jahren stellte ich innige Kontakte zu jungen Kolleginnen unseres Betriebes her, festliches Beieinander prägte den Tag. Mit 60 Jahren sammelte ich Erfahrungen, wie die Förderung von Frauen als absolute Normalität in Anspruch genommen wurde. Im Kreis Hunderter selbstbewußter Kolleginnen hörte ich die Ansprache unseres Werkleiters und des Vertreters der Gewerkschaft, sah, wie sie akzeptiert wurden. Mit 70 Jahren war ich unfreiwillig wieder in der Bundesrepublik angekommen - eine schmerzliche Erfahrung.

Mit 80 Jahren erhielt ich Blumen von meinem Partner. Mit 85 Jahren bin ich vom Leben gezeichnet. Die Volkssolidarität lud zur Frauentagsfeier ein. Der überfüllte Saal im "Walfisch" von Zwota erinnerte an alte Zeiten und rief den Frauen Erlebtes ins Gedächtnis.

Danke, es war schön!

Waltraud Kulla

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Was ich am Tag meiner Befreiung in Berlin erlebte

Ein Eimer voller Kascha

Frühjahr 1945. Seit Tagen vernahm man vom Osten her Geschützlärm. Nun war es soweit. Am 25. April näherte sich die Front unserem Wohngebiet in Berlin-Neuköln.

Die Hitlerwehrmacht bereitete die Verteidigung vor. 200 Meter von unserem Haus entfernt war vor dem Restaurant "Zum Tiger" ein Loch in den Beton der Straßendecke geschlagen und nach dem Erdaushub ein 8,8-cm-Flakgeschütz zur Panzerabwehr in Stellung gebracht worden. Dahinter standen auf den Fahrbahnen zwei schwere Panzer vom Typ "Königstiger" und nur wenig davon entfernt ein "Panther".

Als am Nachmittag ein Verband sowjetischer T 34 in unseren Kiez einrückte, dröhnten stundenlang die Panzerkanonen, bis in die Nacht hinein. Nachdem endlich wieder Ruhe eingetreten war und ich mich mit anderen waghalsigen Hausbewohnern auf die Straße begab, erhellten brennende Panzer die Nacht. In den nächsten Tagen zählte ich im Umfeld unseres Wohnblocks acht T 34, teils mit abgesprengtem Turm. Von den schwereren deutschen Panzern aber fehlte jede Spur. Auch Kampftruppen hielten sich nicht mehr im Revier auf. Obwohl die Nacht ruhig verlief, war in unserem Hauskeller an Schlaf nicht zu denken. Was würde der nächste Tag bringen?

26. April. Gegen 6 Uhr früh vernahmen wir über die Hinterhöfe hinweg das Rattern von Maschinenpistolen und MG. Zugleich hörte man die Stimmen sich nähernder Personen. Ich vernahm Fremde, nie vorher gehörte Laute. Jemand raunte: "Die Russen kommen!" Unvermittelt wurde die Tür zum Keller aufgestoßen. Drei Rotarmisten standen oben an der Treppe. Als sie gerade herunterkommen wollten, wurden sie aus einem Fenster des gegenüberliegenden Hauses beschossen. Aus dem Hausflur neben unserem Kellereingang erwiderte man das Feuer. Auf unserer Kellertreppe wurden zwei Rotarmisten verwundet. Einer hatte einen doppelten Oberschenkeldurchschuß und blutete stark. Meine Mutter und andere Frauen halfen, ihn auf einem Plättbrett die Treppe herunterzuziehen und zu verbinden. Die anderen Rotarmisten mußten weiter. Eine junge polnische Zwangsarbeiterin, die als Hausgehilfin arbeitete, erklärte dem Verwundeten dolmetschend, daß man ihn im Keller verstecken und pflegen würde. Seine Genossen hatten Vertrauen und ließen ihn, mehr der Not gehorchend, bei uns. Im Hinterhof nahm der Gefechtslärm zu. Kurze Zeit darauf wurden die Rotarmisten bei einem Gegenstoß der Faschisten zurückgeworfen. Angehörige der Waffen-SS tauchten in unserem Areal auf. Qualvolle Stunden vergingen. Was würde geschehen, wenn sie den verwundeten Soldaten des Gegners bei uns im Keller entdeckten? Dieser stöhnte laut vor Schmerzen und fürchtete um sein Leben, als er die Rufe der SS-Leute vernahm. Jemand gab ihm eine Morphiumtablette. Es bedurfte großer Überredungskunst der jungen Polin, den Verwundeten zur Einnahme des Medikaments zu bewegen. Schließlich wurde er ruhiger und schlief ein.

Die SS-Einheit kam glücklicherweise nicht ins Haus. Übrigens handelte es sich um Franzosen - Freiwillige der SS-Grenadierdivision "Charlemagne", wie ich inzwischen weiß.

Als die Faschisten dann am Nachmittag beim erneuten Vorstoß der Roten Armee endgültig aus unserem Wohngebiet vertrieben worden waren, fand der Krieg für uns Kellerbewohner sein Ende. Eine schwere Last fiel von mir ab. Es war ein Gefühl von Befreiung, das ich fortan immer mit dem Datum des 8. Mai verbunden habe. Ich war plötzlich von der seit Monaten bestehenden Angst vor der Einberufung durch die Nazis, vor der Gefahr, noch bei Kriegsende im aussichtslosen Kampf für einen Wahnsinnigen mein junges Leben zu verlieren, befreit. Ich war vor der Drohung hoher HJ-Führer gerettet, mich und meine Familie nach dem "sicheren Endsieg" als Staatsfeinde behandeln zu lassen, weil ich mich nicht freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte. Ich war von dem sich in rascher Folge seit Monaten wiederholenden Sirenengeheul, dem Fliegeralarm, dem nächtlichen Jaulen der Luftminen und "Wohnblockknacker" britischer "Moskito"-Schnellbomber und den Bombenteppichen amerikanischer "Fliegender Festungen" erlöst.

In diesem Sinne war der 26. April 1945 der Tag meiner persönlichen Befreiung und ich empfand die Rotarmisten als meine Befreier sowohl vor dem Terror des durch die deutschen Faschisten entfesselten 2. Weltkrieges als auch vor den nicht enden wollenden westalliierten Bombardements.

Wie viele Deutsche wissen denn noch heute aus eigenem Erleben, was es heißt, Tag für Tag und häufig mehrfach des nachts in panischer Angst in den Luftschutzkeller zu laufen und dort zu verharren, bis die ersten Bomben fallen? Die Todesangst ließ einen nicht mehr los!

Ich hatte also überlebt - ganz im Sinne des Abschiedsgrußes der Berliner, die einander in den letzten Kriegsjahren "Bleib übrig!" gewünscht hatten.

Ungeachtet der furchtbaren Zerstörungen, der unendlichen Trümmerberge, der mit Schutt übersäten Straßen, des allgegenwärtigen Brandgeruchs aus qualmenden Ruinen und der vielen zu bestattenden Leichen gilt noch heute für mich: Nie wieder in meinem Leben habe ich eine so wohltuende Stille empfunden wie jene, welche eintrat, als nicht mehr geschossen und nicht mehr bombardiert wurde! Aber es gab immer noch Wahnsinnige, die in den nächsten Tagen hier und dort als "Werwölfe" aus Wohnhäusern und Verstecken auf Rotarmisten und auch auf Deutsche schossen, die aus ihren Fenstern weiße Fahnen gehängt hatten.

Als die Rotarmisten nach der Straßenschlacht vom 26. April abends ihren bei uns im Keller zurückgelassenen verwundeten Genossen übernahmen, waren sie voller Dankbarkeit. Ein Offizier, den mehrere Soldaten begleiteten, brachten den Hausbewohnern, die seit Tagen nichts Warmes mehr gegessen hatten, einen ganzen Eimer voller Kascha. Der Brei schmeckte uns wie die herrlichste Delikatesse. "Gitler kaput!", sagten die Männer mit dem roten Stern voller Genugtuung und auch, um uns zu beruhigen.

Diese ersten "Russen", denen wir im Neuköllner Hinterhaus begegneten, machten auf uns einen sympathischen, zurückhaltend-warmherzigen Eindruck, der das spätere Verhalten meiner Eltern - und auch das meine - nicht unwesentlich prägte. Es waren Offiziere und Soldaten der 8. Gardearmee von Generaloberst Tschuikow - jener früheren 62. Armee, die Stalingrad gegen den faschistischen Ansturm gehalten hatte. Diese erste Vorstellung "vom Russen" hatte Bestand, obwohl die folgenden Stunden und Tage zunächst noch viele beängstigende, ja auch bedrohliche Situationen und unerfreuliche Ereignisse mit sich brachten. Dennoch riefen sie in mir keinen Haß auf die "Russen" hervor, wußte ich doch, daß von den Faschisten verblendete Deutsche den Völkern der Sowjetunion unermeßliches Leid zugefügt hatten.

Angesichts einer solchen Erkenntnis und meines ersten Eindrucks vom gefürchteten "Iwan" erwuchsen in mir der Wunsch und der Wille, zu einer dauerhaften Freundschaft zwischen deutschen und sowjetischen Menschen beizutragen.

Horst Jablonski, Berlin

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Kalter Kaffee - aufgewärmt

Wie ein ältlicher "Stern"-Journalist noch einmal in die Schlagzeilen drängte

Bei einem Arzttermin im Februar durchblätterte ich im Wartezimmer ausliegende Zeitschriften. In der "Super-Illu" machte mich eine Schlagzeile stutzig. Dort ging es um "neue Enthüllungen" zu einem angeblich auf Erich Honecker verübten Attentat.

Als stellvertretender Leiter der Diensteinheit Verkehrspolizei beim Personenschutz der DDR war ich mit den Ereignissen vom 31. Dezember 1982 befaßt. So wundert es mich, daß derselbe "Stern"-Reporter Bub, der einst die Mär vom vermeintlichen Anschlag auf Honecker in die Welt setzte, diese abermals aufzuwärmen versucht, obwohl die Tatsachen seiner Story eindeutig widersprechen.

Zum Sachverhalt: Es steht fest, daß Erich Honecker, begleitet von seinem Sicherungskommando, in der Mittagszeit jenes Tages von Wandlitz aus in die Schorfheide aufgebrochen war. Die Wagenkolonne bestand aus zwei Citroëns und zwei Volvos. In den beiden Volvos - einem vorausfahrenden und einem nachfolgenden Sicherungsfahrzeug - befanden sich Angehörige unserer Diensteinheit. Am Ortsausgang Wandlitz der Fernverkehrsstraße 109 kam aus Richtung Stolzenhagen von links ein Pkw Lada, der offensichtlich keinerlei Anstalten machte, das Vorfahrtsrecht der sich auf der Hauptstraße bewegenden Kolonne zu beachten. Er drängte direkt auf die Fernverkehrsstraße. Unser Schlußfahrzeug versuchte, den Pkw zu stoppen, während sich die übrige Kolonne mit Erich Honecker entfernte. Im weiteren Verlauf wurden mehrere Haltesignale durch den Lada-Fahrer nicht beachtet. Er setzte seine Fahrt unverdrossen fort. Da unser Volvo inzwischen Blaulicht und Sirene benutzte, hielt ein entgegenkommender Lkw in Klosterfelde sofort an. Dadurch konnte der Lada-Fahrer nicht mehr ausweichen und mußte ebenfalls stoppen. Jetzt stieg der Beifahrer des Volvo, im "Stern"-Bericht als Oberleutnant R. L. richtig bezeichnet, aus und begab sich zum Lada, dessen Fahrer seinen Wagen ebenfalls verlassen hatte. Als sich R. L. etwa in Höhe der Motorhaube des Lada befand, hob dessen später als Paul Eßling identifizierter Fahrer die Hand, in der sich ein pistolenähnlicher Gegenstand befand, und feuerte einen Schuß ab. Dieser traf R. L. knapp unterhalb des Herzens.

Inzwischen war der Volvo-Fahrer unserer Diensteinheit ebenfalls ausgestiegen. Nach Erkennen des Waffengebrauchs gegen R. L. schoß er auf Eßling und traf ihn. Im selben Augenblick hatte dieser aber bereits seine Waffe zum Kopf geführt und sich, wie später festgestellt wurde, mit dieser selbst getötet.

Das übrige Begleitkommando war inzwischen mit Erich Honecker unbehelligt in der Jagdhütte angekommen und wurde erst dort von dem Geschehen informiert. Natürlich hat dieser Vorfall im Straßendorf Klosterfelde besonders deshalb für Aufregung gesorgt, weil anschließend Krankenfahrzeuge sowie Personal zur Tatortsicherung eintrafen. Irgendwann und durch irgend jemanden muß Herr Bub damals von dem Vorgang Kenntnis erlangt haben.

Jedenfalls fuhr der seinerzeitige "Stern"-Korrespondent in der DDR unter Verletzung der Akkreditierungsregeln mit einem Leihfahrzeug, das ein DDR-Kennzeichen trug, in die Gegend um Klosterfelde.

Anschließend machte er aus seiner Kaffeesatz-Recherche eine Story, nach der es sich um ein Attentat auf Honecker gehandelt haben sollte. In der eingangs erwähnten Nr. 5/2013 der "Super-Illu" behauptete er nun, von der DDR-Nachrichtenagentur ADN sei damals die Lüge verbreitet worden, es hätte sich um einen normalen Verkehrsunfall gehandelt. Doch eine solche Meldung hat es nie gegeben, da die DDRPresse über alltägliche Ereignisse im Straßenverkehr nicht berichtete.

Der offizielle Umgang mit diesem Vorfall ist das einzige, was als kritikwürdig zu betrachten wäre. Erst nach Erscheinen des Bubschen "Stern"-Artikels verbreitete ADN eine Meldung über "ein Vorkommnis im Zusammenhang mit einem Streifenfahrzeug der Volkspolizei, bei dem ein Pkw-Fahrer einen Verkehrspolizisten lebensgefährlich verletzt" habe.

Wenn Herr Bub und die Journalisten der "Super-Illu" ihr Leib- und Magenarchiv bei der Gauck-Birthler-Jahn-Behörde genutzt hätten, wäre ihnen nicht entgangen, daß die Tatsachen eindeutig gegen einen Attentatsversuch sprechen. Dann hätten sie vermutlich auch die in Frage stehende ADN-Meldung gefunden und wären nicht zu dem knalligen Titel "Die Lügen von ADN, die keiner glaubte" gezwungen gewesen.

Es ist blanker Unsinn zu behaupten, daß Eßling den genauen Zeitpunkt der Abfahrt Honeckers gekannt haben soll, weil dieser ausschließlich von dessen eigener Entscheidung abhing.

Die Kenntnis der Fahrtstrecke aber ist keine Recherche-Leistung, da sie sämtlichen Anwohnern seit Jahren bekannt war. Eßling nachträglich "Wut im Bauch auf die Bonzen" zu unterstellen und ihm zu bescheinigen, er habe "es denen da oben mal zeigen wollen", ist nicht minder unsinnig. Eßling hatte sich in der Gegend gut eingerichtet.

Zur Kaffesatzleserei des Herrn Bub und anderer gehört überdies die Behauptung, Eßling habe "gezielt auf Honecker gewartet". Natürlich zählt zum Cocktail der Behauptungen des Herrn vom "Stern" auch die Unterstellung, die "Stasi" habe Eßlings unmittelbare Umgebung "traktiert". Weshalb sollte das MfS dessen vormalige Freundin St. "noch über Jahre hinweg mit tagelangen Verhören terrorisieren"?

Ein Knaller erster Klasse ist allerdings Herrn Bubs Eingeständnis, der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg, der diesen Fall 1995 unter Befragung von Zeugen untersuchte, sei zu dem Ergebnis gelangt, daß es kein Attentat gegeben habe.

Der ranghohe Jurist bescheinigte den Beteiligten aus Honeckers Wagenkolonne korrektes Verhalten. Was bleibt, ist die Auffälligkeit eines stark angetrunkenen Kraftfahrers und dessen völlig irreguläres Handeln.

Als ich nach der Lektüre der eingangs erwähnten Horrorstory der "Super-Illu" in das Sprechzimmer gerufen wurde, zeigte die Ärztin Verständnis für meine Erregtheit und verzichtete auf das Messen des Blutdrucks.

Heinrich Steffen, Falkensee

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"Berliner Zeitung": NSDAP war "erste moderne Volkspartei"

Götz Alys "Mann der Millionen"

Zu Jahresbeginn wurde von offizieller Seite nicht wenig Aufwand getrieben, um an zwei geschichtsträchtige Daten zu erinnern: den Machtantritt der Hitlerfaschisten 80 Jahre zuvor und die Stalingrader Schlacht, die zehn Jahre später zum Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges wurde. Zwischen beiden Ereignissen bestand ein enger Zusammenhang. Sie haben in die Chronik der Deutschen tiefe Spuren gegraben.

Gab es neues bei dieser staatlich verordneten "Erinnerung"?

Zunächst ist festzustellen: Eine Vielzahl von Gedenkveranstaltungen, Ausstellungen, Film- und Buchproduktionen war den genannten Ereignissen gewidmet.

Das offizielle Gedenken an die Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 wurde dabei mit dem 30. Januar verquickt. Bundeskanzlerin Merkel sprach zur Eröffnung einer Sonderausstellung "Berlin 1933 - der Weg in die Diktatur". Zu ihrer Rede wäre so manches anzumerken, selbst in bezug auf jene Passagen, in welchen Teilwahrheiten enthalten waren. Machen wir die Probe aufs Exempel.

O-Ton Merkel: "Der Aufstieg des Nationalsozialismus wurde möglich, weil Eliten und Teile der Gesellschaft daran mitwirkten." Stieg da wirklich ein "nationaler Sozialismus" auf? Und: Besitzen diese "Eliten" nicht Namen und Gesichter? Wollten die Mächtigen an Rhein und Ruhr und die Wehrmachtsgeneräle denn tatsächlich einen - wie auch immer gearteten - Sozialismus? Und: Was ist aus Hitlers "Eliten" eigentlich nach 1945 geworden? Verwandelten sie sich nicht über Nacht in Adenauers Paladine?

Manche Publizisten, die sich zu Wort meldeten, klitterten noch schlimmer. In der "Berliner Zeitung" vom 30. Januar lüftete Götz Aly das Geheimnis, warum eine Figur wie Hitler eigentlich Reichskanzler werden konnte. Er stellte Guido Knopps ZDF-Dokumentationen und so manche dicke Biographie, in denen der "GRÖFAZ" als genialer Mephisto dargestellt wurde, dem das ahnungslose Volk auf den Leim gegangen sei, noch weit in den Schatten. Mächtige Finanziers, die Unterstützung von Kirchenführern und Medienmachern wie Hugenberg waren aus diesem "Geschichtsbild" ausgeblendet.

Götz Aly trieb mit seiner These, Hitler sei der "Mann der Millionen" gewesen, die Verfälschung der historischen Wahrheit auf die Spitze. Dabei hatte er gewiß nicht an John Heartfields berühmte Fotomontage "Der Sinn des Hitlergrußes - Millionen stehen hinter mir" gedacht.

Das Blatt wählte ein Foto aus, das jubelnde Nazi-Anhänger zeigt, und schrieb darunter: "Mann der Millionen - Am 30. Januar wurde Hitler Reichskanzler. An die Macht trug ihn die erste moderne Volkspartei. Sie vereinte Bauern und Städter, Arbeiter und Bürger, Junge und Alte, Männer und Frauen. Analyse eines verhängnisvollen Aufstiegs." Stand nicht auch die von der Kanzlerin eröffnete Ausstellung gerade unter dem Motto dieses "Aufstiegs"?

Götz Aly behauptete, nicht Hugenberg, Hindenburg, Blomberg und Kirdorf hätten Hitler "gemacht", sondern die Millionen Anhänger seiner "modernen Volkspartei"! Aus dieser These folgt: Im Nürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher sind offensichtlich die Falschen verurteilt worden - höchste Zeit, Göring, Keitel und Krupp zu rehabilitieren. Und heute? Sind es etwa die "vereinten Bauern und Städter", die darauf drängen, Raketen in der Sahara abzuschießen?

Wessen Mann aber ist Götz Aly?

Ein Hauptstädter, der einen Protestbrief an die "Berliner Zeitung" geschickt hatte, erhielt von der Redaktion eine die "neuesten Erkenntnisse" würdigende Antwort: Die Journalistin verwies auf des Professors "wissenschaftliches Renommee" und meinte, auch sie habe viel lesen müssen, "um das liebgewordene Brett vor dem Kopf" loszuwerden.

So sieht der Meinungspluralismus in der Praxis aus: Wer den Geschichtsrevisionisten Aly nicht für einen Gott der Historie hält, hat eben ein Brett vor dem Kopf. Wie viele mögen das in Berlin und landesweit wohl sein?

Auch Dresden hatte übrigens neues zu bieten. Jetzt gibt es das Militärhistorische Museum der Bundeswehr. Dort zeigt man eine Ausstellung über Stalingrad, deren Macher etwas ganz Besonderes "entdeckt" haben. Sie sind nämlich zu der Erkenntnis gelangt, daß die Schlacht an der Wolga keineswegs die Wende im Zweiten Weltkrieg gebracht habe. Als Urheber dieser Neubewertung ermittelte die "Sächsische Zeitung" drei einschlägig "forschende" Historiker: Rolf-Dieter Müller, Karl-Heinz Frieser und Bernd Wegner. Zugleich bezeichnete sie die zitierte Auffassung als "heutige Lehrmeinung".

Warum aber sollen Schüler im Jahr 2013 die Stalingrader Schlacht eigentlich nicht - der historischen Wahrheit entsprechend - als Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges betrachten? Ganz einfach: weil diese Erkenntnis dem Ansehen der Bundeswehr abträglich sein könnte, ist sie doch bereits - nicht nur am Hindukusch - in gefährliche Kriegsabenteuer verstrickt, die wohl kaum zugunsten der Verfechter solcher "friedenserhaltender Maßnahmen" ausgehen dürften.

Prof. Dr. Horst Schneider

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Das Wunder von Vippachedelhausen

Als Eberhard Herr den Herren die Suppe versalzen half (7) Am 19. März 1964 fand die Wahlberichtsversammlung der SED-Parteiorganisation in der LPG "Vereinte Kraft" Vippachedelhausen-Thalborn statt. Als Hauptergebnis der in den beiden letzten Jahren geleisteten Arbeit konnte festgehalten werden: Die zurückgebliebene LPG hat zu den fortgeschrittensten und führenden Genossenschaften des Kreises aufgeschlossen.

Zum Maßstab der Parteiarbeit wurde die Erzeugung für den Markt erklärt: Die Bruttoproduktion stieg von 1,3 Millionen Mark im Jahre 1961 auf 3,4 Millionen Mark im Jahre 1964. Für 1965 wurde vorgeschlagen, sie auf 3,7 Millionen Mark zu steigern und in einem zweijährigen Zeitabschnitt Maßnahmen des Übergangs zu industriellen Produktionsmethoden in Schweinemast und Milchwirtschaft einzuleiten.

Auf die Wahlberichtsversammlung der führenden Partei folgte - in einem Dorf des Westens so wohl kaum vorstellbar - ein Lyrik-Abend als kultureller Höhepunkt. Radio DDR hatte Künstler aus Berlin und Erfurt in den Kultursaal mitgebracht, wo sie vor einem aufmerksamen Publikum, darunter viele Jugendliche, Verse bekannter zeitgenössischer Dichter lasen.

Mit der Arbeit kamen wir gut voran. Die Feldbaubrigade der LPG drillte in diesem Jahr als Probe aufs Exempel einen Schlag zur Hälfte während der Frosttage, die andere Hälfte in der üblichen Aussaatzeit. Der Wettlauf zwischen alten und neuen Methoden konnte beginnen. Schon in den ersten Wachstumswochen lag die frostgedrillte Gerste deutlich vorn. Zur Ernte brachte sie 48 dt/ha Kornertrag, 4 dt/ha mehr als das Vergleichsstück. So konnten die Vippachedelhäuser Bauern endgültig für sich in Anspruch nehmen, im Kreis Weimar die Winterflächenbearbeitung und Frostbodenbestellung eingeführt zu haben.

Da sich das Verhältnis zwischen den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften Berlstedt, Hottelstedt und Vippachedelhausen durch den überbetrieblichen sozialistischen Wettbewerb immer enger gestaltet hatte, entwickelten sich nach den Schritten Spezialisierung und Konzentration nun auch echte Kooperationsbeziehungen. Die drei Betriebe bildeten fortan den bald schon legendären Kooperationsbereich Berlstedt, dessen Kooperationsrat sich im Kulturhaus Vippachedelhausen konstituierte.

Mit einem weithin leuchtenden Friedensfeuer auf dem Palmberg feierten etwa 400 Vippacher am Vorabend des 7. Oktober den 15. Jahrestag der DDR. Paul Herre, technischer Leiter der LPG, meinte dort: "In der Republik ist es gut vorangegangen und bei uns in der Genossenschaft auch. Das ist ein Grund zum Feiern." Hatte die LPG "Vereinte Kraft" 1964 pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche 36,3 dt Getreide, 200 dt Kartoffeln, 244,2 dt Zuckerrüben, 118 dt Feldfutter, 280 dt Mais, 91 kg Rindfleisch, 122,2 kg Schweinefleisch, 2385 l Milch und 123 Eier pro Henne erzeugt sowie Investitionen in Höhe von 672.000 Mark aufgewandt, dann sollte es auch 1965 keinen Stillstand geben.

Inzwischen hatte der VIII. Deutsche Bauernkongreß stattgefunden, von dem der Vippacher LPG-Vorsitzende mit vielen neuen Ideen zurückgekehrt war. Warum sollte man noch alte Kuhställe umbauen, wenn es nun in Richtung industrieller Produktion ging? Das Für und Wider wurde von den Genossenschaftsbauern eingehend erörtert. Nach gründlicher Debatte beschlossen sie den Bau eines Kuhstalles für 450 Tiere. Mit einer Betonstraße im Unterdorf wurde ein langgehegter Wunsch der dort Lebenden verwirklicht. Nun war der Schlamm Vergangenheit.

In Erwiderung unseres vorjährigen Besuchs in der CSSR traf bei uns eine Bauerndelegation aus der LPG Hanichov bei Liberec ein, die mit großer Herzlichkeit willkommen geheißen wurde. Wir nutzten ihre Anwesenheit zu einem regen Erfahrungsaustausch.

Als erste Genossenschaft im Kreis Weimar führten wir 1965 die vollmechanisierte Maisernte ein, wodurch die früher übliche Handarbeit entfiel. Auf den Silos drückte jetzt die große sowjetische Raupe S 100 das Futter fest. 1966 ging der Kuhstallneubau zügig weiter. Der erste Teilabschnitt für 220 Tiere konnte belegt werden. Für manche Vippacher Genossenschaftsbauern verbesserten sich dadurch schlagartig die Arbeits- und Lebensbedingungen.

In diesem Jahr wurde eine Brigade "Schwere Technik" als erste zwischenbetriebliche Einrichtung im Kooperationsbereich gebildet. Hier zogen wir die entsprechenden Traktorentypen aller drei beteiligten Genossenschaften zusammen.

Im Frühjahr war das Kulturhaus Vippachedelhausen Tagungsort der ersten Kulturkonferenz des ganzen Reviers.

Schon bald begannen wir mit den Schachtarbeiten für eine unterirdische Milchleitung vom neuen Stall in Vippachedelhausen zur Molkerei in Berlstedt. Wieder waren es sowjetische Freunde, die dabei halfen. Ihr riesiger Grabenbagger hob die anderthalb Meter tiefe Trasse von viereinhalb Kilometern Länge mit einem Höhenunterschied von 45 Metern aus. Ende des Jahres konnte der neue Kuhstall voll belegt werden. Er war zu jener Zeit der größte und modernste im Kreis Weimar. So halfen die Vippacher mit ihren Erfahrungen, den zügigen Übergang zu industriemäßigen Verfahren in der Milchproduktion vorzubereiten.

Schließlich wurde 1966 auch eine Konzeption für umfassende Meliorationsarbeiten in der Flur der Genossenschaft ausgearbeitet. Vorgesehen war, in Thalborn zu beginnen, wo bereits große Flächen für die Entwässerung vorbereitet wurden.

Eberhard Herr, Herzberg/Elster

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Markenzeichen

Unser Zwickauer Leser Rainer Albert hat ein reich illustriertes und solide dokumentiertes umfangreiches Werk über sämtliche Briefmarken-Editionen der DDR von 1949 bis 1990 erarbeitet. Es wird - mit der Juni-Ausgabe beginnend - auszugsweise in einer neuen RF-Artikelserie "Markenzeichen" vorgestellt. Briefmarken sind nicht zu verfälschende historische Dokumente, die über den Charakter, die gesellschaftlichen Inhalte und Ziele, das Kulturniveau sowie die Innen- und Außenpolitik eines Staates verläßlich Auskunft geben.

