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ROTFUCHS/145: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 191 - Dezember 2013


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

16. Jahrgang, Nr. 191, Dezember 2013



Inhalt

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Über Junge und Alte

Wir Alten aus dem Osten, welche - die Zeit der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung nach 1945 nicht mitgerechnet - vier Jahrzehnte lang durch die Wissen, Erfahrung und Klassenbewußtsein vermittelnde Schule der DDR gegangen sind, setzen bei anderen oftmals Dinge voraus, die sie gar nicht kennen können. Nicht nur bei den meisten älteren Landsleuten aus dem Westen, die während der gleichen 40 Jahre ohne Unterlaß im "schwarzen Kanal" der kapitalistischen Medien gebadet wurden und dadurch zwangsläufig ein Zerrbild der DDR-Wirklichkeit verinnerlicht haben, sondern auch bei weitaus Jüngeren und ganz Jungen aus östlichen Breiten.

Wahrheiten, die in der DDR jeder Oberschüler erfuhr, kommen ihnen begreiflicherweise wie böhmische Dörfer vor. Solide politische Bildung ist längst auch zwischen Chemnitz und Rostock zur Mangelware oder gar zum Fremdwort geworden. Die Marxschen Erkenntnisse, daß alle menschliche Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen ist, daß jeder Staat nur als Machtinstrument der jeweils herrschenden Klasse und das Recht als deren zum Gesetz erhobener Wille zu betrachten sind, wurden in der guten alten DDR in jeder Volkshochschule vermittelt. Es handelte sich also keineswegs nur um theoretische Abstraktionen für eine "Parteielite", sondern um gesellschaftliches Wissen, das sich Millionen Menschen erschloß.

Die inzwischen 20- bis 30jährigen, die heute im Osten lernen oder studieren, arbeiten oder ohne Job dastehen, haben von solchen Grundwahrheiten nie etwas gehört - es sei denn, sie kommen aus Elternhäusern, wo der wissenschaftliche Sozialismus noch eine Heimstatt besitzt.

In Gesprächen mit jungen Leuten auch aus dem eigenen Umfeld habe ich immer wieder feststellen müssen, daß die DDR - der trotz seiner Defizite und des Debakels am Ende beste Staat in der deutschen Geschichte - für sie so lange zurückliegt wie für uns der Große Deutsche Bauernkrieg. Begegnen sie aber aussagefähigen und an Bord gebliebenen Zeugen aus sozialistischen Tagen, empfinden sie die Schilderung des Geschehens nicht selten als regelrechte Offenbarung. Vom Jahrgang 1932, habe ich ähnliche Erfahrungen mit Ereignissen vor "meiner Zeit" sammeln können. Obwohl kurz vor der Machtauslieferung an die Hitlerfaschisten - also noch in der Weimarer Republik - geboren, empfinde ich diese bis heute als eine "relativ weit zurückliegende Etappe" der deutschen Geschichte, vom 1. Weltkrieg, der erst 14 Jahre zuvor sein Ende gefunden hatte, ganz abgesehen.

Solcherlei sollten wir uns stets vor Augen führen, wenn wir in die Gefahr geraten, der Unwissenheit nachfolgender Generationen mit dem Hochmut von Wissenden zu begegnen. Und noch etwas wäre da zu beachten: Weniger ist oft mehr. Es bringt keinen Nutzen, mit der Fülle eigener Kenntnisse und Erkenntnisse über Jüngere herzufallen. Einfühlsame Schilderungen von Wahrgenommenem, bei denen nicht nur an den Kopf appelliert werden sollte, wecken weit eher Interesse als belehrende Monologe. In einer glitzernden und gleißenden kapitalistischen Kulissenwelt, der gegenüber die schlichte Solidität der DDR scheinbar grau in grau war, ist das durchaus keine leichte Aufgabe. Hinzu kommt die Übermacht alter und neuer Medien, die zum Verzicht auf Tiefgründigkeit und inhaltliche Werte auffordern. Die "gebildete Nation", wie man die DDR-Bürger - obwohl das keineswegs alle betraf - einst mit gutem Grund nannte, ist längst Vergangenheit.

Dennoch sollte man nicht daran zweifeln, daß uns künftige Generationen darum beneiden werden, den vorerst einzigen ausbeutungsfreien, im Ansatz bereits sozialistischen Abschnitt der deutschen Geschichte selbst erlebt und mitgestaltet zu haben.

Wenn ich in der Endphase meines Lebens dessen Glückssträhnen - von ganz Persönlichem abgesehen - benennen sollte, fiele mir zweierlei ein: In diesem Monat sind es bereits 65 Jahre her, daß ich - gerade 16 - in Westberlin der Partei des solidarischen Händedrucks zwischen dem Kommunisten Wilhelm Pieck und dem Sozialdemokraten Otto Grotewohl beigetreten bin. In all dieser Zeit habe ich die Reihen organisierter Marxisten nie verlassen. Erwähnen möchte ich auch die Tatsache, daß ich mit der Übersiedlung nach Ostberlin 40 Jahre Bürger der Deutschen Demokratischen Republik sein durfte. Bei deren Gründung im Steinsaal des späteren Hauses der Ministerien war ich unter jenen, welche das historische Ereignis von den Zuschauerplätzen aus verfolgen konnten, mit Sicherheit der Jüngste.

Niemals hätte ich mir in dieser Sternstunde der Geschichte unseres Volkes vorstellen können, daß unter BRD-Ägide ausgerechnet in Karlshorst, wo Hitlers später gehenkter Feldmarschall Keitel im Mai 1945 vor Stalins Heerführer Shukow kapitulieren mußte, einmal staatlich geschützte Plakate der legalen Faschistenpartei NPD zu deren Einzug ins Bundesparlament aufrufen würden. Während die DDR für Deutschland Ehre einlegte, schändet die BRD Tag für Tag dessen Namen. Auch deshalb war die Zerschlagung der DDR die größte Niederlage des Antifaschismus und der Arbeiterbewegung auf deutschem Boden.

Kehren wir zum Ausgangspunkt der Betrachtung zurück. Es gilt Verständnis dafür aufzubringen, daß Jüngere und Heranwachsende völlig anderen Einflüssen ausgesetzt sind und unter mit den unseren absolut unvergleichbaren gesellschaftlichen Bedingungen aufwachsen. Wir haben auf Redliche, denen der konterrevolutionäre Sieg und der Schmerz über eigenes Versagen in kritischer Stunde vorübergehend den klaren Blick nahmen, keine Steine geworfen. So müssen wir auch jenen, die von den uns "heiligen Kühen" gar nichts wissen können, mit Fairneß und Geduld begegnen. Gut Ding will Weile haben, sagt der Volksmund, was keineswegs mit Tatenlosigkeit gleichzusetzen ist. Prinzipienfestigkeit und Toleranz gehören für uns zusammen.

Als im Herbst 1989 Wankelmütige und Abdriftende das Schicksal von SED und DDR besiegeln halfen, versammelten sich Abend für Abend Tausende vor dem Berliner ZK-Gebäude der Partei. Sie forderten Auskunft und warteten auf ein Hoffnungssignal. Fahnen und Spruchbänder waren in der Menge zu sehen. Für einen Augenblick erfaßte die Fernsehkamera auch das von einem kleinen Jungen emporgehaltene Schild. Auf ihm stand von Kinderhand geschrieben: "Denkt auch an mich!" Sein Träger war, wie ich dann am Bildschirm erfuhr, mein jüngster Sohn. Der ist inzwischen 33. Sein um 11 Jahre älterer Bruder, der ihn damals geschultert hatte, arbeitet seit etlichen Jahren als Internet-Redakteur bei der "jungen Welt". Zwei ihrer Geschwister und deren Lebenspartner bekennen in der Linkspartei Farbe. Dieser Tage sagte der Jüngste fast beiläufig zu mir: "Es ist wohl an der Zeit, daß ich mich kommunistisch organisiere."

So nimmt die Zahl der Nachwachsenden, die uns verstehen und zu uns stoßen, allmählich wieder zu. Tun wir etwas dafür!

Klaus Steiniger

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Was war das Außerordentliche am Außerordentlichen Parteitag?

Der Putsch in der Dynamo-Halle

Im September-RF hat Prof. Dr. Horst Schneider einen exzellenten Beitrag zum Streitgespräch zwischen Gregor Gysi und Hans Modrow über den Außerordentlichen Parteitag der SED-PDS, der im Dezember 1989 in der Berliner Dynamo-Halle stattfand und das Ende der DDR einleitete, veröffentlicht. Diese historische Filigranarbeit findet meine volle Zustimmung. Horst Schneider hat wohl recht, daß in seinem kurzen Beitrag etliche Fehlurteile aus Platzgründen nicht kritisch korrigiert werden konnten. Das damalige Geschehen würde ich aus heutiger Sicht als Putschparteitag bezeichnen, erwies er sich doch de facto als "Türöffner" für den Sieg der Konterrevolution in der DDR. Dort herrschte ein unbeschreibliches ideologisches Durcheinander.

Die von seinen Organisatoren als Wendepunkt in der SED-Geschichte gepriesene Veranstaltung erwies sich tatsächlich als Höhepunkt der Destabilisierung.

Vorbereitung, Ablauf und Folgen des Sonderparteitages belegen, daß er den Zerfall des sozialistischen deutschen Staates und seiner führenden Partei entscheidend vorantrieb. Diese wurde in SED-PDS umbenannt und verlor rasch an Einfluß in der Arbeiterklasse. Sie erlebte eine Erosion ohnegleichen. Nur ein Bruchteil der Mitgliedschaft blieb erhalten. Faktisch wurde mit der völligen Preisgabe der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung begonnen: Die Auflösung der SED-Grundorganisationen in sämtlichen Betrieben und Einrichtungen sowie der Kampfgruppen der Arbeiterklasse und die gewissenlose Entscheidung, die Genossen des MfS zum Freiwild zu erklären, waren gravierende Elemente der Umsetzung dieses Kurses.

Auf dem Sonderparteitag plädierte Gysi für einen "dritten Weg jenseits von stalinistischem Sozialismus und der Herrschaft transnationaler Monopole". Damit wurde offen zum Verfassungsbruch aufgerufen und ein politisches Hasardspiel in Gang gesetzt, welches die DDR binnen weniger Monate in ein totales Chaos stürzte.

Die notorische "Besenaktion" zur angeblichen Befreiung von "Altlasten" verfolgte ein ganz anderes Ziel: Das marxistisch-leninistische Gedankengut sollte ein für allemal aus der Partei hinausgefegt werden. "Als die Einheit der Partei am nötigsten war, wurde sie zersetzt", schrieb Horst Schneider am 24. Januar 2013 in der "jungen Welt".

Die politischen Ambitionen des Klassengegners, der sich die Vernichtung der DDR zum Ziel gesetzt hatte, wurden entweder fahrlässig unterschätzt oder bewußt ausgeblendet. Dies erklärt auch die Tatsache, daß die Konterrevolution in der DDR so rasant zum Zuge kommen konnte.

Auf dem Parteitag war ein sehr widerspruchsvolles Phänomen zu beobachten. Während Gysi für einen "dritten Weg sozialistischer Prägung" plädierte, beschloß man ein als Gründungskonsens bezeichnetes Statut. Dort nannte man die SED-PDS eine "marxistische sozialistische Partei", deren "theoretische Grundlage ... der Marxismus" sei. "Unsere neue moderne sozialistische Partei stützt sich auf die Traditionen deutscher und internationaler Arbeiterbewegung", hieß es. "Sie begründet ihre Politik durch die Erkenntnis der modernen Gesellschaftswissenschaften und führt das Werk von Marx, Engels und Lenin fort." Mit solcher Verbalistik mußte damals noch auf Hunderttausende marxistisch gebildete oder orientierte SED-Mitglieder Rücksicht genommen werden. Neue "Denkhorizonte" eröffnete indes bereits ein Diskussionsstandpunkt des Arbeitsausschusses: "Unsere Partei stützt sich in ihrer Politik auf die modernen Gesellschaftswissenschaften. Sie wendet sich gegen jede Einengung der theoretischen Quellen." Während Gysi ohne Skrupel Eduard Bernstein in die Ahnengalerie der Partei einreihte, war vom "Modernen Sozialismus", der bald darauf präsentiert wurde, noch keine Rede. Dieter Klein und Michael Brie hatten ihn aber bereits aus der Taufe gehoben. Mit Hilfe des unwissenschaftlichen Kampfbegriffs "Stalinismus als System" wurde der Marxismus in der Folgezeit systematisch aus der Partei verdrängt und seine notwendige Weiterentwicklung nach zeitgemäßen Kriterien unterbunden. Tatsächlich setzte man vor, während und nach dem Außerordentlichen Parteitag einen geradezu klassischen Parteiputsch in Szene. Die Zeit des großen Verrats an der DDR begann. Aus meiner Sicht erfolgte auf dem Chemnitzer PDS-Parteitag dann der "krönende" programmatische Abschluß: die Geburt einer sozialdemokratischen Partei der besonderen Art. Horst Schneider hat bereits früher ganz Wesentliches zu deren "Gebrauchswert" für die Bourgeoisie geschrieben. Er bestand darin, "die Herausbildung eines oppositionellen oder gar revolutionären Subjekts zu verhindern und das objektiv existierende Protestpotential in den Kapitalismus zu überführen". (RF, März 2003)

Es ehrt den von mir geschätzten Hans Modrow, daß er heute als Vorsitzender des Ältestenrats der Partei Die Linke Marx nach wie vor seine Reverenz erweist. Ohne Zweifel ist die Zahl jener Mitglieder, Sympathisanten und Wähler der Partei Die Linke, die auch bei stürmischer See und aufgepeitschten Wogen ideologisch weiter Kurs zu halten bemüht sind, trotz allem nicht gering. Sie haben ihre am Leben geprüften marxistischen Erkenntnisse nicht - wie die "Helden" der Dynamo-Halle im Dezember 1989 - sang- und klanglos über Bord geworfen.

Prof. Dr. Ingo Wagner

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Beschämendes aus der Chronik der SPD (2 und Schluß)

"Einer muß der Bluthund sein"

Die Rolle rechter SPD-Führer bei der Niederschlagung der revolutionären Bewegungen Ende 1918/Anfang 1919 sparte Sigmar Gabriel in seiner Festrede zum 150. Jahrestag des Lassalleschen ADAV, den er mit der SPD gleichsetzte, wohlweislich aus.

Gustav Noske schrieb in seinem Buch "Von Kiel bis Kapp": "Die große deutsche Sozialdemokratische Partei, an deren Ausdehnung ich an meinem jeweiligen Platze 30 Jahre lang nach Kräften mitgearbeitet hatte, war im Kriege zerrissen worden. Meinungsverschiedenheiten über die von der Partei zu verfolgende Kriegspolitik waren der Grund zur Spaltung gewesen."

Von der SPD trennten sich u. a. die USPD und der Spartakusbund, aus dem zur Jahreswende 1918/19 die von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegründete KPD hervorging.

Bei Noske las sich das so: "Eine gewaltsame Revolution hatte die deutsche Sozialdemokratie stets abgelehnt ... Der Gedanke an Gewaltanwendung wurde zurückgewiesen und nur die Revolutionierung der Köpfe erstrebt, um politische und wirtschaftliche Erfolge zu erzielen."

Die rechten SPD-Führer lehnten eine sozialistische Revolution prinzipiell ab und verbündeten sich mit der kaiserlich-preußischen Soldateska, um revolutionäre Vorstöße zu verhindern. Politisch vertraten sie die reformistische These, daß die kapitalistische Gesellschaft nicht überwunden, sondern statt dessen verbessert werden müsse und daß ein - wie auch immer gearteter - Sozialismus allein auf parlamentarischem Wege angestrebt werden solle. Diesem Konzept sind sie bis heute treu geblieben.

Als im November 1918 in Kiel die Matrosen streikten, wurde Noske mit dem Auftrag dorthin entsandt, "Ordnung zu schaffen" und eine revolutionäre Erhebung von Arbeitern und Matrosen zu verhindern.

Er selbst schrieb dazu: "Mir wurde bekannt, daß in Kiel revolutionäre Bewegungen vor sich gehen würden. Und weil es in anderen Städten zu solchen gekommen war, in München die Republik ausgerufen wurde, und sich auch in Hamburg die Matrosen und die Arbeiter in den Besitz der öffentlichen Macht gebracht hatten, war uns Sozialdemokraten klar, daß nun die revolutionäre Bewegung unaufhaltsam vor sich gehen würde. Da war ein Lavieren nicht mehr am Platze, sondern es hieß, die Zügel fest in die Hand zu nehmen." Und: "Der Ausrufung der Kieler Provinz widersetzte ich mich, verabredet wurde mit den Soldatenräten, daß ich in aller Form als Gouverneur die Leitung aller militärischen Geschäfte übernahm."

Welchen "Ruhm" Noske mit seiner Tätigkeit in Kiel errang, schrieb ein von ihm zitierter Major am 14. November 1918: "Als alter Militär erlaube ich mir, Euer Hochwohlgeboren meine ganz besondere Anerkennung und Hochachtung für die ganz ungewöhnlich umsichtige und hinreißende Art auszusprechen, mit der Euer Hochwohlgeboren Ruhe und Ordnung in Kiel und Umgebung hergestellt haben, die so gründlich und vollständig wohl kaum anderen gelungen wäre." Noske war stolz auf solche Huldigungen.

Nachdem er in Kiel seine konterrevolutionäre "Pflicht" erfüllt hatte, wurde er nach Berlin gerufen, um auch dort "Ordnung zu schaffen". Im Dezember 1918 gehörte er der Ebert-Regierung als Verantwortlicher für sämtliche Marine- und Heeresangelegenheiten an.

Die Gründung der KPD rief ihn auf den Plan. In Berlin engagierten sich Arbeiter und desertierte Soldaten der kaiserlichen Armee für die proletarische Revolution. O-Ton Noske: "Namhafte Sozialdemokraten kritisierten, daß viel zu lange gewartet worden sei und wir gezögert hätten, dem Treiben der Liebknecht und Genossen entschlossen Widerstand zu leisten. ... Meiner Meinung, daß nunmehr versucht werden muß, mit Waffengewalt Ordnung zu schaffen, wurde nicht widersprochen. In ziemlicher Aufregung stand man im Arbeitszimmer Eberts umher. Ich forderte, daß ein Entschluß gefaßt werde. Darauf sagte jemand: 'Dann mach du doch die Sache!' Worauf ich kurz entschlossen erwiderte: 'Meinetwegen! Einer muß der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht!' ... Ein Beschluß wurde mündlich formuliert, mit dem mir weitgehendste Vollmachten übertragen wurden. Meine Ernennung zum Oberbefehlshaber war vollzogen. Ich erklärte: 'Verlaßt euch darauf, ich bringe euch Berlin in Ordnung.'"

Gemeinsam mit Militärs begab sich Noske in die Hauptstadt und ließ auf jene Arbeiter, die sich zu Liebknecht und Luxemburg bekannten, schießen. Er trug letztendlich auch die Verantwortung für die Ermordung der beiden KPD-Gründer.

Zynisch schilderte Noske das Geschehen so: "Wie ein Ruheloser war Liebknecht ein paar Wochen lang in der Stadt herumgerast. Er und Frau Luxemburg waren Hauptschuldige daran, daß die unblutig begonnene Umwälzung zum Bürgerkrieg mit allen seinen Scheußlichkeiten ausartete ­... Wenn von einem Mord an Liebknecht gesprochen wird, für den keineswegs ein Beweis erbracht worden ist, so lassen sich aber in noch höherem Maße als Erklärung maßlose Empörung und Hypnose anführen."

Das milde Urteil im Prozeß gegen an der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs beteiligte Militärs habe er "als Oberbefehlshaber bestätigt", nachdem ihm versichert worden sei, "daß bei einer Wiederholung der Beweisaufnahme eine härtere Strafe für keinen der Angeklagten zu erwarten wäre".

Wie wir aus dem weiteren Verlauf der Ereignisse wissen, verweigerten rechte SPD-Führer während des kurzen Bestehens der Weimarer Republik jegliche parlamentarische und außerparlamentarische Zusammenarbeit mit der KPD und begünstigten so den steilen Aufstieg der Hitlerfaschisten, deren Machtantritt bitterste Konsequenzen für beide Arbeiterparteien hatte.

Nach dem 2. Weltkrieg erklärte der westdeutsche SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher den Sozialismus "zur Tagesaufgabe", konzentrierte sich dann aber auf die konsequente Stärkung des kapitalistischen Systems, wobei sich die als Volkspartei firmierende Sozialdemokratie ohne Bedenken in Regierungen des deutschen Imperialismus einzubringen bemüht war, ohne die Allmacht des Kapitals in irgendeiner Weise anzutasten.

Ein folgenschwerer Schlag gegen die Selbständigkeit und Aktionsfähigkeit der SPD war die Annahme des Godesberger Programms auf dem Parteitag im November 1959. Es begründete die Integration dieser einstigen Arbeiterpartei in den "modernen Staat". Traditionell sozialdemokratische Forderungen, die 1925 im Heidelberger SPD-Programm noch enthalten waren, wurden damit endgültig über Bord geworfen.

Günter Bartsch, Berlin

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An unsere Leser

Für Gläubige und Nichtgläubige ist Weihnachten in unseren Breiten ein Fest der Besinnung, der Familie und der Freunde. In einer unruhigen und ungewissen, von imperialistischen Aggressionen und Bürgerkriegen, von der Armut und dem Hunger der einen, der Gier und prassender Übersättigung der anderen geprägten Zeit sind Festtage Augenblicke des Innehaltens und des Nachdenkens. In diesem Geiste wünschen wir all unseren Leserinnen und Lesern, Freunden und Kampfgefährten zu den Weihnachtstagen und zum anbrechenden neuen Jahr von Herzen Gesundheit, Mut und Kraft!

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Das Fazit des Feuerwehrmannes Montag

Wer erinnert sich noch an den Film "Fahrenheit 451" von François Truffaut aus dem Jahr 1966? Die Menschheit lebt nach dem Prinzip des hedonistischen Glücksstrebens. Bücher sind gesetzlich verboten, da sie sich mit Problemen und Konflikten befassen und die Wahrheit sagen. Die Feuerwehr hat die Aufgabe, sie aufzuspüren, zu verbrennen und die "Büchermenschen" unschädlich zu machen. Glücksgefühle werden durch Unterhaltungselektronik und Tablettenkonsum erzeugt.

Der Protagonist dieser Zukunftsgeschichte ist der Feuerwehrmann Montag, der nach der Begegnung mit einer Lehrerin, die nach einer Gesinnungsprüfung durch eine Art Verfassungsschutz nicht mehr unterrichten darf, umzudenken beginnt. Er liest heimlich Bücher, die er bei Haussuchungen mitgehen läßt. Zum Ende des Films wechselt er zu jenen Buchmenschen, welche jeweils einen Titel auswendig lernen, um die Wahrheit weitergeben zu können.

Damals war das ein Zukunftsfilm, der, wie die Romane von Jules Verne oder George Orwells "1984", nicht allzu ernst genommen wurde. Doch heute wissen wir, daß uns die seinerzeitige "Zukunft" bereits überholt hat. Flächendeckende, weltweite Überwachung ist längst Wirklichkeit. In den Kinderzimmern regieren nur noch Game-Boy, XBox und Playstation 1 bis unendlich. Denken und Gefühle sollen ausgeschaltet werden, damit die menschliche Arbeitskraft um so rücksichtsloser ausgebeutet werden kann. Smartphones ersetzen das Gehirn und verhindern jegliches Aufbegehren, das die Finanzströme der Mächtigen dieser Welt stören würde. Und wenn die Menschen unter all diesen Lasten zerbrechen, gibt es ja immer noch Amphetamine oder Beruhigungsmittel einer riesigen Pharmaindustrie.

Begriffe wie Moral, Menschlichkeit, Mitgefühl oder Verständnis sind durch ein einziges Wort abgelöst worden: Profit. Es bestimmt alles Denken und Handeln der ökonomisch Herrschenden, die durch Politiker, Banken und Lobbyverbände vertreten werden. Und wie eine Schafherde folgen wir den Götzen dieser kalten Glitzerwelt, immer bestrebt, dabei mitzuhalten. Kommt einem da nicht unwillkürlich Goethes "Faust" in den Sinn:

Und auf vorgeschriebenen Bahnen
Zieht die Menge durch die Flur:
Den entrollten Lügenfahnen
Folgen alle - Schafsnatur!

Und wenn dann doch einmal Idealisten aus diesem Totentanz ausbrechen, um uns aufzuwecken, werden sie wie Daniel Ellsberg vernichtet, der 1964 die den Vietnamkrieg auslösende Tonking-Golf-Resolution des USA-Kongresses als Lüge entlarvte. Seinen Lehrstuhl hat der Professor verloren, aber er ist wenigstens in Freiheit. Anders als Mordechai Vanunu, der Israel als Atommacht enttarnte und dafür auch nach 18 Jahren Gefängnis immer noch gedemütigt wird, ist Edward Snowden vorerst in relativer Sicherheit. Aber Bradley Manning blieb der Rachejustiz der U.S. Army ausgeliefert. Er hatte sein Leben eingesetzt, um die Streitkräfte seines Landes als das zu brandmarken, was sie sind: ein mörderisches Machtinstrument des Imperialismus! In Irak dienten sie dazu, einen verbrecherischen Angriffskrieg zur Ergatterung der Ölreserven durch die US-Konzerne zu entfesseln. Die Aggressoren foltern und morden, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Das aber aufgedeckt zu haben, war Mannings "Verbrechen". Ein Stabsgefreiter mit hoher Qualifikation hat dem Friedensnobelpreisträger Barack Obama das Dekor genommen.

Auch der britische Premier David Cameron stellte sich selbst bloß. Für Leute seines Schlages sind sittliche Normen absolute Fremdworte. Auf Camerons Befehl mußte der Londoner "Guardian" seine Festplatten unter Aufsicht des britischen Geheimdienstes zerstören. Ein bislang beispielloser Angriff auf die Pressefreiheit in diesem Land. Dabei hatte der Premierminister nichts zu befürchten, besitzt das Vereinigte Königreich doch nicht einmal ein Grundgesetz wie die BRD.

Nach wie vor folgt die Mehrheit der Erdbevölkerung Blendern und Schaumschlägern, während die Verfechter echter Ideale gezielt ausgeschaltet werden. Die meisten Menschen können es sich nicht einmal rational erklären, warum das so ist. Zu recht zitierte Horst Neumann im RF den Soziologen Gustave Le Bon, der 1895 in seinem Buch "Psychologie der Massen" geschrieben hatte: "Gehirnwäsche zeigt Wirkung, weil Denken anstrengt. Die reine, einfache Behauptung ohne Begründung und ohne jeden Beweis ist ein sicheres Mittel, um der Massenseele eine Idee einzuflößen. Je bestimmter die Behauptung, je freier sie von Beweisen und Belegen ist, desto mehr Ehrfurcht erweckt sie. Die Behauptung hat aber nur dann wirklichen Einfluß, wenn sie ständig wiederholt wird, und zwar möglichst mit denselben Ausdrücken. Das Wiederholte festigt sich dann so sehr in den Köpfen, daß es schließlich als eine bewiesene Tatsache angenommen wird. Es setzt sich am Ende in den tiefen Bereichen des Unterbewußtseins fest, in denen die Ursachen unserer Handlungen verarbeitet werden. Und nach einiger Zeit, wenn wir vergessen haben, wer der Urheber der immer wiederholten Behauptung war, glauben wir schließlich daran. Nicht mit Beweisgründen, sondern mit Vorbildern kann man Massen leiten."

Das erklärt auch, warum Merkels Innenminister Friedrich behauptete, die massive Überwachung und Bespitzelung durch BND und Verfassungsschutz habe erfolgen müssen, weil dadurch bereits "über 40 Anschläge verhindert" worden seien. Aus taktischen Gründen aber habe man die Details nicht preisgeben können. Mir scheint, nicht nur Goebbels hat Le Bon gelesen. Auch die heutigen Meinungsmacher von Sendern und Blättern kennen sich darin aus.

So ist es nur allzu verständlich, daß Menschen mit Gewissen, Charakter und Weltsicht eine Gefahr für diese Lügner darstellen. Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir alle zu Feuerwehrleuten Montag werden, damit wir den Anfeindungen durch die Parteienmehrheit des Bundestages trotzen können.

Mögen am Ende dieses kleinen Essays Verse Karl Liebknechts vom Herbst 1918 stehen. Nur Monate vor seinem gewaltsamen Ende überschrieb er sie - auch um anderen Mut zu machen - mit dem appellierenden Wort "Zuversicht":

Die Gegenwart mag trügen,
die Zukunft bleibt uns treu.
Ob Hoffnungen verfliegen,
sie wachsen immer neu.
Aus nichts wird alles werden,
eh' sie es noch gedacht.
Trotz ihrer Machtgebärden,
wir spotten ihrer Macht.
Und ob das Ziel, das hohe,
entwichen scheint und fern,
es kommt der Tag, der frohe,
wir trauen unserm Stern.

Joachim Augustin, Bockhorn (Friesland)

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Neue Texte einer volksverbundenen Poetin

Gisela Steineckert im RF

Die eine außergewöhnlich große Leserschaft inspirierende Schriftstellerin Gisela Steineckert veröffentlichte mehr als 40 Bücher, ihre Gedichte und Liedtexte sind Legion. Berühmte Interpreten - vor allem auch Jürgen Walter - verwandelten die Steineckert-Verse in echte Hits. Zu ihren eingängigsten Liedern gehörte der "einfache Frieden". Ihr Lebenswerk vervollständigten Drehbücher für Film und Fernsehen. Besonders einprägsam war ihre Rolle als Mitgestalterin und Leiterin des im Genre des politischen Liedes bahnbrechenden Oktoberklubs. Für die Unterhaltungskunst der DDR schlug sie sich couragiert in die Bresche.

Jetzt ist aus der "RotFuchs"-Leserin Gisela Steineckert eine sich engagierende Autorin geworden. Mit großer Freude heißen wir Gisela in den Spalten des RF willkommen und erteilen ihr das Wort.

Presente!

Abu Jamal schreibt, um zu leben
Er ist uns Presente
In den lateinamerikanischen Ländern
sammeln sich
Nach dem Kampf die Lebenden
Einer ruft die Namen aller Compañeros auf
Wo sie schweigen müßten sagt ein anderer
Presente!, ist hier
Ich bin Name, Beruf, Personenkennzahl, Passantin,
Überlebende, Teilnehmerin
Einzigartig bin ich und Teil der Menge
Denn ich tauche auf überall
Auch in Vietnam, wo ich nie gewesen bin
Kenne die Straße Nummer Eins, Wasserbüffel,
Lehmhütten
Herbizide und das Fahrrad, an dem ich teilhabe,
gering genug
Auch mein Einwand hat die Bombardierung der
Deiche verhindert
Ich habe um Bischof Romero geweint und wußte
Der seinen Platz einnimmt, wird ebenso sterben
Ich bin Presente bei den Priestern in El Salvador
Sie beten und sind Teil der Ärmsten
In die Hände unserer Ärzte das verstümmelte
Gesicht des Jungen aus Nicaragua
Mit unseren Papierrosen waren wir bei Angela
in der Zelle
Danach bekam sie besseres Essen
Wir hatten Teil an Schulen, Krankenhäusern, Serum
Wasser für ein Dorf
Ich war auch in der Stunde der waghalsigsten
roten Nelken
Auf dem letzten Weg von Neruda
Die Lieder von Theodorakis haben wir in unsere
Sprache geholt
Wir sind Presente, noch immer
Yes, we can?
Zeigt es! Gerechtigkeit endlich. Auch
für Abu Jamal
Und für uns. Wir sind Presente



Mein neues Nein

Ich bin erwachsen geworden und
mein neues Nein gegen die Zeiten
und ihr Tun ist mir wie aus Seide, nein wie
Schokolade mit Nüssen ist
mein neues Nein
ich spüre auf der Zunge, wie weich und lecker
mein neues Nein ist
es mußte mir wieder wachsen
das bedrohte eingeschüchterte Nein, für zu Hause
perfekt, draußen oft
weggesteckt. Man muß ja leben, wenn man
sorgen muß.
Jetzt aber!
bedient mit Stempeln der häßlichen Art gab es
mich wie einen
abgelaufenen Paß. Ich benutze den nicht. Die
Talkshows laufen in
netter Wichtigtuerei ohne mich, ich nehme nicht
teil an Debatten,
deren Ziel nicht dem Thema entspricht. Wo ich
hingehe, sage ich
meins und nehme dankbar Rat oder Rüge an
Beide Hälften meines Gehirns lasse ich wieder
wissen, wie ich
wirklich gelebt habe. Alleinerziehend mit drei
Kindern war ich
keinem Betrieb eine Minderung seiner Dividenden.
Wenn ich mich auflehnte, tat ich es mit Sorge ums
Ganze, das ich
nicht abschaffen wollte.
In jungen Jahren mit wenig Geld,
eine Geschiedene, die deshalb nicht
aussortiert wurde, durfte ich ausprobieren, was
und wer mir paßt. Die
mich förderten, beluden mich mit Kräfte
verzehrender Ehre, mit Bürde
und Würde.
Aber die Männer um mich her nahmen den
Soldatenhelm ab und
wurden Kollegen, Papa, Geliebter, Suchender wie ich.
An der Klagemauer der Verlierer werdet ihr mich
nicht sehen. Ich
schüttle ab, womit ich überschüttet werde.
Am Fuße meiner Leiter denke ich: Noch mal? Ja,
nun mit weiterem Blick,
freundlich zurück und sehr wachsam nach vorn.
Gesegnet sei alles,
was verteidigt werden muß: der Baum, mein und
dein Leben.
Einen kleinen Traum nach vorn gönne ich mir
wieder und lache,
lache - auch über mich.