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Die Adenauer-Stiftung als weltweite Unruhestifterin

Konrad wie Konterrevolution

In der BRD bestehen rund 8800 Stiftungen, die sich auf unterschiedlichsten Gebieten betätigen. Ihre überwiegende Mehrzahl dient offiziell gemeinnützigen Aufgaben und humanitären Anliegen. Betrachtet man jedoch einige dieser Einrichtungen etwas genauer, dann stellt man fest, daß sie von einer solchen Zielsetzung kilometerweit entfernt sind. Ihre eigentliche Funktion besteht eher darin, Unruhe zu stiften. Das gilt ganz besonders für die der CDU nahestehende Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die derzeit in etwa 120 Ländern fragwürdige Projekte fördert. Sie wird zu mehr als 95 % aus öffentlichen Mitteln, also Steuergeldern, finanziert.

Angeblich setzt sich die KAS "weltweit für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit" ein. Tatsächlich betreibt sie jedoch offene oder verdeckte Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. Ihr Ziel ist es, soziale und politische Verhältnisse entweder nach westlichem Muster zu stabilisieren oder diese im Interesse des Imperialismus zu untergraben. Daß solche Wühltätigkeit auf Widerstand stößt, demonstrierte 2012 die Schließung der KAS-Büros in Ägypten und den Arabischen Emiraten wegen "illegaler Aktivitäten" von Stiftungsmitarbeitern.

Die enge Verflechtung der KAS mit westlichen Geheimdiensten, vor allem denen der BRD, ist erwiesen. So war sie u. a. 1973 in die Vorbereitung des faschistischen Pinochet-Putsches gegen Chiles Allende-Regierung der Unidad Popular tief verstrickt.

Darüber hinaus unterstützt die KAS rechtskonservative Kräfte in etlichen Ländern Lateinamerikas. So lud sie im Frühjahr 2007 kubanische "Dissidenten" aus aller Welt nach Berlin ein, um darüber "zu beraten", was für den Sturz des "Castro-Regimes" getan werden könne. Auch am Putsch gegen den seinerzeitigen Präsidenten von Honduras war die KAS ebenso wie die auf gleicher Welle schwimmende FDPnahe Friedrich-Naumann-Stiftung (FNS) aktiv beteiligt. Hier wie anderswo operierten beide Diversionszentralen im Verbund. KAS und FNS gelten als der Bundesregierung "nahestehende" Einrichtungen mit klarem Interventionsauftrag.

Auch in Osteuropa kooperieren beide mit jeweils "geeigneten Partnern". Unter der Regie der KAS besuchte Bundeskanzleramtsminister Ronald Pofalla im Juni 2012 Litauen, um sich mit dortigen "Menschenrechtlern" und belorussischen "Oppositionellen" zu treffen. Vertreter der "Zivilgesellschaft" seien zu Aktionen gegen Minsk "konsultiert" worden.

Im Oktober 2012 fand in der Berliner Akademie der KAS eine Veranstaltung unter dem Motto "Opponieren gegen Lukaschenko - Handlungsmöglichkeiten politischer Parteien in Belarus" statt. Im März 2013 führte die KAS in Warschau eine "Fachkonferenz" durch, bei der es ebenfalls um die "Suche nach historischen Inspirationen für die Zivilgesellschaft im gegenwärtigen Belarus" ging.

Auch die Ukraine und Rußland gehören zu den besonderen Angriffszielen. Als die Ukraine 1991 ihre Eigenstaatlichkeit erklärte, war die BRD einer der ersten Staaten, welche sie anerkannten. Die KAS und andere Stiftungen gleicher Couleur sind bemüht, durch Förderung nationalistischer und prowestlicher Kräfte die politische Entwicklung des Landes zu beeinflussen. Aufschlußreich ist die Tatsache, daß die KAS am 28. Januar 2013 - wiederum in ihrer noblen Berliner Akademie - eine Veranstaltung zum Thema "Die Ukraine 90 Tage nach den Wahlen - innen- und außenpolitische Perspektiven" durchführte. Hierzu waren bekannte ukrainische "Oppositionelle" eingeladen. Es ging um das Ansinnen der EU, "klare Konditionen" für die Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens zu benennen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz hatte schon vor den ukrainischen Wahlen mit Blick auf Julia Timoschenko die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen und einen Richtungswechsel in Kiew gefordert, "wenn das Land eine europäische Perspektive haben will".

Die intensive Wühltätigkeit der KAS in Rußland ist Moskau nicht entgangen. Über die Rolle der Nichtregierungsorganisationen (NGO) und Stiftungen zeigt sich der Kreml voll im Bilde. Nicht zufällig unterzeichnete Präsident Putin ein Gesetz über die Einschränkung der Aktivitäten im Lande operierender NGOs. Für die meisten von ihnen steht die finanzielle Unterstützung oppositioneller Personen und Gruppen im Vordergrund, um mit deren Hilfe Einfluß auf die russische Innenpolitik zu gewinnen. Begreiflicherweise wurde Putins berechtigtes Stoppsignal von der BRD und den USA als "gravierender Verstoß gegen die Menschenrechte" und "Schlag gegen die Zivilgesellschaft" bezeichnet.

Ein Beispiel dafür, wie die KAS ihre Aktivitäten in Rußland geschickt vorantreibt: Im September 2012 organisierte sie gemeinsam mit der nicht minder notorischen "Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur" in Tscheljabinsk eine "Historikertagung" zu dem harmlos anmutenden Thema: "Das 20. Jahrhundert im Gedächtnis und in der Kommunikation russischer und deutscher Nachkriegsgenerationen".

Als Referent trat der im übel beleumdeten "Forschungsverbund SED-Staat" der Freien Universität Berlin verankerte Prof. Manfred Wilke auf. Verschiedenen Publikationen war zu entnehmen, daß er schon vor 1989 engere Kontakte zu "mittel- und osteuropäischen Oppositionellen" unterhielt, deren gegen die sozialistische Ordnung in ihren Ländern gerichtete Aktivitäten inzwischen ebenso bekannt sind wie ihre Verbindungen zu Geheimdiensten von NATO-Staaten.

Eine weitere "Fachkonferenz" der KAS fand am 30. Januar 2013 im russischen Samara statt. Hier wählte man "Die Rolle der regionalen Menschenrechtsbeauftragten" als Thema. Laut Veranstaltungsplan ging es um die praktische Umsetzung von "Empfehlungen", die durch "Menschenrechtsbeauftragte" an die zuständigen Behörden weitergeleitet und in die Praxis umgesetzt werden sollen.

Einmal mehr wird die arg mißbrauchte Vokabel "Menschenrechte" als Vorwand für die Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten genutzt.

Zieht man Veröffentlichungen unterschiedlicher Art etwas genauer in Betracht, dann tritt eine mehr oder weniger enge Verflechtung zwischen Geheimdiensten und Stiftungen zutage. Unwillkürlich stellt man sich die Frage: Was würde geschehen, wenn Rußland oder jeder beliebige andere Staat in der BRD mit enormen Mitteln ausgestattete Filialen ähnlicher Stiftungen unterhielte, um die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zu destabilisieren?

Dietmar Hänel, Flöha

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Verzicht auf ein "Symbol der deutschen Einheit"

Kein Brückenschlag nach Neuhaus

In einem Zusatz zum Londoner Abkommen von 1945 einigten sich die UdSSR und Großbritannien auf Grenzbegradigungen in Deutschland. So wurde der "Neuhauser Streifen" - ein etwa 50 Kilometer langer, aber meist nur 5 Kilometer breiter Abschnitt am Nordufer der Elbe zwischen Boizenburg und Dömitz, der sowjetischen Besatzungszone zugeschlagen. Zuvor Bestandteil des Kreises Lüneburg der Provinz Hannover, zäumte man dieses Gebiet sehr schnell zum Paradepferd westdeutscher Wiedervereinigungsansprüche auf. So steht im § 3 der Hauptsatzung des Kreises Lüneburg vom 9. März 1959: "Das Kreisgebiet umfaßt 139 Gemeinden, einschließlich der 31 derzeit zur sowjetischen Besatzungszone gehörenden."

Gefährliche Grenzprovokationen und intensive Ballonpropaganda aus dem Westen machten das Südufer der Elbe zu einem Schlachtfeld des Kalten Krieges.

Um so lautstarker war der Jubel bundesdeutscher Politiker, als am 30. Juni 1993 - also vor fast 20 Jahren - die "Wiedereingliederung" des Amtes Neuhaus samt seiner über 6000 ehemaligen DDR-Bürger in den Kreis Lüneburg erfolgte. Bund, Land und Kreis versprachen damals lauthals den Bau einer Brücke, die ein "Symbol der deutschen Einheit" sein sollte. Doch wie es aussieht, dürfte diese Brücke wohl niemals geschlagen werden.

Parallel zu den jüngsten Landtagswahlen, die am 20. Januar abgehalten wurden, erfolgte im Kreisgebiet Lüneburg eine unverbindliche Bürgerbefragung. Bei einer Beteiligung von 47,2 % stimmten 49,5 % der Votierenden vorbehaltlos und 22,4 % unter Kostenvorbehalt für einen Brückenbau, während sich 28,1 % dagegen aussprachen. Die niedersächsischen Landtagswahlen gingen im Amt Neuhaus folgendermaßen aus: Die CDU erhielt 49,9 %, die SPD 18,5 %, die Partei Die Linke 12,3 %, die FDP 8,3 % und die Grünen 4,5 % - das Ganze bei einer Wahlbeteiligung von 65,1 %. Zuvor hatten sich Brückengegner und - befürworter, Medien und Parteien bis zur Polit-Groteske eskalierende Schlammschlachten geliefert. Deren Fortgang dürfte wohl garantiert sein, nachdem nun die in Hannover zu treffende Haushaltsentscheidung über das Projekt befinden wird.

Bereits die vorangegangene Landesregierung aus CDU und FDP mochte über 75 % der Planungskosten und einen Baukostenzuschuß von 1,3 Millionen Euro hinaus nichts beisteuern. SPD und Grüne im Landkreis wollen den eigenen Kostenanteil auf 10 Millionen Euro beschränken. "Schuldenbremsen" und Haushaltssperren werden vermutlich ein übriges tun, den zur Zeit auf eine Kostenhöhe von 45 Millionen veranschlagten Brückenbau bei permanent vorgetäuschter "wilder Entschlossenheit" bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Inzwischen ist auch noch von 450.000 Euro jährlichen Unterhaltskosten die Rede.

Grünen-Fraktionschef Stilke verstieg sich im Rat des Kreises zu der Behauptung: "Sogar der Hubschraubertransport jedes einzelnen Autos wäre billiger als eine Brücke."

Derzeit verursacht die am Tropf hängende Elb-Exklave erhebliche Mehrkosten: "Gastschulgeld" der Gymnasien im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, Schülertaxis nach Bleckede am Südufer, Fährunterhaltskosten und allerlei Maßnahmen, die zum Lebenserhalt der auf unter 5000 Seelen geschrumpften und von Vergreisung bedrohten Einwohnerschaft erforderlich sind.

Die Gegenrechnung: Bei Ausfall der Fähren benötigt man eine Stunde Fahrt über die Lauenburger Brücke zur Kreisstadt Lüneburg, wo Autobahnanschluß und Bahnverbindung für etwa 2000 Neuhäuser Pendler bestehen. Notarzt- und Feuerwehreinsätze sind vom Südufer her kaum möglich. Die letzten gewerblichen Unternehmer wandern ab. Die geschilderten Standortnachteile haben zu einem Niedergang des zu DDR-Zeiten florierenden agrarwirtschaftlichen Mittelpunktortes geführt, der sich rapide fortsetzt.

In der Frage, was nun geschehen soll, scheiden sich die Geister. Jetzt regieren im Land wie im Kreis SPD und Grüne. Die Letztgenannten empfehlen im Verein mit NABU, BUND, VCD und den naturschutzbewegten Linken des Nachbarkreises Lüchow-Dannenberg die Einrichtung eines "Biosphärenreservats" und die von Hamburg aus geplante "Arche-Region" für vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen. Die Gemeinde versucht einen Mittelweg mit "sanftem Tourismus" in der gesamten Elbtalaue und posierte mit diesem Projekt auf der Grünen Woche in Berlin.

Doch diese Erwartungen erfüllten sich zumindest im Neubau des "Biosphäriums" Bleckede noch nicht: Die erhofften Besucher dieses mit Fördermitteln finanzierten Zentrums blieben aus. Ein eigens dafür gefangener Elbe-Biber verendete im Aquarium, ein anderer folgte ihm im Schloßgraben.

Die CDU mit ihrem Verein "Brücke bauen" ist jetzt aus der fiskalischen Verantwortung entlassen, während die SPD nach Wegen sucht, sich herauszumogeln, und die Grünen nach Möglichkeiten Ausschau halten, das Projekt durch "ökologische Baukostensteigerung" zu vereiteln. Die in vielen Neuhäusern geweckte Hoffnung auf "blühende Landschaften" im goldenen Westen erweist sich als Suche nach Regenbogengold. Im Gefolge der Eingliederung in das Land Niedersachsen verloren sie ihre natürliche infrastrukturelle Versorgung aus Mecklenburg-Vorpommern, von dem sie jetzt eine Landesgrenze trennt. Das Fördergeld aus dem Aufbau Ost entfiel dadurch auch.

Der hochverschuldete Kreis Lüneburg büßte 1991 die "Zonenrandförderung" für seine ebenfalls im Niedergang begriffenen östlichen Gemeinden ein und mußte durch Haushaltssperren und die "Schuldenbremse" den Gürtel enger schnallen. Steigende Energiepreise reduzieren den Ausflugsverkehr und verschärfen die Kostenprobleme für Berufspendler. So ist eine weitere Abwanderung der Jugend zu erwarten.

Bei all dem müssen sich die geplagten Neuhäuser auch noch Unterstellungen und Beschimpfungen in den Medien bieten lassen: "Versorgungsmentalität", "DDR-Denken", "Die Mauer muß wieder her!" - so lauten Parolen einiger um ihren Wohlstand besorgter Nachbarn am südlichen Elbufer.

Mir steht da unwillkürlich ein Plakat aus dem Kalten Krieg vor Augen. Es zeigte eine verhärmte alte Frau, die mit entseeltem Blick aus mattem Fenster über die Elbe schaut. Für sie sollten wir am 17. Juni Kerzen anzünden, damit unsere Wirtschaftswundergesellschaft etwas Licht ins kommunistische "Reich der Finsternis" - die SBZ - brächte. Daneben las man die Worte: "Das ganze Deutschland muß es sein - dreigeteilt niemals! Wählt Landrat Hermann Hahn, CDU!". Der war übrigens Mitglied der NSDAP.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Ermutigendes aus der DKP und Erinnern an HHH

Hans Heinz Holz hätte sich gefreut

Als bekannt wurde, daß der zur jüngeren Generation zählende standhafte Kommunist Patrik Köbele - früher Vorsitzender der Bezirksorganisation Ruhr-Westfalen und bisheriger Partei-Vize - auf dem 20. DKP-Parteitag in Mörfelden-Walldorf zum Vorsitzenden der zwar erheblich geschrumpften, doch immer noch größten kommunistischen Partei in Deutschland gewählt worden war, sagte mir, selbst aufatmend, eine Genossin: "Hans Heinz Holz hätte sich bestimmt darüber gefreut."

Dieses Urteil dürfte wohl zutreffen, sorgte sich doch der am 11. Dezember 2011 verstorbene herausragende marxistisch-leninistische Denker um den verheerenden Absturz seiner einstmals im linken Spektrum durchaus einflußreichen Partei.

In deren Führung hatten sich nach der auch die DKP mit in die Tiefe reißenden konterrevolutionären Zerstörung von DDR und SED immer deutlicher ausgeprägte reformistische Einflüsse bemerkbar gemacht. Sie gingen vor allem von einer Gruppierung um den langjährigen Siemens-Betriebsrat und bekannten bayerischen Parteifunktionär Leo Mayer (München) aus.

Von ihr war die DKP gegen den Willen nicht weniger Genossen der durch Lothar Bisky, den inzwischen ausgeschiedenen früheren Vorsitzenden der Partei der Kommunistischen Neugründung Italiens Bertinotti und die FKP-Spitze gegründeten, bisher aber de facto tatenlos gebliebenen Europäischen Linkspartei mit Beobachterstatus zugeführt worden. Auf dem 20. DKP-Parteitag strebten die Kreise um Mayer sogar die Vollmitgliedschaft an.

Patrik Köbele war ein Freund, Schüler und Kampfgefährte des bedeutenden marxistisch-leninistischen Philosophen, Publizisten und Kunstkritikers Hans Heinz Holz. Der hatte Ende der 60er Jahre, als der Zugang zu BRD-Universitäten auch linksorientierten Gelehrten zeitweilig nicht ganz verwehrt wurde, eine Professur in Marburg erhalten. Später wirkte HHH als Ordinarius an der niederländischen Reichsuniversität Groningen.

Als 2007 anläßl ich seines 80. Geburtstages zu Ehren des Jubilars in Berlin ein wissenschaftliches Kolloquium stattfand, hatten sich namhafte Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland eingestellt. Neben früheren Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften der DDR, die jetzt in der Leibniz-Sozietät ihre geistige Heimat gefunden haben, sah man den damaligen Rektor der Universität Lissabon, Prof. José Barata-Moura, den profilierten italienischen Historiker und Philosophen Prof. Domenico Losurdo sowie prominente marxistische Wissenschaftler aus Kuba und anderen Ländern, zugleich auch mehrere Botschafter. In diesem honorigen Feld einen anerkannten Platz einnehmen zu dürfen, empfanden wir als ehrenvoll, zumal Hans Heinz schon vor Jahren aus Erwägungen solidarischer Verbundenheit mit den beim "RotFuchs" versammelten Kommunisten und Sozialisten um Aufnahme in dessen Autorenkreis gebeten hatte.

Unvergeßlich bleiben uns seine begeisternden Vorträge bei Regionalgruppen, vor allem die per Video eingespielte Rede auf der großen Chemnitzer "RotFuchs"-Festveranstaltung aus Anlaß des 190. Geburtstages von Karl Marx. Eine besonders pikante Szene ergab sich im mecklenburgischen Städtchen Waren. Unser couragierter erster Neubrandenburger Regionalgruppenvorsitzender, der leider früh verstorbene Oberst a. D. der NVA Günter Schmidt, hatte Hans Heinz in eine Abiturientenklasse "eingeführt", vor der dieser dort völlig unbekannte Professor zum späteren Entsetzen der Schulbehörde den jungen Leuten marxistische Grundkenntnisse vermittelte.

Anläßlich des 85. Geburtstages von HHH, den er schon nicht mehr erleben konnte, fand am 25. Februar 2012 im überfüllten Münzenberg-Saal des Berliner ND-Gebäudes ein von Mitgliedern und Sympathisanten linker Parteien aus allen Teilen der Bundesrepublik besuchtes, von zwei DKP-Bezirksorganisationen, der Tageszeitung "junge Welt" und dem RF-Förderverein ausgerichtetes Symposium statt. Mehr als 200 Anwesende hörten die Hauptreferate von Dr. Hans-Peter Brenner, der auf dem 20. Parteitag der DKP zu einem der stellvertretenden Vorsitzenden gewählt wurde, und Prof. Domenico Losurdo, der gemeinsam mit HHH Herausgeber der marxistischen Zeitschrift "Topos" war.

Patrik Köbele stellte seinen Vortrag unter das Motto: "Ein Unentbehrlicher fehlt uns". Der Dresdner Kommunist Prof. Wolfgang Triller, Gäste aus Kuba und der Türkei, der infolge von Krankheit verhinderte Dr. Friedrich-Martin Balzer aus Marburg, dessen Rede durch den Österreicher Alfred J. Noll verlesen und interpretiert wurde, sowie der Philosoph Dr. Arnold Schölzel, Chefredakteur der "jungen Welt", hielten fundierte Vorträge.

Das schöpferische Wirken von HHH wurde keineswegs pauschal, sondern äußerst differenziert und unter verschiedenen Aspekten gewürdigt, wobei in einigen Reden die Sorge anklang, seine in den Sog eines Abwärtstrends geratene Partei möge wieder unter volle Segel gelangen.

Während sich andere Redner eher der theoretischen Abstraktion zuwandten und in einer dem Kolloquium spontan folgenden Debatte auch Fragen ohne direkten Zusammenhang mit dem Thema aufgeworfen wurden, beschränkte ich mich im Schlußbeitrag darauf, meinem engen Freund Hans Heinz und seiner Frau Silvia eher sehr persönliche Bemerkungen zu widmen.

Inzwischen liegt das Protokoll des Symposiums in einer vom Berliner Verlag edition ost besorgten, attraktiv gestalteten und 142 Seiten umfassenden Broschüre vor, die für 8,30 Euro unter ISBN 978-3-360-01848-9 erhältlich ist. Sie vermittelt einen informativen Überblick zu Leben und Werk des herausragenden Gelehrten und standhaften deutschen Kommunisten Hans Heinz Holz. Aufmerksame Leser werden dann noch besser verstehen, warum HHH über die Wahl Patrik Köbeles zum Vorsitzenden der DKP Freude und Genugtuung empfunden hätte.

Klaus Steiniger

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Warum ein Zitronenfalter keine Zitronen faltet

Weder sich verbiegen noch sich verbeugen!

Am Scheideweg des Lebens stehen keine Wegweiser", sagte Charles Spencer Chaplin, als er die USA gezwungenermaßen für immer verließ, nachdem ihn Hexenjäger McCarthy in seinem antikommunistischen Kreuzzugswahn "unamerikanischen Verhaltens" bezichtigt und infam beleidigt hatte. Mit diesen Worten reagierte der große Mime auf die Frage eines Reporters, ob er glaube, daß seine Reaktion richtig sei.

In unserer Partei Die Linke vollzieht sich derzeit ein schleichender Wandel. Der eingeschlagene Kurs führt langsam, aber stetig in eine "neue" Richtung. Die "Wegweiser" zeigen nicht mehr eindeutig nach links, sondern eher zur Mitte. Der neue Weg wird nicht wie zuvor von unten, also von der Basis bestimmt, wo man nach wie vor dem Volk "aufs Maul schaut", sondern von oben. Dort hat man beschlossen, daß "wir gebraucht werden", um Schwarz/Gelb abzulösen. Doch an uns ist Rot/Grün ja vorbeigefahren, weil sie uns gerade nicht brauchten. Wir haben gehupt, gerufen und den Daumen gehoben, doch sie haben uns einfach stehengelassen, ohne uns zu beachten. Sie gelangen - zumindest auf Länderebene - auch ohne uns ans Ziel.

So steigen wir nun auf unseren kleinen Karren und hasten hinterher, statt abzubiegen, um wieder unseren eigenen Weg zu verfolgen. Denn um die anderen einzuholen, müßten wir Ballast abwerfen. Der aber sind unsere Grundsätze. Dabei wollten wir doch gerade durch eine Richtungsänderung mehr Gewicht bekommen. Ein Beispiel zeigt, welchen "Ballast" wir abwerfen: Aus "Weg von Hartz IV!" ist plötzlich "Hartz IV - 500 Euro!" geworden.

Doch die Leute in den großen Autos, bei denen wir wenigsten im Kofferraum gerne mitfahren würden, legen auf solche Passagiere gar keinen Wert. Als sie uns in Hessen mitnehmen wollten und Frau Ypsilanti uns sogar schon die Tür aufgemacht hatte, verhinderten vier Mitglieder ihrer Mannschaft, daß wir einsteigen konnten. Haben wir das denn schon vergessen?

Wir besitzen doch ein eigenes Profil. Laßt uns doch unseren Weg weitergehen, ohne daß wir uns verbiegen! Wenn wir so weitermachen, verlieren wir unser wichtigstes Attribut: die politische Glaubwürdigkeit. In jedem Januar ehren wir Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Warum wollen wir das historische Erbe, das sie uns hinterlassen haben, preisgeben, statt es mit Leidenschaft zu verteidigen? Unsere Stärke sollte darin bestehen, unbeirrt weiterzugehen und das zu vollenden, was von anderen begonnen wurde.

Die Zeiten haben sich zwar geändert, aber Moral, Anstand und Menschlichkeit besitzen bei uns auch weiterhin ihren Stellenwert.

Wollen wir am Abend des 22. September 2013 nach der Bundestagswahl wieder mit leeren Händen dastehen? Laßt uns doch keine Stimmen erkämpfen, um sie später an Rot/Grün für Brosamen zu verschenken, die sie uns zuwerfen, wenn sie mit unserer Hilfe die Macht unter sich aufteilen.

Wir sind angetreten, um das System zum Nutzen der Menschen zu verändern, nicht aber, um nur die Köpfe auszuwechseln und ein paar kleine Reparaturen vorzunehmen.

Warum blicken wir nicht nach Brandenburg? Dort sind gerade 1900 Stellen für Staatsbedienstete gestrichen worden, weil die Kosten für den Großflughafen ins unermeßliche steigen.

Wer jetzt aber glaubt, die SPD werde sagen, sie allein trage die Schuld daran, der geht offenbar von der Vorstellung aus, daß ein Zitronenfalter Zitronen faltet. Die Mitschuld daran, die man uns als dem Koalitionspartner der SPD in Brandenburg anlasten wird, könnte uns zu Verlierern machen.

Wenn wir in eine Regierung Rot/Grün einträten, müßten wir für alles mithaften, was dieses Kabinett zu verantworten hat. Und daß Rot wie Grün auf dem besten Wege ist, der neoliberalen Vorgabe zu folgen, hat uns ja schon die Schröder-Fischer-Regierung vor Jahren demonstriert.

Warum wollen und sollen wir unter solchen Umständen unseren Weg verlassen? Der Erfolg erfordert Geduld. Ein chinesisches Sprichwort besagt: "Um ein Ziel zu erreichen, ist es egal, ob du schnell oder langsam gehst, solange du nicht stehen bleibst."

Quo vadis, Linkspartei?

Joachim Augustin, Bockhorn


Unser Autor ist Mitglied des Kreisvorstandes Friesland der Partei Die Linke.

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Ein Monument aus rotem Porphyr als Symbol

Die Rede, die Leo Kuntz bei der Einweihung eines Gedenksteins aus Anlaß des 80. Jahrestages der letzten ZK- und Funktionärstagung der KPD mit Ernst Thälmann in Ziegenhals hielt, haben wir im RF 182 dokumentiert. Im folgenden bringen wir Auszüge aus der nicht minder bedeutsamen Ansprache von Michael Wippold. Der Vorsitzende des Linken Aktionsbündnisses erklärte u. a.:

Wir, die linken Kräfte und antifaschistischen Akteure, lernten uns in gemeinsamer Arbeit besser kennen und auch schätzen. Wir handelten organisiert und solidarisch. Eben in Aktionseinheit, ganz im Sinne der Ziegenhalser Konferenz vor 80 Jahren. Stärker als unsere politischen Differenzen und der Drang zur Profilierung war der Wille, gemeinsam im Bündnis der Linken etwas zu schaffen, was die Zeiten überdauert. Wir überwanden teils tiefe Gräben des Mißtrauens, die seit Jahrzehnten zwischen linken Gruppierungen klaffen. Gräben, deren Ausmaß mich manches Mal erschaudern ließ. Das liegt nun hinter uns und darauf können wir mit Recht stolz sein! Das macht Mut für die Zukunft!

Nun steht er hier, der Stein - aus rotem Porphyr, aus einem längst stillgelegten Steinbruch, von dem auch das Material der geschleiften Gedenkstätte stammte. Entdeckt, herangeschafft und grob behauen durch den Bildhauer und Steinmetz Wolfgang Gaul aus Königs Wusterhausen, der dies alles tat, ohne ein Honorar zu verlangen.

Nun steht er hier, der Stein - wie gewachsen, Teil der Welt, roh, kantig, kräftig. Ein Markstein für eine wichtige Station auf unserem Weg zum Sieg der Menschlichkeit, der Vernunft und Gerechtigkeit in der Gesellschaft. An dieser Stelle waren Kommunisten die ersten in Deutschland, die den Widerstand gegen die faschistische Herrschaft organisierten! Eine historische Tat, die bis in die Gegenwart und Zukunft wirkt, deren Bedeutung auch mit Hilfe des Gedenksteins unvergessen bleibt.

Unser Aktionsbündnis hat damit eigentlich seine Aufgabe erfüllt. Aber wir würden nicht selbst aus der Geschichte lernen, wenn es dabei bliebe. Und deshalb möchte ich das vielleicht Beste zum Schluß noch erwähnen. Wir haben beschlossen, daß das Aktionsbündnis weiter bestehen bleibt, um neue linke Projekte gemeinsam mit Erfolg zu verwirklichen!

NO PASARAN!

Michael Wippold

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Warum ein Holländer die Schuhe wechselte
[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Auf den Töpfchen unterm Stalin-Bild

Im Nachbarstaat DDR ließen Eltern zu 80 Prozent bereits ihre Säuglinge kollektivieren. Deshalb wurde und wird die latente Gewaltbereitschaft der ehemaligen Krippenkinder nach ihrer Einführung in den freien Westen ... nur allzu häufig manifest: als Neonazi-Provokation und Messerstecherelend, Ausländerfeindlichkeit und Alkoholsucht. Rund 19 Prozent der 16 Millionen Ostdeutschen sind chronische Alkoholiker, und das bedeutet ebenfalls chronische Gewaltbereitschaft", hieß es in einer Studie der Uni Hannover. Ein Leser der "Freien Presse" zitierte diese Passage in seiner Zuschrift an die Redaktion der in Chemnitz erscheinenden Zeitung.

Angstschweiß legte sich auf meine Stirn. Ich kollektiviertes Unglück war ja auch ein Krippenkind. Das hatte ich noch nicht der Stasi-Unterlagenbehörde und dem Verfassungsschutz gemeldet! Auch im Antrag für einen Kredit bei der Bank wurde es von mir verschwiegen. Schluß damit! Heraus mit der Wahrheit! Selbst den Drittel-Liter Wein am Wochenende lasse ich nicht ungemeldet!

Doch bevor ich meine Selbstzerfleischung fortsetze, will ich Prof. Dr. Christian Pfeiffer, Jahrgang 1944, SPD-Mitglied, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts an der Universität Hannover, der von 2000 bis 2003 Justizminister des Landes Niedersachsen war und 1993 das Bundesverdienstkreuz am Bande erhielt, als dem Kenner unter den Kennern das Wort erteilen: "... In der pädagogischen Literatur der DDR kann man nachlesen, daß die Erziehungsrichtlinien extrem von der Orientierung auf Disziplin, Ordnung, Sauberkeit und vor allem von Anpassung an die Gruppe dominiert wurden. Das fing bei den Kleinkindern an, bei denen man mit enormem Drill die Topfzeiten durchgesetzt hat. Solche Dressurakte hinterlassen Spuren in der Persönlichkeitsentwicklung. (...) In Ostdeutschland besteht für Ausländer ein 20- bis 30 Mal höheres Risiko, auf der Straße überfallen zu werden, als in Westdeutschland. (...) Wer in seiner Jugend daran gehindert wurde, seine Individualität frei zu entfalten, und gelernt hat, sich primär aus der Gruppe heraus zu definieren, reagiert auf Fremde eher mit Gefühlen der Unsicherheit und des Bedrohtseins.

Hinzu kommt, daß es in der DDR eine sehr starke Erziehung zum Feindbild gab. Auch das ist eine Basis für Fremdenfeindlichkeit", teilte er den Konsumenten der Dresdner "Sächsischen Zeitung" am 13. August 1997 mit.

Am 11. Mai 1999 fragte der Berliner "Tagesspiegel", ob Pfeiffers Feststellungen zutreffend seien: "... Pfeiffer fiel auf, daß werdende Männer ländlicher Gegenden im Osten stark zur Rottenbildung neigen. Er führt es auf den Topf-Kommunismus zurück. Auf die Ur-Rotte der Einjährigen. Rottenbildung ist ein pubertäres Phänomen der männlichen Jugend vieler höherer Säugetierarten. (...) Manchmal denken Menschen im Westen laut darüber nach, ob frühere DDR-Bürger eigentlich richtige Erwachsene sind. Sie formulieren das dann bloß ein bißchen anders. Haben Ostdeutsche ein Gewissen? Die meisten sind ohne Gott aufgewachsen. Folglich ohne Moral? (...) Pfeiffer hat ja recht. War schon ziemlich autoritär ausgedacht, dieses DDR-Erziehungssystem", resümierte das elitäre Blatt in Rottenbildung mit der restlichen Journaille der Bourgeoisie.

Mein Fan-Bruder wird mich fortan ignorieren, mein Zahnarzt sich angewidert abwenden, doch ich bekenne: "Ich war ein DDR-Krippenkind!"

Suppenillu, Spiegel, Freie Presse, MDR sticheln immer wieder. IM, Pionierleiter, Richter, Lehrer, Hebammen, Ärzte, Trainer, Grenzerkommandeure mußten schon dran glauben. Wir Krippenkinder aber sollten uns die Reste unseres infantilen Frohsinns - Wißt ihr noch, wenn es Pfannkuchen gab, he - und unserer legendären Sauberkeit ("Erst der Po und dann die Pfoten, andersrum ist es verboten!") bewahren. Warten wir nicht, bis man uns einzeln entlarvt. Handeln wir, wie wir es mit dem Breichen eingelöffelt bekommen haben: in Gruppe. Wenn mich meine Mama am Montagmorgen gegen sechs entsorgte ... Ja, ihr habt richtig gehört! Ich wurde montags abgegeben und freitags achtzehnuhrdreißig abgeholt. Abendverpflegung wurde noch dort ausgereicht. Ich bin das ideelle Gesamtkrippenkind, das Krippenkind an sich, der "Mielke" unter all den Hosenscheißern. Nach meinem damaligen Kaderentwicklungsplan (siehe "Stasi"-Akte) sollte ich Staatssekretär für Kirchenfragen werden - etwa 1994. Mein erstes Wort war nicht "Mama", sondern "A - a" (das zweite war schon "Morgenappell"). Denn nur, wer Stuhldrang durch Handaufheben meldete, wurde vom Bett abgefesselt. Wer eingeplattert hatte, wurde von der Meute kreischend mit Fröbel-Holzklötzchen gesteinigt. An den Narben auf der Stirn erkenne ich noch heute jedes ehemalige Krippenkind.

Aber es gab auch heitere Momente: Wir saßen auf den Töpfchen unterm Stalin-Bild, die Tante sang "Suliko" zur Harmonika, wenn nicht gerade Ulbricht im Radio sprach, und wir durften nur aufstehen, wenn alle gemacht hatten. Deshalb unternehme ich auch heute so gerne Busreisen mit der Volkssolidarität. Das Urinieren im Kollektiv an der Raststätte Bayreuth-Nord: einmalig!

Wir haben das alles verdrängt! Inzwischen wissen wir natürlich, daß wir nicht WIR, sondern ICH sagen müssen. Aber WIR kann das nicht.

Wenn wir am Klärwerk in einer Art Hundegeschirr spazierengeführt wurden, haben wir immer aufeinander gewartet. Später, im Demo-Zug der FDJ, brauchte uns kein Zehnergruppenleiter zu erklären, wie man Reihe hält. Und 89 auf dem Leipziger Ring! War das ein Gruppenkuscheln! Kriminologen und Psychologen aus dem Westen helfen uns jetzt dabei, uns aufzuarbeiten. Die Erwachsenen von drüben sind uns aber gar nicht böse. Das gefällt uns, denn in der Krippe haben wir auch Lob bekommen. Unsere Wochenkrippe trug den Ehrentitel "Bereich der vorbildlichen Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit". Das bekam nicht jeder. Nur die Schweinemastanlage und wir.

Manchmal, einmal im Jahr, zum Internationalen Kindertag, trifft sich unsere Kindergruppe "Leo Jogiches" wieder. Dann wundern wir uns, daß wir aus Frauen und Männern bestehen. Denn in der Krippe waren wir immer nur künftige sozialistische Menschen gewesen. Einmal, als meine Mutter mich abholte, sagte die Vollzugsangestellte zu ihr: "Ihr Kind hat während der Mittagsruhe sein Geschlecht entdeckt". "So?", sagte meine Mutter "welches hat es denn?" Sie versprach, daß sie die Ernährung umstellen würde.

Zwar habe ich als ehemaliges DDR-Krippenkind keinen farbigen nichtdeutschen Mitbürger erschlagen und keinen Vertreter des vietnamesischen Volkes mit gesichertem Aufenthaltsstatus flambiert. Und auf einen sich hierzulande aufhaltenden polnischen Nachbarn habe ich auch nicht den Hund gehetzt. Insofern genügte ich nicht allen Ansprüchen unseres kriminologischen Analytikers aus dem Westen.

Aber das wird noch, meint man, wenn der Krippencorpsgeist uns wieder ergreift und wir die Bomberjacken anziehen. Wir stehen eben erst auf, wenn alle was gemacht haben.

G. L., Chemnitz

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Angelas "kinderfreundliches Land"

Seit Jahr und Tag versucht Frau Merkel, die BRD als "Bildungsrepublik Deutschland" zu verkaufen. Nun beginnt Bildung bekanntlich bei den Jüngsten. Und es ist eine Binsenwahrheit, daß jene, die in Krippe und Kindergarten auf die Schule vorbereitet werden, dort bessere Leistungen aufzuweisen haben als andere, denen das abgeht. Die DDR hat das aller Welt vor Augen geführt.

Was indes die landesweite Ausstattung der BRD mit solchen Einrichtungen betrifft, nimmt sie im Kreis der Industrieländer eher einen hinteren Platz ein. Unter dem Druck der Öffentlichkeit beschloß der Bundestag pro forma, daß Mütter ab 1. August dieses Jahres Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz haben sollen. Tatsächlich fehlen derzeit jedoch bis zu 200.000 Plätze und Zehntausende Fachkräfte zur Betreuung der Kinder. Die Regierungskoalition flüchtete sich deshalb in eine durch Kuhhandel zwischen Parteien zustande gekommene Gesetzesvorlage über sogenanntes Betreuungsgeld. Es knüpft an die berüchtigte "Drei K"-Tradition an: Kinder, Küche, Kirche. Bei einer repräsentativen Umfrage wiesen 55 % der Bundesbürger die Neuregelung zurück.

Das "Betreuungsgeld", auch "Herdprämie" genannt, soll junge Mütter davon abhalten, den Nachwuchs in Krippe oder Kindergarten zu geben. Auf solche Weise will man dem Dilemma fehlender Einrichtungen und Fachkräfte entgehen.

Die Handhabung des "Betreuungsgeldes" ist ein typisches Beispiel bürgerlich-kapitalistischer Klassenpolitik: Besserverdienende, die ihre Kinder ohne weiteres in ihnen zugängliche Einrichtungen geben könnten, sollen die "Herdprämie" ebenso erhalten wie Geringverdiener, die ihren Nachwuchs in den eigenen vier Wänden aufziehen müssen.

Vom "Betreuungsgeld" werden de facto von Armut betroffene oder armutsgefährdete Familien, Alleinerziehende, Hartz-IV-Bezieher, Sozialleistungsempfänger und Migranten ausgeschlossen. Bei ihnen soll es mit Ansprüchen auf Sozialleistungen "verrechnet" werden.

Aufschlußgebend sind auch die monatlichen Gebühren, welche pro Betreuungsplatz - nach Einkommen gestaffelt - erhoben werden. Einschließlich Verpflegung sind das in den 40 größten Städten der BRD Beträge zwischen 210 und 585 €, wobei private Einrichtungen sogar über 1000 € kosten.

Ein Wort zur Ausstattung der Einrichtungen und der geforderten Qualifikation der Betreuungskräfte. "Rund 80 % der deutschen Krippen erreichen - bei großen Unterschieden - lediglich Mittelmaß. Nicht einmal eine von zehn Einrichtungen ist 'gut' oder 'besser'. Alles, was über sichere Betreuung hinausgeht, bleibt auf der Strecke. Bildung zum Beispiel. Gute Ausstattung macht indes noch keine gute Pädagogik", schrieb die großbürgerliche "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung".

Wie maßgebliche Stellen der Bundesregierung das pädagogische Personal beurteilen, verriet die Erwägung, von Schlecker auf die Straße geworfene Frauen als "Notnagel" zu benutzen. Offenbar betrachtet man Kinderbetreuung in erster Linie als Verwahrung. Das frühkindliche Aufwachsen verlangt indes vor allem fachgerechte Fürsorge, was in der BRD absolut sekundär zu sein scheint.

Nun soll keineswegs in Zweifel gezogen werden, daß hierzulande in vielen Einrichtungen gut ausgebildete und hervorragend befähigte pädagogische Fachkräfte tätig sind, die mit Hingabe ihrer Verantwortung gerecht werden. Das ist im Urteil von Sozialverbänden jedoch nicht generell der Fall. Offenbar hängen Defizite mit der völlig unzureichenden Vergütung des Personals zusammen. Die Sparmaßnahmen der Regierung und die akute Finanznot vieler Kommunen führen dazu, daß immer mehr niedrigbezahlte Betreuer eingestellt werden. Stundensätze von 7 € sind keine Seltenheit. Die Bundesagentur für Arbeit wies schon 2011 darauf hin, daß nicht wenige Kindergärtnerinnen und Krippenpflegerinnen durch Zeitarbeitsunternehmen entlohnt werden.

Das Porträt der "Bildungsrepublik Deutschland" bedarf weiterer Schärfung der Konturen. Vor allem ist darauf zu verweisen, daß die Umverteilung von unten nach oben auch in dieser Hinsicht die Klassenspaltung vertieft. 40 % aller Kinder unter drei Jahren leben in der BRD von Stütze. In den Großstädten geht jede dritte Familie mit Kleinkindern zum Sozialamt. Jedes siebente Kind muß von Hartz-IV-Bezügen leben, im Osten sogar jedes vierte. Das Armutsrisiko von Kindern beträgt etwa 30 %. Selbst dem Bildungsbericht der Bundesregierung für das Jahr 2012 ist zu entnehmen, daß "ein nicht unbedeutender Teil der Kinder in einer Risikolage aufwächst".

Wenn in Armut lebende oder durch sie gefährdete Kinder zur Schule kommen, beginnt für viele von ihnen ein Martyrium. Was andere sich leisten können, bleibt den Armen verwehrt. Das gilt für Frühstück, warme Mahlzeiten, Kleidung, Klassenfahrten und Kindergeburtstage. Sich verfestigende Kinderarmut führt bei den Betroffenen zu sozialer Isolierung, Chancenungleichheit, frühzeitigem Scheitern und Depression.

Zum Bildungs-Alltag der BRD gehört auch, daß jedes fünfte Kind keine Möglichkeit hat, fehlerfrei Lesen oder Schreiben zu lernen. Die "Versager" erreichen das Ziel ihrer Klasse nicht, werden als "Absteiger" betrachtet und "abgeschult". Jedes zehnte Kind verläßt die Anstalt ohne Abschluß mit dem Prädikat "nicht ausbildungsreif". Den "Abgeschulten" wird "Bildungsarmut" bescheinigt. Sie werden in die Kategorie der "Bildungsverlierer" eingeordnet und besitzen keine Zukunftsperspektive. Man entläßt sie in ein Leben, das für sie nur das Scheitern in Aussicht stellt. Noch nicht einmal jeder dritte Bundesbürger betrachtet Merkels "Bildungsrepublik" als "kinderfreundliches Land".

Der namhafte Bochumer Soziologe Wilhelm Heitmeyer konstatiert: "Heute geht unter den Eltern die Angst um, daß der Aufzug für ihre Kinder im Schacht hängenbleibt." So sind 70 % der deutschen Haushalte inzwischen ohne Kinder. Dabei spielt die Entscheidung zwischen einem Kind und dem Erhalt des Arbeitsplatzes oder Karriere von Frauen eine wesentliche Rolle. Kein Wunder, daß die BRD bei Geburtenzahlen Europas Schlußlicht bildet.

Im mächtigsten Staat des Kontinents ist vor allem Elite gefragt. Es gilt das Bildungsprivileg. Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" meinte dazu: "Mehr Kinder müssen her, vor allem die richtigen Kinder - Akademiker-Kinder." Um von der eigenen kinderfeindlichen Politik abzulenken, rührt man unaufhörlich die Trommel der DDR-Dämonisierung. Warum wohl?

Im sozialistischen deutschen Staat waren Begriffe wie Kinderarmut, Bildungsferne oder Restschule völlig unbekannt. Als Voraussetzung für eine harmonische körperliche und geistige Entwicklung der Heranwachsenden gab es Kindertages-, -wochen- und Saisonkrippen, Kindergärten, Kinderhorte sowie Schulhorte im Anschluß an den Unterricht. Der Besuch der Kinderkrippen und -gärten war kostenlos. Nur 35 Pfennige mußten für das Mittagessen entrichtet werden. Nach der Annexion der DDR, dem Raub ihres Volkseigentums und des "Humankapitals" durch die herrschende Klasse der BRD genossen die Profiteure der Konterrevolution vor allem auch die Verfügbarkeit und Kreativität der jungen, hochqualifizierten Facharbeiter, die ihnen als Ausbeutungsobjekte in die Hände gefallen waren.

Ein Vergleich der Kinder- und Bildungspolitik der beiden deutschen Staaten offenbart die haushohe Überlegenheit der DDR.

Prof. Dr. Georg Grasnick

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Wo der Rohrstock tanzte
[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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HerumMOZen über Merkel und Margot

Unter der Schlagzeile "Merkels Jagd nach Kupfer" berichtete die im Herummotzen erfahrene "Märkische Oderzeitung" (MOZ) über einen inzwischen bereits länger zurückliegenden Wochenendtrip der BRD-Regierungs-Chefin nach Santiago. Natürlich war die politische Spitzenkraft zur Durchsetzung der Profitwünsche des deutschen Kapitals nicht als gewöhnliche Wochenendtouristin nach Chile gereist.

"Lateinamerikas Wirtschaft wächst. Die Kanzlerin will einen deutschen Draht dahin spannen. ... Es geht um Kupfer ... Bis jetzt", machte MOZ-Redakteurin Kristina Dunz ihren Lesern keinen blauen Dunst vor. Übrigens sei "eine prominente Frau aus der DDR schon lange vor der Bundeskanzlerin nach Chile gekommen. Seit 1992 lebt die Witwe des einstigen DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker dort im politischen Asyl", hieß es der Wahrheit entsprechend. Dann aber folgte die pflichtschuldige Dosis Antikommunismus, wobei auf "Mauertote" und "Stasi-Unrecht" natürlich nicht verzichtet werden konnte. So würden sich - laut MOZ - "die mächtigste Frau der untergegangenen DDR und die heute wohl mächtigste Frau der Welt (!!!) in der chilenischen Hauptstadt vermutlich nicht treffen."

Eine solche Zumutung für Margot Honecker wollte die MOZ-Autorin nicht in Erwägung ziehen. Es fragt sich, ob Frau Merkels "Shoppingtour" im Auftrag der bundesdeutschen Industrie wirklich so uninteressant war, daß man nicht ohne verächtliche Bemerkungen über die langjährige Volksbildungsministerin der DDR auszukommen vermochte. Was - in drei Teufels Namen - hätte Margot Honecker denn auch der einstigen DDR-Musterschülerin Angela Merkel bei einer unterstellten Begegnung zu sagen gehabt? Sollte sie sich etwa bei der selbst eher ungläubigen und nur nach Macht strebenden Tochter eines ehrenwerten evangelischen Pastors dafür entschuldigen, daß ihr die DDR neben dem kostenfreien Studium im eigenen Land auch noch eine Zusatzausbildung in der UdSSR zuzumuten gewagt hatte? Sollte sie den fehlinvestierten Betrag von der einstigen FDJ-Agitatorin gar zurückfordern? Oder hätte sie Frau Merkel bei einem gemeinsamen Gang beider zu den Gräbern Victor Jaras und Tausender anderer durch das Pinochet-Regime ermordeter Chilenen an das Verhalten der BRD zum faschistischen Putsch gegen Allende erinnern und sie zu einem reuigen Kniefall bewegen sollen? Eine solche Nachhilfestunde für die Kanzlerin des Staates der Komplizen von einst wäre wohl ebenso fehl am Platze gewesen.

Nein, ein auch nur hypothetisches Zusammentreffen der lebenslangen Kämpferin für die kommunistische Idee und einer manisch aufstiegsbessenen Mantelwenderin übersteigt die Grenzen bizarrer Phantasie wie des guten Geschmacks.

Margot Honecker, die im Oktober 1949 als jüngste Abgeordnete der Provisorischen Volkskammer Wilhelm Pieck zu seiner Wahl als Präsident der DDR gratulierte, befindet sich in Santiago zwar im Exil, aber zugleich auch in der Obhut verläßlicher Freunde. Zu ihnen zählten bis zu ihrem Tode die legendäre Gladys Marin sowie der durch weltweite Solidarität gerettete Luís Corvalán. Unser Mitstreiter Rudolf Herz fotografierte Margot Honecker, als sie die Corvaláns in deren Haus besuchte.

Cornelia Noack

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Aus Eddas Blickwinkel: Anna stellt Fragen

Was ich schon immer mal fragen wollte", sagt Anna, meine Tochter, nachdem sie einen TV-Bericht über die Zeit des Faschismus in Deutschland gesehen hat. "Bist du eigentlich in Hitlers Bund Deutscher Mädchen - dem BDM - gewesen?"

"Nein, denn ich war bei Kriegsende gerade sechs, in den BDM aber wurde man erst mit zehn aufgenommen."

"Wärst Du es denn gewesen, wenn Du das Alter gehabt hättest?" bohrt Anna weiter.

"Wer kann das wissen? Wahrscheinlich. Zwar gehörten Oma und Opa nicht der Nazipartei an, zählten aber zu den vielen von ihr Beeinflußten. Deine Urgroßeltern hatten sie zwar gewarnt, das könne nicht gutgehen, doch sie waren schon zu verblendet."

"Erinnerst Du Dich an diese Zeit?" bleibt Anna dran. "Kaum. Oma hatte Vorräte angelegt und uns eine Weile damit durchgebracht. Darauf war sie ebenso stolz wie auf Opas Einsatz im okkupierten Frankreich." "Hatte sie denn gar keine Bedenken?" "Erst als Opa und ihre beiden Brüder an die Ostfront mußten, begann sie sich zu sorgen. Wahrscheinlich wurde ihr Weltbild erschüttert, als Onkel Heinrich Fronturlaub hatte und voller Wut auf Hitler und den Krieg sagte, er kämpfe nur noch für seine Kameraden, nicht aber für den 'Teppichbeißer'. Omas Vorstellung brach erst zusammen, als ihr jüngster Bruder bei Stalingrad fiel. Vor mir hat sie nie geweint, bis Opa 1946 aus sowjetischer Gefangenschaft heimkehrte."

"Hat Opa denn vom Krieg erzählt?" "Kein Wort."

Nachdenklich sagt Anna: "Ich habe gar nicht gemerkt, daß Oma und Opa Nazianhänger waren."

"Sie haben sich wie die meisten Deutschen deren Einfluß nicht entziehen können. Danach war es ihnen offenbar peinlich, zu spät erkannt zu haben, auf was sie sich da eingelassen hatten." "Haben sie sich denn noch geändert?" "Ich denke schon. Sie nahmen den Wandel, der sich in ihnen vollzog, aber selbst gar nicht wahr. Oma war sehr erstaunt, als sie wegen ihrer Ansichten von der Westverwandtschaft geringschätzig als 'Kommunistin' bezeichnet wurde." "Na, da war sie ja endlich eins mit Dir", sagt Anna.

"Jeder lebt in seiner Zeit. Ich hatte das große Glück, unter ganz anderen, menschlicheren Verhältnissen aufzuwachsen, zu lernen, zu studieren und zu arbeiten. Über die Fehler, die schließlich zur Konterrevolution führten und uns in den Kapitalismus zurückwarfen, haben wir ja schon gesprochen."

"Konterrevolution?" "Ja, denn von Wende mag ich nicht reden, weil dieses Wort eher Neues und Positives ausdrückt. Sagt man nicht auch 'Wende zum Guten'? Doch der Kapitalismus hat so etwas wahrlich nicht zu bieten."

"Was erwartest Du eigentlich von mir?" will Anna wissen. "Mitgefühl und Verantwortung sind mir wichtig. Nicht jeder ist ein Kämpfer, aber alle können sich stets bei dem, was geschieht, die Frage stellen: Wem nützt es?"

Edda Winkel

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Vor 50 Jahren wurde Reinhold Huhn erschossen

Ein Mörder als Idol

In der BRD, die sich gerne als "demokratischer Rechtsstaat" präsentiert, ist es an der Tagesordnung, daß kaltblütige Mörder von den Medien zu Helden hochstilisiert und deren Opfer in Täter umgefälscht werden.

Erst unlängst verurteilte die in dieser Hinsicht als geradezu "avangardistisch" zu bezeichnende Dresdner Justiz einen Teilnehmer an der Blockade gegen Nazis zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung.

Kaum anders ist das Bemühen der hiesigen Tageszeitung "Freies Wort" zu werten, den überführten Mörder des Unteroffiziers der DDR-Grenztruppen Reinhold Huhn nachträglich auf ein Heldenpodest zu stellen und das Opfer der Bluttat durch "Anmelden von Zweifeln" in Verruf zu bringen. Einmal mehr wird die Geschichte aus niederen antikommunistischen Beweggründen zur Hure gemacht.

So harmlos, als werde ein Landarzt im Ruhestand vorgestellt, leitete "FW"-Autor Marco Schreiber seinen Bericht unter der provozierenden Schlagzeile "Justitia braucht einen Mörder" ein.

"Vor 50 Jahren schoß Rudolf Müller in Berlin auf Reinhold Huhn. Als Mörder des Grenzsoldaten verurteilt, verarbeitet er in seinem Ruhesitz bei Schmalkalden seine Erlebnisse", wirbt Marco Schreiber für den durch ihn Porträtierten. "Diesen Mann hält das oberste deutsche Strafgericht also für einen Mörder.

Der feste Händedruck, der gerade Blick und das freundliche Lächeln wirken verbindlich und geradlinig. ... Einen Typen wie Rudolf Müller ­... kann man sich auch gut als Skatkumpel denken", nimmt die Eloge ihren Fortgang. Vor einem halben Jahrhundert habe das "Arbeiterkind" an der Berliner Mauer einen Menschen erschossen, wird lakonisch vermerkt. Der Tote sei zum Helden erklärt, Schulen und Straßen nach ihm benannt worden.

Demgegenüber habe Müller beim DGB Karriere gemacht und sich nicht für seine Tat verantworten müssen, bis ihm "acht Jahre nach dem Mauerfall" ein Haftbefehl zugestellt worden sei. Im Dezember 1998 sei dann der Fall vom Berliner Landgericht aufgerollt worden. Die Anklage lautete auf Mord, heißt es im "FW"-Bericht. Müllers Konterfei ist gleich doppelt zu betrachten: Einmal im Fluchttunnel nach Westberlin, ein anderes Mal beim "Aufarbeiten seiner Geschichte".

In den 90er Jahren wütete die Siegerjustiz des deutschen Imperialismus mit Dutzenden Verfahren gegen Soldaten und Offiziere der DDR-Grenztruppen. Um den Eindruck von Ausgewogenheit zu erzeugen, habe auch Müller dran glauben müssen, meint Marco Schreiber. Am 22. April 1999 sei er wegen Totschlags im minderschweren Fall bei zweijähriger Bewährung zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. Der überführte und verurteilte Täter setzte auf einen günstigen Verlauf seines Revisionsverfahrens vor dem Fünften Strafsenat des Bundesgerichtshofes unter der späteren Generalbundesanwältin Monika Harms.

Erst im Sommer 2000 änderte das oberste Gericht der BRD das zu ahndende Delikt in Mord ab, da bei den Schüssen auf Reinhold Huhn Heimtücke vorgelegen habe. Der ahnungslose DDR-Grenzsoldat, der seinen Mörder im Fluchttunnel zu stellen versuchte, sei aus nächster Nähe niedergestreckt worden. Obwohl auf Mord generell eine lebenslängliche Freiheitsstrafe steht, beließ es der Fünfte Senat bei dem ursprünglich festgelegten Strafmaß. Es habe sich um einen "gänzlich untypischen Mord" gehandelt, hieß es zur Begründung der skandalösen Rechtsbeugung. Schließlich habe sich Müller in einer "Notstandslage" befunden.

Um selbst dieses Urteil zu Fall zu bringen, wandte sich der antikommunistische Kapitalverbrecher im Herbst 2000 an das Bundesverfassungsgericht, das seine Beschwerde abwies. Seitdem hat er sich in den thüringischen Flecken Nüßleshof verkrochen, wo er überwiegend "literarisch tätig" ist.