*

Kapitalistische Realität: Wo Marx und Engels ins Schwarze trafen

1200 Milliardäre und 1 Milliarde Hungernde

Von dem Schweizer Jeremias Gotthelf - er lebte von 1797 bis 1854 - stammt der kluge Satz: "Der Mensch kennt alle Dinge der Erde, aber den Menschen kennt er nicht." Ich stürzte mich in das Abenteuer, über diesen Satz tiefer nachzudenken. Meine erste Frage lautet: Gibt es überhaupt den Menschen? Natürlich nicht. In der Natur gibt es ja auch nicht die Blume, das Tier oder das Wetter. Historisch betrachtet, kennen wir vor allem "Eliten", welche reich und mächtig den Völkern voranschritten, ihnen einhämmerten, was sie warum und wie zu denken und zu tun hätten. Die Namen der Anführer haben die Zeiten überdauert und sind oftmals mit Bauwerken, Kriegen und historisch bedeutsamen Vorgängen verbunden. Verhallt sind hingegen die Namen der Frauen und Männer, welche die Äcker bestellten, die Schlösser bauten, in Kriegen ihr Leben aufs Spiel setzen mußten, anderen zu Reichtum und Macht verhalfen. Demnach geht alles, was bisher die menschlichen Bedürfnisse - einschließlich jene der Herrschenden - befriedigte, keineswegs auf das Konto von Kaisern, Königen und Magnaten, sondern beruht ausschließlich auf Angeboten der Natur und menschlicher Arbeit.

Die Bourgeoisie hat "kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose 'bare Zahlung' ... Sie hat ... an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt", heißt es im "Kommunistischen Manifest".

Vor unserer eigenen Haustür in der superreichen BRD gibt es derzeit 1,3 Millionen Bürger, die nicht vom Lohn ihrer Arbeit leben können. 7 Millionen Menschen ernähren sich durch Minijobs, von 4,5 Millionen Hartz-IV-Empfängern sind 1,25 Millionen Jugendliche, während 8 Millionen Bürger für Mindestlöhne schuften. Fast 300.000 Menschen sind obdachlos! Und jeder vierte Haushalt ist finanziell nicht dazu in der Lage, im Jahr auch nur für eine Woche in Urlaub zu fahren. Alle hier zitierten Zahlen wurden zwischen März und August 2013 veröffentlicht.

1801 schrieb Ludwig van Beethoven an seine Geliebte: "Wenn ich mich im Zusammenhang des Universums betrachte, was bin ich?" Er war ein genialer Musiker. Doch stellen sich nicht alle Menschen diese Frage? Besitzen nicht alle Fähigkeiten, die sie nutzen wollen, um durch Arbeit ihr Leben zu bereichern, mit sich selbst zufrieden zu sein und persönliches Glück zu erleben? Aber ein Recht auf Arbeit oder geistiges Schaffen ist im Grundgesetz nicht festgeschrieben, lediglich ein Recht "auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit".

Wer sein Arbeitsleben in der DDR mit jenem im heutigen Kapitalismus vergleichen kann, muß Marx recht geben, wenn er sagt, daß die menschliche Arbeitskraft in dieser Gesellschaft lediglich eine Ware ist, wie nahezu alles andere auch. Fast sämtliche Produktionsmittel befinden sich in Privatbesitz, jegliche Tätigkeit muß - bei Gefahr des Ruins - gewinnbringend sein. Unter diesen Bedingungen ist die Staatsmacht "nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisieklasse verwaltet", wie es im Manifest heißt. Daran haben sämtliche Wahlen in der Ära des Kapitalismus nichts geändert.

Zugleich suggeriert man unablässig die Vorstellung, für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte einzutreten.

Wie sieht es tatsächlich aus? Nach der Statistik vom Januar 2013 gab es weltweit 202 Millionen Arbeitslose. In der EU waren es zu diesem Zeitpunkt 20 Millionen. 10 Millionen Kinder schuften allein als Haushaltshilfen, eine Milliarde Menschen hungert; täglich sterben davon 25.000, darunter 11.000 Minderjährige. 2012 zählte man 396 militärische und andere gewaltsame Konflikte. Unter dem Vorwand, man wolle den Frieden sichern, werden trotz unzähliger Abrüstungsvereinbarungen, Konferenzen und Verträge noch immer 20.500 Atomsprengköpfe, von denen 20.000 sofort einsetzbar sind, auf unserem Planeten gelagert.

Wir erinnern uns: Am 6. August 1945 tötete die erste in der Geschichte abgeworfene Atombombe in Hiroshima 80.000 Menschen sofort, während 200.000 an den Spätfolgen starben. Heutige Nuklearwaffen dürften ein weitaus höheres Vernichtungspotential besitzen. Von den 180 in Europa stationierten Kernsprengköpfen befinden sich 20 in der BRD.

So sieht unsere Erde rund zwei Jahrzehnte nach der Zerschlagung des sozialistischen Weltsystems aus. (Im Jargon der Bourgeoisie ist ja von der Überwindung des Kommunismus, den es noch nirgends gegeben hat, die Rede.) Seit 1990 besitzen die Völker keine Sicherheitsgarantie mehr. Ein Krieg um Rohstoffe und Energiequellen folgt dem anderen. Nie war das uralte Wort "Geld regiert die Welt" so zutreffend wie heute. Dem Kampf der Konzerne und Banken werden die Natur und alles Leben untergeordnet. 2012 wurden 1 Billion, 753 Milliarden Dollar für Rüstungszwecke ausgegeben.

"Positive" Bilanzen ergänzen die Situation. Die reichsten Länder besitzen zusammen 85 Prozent des globalen Vermögens, obwohl dort nur 20 Prozent aller Menschen leben. In der BRD beläuft sich das Privatvermögen auf rund 10 Billionen Euro. Es hat sich seit 1992 - man denke dabei an die Einverleibung der DDR - mehr als verdoppelt. Aldi-Gründer Karl Albrecht "erwarb" allein Vermögenswerte von 26 Milliarden Euro. In der Weltrangliste der Reichsten steht er damit an 18. Stelle. Die Tatsache, daß Bank- und Konzernmanager jährlich mehrere Millionen "verdienen", gilt längst als "Normalität".

All diese "Erfolge" verdankt der Kapitalismus in hohem Maße der Möglichkeit, über Presse, Funk, Fernsehen und Internet ganze Völker zu desinformieren, sie von den Hauptproblemen abzulenken und im Sinne seiner Ideologie zu beeinflussen.

Doch über dem Heute und Morgen dieser Gesellschaftsordnung schwebt nach wie vor das schon 1848 gesichtete "Gespenst des Kommunismus". Wäre dem nicht so, hätten die Propagandisten im Dienste des Kapitals keinerlei Grund, mit unverminderter Vehemenz gegen die Kommunisten und deren politische Bundesgenossen zu Felde zu ziehen.

"An die Stelle de alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist", haben Marx und Engels im Manifest eine ausbeutungsfreie Zukunft der Menschheit mit visionärer Kraft beschrieben. Allen Rückschlägen und Widrigkeiten zum Trotz hat sich an dieser Zielstellung nichts geändert.

Erhard Römer, Berlin

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Warum der Castro-Führungsstil Schule machen sollte

Vertrauen gegen Vertrauen

Für den Erfolg sozialistischer Politik ist Vertrauen genauso wichtig wie in der Pädagogik, der ich mein Berufsleben gewidmet hatte. Ohne gegenseitiges Vertrauen kann man keine Bereitschaft zu aktiver Mitwirkung erwarten. Selbst in den Jahren des Widerstandes gegen den Hitlerfaschismus ging es trotz aller Risiken für die daran Beteiligten nicht ohne Vertrauen. Unmittelbar nach dem Krieg war dieses der wichtigste Schlüssel, um große Teile der jungen Generation für den Aufbau eines neuen Staates zu gewinnen. Die SED setzte dabei Vertrauen in Menschen, die in der Mehrzahl durch das faschistische Regime und dessen Ideologie indoktriniert worden waren. Sie haben das Vertrauen gerechtfertigt und aktiv am Aufbau der DDR mitgewirkt.

Vertrauen hängt mit rückhaltloser Offenheit zusammen. Das Verschweigen auftretender Probleme sowie das Unter-den-Teppich-Kehren von Schwierigkeiten bei einseitiger Darstellung von Erfolgen führt zu schwerwiegendem Glaubwürdigkeitsverlust. Souveräner Umgang mit Konfliktsituationen war in der DDR lange Zeit Verhaltensnorm. Dabei hatten wir es mit einer besonders komplizierten Situation zu tun: Wir mußten den Sozialismus bei offener Grenze aufbauen. Hinzu kam die gemeinsame Sprache, die dem aggressivsten europäischen NATO-Staat zusätzliche Möglichkeiten der Einwirkung eröffnete. Unsere Mängel und Defizite wurden durch die Medien der BRD schonungslos ausgenutzt und maßlos aufgeblasen. Ging bei uns etwas schief, machte man das unverzüglich zum Thema. Leider gebrach es der DDR-Führung später immer mehr an echter Diskussionsbereitschaft über offenkundige Mängel. Die fehlende Weiterentwicklung der sozialistischen Demokratie und die Abkoppelung der Parteispitze von der eigenen Basis wie der Bevölkerung insgesamt trugen wesentlich zum Fiasko der sozialistischen Staaten in Europa bei.

Die Warnung Lenins wurde in den Wind geschlagen: "Alle revolutionären Parteien, die bisher zugrunde gegangen sind, gingen daran zugrunde, daß sie überheblich wurden und nicht zu sehen vermochten, worin ihre Kraft bestand, daß sie fürchteten, von ihren Schwächen zu sprechen."

Wie entscheidend diese Aussage ist, hat Kuba bei weitaus ungünstigeren ökonomischen Bedingungen unter Beweis gestellt. Zu Fidel Castros Führungsstil - und Raúl setzt diese Praxis fort - gehörte es, gerade in schwierigsten Situationen offen über unvermeidliche Einschränkungen und Belastungen zu sprechen, den Bürgern nichts vorzumachen und um deren Zustimmung auch für unpopuläre Schritte zu werben. Die Castro-Führung bewahrte gerade wegen dieser selbstkritischen Offenheit ihre Autorität bei den Kommunisten und der großen Mehrheit der Kubaner.

Bewußte Disziplin und gedankenlose Unterordnung sind zwei völlig verschiedene Dinge. Sicher ist es nicht immer möglich, in einer zugespitzten Kampfsituation das hehre humanistische Anliegen hundertprozentig im Auge zu behalten. Bisweilen ist im politischen Kampf auch Härte notwendig, um überhaupt bestehen zu können. Doch die Parteidisziplin darf niemals zum Selbstzweck werden, das Vertrauensverhältnis zwischen Führenden und Geführten muß in jeder Situation gewahrt bleiben.

In der UdSSR wie in der DDR und den anderen sozialistischen Staaten Europas führte die vom Parteiapparat erzwungene, oftmals eher mechanische als bewußte Disziplin zur Lähmung von Mitwirkungsbereitschaft, Eigenverantwortung und Entscheidungsfreude. Sie erstickte geradezu die Fähigkeit zu eigenem Handeln. "Unten" gewöhnte man sich daran, Anweisungen von "oben" als Hauptimpuls zu empfinden. So löste sich die Führung immer stärker von ihrer Basis. Als sie schließlich versagte und von ihr nichts mehr kam, war auch die Mitgliedschaft handlungsunfähig.

Diese Art von Parteidisziplin verhinderte die rechtzeitige Ablösung solcher Führungskräfte, die ihren Aufgaben aus unterschiedlichen Gründen nicht oder nicht mehr gewachsen waren. In der KPdSU durchschaute Jegor Ligatschow zwar zeitig den in die Katastrophe führenden Kurs Gorbatschows, unternahm aber nichts, um ihn und seine Anhänger im Politbüro aus dem Sattel zu heben. Ob Ligatschows Einfluß als damaliger "zweiter Mann" dafür ausgereicht hätte, steht auf einem anderen Blatt.

In der DDR ging diese Art von Parteidisziplin so weit, daß nach dem 4. Dezember 1989 sämtliche Betriebsparteiorganisationen widerspruchslos der verhängnisvollen, ja verräterischen Anordnung einer neuen Führung zur Selbstauflösung folgten.

In der marxistischen Theorie gilt der Kampf der Gegensätze als Triebkraft der Entwicklung. Das ist nicht nur auf Klassenantagonismen bezogen. Wir haben diese Theorie zwar gelernt und gelehrt, aber immer weniger danach gehandelt.

Proletarischer Internationalismus bildet den Grundpfeiler des weltweiten Klassenkampfes der Marxisten. In der Praxis dominierte leider oftmals nicht - wie von der Theorie gefordert - die brüderliche und gleichberechtigte Zusammenarbeit der Staaten und Parteien. Die KPdSU als die stärkste, erfahrenste und daher führende Kraft in RGW und Warschauer Vertrag berücksichtigte immer weniger die differenzierten Bedingungen und Potenzen beim Aufbau der jeweiligen Bruderländer und forderte statt dessen die bedingungslose Befolgung ihrer "Ratschläge". Das schwächte sowohl die Gesamtentwicklung als auch die UdSSR selbst, zumal Lenins Forderung nach ständiger Analyse der konkreten Situation dabei außer acht blieb. Auch im SED-Politbüro beriet man oftmals nach vorgegebenen Mustern, statt kritische Debatten um inhaltliche Fragen zu führen. Innovativer Gedankenaustausch mit Wissenschaftlern und anderen Fachleuten, der unter Walter Ulbricht die Regel war, fand nach dem VIII. Parteitag nur noch selten statt.

Die KPdSU hatte sich verhängnisvollerweise auf das NATO-Langzeitprogramm zum Totrüsten der UdSSR eingelassen. Zweifellos besaß die Wahrung des strategischen und militärischen Kräftegleichgewichts absoluten Vorrang. Doch welchen Sinn machte die auf beiden Seiten erlangte Fähigkeit zur gleich mehrfachen Vernichtung der Welt? Dringend benötigte Ressourcen wurden so der zivilen Entwicklung entzogen.

Trotz ihres enorm geschwächten Zustandes in den 80er Jahren sollte man nicht verkennen, daß die UdSSR auch zu diesem Zeitpunkt noch weitaus besser dastand als 1945 und in den ersten Nachkriegsjahren. Um so schwerer wiegt der von der eigenen Führung an ihr begangene Verrat.

Horst Neumann

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Redliches Nachdenken über eine Ausreise

Im April 1946 kehrte ich als 21jähriger, der drei Jahre am Hitlerkrieg hatte teilnehmen müssen, aus amerikanischer Gefangenschaft in meine Heimatstadt Dresden zurück. Zuvor erfolgte in Hoyerswerda die Entlausung, und ich erhielt einen Fragebogen, den ich bei der Anmeldung in der Elbmetropole der sowjetischen Kommandantur vorlegen mußte. Nach dem "Fragebogengespräch" erklärte mir eine Kommissarin in perfektem Hochdeutsch: "Sie wissen ja, daß Sie an einem verbrecherischen Krieg teilgenommen haben. Unser Land wurde bis Moskau in Schutt und Asche gelegt. Das gleiche geschah auch mit Ihrer Heimat, wie man ja in Dresden sehen kann. Gehen Sie jetzt nach Hause und helfen Sie mit, ihr Land wieder aufzubauen." Und sie gab mir noch einen Rat: "Schließen Sie sich sofort der Friedensbewegung an und kämpfen Sie mit dafür, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgeht!"