Müller, der an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät studieren konnte und zeitweilig Volkspolizist, dann aber bis zum 13. August 1961 - inzwischen wegen Staatsverleumdung vorbestraft - ein in Westberlin arbeitender Grenzgänger war, hat eine 440 Seiten starke Räuberpistole zur Rechtfertigung des Ziehens einer echten Mordwaffe sowie zwei weitere Elaborate desselben Genres fabriziert. Mit einer besonders perfiden Verschwörungstheorie versucht er den Eindruck zu erwecken, der DDR-Geheimdienst habe den Tod Reinhold Huhns von langer Hand vorbereitet und ihn lediglich als Vollstrecker auserkoren.

Daß sich "Freies Wort" - einstmals eine sozialistische Tageszeitung und heute ein Konzernblatt - darauf einläßt, seinen Lesern eine derart übelriechende Bouillon aus der antikommunistischen Sudelküche gewisser "Gedenkstätten"-Verwalter aufzutischen, ist unterhalb des Niveaus selbst jener, welche auf dieser Strecke bereits eine gewisse Perfektion erreicht haben.

Hans Linke, Suhl

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RF-Extra

Wie stand es in der DDR um die Meinungs- und Pressefreiheit?

Auskünfte eines Insiders

In ihrer Februar-Ausgabe veröffentlichte die vom Arbeitskreis Sozialismus in Wissenschaft und Politik herausgegebene Vierteljahresschrift "Theorie & Praxis" (T & P) ein Interview mit "RotFuchs"-Chefredakteur Klaus Steiniger. Die Herausgabe dieser Publikation erfolgte auf Initiative des 2011 verstorbenen marxistisch-leninistischen Philosophen Prof. Dr. Hans Heinz Holz (San Abbondio). Zum Herausgeberkreis gehören namhafte Kommunisten, unter ihnen der heutige DKP-Vorsitzende Patrik Köbele (Essen) und das Mitglied des DKP-Parteivorstandes Renate Münder, die auch für die Redaktion verantwortlich zeichnet.

Der nachfolgende Beitrag, den der RF mit Genehmigung von T & P unverändert nachdruckt, behandelt ein lebhaft diskutiertes Thema und betrifft zugleich ein bevorzugtes Feld antikommunistischer Entstellungen. Die darin aufgeworfenen Fragen dürften besonders auch bei RF-Lesern aus den alten Bundesländern auf Interesse stoßen.

T & P ist unter www.theoriepraxis.wordpress, der Postanschrift St.-Cajetan-Straße 20, 81669 München, sowie per E-Mail (TundP-box@web.de) beziehbar.


T & P:
Am 30. September 1994 gewährte Raúl Castro, damals Minister der Revolutionären Streitkräfte Kubas, dem Parteiorgan "Granma" ein Interview, das wegen der selbstkritischen Offenheit großes Aufsehen erregte. Aussagen wie Lobhudler, Phrasendrescher, Geheimniskrämer, Lügner und Hohlköpfe in führenden Positionen seien gefährlicher als CIA-Agenten, waren bis dahin nicht bekannt geworden. Der Blogger Esteban Morales beschäftigte sich kürzlich mit "einigen" Herausforderungen für die kubanische Presse. Sie sei langweilig, fade, schematisch, "kein wirksames Instrument der Kritik, keine Stütze bei der Perfektionierung unserer Wirtschaft und beim Wandel unserer Mentalität, wie es die Führung unseres Landes wünscht", schrieb er. Die Bevölkerung sei es leid, Zeitungen zu lesen, welche nicht die Wirklichkeit widerspiegeln ...

Gab es solche Erscheinungen nicht auch in der Presse der DDR? Wurde dort nicht ebenfalls vieles schöngeredet oder unter den Teppich gekehrt?

K. S.: Zunächst ein Wort zu meiner Berechtigung, mich zu dieser Thematik gewissermaßen als Insider zu äußern. Nach Abitur, Jura-Studium, Tätigkeit in der Rechtspflege und im Außenministerium, als dessen Mitarbeiter ich an der Diplomatenhochschule der DDR promovieren konnte, war ich rund 25 Jahre Redakteur des "Neuen Deutschland". Organ der SED, galt es bei einer Auflage von 1,3 Millionen Exemplaren als führende Tageszeitung der DDR. In der außenpolitischen Redaktion war ich - abgesehen von Einsätzen als Sonder- und Auslandskorrespondent - Leiter der Sektion Kapitalistische Länder. Ich sage das nicht aus Gründen der Selbstbeweihräucherung, sondern um die Leserinnen und Leser von T & P mit meiner Kompetenz zur Beantwortung dieser und der folgenden Fragen vertraut zu machen. Zur Sache: In der Presse wie in der Gesamtchronik der DDR, die ich ungeachtet ihrer Defizite und des keineswegs nur hausgemachten Debakels am Ende als größte Errungenschaft in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung betrachte, da sie dem Kapital in einem Drittel Deutschlands für vier Jahrzehnte die politische Macht und das ausbeuterische Eigentum entzog, gab es glorreiche und auch recht triste Zeitabschnitte. In der Aufstiegsphase der DDR, die ich in etwa mit der Ära Pieck - Grotewohl - Ulbricht gleichsetzen würde, verfügten wir über eine lebhafte, durchaus differenzierte und keineswegs unkritisch ans Werk gehende Presse. Walter Ulbricht drang geradezu darauf, eigene Mängel und Schwachstellen - natürlich unter Berücksichtigung der scharfen Klassenkonfrontation zwischen beiden deutschen Staaten und beiden Weltsystemen, die in besonderem Maße zu taktischer Vorsicht zwang - schonungslos und ohne Ansehen der Person zu benennen. Das galt sowohl für das ND, welches mit Chefredakteuren wie Hermann Axen, Georg Stibi, Rudolf Herrnstadt und Rudi Singer sowie einem Stamm großartiger Journalisten (ich nenne hier nur Dr. Günter Kertzscher, Georg Hansen, Willi Köhler, Harri Czepuk und Dr. Hajo Herbell) unsere marxistisch-leninistische Weltanschauung sehr wirkungsvoll verfocht, als auch für einige Bezirkszeitungen der SED, vor allem die von Horst Sindermann geleitete Hallenser "Freiheit" (Auflage: 500.000).

Später setzte dann eine Phase ein, in der neben weiterhin gebotenem gutem Journalismus dumpfe Langeweile und opportunistische Schönfärberei Einzug hielten, wobei echte Probleme verschwiegen oder bagatellisiert wurden. Dabei blieb die fundamentale Klassenposition zwar gewahrt, wurde aber nicht mehr überzeugend genug, mit hinreichendem Tiefgang und unter Berücksichtigung auch emotioneller Aspekte vertreten. Das geschah zu einer Zeit, in der die politische Herrschaft der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten - also im Marxschen Sinne die Diktatur des Proletariats - immer stärker Züge einer Herrschaft von Teilen des Parteiapparats anzunehmen begann. Für diese Etappe einer gewissen Entartung steht beim ND vor allem der nicht nur unter Journalisten umstrittene Name des Chefredakteurs Joachim Herrmann, der in seinem letzten Lebensabschnitt allerdings im politischen Sinne nicht zu Charakterlosigkeit verkam wie sein professionell hochbefähigter, dann aber mit fliegenden Fahnen zum Klassenfeind übergelaufener Nachfolger Günter Schabowski. Bemerkenswerterweise war es dieser, der vor der Veröffentlichung von Berichten über Plenartagungen des ZK der SED eigenhändig jeden kritischen Satz herausstrich. Von ihm soll die Parole stammen: "Der Gegner kritisiert uns schon genug, wir müssen es nicht auch noch selbst tun."

Das ND späterer DDR-Jahre betrachtete sich zwar immer noch nicht grundlos als sozialistische Tageszeitung, "verkaufte" den Sozialismus aber über weite Strecken öde und grau, während das heute in leuchtenden Farben erscheinende ND ganz anderer Provenienz auf den Untertitel "Sozialistische Tageszeitung" lieber verzichten sollte. Wie man sieht, macht es die Farbe allein auch nicht.

T & P: Die Grenzen der Meinungsfreiheit in der DDR setzte die Verfassung: Militaristische und revanchistische Propaganda, Kriegshetze sowie Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhaß waren verboten. Bestand in der DDR eigentlich keine Zensur zur Durchsetzung dieser Forderungen?

K. S.: Im formellen Sinne nicht. Doch um die Wahrheit zu sagen: Kommunistische Journalisten der DDR waren ihre eigenen Kontrolleure, da sie stets eine "Schere im Kopf" hatten. Anders ausgedrückt: Meine etwa zweieinhalbtausend ND-Artikel und Tausende weitere Beiträge, die in Publikationen wie der außenpolitischen Wochenzeitung "horizont", der Westberliner SEW-Tageszeitung "Die Wahrheit", theoretischen Organen wie "Einheit" und "Militärwesen", der legendären "Weltbühne" und sogar im leichtgeschürzten "Magazin" unter eigenem Namen oder Pseudonymen erschienen sind, wurden niemals zensiert. Lediglich in der Einlaufzeit bedurfte ich kollegialer Hilfe. Als sogenannter Oberstufenredakteur war ich ohnehin abzeichnungsberechtigt und überdies auf meinen Sachgebieten möglicherweise auch besser im Bilde als jene, welche mich zu korrigieren gehabt hätten. Doch als disziplinierter Kommunist (Eintrittsjahr 1948/SED Westberlin) wußte ich sehr genau, was der Sache dienlich und was ihr abträglich sein würde. Meine "Schere im Kopf" war demnach nichts anderes als der unverzichtbare Klassenstandpunkt, von dem Medien-Mitarbeiter unseres Schlages niemals auch nur einen Millimeter abweichen sollten. Daß dabei bei mir und anderen Gleichgesinnten nicht immer gekonnter und den eigenen Funken wirksam auch auf andere übertragender guter Journalismus, sondern bisweilen auch eher hölzerne "Generallinigkeit" herausgekommen ist, mag unbestritten sein.

T & P: Artikel 27 der Verfassung der DDR garantierte jedem Bürger das Recht auf Meinungsfreiheit. Erich Buchholz schreibt, im Betrieb habe jeder seine Meinung frei von der Leber weg sagen können - aber durfte man auch Erich Honecker oder den eigenen Parteisekretär kritisieren?

K. S.: Mein uralter Freund Erich Buchholz - wir kennen uns seit dem Herbst 1952 - hat völlig recht: In den Betrieben der DDR gab es eine uneingeschränkte Meinungsfreiheit, also das diametrale Gegenteil zur brutalen Gesinnungsdiktatur der Ausbeuter und ihrer Aufseher in kapitalistischen Unternehmen. Diese Freiheit, die ja einen sehr wesentlichen Teil des Lebens arbeitender Menschen betrifft, kontrastiert tatsächlich scharf mit dem, was bundesdeutsche Arbeiter Tag für Tag erleben. Sie war gewissermaßen das Herzstück der Meinungsfreiheit in der DDR. Bei uns ist kein Arbeiter, der unverblümt seine Meinung sagen wollte, an Herzdrücken gestorben. Und wenn er im eigenen Betrieb kein Recht bekam oder auf kritikempfindliche Leiter stieß, die seinen Standpunkt unterdrücken wollten, gab es immer genügend Möglichkeiten, sich der Hilfe anderer zu vergewissern. Man konnte sich an die Parteileitung oder an die Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) wenden, die in aller Regel dafür sorgten, daß die Bäume kritikfeindlicher Funktionäre nicht in den Himmel wuchsen.

Übrigens schrieb Rudolf Herrnstadt 1951 einen damals berühmten ND-Artikel "Kollege Zschau und Kollege Brumme", in dessen Folge es zu Unterdrückung von Kritik durch einen Landessekretär der SED kam, was zu dessen Ablösung führte.

Ohne Zweifel gab es auch in der DDR hier und dort ein gerüttelt Maß an menschlicher und politischer Dummheit im Reagieren auf berechtigte oder über das Ziel hinausschießende Kritik, was bisweilen zu deren Unterdrückung und Etikettierung als "staatsfeindliches Handeln" geführt hat. Dabei muß man natürlich in Rechnung stellen, daß der in der BRD regierende Klassengegner und dessen Medien den Sozialismus nicht nur verbal verächtlich machten. Konterrevolutionäre Taten wurden zu Recht unterdrückt. Dabei galt die Devise: Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit. Immerhin haben wir uns damit NPD und NSU vier Jahrzehnte lang vom Leibe gehalten. Erst der Anschluß der DDR an die BRD bescherte uns diese Übel.

Übrigens: Wir früheren DDR-Bürger vermissen heutzutage sehr den scharfen politischen Witz über das Führungspersonal dieses Landes. Bei uns waren pointierte Ulbricht- und Honecker-Witze geradezu Legion. Fast jeder Dritte kannte sie. Einer hat sich mir besonders eingeprägt. Er entstand kurz nach der damals gefeierten Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen der DDR und den bei uns noch völlig unbekannten Malediven. Er ging so: Ulbricht erblickt vor dem Staatsratsgebäude morgens, mittags und abends immer denselben Wachsoldaten. Er fragt ihn, warum er denn ständig da sein müsse. Die Antwort lautete: "Genosse Staatsratsvorsitzender, ich stehe Strafe." Ulbricht fragt: "Warum?" Der Soldat: "Weil ich nicht gewußt habe, wo die Malediven sind." Ulbricht: "Das ist aber sehr schlecht. Ein Soldat muß in seinem Spind Ordnung halten."

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Angst vor Argumenten

Adenauers BRD spreizte sich gerne als Hort der Meinungsfreiheit. Während der Staat, der wie Nazi-Deutschland die KPD verbot, seine Ideologie der Irreführung über Sender oder Ballons in die "Zoffjetzone" transportierte, fürchtete er zugleich die Logik und Durchschlagskraft von Argumenten aus dem Osten.

Das hier abgebildete Flugblatt wurde Anfang der 60er Jahre von sämtlichen Hamburger Zeitungshändlern verteilt. Es erinnert an das allegorische Bild von den drei Affen: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen!


Flugblatt

Keine Ostprogramme mehr

Die politisch bewegte Zeit verlangt von uns allen eine klare Entscheidung. Der deutsche Zeitschriftenhandel hat diese Entscheidung jetzt getroffen. Er ist der Meinung, daß es zu einer selbstverständlichen nationalen Pflicht gehört, vorläufig keine Zeitschriften mehr anzubieten, die das ostzonale Rundfunk- und Fernsehprogramm abdrucken.

Rundfunk und Fernsehen aus dem Osten sind zu einemreinen Propaganda-Instrument geworden. Wir alle werden in niederträchtiger Weise verleumdet und besudelt, die Berliner Ereignisse in übelster Weise verfälscht. Gute Unterhaltungssendungen und wertvolle alte Filme werden unterbrochen, um Hetzreden von SED-Propagandisten auf uns loszulassen. Der deutsche Zeitschriftenhandel weiß, was er zu tun hat; er ist nicht bereit, sich auf diese Weise von Ulbricht mißbrauchen zu lassen.

Es gibt viele gute Programmzeitschriften, die Sie über Fernsehen und Rundfunk eingehend informieren. Ich will Sie jederzeit dabei gern beraten. Aber für Zeitschriften mit Ostprogrammen ist bei mir ab heute kein Platz mehr. Das müssen Sie verstehen.

Ihr
Zeitungs- und Zeitschriftenhändler


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Der aus den USA deportierte Publizist Dr. Gerhart Eisler war Vorsitzender des Staatlichen Rundfunkkomitees der DDR.
- Karl-Eduard von Schnitzlers "Schwarzer Kanal" wurde 1915mal ausgestrahlt.

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Im Lande Davids, der seinen Goliath besiegte

Guten Tag, Vietnam!

Ich war schon einmal in Hanoi. Vor einem Vierteljahrhundert. Für ein paar Stunden nur. Auf dem Weg zum Laotischen Jugendverband. Der Krieg war längst vorbei. Wie gern wäre ich aus dem Bus gestiegen, für einen Tee oder die berühmte Pho-Suppe, für ein Gespräch. Aber damals blieb es bei dem kurzen Transit durch die Hauptstadt des David, von dem die ganze Welt mit Achtung sprach, weil er seinen Goliath mit unvergleichlicher Tapferkeit besiegt hatte.

Dem arroganten Weltgendarmen in Nordamerika wurde eine Lektion erteilt. Damals pfiff ich eine Melodie von Dieter Süverkrüp und dachte den Text dabei: "Wenn dieser Morgen kommt / und dieser Tag, / da wird ein Lachen sein / ein großes Lachen sein / jedoch viel Zorn noch übrig. / Wenn dieser Morgen kommt / und dieser Sieg / wird große Arbeit sein / im abgebrannten Land, / doch es gehört dem Volke."

Nun werde ich Vietnam drei Wochen lang bereisen. Von Nord nach Süd. Ich bin neugierig. Denn aus dem Morgen ist längst Tag geworden in Vietnam. Und die Welt hat sich sehr verändert. Das sozialistische Lager zerrieben. Seine Bastionen mangels ökonomischer Kraft eher ein ideeller Bund. Das Verhältnis zur Volksrepublik China wegen politischer und territorialer Spannungen getrübt. Der Kapitalismus kauft sich ein.

Unser Reiseleiter hat in der DDR studiert, ist nach Vietnam zurückgekehrt und war lange Zeit Produktionsdirektor eines größeren Werkes, bis das seine Eigentumsform änderte und er keine Anteile erwarb.

Wenn man genau hinhört in den Gesprächen, ist man irritiert, wie privates Geld der Macht zufließen kann, größeres Geld zu den Größeren und kleines Geld zu den Kleineren. Für einen guten Arbeitsplatz des Sohnes oder der Tochter spart die ganze Familie, denn der wird nicht unentgeltlich frei. Auch solche Dinge hat die Wirtschaftsreform mit sich gebracht. Aber selbst in den offensten Gesprächen hört man kein Wort davon, daß jemand zurück will in die alte Welt. Die Wiedervereinigung des Nordens und des Südens unter der Ägide Ho Chi Minhs begreift jeder, den ich treffe, als ein großes nationales Glück. Und Hilfe bleibt unvergessen. Wo wir auch hinkommen, weisen unsere Begleiter auf Zeugnisse der DDR-Solidarität hin. Dezent, aber laut genug, damit die Reisenden, die nicht aus der DDR in das größere Deutschland geraten sind, es hören. Solche Zeugnisse sind allgegenwärtig: Straßen, Brücken, Fabrikanlagen - am schnellsten erkennt man die Wohnhäuser. Die Referenzen bereiten mir stille Freude. Aber in den Stolz will sich Wehmut mischen, weil die Solidarität, mit der wir groß wurden und die unser Denken und Handeln schärfte, im öffentlichen Bewußtsein des zusammengeschobenen Deutschland makuliert wurde.

Das Sozialistische, das im Republiknamen steht, hat sein äußeres Erscheinungsbild. Pioniertücher, Hammer und Sichel auf roten Fahnen, Losungen, die ich bestenfalls erraten kann, Ho-Chi-Minh-Bilder in Amts-, aber auch Wohnstuben. Hippe Fotomotive für viele Touristen, anders exotisch als die Ha-Long-Bucht, die Kaiserstadt Hue oder der Wolkenpaß, der Vietnams Wetter scheidet. Für mich eher anrührende Bilder nach so langer Abwesenheit roter Fahnen auf heimischen Straßen. Da Weihnachten ist, fährt selbst Ruprechts Schlitten, einen halben Ren-Stall vorgespannt, einem Portal roter Fahnen entgegen. Stolz und Hoffnung haben hier diese Farbe behalten, die anderswo von Antikommunismus und neoliberalem Geist in der Öffentlichkeit übertüncht wurde.

Vietnam ist ein stolzer David, wenngleich - ich sag' es offen - ich mir wünschte, er würde seinem Goliath weniger milde gegenübertreten. Angesichts des millionenfachen menschlichen Leids, das die USA mit ihren Vasallen über das vietnamesische Volk brachten, angesichts der sich auf ein Zehntel der Gesamtbevölkerung beziffernden Toten und Verletzten, der gnadenlosen Bombardements mit hundertfach größerer Zerstörungsenergie als in Hiroshima, eingedenk der von Millionen Litern Herbiziden (nach Kanisterfarbe zynisch Agent Orange, White oder Blue genannt) verseuchten Landstriche, bis heute wirkende Veränderungen im menschlichen Erbgut, die Häufung von Folgeerkrankungen wie Krebs oder Leukämie . Von den materiellen Verlusten an Häusern, Wohnungen, Fabrikanlagen, medizinischen Einrichtungen, Kulturdenkmälern, infrastrukturellen Bauten ganz zu schweigen. Nein, ich will auf vietnamesischen Getränkekarten keinen Drink "B52" lesen. Der Reiseleiter sagt, Bill Clinton habe in Ho-Chi-Minh-Stadt beruhigter die Hände der Leute schütteln können als zu Hause und wundert sich, daß ich das nicht komisch finde. Was nützt es, wenn die amerikanischen Touristen bei einem vom Napalm verstümmelten Mann am Straßenrand die Geldbörse ziehen. Ihr Inhalt reicht nicht, um die Schäden, die ihr Land hervorrief, wiedergutzumachen. Das offizielle USAmerika hat nicht einmal so viel Scham übrig wie McNamara, der sich am Lebensende fragte, wie man diese Schuld der Nachwelt erklären solle.

So verhalten die Anklagen, so laut ist der Dank für erwiesene Hilfe. Das Kriegsrestemuseum in Ho-Chi-Minh-Stadt - welch sperrige deutsche Übersetzung für eine solche Stätte der Erinnerung und Mahnung! - zeigt nach erbeutetem amerikanischem Kriegsgerät und ergreifenden Fotos von den Greueltaten der Aggressoren auch Dokumente der internationalen Solidarität. In der deutschen Abteilung sehe ich die alten DDR-Plakate. Zu sehr hatte ich mir ihren Inhalt zu eigen gemacht, als daß ich sie je vergessen hätte. Die Gedanken gehen zurück an die Auftritte des Ensembles "Solidarität" während meiner Studentenzeit in Leipzig, an internationale Solidaritätstreffen der Jugend wie das in Helsinki 1969, wo ich den stellvertretenden Delegationsleiter der Republik Südvietnam zu den Pariser Verhandlungen traf. Ich denke an die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin, als der Oktoberklub mit Jack Mitchell sang: "Wenn Ho Chi Minhs Artillerie / und die Jungs der FNL / den letzten Feind verjagen, / da wird der Dschungel hell. / ­... Das wird wie Achter Mai und / Silvester auf einen Schlag. / Die Helden feiern ihren Sieg / an diesem Freudentag." Und ich erinnere mich genau an jenen 1. Mai 1975, als tags zuvor die Amerikaner in Saigon ihre letzte Bastion fluchtartig verlassen hatten und wir über Nacht die Zeilen fanden: "Alle auf die Straße, rot ist der Mai! / Alle auf die Straße, Saigon ist frei!" Aber aus den angenehmen Lied-Erinnerungen reißt mich die Frage, was über Ostdeutschland gekommen sein muß, daß 15 Jahre später in Rostock Brandsätze gegen vietnamesische Mitbürger geschleudert wurden.

Im Ho-Chi-Minh-Städter Museum sind nicht die Vietnam-Aktionen der außerparlamentarischen Opposition und der Studentenbewegung in der Bundesrepublik und Westberlin dokumentiert. Aus deutscher Sicht schade, denn sie haben den restaurativen Adenauerfilz gründlich aufgemischt und auf ihre Weise Geschichte geschrieben. Sie bewirkten ein Umdenken in vielen Biographien, das sich entweder verfestigte oder in bürgerlichen und anderen Karrieren wieder verlor. Das Interesse mancher westdeutscher Besucher, so scheint mir, gründet sich aber auf diese Erinnerungen.

Im Nordberliner Umland wohne ich in einer Gegend, in der es noch eine Ernst-Thälmann-Straße gibt, aber natürlich keine Schule dieses Namens. Die steht in Ho-Chi-Minh-Stadt. Die Eleven tragen den Namenszug am Ärmel und wissen vermutlich über den Namensgeber mehr als ihre heutigen Altersgenossen in Deutschland. Auch wenn das Thälmann-Emblem vom Coca-Cola-Becher in der Hand nur eine Unterarmlänge entfernt ist. Aber wer in den Zwängen der Zeit denkt, versteht diese Koexistenz. Dafür sehe ich junge Europäer und Amerikaner gegen kleines Geld bunte T-Shirts mit dem Bild Ho Chi Minhs kaufen. Vermutlich als trendige Schweißfänger für ihre Diskobesuche. Aber immerhin, sage ich zu meinen Tourgenossen, vielleicht googeln sie später nach Details und bahnen sich einen Weg zu den Idealen dieses Mannes.

Ich bin viel herumgekommen und habe gelernt: Den Alltag anderer Völker versteht nur, wer nach deren historischen und sozialen Prägungen fragt. Das im Hinterkopf, hat es auch in Vietnam doppelte Freude gemacht, ein fotografierender, shoppender, sonnenhungriger, kulturell neugieriger und kulinarisch aufgeschlossener Tourist zu sein. Das Resümee: Landschaft und Menschen, Kultur und Küche sind ein unvergleichliches Erlebnis. Die lange Reise und das noch längere Sparen haben sich gelohnt.

Was man noch wissen sollte? Das sagen Reiseführer ausführlicher, als hier Platz bleibt. Empfehlenswert ist eine Route vom Norden nach Süden. Vor allem, wenn es in Hanoi noch kühl ist, fährst du angenehmer Wärme entgegen. In Hanoi such die Altstadt, besonders das Handwerkerviertel. Genieß diesen Charme, solange es der Bauboom noch zuläßt. Einen Besuch des Ho-Chi-Minh-Mausoleums wirst du ohnehin geplant haben. Berühmt ist das Wasserpuppentheater, das zu traditioneller vietnamesischer Musik bäuerliche Szenen spielt. Kommst du zur Ha-Long-Bucht, schlaf lieber auf einer Dschunke als in einer Bettenburg der gleichnamigen Stadt. An Land bitte einen Perlenspezialisten, die Echtheit deiner schon so oft getragenen Kügelchen zu testen und ärgere dich nicht, wenn sie Chemie sind. Im Umkreis der einst kriegswichtigen Hafenstadt Hai Phong werden dir Teichlandschaften gefallen. Aber ihre Idylle trügt, es sind mit Wasser gefüllte Bombenkrater. In der alten Kaiserstadt Hue regnet es oft, aber der Niederschlag ist so fein, daß er nicht bei unseren Schuhen ankommt. Trotzdem Regencape mitnehmen oder vor Ort kaufen! Das zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärte Hoi An brilliert mit seiner jahrtausendealten Geschichte als Hafen- und Handelsstadt und hat sich souverän mit den Touristenströmen aus aller Welt arrangiert. Die Japanische Brücke, die traditionellen chinesischen Versammlungshallen und das Tan-Ky-Haus sind beim Gang durch die Altstadt ein Muß. Abends leuchten Seidenstofflaternen in den Gassen und schwimmende Lampions auf dem Fluß. Folge den lockenden Gerüchen der Restaurants und Garküchen. Hier lohnt sich auch ein Besuch beim Schneider. Und wenn du ein schönes und preiswertes Mitbringsel sucht, findest du in den Galerien zauberhafte Tuschezeichnungen. Mui Ne, das kleine Fischerdorf, das inzwischen mehr Touristen als Einwohner zählt, ist ein Mekka für Wellenreiter und Windsurfer.

Wenn du aber, so wie ich, das nicht kannst, dann nimm dir viel Zeit für die maritimen Garküchen. Such dir fangfrische Fische, Muscheln oder Schalentiere aus, und laß sie über dem Feuer zubereiten. Falls du nicht auf Vietnamesisch bestellen kannst, dann hilft dir hier Russisch besser als jede andere Fremdsprache. In Ho-Chi-Minh-Stadt mach deinen Frieden mit den Auspuffgasen der Mopeds. Beobachte lieber, wer was auf ihnen transportiert. Es sind Tausende, vielleicht Millionen Geschichten auf zwei Rädern. Es gibt sogar einen Bildband darüber. Es ist wahr, du brauchst ein bißchen Mut, um die ampellosen Straßen zu überqueren. Aber in HCMC, wie das ehemalige Saigon heute abgekürzt wird, geben dir an bestimmten Kreuzungen Hilfspolizisten ein Geleit. Sie wurden für deine und die Sicherheit anderer Touristen abgestellt. Verkehrssicherheit wohlgemerkt, denn in puncto sonstiger Sicherheit ist Vietnam vergleichsweise ein Musterländle. Und wenn du irgendwann fußmüde bist, dann ruh dich aus und mach das, was ich nach dem Schreiben dieses Artikels auch tue: Trink ein bia! Ein Bier! Und es wäre mir sehr recht, würdest du im Geiste mit mir anstoßen: auf dieses selbstbewußte, leidgeprüfte, zu besserem Leben erwachte, immer wieder junge, sehenswerte sozialistische Vietnam!

Dr. Hartmut König, Pankethal


Unser Autor war einer der Protagonisten des Berliner Oktoberklubs, Kultursekretär des Zentralrats der FDJ und stellvertretender Kulturminister der DDR.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Hartmut König 1969 im Gespräch mit dem stellvertretenden Delegationsleiter der Republik Südvietnam zu den Pariser Verhandlungen über einen Friedensschluß
- Erbeutetes schweres Kriegsgerät der USA im Museum von Ho-Chi-Minh-Stadt
- Eingangsportal der Ernst-Thälmann-Schule in Ho-Chi-Minh-Stadt
- Plakate erinnern an die Solidarität der DDR mit Vietnam.

Ende RF-Extra

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Hans Modrow zeigte in London Flagge

Im ND vom 9./10. März erschien auf der Titelseite eine Kolumne unter der irreführenden Schlagzeile "Marx-Lesen im Jahr 2013". Die Autorin befand sich zum Zeitpunkt der Zerschlagung der DDR, die auch der systematischen Befassung mit Marx ein Ende setzte, im Schulalter. Nach Absolvierung einer juristischen Ausbildung ist sie jetzt als "Teamerin" bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung tätig. Ihr soll kein Vorwurf gemacht werden, breitete sie doch ihr ganzes Wissen aus. So enthalten wir uns eigener Kommentare und verweisen lediglich auf den am 13. März im ND erschienenen Leserbrief von Günter und Isolde Weise, die der augenscheinlich nicht zum Team der Marxisten gehörenden RLS-"Teamerin" "unterstes geistiges Niveau" bescheinigten. Um so erfreuter sind wir, hier von einem Ereignis berichten zu können, das sich schon tags darauf - am 14. März - in London zutrug. Akteur war der einer Einladung der Marx Memorial Library folgende Genosse Hans Modrow. Er sprach am Grab des Begründers des Wissenschaftlichen Sozialismus auf dem Highgate-Friedhof. "Mohr", wie ihn seine Freunde nannten, hatte bis zum 14. März 1883 - seinem Sterbetag - jahrzehntelang in der Stadt an der Themse im Exil gelebt. Hans Modrow war bereits wiederholt auf Einladung des Freundeskreises um die Marx-Gedenkbibliothek in London gewesen. Es imponiert, daß der namhafte SEDPolitiker, letzte DDR-Regierungschef, bekannte Buchautor und heutige Vorsitzende des Ältestenrates der Partei Die Linke Karl Marx auf so eindringliche Art zu ehren gewußt hat. Gerade angesichts der bedauerlichen Marx-Herabwürdigung im ND verdient Hans Modrows demonstrative Marx-Würdigung den besonderen Respekt unserer Leser.

Im folgenden zitieren wir einige Passagen aus der dem "großen Gelehrten und Revolutionär" gewidmeten Rede.


Rosa Luxemburg hat die Alternative formuliert: "Sozialismus oder Barbarei".

Wir kennen seit Marx die Profitgier als Triebkraft dieser Barbarei. Wir erleben die nunmehr globale Auswirkung dieser barbarischen Triebkraft ... Wir kennen die Macht der Banken, die als Beschleuniger all dieser Entwicklungen wirken. Wir erleben den Finanzmarktkapitalismus weltweit, dem nationale Politiker ihre Entscheidungen unterordnen. "Systemrelevante" Banken müssen mit Steuergeldern gerettet werden. Die Arbeitslosen z. B. in den südeuropäischen Ländern, die dortige Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 50 %, sind nicht "systemrelevant". Gibt es eine deutlichere Entlarvung des Systems kapitalistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung?

Die barbarische Triebkraft zeigt ihren menschenbedrohenden Charakter im Wirken des gewinnträchtigen und politisch mächtigen militärisch-industriellen Komplexes. Weltweit haben sich die Rüstungsausgaben seit 1990 um ein Drittel erhöht, in den USA in den letzten 10 Jahren mehr als verdoppelt. Militäreinsätze in beliebigen Teilen der Welt werden immer offener für wirtschaftliche Interessen, für die Sicherung von Ressourcen und militärisch gesicherte Vorherrschaft geführt. Diese Interessen werden mit der Begründung kaschiert, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu exportieren. Das Ergebnis sind zunehmende Instabilität, "zerfallende Staaten".

Die ungeheure Beschleunigung, mit der das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem nach 1990 seine Auswirkungen auf den gesamten Lebensraum der Menschen ausdehnen konnte, ruft zunehmend Menschen auf den Plan, die an diesem System noch nicht zweifeln, denen es aber angesichts konkreter Auswirkungen unbehaglich wird. Josef Stiglitz, US-Nobelpreisträger für Wirtschaft, schreibt ein Buch mit dem Titel "Der Preis der Ungleichheit" und setzt als Untertitel hinzu "Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht". Marx kommt bei ihm nicht vor, weil Stiglitz illusorisch nur für Veränderungen mit Hilfe der amerikanischen Demokratie plädiert. Doch er legt schonungslos die zerstörerischen Fehlentwicklungen offen.

Aber Marx ist wieder und neu im Gespräch. Selbst in den bürgerlichen Medien in Deutschland ist es opportun, sich auf Marx zu beziehen. Das Interesse an ihm ist unübersehbar gewachsen. Wir können ihn nicht nach konkreten Lösungen angesichts der Vielzahl heute anstehender Probleme befragen. Aber Rosa Luxemburg hat festgehalten, daß uns Marx neben all seinen konkreten Einsichten vor allem eine wissenschaftliche Methode hinterlassen hat, als Theoretiker und Interpret von Geschichte, insbesondere für die Analyse des Kapitalismus, seiner historischen Herausbildung und seiner inneren Wirkungsweisen.

Karl Marx hat im 19. Jahrhundert frühzeitig die revolutionäre Rolle der organisierten Arbeiterbewegung wahrgenommen. Die internationale sozialistische Bewegung erfuhr zwischen dem Todesjahr von Karl Marx 1883 und dem von Friedrich Engels 1895 einen enormen Aufschwung. Und genau in dieser Zeitspanne gab es 75 Neuauflagen des "Kommunistischen Manifests" in 15 Sprachen. Außerdem veröffentlichte Engels nun viele Schriften von Marx erstmals und besorgte Neuauflagen bereits erschienener Texte. Zu den Erstveröffentlichungen gehören auch die bereits vor 1848 notierten "Thesen über Feuerbach". Engels nennt sie den "genialen Keim der neuen Weltanschauung". Das meint die Methode, Wirklichkeit und Geschichte als "sinnlich menschliche Tätigkeit", als "Praxis" wahrzunehmen. Und so ist in der 11. als der letzten dieser Thesen der untrennbare Zusammenhang zwischen Marx' theoretischen Anstrengungen und politischem Handeln zusammengefaßt. "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern."

Es zeigt sich an der Rezeption der Schriften von Marx (und Engels) bis heute, daß sie unter sich ändernden Bedingungen immer untrennbar mit der Ausarbeitung politischer Programmatik verbunden war. Das gilt für die europäische Arbeiterbewegung bis ins 20. Jahrhundert ebenso wie für die kommunistische Weltbewegung nach der Oktoberrevolution.

Wenn heute das Marxsche Werk neuerlich stark an Interesse gewinnt, zeigt sich zugleich die wachsende Einsicht, daß eine andere Welt nötig und auch möglich ist. Und mit Marx scheint es mir wichtig, nach den Akteuren zu fragen, die sich unter unterschiedlichen Bedingungen der barbarischen Triebkraft des Kapitalismus widersetzen. In Lateinamerika sind es linke Regierungen. In unseren Ländern geht es um politische Akteure, die sich der Privatisierung aller Bereiche widersetzen, welche für menschliche Existenz elementar sind: Wohnung, Gesundheit, Bildung; Akteure, die aufstehen gegen die Allmacht der Banken und die Militarisierung der Außenpolitik.

Die Zusammenhänge all dieser Lebensbereiche, die darin wirkende Triebkraft hat Marx mit seinem integrativen Denken erschlossen. Dieses Wissen bleibt unverzichtbar, wenn die heute erkennbaren existentiellen Bedrohungen von der Menschheit abgewandt werden sollen.

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Kubas Staatsschiff hat gute Kapitäne

Als wir - Bruni und ich - 1996 im Auftrag der DKP eine an sie ergangene Einladung der KP Kubas (PCC) wahrnahmen, vertraute man unsere kleine Abordnung der PCC-Provinzialorganisation von Villa Clara an. In deren Verwaltungszentrum Santa Clara, wo sich das weltweit bekannte Denkmal Che Guevaras befindet, bezogen wir im bescheidenen PCC-Gästehaus Quartier.

Schon am zweiten Tag empfing uns Miguel Díaz-Canel, der charismatische 1. Provinzsekretär der PCC von Villa Clara, zu einem etwa zweistündigen Gespräch. 1991 war der damals 30jährige Elektronikingenieur und spätere Professor der Universität Santa Clara in das ZK der Partei gewählt worden. Als er im Anschluß an seine Tätigkeit in Villa Clara die Parteiorganisation der dicht bevölkerten und industriereichen Provinz Holguín leitete, wählten ihn seine Genossen als dessen jüngstes Mitglied in das Politbüro. 2009 wurde Díaz-Canel zum Minister für Hochschulwesen, drei Jahre später zum stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates ernannt.

Gegenwärtig wird in Kuba der Beschluß des 6. Kongresses der PCC über eine generelle Verjüngung führender Kader in Partei und Staat, der auch die Begrenzung der Amtszeit auf maximal zwei Wahlperioden vorsieht, zügig umgesetzt. Während der 81jährige verdienstvolle Raúl Castro am 24. Februar vom Parlament als Präsident bestätigt wurde, stellten ihm die Abgeordneten zugleich den inzwischen 52jährigen Miguel Díaz-Canel als Ersten Vizepräsidenten an die Seite. Sollte der Staatschef in seiner letzten Amtszeit die Geschäfte nicht weiterführen können, steht sein junger Stellvertreter bereit, jederzeit für ihn einzuspringen. Schon einmal hat es in Kuba eine solche Situation gegeben: 2006 war der schwer erkrankte Fidel Castro außerstande, seine Funktion wahrzunehmen, so daß sein damaliger Vize Raúl Castro an die Stelle des Bruders trat.

Übrigens hat Kubas Parlament der Poder Popular (Volksmacht), dessen erste Aufgabe es war, die Mitglieder des Staats- und des Ministerrats zu bestimmen, wiederum mehr als zwei Drittel seiner Mandatsträger ausgetauscht und sich weiter verjüngt. Der Altersdurchschnitt der Volksvertreter liegt jetzt bei 48 Jahren. Bei Staatsfunktionären in Spitzenpositionen beträgt er 57 Jahre.

Klaus Steiniger

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Aufatmen in Quito: Rafael Correa bleibt

Bei den unlängst abgehaltenen Präsidentschaftswahlen in Ekuador ist der linkskatholische Ökonomieprofessor Rafael Correa, der seit 2007 als Staatschef im Amt ist und sich gegen ganze Serien gezielter Intrigen wie eine von reaktionären Drahtziehern in Szene gesetzte Polizeirevolte zu behaupten wußte, mit einem Stimmenanteil von 57 % bereits in der ersten Runde wiedergewählt worden.

Freund und Verbündeter des bolivarischen Venezuela, Kubas wie aller anderen links orientierten Staaten der Region, führte Correa sein Land 2009 in das als lateinamerikanische Alternative zu Washingtons ökonomischer Verstrickungspolitik entstandene antiimperialistische Bündnis ALBA. Ihm gehören Venezuela, Kuba, Bolivien, Nikaragua und andere Staaten des Subkontinents wie der Karibik an. Die Tatsache, daß der Palacio de Carondelet von Quito nicht in die Hände der durch Washington unterstützten ekuadorianischen Rechten gefallen ist, sondern weiterhin durch den gestandenen Linkspolitiker Rafael Correa verwaltet wird, ist eine - zumindest temporäre - Weichenstellung, deren Bedeutung über das Land im nördlichen Teil Südamerikas hinausreicht.

Das Meinungsforschungsinstitut "Perfiles de Opinion" hatte Correas Alianza PAIS und der durch ihn verfolgten Bürgerrevolution schon vor dem Abstimmungstag eine Zustimmungsrate von nahezu 60 % bescheinigt, während es der Gruppierung CREO des rechtskonservativen Bankiers und Gegenspielers Guillermo Lasso nur 10,7 % einräumte. PAIS errang 100 von 137 Sitzen in der Nationalversammlung und sicherte sich damit eine Zweidrittelmehrheit.

Der ekuadorianischen Reaktion und deren US-Hintermännern war es im Verlauf der vorangegangenen Legislaturperiode gelungen, 12 der ursprünglich 63 PAIS-Abgeordneten auf ihre Seite zu ziehen, wodurch die Regierung zum Taktieren und zeitweiligen Lavieren gezwungen wurde. Die von Rafael Correa angestrebte gerechte Umverteilung der Reichtümer des Landes war so nur in Ansätzen zu verwirklichen. Dennoch konnte eine Reihe von Maßnahmen zur Hebung des bescheidenen Lebensniveaus der ärmeren Bevölkerungsschichten durch über Erdöleinnahmen gegenfinanzierte Sozialprogramme erreicht werden. Überdies vermochte Correas Mannschaft die Stromversorgung des Landes durch den Bau von acht Wasserkraftwerken merklich zu verbessern.

Zieht man Erfolge und Rückschläge in Betracht, dann fällt die Gesamtbilanz zugunsten des abermaligen Wahlsiegers aus. Sein Triumph läßt nicht nur die ekuadorianischen Massen aufatmen, sondern sät auch neue Hoffnung bei ausländischen Freunden der Bürgerrevolution, die sich weiterhin ernsten Herausforderungen gegenübersehen dürfte.

RF, gestützt auf "Granma Internacional", Havanna, und "Solidaire", Brüssel


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die beiden jungen Frauen sind nicht etwa Teilnehmerinnen an einem lateinamerikanischen Schönheitswettbewerb, sondern Parlamentskandidatinnen der KP Chiles: Camila Vallejo (links) erwarb sich als Führerin des legendären Studentenstreiks hohe Anerkennung, Karol Cariola ist Vorsitzende der Kommunistischen Jugend Chiles. Viel Erfolg, liebe Genossinnen!

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Song Qingling - die Frau an Sun Yatsens Seite

Zu den poltischen Daten der Volksrepublik China zählte in diesem Jahr auch der 120. Geburtstag von Song Qingling. Sie wurde am 27. Januar 1893 in Kunshan, Provinz Jiangsu, geboren und starb am 28. Mai 1981 in Beijing. Daß sie einmal eine herausragende Persönlichkeit des neuen China werden sollte, war ihr nicht in die Wiege gelegt. Sie entstammte einer sehr wohlhabenden Familie. Von ihren beiden Schwestern war die eine mit dem reichsten Bankier des Landes, die andere mit dem späteren Machthaber Jiang Jieshi (Tschiang Kaischek) verheiratet. Auch ihre zwei Brüder waren einflußreiche Bankiers. Doch der Lebensweg Song Qinglings sah völlig anders aus. Nach Studien in den USA begegnete sie 1913 auf dem Rückweg nach China in Tokio Sun Yixian (Sun Yatsen). Er war der Begründer der Chinesischen Republik und der zunächst progressiven Guomindang-Partei. Nach seinem Tode im Jahre 1925 empfand sich Song Qingling als Vollstreckerin des politischen Testaments ihres Mannes. So geriet sie in Konflikt mit der inzwischen konterrevolutionär gewordenen Guomindang und Suns Nachfolger Jiang. Unter dem Druck der durch ihn eingeleiteten grausamen Verfolgung von Kommunisten und anderen linkspatriotischen Kräften mußte sie ins Exil gehen. Von 1926 bis 1931 lebte sie abwechselnd in Moskau und Berlin.

Nach dem Überfall Japans auf China setzte sich Song Qingling als Sympathisantin der Kommunistischen Partei für die nationale Einheitsfront gegen den Aggressor ein. Zeitlebens unterstützte sie soziale Projekte und war in einer Reihe gesellschaftlicher Organisationen wie dem Allchinesischen Frauenverband politisch tätig.

1948/49 gehörte Song Qingling zu den Mitbegründern des Revolutionären Komitees der Guomindang - einer Abspaltung von dieser, die sich für die Bewahrung der Lehren Sun Yixians einsetzte. Das Revolutionäre Komitee zählt heute rund 65.000 Mitglieder und ist eine von acht nichtkommunistischen demokratischen Parteien der Volksrepublik China.

Während Song Qinglings Schwestern und Brüder 1949 ausnahmslos nach Taiwan flohen, blieb sie auf dem Festland und wurde dort Mitbegründerin der Volksrepublik China. Ab 1949 nahm sie führende Positionen in Staat und Gesellschaft ein. Bis heute gilt sie als die meistverehrte "bürgerliche" Politikerin des asiatischen Riesenlandes.

1959 wurden Song Qingling und Dong Biwu zu Vizepräsidenten der VR China gewählt. Nach der Entmachtung und Verfolgung des Präsidenten Liu Shaoqi während der "Kulturrevolution" amtierten beide gemeinsam von 1968 bis 1972 als Staatsoberhaupt. 1976 wurde Song Qingling zur Vorsitzenden des Ständigen Komitees des Nationalen Volkskomitees gewählt und war damit nach Abschaffung des Präsidentenamtes Staatsoberhaupt der Volksrepublik China. Diese Funktion übte sie bis 1978 aus. Am 16. Mai 1981 - nur zwei Wochen vor ihrem Tode - wurde sie nach erfolgter Wiedereinführung des Präsidentenamtes zur Ehrenpräsidentin der VR China berufen.

Siegfried R. Krebs, Weimar

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Das Lidice der USA

Vor etwas mehr als 45 Jahren - am 16. März 1968 - richtete eine US-Infanterie-Einheit unter dem Kommando des Leutnants William Calley in dem auf Militärkarten als My Lay vermerkten südvietnamesischen Dorf Son My ein entsetzliches Blutbad an. Das Massaker ging als Lidice des Pentagons in die Geschichte des Millionen zivile Opfer fordernden US-Aggressionskrieges ein. 504 zusammengetriebene Frauen, Kinder, Jugendliche und Greise wurden gnaden- und unterschiedslos niedergemäht.

Da die Bilder von Calleys Bluttat um die Welt gingen, wurde vor allem dieses eine Kriegsverbrechen bekannt, obwohl es im schmutzigen Krieg der USA gegen das vietnamesische Volk ungezählte Son Mys gegeben hat.

RF

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Ein solidarischer Gruß an Zyperns AKEL

Lenin hatte recht: Die Vereinigten Staaten von Europa sind unter kapitalistischem Vorzeichen entweder unmöglich oder reaktionär.

Nach dem Martyrium der Griechen befindet sich Zypern - die Insel der Aphrodite - in der Würgeschlinge der EU und ihrer tonangebenden Mächte. Die Empörung der Zyprioten über die an Zeiten Großdeutschlands erinnernde expansionistische Aggressivität des derzeit durch Frau Merkel repräsentierten bundesdeutschen Imperialismus ist mehr als nachfühlbar. Die in Brüssel herumkommandierende BRD trampelt - im Verein mit anderen EU-Staaten - auf ihren elementarsten Souveränitätsrechten herum.

Einmal mehr zeigt sich am Beispiel Zyperns: Wer sich mit der EU einläßt und deren Euro-Köder verschluckt, muß früher oder später die Hände heben und zum Bettelstab greifen.

Im Geiste des proletarischen Internationalismus versichern wir das widerständische werktätige Volk Zyperns und seine im Klassenkampf erfahrene kommunistische Partei - die über Masseneinfluß verfügende AKEL - unserer unverbrüchlichen Solidarität.    RF

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Tunesien: Gespannte Lage nach dem Mord an Chokri Belaïd

Am 6. Februar ereignete sich in Tunis eine folgenschwere Gewalttat: Der 49jährige Rechtsanwalt Chokri Belaïd, Führer der linksgerichteten Bewegung der Patrioten-Demokraten, wurde von einem maskierten Attentäter vor der Tür seines Hauses erschossen. Während in bezug auf die Exekuteure des Mordbefehls die verschiedensten Vermutungen angestellt wurden, entfachte die landesweite Trauer Hunderttausender Tunesier um einen außergewöhnlich populären Parteiführer einen Sturm der Entrüstung. In den Städten Sfax, Monastir, Béja, Gafsa und Gabès wurden die regionalen Hauptquartiere der nach dem Sturz des jahrzehntelang herrschenden Diktators Ben Ali ans Ruder gelangten Ennahda-Partei von der wütenden Menge in Brand gesteckt. Während Zehntausende den Sarg Belaïds zum Friedhof geleiteten, rief die 750.000 der 10,5 Millionen Tunesier vereinende Gewerkschaftszentrale UGTT schon am 8. Februar zum Generalstreik auf. Die seit 2011 regierende Dreierkoalition ("Troika") aus der Erdogans türkischer ANP, aber auch Mursis ägyptischen Moslembrüdern geistesverwandten islamistischen Ennahda-Partei, dem linksliberalen Kongreß für die Republik und dem zur Sozialistischen Internationale gehörenden Forum für Arbeit und Freiheiten wurde zur Umgruppierung ihrer Kräfte gezwungen. An deren Stelle trat ein nicht weniger proimperialistisches Expertenkabinett.

Chokri Belaïd galt neben dem kommunistischen Parteiführer Hamma Hammami als Tunesiens einflußreichster Linkspolitiker. Er hatte dem ex-maoistischen Flügel der im Oktober 2012 unter Beteiligung von etwa einem Dutzend Parteien und Organisationen formierten Volksfront (Front Populaire - FP) angehört. Im Rahmen der FP gelten zwei Formationen, die Partei der Werktätigen Tunesiens und Belaïds Formation, die sich beide zu marxistischen Auffassungen bekennen, als profilgebend. Der an Einfluß gewinnenden Volksfront, die derzeit nach Meinungsumfragen in der Wählergunst den dritten Rang einnimmt, ist es gelungen, eine wirkliche Dynamik bei der Zusammenführung linker Kräfte zu entwickeln.

Ein erheblich verändertes Gewicht besitzt auch die UGTT, deren frühere Leitung, die weitgehend von Ben Ali abhängig gewesen war, durch eine neue Direktion ersetzt wurde. Sie gilt im Verhältnis zur Linken als aufgeschlossener. An den 11.282 gegen das islamistische Regime gerichteten Protestbekundungen und Streiks, die nach Informationen der Tageszeitung "La Presse" im Vorjahr landesweit stattfanden, war die UGTT maßgeblich beteiligt. Übrigens wird die Ennahda nicht nur von links angegriffen, sondern auch aus ultrarechter Position. Kräfte des feudalistischen Lagers und radikal-islamistische Salafisten, die Tunesien in das geistige Mittelalter zurückwerfen wollen, nicht zuletzt aber auch einstige Geheimdienstler Ben Alis und Offiziere der Armee untergraben eine fortschrittliche und demokratische Entwicklung des Landes. Politische Beobachter vermuten die Mörder Belaïds in diesen Kreisen. Der linksgerichtete Journalist Cied El Heni bezichtigte den Generaldirektor des Allgemeinen Aufklärungsdienstes Mehdi Zouari, den Anschlag auf Belaïd persönlich in Auftrag gegeben zu haben.

"Derzeit werden etwa 5000 junge Tunesier und Bürger anderer Staaten in einem Lager der Djihadisten (Verfechter des islamistischen Heiligen Krieges - RF) in der Ortschaft Lewtiys unweit der libyschen Grenze militärisch unterwiesen. Ein Teil von ihnen soll nach Syrien geschickt werden, ein anderer ist für Gewaltakte in Tunesien selbst vorgesehen", hatte der nur wenige Tage später ermordete Jurist, der übrigens zu den Verteidigern des nach der US-Aggression gehenkten irakischen Führers Saddam Hussein gezählt hatte, noch kurz vor dem Anschlag erklärt.

Schließlich wäre es auch denkbar, daß Chokri Belaïd ins Fadenkreuz extrem Rechter innerhalb des Ennahda-Lagers, die seit geraumer Zeit im Rahmen vor nichts zurückschreckender "Ligen zum Schutz der Revolution" operieren, geraten sein könnte. Die Brüsseler Zeitung "Solidaire" veröffentlichte ein Interview mit dem unlängst in einen der Provinzialräte des Landes gewählten jungen Abgeordneten Rafik Rassâa. Der Kommunalpolitiker tunesischer Abkunft verwies darauf, daß während der zweijährigen Regierungsdauer der "Troika" keine einzige Forderung der den Auftakt zum "Arabischen Frühling" gebenden Revolution erfüllt worden sei.

Die Arbeitslosigkeit sei in Tunesien gestiegen, und von der neuen Verfassung, welche durch die im Oktober 2011 gewählte konstituierende Versammlung ausgearbeitet werden sollte, habe man noch kein Jota zu Papier gebracht. Die Pressefreiheit sei durch Ernennung der Ennahda höriger neuer Administratoren bei der marktbeherrschenden Zeitungskette Dar Assabal massiv unterlaufen worden. Während diese islamistische Partei ausschließlich das Ziel verfolgt habe, den Staatsapparat in ihre Hand zu bekommen, habe sie sich in ökonomischer Hinsicht durch ein Abkommen über "privilegierte Partnerschaft mit der EU" den Rücken frei gemacht und zugleich die Hände gebunden.

Bei all dem spielten die imperialistischen Großmächte auf verschiedenen Klavieren, bemerkte der PTB-Abgeordnete. Während die Ennahda von den USA als "glaubwürdiger Partner des Westens" installiert worden sei, habe man den "finanziellen Part" den feudalen und proimperialistischen Herrschern von Qatar und Saudi Arabien überlassen. Frankreichs "sozialistische" Regierung Hollande, die anfangs der US-Linie gefolgt war, ließ ihren Innenminister plötzlich das Feuer auf den "islamistischen Faschismus" in Tunesien eröffnen, was nicht bedeutete, daß man die dortigen "Partner" der EU deshalb fallenließ.

Der Mord an Chokri Belaïd hat die Karten neu gemischt. Der politisch-ideologische Konflikt und der Klassenkampf treten in Tunesien mit großer Schärfe zutage. "Die soziale Frage ist zurück", schrieb ein Autor der Hamburger Monatsschrift "Konkret" nach den machtvollen Februar-Demonstrationen. "Der Einfluß der Anhänger des alten Regimes" sei "erheblich zurückgegangen".

RF, gestützt auf "The New Worker", London, "Solidaire", Brüssel und "Initiative Communiste", Frankreich

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6. Parteitag der TPI beriet in tiefster Illegalität

Irans Kommunisten wanken nicht

Die Tudeh-Partei Irans (TPI) wirkt in der Tradition der 1920 gegründeten Kommunistischen Partei Persiens, aus der sie 1941 hervorgegangen ist. Die meiste Zeit ihres Bestehens war sie vom jeweils herrschenden Regime in die Illegalität gedrängt. Sie wurde mit äußerster Härte verfolgt und entrichtete einen hohen Blutzoll. Gegenwärtig setzt sie den Kampf -nach nur vier Jahren legaler Tätigkeit - infolge des Verrats der iranischen Führung an der Februarrevolution von 1979, die von Teheran als "islamische Revolution" bezeichnet wird - seit mehr als drei Jahrzehnten in Illegalität und Exil fort. Ungeachtet aller schmerzlichen Verluste setzt sich die Partei konsequent für die sozialen und nationalen Interessen der Völker Irans ein.

Im Februar 2013 fand der 6. Parteitag - die Beratung des höchsten Gremiums der TPI - an unbekanntem Ort statt. In einer Botschaft an die kommunistischen und Arbeiterparteien heißt es dazu: "Unter komplizierten Bedingungen und trotz bestehender Sicherheitsprobleme" sei die Tagung erfolgreich durchgeführt worden. Sie habe wichtige Dokumente beschlossen, darunter den Entwurf eines neuen Parteiprogramms. Es widerspiegele "die im Lande bestehende politische Situation, die sozialökonomischen Bedingungen, die realen Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft sowie die Bedürfnisse und Forderungen der Arbeiterklasse, aller Werktätigen sowie weiterer nationaler und volksverbundener Schichten der Gesellschaft". Das neue Programm sei auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus und seiner schöpferischen Wahrnehmung entstanden.