Dieser Empfehlung folgte ich. Am 1. Mai 1950 wurde ich als Aktivist der ersten Stunde ausgezeichnet. Doch was geschah dann?

Im Potsdamer Abkommen waren Wiedergutmachungen an die UdSSR festgelegt worden, zu denen die Stationierungskosten für etwa 400.000 Sowjetsoldaten kamen. Unter Reparationsleistungen fielen auch der Abbruch des damals letzten Kohlekraftwerks in Espenhain bei Leipzig sowie die Demontage der zweiten Bahngleise, woran ich selbst beteiligt war. Im Dresdner Sachsenwerk gab es am Ende keinen Schraubenschlüssel mehr, auch er wurde im Rahmen der Wiedergutmachung mitgenommen. So waren die Jahre nach dem Krieg eben eine schwere Zeit.

Ich hatte inzwischen geheiratet, zwei Kinder kamen. Der Einkauf auf Lebensmittelmarken war knapp, als Unterkunft diente uns nur eine Notwohnung.

Viele meiner Freunde und Bekannten verließen in jenen frühen Jahren die DDR, den Arbeiter-und-Bauern-Staat. Weshalb taten sie das?

Im Westen war alles ganz anders gelaufen. Die dortigen drei Zonen erbrachten fast keine Reparationsleistungen. Adenauer erhielt statt dessen den Marshallplan und Kredite zum Wiederaufbau. Buchstäblich über Nacht waren die Regale in den Läden mit jenen Konsumgütern gefüllt, nach denen man sich jahrelang gesehnt hatte. Von meinen Geschwistern, welche die DDR bereits verlassen hatten, bekamen wir nun Pakete mit Kaffee und Klamotten. Da war es nur noch eine Frage der Zeit, mit der Familie ebenfalls über Westberlin "abzuhauen".

Alles half nichts mehr - weder die Gedanken an eine neue Gesellschaft, die man hatte mit aufbauen wollen, noch die unentgeltlichen Leistungen des Gesundheitswesens, bezahlbare Mieten und billige Grundnahrungsmittel. Auch nicht die Tatsache, daß meine Frau den gleichen Lohn wie die Männer und obendrein einen monatlichen Haushaltstag bekam. Oder daß es für den Nachwuchs einen Betriebskindergarten gab. Selbst die großen Friedensmärsche, die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und vieles andere spielten keine Rolle mehr. Von den "Russen" konnten wir keine materielle Hilfe erwarten, die hatten mit dem erzwungenen Wettrüsten genug zu tun, was der sowjetischen Bevölkerung - wie der unseren - wichtige Güter entzog.

Anfang 1961 verließen wir die DDR. Die DDR sah sich damals erheblichen Schwierigkeiten gegenüber. Sie besaß keine konvertierbare Währung, was zu Schwindelkursen von 1:4 führte. Quelle, Neckermann und andere erzielten beim Wareneinkauf aus der DDR enorme Profite. Mehr als zwei Millionen meist junge, gut ausgebildete Menschen gingen ihr im Laufe der Jahre verloren. Auch die übrigen Einbußen machten Milliarden aus: Diebstahl von Patenten und offene Sabotage waren in der Zeit des Kalten Krieges an der Tagesordnung. Das konnte auf Dauer nicht gutgehen!

Schon 1956 hatte mein bester Freund zu mir gesagt: "Morgen bin ich fort!" "Wohin?" fragte ich ihn. "Ich habe aus Frankfurt am Main ein Angebot, in meinem Ingenieurberuf bei doppeltem Gehalt zu arbeiten. In vier Wochen kann ich die Familie nachkommen lassen." 1958 erfuhr ich, daß im Krankenhaus von Dresden-Friedrichstadt über Nacht fünf Ärzte davongelaufen waren, so daß am nächsten Morgen keine Visite erfolgen konnte.

Der Mauerbau verlängerte zwar die Existenzdauer des Staates DDR, doch blieb es das Ziel der NATO-Staaten, den Sozialismus kaputtzumachen. Am Ende haben sie es geschafft, ohne auch nur einen einzigen Schuß abgeben zu müssen.

Dabei hätte alles ganz anders verlaufen können. Anfang der 50er Jahre bot Moskau Verhandlungen über einen Friedensvertrag mit Deutschland an. Ziel war der Abzug aller vier Besatzungsmächte, die Gewährung von Grundrechten, freie Wahlen in ganz Deutschland. Die einzige Bedingung dafür lautete: Kein Beitritt zu irgendeiner Militärkoalition, strikte Wahrung der Neutralität. Von deutschem Boden sollte nie wieder Krieg ausgehen. Hatte mir das nicht schon die Kommissarin in Dresden gesagt?

Nach dem Verlassen der DDR sind wir Aachener geworden und leben nun schon seit Jahrzehnten im kapitalistischen System. Was aus unseren Enkeln wohl werden mag, macht uns sehr besorgt.

Gerhard Kmoch, Aachen

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Die Geschichte der Volkspolizei aus der Sicht eines Übergelaufenen

Schulzes neue Brille

Als der Berliner Verlag ein Buch zur Geschichte der Deutschen Volkspolizei anbot, war ich gespannt, habe ich sie doch in 40 Dienstjahren mit geschrieben. Der erste Blick in das 256 Seiten umfassende Material läßt auf mit Abbildungen und Fotos untersetzte gründliche Arbeit schließen.

Im Vorwort zweier Professoren wird dem Autor, Kriminalhauptkommissar Dieter Schulze, Dozent für Kriminalwissenschaften an der Fachhochschule für Polizei Sachsen, Lob gespendet. Ihm sei es gelungen, die Grundlage für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Stärken und Schwächen der Deutschen Volkspolizei geschaffen und neue Erkenntnisse zur Bewältigung künftiger Aufgaben gewonnen zu haben.

Im Text läßt Dieter Schulze erkennen, daß ihm seine 20jährige Tätigkeit in den Reihen der Volkspolizei bewahrenswertes Wissen vermittelt hat. So steht beispielsweise in seiner Arbeit der Satz Lenins: "In allen bürgerlichen Republiken, selbst in den allerdemokratischsten, ist die Polizei das Hauptwerkzeug zur Unterdrückung der Massen."

Schulze informiert seine Leser auch kurz darüber, daß die Polizisten in der sowjetischen Besatzungszone meist aus einfachen Verhältnissen, also aus der Mitte des Volkes, kamen. Vermutlich will er damit die Bezeichnung Volkspolizei erklären, da der Unterschied zwischen Polizei und Volkspolizei sonst an keiner Stelle mehr Erwähnung findet. Wenn er allerdings schreibt, in allen Besatzungszonen sei nach 1945 eine neue Polizei entstanden, in die man belastete Polizeibeamte, ehemalige Offiziere und Berufssoldaten der Wehrmacht grundsätzlich nicht aufgenommen habe, dann widerspricht das der Realität. Es vertuscht die Tatsache, daß die neue Polizei in Ost- und Westdeutschland völlig konträre soziale und politische Konturen besaß. Sollte Schulze etwa entgangen sein, daß Adenauer seinen Staatsapparat - ob Verwaltung, Justiz, Geheimdienst, Auswärtiges Amt oder Polizei - ganz überwiegend aus Altgedienten des untergegangenen Nazi-Reiches aufbaute?

Als ich am 15. Oktober 1945 in Plauen zu den Polizisten stieß, erlebte ich das in der Praxis selbst. Die U.S. Army hatte in ihrer kurzen Besatzungszeit dort auf derart "bewährte" Kräfte zurückgegriffen.

Eingestellt wurde ich von einem Polizeioberinspektor, der schon unter allen Regierungen gedient hatte und zwar "für unbestimmte Zeit nach Maßgabe der Allgemeinen Tarifordnung für Gefolgschaftsmitglieder (!) im öffentlichen Dienst".

Zum Chef der Plauener Kriminalpolizei hatten die Amerikaner einen im Osteinsatz bewährten Kriminalrat gemacht. Der konnte seine Erfahrungen allerdings nicht mehr lange weitervermitteln, da sich mit dem Einrücken der Roten Armee die Verhältnisse grundlegend ändern sollten. Mein Kommissariatsleiter war ein Berufssoldat, der es in der Wehrmacht bis zum Stabsfeldwebel gebracht hatte.

Ganz im Gegensatz dazu wurden in der sowjetisch besetzten Zone und dann auch in der DDR nur bewährte Antifaschisten oder junge, aufgeschlossene Menschen eingestellt, die weder politisch noch militärisch schuldbeladen waren.

Diese Tatsache, aber auch die allseitige Erziehung in einem neuen Geist führten dazu, daß im Osten anstelle der bürgerlichen Polizei erstmals in der deutschen Geschichte eine wirkliche Polizei des Volkes entstehen konnte.

Der Autor, der das natürlich alles weiß, zitiert die 1955 formulierte Aufgabenstellung der Polizeiführung: "Die Deutsche Volkspolizei ist die erste wahrhaft demokratische Polizei in der Geschichte Deutschlands. Geführt von bewährten und erprobten Genossen der deutschen Arbeiterbewegung setzt sie sich in der überwiegenden Mehrzahl aus Arbeitern und Bauern zusammen, aus Söhnen und Töchtern des werktätigen Volkes in Stadt und Land."

Dennoch ignoriert Schulze aus leicht erklärlichen Gründen diesen gravierenden Unterschied. Andere Aussagen wären für ihn wohl kaum karriereförderlich gewesen. Seine Anpassung an den "Zeitgeist" - also die Ideologie der Herrschenden - beweist auch Schulzes Sicht auf den Kalten Krieg. Er stellt die Wahrheit auf den Kopf, wenn er schreibt: "Zur Logik des Kalten Krieges und ihrer propagandistischen Interpretation gehört es, daß die jeweils andere Seite für die eigenen Schritte und Maßnahmen verantwortlich gemacht wird. Es handelt sich um einen dynamischen Prozeß, an dem beide Seiten gleichermaßen schuldig wie schuldlos sind." Dabei weiß der Verfasser dieser Zeilen ganz genau, wer Angreifer und wer Verteidiger war. Den Wirtschaftskrieg entfesselte die BRD, nicht aber die DDR. Sabotageakte und Brandstiftungen wurden vom Westen geplant und durchgeführt. Die Versorgung der DDR-Bevölkerung wurde durch Falschmeldungen, Fehlleitungen und politischen Druck auf die Handelspartner der DDR immer wieder gestört. Ballons mit Millionen Hetztraktaten schickte der Westen in die DDR. Wie kann da von gleicher Schuld und Unschuld die Rede sein?!

So ist unverkennbar, daß Schulzes Buch einer objektiven Betrachtung der Geschichte der Deutschen Volkspolizei in keiner Weise gerecht wird. Es vermittelt zwar Faktenwissen im Detail, deckt aber die gesellschaftlichen Positionen der jeweils handelnden Kräfte nicht auf, auch wenn sich der Autor der standardisierten Hetze zum 17. Juni 1953 und zum Mauerbau verweigert. Schulze wäre gut beraten gewesen, wenn er auch Arbeiten gestandener DDR-Insider genutzt hätte, die in seinem Quellenverzeichnis auffälligerweise völlig fehlen. Kompetente Autoren wie der letzte Innenminister vor dem Anschluß der DDR, Peter-Michael Diestel, VP-Generalleutnant a. D. Karl-Heinz Schmalfuß und der Strafrechtler Prof. Erich Buchholz, der die Kriminalitätsentwicklung in beiden deutschen Staaten tiefgründig analysierte, hätten da zu Rate gezogen werden können.

Einige offensichtliche "Irrtümer" in Schulzes Buch sollen hier noch kurz erwähnt werden. Welche Tendenz liegt z. B. seiner Behauptung zugrunde, zwölf Millionen deutsche Kriegsgefangene hätten zehn Jahre in der UdSSR Zwangsarbeit verrichten müssen?

Schulze verkündet, in der DDR seien Wirtschaftsdelikte ausschließlich vom MfS untersucht worden, obwohl er genau weiß, daß sie die Kripo bearbeitete und nur in besonderen Fällen an die Staatssicherheit übergab.

Werner Feigel, Chemnitz

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Über wahre und über verlogene Heldenverehrung

Viele Bundesbürger - vornehmlich im Westen der BRD lebende - verbinden mit dem Berliner Stadtteil Hohenschönhausen die Vorstellung, dort befände sich im wesentlichen die Herrn Knabe als "Gedenkstätte" dienende einstige Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Zu dieser illustren Einrichtung - einem Mekka der Geschichtsfälscher - wird Tag für Tag ein Strom vor allem sehr junger Besucher mit Bussen aus allen Bundesländern gekarrt. Dort vermitteln ihnen professionelle Hetzer - sehr neutral formuliert - ein kaum zu unterbietendes Zerrbild der DDR. Ganz in der Nähe dieses monströsen Schauobjekts befindet sich aber eine echte Gedenkstätte, zu der sich allerdings noch keiner der behördlich georderten Busse verirrt hat.

Jüngere, welche den Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt haben, fragten mich unlängst, warum wir Älteren uns denn an jedem 8. Mai für Augenblicke der Besinnung dorthin begäben. Das Memorial in Hohenschönhausens Küstriner Straße ist sowjetischen Soldaten gewidmet, die noch im Mai 1945 ihr Leben für die Befreiung der eigenen Heimat, aber auch Deutscher geopfert haben.

In der nahegelegenen Konrad-Wolf-Straße stößt man auf einen großen Findling aus der Mark Brandenburg, dessen Inschrift daran erinnert, daß hier einstmals eine Synagoge gestanden hat.

Die Gedenkstätte für die Rotarmisten wurde schon unmittelbar nach Kriegsende an jener Stelle eingeweiht, an der sowjetische Einheiten in der damaligen Berliner Straße auf besonders heftigen Widerstand versprengter SS-Verbände und sogenannter Werwölfe gestoßen waren. Die Faschisten hatten sich in Wohnhäusern des Areals verschanzt und nahmen die einrückenden Soldaten der Roten Armee mit Panzerfäusten unter Feuer, was zu erheblichen Verlusten führte. Um dem Spuk ein Ende zu bereiten, gingen die Rotarmisten zu direktem Beschuß mit schwerem Gerät über. Seit langem trägt die einstige Berliner Straße den Namen des Filmregisseurs Konrad Wolf, der 1945 in sowjetischer Leutnantsuniform an der Befreiung Brandenburgs und Berlins persönlich beteiligt war.

In den 70er Jahren wurde die dortige Gedenkstätte neu konzipiert. Sie besteht jetzt es aus einer rechteckigen Rasenfläche, über die eine mit Steinplatten belegte Schneise zu einer Wand führt, auf der ein Metallrelief kämpfende Soldaten in verschiedenen Körperstellungen zeigt. Ein im Hintergrund verlaufendes Fahnenband vereint sie zu einem Ensemble. "Ruhm den Helden der Sowjetarmee" heißt es in Russisch und Deutsch. Im Unterschied zu Knabes protzigem Gruselkabinett, für das schon Millionen verausgabt wurden, läßt die Pflege dieser schlichten Gedenkstätte leider sehr zu wünschen übrig.

Prof. em. Dr. Günter Söder, Berlin

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"RotFuchs"-Wegbereiter (7): Wolfgang Clausner

Wie Kled (Karl-Eduard von Schnitzler), Prof. Ulrich Huar und Prof. Eike Kopf, die man im durchaus wörtlichen Sinne als Grundsteinleger unserer Zeitschrift bezeichnen darf, gehörte Wolfgang Clausner zur damals noch kleinen Gilde ständiger Autoren.

Es ging ihm lange Zeit nicht gut - vor allem seit dem Verlust seiner geliebten Petra, mit der er sechs Jahrzehnte auf das engste verbunden war. Deshalb soll unser kleiner Bericht nicht nur der Würdigung eines exemplarischen Kommunisten und talentierten Mediengestalters gewidmet sein, sondern auch ein Mutmacher für einen wahren Freund bedeuten.

Wir haben Wolfgangs ebenso spannenden wie voluminösen autobiographischen Bericht "Spuren lesen" noch einmal zur Hand genommen, um wichtige Stationen seines Lebens nicht aus dem Auge zu verlieren. Für den in Chemnitz geborenen Arbeitersohn, der beide Elternteile durch Krieg und Krankheit früh verlor, war das Ende des großen Völkermordens, in das auch er schließlich noch ziehen mußte, ein wahrer Befreiungsschlag.