Im Namen aller Mitglieder und Sympathisanten übermittelte der 6. Parteitag den kommunistischen und Arbeiterparteien, revolutionären Organisationen und Persönlichkeiten in aller Welt Grüße und Gefühle tiefer Dankbarkeit für deren Unterstützung und Solidarität.

Die Delegierten hätten sich zu einem Zeitpunkt versammelt, heißt es in der Botschaft an die Bruderparteien, "da sich der verräterische Überfall des iranischen Rechtsgelehrten-Regimes auf die Partei zum 30. Male gejährt habe. Am 6. Februar 1983 wurden die meisten Mitglieder des ZK und Hunderte erfahrene Kader der Partei festgenommen und später hingerichtet oder unter Folter ermordet. Tausende weitere Mitglieder und Sympathisanten der TPI wurden verhaftet und in die Gefängnisse geworfen. Trotz dieses tödlichen Anschlags gelang es dank des aufopferungsvollen Einsatzes der überlebenden Genossen, die Partei zu erhalten und deren Aktivitäten fortzusetzen.

Der 6. Parteitag würdigte die Solidarität der Bruderparteien angesichts solcher Herausforderungen in höchster Weise und dankte für die "Unterstützung des Kampfes der iranischen Werktätigen für Frieden, Demokratie und die Rechte der Werktätigen, für Fortschritt und Sozialismus".

Die Grußbotschaften von 52 kommunistischen und Arbeiterparteien aller Kontinente aus Anlaß des 6. Parteitags seien "eine beispiellose Demonstration internationaler Solidarität", wie sie die TPI während ihres 71jährigen Bestehens - vor allem in den letzten drei Jahrzehnten - immer erhalten habe. "Eure Solidarität hat uns bei der Fortsetzung unseres schwierigen Kampfes für grundlegende nationaldemokratische Veränderungen im Zuge langfristiger strategischer Umwälzungen zugunsten der Werktätigen des Landes stets Mut und Hoffnung vermittelt. Das wird auch in Zukunft so sein", heißt es in der Adresse an die Bruderparteien.

Der 6. Parteitag trat vor dem Hintergrund sich steigernder Drohungen einer militärischen Aggression Israels gegen Iran sowie mehrfach verschärfter westlicher Sanktionen zusammen. Zu diesen "Strafmaßnahmen", durch die Teheran gezwungen werden solle, sein Atomprogramm aufzugeben, gehörten der generelle Einfuhrstopp für iranisches Öl seitens der EU sowie gravierende Importbeschränkungen, welche die medizinische Versorgung im Lande substantieller Gefährdung aussetzten. Am härtesten würden die ärmere Bevölkerung, die Werktätigen und die Kinder getroffen.

Der 6. Parteitag der TPI versicherte die Genossen in aller Welt höchster Wertschätzung für die Unterstützung des Kampfes des iranischen Volkes gegen die heimtückischen, interventionistischen und aggressiven antiiranischen Pläne des Imperialismus, insbesondere auch gegen die lähmenden wirtschaftlichen Sanktionen.

Noch vor dem Parteitag hatte die TPI in einer Erklärung zur Präsidentenwahl in den USA und den Knesseth-Wahlen in Israel nachdrücklich gewarnt: "Zeitgleich mit der auf Hochtouren laufenden Kriegspropaganda gegen Iran tritt die im Land herrschende reaktionäre Clique, die in den letzten Jahren eine völlig unrealistische und abenteuerliche Politik betrieben und damit selbst in beträchtlichem Maße zur wachsenden Bedrohung der Souveränität und territorialen Integrität Irans beigetragen hat, ohne die erforderliche Vernunft und wirksame Diplomatie provozierend auf. ... Was in Libyen geschehen ist und sich gegenwärtig in Syrien abspielt, sollte den Führern des reaktionären iranischen Regimes vor Augen führen, welche zusätzlichen Gefahren solche verantwortungslosen Äußerungen für die nationalen Interessen des Landes heraufbeschwören können."

Auf ihrem 6. Parteitag unterstrich die TPI einmal mehr, daß der Prozeß künftiger politischer Veränderungen im Lande ausschließlich Sache des iranischen Volkes ist.

Ghassem Niknafs, Hamburg / Bernd Fischer, Vorbeck


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Premierminister Mossadegh - er nationalisierte das iranische Erdöl - wurde 1953 durch eine von der CIA gelenkte Operation aus dem Amt gedrängt und inhaftiert.
- Symbol der Tudeh-Partei

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Frankreich: Erinnern an Jacques Duclos

Zahlreiche Einwohner des Städtchens Louey im Hochgebirgs-Departement Hautes-Pyrenées waren zugegen, als ein mit Liebe restauriertes architektonisches Kleinod der Öffentlichkeit übergeben wurde: das im neuen Glanz erstrahlende Geburtshaus von Jacques Duclos - einem der erprobtesten und populärsten Führer der seinerzeit über Masseneinfluß verfügenden Französischen Kommunistischen Partei.

Das Gebäude, das früher als ein Wallfahrtsort der revolutionären Arbeiterbewegung in der Region galt, wurde gegen den Willen der heutigen FKP-Departementsleitung wiederhergerichtet. Ins Lager der Reformisten abgedriftete Funktionäre hatten das Haus dem Verfall preisgegeben. "Glücklicherweise gehören die Jahrzehnte der Anbetung außerordentlicher kommunistischer Führer der Vergangenheit an", verkündete FKP-Departement-Sekretär Jean Portejoie. Als Vorwand für die Vernachlässigung des Gebäudes wurden "administrative und finanzielle Gründe" genannt.

Doch Gilberte Duclos, die Witwe des legendären Arbeiterführers, hatte bei ihrem Ableben ausreichende Mittel hinterlassen, um die Restauration in die Wege leiten zu können. Bei der bescheidenen Übergabe-Zeremonie glänzten Vertreter der offiziellen FKP-Spitze durch Abwesenheit. So konnten sie die warmherzigen Worte des Bürgermeisters von Louey, der die Bedeutung dieser Stätte des Gedenkens an einen großen Franzosen für künftige Generationen hervorhob, nicht vernehmen. Duclos gelte als "Seele des ganzen Departements Hohe Pyrenäen", betonte der Kommunalpolitiker.

Das originalgetreu wiederhergestellte Haus birgt einen kostbaren Schatz: die Tausende Bände umfassende Bibliothek seines einstigen Bewohners. 968 wertvolle Bücher namhafter Autoren Frankreichs wurden dem Städtchen Louey zum Geschenk gemacht. Übrigens trägt auch dessen Rugby-Stadion den Namen von Jacques Duclos.

RF, gestützt auf "Initiative Communiste", Lievin (Frankreich)

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Hessel: Der Empörung muß die Tat folgen

Schon am 26. Februar ist der antifaschistische Widerstandskämpfer, von den Faschisten Deportierte, Diplomat und Mitverfasser der Deklaration der Menschenrechte Stéphane Hessel im Alter von 95 Jahren gestorben. Sein Tod reißt eine Lücke in die Reihen der Aufrechten, auch wenn sein ideologisches Konzept in einer Reihe von Fragen unseren marxistischen Erkenntnissen nicht entspricht.

Der 1917 in Berlin Geborene gelangte schon im Kindesalter nach Frankreich, dessen Staatsbürgerschaft er 1937 erwarb. Hessel machte sich besonders durch sein Eintreten für die Menschenrechte von Einwanderern und Asylsuchenden einen Namen. Seine konsequente Haltung stieß in Frankreich nicht überall auf Gegenliebe. Mit seiner 2010 erschienenen Schrift "Indignez-vous!" (Empört Euch!) errang er schlagartig Weltruhm. Das aufschlußreiche Traktat wurde in zahlreiche Sprachen übertragen und fand in vielen Millionen Exemplaren auf allen Kontinenten Verbreitung. Kurz nach der Vorstellung der ersten französischen Auflage gewährte Stéphane Hessel der linksstehenden Pariser Zeitung "l‹Humanité" ein Interview, in dem er die zutreffende These vertrat: "Man muß sich zuerst empören, darf dort aber nicht stehenbleiben."

Die Demokratie sei - trotz mancher Fortschritte bei ihrer Verwirklichung - bedauerlicherweise ein nichterfülltes Programm, sagte Hessel gegenüber der vormals kommunistischen Zeitung. Auch die Demokratie in ihrer derzeitigen Form werde gegen die Inbesitznahme durch den Finanz-Kapitalismus nur ungenügend verteidigt.

RF, gestützt auf einen Beitrag von Lina Sankari in "l'Humanité", Paris

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Prager Glosse: Hauptsache, keine Roten am Ruder!

Wir erhalten nur ein Fünftel des Lohns der Leute im Westen, aber Hauptsache, wir werden nicht von Kommunisten regiert!

Alles ist 20 % teurer als im Westen, aber Hauptsache, wir werden nicht von Kommunisten regiert!

Wir müssen die Lebensmittelabfälle essen, die aus westlichen Ländern importiert werden, aber Hauptsache, wir werden nicht von Kommunisten regiert!

Unsere Staatsschulden betragen 1,7 Billionen Kronen, wofür wir jährlich 90 Milliarden Kronen Zinsen zahlen, aber Hauptsache, wir werden nicht von Kommunisten regiert!

Die Zahl der in Armut lebenden Menschen, der Obdachlosen und jener, die in Wohnheimen eingesperrt oder bankrott sind, erhöht sich, aber Hauptsache, wir werden nicht von Kommunisten regiert!

Auf Gesundheitsvorsorge hat nur noch Anspruch, wer mit einem BMW beim Krankenhaus vorfährt, aber Hauptsache, wir werden nicht von Kommunisten regiert!

In die Rente werden wir mit 74 gehen, was vom biologischen Standpunkt aus völliger Unsinn ist, aber Hauptsache, wir werden nicht von Kommunisten regiert!

Das ist die tägliche Begründung für alles. Wir befinden uns in völligem Verfall, können aber stets mit dem Satz antworten: Hauptsache, wir werden nicht von Kommunisten regiert!


Aus einer Publikation der KP Böhmens und Mährens (KSCM), Prag
Übersetzung Karl-Heinz Wendt

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Als wir bei Marta Feuchtwanger in Santa Monica zu Gast waren

Bewegende Stunden in der "Villa Aurora"

Der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und der DDR am 4. September 1974 folgten auch auf kulturellem Gebiet vielseitige Aktivitäten. Mit dem US-Bundesstaat Kalifornien wurden erste Vorhaben dieser Art verwirklicht. Als ich - in Begleitung meiner Frau - 1976 zu einem Treffen mit Tom Bradley, dem Bürgermeister von Los Angeles, nach Kalifornien reiste, schloß dieser Abstecher auch einen schon lange beabsichtigten Besuch bei Marta Feuchtwanger ein. In unserem Gespräch erwähnte Bradley deren aktive Mitarbeit in einer seiner internationalen Kommissionen. Als Betreuerin des Feuchtwanger-Hauses "Villa Aurora" in der Gemeinde Santa Monica stehe sie in der besten Tradition Hitler entronnener deutscher Emigranten aus intellektuellen Kreisen. Bürgermeister Bradley bat uns, Frau Feuchtwanger seine Grüße und guten Wünsche zu übermitteln.

Bei unserem Eintreffen in Santa Monica begrüßte uns die Herrin des Feuchtwanger-Hauses sehr herzlich. Sie brachte ihre Freude darüber zum Ausdruck, den ersten in den USA akkreditierten DDR-Botschafter und dessen Gattin mit der "Villa Aurora" vertraut machen zu können.

Nach dem Tod ihres am 21. Dezember 1958 verstorbenen Mannes Lion hatte sie das Haus als Stätte der Erinnerung an das ereignisreiche Leben des Dichters sowie zur Erforschung seines schriftstellerischen Gesamtschaffens erworben und entsprechend eingerichtet.

Eine Sammlung in aller Welt erschienener Ausgaben sämtlicher Romane Lion Feuchtwangers nahm beide Etagen der Villa ein. Uns beeindruckte, wie wohlgeordnet die Bände auch als Studienobjekte zur Verfügung standen.

Marta Feuchtwanger berichtete uns, sie habe 1959 mit der University of Southern California einen Vertrag abgeschlossen, durch den diese akademische Bildungsstätte das Haus samt Archiv und Bibliothek mit rund 36.000 Bänden als Alleinerbin übernahm.

Wir erfuhren im Verlauf des Gesprächs, daß Marta Feuchtwanger ein moderates Leben führte, gegen ein ihr von der USC gezahltes Entgelt weiterhin die Hinterlassenschaft ihres Mannes betreute und dabei auch die Wünsche der Hochschule auf Niederschrift eigener Lebenserinnerungen erfüllte. Den Text spreche sie, ohne Aufzeichnungen zu benötigen, direkt auf Band. Dabei komme ihr ein intaktes Langzeitgedächtnis zugute, so daß sie Erlebtes für die Nachwelt dokumentieren könne.

Auf Fragen, ob und wie die DDR im Feuchtwanger-Haus vertreten sei, zählte unsere Gastgeberin in ihrer unnachahmlich temperamentvollen Art gleich eine ganze Reihe von Beispielen auf. Zunächst einmal befinde sich der Lion Feuchtwanger 1953 verliehene Nationalpreis der DDR unter den durch die Besucher jederzeit zu betrachtenden Exponaten. Auch oftmals sehr originelle Glückwünsche, die ihn in diesem Zusammenhang aus vielen Ländern erreicht hatten, seien ausgestellt.

Ihr Mann habe die DDR leider aus einer Reihe von Gründen selbst nicht mehr besuchen oder gar als deren Bürger dorthin zurückkehren können. So habe es politisch motivierte Paßprobleme mit verschiedenen US-Behörden, darunter auch Geheimdiensten, gegeben. Überdies hätten die Ärzte ihrem Mann geraten, von solchen Anstrengungen auf Grund seiner angeschlagenen Gesundheit abzusehen. So habe sich Lion Feuchtwanger für neue Romanprojekte sowie notwendige Ergänzungen und Erläuterungen zu bereits vorliegenden Texten entschieden. Übrigens befinde sich die vermutlich vollständigste Sammlung aller in der DDR erschienenen Feuchtwanger-Romane - darunter auch eindrucksvoll gestaltete Prachtausgaben - in der Villa. Schließlich könne man im Feuchtwanger-Haus Einblick in eine Vielzahl bewegender Briefe und Grußadressen nehmen, die den Dichter von Einzelpersonen, aber auch von Brigaden aus Industriebetrieben und Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften der DDR erreicht haben. Einige von ihnen trügen den Namen Lion Feuchtwangers. Natürlich wären auch dessen Antworten dokumentiert.

Übrigens habe auch sie zum 80. Geburtstag 1971 zahlreiche Gratulationen aus der DDR erhalten und aufbewahrt. Für ihr Lebenswerk war Marta Feuchtwanger damals der Große Stern der Völkerfreundschaft verliehen worden. Diese hohe Auszeichnung hatte ihr der stellvertretende DDR-Ministerpräsident Alexander Abusch im Beisein des Präsidenten der Akademie der Künste, Konrad Wolf, und des seinerzeitigen Kulturministers Klaus Gysi in Berlin überreicht. Dort konnte sie auch den nach einem Feuchtwanger-Roman gedrehten DDR-Film "Goya" sehen, den sie als sehr gelungen empfand.

Für uns war es ein unvergeßliches Erlebnis, einer solchen Zeitzeugin des Wirkens deutscher antifaschistischer Intellektueller in Kalifornien begegnet zu sein. Marta Feuchtwanger starb 1987 im hohen Alter von 96 Jahren. Sie war eine gewinnende und geistreiche Frau, die ihren Mann in all seinen Lebens- und Schaffensperioden sehr wesentlich beeinflußte und ihn oft zu Romangestalten inspirierte, zugleich aber auch auf ein eindrucksvolles eigenes literarisches Werk zurückblicken konnte.

Prof. Dr. Rolf Sieber/Helga Sieber

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Kritisch-solidarische Wortmeldung eines Theologen

Zur Dialektik von Verstand und Gefühl

Für Atheisten und Freidenker empfinde ich Respekt, sind sie doch bemüht, alles Leben und Streben auf diesem Planeten und im Kosmos rational zu erklären, wobei sie auf metaphysische Krücken verzichten. So kann man Dr. Vera Butler, die in ihrem Beitrag "Nachsinnen über drei Religionen" (RF 182) die Gebrechen und (leider nicht vor Gericht zu bringenden) Verbrechen der großen Weltreligionen aufzählt und auf deren Mitverantwortung für Kriege, Unterdrückung und Menschenverachtung hinweist, generell nur zustimmen.

Die Feststellung, daß die "heiligen" Schriften keine Quellen wissenschaftlicher Erkenntnis sind, wird von den Gelehrten mindestens der beiden großen christlichen Konfessionen nicht bestritten, ist also in unserem Lebensumfeld allgemein anerkannt. Einem Nebensatz in diesem Satz möchte ich jedoch widersprechen:

"Die 'heiligen' Schriften der drei monotheistischen Religionen ... sind erklärtermaßen keine Quellen wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern verlangen von den Gläubigen Unterwerfung, gedankenloses Nachbeten von Psalmen und Suren, wobei deren Fabeln ebensowenig himmlische Offenbarungen wie Märchen oder Sagen sind." (Hervorhebung vom Verfasser)

Aus Vera Butlers Sicht auf den Menschen als gesellschaftliches Wesen gibt es nur das Gegenüber von wissenschaftlicher Erkenntnis und blindem Gehorsam gegenüber unbewiesenen unwissenschaftlichen religiösen Texten. Das halte ich für eine Einengung, ja, für die Hinleitung zu einer Alternative, in die sich das wirkliche Leben nicht hineinzwängen läßt.

Zum einen ist zu fragen, wie es um die Relevanz wissenschaftlicher Erkenntnis für das gesamte menschliche Leben steht. Unbestritten bleibt diese für allen Umgang des Menschen mit materiellen Erscheinungen, einschließlich der belebten Natur mitsamt des Menschen, wenn es um Erkenntnis von deren Entstehung, Entwicklung, Pflege und Förderung geht. Selbst die Psychologie bedient sich ja wissenschaftlicher Erkenntnismethoden.

Doch frage ich - und nun kommt mein Einwurf -, ob denn das ganze menschliche Leben nur aus Streben und Anwenden wissenschaftlicher Erkenntnisse besteht? Ich denke, jedem ist sofort klar, daß es Bereiche gibt, in denen Menschen nicht als Forscher und Wissenschaftler agieren, sondern als vom Gefühl geleitete "beseelte" Wesen, deren wichtigste Entscheidungen und Erfahrungen gerade nicht wissenschaftlich fundiert sind.

Eine zweite Bemerkung: Bei der Lektüre des Aufsatzes spüre ich einige etwas herablassende Töne, wenn es um nichtwissenschaftliche Texte geht: Fabeln, Märchen und Sagen scheinen der Autorin zu belächelnde, vielleicht sogar zu überwindende Relikte aus "unwissenschaftlichen" Zeiten zu sein.

Aus meiner Beschäftigung mit Widerstand und Verfolgung durch das Naziregime habe ich erfahren, welche tiefe und rettende Bedeutung gerade auch poetische Texte, Gedichte, Lebensweisheiten, aber auch Musik und Gesang für die inhaftierten und gedemütigten Menschen besaßen. In Buchenwald ein Gedicht von Goethe zu lesen oder aus dem Gedächtnis vorzutragen, hat aufgebaut und im Widerstehen bestärkt. Ich könnte viele Beispiele anfügen, daß Menschen durch Berührung mit Musik, Literatur und Kunst wichtige Lebenserfahrungen machen konnten - ganz "unwissenschaftlich".

Noch einmal meine wichtigste These: Gleichbedeutend und gleichgewichtig wie die Ratio ist auch die Psyche ein untrennbarer Bestandteil des menschlichen Wesens. Es macht keinen Sinn, beide gegeneinander ausspielen zu wollen, so daß dann der eine über den anderen Anteil siegt. Bei solchem Vorgehen können der Mensch und die Menschlichkeit insgesamt nur verlieren. Wenn ich meinem Enkel eine "unwissenschaftliche" Gute-Nacht-Geschichte vorlese, habe ich sicher genauso zu seiner Persönlichkeitsentwicklung beigetragen wie später der Mathematik- oder Physiklehrer in der Schule.

Und an manchen berühmten Beispielen zeigt sich ja auch überzeugend, daß nicht nur Kenner des Kommunistischen Manifests, sondern auch Beter von Psalmen, Sänger von Chorälen und Genießer Bachscher Musik Persönlichkeiten mit großer Vorbildwirkung geworden sind - denken wir nur an Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer, aber auch an Albert Schweitzer und Martin Luther King.

Natürlich fordert eine so vernichtende Beurteilung des Handelns der christlichen Kirchen in ihrer 2000jährigen Geschichte zur Stellungnahme auf. Für mich gilt, daß ich erstens für konsequenten Laizismus eintrete, also die staatliche Alimentierung der Kirchen ablehne. Die schon in der Weimarer Verfassung postulierte Trennung von Staat und Kirche muß endlich durch die Gesetzgebung des Bundes und der Länder vollgültig verwirklicht werden. Zum anderen setze ich mich in den kirchlichen Kreisen, die mir noch zugänglich sind, dafür ein, daß meine Mitchristen mit dem Kenntnisnehmen und einer schonungslosen Kritik der Kirchengeschichte selbst tätig werden.

Andererseits weiß ich zu würdigen, was Kirchen trotz ihrer theologischen Irrtümer und ihrer gesellschaftlichen Verbrechen an Menschen und Völkern auch an Wertvollem hervorgebracht haben - bis in die heutige Zeit. Dabei denke ich vor allem an Musik und Literatur. Daß wir Lieder haben und singen können wie "Geh aus, mein Herz", daß wir Oratorien von Bach und Mendelssohn hören und verinnerlichen können, daß wir uns an wunderbarer Orgelmusik erfreuen, gehört auf die Leuchtseiten der Institution Kirche. Natürlich ist mir voll bewußt, daß sich Theologen dafür hergegeben haben, das Sterben in Kriegen um Macht und Profit auch durch Worte der Bibel, die dafür nicht geschrieben wurden, zu rechtfertigen. Mit der Trennung von Staat und Kirche würde sich dieses Problem umgehend erledigen, denn dann gäbe es auch kein Kirchenamt für die Bundeswehr mehr.

Machen wir es doch so, wie fortschrittliche Christen zu DDR-Zeiten der Widerstandskämpfer und der Opfer des Faschismus in Buchenwald gedacht haben: Am Gedenkstein für die dem Pogrom von 1938 zum Opfer gefallenen Juden haben wir einen alttestamentlichen Psalm gelesen und ein jiddisches Lied gesungen. In der Todeszelle von Pfarrer Paul Schneider haben wir Texte des Neuen Testaments gelesen, an sein tapferes Widerstehen gegen die Brutalität der SS erinnert und einen christlichen Choral angestimmt. Und am Krematorium, in dem der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann ermordet und eingeäschert wurde, haben wir aus seinen Briefen gelesen und danach gesungen "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit".

Peter Franz, evang.-luth. Theologe

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"Sondervorlesung" bei Otto Prokop

Mit einem Brief an die "Direktion der Deutschen Reichspost" in Angermünde nahm eine wundersame Geschichte ihren Anfang, die ich hier erzählen möchte.

Als erst 26jähriger Amtsleiter erhielt ich am 19. August 1981 einen Brief, der mir zunächst einmal die Sprache verschlug. Der Text lautete: "Sehr geehrte Herren! Mit großem Vergnügen sehe ich, daß zur Frankatur von Postsendungen noch Marken aus dem Jahre 1946 verwendet werden können. Bitte bestrafen Sie den Absender des Briefes nicht. Vielmehr scheint es angezeigt, die für Briefmarkensammler interessante Ganzsache zu den Kuriositäten zu rechnen, die schon einmal vorkommen. Herzliche Grüße, Ihr Otto Prokop."

Was bezweckt der Professor eigentlich damit, fragte ich mich. Muß ich das ernst nehmen und als Eingabe bearbeiten? Der titelreiche Stempel im Briefkopf forderte Respekt und riet zu besonderer Vorsicht, auf juristisch korrekte Behandlung zu achten und dem Professor persönlich zu antworten. Immerhin hatte ja ein Institutsdirektor aus Berlin an uns Postler geschrieben! Ich glaubte herauszulesen, der "große Unbekannte" sei ein toleranter Mensch. So entschloß ich mich, sachlich korrekt sowie in einer Mischung aus "Pflicht und Kür" zu antworten. Meine Vorstellung, die Angelegenheit sei damit erledigt, zeugte indes von Unkenntnis über diesen sehr sympathischen Wissenschaftler. Nur vier Tage nach Versand meines Schreibens erhielt ich Post von ihm. Er lud mein Kollektiv in das weithin berühmte Institut für gerichtliche Medizin der Berliner Humboldt-Universität ein.

Als dann in der auflagenstarken DDR-Zeitschrift "Magazin" im September 1981 ein Porträt "meines" Professors erschien, war ich zunächst erschrocken, mit was für einer Koryphäe ich da korrespondierte. Seine Briefe an mich endeten doch stets nur mit den drei handschriftlich zu Papier gebrachten Worten "Ihr Otto Prokop".

Sein 60. Geburtstag am 29. September 1981 war mir Veranlassung, sein großzügiges Angebot dankend anzunehmen. Unterzeichnet hatte ich mit meinem Namen und dem damaligen Dienstrang Rat, wie es der Schriftverkehr der Deutschen Post verlangte.

Prof. Prokop zögerte abermals nicht mit der Antwort. "Versprochen ist versprochen!" Damit war die Visite bei ihm vereinbart. Als Replik auf meinen "Ratstitel" schloß Otto Prokop humorvoll mit Prof. Dr. sc. med. Dr. hc. mult.

20 Postkollegen, von denen einige "meinen" Professor aus Studientagen kannten und verehrten, gehörten unserer Besuchergruppe an. Sie konnten es gar nicht fassen, daß ich ihnen eine solche Begegnung ermöglichte. Der Gastgeber behandelte uns wie eine hochrangige Delegation und nahm sich für das Gespräch vier (!) Stunden Zeit. Damals hatte der international renommierte Hochschullehrer allein im Ausland schon mehr als 50 Bücher veröffentlicht.

Prof. Prokop war Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR wie der Londoner Society of Medicine und zählte zu den weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der Blut- und Serumgruppenforschung. Er fesselte uns mit einer "Sondervorlesung".

Ein Imbiß, wie er das uns gereichte Festmahl bescheiden nannte, gab der Gruppe die nötige Kraft, eine anschließende Besichtigung gewisser "Exponate" der Gerichtsmedizin durchzustehen.

Es war für uns unvergeßlich, einem so profilierten Mann begegnet zu sein. Die Schlichtheit, mit der er sein Wissen vermittelte, beeindruckte alle. Ergänzende Bemerkungen zur Pathologie ließen uns viel Aufschlußreiches erfahren. Nachdem wir Prof. Prokop als Dank ein zum Posthorn gewandeltes Jagdhorn überreicht hatten, nannte er sich in weiteren Briefen an mich einen "Berufskollegen".

In den Folgejahren entspann sich ein von mir nicht erwarteter und sehr humorvoller Schriftwechsel. Er bereitete meinem Partner offensichtlich das gleiche Vergnügen wie mir. Unser Kontakt endete am 12. Oktober 1996. Aus Anlaß des 75. Geburtstages von Otto Prokop und des 110jährigen Bestehens des Instituts für Rechtsmedizin fand ein Wissenschaftliches Symposium statt, auf dem er seinen zahlreichen Gratulanten aus aller Welt eine Dankesrede in Latein hielt, die alle - ob aus Tokio oder Prag - gleichermaßen verstanden.

An jenem Tag hatte ich mich wie selbstverständlich unter die Überbringer von Glückwünschen eingereiht. Zu meiner Verblüffung erkannte er mich sofort. "Der Postminister aus Angermünde", sagte er belustigt. Daß seine Rede alles andere als "trocken" gewesen sein mußte, entnahm ich dem häufigen Gelächter, da ich vom Text kein Wort verstand. Das habe ich Prof. Prokop nicht mehr mitgeteilt, sonst hätte er mir gewiß die Übersetzung zukommen lassen - eine Mühe, die ich ihm nicht auch noch zumuten wollte.

Am 20. Januar 2009 starb mein verehrter "Berufskollege". Uns verband eine wunderbare Brieffreundschaft. Ich gedenke dieses großen Wissenschaftlers mit Bewunderung und Wehmut.

Hans-Ulrich Tittler, Berlin

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Aus Hellges Anekdotenkiste: Die magische 60

Nahezu sechs Jahrzehnte hatten wir uns nicht gesehen. Anfang der 50er Jahre waren wir beide Teilnehmer eines Jahreslehrgangs an der Zentralen Parteischule für Kunst und Literatur "Rosa Luxemburg" in Erfurt. Eines Tages fragte er mich, ob ich nicht Lust hätte, nach Abschluß des Kurses beim Kulturbund anzufangen. Und ob ich Lust hatte!

Doch meine Parteioberen und die Kaderabteilung im ZK entschieden anders. So trennten sich damals unsere Wege.

Unlängst entdeckte ich seinen Namen in "DDR - unser Leben", einer vom April-RF optisch vorgestellten Publikation des Schkeuditzer GNN-Verlages. Unter den Autoren befand sich auch Prof. Dr. Karl-Heinz Schulmeister. Er hatte über Klaus Gysi und dessen verdienstvolles Wirken als Mitbegründer des Kulturbundes, Chefredakteur der KB-Zeitschrift "Aufbau", beim Schulbuchverlag "Volk und Wissen", als Minister für Kultur, Botschafter der DDR in Italien und Staatssekretär für Kirchenfragen geschrieben. Natürlich rief ich ihn daraufhin an. In einer Kaffeestunde, zu der wir - meine Frau und ich - eingeladen worden waren, plauderten wir über bewegte alte Zeiten.

Unser Gastgeber war mehr als 60 Monate Bundessekretär des Kulturbundes, während ich es - auf Grund berufsbedingter Ortsveränderungen - als Kreisvorsitzender nur auf etwas über 60 Wochen gebracht hatte. Im Verlauf des Gesprächs erfuhren wir, daß Prof. Dr. Schulmeister zwar den "RotFuchs" kannte und ihn auch sporadisch gelesen hatte, aber noch nicht zu seinen ständigen Beziehern gehörte. Was lag da näher, als ihn für ein Abonnement zu interessieren. So wurde er der 60. ständige Leser, den ich für unsere Zeitschrift zu gewinnen vermochte. Beim Abschied überreichte mir der Hausherr sein Buch "Begegnungen im Kulturbund", mit dem er einstigen Weggefährten wie Alexander Abusch, Johannes R. Becher, Max Burghardt, Franz Fühmann, S.I. Tjulpanow, Paul Wandel und Erich Wendt ein Denkmal gesetzt hat.

Helmut Hellge

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Griff in die literarische Schatztruhe

Einst erfolgreiche DDR-Autoren dem Vergessen entreißen! (7)

Ludwig Turek: "Am 28. August 1898, einem Sonntagabend, erblickte ich zum ersten Mal das Licht. Es war das Licht einer alten Petroleumlampe. Ich glaube, meine Mutter hatte zu dieser Geburt an einem Werktag keine Zeit."

Der vitale und unverwüstliche Turek starb nach einem erfüllten Leben 1975 mit 77 Jahren - heiter und lebensbejahend noch auf dem letzten Krankenlager, wohin ihm das Erstexemplar seines neuen Buches "Mein Freund Bruno" gebracht worden war. Turek schlug sich im "Urwald des Kapitalismus" durch, unter anderem als Kleinknecht, Buchdrucker, Soldat, Häftling und Kämpfer der Roten Ruhrarmee. Er schuftete bei Hösch, arbeitete in einer Brikettfabrik für Lokomotiven, im Kalischacht und als Schriftsetzer.

Ludwig Turek schrieb in der linken Presse und gehörte dem Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller an. Sein Erstling "Ein Prolet erzählt" (1930) wurde mehrfach verlegt und 1957 unter dem Titel "Gejagt bis zum Morgen" verfilmt. Für das Honorar kaufte er ein Faltboot und fuhr damit über die Ostsee nach Leningrad, dann quer durch die Sowjetunion. Auf der Wolga ging sein Boot unter, er baute sich ein neues, überwinterte als Setzer in Odessa, fuhr auf dem Seeweg nach Konstantinopel. Die letzte Nachricht an den Verlag kam im Sommer 1932 aus Athen. Diese ungewöhnliche Reise führte ihn auch nach Italien, Frankreich und Spanien.

Wichtige Werke Tureks waren ferner: "Die letzte Heuer" (Prag 1935, in Fortsetzungen von der "Arbeiter-Illustrierten-Zeitung" veröffentlicht und 1951 unter diesem Titel von der DEFA verfilmt), "Die Freunde" (1947), "Anna Lubitzke" (1952 als Buch und 1960 als Film "Steinzeitballade"), "Familie Nagelschwert" (1961), "Ich war kein Duckmäuser" (1967), "Die Liebesfalle" (1969, als Film - 1976 - mit Marianne Wünscher und Fred Delmare) und "Ahoi, dufte Wanne" (1974). Weitere Filme entstanden nach Werken Tureks, darunter "Unser täglich Brot" (mit Slatan Dudow) und "Emil, der Versager" (1982, mit Dieter Mann). 1974 wurde die publizistische Fernsehsendung "Turek erzählt" ausgestrahlt, in der er sich mit vielen Anekdoten einprägsam, skurril und verschmitzt zu präsentieren wußte.

Zu Tureks Schaffen zählt auch die Novelle "Leben und Tod meines Bruders Rudolf" (1930). Diese brachte erstmals Wieland Herzfelde in der Anthologie "30 Erzähler des neuen Deutschland" heraus. Die Novelle wurde mehrfach übersetzt, unter anderem von André Gide in Frankreich. Anläßlich des 90. Geburtstages des Schriftstellers veranstaltete der Freundeskreis "Ludwig Turek" im Kulturbund eine Festwoche, bei der dessen Leben und Schaffen vorgestellt, Filmdiskussionen geführt und eine Ausstellung eröffnet wurden.


Georg W. Pijet: Der Urberliner Georg Waldemar Pijet verfaßte bereits als 23jähriger Hörspiele wie "Mietskaserne" und "Treibjagd". In beiden berichtet er über das Leben der Arbeitslosen während der Weltwirtschaftskrise. Pijet schrieb insgesamt 50 Hörspiele für Kinder und Jugendliche über hervorragende Persönlichkeiten der Geistes- und Kulturgeschichte wie Rembrandt, Gauß und Schubert, aber auch über Clara Zetkin.

Auf der Harzer Bergbühne zeigte das Volkstheater Halberstadt Pijets Märchenkomödie "Tilla und der Burgvogt". Der Autor zählte 1928 zu den Gründungsmitgliedern des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Das "Lesen mit Bleistift und Schere" wurde seine Methode, um merkwürdige Ereignisse für Anekdotenstoffe auszugraben. Pijet schrieb: "Eine Anekdote soll die Charakteristika, das Eigentümliche, Ursprüngliche des betreffenden Menschen darstellen. Seine Aussprüche brauchen nicht wahr - sie müssen wahrhaftig sein, das heißt, sie müssen seinem Naturell und seiner geistigen Haltung entsprechen."

Seit frühester Jugend trug Pijet des Merkens würdige Episoden aus dem Leben von Schriftstellern, Malern, Musikern, Schauspielern, Komponisten, Wissenschaftlern und Politikern verschiedener Perioden zusammen. Dabei wußte er deren Charakter, Verhaltensweise, Mentalität oder Spezifika blitzartig und pointiert zu erhellen, um sie der Mit- und Nachwelt auf vergnügliche Weise zu präsentieren.

Pijet brachte über 5300 Anekdoten zu Papier, die in vielen Tageszeitungen verstreut erschienen. Nur zum Teil liegen sie in Bändchen wie "Die Bastschuhe und die Diplomaten", "Prozeß für Lenin", "Die Bombe unterm Bett" und "Duell mit der Vergangenheit" vor. Der 1907 geborene und 1988 verstorbene Schriftsteller, der in Berlin-Pankow bescheiden lebte, wurde mehrfach ausgezeichnet. Zu seinem 80. Geburtstag erschien 1987 sein Erinnerungsbuch "Die Bretter meiner Welt - Geschichten meines Lebens".

Dieter Fechner

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Wie Finanzminister Schäuble sämtliche Staatsschulden loswürde

Plädoyer für eine Fenstersteuer!

Unsere Redaktion hat durch besondere Umstände von einer dem Bundesfinanzminister unterbreiteten spektakulären Idee Kenntnis erhalten, die sie den RF-Lesern bei aller in einem solchen Falle gebotenen Diskretion nicht verschweigen zu dürfen glaubt. Der folgende Text weist den Weg zu einer echten Schuldenbremse:

Sehr geehrter Herr Finanzminister!

Sie haben so viel Mühe mit unserem Geld und mit uns, daß ich Ihnen heute einen Vorschlag unterbreiten möchte, der wirklich Neues enthält: Es geht um die Einführung einer "Fenstersteuer", durch die Sie buchstäblich über Nacht aller Sorgen ledig wären.

Wenn Sie in der Bundesrepublik sämtliche Fenster besteuern würden, könnten dadurch schlagartig enorme Summen zur Verfügung stehen.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand.

Jeder Bürger hat ein oder mehrere Fenster, durch die er täglich schaut.

Er genießt optisch die Umwelt, ohne dafür auch nur den geringsten materiellen Gegenwert auf den Kassentisch des Staates legen zu müssen.

Die meisten Fenster kann er sogar öffnen, frische Luft hinein- und Stubenmief oder Küchengerüche abziehen lassen.

Der Bürger steht über das Fenster nicht nur visuell, sondern auch durch den Gasaustausch in unmittelbarem Kontakt mit unserer schützenswerten Umwelt.

In Wohnung, Werkstatt, Büro-, Geschäfts- und Fitneßräumen bezieht er durch Fenster die wärmenden Strahlen der Sonne zum Nulltarif.

Der Konsument spart am Tage nicht nur Energie für die Innenbeleuchtung, sondern wird - zumindest bei Sonnenschein - auch kostenlos be- und erleuchtet.

Man sollte die eminente Schutzfunktion der Fenster nicht vergessen! Deren Scheiben sind ein Schirm gegen Wind und Wetter, Regen und Hagelschlag, Zugluft und Abgase, Feinstaub und Vogelkot. Das Fensterglas wehrt überdies unliebsame Eindringlinge wie Fliegen, Mücken und Fledermäuse, aber auch Wohnungseinbrecher - zumindest in gewissen Grenzen - ab. All diese Wohltaten, die der Fiskus dem Bürger gewährt, schreien geradezu nach Steuerung in Form von Besteuerung.

Wenn man aber bedenkt, daß einzelne Menschen, Familien, Kanzleien, Geschäfte, Fabriken, Banken und Versicherungen über sehr viele Fenster verfügen, tut sich Ihnen kein finanzielles Rinnsal, sondern geradezu ein monetäres Meer auf. Durch Zählen und Ausmessen sämtlicher lichtdurchlässigen Glasflächen läßt sich der Besteuerungsfaktor nahezu spielend erheben. Sollten die Fenster für eine Messung indes nicht erreichbar sein, darf die Ermittlung in bewährter Weise von Amts wegen erfolgen. Zu diesem Zweck sollte in Ihrem Ministerium unverzüglich eine personell gut ausgestattete Abteilung für die Eintreibung von Fenstersteuern geschaffen werden. Das wäre zugleich auch ein Akt echter Humanität und Nächstenliebe, weil dadurch ganze Scharen Arbeitsloser von der Straße weg in Lohn und Brot gebracht werden könnten. Hierzu gibt es ja bereits als Orientierungshilfe Vorbilder wie die Legionen von Versicherungsunternehmen und Krankenkassen, die ein bedeutendes Erwerbslosenpotential zugunsten und auf Kosten der Bevölkerung nahezu unsichtbar binden.

Die einzurichtende Sonderbehörde Ihres Hauses würde sich übrigens aus eigenem Aufkommen finanzieren und Millionen Fensterbesitzern oder -nutzern echte Freude bereiten. Etwas härter könnte es nur die Eigentümer sehr großer und üppig verglaster Gebäude treffen. Doch auch hier wäre Abhilfe zu schaffen: Ihnen sollte aus Gründen sozialer Gerechtigkeit, wie das bei Strompreisen für energieintensive Konzerne bereits gehandhabt worden ist, ein Nulltarif eingeräumt werden. Der alte gute Spruch dient dabei als Maßstab: Wer viel hat, bekommt noch mehr. Umgewandelt hieße das: Wer viele Scheiben besitzt, muß weniger Fenstersteuern zahlen. Es ginge also weniger darum, die Fensterbesitzer als vielmehr die Fensternutzer zur Kasse zu bitten. Denn der Schutz des Eigentums muß auch hier oberstes Gebot bleiben.

Amtsgebäude und Ministerien sind grundsätzlich von der Fenstersteuer befreit. Das sollte auch für die darin Tätigen gelten. Wer das nicht akzeptiert, hat einfach eine Mattscheibe.

Zu der Frage, wer aber die Fenster zählen, ausmessen und die Ergebnisse dann an das Finanzamt weiterreichen könnte, unterbreite ich Ihnen noch einen besonders kostengünstigen Vorschlag: Schüler von der 1. bis zur 13. Klasse werden mit dieser Aufgabe betraut. Die Aufsichtspflicht obliegt den Lehrern. Sie stehen bei ihrer Berufsehre für die Richtigkeit der erhobenen Werte ein. In Vorbereitung darauf sollten das Bundesbildungsministerium und die entsprechenden Ministerien der Länder unverzüglich die Lehrpläne in den Fächern Mathematik und Geometrie den Bedürfnissen der Fenstersteuer-Erhebungsaktion anpassen. Die jungen Leute würden dann schneller begreifen, daß sie nicht für die Schule, sondern für das Leben und ihr Finanzamt lernen.

Einmal in Gang gebracht, wird die Fenstererhebung zum Selbstläufer, der sich Jahr für Jahr geradezu spielend zu wiederholen vermag.

Lehrern aber, die sich einer solchen Auflage zu entziehen oder gar zu widersetzen versuchen, wäre mit Gehaltskürzung oder Entlassung aus dem Schuldienst zu begegnen, was ein weiteres Einsparungspotential erschließen könnte.

Hochachtungsvoll!

L. S.

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Archie über paradiesische und andere Zeiten

Eine proletarische, bitterarme Kindheit, dazu mit brauner Nazi-Soße übergossen, HJ mit Fähnleinführer vor der Nase, Wut wegen Demütigungen ohne Ende - das war Archies "Kinderstube". Wir wurden als Lumpenpack bezeichnet, nur weil wir in Behelfsbaracken wohnten.

Die kleinen "Strolche" sahen im Sommer so aus, als wären sie durch die wolhynisch-podolischen Sümpfe gewatet. Bis zu Archies elftem Lebensjahr passierte wenig Erfreuliches, dann wurde es sogar noch schlimmer. Seine geliebte Großmutter starb 1939, als der 2. Weltkrieg begann, während der grämliche Arbeiter-Vater bis Kriegsende nach seiner vorzeitigen Einberufung wegen Aufmüpfigkeit nicht mehr gesehen ward. Zuvor war er erwerbslos gewesen.

Die Zeit, die auf den Januar 1945 folgte, war von der Flucht vor der Front und den Bombenangriffen, aber auch vom anschließenden Umherirren durch das zerstörte Deutschland zwischen Bautzen, Bayern, Berlin und Bremen geprägt. Am Ende blieb er mit Mutter und Bruder wegen eines zerschossenen Viadukts in der Lausitz hängen. Es war das Schicksal Hunderttausender. Obwohl der Krieg sein Ende gefunden hatte, wurden die aus Schlesien und Ostpreußen vor den Kampfhandlungen Geflüchteten behandelt, als hätten sie eigenhändig den Krieg vom Zaun gebrochen. Sie wurden von Dorf zu Dorf gejagt.

Am Anfang fand es Archie in der Lausitz recht öde, auch der Dialekt sagte ihm nicht zu. Die anderen lachten nicht weniger über seine Vorträge auf dem Gymnasium in Bischofswerda wie über sein im Breslauer Armenviertel Tschepine gesprochenes Schlesisch. So war das halt. Aber Archie und andere büffelten gemeinsam und versuchten, aus der Geschichte seit Ende des Ersten Weltkrieges zu lernen. Gemeinsam mit frischgebackenen Neulehrern und übriggebliebenen alten Gymnasialpaukern kamen sie dahinter, daß die Ursachen für Krieg und Untergang im kapitalistischen System zu suchen waren. Sie erkannten dabei, daß Wirtschaftskrise, Großkapital, Nazi-Ideologie und Mißbrauch der Demokratie eine Kausalkette zwischen Hindenburg und Hitler bildeten. Schließlich kannten sogar einige von ihnen die markantesten Politiker der Weimarer Republik auswendig.

Der alte Geschichtslehrer, ein früherer SPD-Mann, der das KZ überstanden hatte, sagte ihnen damals: "Wenn Ihr das Kapital nicht an die Kette legt, frißt es Euch wieder mit Haut und Haar." Man verlachte ihn, doch wer lacht heute noch darüber? Das Kapital manipuliert die Menschen auch aus der Ferne, mit besonderer Vorliebe die "Brüder und Schwestern" im Osten.

Auf der Schule gab es Lehrer, die durchaus interessanten Theorien anhingen, so der des Finanzministers der Bayerischen Räterepublik von 1919, Silvio Gesell, vom tollen "Schwundgeld". Das Geld verliere seinen Wert, wenn es sich nicht im Umlauf befinde, sagte der lange vor dem Zeitalter der Finanzblasen ohne Ende. Archie fühlte sich auf diesem Gymnasium zum ersten Mal an der richtigen Stelle. Hier konnte man wirklich über alles diskutieren. Als er dann an die Berliner Uni kam, interessierte er sich für viele Disziplinen, landete aber - vielleicht etwas fehlgesteuert - bei den Sprachwissenschaften.

Damals stritt man viel und oft über den Zusammenhang zwischen Ökonomie und Gesellschaft. Leichtindustrie oder Schwerindustrie hieß die Alternative. Was ist besser für die Bedürfnisse des Volkes oder für das Gesellschaftssystem? Beim Studium ging es darum, ein Riesenpensum innerhalb von vier Jahren zu bewältigen - mit Zensurenerteilung, die Archie bisweilen an die Oberschulzeit erinnerte. Danach gab es die Berufswahl, die ebenfalls straff vom Staat gelenkt wurde. Das hatte Vor- und Nachteile, eigentlich aber mehr Vorzüge. Gewiß kam es bei der Entscheidung für einen Beruf auch zu "Irrungen und Wirrungen" - genauso wie bei der Partnerwahl. Das Studium verlief jedoch - mit dem heutigen verglichen - geradezu paradiesisch: preiswerte Studentenheime mit Verpflegung oder billige Studentenbuden, Stipendium für nahezu alle, keinerlei Studiengebühren ...

Archie konnte sich anschließend beruflich erproben, zunächst beim Verlag und beim Theater in Berlin, dann bei der DEFA in Babelsberg. Überdies war er auch als Übersetzer tätig - mal mit Erfolg, manchmal auch ohne.

Die Zeit verging wie im Fluge. Familiengründung und Quartiersuche oder Aufnahme in eine AWG, wie man die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften zu DDR-Zeiten verkürzt nannte. Ging da etwas schief, war es mehr eigene Schuld als die der Gesellschaft. Diese bot immer wieder Möglichkeiten an.

Die sozialistischen Länder hatte Archie in jenen Jahren zum größten Teil schon als Tourist kennengelernt. Im großen und ganzen fühlte er sich im Sozialismus wohl. Er gehörte auch nicht zu jenen, welche den Verlockungen des "goldenen Westens" auf den Leim gingen, weil ihm dort vieles aus eigener Wahrnehmung nicht behagte. Nur "Shoppen", Reisen und Häusle-Bauen waren nicht sein Ding.

Da kam für ihn wie aus heiterem Himmel, obwohl dieser ja gar nicht so heiter war, der sang- und klanglose Untergang der DDR. Damals war Archie 56. Während jener Vorgänge, die dann allgemein als "Wende" verkauft wurden, mußte er an den bayerischen Komiker Karl Valentin denken: "Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es jetzt schon ist", hatte der einmal gesagt.

Doch Archie ahnte im Innersten, daß die neuen Herren keinen Stein auf dem anderen lassen würden, daß sie alles zerstören würden, was die Menschen auch nur irgendwie an die DDR erinnern könnte.

Leider hat er recht behalten, auch mit seiner Erkenntnis, daß 40 Jahre DDR für ihn wie Millionen andere Mitbürger jener Zeit die produktivste und interessanteste Periode seines und ihres Erdendaseins gewesen ist. Er sagt das ungeachtet mancher Fehlentscheidungen und Defizite, die Archie natürlich auch nicht vergessen hat.

Manfred Hocke


Neuerscheinung

Im Verlag Wiljo Heinen, Berlin und Böklund, ist das Buch aus der Feder Manfred Hockes "Archies Pusteblume" erschienen. Es hat 208 S. und ist für 14 € unter ISBN 9-783955-140052 erhältlich.

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Leserbriefe an RotFuchs

Liebe Genossen - abermals herzliche Grüße aus Brasilien. Ich schließe gerade eine fünfzehntägige Etappe des Kurses der Politischen Ökonomie mit marxistisch-leninistischer Orientierung ab. Das Studium ist sehr intensiv. In den nächsten zehn Monaten werde ich mich in einige Werke des Marxismus - mit besonderem Akzent auf Kapital und Manifest - vertiefen. Mein Genosse Miguel Gonçalves Trujillo hat mir eine Botschaft übermittelt, die auch Ihr kennen solltet. Sie lautet: "Über den Verlust von Hugo Chávez muß man kein Wort mehr verlieren. In Brasilien und ganz Lateinamerika können wir viel von ihm lernen - von seiner Fähigkeit, Kontakt mit dem Volk zu halten, von seinem Mut, aber auch der Klarheit seiner Worte und seiner persönlichen Schlichtheit. Sie beeindrucken jeden von uns zutiefst." Laßt mich bitte wissen, in welcher Weise ich Euch im Rahmen meiner Möglichkeiten hier nützlich sein kann. Eine große Umarmung!

Clodualdo de Oliveira Lima, Aracaju-Sergipe, Brasilien


Westerwelle prophezeite nach dem Tod von Hugo Chávez einen "tiefen Einschnitt für Venezuela". Vermutlich meint er damit, daß es anders werden soll als bisher. Er hofft darauf, daß Venezuela jetzt "den Aufbruch in eine neue Zeit" schafft. Mit anderen Worten: weg von dem bisher Erreichten, vom Kampf für sozialen Fortschritt, von der Rolle des Landes im Widerstand Lateinamerikas gegen die US-Vorherrschaft, vor allem aber weg von der Freundschaft mit Kuba und der bolivarischen Revolution.
Das könnte diesem FDP-Außenminister so passen! Seine "neue Zeit" hatten wir doch schon mal. Auch damals wurde die Konterrevolution als "Wende" verkauft.
Alle fortschrittlichen Menschen in der Welt hegen den Wunsch, daß der Geist von Chávez in den Taten seiner Nachfolger fortleben möge und daß es zu keiner "neuen Zeit" à la Westerwelle kommt. Venceremos!

Dr. Klaus-Dieter Mund, Kleinschirma


Es sei der Zug der Zeit, "Ikonen des Sozialismus vom Sockel zu stürzen", schrieb ein ND-Leser. Auch Lenin bleibt davon nicht verschont, wie Hans-Dieter Schütts bei Arte gezeigter Streifen einmal mehr unter Beweis stellt. Lenin wird von manchen Apologeten des Kapitals in herabwürdigender Absicht als "Geburtshelfer Stalins" diffamiert.
Ich bin kein Wissenschaftler, aber in der DDR mit Lenin alt geworden. Für mich besteht seine welthistorische Leistung darin, daß er als Revolutionsführer in einem Sechstel der Erde den Kapitalismus besiegte. Wenn die Sowjetunion dann die "Mühen der Ebene" nicht zu bewältigen vermochte, geht das nicht auf sein Konto.
Darüber hinaus war Lenin auch ein genialer Theoretiker. Er hat den Marxismus in der Periode des Imperialismus weiterentwickelt und dargelegt, wie der Kapitalismus der "freien Konkurrenz" zur weltumspannenden, hier und dort demokratisch verbrämten Herrschaft des Monopol- und Finanzkapitals wurde. Eine Analyse, die heute ihre volle Bestätigung findet. Lenin hat damit der Hoffnung auf eine in Zukunft vom Kapital befreite Welt eine neue Chance gegeben. Denn so, wie es jetzt ist, kann und wird es nicht bleiben.

Eberhard Kunz, Berlin


Am 27. Februar diskutierten bei der Potsdamer Partei Die Linke 12 ihrer Mitglieder über Lenin. Der junge Moderator - er studierte Psychologie, nennt sich jetzt "Unternehmer" und will für das Europaparlament kandidieren - stellte sich als "Verantwortlicher für politische Bildungsarbeit" der Potsdamer Linkspartei vor. Während der zweistündigen Veranstaltung bemühte er sich ständig darum, bei Lenin "ein Haar in der Suppe" zu finden. Vier ältere Genossen, aber auch zwei jüngere stellten demgegenüber Lenins Verdienste heraus.
Während der Zusammenkunft mußte ich an meinen Freund Walter Ruge denken, der bis zu seiner letzten Stunde - er starb am 10. November 2011 im hohen Alter von 96 Jahren - bei klarem Verstand war. Drei Tage vor seinem Tod rief er mich an, um mich zum 94. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution zu beglückwünschen. Im Unterschied zu seinem jüngeren Bruder Wolfgang und dessen Sohn Eugen - der eine war ein angesehener Historiker der DDR, der andere betätigt sich jetzt schriftstellerisch - verteidigte Walter Ruge die Persönlichkeit und das Erbe Lenins mit Leidenschaft. Wir sollten uns an die Tatsachen halten: Neben Marx und Engels gehört Lenin zu den größten Weltveränderern.

Horst Jäkel, Potsdam


Am 28. April jährte sich zum 95. Mal der Geburtstag des herausragenden Journalisten und Fernsehkommentators Karl Eduard von Schnitzler. Der Sohn großbürgerlicher Eltern hätte ein behütetes Leben führen können. Doch ihn trieb anderes um. Als 19jähriger trat er 1937 der in den Untergrund getriebenen und drakonisch verfolgten KPD bei, für die er zeitweilig als Kurier arbeitete. Haft und "Verschickung" in das Strafbataillon blieben nicht aus. Er überlebte beides.
Nach anfänglicher Tätigkeit in westlichen Medien - vor allem beim damaligen Sender NWDR - machte er sich als profilierter und profilgebender Rundfunk- und Fernsehkommentator der DDR einen Namen. Vom 21. März 1960 bis zum 30. Oktober 1989 präsentierte er Woche für Woche das Fernsehmagazin "Der Schwarze Kanal", das 1915 Mal (!) ausgestrahlt wurde.
Im Gegensatz zu rasch Gewendeten blieb Kled auch 1989/90 seiner kommunistischen Überzeugung treu. Unvergeßlich ist mir ein Streitgespräch bei "TV Berlin", in dem er der wütend über ihn herfallenden Meute um den Westberliner CDU-Senator Lummer Paroli bot. Karl Eduard von Schnitzler, der zu den ersten Autoren des RF gehörte und das bis zu einer schweren Erkrankung blieb, verdient allemal, daß man sich seiner dankbar erinnert.

Wilfried Steinfath, Berlin


Der erste RF-Leitartikel dieses Jahres hat die strategisch richtige Empfehlung gegeben, als er die Linkspartei als einzige parlamentarische Gegenkraft des Friedens und des Antifaschismus darstellte und dazu aufrief, dafür zu sorgen, daß sie weiter im Bundestag vertreten ist. Die verantwortlichen Funktionäre der Linkspartei sollten dem Rat dieses Leitartikels folgen und in seinem Sinne um die Sammlung der linken und antifaschistischen Kräfte bemüht sein. So würden sie vielen derzeit noch Zweifelnden am Wahltag die Entscheidung erleichtern.

Manfred Wulf, Glauchau


Stück für Stück werden durch Funktionsträger der Partei Die Linke Grundsätze unseres Parteiprogramms aus dem einzigen Grunde öffentlich zur Disposition gestellt, weil sie sich über Rot-Rot-Grün eine Machtbeteiligung erhoffen. Um diesem Ziel näherzukommen, hofiert Lothar Bisky außenpolitisch die in Kriege verstrickte EU, während er innenpolitisch die Haltung der sächsischen Landtagsfraktion zur Schuldenbremse toleriert. Wenn sich die Partei aber "gesellschaftlichen Erfordernissen" öffnet und faule Kompromisse schließt, geschieht das stets unter Hinweis auf ihre vermeintliche Zukunftsfähigkeit.
Ich will das alles nicht, denn die politischen Grundprobleme sind nur durch Überwindung des bestehenden Gesellschaftssystems zu lösen, wie es der Göttinger Parteitag im Programm festgeschrieben hat.
Wenn wir unser Programm in wichtigen Eckpunkten schon wieder öffentlich in Frage stellen, nur um uns für andere Parteien "feinzumachen", kann man doch gleich das sozialdemokratisch-grüne Original wählen. Nicht mit mir!