Schon am 1. September 1945 begann er in der Verwaltung seiner sächsischen Heimatstadt zu arbeiten. Zunächst SPD-Mitglied, gehörte Wolfgang Clausner von Beginn an zu jenen, welche der im Osten beiderseits freiwillig vollzogene Schulterschluß von Sozialdemokraten und Kommunisten zutiefst beglückte. So legte Wolfgang beim antifaschistisch-demokratischen Neuaufbau leidenschaftlich mit Hand an. Im Frühjahr 1948 wurde er bei der Chemnitzer FDJ deren Kreissekretär für Presse und Werbung. Diesem Metier sollte er zeitlebens die Treue halten. Nachdem er die gleiche Aufgabe auch in der FDJ-Landesleitung Sachsen erfüllt hatte, wurde er 1951 Sektorleiter Presse im Zentralrat der Freien Deutschen Jugend, bis er im Herbst 1953 in die Reihen der Redakteure der "Jungen Welt" eintrat. Parallel zu seiner Tätigkeit beim Blatt des Jugendverbandes erwarb er in mehrjährigem Fernstudium das Diplom der Leipziger Journalistenfakultät.

1960 nahm man Wolfgang Clausner als Leiter der Reportergruppe der vielgelesenen "Wochenpost" in das Kollegium dieser Zeitung auf.

Im Spätsommer 1968 faßte die SED-Führung - nicht zuletzt als Reaktion auf die Prager Ereignisse, bei denen eine schon damals in der CSSR drohende Konterrevolution zunächst hatte abgewendet werden können - den Beschluß zur Herausgabe eines recht auflagenstarken neuen Wochenblattes - des "horizont". Von Beginn an arbeitete Wolfgang Clausner als 1. Stellvertreter des Chefredakteurs Ernst-Otto Schwabe, der bis zu seinem Tode ein kritisch-engagierter Wegbegleiter des RF gewesen ist. Zu den "horizont"-Schwerpunkten gehörten Fragen der Außenpolitik und Spannendes aus aller Welt. Die im Herbst 1989 in der DDR einsetzende Zerschlagung des Sozialismus bedeutete auch für das begehrte und an den Kiosken oftmals vergriffene Journal dessen Aus.

Schon kurze Zeit nach dem Erscheinen der ersten "RotFuchs"-Nummern konnte man Wolfgang Clausners Namen unter Artikeln lesen, die sich vor allem mit der durch rechte Kräfte innerhalb dieser Partei systematisch vorangetriebenen Sozialdemokratisierung der PDS beschäftigten. Mit Fug und Recht steht dieser bis heute im Impressum unserer Zeitschrift.

Zu seinem 86. Geburtstag am 6. Dezember grüßen wir einen der Ersten und Besten aus unseren Reihen in Verbundenheit, Freundschaft und menschlicher Solidarität

RF

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Heuchler und Roßtäuscher

Ein Satz Martin Luthers soll in goldenen Lettern das Wittenberger Rathaus zieren: "Fürchte Gott, ehre die Obrigkeit und sei nicht unter den Aufrührern." Seit ein 1990 plötzlich aufrührerischer Pfarrer, der Luthers Pfad hätte folgen sollen, BRD-Staatsoberhaupt wurde und viele seiner Amtsbrüder sich brüsten, sie wären "Dissidenten" gewesen, scheint eine Ära neuer christlicher Wertvorstellungen angebrochen zu sein. Die erste Prüfungsfrage lautet heutzutage: Wie heldenhaft hast Du gegen die DDR-Oberen gekämpft? Besonders Penetrantes darüber ist in den Texten von und über Joachim Gauck zu finden.

Anders verhält es sich mit dem Buch Klaus Blessings und Manfred Manteuffels. Seitdem ich es gelesen habe, assoziiere ich den Hausherrn im Schloß Bellevue mit der Hauptfigur des Andersen-Märchens über "des Kaisers neue Kleider". Zu vieles ähnelt in Gaucks Habitus und Lebensweg dem Märchenmonarchen.

Fast jeder hierzulande weiß: Andersens Kaiser war eitel und liebte elegante Kleider über alles. Zwei Betrüger, die sich als Weber ausgaben, boten dem Landesherrn an, ihm die schönsten Gewänder verschaffen zu wollen. Diese besäßen zugleich auch die Eigenschaft, für jedermann unsichtbar zu sein, der nicht für sein Amt tauge oder anderweitig mit Dummheit geschlagen sei. Um nicht in einen solchen Verdacht zu geraten, fanden des Kaisers Hofschranzen das nicht vorhandene Kostüm entzückend, während das Volk dem nackten Monarchen zujubelte. Niemand wollte da als dumm gelten. Der Kaiser aber war überglücklich. ...

Auch Gauck ist von "Kammerherren" umgeben. Der Ex-Pfarrer sei die Verkörperung christlich-abendländischer Werte, behaupten sie. Wer nicht daran glaube, sei ein gemeingefährlicher Ketzer.

Blessings und Manteuffels Buch hilft zu erkennen, wer Gaucks "neue Kleider" geschneidert hat, bevor er den Thron besteigen und die Huldigung seiner Anhängerschaft entgegennehmen konnte. Da ist die Legende vom Nazi-Vater, den die Sowjets verhaftet und trotz erwiesener Unschuld verurteilt hätten, so daß der Sohn folgerichtigerweise Antikommunist habe werden müssen.

Da ist die Fabel, Gauck habe - wie er auch in der ZDF-Sendung vom 17. April 1991 erklärte - zu keinem Zeitpunkt mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR zusammengearbeitet, obwohl er in dessen Vorgängen mit dem treffenden Namen "Larve" geführt worden sei, bevor er die Maske abwarf, zum großen Halali auf DDR-Funktionäre blies und sich als Bannerträger jener Geschichtsfälscher erwies, welche den deutschen Friedensstaat mit der Nazi-Diktatur gleichsetzen.

Gauck bezeichnete es als "grobes Unrecht" der Kommunisten, 1950 die Grenze an Oder und Neiße als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannt zu haben. Eine Großtat für den Frieden - die Versöhnung mit Polen - fälschte der Kirchenmann in ihr Gegenteil um. Daß eine Inquisitionsbehörde mit seinem Namen für kurze Zeit finstere Seiten der deutschen Geschichte schreiben würde, mag unserem "Kaiser" zwar gefallen haben, war aber für Zehntausende frühere DDR-Bürger ein existenzauslöschendes Verhängnis.

Die Gauck-Behörde wurde von der BRD als Beweis-, Druck- und Erpressungsinstrument zur Verfolgung, Diffamierung, Einschüchterung und Niederhaltung von Andersdenkenden sowie zur Ablenkung von eigenen Ge- und Verbrechen eingerichtet. Kein anderer als Rechtsanwalt Peter-Michael Diestel (CDU) - er war 1990 Innenminister der Noch-DDR - beschuldigte Gauck, ungezählte Bürger dieses Staates in den Tod getrieben zu haben. Eine Statistik dazu liegt nicht vor.

Die Steuerzahler werden für die Gauck-Birthler-Jahn-Behörde mit ihren 3000 unnützen Mitarbeitern, deren Kosten anfangs 200 Millionen DM im Jahr betrugen, mächtig zur Ader gelassen. Unseren "Kaiser" überschütteten ihm Gleichgesinnte aber mit Doktorhüten, Orden und Preisen aller Art.

In Rostock wurde Gauck groteskerweise Ehrenbürger und Ehrendoktor. Zwischen 1991 und 2011 gedachte man des honorigen Mannes gleich fünfzehnmal auf solche Weise. Spricht derlei nicht dafür, daß der einstige Kirchensoldat der "richtige Mann" ist, oder bestätigt es eigentlich nur, was Andersen seinerzeit über die servile Umgebung seines "Kaisers" zu berichten wußte? Verteidiger des "christlichen Abendlandes", die Gauck zu den Ihren zählen, sollten die zehn Gebote zu Rate ziehen. Redet er nicht ständig falsch Zeugnis wider seine Nächsten? (8. Gebot) und: Ruft er nicht die Bundeswehrsoldaten unablässig zum Töten auf? (5. Gebot)

In einem mit "Freiheit" überschriebenen Traktat bekennt sich der einstige Kirchenmann aus der altehrwürdigen Hansestadt zur Tradition jener "Kreuzritter des Kapitals", welche - wie Marx und Engels schon im ersten Satz des Manifests feststellten - eine heilige Hetzjagd veranstalten, um das "Gespenst des Kommunismus" aus Europa zu vertreiben. "Und deshalb gibt es keinen Grund für einen alt-neuen Versuch, eine neue Variante von Antikapitalismus zur Debatte zu bringen", gab Gauck zum besten.

Doch wie verhält es sich mit der Verketzerung der DDR? Bei Andersen findet man den köstlichen Satz von den Hofschranzen, die auch dann noch die unsichtbare Schleppe ihres Kaisers trugen, als ein Kind schon gerufen hatte: "Aber der hat ja gar nichts an!" Die Analogie liegt auf der Hand, wenn wir uns an Gaucks Thronbesteigung erinnern. Ein erster Anlauf 2010, sich gegen den eher harmlosen Wulff als Präsidentschaftskandidat durchzusetzen, schlug bekanntlich fehl. Erst als diese demokratisch gewählte Obrigkeit nach ihrer Rede am Bodensee gegen allzu gierige globale Kapitaleigner gestürzt wurde, bot sich für Gauck eine zweite Chance. Aufschlußreicherweise war es der Kölner Kardinal Meisner, der den ersten Stein auf Wulff geschleudert und die ihn erschlagende Medienlawine ausgelöst hatte, womit man bereits den zweiten BRD-Präsidenten in Folge zum Rücktritt zwang. Was werden wir eines Tages über das Ränkespiel hinter den Kulissen erfahren?

Im "stern" vom September 2012 war über die Wahl unseres "Kaisers" zu lesen: "Niemand hatte ihn eigentlich um seiner selbst willen gewollt." Niemand? Auch nicht Gabriel? Die Grüne Roth und Politikaster der im Orkus der Wahlniederlage fast untergegangenen FDP? War denn Gauck von Beginn an auch als Merkels Mann der Favorit der CDU gewesen? Wer hat ihn eigentlich aus welchen Gründen zum Präsidenten "gemacht"?

Blessing und Manteuffel führen uns vor Augen, daß bei der Personalie Gauck noch einiges zur Debatte stehen dürfte.

Prof. Dr. Horst Schneider


Klaus Blessing/Manfred Manteuffel: Joachim Gauck - Der richtige Mann?, Edition Berolina, Berlin 2013, 192 Seiten, 9,99 €


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

In Begleitung des rechtssozialdemokratischen Staatspräsidenten François Hollande macht BRD-Präsident Gauck im Umgang mit dem letzten Überlebenden des SS-Massakers im französischen Oradour-sur-Glâne einmal mehr auf Mitgefühl.

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Geriestertes über Riester
[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Lukrative "Hinterlieger" der Straßenreinigung

Das, was ich hier erzählen will, ist für den RF sicher ein etwas ungewöhnlicher Hilferuf, zugleich aber politisch durchaus interessant, weil typisch.

Da wurde den 250 Kleingärtnern unserer Anlage Anfang vergangenen Jahres mitgeteilt, daß sie rückwirkend ab 2008 an die Berliner Stadtreinigung (BSR) eine jährliche Gebühr von 56 Euro pro Parzelle zu entrichten hätten. Wofür mochte das sein? Für Straßenreinigung jedenfalls nicht, denn es wurde und wird bei uns nichts gereinigt, da nichts zu reinigen ist.

Nach einer entsprechenden Anfrage verwies man auf das Berliner Straßenreinigungsgesetz. Dort stehe etwas von "Hinterliegern", die ebenso wie die unmittelbaren Anlieger Reinigungsgebühren zu entrichten hätten. Gemeint sind mit dem dudenfremden Ausdruck jene, deren Grundstücke hinter einem anderen liegen und Zugang zu der Straße besitzen, an welche die vordere Fläche grenzt. Also etwa ein Zweiter oder Dritter, aber doch keine 250! Da tatsächlich nur ein einzigen Grundstück unserer Anlage teilweise eine Straße berührt, die von der BSR gereinigt wird, wären allenfalls acht Gärten dahinter (8 x 400 qm = 3200 qm) im Sinne des Gesetzes als "Hinterlieger" zu betrachten. Alle übrigen wären da eher "Nebenlieger", um im Bilde zu bleiben.

Wie sich nun zeigte, kommt man in diesem Fall mit dem gesunden Menschenverstand nicht weiter. In besagtem Gesetz geht es nicht darum, etwas vernünftig zu regeln, sondern ausschließlich ums Kasse-Machen, obwohl für die Knete überhaupt nichts geleistet wird.

Meine Probleme begannen, als ich mich mit dem erwähnten Rechtsakt beschäftigte. Eine solche Tortur wünsche ich niemandem! Immer, wenn ich glaubte, endlich verstanden zu haben, um was es geht, mußte ich zurückblättern, um zu konstatieren, daß ich überhaupt nichts begriffen hatte. Alles ist so nebulös formuliert, daß jeder normale Leser auf der Strecke bleibt.

Da ist im Gesetz von Straßenreinigungsverzeichnissen A, B und C die Rede. A- und B-Straßen werden von der BSR gereinigt, C-Straßen überwiegend von den Anliegern selbst. A- und B-Straßen sind wiederum nach der Häufigkeit des Tätigwerdens der BSR in Reinigungsklassen unterteilt. Die wiederum sind ausschlaggebend für die zu entrichtenden Summen der Anund Hinterlieger. Die für ein Grundstück maßgebliche R-Klasse wird durch die öffentliche Straße bestimmt, an die das Grundstück grenzt. Meine Zufahrtsstraße ist öffentlich, ausgebaut, von Einfamilienhäusern gesäumt und durch die Anlieger selbst zu reinigen.

Wenn wir also schon einen Obolus zahlen sollen, dann müßte er doch an die Anlieger entrichtet werden, nicht aber an die BSR.

Unsere 300 Meter lange Zufahrtsstraße bleibt völlig außer Betracht, dafür aber fällt eine nur etwa 10 Meter breite Berührung der 107.000 qm messenden Gesamtanlage mit einer A-Straße ins Gewicht. Und das dient als Begründung für eine Gesamtzahlung von knapp 14.000 Euro jährlich!

Auf eine Anfrage schrieb mir der Präsident des Deutschen Kleingärtnerverbandes, Dr. Norbert Franke, daß von Kleingärtnern in der BRD mitunter 17 (!) öffentliche Abgaben gefordert würden.

Horst Birkholz, Berlin

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Wie ein Oldenburger "Lenin" wieder auf sein Podest gelangte

Der verschwundene Iljitsch

Am 3. Juli erreichte mich in Wuppertal ein verzweifelter Hilfeschrei aus Oldenburg. Dort war eine ortsbekannte Lenin-Statuette plötzlich abhanden gekommen.

In der außerordentlich beliebten und auch von DKP-Genossen der Stadt als Veranstaltungslokal genutzten Szene-Gaststätte "bei Beppo" gehörte eine Lenin-Figur seit vielen Jahren zum Dekor. Sie hatte ihren festen Platz auf einem Podest unmittelbar neben der Theke und war - da im Blickfeld aller - nicht selten Thema von Gesprächen der Gäste. Es handelte sich um ein Geschenk des Oldenburger "Bundschuh"-Chors, der das Kleinod 1986 auf einer Tournee durch Kasachstan erworben hatte.

Eines Tages war die Statue verschwunden. Gäste hätten sie bei einer Party wohl mitgehen lassen, ärgerte sich die Wirtin Heike Brüntjen über den Verlust der zum Inventar gehörenden kleinen Skulptur. Um in die Bresche zu springen, faßte ich den Entschluß, meine eigene Statue zu opfern und "Lenin" sobald wie möglich nach Oldenburg zu bringen. Auf diese Weise unternahm Iljitsch - freilich im übertragenen Sinne - nunmehr eine zweite Reise durch Deutschland - diesmal allerdings nicht wie 1917 aus seinem Schweizer Exil in einem verplombten Waggon der Reichsbahn, sondern im IC, der mich aus der Friedrich-Engels-Stadt nach Oldenburg brachte. Auf der Fahrt dorthin erinnerte ich mich, welche Rolle gerade Engels im Leben, Denken und Handeln Lenins gespielt hat, mit wieviel Hochachtung er über unseren Wuppertaler Ahnherrn zu schreiben wußte.

Am 14. September konnte ich der Wirtin in der überfüllten Gaststätte - gewissermaßen vor versammelter Mannschaft - meine kleine Lenin- Plastik, eine biographische Skizze über den Führer der Bolschewiki sowie eine "Schenkungsurkunde" überreichen. Natürlich befand sich in meinem Gepäck auch eine Flasche "Moskowskaja"-Wodka, was bei Kennern in der Runde zusätzliche Freude hervorrief.

Es war für alle ein Augenblick der Genugtuung, als die Statue auf ihren Platz zurückkehren konnte. In einer kurzen Ansprache wies ich darauf hin, daß "Lenins" Rückkehr möglichst viele Einwohner der Stadt und ihrer Umgebung dazu anregen möge, sich mit Leben und Werk dieses außergewöhnlichen Mannes zu beschäftigen.

Wer fortan Oldenburg besucht, sollte Heike Brüntjens "bei Beppo" nicht auslassen - auch, um bei dieser Gelegenheit einen Blick auf "ihren" Lenin zu werfen.

Dr. Dirk Krüger, Wuppertal

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Die Klage der Anastasia Obermoser
von Gerhard Bengsch (aus "Gute Nacht, Antonio")

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Was macht eigentlich eine historische Persönlichkeit aus?

Im September RF erschien ein interessanter Artikel Horst Neumanns über die Rolle und Unverzichtbarkeit herausragender Führer im proletarischen Klassenkampf. Als Student der Philosophie frage ich: Was charakterisiert eine historische Persönlichkeit und wodurch geht jemand in die Geschichte ein?

Zwischen den beiden Richtungen der Anhänger Hegels bestand die entscheidende Differenz in der Frage, in welchem Maße die Praxis - also konkrete menschliche Tätigkeit - die Geschichte voranbringt. Der später vom historischen Materialismus aufgegriffene linkshegelianische Standpunkt zeichnet sich durch eine sehr bedeutungsvolle Feststellung aus: Geschichte kann sich nicht im Selbstlauf gestalten, nur Menschen vermögen das zu tun. Dieser Gedanke findet sich auch in den Marxschen Feuerbachthesen wieder. "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber drauf an, sie zu verändern", heißt es dort. Man kann also sagen: Alles menschliche Wirken ist Praxis. Persönlichkeiten sind jene Subjekte der Gesellschaft, welche innerhalb ihrer Lebenswelt besondere Aktivitäten entwickeln.

Was aber läßt nun eine Persönlichkeit in die Geschichte eingehen, und inwieweit ist das für den Sozialismus von Bedeutung? Es handelt sich um Aktivitäten, die auf die Existenzbedingungen eines Teils der Menschheit nachhaltig einwirken oder diese sogar verändern. Um das tun zu können, muß der Handelnde die Weitsicht besitzen, gesellschaftliche Prozesse erkennen und deren Verlauf abwägen zu können. In der Arbeiterbewegung waren das immer Personen, die für die Klasse und in deren Kampf tatsächliche Erfolge von dauerhafter Wirkung erzielt haben oder anderen den Weg bahnten, um ihr eigenes Werk fortzusetzen.

Man kann keine einzige historische Persönlichkeit benennen, ohne zugleich auch über deren Wechselbeziehung zu anderen Akteuren ihrer Zeit nachzudenken. Besteht eine solche nicht, dann bleiben als Einzelpersonen Handelnde in ihrem Wirken zwangsläufig eingeschränkt.

Wenn man nach den Gründen des Untergangs der UdSSR und der anderen sozialistischen Staaten Europas fragt, sollte man sowohl die historischen Bedingungen als auch das subjektive Handeln von Personen in Betracht ziehen. Diesen Zusammenhang nicht zu sehen, wäre undialektisch. Berechtigterweise macht Horst Neumann auf die Problematik des karrieristischen Agierens von Personen aufmerksam. Welche Bedingungen aber führen zu einer solchen Haltung? Nach meiner Auffassung läßt sich diese Frage - bezogen auf die DDR - nur unter Berücksichtigung der Umstände und Herausforderungen beantworten, mit denen der sozialistische deutsche Staat unmittelbar konfrontiert war.

Die Analyse dieser Problematik ist eine Generationenaufgabe marxistischer Historiker. Sie verlangt eine gründliche Untersuchung von Aufstieg und Fall des Sozialismus in dieser historischen Etappe, wobei in die Zeit weit vor Gorbatschow zurückgegangen werden muß. Erscheinungsformen wie Bürokratismus, Machtmißbrauch und Personenkult können niemals zum Wesen der Sache erklärt werden, wenn es um die Untersuchung von Deformationen geht.

Man sollte indes die Frage nicht ausklammern, weshalb historische Prozesse so und nicht anders verlaufen sind. Marxisten müssen dabei den Fehler vermeiden, ihren heutigen Erkenntnisstand zum Maßstab der Beurteilung des jeweiligen geschichtlichen Geschehens zu nehmen. Tun sie es, dann verfallen sie unweigerlich in ein Denkschema, bei dem allein der Wille des Handelnden zum Historischwerden einer Persönlichkeit ausreicht.

Nico Jühe, Wuppertal

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Wolf bleibt Wolf - auch im Schafspelz

In Anlehnung an Heinz Gliemanns RFBeitrag "Stiglitz - Menü ohne Marxschen Pfeffer" (Juli-RF) bleibt zu bemerken, daß nicht nur der berühmte Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz mittlerweile zum vehementen Kritiker des neoliberalen Weges, besonders in den USA, mutiert ist. Auch in der BRD gibt es solche Kritiker am System. Das trifft beispielsweise auf die deutschen Ökonomen Max Otte und Rudolph Hickel wie deren Bücher "Stoppt das Euro-Desaster!" und "Zerschlagt die Banken!" zu. Hierbei handelt es sich um durchaus tiefgründige Kritik an der gegenwärtigen Politik, besonders am Finanzsystem. Doch beide Professoren sind nicht bereit, den entscheidenden Schritt der Trennung vom Kapitalismus zu vollziehen. Sie fordern zwar Veränderungen an dessen System, erkennen und benennen indes nicht die strukturellen Probleme. Ein Wolf aber bleibt ein Wolf, auch wenn man ihm einen Schafspelz umhängt.

Der Kapitalismus folgt den seinem System innewohnenden Regeln und Gesetzen, die dringend überwindungsbedürftig wären. Doch solchen Ökonomen gebricht es an der Fähigkeit durchdringenden Denkens, das es ihnen ermöglichen würde, über ihren eigenen Schatten zu springen und selbstgesetzte Grenzen zu überschreiten. - Albert Einstein hat einmal berechtigterweise festgestellt, man könne Fehler nicht mit derselben Denkweise beheben, welche sie hervorgebracht habe.

Zu den Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus gehört in erster Linie auch der sogenannte Wachstumszwang, der in einem begrenzten System, das die Erde nun einmal darstellt, zu dessen Zerstörung führen muß. Diese Grenzen wurden übrigens schon in den 70er Jahren vom elitären "Club of Rome" benannt und 40 Jahre später in seinem Aktualisierungspapier bestätigt. Sie werden heute immer sichtbarer. Ungeachtet dessen zieht die neoliberale Politik im Dienste der ökonomisch Herrschenden ihre zerstörerische Spur und unternimmt nichts, um aus diesem Teufelskreis herauszukommen.

Das sieht auch Max Otte so. Er beschreibt, wie Banken und andere "Finanzdienstleister" Währungen und ganze Staaten ruinieren. Ebenso klar ist, daß man das gesamte System zerschlagen müßte, um etwas Wirksames dagegen unternehmen zu können. Doch wer ist weiter von solchen Überlegungen entfernt als die gegenwärtig hierzulande den Ton Angebenden?

Leider wird auch in Prof. Hickels Buch "Zerschlagt die Banken!" bei aller Kritik die Systemfrage nicht gestellt. Und einen Bären waschen zu wollen, ohne sein Fell naßzumachen, war noch zu keiner Zeit möglich. Prof. Otte warnt groteskerweise davor, daß sich die BRD unter dem Druck der Finanzmärkte wieder in eine Klassengesellschaft "zurückentwickeln" (!) würde. Ist deren Gesellschaft denn jemals etwas anderes gewesen?

Diese Art der Argumentation zeigt - wie sollte es auch anders sein - ernste Wissenslücken selbst bei durchaus denkfähigen und kritischen Köpfen unter hiesigen "Eliten" im Hinblick auf gesellschaftliche Zusammenhänge, die schon von Marx, Engels und Lenin bloßgelegt wurden. Auch wenn selbst Friedrich August von Hayek - Merkels Lieblingsökonom - die Auffassung vertritt, Demokratie und Marktwirtschaft seien nicht miteinander vereinbar, steht für Leute seines Zuschnitts natürlich ein Systemwechsel überhaupt nicht zur Debatte. Ein wenig mehr Überschaubarkeit der Ansichten führender Ökonomen wäre von Vorteil. Doch das ideologische Spinnennetz, in dem auch sie offensichtlich gefangen sind, gibt so schnell niemanden frei!

Volker Büst, Viernau

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Wie die Vippacher "Pflanze" eine beachtliche Nachfolgerin fand

Ein Phönix, der aus der Asche stieg (2 und Schluß)

Asche kann sehr fruchtbar sein, und der Sage nach soll sich ja auch der Vogel Phönix aus ihr erhoben haben. Aber natürlich war der Acker rund um Vippachedelhausen absolut keine Asche, sondern äußerst ertragreich. Unsere spezialisierte LPG Pflanzenproduktion - kurz "Pflanze" - hatte ja als sozialistische Genossenschaft bereits Hektarerträge aufzuweisen, durch die sie in der DDR weit über das Weimarer Land hinaus bekannt wurde. 1991 entstand die Erzeuger-Genossenschaft Neumark eG, deren Mitglieder unter völlig andersartigen gesellschaftlichen Verhältnissen inzwischen nach Normen bürgerlichen Rechts zu wirtschaften gelernt haben. Die Anbaufläche beträgt jetzt rund 4000 Hektar. In der Genossenschaft sind 75 Personen unmittelbar tätig, während ihr 115 Mitglieder angehören, zu denen noch etwa 800 Verpächter von Grund und Boden hinzukommen. Das ist die partnerschaftliche Basis, auf der nun produziert wird.

In der Feldwirtschaft bauen die Neumarker überwiegend Winterweizen, Sommergerste, Raps, Erbsen, Zuckerrüben sowie Körner- und Silo-Mais an.

Als wichtigste Getreideart gilt Winterweizen. Hier beträgt die Erntemenge rund 8000 t. Hinzu kommen Braugerste (ca. 4000 t), Raps (2500 t) und Zuckerrüben (11.000 t).

Um solche Erträge erzielen zu können, verfügt die Genossenschaft über einen hochmodernen Maschinen- und Technikpark von erheblicher Dimension. Darunter befinden sich Traktoren, deren Leistungskraft bis zu 600 PS beträgt. Der Case Quadtrac 535 ist z. B. eine riesige Maschine, die auf Ketten aus Gummi fährt und anstelle von Rädern auf jeder Seite Dreirad-Aufhängungen besitzt, über welche die Raupen laufen. Mit diesem Supertraktor lassen sich selbst schwerste Lasten bewegen. Sämtliche Feldarbeiten wie Grubbern, Drillen, Düngen und Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln erfolgen hochmechanisiert.

Für die Getreidetrocknung ist mit einer Kapazität von 10.000 Tonnen fachgerecht gesorgt. Die Erträge können sich sehen lassen.

Das zweite Standbein der Genossenschaft ist Milch, die artgerecht und qualitativ hochwertig in der Anlage Berlstedt erzeugt wird. Die seinerzeitige LPG - Berlstedt war in der gesamten DDR ein Begriff für hohe Leistungsfähigkeit und vielfältiges kulturelles Leben - hatte sich zu sozialistischen Zeiten schon sehr früh auf Milcherzeugung spezialisiert und dafür entsprechende Voraussetzungen geschaffen. (Erinnert sei hier an Werner Voigts Berlstedt-Couplet, das der RF in seiner Oktoberausgabe veröffentlichte.) Die damalige Produktionsstätte war mit 2000er Anlagen die größte im seinerzeitigen Bezirk Erfurt.

Die landwirtschaftlichen Nutzflächen wurden durch die "Pflanze" Vippachedelhausen bewirtschaftet, welche Grünfutter und Getreide für die 4000 Milchkühe und den Kälberbestand zuverlässig bereitstellte. Nach 1990 wurden die alten Anlagen geschleift. Die Erzeuger-Genossenschaft errichtete große, helle und gut belüftete Ställe, welche den 1700 Kühen einen hohen Tierkomfort bieten. Das Milchvieh ist heute deutlich weniger krankheitsanfällig und liefert Milch von erstklassiger Qualität. Das Melken erfolgt in einem modernen Side-by-Side-Melkstand mit zweimal 30 Plätzen. Die tägliche Milchablieferung beträgt rund 37.000 Liter, was sich im Jahr zu etwa 14 Millionen addiert. Für die Jungviehaufzucht besteht eine Kooperationsbeziehung mit einer Rinder-Zuchtgenossenschaft im thüringischen Ernstroda.

Doch alles Heutige besitzt stabile Grundlagen in den Erfahrungen des Vorangegangenen. Die Mitarbeiter in den neuen Ställen waren zum Teil noch in der alten Berlstedter Anlage tätig und brachten von dort reiches Wissen mit. Inzwischen sind natürlich auch jüngere Kräfte am Wirken. Auf deren Gewinnung und Ausbildung legt der Vorstand der Erzeuger-Genossenschaft besonderen Wert. Der Betrieb setzt alles daran, auch in Zukunft hohe Milchleistungen zu erzielen. Dabei stehen erstklassige Qualität des Produkts und artgerechte Haltung der Tiere im Vordergrund. Ein drittes Standbein hat sich die Genossenschaft mit der im Oktober 2005 in Betrieb genommenen Biogasanlage geschaffen. Zuvor war fast die gesamte Gülle auf den Feldern versprüht worden, was dem Boden nicht immer Nutzen brachte, da die Gefahr einer Versalzung bestand. Nun wird sie mit Zusätzen von Mais oder Ganzpflanzen-Silage in zwei großen Fermentern zu Biogas verarbeitet. Im eigenen Blockheizkraftwerk entsteht daraus mit einem 600-Kw-Biogasmotor eine Menge Strom. Die Abwärme nutzt man im eigenen Betrieb. Übrigens erfolgt auch eine Entschwefelung des Produkts, wobei die anfallenden Reste aus dem Gärprozeß als wertvoller organischer Dünger dienen. Das ist der geschlossene biologische Stoffkreislauf, den die Neumärker erreicht haben. Sie verfolgen die Absicht, ihre Anlage weiter zu modernisieren und zu vergrößern.

Ich möchte diesem Bericht noch ein paar persönliche Bemerkungen hinzufügen. Als mir am 29. November 1961 im Zimmer des 1. Sekretärs der Weimarer SED-Kreisleitung die recht düstere Situation der LPG "Vereinte Kraft", in die ich entsandt werden sollte, erläutert wurde, war ich wenig begeistert. Ich ärgerte mich sehr über die äußerst niedrigen Erträge, zumal ich schon weitaus Besseres erlebt hatte. In einer Vorstandssitzung bin ich sogar regelrecht aus der Haut gefahren, wofür ich mich hinterher entschuldigt habe. An Ort und Stelle setzte ich alles daran, daß die Mitglieder wieder Mut bekamen und immer mehr produzierten, womit auch ihre Einkünfte stiegen.

Es war der Anfang einer großartigen Entwicklung. Am 20. Jahrestag der LPG waren wir schon ganz und gar aus dem Schneider und erzielten hohe Erträge auf dem Acker wie im Stall. Um so mehr freut es mich, daß die Mitglieder unserer "Pflanze" nach der Niederlage des Sozialismus in Europa, von der auch die DDR betroffen wurde, nicht einfach auseinandergelaufen sind. Sie haben die Erzeuger-Genossenschaft Neumark eG gegründet und produzieren dort sogar noch mehr, als wir damals aufweisen konnten.

Wie man sieht, ist nicht alles im Osten sang- und klanglos untergegangen, wie es bisweilen scheint. So manche Phönixe haben sich aus der fruchtbaren Asche erhoben.

Eberhard Herr, Herzberg/Elster

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Warum Obamas Minister Shinseki 278.565 Mitarbeiter braucht

Das Trauma der Kriegsveteranen

Wer kennt eigentlich Eric Shinseki? Außerhalb der USA ist dieser Mann mit Gewißheit eines der am wenigsten bekannten Mitglieder der Obama-Administration. Dabei leitet er das zweitgrößte Ministerium der Vereinigten Staaten nach dem Pentagon. Sein Budget beträgt 93,4 Milliarden US-Dollar. Shinseki steht an der Spitze des bereits 1930 gegründeten Kriegsveteranenministeriums. Sein "Haus" versorgt die Veteranen sämtlicher amerikanischen Kriege in aller Welt, kümmert sich um deren Familienangehörige und ist für die Pflege von 123 der 139 Nationalfriedhöfe der USA zuständig.