Raimon Brete, Chemnitz


Wenn sich die Linkspartei der Hartz-IV-Partei SPD und der grünen Kriegsbefürworterpartei an den Hals wirft, ist sie geliefert, kann sie aufgeben oder gleich zur SPD überlaufen. Schon das Kooperationsangebot der beiden Parteivorsitzenden an die SPD war ein Zeichen von Schwäche und wurde erwartungsgemäß mit Hohn zurückgewiesen. Nur eine eigenständige und selbstbewußte Linke mit klarem Profil und dem logischen Ziel, als Friedenspartei die NATO abzuschaffen, hat in diesem Deutschland eine Daseinsberechtigung. Lothar Bisky sollte sich mal die Weltkarte ansehen, dann würde er nach dem Markieren der NATO-Staaten erkennen, wie sich der auf Strangulierung zielende Ring dieses Aggressionsbündnisses um Rußland legt. Steinbrück als Wahlempfehlung ist völlig daneben. Dies ist ein Mann der Finanzwirtschaft, sein jüngstes soziales Getöse entspringt reiner Wahltaktik.
Genosse Bisky sollte seine Zeit nicht mit der Hamburger "Zeit" vergeuden, sondern lieber sein Rentnerdasein genießen.

Hans-Joachim Wagner, Berlin


Jetzt habe ich es geschafft, alle CDs von den zurückliegenden RF-Jahrgängen durchzuarbeiten. Für mich war jede "RotFuchs"-Ausgabe eine Art Geschichtsunterricht. Es war für mich bitter nötig, endlich einmal die Chronik von BRD und DDR aus der Sicht der "anderen" Seite zu erfahren und zu verarbeiten.

Johann Weber, Ruhstorf (Niederbayern)


An jedem Monatsersten gibt uns der "RotFuchs" Auftrieb und Bestätigung.
Obwohl ich jetzt als in Bayern lebender früherer DDR-Bürger weiß, daß ein oft genug wenig lernbereiter Apparat letztlich dem Gegner in die Hände spielte, was zum Untergang des ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates beitrug, bekenne ich mich nach wie vor zum Marxismus-Leninismus.
So mancher, der 1989 auf die Straße lief und "Wir sind ein Volk" mitschrie, hat sich längst - mit einem krisengeschüttelten und in Kriege verstrickten Kapitalismus konfrontiert - eines Besseren besonnen. Denn unsere damaligen Voraussagen - seinerzeit als bloße "Parolen" abqualifiziert - haben sich bestätigt.
Der Kapitalismus kennt in seiner Profitgier keine Grenzen. Was Wunder, daß Pferdefleischskandale, Eierskandale und Futtermittelskandale längst zum Nachrichten-Alltag der Bundesrepublik gehören. Angesichts solcher "Errungenschaften" kann ich nur sagen: Auf derlei Dinge konnten wir in der DDR getrost verzichten.
Eine Zeitschrift wie den "RotFuchs" zur Hand zu haben, ist ein wirkliches Geschenk. Es ist die Gewißheit, zum Kreis jener zu gehören, welche das Erbe Wilhelm Piecks und Otto Grotewohls in ihren Herzen tragen. Ich bin stolz darauf, auch im tiefsten schwarzen Bayern dabeizusein.

Hans-Peter Ackermann, Oberviechtach


Es ist verdienstvoll, daß der "RotFuchs" durch Abdruck der Rede von Leo Kuntz an den 80. Jahrestag der KPD-Tagung mit Ernst Thälmann in Ziegenhals erinnert hat. Auch ich war bei der Aufstellung des Gedenksteins zugegen. Das Ereignis bewegte mich zutiefst, stimmte mich aber auch nachdenklich, weil ich unter den etwa 600 Teilnehmern ganz überwiegend Menschen mit weißer Haarfarbe entdeckte.
Seit der Konterrevolution erscheint es mir notwendiger denn je, daß organisierte Linke und deren gewählte Abgeordnete alles unternehmen, um den nachwachsenden Generationen ihr Wissen und ihre Erfahrungen zu übermitteln. Wir müssen Herz und Hirn der Jüngeren erreichen, denn sie sollen die Fackel weitertragen.

Egon Bethge, Berlin


Das Getöse um den neuen, aus Argentinien stammenden Papst, dessen Rolle während der Militärdiktatur äußerst dubios ist, hat seine Gründe. Der Imperialismus hegt die Hoffnung, mit Franziskus fortschrittliche Entwicklungen in Lateinamerika noch massiver unterlaufen und blockieren zu können.
Recht ähnlich verhielt es sich seinerzeit mit der Wahl des durch Zbigniew Brzezinski handverlesenen polnischen Papstes, in dessen Sog die Solidarnosc entstand, welche den Niedergang des Sozialismus in Polen innenpolitisch besorgte. Nach der Papstwahl dürfte es für die linken Kräfte nicht leichter werden, da der Vatikan bald neue Register der Demagogie und "Volksnähe" ziehen wird.

Carsten Hanke, Rostock


Kürzlich brachte die "Märkische Allgemeine" den Artikel "Merkel war 'zu gut' in Russisch". Ich kann es Frau Benn, Angelas Russischlehrerin, nachfühlen: Kritik vom Schulrat höchstpersönlich muß in der DDR ein furchtbares Erlebnis gewesen sein. Da kann sich die gute Frau noch freuen, daß sie nicht auch noch wegen "Begünstigung des Klassenfeindes" mit Berufsverbot belegt worden ist. Dennoch fragt sich, wie Frau Merkel eigentlich trotz solcher Widerstände sogar bei einer Parteiversammlung ihre hohen Qualifikationen ohne Schulgeld erreichen konnte. Wie vermochte sie den Doktortitel zu erwerben und zuvor ein Zusatzstudium in der UdSSR wahrzunehmen, wohin der Staat doch mit Sicherheit keine "Abweichler" delegierte? Ist sie da etwa illegal eingereist? Auch eine FDJ-Agitatorin an der Akademie der Wissenschaften, wohin sie nach dem Studium vermutlich wider Willen verbannt worden sein muß, hatte doch "linientreu" zu sein. So würde mich ein Blick in Frau Merkels Abschlußarbeit in Marxismus-Leninismus wirklich reizen. Doch diese ist entweder unter Verschluß oder irgendwie anders "abhanden gekommen".

Bernd Graupner, Pritzwalk


Mit Empörung habe ich Pressemeldungen entnommen, daß die FDP als erste den Konsens aller im Bundestag vertretenen Parteien gegen Neonazismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit aufkündigte, indem sie sich gegen ein NPD-Verbot wandte. Mit dem Slogan "Dummheit kann man nicht verbieten" verharmlost sie bewußt die verfassungsfeindliche und menschenbedrohende Politik und Praxis dieser Nazipartei und verhindert, daß die sonst so gepriesene "wehrhafte Demokratie" in bezug auf die NPD endlich Anwendung findet. Übrigens ist eine solche Haltung gewisser "liberaler Kreise" ja nichts Neues: Hat nicht auch der spätere FDP-Vorsitzende und erste Präsident der BRD Theodor Heuss am 23. März 1933 im Reichstag für Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt?

Klaus Hoppe, Apolda


Die Bundesregierung stellt also keinen NPD-Verbotsantrag. Dafür erhielt diese Nazipartei im Jahr 2012 aber nicht weniger als 1.435.000 Euro an staatlichen Zuwendungen!

Wilfried Schubert, Güstrow


Aufmerksam wie immer habe ich den Leitartikel der März-Ausgabe gelesen. Die Analyse ist in bezug auf meine Partei Die Linke treffend, kritische Wertungen erfolgen mit scharfer Klinge, aber respektvoll, tolerant und solidarisch. Alles so, wie es in den Leitsätzen unseres RF-Fördervereins steht. Das ist nach meinem Empfinden Journalismus auf höchstem Niveau und ganz im marxistisch-leninistischen Sinne. - Etwas anders erging es mir, als ich Ulrich Guhls "Schluß mit dem Duckmäusertum!" im Februar-RF las. Auch ich bin mit vielem, was sich in den oberen und mittleren Führungsebenen abspielt, nicht einverstanden: den ewigen Personalquerelen, den jüngsten Äußerungen von Lothar Bisky, der ungenügenden Beachtung von Signalen der Basis. Doch all das sollte kein Grund sein, zum Rundumschlag auszuholen. Vieles von dem, was Ulrich Guhl schreibt, sehe ich ebenso. Aber bitte mehr Differenzierung. Unsere Mitglieder vor Ort sind weder "Duckmäuser" noch haben sie "panische Angst", sich zu ihrer 40jährigen DDR-Biographie zu bekennen.
Übrigens: Am 7. März führte unsere RF-Regionalgruppe eine Veranstaltung mit Jens Petermann, Bundestags-Direktkandidat der Partei Die Linke für den Südthüringer Wahlkreis durch. In einer kritischen, angenehmen und von gegenseitigem Respekt geprägten Atmosphäre waren wir uns einig: Es ist besser, die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen, als uns in Schuldzuweisungen zu zerstreiten.

Hans Linke, Suhl


Unsere Familie schätzt viele in der landesweiten politischen Diskussion von der Partei Die Linke (PDL) in Parlamenten vorgetragene Forderungen und Anregungen zur Verbesserung der sozialen Verhältnisse in der Gesellschaft sowie zur Friedenssicherung hoch ein und achtet ihr politisches Wirken sehr. Äußerst negativ beurteilen wir hingegen das in den "oberen Rängen" der PDL weit verbreitete Karrieristentum und das Streben nach persönlichen finanziellen Vorteilen. Ganz offensichtlich lassen sich etliche Spitzenpolitiker genauso wie die der anderen Parteien durch Geldzuwendungen ködern und übersehen die damit verbundene Absicht, auch sie in das System einzubinden.
Die PDL könnte sich ganz eindeutig und für jedermann sichtbar dadurch abgrenzen, daß sie im Statut verankert, alle Diäten hätten vollständig an die Partei zu fließen und die Abgeordneten auf Länder- und Bundesebene sowie die höheren Parteifunktionäre seien als Angestellte der Partei für ihre Tätigkeit sozial maßvoll zu vergüten. Das würde die soziale Glaubwürdigkeit der Partei sehr fördern und den Boden für Karrierismus in ihr weitgehend "austrocknen". Übrigens hat die Leitung der PDL auf ein von mir an sie gerichtetes Schreiben mit diesem Vorschlag in keiner Weise reagiert.

Dr. Werner Klisch, Wernigerode


Am 8. März fand im "Frauentreff" unseres Städtchens eine würdige Feier statt. "Wenn es um Gleichberechtigung und Anerkennung der Frauen geht, ist Deutschland ein Entwicklungsland. Wer das Geschehen der letzten Jahre verfolgt hat, muß zu der Auffassung kommen, daß der Internationale Frauentag in Deutschland immer mehr an Beachtung verliert", betonte die Festrednerin Renate Werber. "Wenn wir die letzten Zahlen des Lohngefüges betrachten, erhalten Frauen für die gleiche Arbeit, die auch Männer verrichten, rund 22 % weniger vergütet."
Wolfgang Griese, Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke im Wariner Stadtparlament, beglückwünschte die anwesenden Mitbürgerinnen zu ihrem Ehrentag. "365 Tage im Jahr müßte Solidarität mit unseren Frauen herrschen", sagte er.

Wolfgang Schrein, Warin


Der Pseudohistoriker Knabe, "oberster Richter für ostdeutsche Wahrheiten", setzt sich mit Vehemenz für einen "Herrn" ein, der im Auftrag der berüchtigten Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit beim geplanten Sprengstoffanschlag auf eine Eisenbahnbrücke bei Erkner den Tod Hunderter unschuldiger Menschen einkalkuliert haben muß. Die BRD-Justiz hob das rechtens ergangene Urteil des DDR-Gerichts gegen Burianek bekanntlich auf. Hatte nicht ein reicher Amerikaner einst Freiwillige als Testpiloten für einen Flug zum Mars gesucht? Das wäre doch das Richtige für Herrn Knabe. Die Reise würde ihn keinen Pfennig kosten und dem Staat obendrein das monatliche Salär ersparen.

Hermann Thomas, Wilsdruff


Derzeit bin ich mit der Niederschrift meiner Biographie befaßt. Dabei stoße ich auf kleinere "weiße Felder", die ich gerne ausfüllen möchte. Vielleicht könnten mir mecklenburgische Genossen dabei behilflich sein.
Von 1959 bis 1962 diente ich in Schwerin bei der Bereitschaftspolizei. 1961 war ich daran beteiligt, die sterblichen Überreste von den Faschisten ermordeter ausländischer Kriegsgefangener des Lagers STALAG II in Sternbuchholz aus einem Massengrab in eine würdige letzte Ruhestätte umzubetten. Es handelte sich um sowjetische, französische, jugoslawische und polnische Opfer. Ich bin an Kontakten zu Personen interessiert, die an dieser Umbettung ebenfalls beteiligt waren. Sie erfolgte vom 23. bis 25. März 1961. Am Tag der Einweihung der Gedenkstätte war ich einer der Ehrenposten. Im voraus vielen Dank für die erhoffte Unterstützung.

Hans-Jürgen Dählk, Berlin


Als Nichtmilitär habe ich kürzlich das Buch "Militärs der DDR im Auslandsstudium" gelesen. In 22 Beiträgen schildern dort ehemalige NVA-Offiziere Erlebnisse und Erfahrungen beim Studium in der Sowjetunion. Alle Autoren sind sich darin einig, daß diese Zeit von ihnen hohen persönlichen Einsatz und Leistungsbereitschaft verlangte. Die sowjetischen Ausbilder forderten eiserne Disziplin in militärischer Hinsicht wie bei der Aneignung der Theorie. Private Interessen mußten oftmals zurückgestellt werden. Alle an dem Buch Beteiligten bezeichnen die UdSSR als ihre zweite Heimat, in der sie hervorragenden Menschen und guten Freunden begegneten. Die sprichwörtliche russische Gastfreundschaft hat jeder von ihnen erlebt. Natürlich gab es auch Probleme und Konflikte, die nicht verschwiegen werden. Dabei sind die Beiträge weder von hohlem Pathos noch von Besserwisserei aus heutiger Sicht beeinträchtigt.

Helmut Timm, Groß Nemerow


Eine Bemerkung zum Martin Luther betreffenden Leserbrief Günther Röskas. Im Zusammenhang mit dem Anwachsen des Faschismus auch an deutschen Universitäten und der drohenden Machtauslieferung an die Nazis äußerten sich 1932 demokratische Kräfte im Senat, besonders Prof. Theodor Brugsch (Ordinarius und Direktor der Medizinischen Universitätskliniken) dahin gehend, daß die Vereinigte Universität Halle-Wittenberg nach Luther benannt werden sollte. Der Senat beantragte daraufhin die Namensgebung. Sie erfolgte anläßlich des 450. Geburtstages des Reformators am 10. November 1933.

Dr. Karl Gallus, Berlin


Mit großem Interesse las ich den Beitrag von Jobst-Heinrich Müller "Nebelwerfern Paroli bieten" im Februar-RF. Leider wird die geschichtliche Rolle Hindenburgs vielfach "geschönt", obgleich ja hinlänglich bekannt ist, daß er Hitler auf den Reichskanzlerstuhl gehievt hat.
Vor einigen Jahren hatte ich deshalb eine Auseinandersetzung mit dem Gothaer Stadtparlament, nachdem ich entdeckte, daß Hindenburg auf Grund einer Verleihung aus dem Jahre 1917 auch dort noch als Ehrenbürger geführt wurde. Es bedurfte eines nachhaltigen Schriftwechsels, bis mir mitgeteilt wurde, daß man seinen Namen fortan nicht mehr auf dieser Liste führen werde.

Rechtsanwalt Ralph Dobrawa, Gotha


In jüngster Zeit werden zunehmend fremdsprachliche Wörter - vorwiegend englische - verwendet, für die es durchaus übliche deutsche Bezeichnungen gibt. So wird in Funk und Fernsehen nicht mehr von Höhepunkten und kämpfen gesprochen, sondern von "Heileit" und "feiten". Wahrscheinlich sind die englischen Wörter "Highlight" und "fighten" gemeint ...
Neuerdings hat sich auch noch eine andere Untugend eingeschlichen. Dabei geht es der deutschen Grammatik an den Kragen. Der Superlativ genügt nicht mehr als höchste Steigerungsform. Man kann nicht einfach mehr sagen, ein Idol sei die schönste Frau. Man wird ihrer Schönheit nur dadurch gerecht, daß man behauptet: "Diese Frau ist so was von schön!" Am beliebtesten aber ist: "Hallo!", was offenbar dem amerikanischen "Helloh!" entsprechen soll. Schließlich wird das deutsche Wort Arbeit inzwischen offiziell durch "Job" ersetzt. Es gibt keine Arbeitsämter mehr, sondern nur noch Jobcenter. Man geht jobben, aber nicht arbeiten. Jeder macht seinen Job, was so gut wie Geldverdienen heißt.
Nur dort, wo Arbeit nicht vorhanden ist, spricht man noch von ihr, z. B. bei Arbeitslosigkeit und Arbeitslosen. Ich habe nicht gehört, daß sich irgendjemand hier der Worte Joblosigkeit oder Jobloser bedient hätte.

Gerda Huberty, Neundorf


In der "Ostseezeitung" las ich den Bericht "Gauck besucht deutsche Soldaten in Afghanistan". Darin hieß es u. a.: "Ohne militaristische Geste. Er selbst war nie Soldat. Alles Militaristische ist ihm fremd."
Wie denn das? Stammt er etwa nicht aus einer Offiziersfamilie? Diente sein Vater nicht in der faschistischen Kriegsmarine? Gaucks Eltern waren doch wohl beide NSDAP-Mitglieder, die Mutter bereits, als Hitler noch nicht die Macht "ergriffen" hatte. Sein Onkel und Haupterzieher galt als großer Nazi, war sogar Leiter einer Hochschule der NSDAP.
Gauck behauptet, am Hindukusch gehe es um "Freiheit". Tatsächlich aber geht es in Afghanistan nicht um Freiheit im verbalen Sinne, sondern ausschließlich um die Freiheit der Verfügung über Bodenschätze wie Gold, Silber, Kupfer, Seltenerdmetalle, Eisenerz, Erdöl und Erdgas im Bagatellen-Wert von 30 Billionen Euro.

Horst Kolbe, Satow/OT Hanstorf


Zur Antwort Joachim Spitzners (RF 182) auf meinen Leserbrief über Pfarrer Führer (RF 180) möchte ich ergänzend bemerken: Es trifft sicher zu, daß Pfarrer Führer eine Hilfsorganisation für Arbeitslose gegründet und sich an der Organisierung von Demos gegen die Kohl-Regierung beteiligt hat. Doch dieser Geistliche ist ja durchaus kein Dummkopf. Gerade deshalb hätte er die Auswirkungen des Systemwechsels voraussehen müssen.
Was haben wir oft gelächelt, wenn uns die DDR-Medien den Kapitalismus in den schwärzesten Farben malten oder uns per Holzhammer beibrachten, wie er denn sei. In Wirklichkeit ist aber alles noch viel schlimmer gekommen.
Pfarrer Führer gehörte damals - vielleicht auch nur indirekt - zu den Organisatoren der Leipziger Demos. Er initiierte und leitete aber persönlich Veranstaltungen gleichen Inhalts in der Nicolaikirche.

Reinhard Melzer, Moritzburg/OT Boxdorf


Der einstige Präsident des Obersten Gerichts Günther Sarge hat eine Abhandlung über die Justiz der DDR veröffentlicht. Natürlich mußte er, wie üblich, auf gehässige Kommentare von Besserwissern und DDR-Hassern nicht lange warten. Prompt veröffentlichte auch die "Leipziger Volkszeitung" - und zwar in Gestalt ihres Ablegers "Döbelner Allgemeine" - eine "Rezension" zu Sarges Buch. Wie kann nur Chefredakteur Jan Emendörfer - Sohn eines deutschen Kommunisten, Widerstandskämpfers und mutigen Frontbeauftragten des Nationalkomitees Freies Deutschland - derartige Schmähungen in seinem Blatt zulassen? Das adelt ihn wahrlich nicht. Solche widerlichen DDR-"Beurteilungen" hören einfach nicht auf, wobei hier der Autor selbst weniger zu verurteilen ist als die Verantwortlichen des Tageblatts. Bei Emendörfer Junior - offenbar Diener seines Herrn - fällt mir spontan Heinrich Manns "Der Untertan" ein.

Andreas Lässig, Waldheim


War der zweifellos rückwärtsgewandte Systemwechsel 1989/90 tatsächlich eine "klassische Konterrevolution", wie es der RF im März-Heft postuliert?
Die Resultate sprechen zwar dafür, doch wird m. E. eine solche Bewertung der Spezifik, dem Verlauf und der historischen Einmaligkeit der "Wende"-Ereignisse nicht gerecht. Klassische Konterrevolutionen hatten bisher immer einen hohen Blutzoll gefordert. Vor nunmehr einem knappen Vierteljahrhundert führten die konkreten Bedingungen aber zum Glück für alle Beteiligten zu einem gewaltfreien Machtwechsel.
Das Etikett "klassische Konterrevolution" unterstellt, daß die unzähligen DDR-Bürger aus allen Parteien, Organisationen, Klassen, Schichten und Berufen, die im Herbst 1989 für einen besseren Sozialismus, eine bessere DDR demonstriert haben, Konterrevolutionäre yoder zumindest manipulierte Handlanger der Konterrevolution gewesen sein müßten.
In Wirklichkeit war das Vertrauensverhältnis zwischen Partei und Volk ernsthaft gestört. Viele potentielle Verbündete hatte man verprellt. Die im Parteiprogramm der SED verkündeten "tiefgreifenden politischen, ökonomischen, sozialen und geistig-kulturellen Wandlungen" bei der "weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft" ließen auf sich warten. Die Partei- und Staatsführungen der sozialistischen Länder verfielen oftmals in Subjektivismus und Voluntarismus. Sie waren keine Meister jener materialistischen Dialektik, die Engels einst als "unser bestes Arbeitsmittel und unsere schärfste Waffe" empfohlen hatte. So haben sie es nicht vermocht, die Wirtschaft auf eine Weise zu organisieren, daß eine höhere Arbeitsproduktivität als im Kapitalismus erreicht wurde. Sie konnten den realen Widersprüchen des Sozialismus nicht solche Bewegungsformen geben, welche die Triebkräfte der sozialistischen Entwicklung stärken, die Werte und Vorzüge dieser Gesellschaft sichtbar und den humanistischen Sinn des Sozialismus maximal erlebbar machen. Freilich waren dies alles Herkulesaufgaben.

Dr. Wolfgang Künzel, Bad Blankenburg


In einer TV-Zeitschrift vom 1. März hieß es über unsere Buchenwälder, sie seien auf der Welterbe-Liste der UNESCO eingetragen. Oberforstmeister Georg Ludwig Hartig (1764 bis 1837) hätte schon 1804 verlangt, daß ein willkürlicher Verkauf der Staatsforste zu unterlassen sei und zerstückelte Waldflächen wieder zusammengeführt werden müßten.
Dies ist eine auch heute aktuelle Forderung, nachdem in den letzten 20 Jahren bei uns im Osten zwischen 50 und 70 % der Waldflächen privatisiert worden sind.
Wald ist Existenzgrundlage des Menschen. Durch die hohe Lebensdauer der Bäume ist er nicht zum Gewerbe geeignet. Profit darf nicht aus seiner Bewirtschaftung erzielt werden. Forstwirtschaft kann allein auf Nachhaltigkeit beruhen.

Heinz Lenkat, Rothemühl


Der Beitrag "Über Schafherdeninstinkte" im März-Heft des RF hat mir auf erschreckende Weise vor Augen geführt, warum wir in der DDR keine umfassendere Bewußtseinsbildung erreichen konnten.
Ich habe jahrelang als Propagandist im Parteilehrjahr und bei gewerkschaftlichen "Schulen der sozialistischen Arbeit" erleben müssen, daß den Zuhörern erst bei Fragen des täglichen Lebens ein Licht aufging. Themen wie Reisefreiheit, fehlende Südfrüchte und PKW-Lieferzeiten machten sie munter. Um so unbegreiflicher war mir, wie unsere Parteiführung dennoch ohne Unterlaß vom "stetig wachsenden Bewußtsein der Werktätigen" reden konnte.
Noch schlimmer ist die Erkenntnis, daß wir heute unter den Herrschaftsbedingungen des Kapitalismus - einer gewaltigen Übermacht von Meinungsmachern ausgeliefert - zumindest vorerst auf verlorenem Posten stehen. Inzwischen hat das Trommelfeuer der ebenso "freien" wie gleichgeschalteten Medien in den Köpfen der Menschen ganze Arbeit geleistet und eine ungeheure Verwüstung angerichtet.

Peter Pöschmann, Döbeln


Der RF-Leitartikel "Herzbube oder rotes Tuch" ist mir Anlaß, dem Kollektiv unserer Zeitschrift für mehr als 15jähriges Wirken im Dienste der Zusammenführung linker Kräfte zu danken. Die veröffentlichten Korrespondenzen lassen erkennen, daß sich ihre Leser nicht nur mit den leidvollen Folgen der Konterrevolution von 1989/90 herumschlagen, sondern auch im Sinne der Erkenntnisse von Friedrich Engels handeln, daß nach einer zeitweiligen Niederlage neu begonnen werden muß.
So war, ist und bleibt der "RotFuchs" eine Antwort auf Lenins Frage "Was tun?" Die Zeitschrift ist nicht nur ein Stück Geschichtsliteratur, sondern auch ein kollektiver Propagandist, Agitator und Organisator. Das habe ich im Kontakt mit Freunden und Genossen im Osterzgebirge, wo ich zu DDR-Zeiten mit dem Bau der Rennschlitten- und Bob-Bahn (RSBB) in Altenberg befaßt war, einmal mehr erlebt. Zu meiner besonderen Freude erfuhr ich, daß sich einige "RotFüchse" aus Altenberg und Zinnwald inzwischen in einer Lesergruppe zusammengefunden haben. Ich werde einer Einladung folgen und bei einer für Juni geplanten Veranstaltung "Geheimnisse und Heimlichkeiten beim Bau der RSBB" lüften.

Armin Lufer, Berlin


Als "gelernter DDR-Bürger" kommt man bisweilen aus dem Staunen nicht heraus. Die Vergeßlichkeit vieler Menschen ist wirklich verblüffend. Doch zwangsläufig wächst auch die Zahl jener, welche die DDR nur noch vom Hörensagen kennen. Wer heute jünger als 30 ist, hat von ihr - zumindest bewußt - nicht mehr viel mitbekommen. So kann man Menschen, die nicht zu ihren Zeitgenossen zählten - und "Wessis" ohnehin - Dinge, die bei uns so selbstverständlich wie das tägliche Brot waren, als "Errungenschaften der Nachwendezeit" verkaufen. Da ist plötzlich von Ehekredit, Ganztagsschulen, Kontaktbeamten der Polizei und sogar von Gemeindeschwestern die Rede, als ob es all das bei uns nicht "seit ewigen Zeiten" gegeben hätte.
Von Ärztehäusern wird gesprochen, die in Gestalt der Polikliniken und Landambulatorien in der DDR flächendeckend existierten. Die Kette der Beispiele ließe sich beliebig verlängern.
Zum heutigen Bildungs- und Gesundheitswesen kann man nur sagen, daß wir DDR-Bürger wieder im tiefsten "Mittelalter" angekommen sind. Die Besitz-, Eigentums- und Machtverhältnisse nähern sich längst überwunden geglaubten feudalen Strukturen an. Selbst das als fortschrittlich dargestellte föderale System der BRD erweist sich als Hemmschuh: Jedes Bundesland hat sein eigenes Bildungssystem, wobei eines rückwärtsgewandter ist als das andere.
Wenn man den Anschluß der DDR an die BRD auf einen kurzen Nenner bringen will, kann man sagen: Moderne trifft auf Mittelalter!
Warum sollte man da nicht stolz sein, daß man in einem Land leben durfte, in dem die grundlegendsten Menschenrechte im Rahmen der Möglichkeiten nicht zur Debatte standen, da sie Wirklichkeit waren.

Volker Büst, Vienau

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RotFuchs Nr. 184, 16. Jahrgang, Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2013