Schaut man sich die Liste jener Aggressionen an, welche die Vereinigten Staaten allein seit 1945 angezettelt haben, dann muß die Zahl "militärischer Operationen" schockieren. Sie vermittelt den Eindruck, daß bei dem Riesenheer der Bediensteten Minister Shinsekis kein Mangel an Arbeit bestehen dürfte. Allein bis zum Kosovo-Krieg 1998 brachte es die Führerin der "westlichen Wertegemeinschaft" auf 105 Interventionen! Im 21. Jahrhundert folgten bereits weitere Überfälle auf Afghanistan, Irak und Libyen.

Nach unabhängigen Recherchen starben von 1945 bis 2000 durch Waffen oder Kampfstoffe der USA zwischen 20 und 30 Millionen Menschen - drei Millionen von ihnen waren Vietnamesen, über denen Maschinen der U.S. Air Force die berüchtigte "Entlaubungschemikalie" Agent Orange massenhaft versprühten. Seit 2001 verlieren Tag für Tag etwa 500 Erdenbürger durch das, was Bush und Obama, aber auch Merkel und Cameron als "humanitäre Interventionen" ausgeben, auf grauenvolle Weise ihr Leben. In diesem Zeitraum verschlang der Export westlicher Vorstellungen von Freedom & Democracy rund sechs Billionen Dollar - eine Milliarde am Tag.

Diese Summen beziffern indes nur die Ausgaben der USA selbst - die Folgekosten für die Bevölkerung der überfallenen Länder bleiben dabei unberücksichtigt. Niemand berechnet vernichtete Ernten und Ressourcen oder zerstörte Infrastruktur. Solche Schäden sind kaum in Dollar- Beträgen zu beziffern. Wie könnte die Welt heute aussehen, wenn diese enormen Summen humanitären Zwecken zugeflossen wären! An jedem 11. November begeht man in den USA den Tag der Veteranen. Dann werden Paraden abgehalten und die Teilnehmer sämtlicher US-Kriege in pathetischen Inszenierungen überschwenglich als Helden gefeiert. Die Koordinierung dieses falschen Pathos liegt in den Händen von Shinsekis Super-Ministerium.

Wenn man allerdings sämtliche Kriege der USA betrachtet - ist da seit Aufkündigung der Antihitlerkoalition etwa noch irgendwo Heldenhaftes vollbracht worden? War es etwa heroisch, die Philippinen, Korea, Guatemala, Kongo, Grenada, Irak oder Afghanistan mit Krieg und Tod überziehen? Sind nicht statt dessen die Völker kleiner Länder wie Kuba und Vietnam die wahren Helden, weil sie - dem biblischen David gleichend - Goliath erfolgreich die Stirn geboten haben? Übrigens war Obamas Minister Shinseki selbst einer von denen, die aktiv am Überfall auf das vietnamesische Volk teilnahmen.

Liest man die Namen der schwachen und oft bettelarmen Staaten, die seit 1945 auf Befehl Washingtons militärisch bombardiert, ökonomisch ruiniert, ökologisch toxifiziert und durch von der CIA geführte Putsche faschisiert wurden, so kann man nicht umhin, in der durch eine verlogene und schwülstige Propaganda als glorreich dargestellten U.S. Army trotz des persönlichen Mutes vieler ihrer Angehörigen eine der feigsten Armeen der Menschheitsgeschichte zu erblicken. Die technologisch hochgerüsteten Streitkräfte der USA führen seit fast 70 Jahren ihre Feldzüge gegen Entwicklungsländer - ein Vorgang, der dem Schlagabtausch zwischen einem Schwergewichtsboxer und einem Rollstuhlfahrer gleicht.

Wenn BRD-Politiker ohne Unterlaß die Vorbild- und Führungsrolle der Vereinigten Staaten im Munde führen, dann sollten wir doch die Frage stellen, was ihnen da eigentlich als so vorbildhaft vor Augen steht. Ist es das große Morden? Wer andere töten will, bedarf der dazu benötigten Mordinstrumente. Auch in dieser Hinsicht folgt Merkels freiheitlich-demokratisches Paradies, das längst zum drittgrößten Waffendealer der Welt aufgestiegen ist, dem überseeischen Beispiel. Und dabei möchte man diesen Umsatz im Kapitalinteresse ins unermeßliche steigern. Das aber geht nur, wenn verpulvertes Kriegsmaterial rasch wieder ersetzt werden muß. Wer im Waffenexport die Nase vorn hat, kann kein Friedensengel sein! Da ist der Erfahrungsvorsprung des "Hauses" Shinseki auch für die BRD von großem Nutzen. Bedarf es doch möglicherweise irgendwann einer bundesdeutschen Behörde, die sich auf höchster Ebene mit der Kriegsveteranenbetreuung zu befassen hat. Schon heute beansprucht die Behandlung schwerer posttraumatischer Leiden aus Afghanistan zurückgekehrter Bundeswehrangehöriger erhebliche finanzielle Mittel und medizinische Kapazität.

Tun wir alles dafür, daß hierzulande nicht eines Tages eine solche Situation entsteht, wie jene, mit der Shinsekis Behörde geradezu vorrangig befaßt ist: der massenhaften Betreuung suizidgefährdeter Heimkehrer aus den auch in den eigenen Reihen Horror erzeugenden Kriegen des Imperialismus.

Ulrich Guhl

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RF-Extra

Über neue Trauerrituale für die "Gefallenen" der Bundeswehr

Wenn immer mehr Särge kommen ...

Immer mehr Angehörige der Bundeswehr kehren als menschliche Wracks oder in Särgen von ihren "Auslandseinsätzen" zurück. Auch wenn sie sich freiwillig dorthin gemeldet haben, geraten sie zunehmend in Widerspruch zu den ihnen befohlenen militärischen Aufgaben. Schließlich tragen sie ganz persönlich das Risiko des eigenen Todes.

In der Öffentlichkeit ist Afghanistan beim besten Willen nicht mehr als Verteidigungskrieg zu vermitteln. Die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an diesem Krieg ist von imperialistischen Interessen getriebene Politik, es geht um globale Strategien und um Rohstoffe. Die in der BRD politisch Herrschenden geraten immer öfter unter Rechtfertigungsdruck und versuchen, darauf zu reagieren. Sie setzen dabei auf zivil-religiöse Rituale, die sich an tief im kollektiven Unterbewußten der Gesellschaft verankerte Empfindungen richten. Angesichts ständig wachsender Zahlen toter deutscher Soldaten sollen sie das Gefühl vermitteln, daß es Sinn macht, sich für die mörderischen Auftraggeber zu opfern.

Zivilreligion ist ein System, an die kollektiv, oft unbewußt in der Gesellschaft verwurzelten Gefühle und Werte mit religiösen Mitteln heranzukommen. Der Soziologe Niklas Luhmann sagt, es handle sich um "jene Elemente eines religiösen Glaubens, für die man bei allen Mitgliedern der Gesellschaft Konsens unterstellen kann". Ihre Affinität zum religiösen System beruht darauf, daß der weltliche Staat Werte wie "Menschenwürde", "Freiheit", "Gleichheit" oder "Gerechtigkeit" selbst nicht hervorbringen und garantieren kann. Besonders wenn es um den Tod geht, ist Religion bei ihrem zentralen Thema: Die prinzipiell unaufhebbare Ungesichertheit des menschlichen Daseins. Warum geschieht gerade dies mir? Warum muß ich sterben? Warum gerade jetzt?

Die Führung der Bundeswehr reagiert seit einiger Zeit auf "durch Fremdeinwirkung getötete Soldaten" mit ständig großartiger inszenierten Trauerriten, die diesem zivil-religiösen Bedürfnis nachkommen sollen. Was lassen sich die Bundeswehr und deren Führung dazu einfallen, daß immer mehr Särge zurückkommen?

Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung sprach am Ende seiner Trauerrede für zwei in Afghanistan getötete Bundeswehrsoldaten am 24. Oktober 2008 in Zweibrücken erstmals das entscheidende Wort aus: "Ich verneige mich in Dankbarkeit und Anerkennung vor den Toten, die für unser Land im Einsatz für den Frieden gefallen sind."

Bis zu diesem Tag waren im Kriegseinsatz umgekommene Bundeswehrangehörige nach der offiziellen Sprachregelung stets als "Getötete" bezeichnet worden. Mit dem Gebrauch der psychologisch und geschichtlich hoch aufgeladenen Bezeichnung "gefallen" stellte Jung die Bundeswehr bewußt in die Tradition der Heldenverehrung bei allen seit 1870 von Deutschland geführten Kriegen. Weder das Soldatengesetz der BRD noch dessen einschlägige Kommentare kannten bis 2008 den Ausdruck des "gefallenen Soldaten".

Bis 2005 war die gängige Formulierung am Sarg des Betroffenen, er sei in Ausübung seines Dienstes für die Bundesrepublik Deutschland durch einen "hinterhältigen und verbrecherischen Mordanschlag" ums Leben gekommen (Minister Struck am 10 Juni 2003) und einen Tod gestorben, "in dem man keinen Sinn sehen" könne (Strucks Nachfolger Jung am 23. Mai 2007).

Gefallene "Helden" hatten in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit der alten BRD seit den frühen 50er Jahren kein großes Ansehen. Dies bewirkte vor allem die "Ohne-mich-Bewegung" gegen die Wiederbewaffnung. Man glaubt es kaum, sogar Franz Josef Strauß sagte 1949: "Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nimmt, dem soll die Hand abfaulen." Der Ideologe der Wiederbewaffnung und Mann der "Inneren Führung" Graf Baudissin definierte in seinen öffentlichen Auftritten bis in die 60er Jahre die Bundeswehr ganz unheroisch als "notwendiges Übel". So sind auch die bei Auslandseinsätzen seit 1991 ums Leben gekommenen Soldaten "durch Fremdeinwirkung", d. h. bei Kampfhandlungen oder Anschlägen, getötet worden. Inzwischen kamen im Rahmen des ISAF-Einsatzes in Afghanistan insgesamt 54 Bundeswehrangehörige zu Tode. Dies verlangte nach Würdigung. Ab 2008 sind sie deshalb zu "Gefallenen" erklärt geworden.

Fester Bestandteil aller militärischen Trauerfeiern war und ist bis heute nach der zentralen Dienstvorschrift folgendes Ritual: Sechs bis acht Soldaten stehen als Totenwachen am Sarg. Dieser ist mit der Flagge der BRD bedeckt, darauf liegt ein Gefechtshelm. Das Foto des Soldaten - meist als Porträtaufnahme in Uniform - gehört zum Dekor. Als Abschluß wird die Melodie des Liedes "Ich hatt' einen Kameraden" gespielt.

Bis 2008 fanden die Gedenkfeiern für getötete Angehörige der Bundeswehr am Ort ihrer Rückkehr auf deutschen Boden, auf dem Gelände des Fliegerhorsts Wunstorf oder auf dem Flughafengelände in Köln-Wahn - also an einem nicht-öffentlichen Ort - statt. Damit wurde der bundeswehrinterne Charakter der Trauerfeier unterstrichen. Man wollte die zivile Öffentlichkeit von einer Teilnahme an den Zeremonien fernhalten. Die Begründung lautete: Die Soldaten nähmen sich selbst zwar als solche wahr, welche sich für die kollektiven Werte und Interessen Deutschlands mit ihrem Leben einsetzten, wüßten aber darum, daß die deutsche Öffentlichkeit ihnen bestenfalls "ein freundliches Desinteresse" entgegenbrächte. So formulierte es Bundespräsident Köhler am 10. Oktober 2005. Deshalb habe man allen Feiern den Charakter einer "Verabschiedung unter Kollegen" gegeben.

Diese Exklusivität spiegelte sich auch in der Rhetorik bei Trauerfeiern wider. In ihren Ansprachen bezogen sich die anwesenden Verteidigungsminister auf den Gemeinsinn der Berufsgruppe der Soldaten. Das "starke Band der Kameradschaft", so Struck am 10. Juni 2003, habe den Dienst der Soldaten "in gegenseitiger Treue" geprägt. Darauf könnten sich auch die Hinterbliebenen in dieser "Stunde der Not" verlassen. Die in den Trauerreden benutzte Sprache stellte die getöteten Soldaten so dar, als ob sie sich im Dienste humanitärer Hilfsorganisationen für Menschenwürde, Frieden und Recht in die Bresche geworfen hätten. Struck sprach von Männern, "die in Kabul ihre Gesundheit und ihr Leben für eine bessere und friedliche Zukunft des Landes eingesetzt haben".

Nun aber kehrten immer mehr Soldaten tot von ihren Einsätzen zurück. Dieser Situation versuchte man sich durch eine neue Sprachregelung anzupassen. Im Juni 2003 betonte Minister Struck, die vier in Afghanistan getöteten Soldaten seien nicht nur humanitär für die Menschen "vor Ort", sondern auch "für uns alle", "für unsere Sicherheit" und somit letztlich "für unser Land" gestorben. Damit nahm er vorweg, was er am 11. März 2004 dann im Bundestag erklärte: "Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt."

Wie veränderte sich nun seit Beginn der Auslandseinsätze die Inszenierungspraxis bei Trauerfeiern der Bundeswehr? Ab August 2008 findet ein Ortswechsel statt. Nun werden die Zeremonielle nicht mehr versteckt in der Kaserne, sondern öffentlich in Kirchen abgehalten. Jetzt geht es um die große Öffentlichkeit, wobei die Elemente sakraler Repräsentationskultur wichtig werden. In würdevoller Atmosphäre und vor religiöser Kulisse sind die Spitzen der deutschen Politik zugegen. Sie verfolgen die Ansprache eines Ministers, in dessen Nähe der Altar steht, brennende Kerzen leuchten und die Särge der toten Soldaten, der "Gefallenen", aufgebahrt sind. In dieser Verbindung politischer und religiöser Symbolik verwandeln sich die Trauerfeiern zu "Trauergottesdiensten". Die Präsenz der "Aura des Heiligen und Erhabenen" vermischt sich mit der Feierlichkeit des militärisch-politischen Rituals.

Minister zu Guttenberg war da in seinem Element. Ausdrücklich nahm er religiöse Wendungen und Bezüge auf und versuchte, den betrüblichen militärischen Anlaß mit dem würdevollen sakralen Rahmen zu verbinden. Mehrmals bezog sich Guttenberg in seinen Reden auf den besonderen Ort: "... und so bitte ich Sie alle in dieser Kirche ...", sowie auf die besondere Zeit des Kirchenjahres: "Die Osterwoche, nach einem entsetzlichen Karfreitag, sollte Hoffnung geben." Er verband in emotionalen Worten mit der Trauer um die gefallenen Soldaten - "Ich habe am Ostersonntag die Tränen der heimkehrenden Kameraden gesehen" - sein eigenes religiöses und politisches Bekenntnis: "Und wenn es diesen Gott unseres christlich geprägten Europas gibt, woran ich fest glaube, dann werden sie, diese tapferen Männer, bei dem Vater aufgehoben sein, dessen Sohn sein Leben gab für das Leben der Menschen auf dieser Welt." (24. April 2010) Guttenberg schloß seine Ansprachen, wie schon zuvor Jung und Struck, stets mit dem Wunsch, die gefallenen Soldaten mögen "in Gottes Segen geborgen" sein.

Die Verlagerung der offiziellen Trauerfeiern vom abgegrenzten militärischen Gelände in die allgemein zugänglichen Kirchen führte zu breiter öffentlicher Berichterstattung. Live-Übertragungen im Fernsehen wurden zur Regel, sogar auf die örtlichen Marktplätze. Großbildleinwände erinnerten an Veranstaltungen bei großen Sportereignissen.

Neben dem äußeren Rahmen veränderte sich auch der rhetorische Umgang mit den Biographien der getöteten Soldaten. So erwähnte Struck in seiner Trauerrede vom 10. Juni 2003 nur Namen, Dienstgrad und Geburtsort der Getöteten. Sein Nachfolger Jung begann seine Ausführungen zum Leben der Soldaten mit dem Eintritt in die Bundeswehr und konzentrierte sich im folgenden auf die bundeswehrinterne Karriere.

In den Reden Guttenbergs wurden nunmehr dienstliche Funktion und persönliches Schicksal verbunden. Beispielhaft hierfür waren seine Ausführungen am 9. April 2010: "... wurde 1984 in Freital in Sachsen geboren. Nicht einmal 26 Jahre alt ist er geworden. Nach der Schule absolvierte er zunächst eine Berufsausbildung als Wirtschaftsassistent. 2006 ging er zur Bundeswehr - zu den Fallschirmjägern. Er war ein begeisterter Sportler, der schon als Jugendlicher im Fußball aktiv war, Kraftsport trainierte. Seine Kameraden berichten, daß er ebenso beliebt wie angesehen war. Seine Heimat blieb indes Sachsen. Hier wollte er mit seiner Freundin nach dem Einsatz ..., in einer gemeinsamen Wohnung zusammenziehen." Es geht also um mehr als ein innerbetriebliches Ereignis der Bundeswehr. Der Tote ist, so die Botschaft des Ministers an die deutsche Öffentlichkeit, in erster Linie "einer von Euch" gewesen, der "für Eure Ziele, Werte und Entscheidungen" gestorben ist.

Sie gipfelte in dem Satz, er habe "in Eurem Auftrag" sein "Leben gegeben". Daher sei es die Aufgabe aller, seiner ehrenvoll zu gedenken. Er verdiene Achtung, Respekt und Dankbarkeit.

Die hier vorgenommene symbolische Überhöhung wurde so auf alle Angehörigen der Bundeswehr ausgedehnt. Der "deutsche ISAF-Soldat" und sein kriegerisches Wirken werden zu einer Leitfigur, mit der sich die politische Gemeinschaft identifizieren soll. Wir können beobachten, wie sich in den Redemanuskripten zwischen 2001 und 2011 die Schilderung der Leistungen der Bundeswehrsoldaten immer stärker von deren konkreten Aufgaben löst und zu allgemeinen Vorstellungen von Tugend wie Einsatzbereitschaft, Hingabe und Leidenschaft hochstilisiert wird: "Es braucht Männer und Frauen, die sich mit ihrer ganzen Kraft für die Würde des Menschen, für Frieden, Freiheit und Recht einsetzen, dafür auch Risiken für sich selbst in Kauf nehmen. Diesen Auftrag erfüllen unsere Soldaten in hervorragender Art und Weise", erklärte Jung am 24. Oktober 2008.

Guttenberg wollte nicht mehr vorrangig als Sprecher des "Funktionssystems Bundeswehr" oder des "politischen Entscheidungssystems" der Bundesregierung verstanden werden. In seinen Reden tauchen vermehrt Werte wie Tapferkeit, Pflichtbewußtsein und Patriotismus auf: "Die drei Soldaten, um die wir heute so sehr trauern, haben in ihrem Eid geschworen, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Sie haben diesen Eid erfüllt. Sie waren tapfere, treue, wahrlich treue Soldaten. Sie waren auch echte Patrioten. Sie sind für unser Land gefallen und ich verneige mich in größter Dankbarkeit und Anerkennung." Guttenberg inszenierte sich dabei - anders als seine Vorgänger - als zivil-religiöser Repräsentant, ja man könnte sagen als zivil-religiöser Priester der politischen Gemeinschaft des deutschen Volkes: "Soldaten, wir werden Euch vermissen. Und wer vermißt, vergißt nicht. ... Soldaten! Seid in Gottes Segen geborgen", gab er am 9. April 2010 von sich. Waffen segnete Guttenberg allerdings noch nicht.

Edda und Karl-Helmut Lechner, Norderstedt


Unsere Autoren sind nach dem Studium der Theologie und mehrjähriger Tätigkeit als Pastorin und Pastor in der Kirche Schleswig-Holsteins 1974/1975 aus der Kirche ausgetreten. Sie haben danach eine Ausbildung zu Maschinenschlossern gemacht und auch in diesem Beruf gearbeitet. Politisch betätigen sich heute beide in der Partei Die Linke, wobei sie sich thematisch mit den Schwerpunkten Religionssoziologie und Kritik an der Kirche beschäftigen.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Ab 2008 ist die Trauerfeier für Bundeswehrangehörige ein öffentlicher Gottesdienst.

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Was hinter dem vermeintlichen Abzug der ISAF-Okkupanten steckt

Afghanen sollen Afghanen töten

Die Anschläge des 11. September 2001 wurden zum Anlaß des Krieges gegen Afghanistan, obwohl dieser lange zuvor geplant war. Wie die "Washington Post" am 19. Dezember 2000 berichtete, hatte die Clinton-Administration schon neun Monate vor der Sprengung der New Yorker Twin Towers einen Krieg am Hindukusch in Erwägung gezogen. Hierüber gab es Konsultationen mit den Regierungen Rußlands und Usbekistans. Da sich die usbekische Regierung weigerte, ihr Territorium für eine US-Aggression gegen Afghanistan zur Verfügung zu stellen, mußte der Krieg zunächst verschoben werden. Auch der frühere pakistanische Außenminister Naiz Naik bestätigte, daß dieser Krieg lange vor dem 11. September beschlossen worden war. Schon im Juli 2001 hatte Washington seine Regierung darüber informiert. Ende September 2006 brüstete sich auch Bill Clinton damit, als US-Präsident einen Krieg gegen Afghanistan geplant zu haben. Sowohl diese Aggression als auch der Überfall auf Irak waren Bestandteil der "Greater Middle East Initiative" der Neokonservativen.

Nach der 2001 erfolgten Vertreibung der Taliban bestand eine reale Chance, die Staatlichkeit Afghanistans wiederherzustellen. Noch während des Krieges fand Ende 2001 unter UNO-Ägide eine internationale Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn statt. Hier wurde über den künftigen Status Afghanistans beraten. Auf Druck der über 20 anwesenden US-Vertreter bildete man unter Beteiligung dreier islamistischer und einer monarchistischen Gruppe eine Regierung für Kabul. Hamid Karsai, der seit Beginn des afghanischen Bürgerkrieges enge Verbindungen zur CIA unterhielt, wurde zum Übergangministerpräsidenten ernannt. Da diese Regierung weder Legitimation noch Rückhalt im eigenen Land hatte, wurde sie von einer NATO-Schutztruppe nach Kabul begleitet und vor Ort weiter gesichert. Damit favorisierte das Brüsseler NATO-Hauptquartier eine militärische "Lösung" des Konfliktes. Seitdem ist Afghanistan zu einem regelrechten Übungsgelände von USA und NATO geworden, auf dem die neuesten Waffen und die Einsatzfähigkeit der Soldaten, die weitere Entwicklung sowie die Einsatzfähigkeit der US-Drohnen, der Nachfolgertyp der französischen Mirage und die gepanzerten Bundeswehrfahrzeuge in der dortigen Kriegsrealität getestet werden.

Nach dem Petersberger Fahrplan war Karsai 2002 auf einer Ratsversammlung zum Präsidenten "gewählt" worden, wobei 24 Stimmen mehr abgegeben wurden, als Abgeordnete anwesend waren. Im Vorfeld dieser "Wahl" hatten die USA mit zehn Millionen Dollar Stimmen für ihn gekauft. Die "New York Times" nannte das "eine plumpe amerikanische Aktion". Bei dieser waren UNO und EU sowie die USA als Hauptakteur mit ihrem Botschafter Zalmay Khalilzad präsent. Alle Beschlüsse wurden entweder im Büro Karsais oder in der US-Botschaft gefaßt. Sowohl UNO- wie EU-Vertreter nickten die getroffenen Entscheidungen dann nur noch ab, was zum Verlust ihrer Neutralität und Glaubwürdigkeit führte.

So war es nur logisch, daß auf dem Gipfeltreffen in Istanbul am 28. Juni 2004 die Unterstellung der Schutztruppe ISAF unter das Kommando dieses Aggressionspaktes beschlossen wurde. Nach einem im Brüsseler NATO-Hauptquartier beschlossenen Operationsplan wurde Afghanistan unter den Besatzern in vier Sektoren aufgeteilt. So hob man die ursprüngliche Aufsichtsfunktion der UNO wie die Eigenstaatlichkeit Afghanistans auf. Diese Demütigung der Afghanen war der Nährboden, auf dem der bewaffnete Widerstand gedieh.

Noch vor den Parlamentswahlen 2005 hatte Karsai eine "Nationale Konferenz" einberufen, auf der 100 Personen seines Umfeldes zusammenkamen, die ihn "bevollmächtigten", mit den USA einen Vertrag zu schließen, auf dessen Grundlage die U.S. Army auf unabsehbare Zeit in Afghanistan bleiben kann. 2011 und 2012 unterschriebene Verträge Karsais mit der NATO sowie die bilateralen Verträge mit den USA, der BRD und Großbritannien erlauben diesen Ländern "Berater" und "Ausbilder" auch nach dem Abzug der NATO-Kampftruppen über 2014 hinaus in Afghanistan zu belassen. Damit wird das Land am Hindukusch zu einer Militärkolonie und bleibt weiterhin ein unsinkbarer Flugzeugträger der NATO. Da das Kabuler Kabinett etwa zur Hälfte aus Afghanen mit amerikanischem Paß besteht - den Rest stellen in Europa lebende Afghanen und einige willfährige Warlords - hatte die NATO keine Mühe, diesem Marionettenregime beliebige Verträge abzuverlangen. Hier spielen auch die in allen Ämtern präsenten US-Berater eine wichtige Rolle.

Ab 2002 leitete die Karsai-Administration eine "Politik der offenen Tür" ein. Dadurch wurde die Wirtschaft Afghanistans zerstört. Wie der damalige Kabuler Wirtschaftsminister Amin Farhang hervorhob, waren 99 % aller Waren importiert. Der einheimischen Wirtschaft wurde jegliche Entwicklungschance genommen. Sie exportiert fast nichts. 2010 hat z. B. die Bundesrepublik Waren im Wert von 269 Mio. Euro nach Afghanistan geliefert, während es umgekehrt nur 24 Mio. Euro waren - hauptsächlich Teppiche. Die Heroinbarone nutzen den "Wirtschaftsboom" zur Geldwäsche. Sie investieren nur in teure Hotels, Immobilien und Lebensmittel für den Bedarf zahlungskräftiger Ausländer, statt sich im Wiederaufbau des Landes zu engagieren. Sie und die korrupte "Elite" transferieren ihr Geld lieber ins Ausland. Der ehemalige 1. Vizepräsident, Ahmad Zia Masud, wurde am Dubaier Flughafen mit 50 Millionen Dollar im Koffer zunächst festgenommen, dann aber wieder freigelassen.

Am 11. März 2010 meldete Tolo-TV, daß 15 Gouverneure, Botschafter, Generale der Polizei und Kabinettsmitglieder durch Karsai wegen Korruption zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Dies bestätigten sowohl Justizminister Habibullah Ghaleb vor dem Parlament als auch der Stellvertretende Generalstaatsanwalt Faqir Ahmad Faqiryar am 13. März 2010 auf einer Pressekonferenz. Wirtschaftsminister Farhang soll 4 Millionen Dollar aus dem Haushalt seines "Hauses" auf ein Schweizer Konto transferiert haben. Dies erklärte Generalstaatsanwalt Ishaq Aloko.

Dem "Spiegel" zufolge soll Farhang sogar 19 Millionen Dollar unterschlagen haben. Da er aber einen Paß der BRD besitzt, ist er zu seiner Familie dorthin zurückgekehrt. Nach neuesten Informationen hat auch der amtierende Finanzminister Hazrat Omar Zakhelwal insgesamt 1, 8 Millionen Dollar auf seine Privatkonten überwiesen.

Seitdem die NATO den Abzug von Kampftruppen angekündigt hat, verlassen täglich Millionen Dollar illegal das Land. Der Präsident der Zentralbank teilte offiziell mit, 2011 seien über 4,6 Milliarden Dollar - das entspricht dem Jahresbudget der Kabuler Regierung - außer Landes gebracht worden.

Demgegenüber verschlechtert sich die Lage der Bevölkerung ständig. Die Arbeitslosigkeit beträgt etwa 70 %, in manchen Regionen bis zu 90 %. Dort sympathisieren bereits Vier Fünftel der Bevölkerung mit den Taliban. 80 Prozent der Afghanen leben unter Bedingungen des Existenzminimums.

Das ist das Ergebnis der elfjährigen NATO-Besetzung Afghanistans. Auch dessen Bürgern waren einst "blühende Landschaften" versprochen worden. Solche Zusagen erwiesen sich wie anderswo auch als Schall und Rauch. Selbst in Kabul funktioniert weder die Wasser- noch die Stromversorgung. Wegen der katastrophalen sanitären Verhältnisse kam es in den heißen Sommermonaten wiederholt zu Cholera-Epidemien. Für den einfachen Bürger sind die Mietpreise in der Stadt unerschwinglich geworden.

Die afghanischen Frauen haben viele Feinde: Armut, alltägliche Brutalität oder Entführungen. Die Vergewaltigungsrate ist extrem angestiegen. Da die Frauenschänder keine nennenswerten Strafen zu befürchten haben, sind die Afghaninnen de facto vogelfrei. Hinzu kommt noch, daß Vergewaltigung als außerehelicher Geschlechtsverkehr gilt und die Frauen dafür sogar gesteinigt werden können.

Zu dem unsäglichen Petersberger Fahrplan hätte es eine Alternative gegeben, die jedoch nie in Erwägung gezogen wurde. Der optimale Weg zur Befriedung Afghanistans wäre die Bildung einer wirklich repräsentativen Regierung gewesen. Unter strengster Kontrolle nicht der "internationalen Gemeinschaft", sondern der Blockfreien, der Konferenz der islamischen Staaten, der internationalen Gewerkschaften, von Friedens- und Frauenorganisationen hätten Wahlen für eine Ratsversammlung durchgeführt und dort eine provisorische Regierung sowie Kommissionen zur Ausarbeitung einer Verfassung und von Parteien- und Wahlgesetzen bestimmt werden müssen. Eine vom Volk gewählte Regierung hätte auch in Kabul nichts zu befürchten. Schlimmstenfalls wäre für kurze Zeit Militärschutz benötigt worden, wobei man die Nichtpaktgebundenen und die islamischen Staaten in die Pflicht hätte nehmen können. Damit wäre auch den Islamisten der Wind aus den Segeln genommen worden, denn Afghanistan wäre dann nicht von "ungläubigen Christen" und dem "großen Satan" besetzt worden. Diese Alternative war jedoch von Anfang an unerwünscht. Doch es ist noch nicht zu spät, das Petersberger Desaster zu korrigieren.

Ein Wiederaufbau, der ein "Krieg gegen den Hunger" wäre, müßte die erste Priorität sein. Die auf diversen internationalen Geberkonferenzen dem Land versprochenen Milliarden Dollar fließen über die 6000 in Kabul agierenden und mit allen Vollmachten ausgestatteten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in die Geberländer zurück. Einheimische Unternehmen erhalten von ihnen kaum Aufträge. Der zum Planungsminister ernannte Franco-Afghane Ramazan Bachardoust wurde, als er die Machenschaften der NGOs aufdecken wollte, von Karsai entlassen.

Afghanistans ökonomische Perspektive liegt in der Abkoppelung von kolonialähnlichen wirtschaftlichen Strukturen und der Hinwendung zu einer regionalen ökonomischen Zusammenarbeit mit den entwickelteren Nachbarn Indien, China, Iran und Pakistan sowie in einer Süd-Süd-Kooperation.

Eine von der NATO favorisierte "militärische Lösung" kann es nicht geben. Sie ist lediglich ein gigantischer "Ressourcenschlucker". Zwischen 2002 und 2006 wurden in Afghanistan 82,5 Mrd. Dollar für Kriegszwecke ausgegeben, jedoch nur 7,3 Mrd. für den Wiederaufbau. Damit übersteigen die Militärausgaben die Summe der Hilfsmittel um 900 Prozent.

Der Krieg kostet jede Woche 1,5 Mrd. Dollar. Selbst offizielle Angaben beziffern dessen Kosten allein für die USA bis Ende 2011 mit 440 Mrd. Dollar. Der Einsatz der Bundeswehr verschlang 2008 über 536 Mio. Euro. Ein Jahr später waren es bereits rund 690 Millionen. Das Institut für Deutsche Wirtschaftsforschung (DIW) beziffert die jährlichen Kosten mit 2,5 bis 3 Mrd. Euro.

2012 wurden Afghanistan auf einer Konferenz in Tokio insgesamt 16 Mrd. Dollar für die nächsten vier Jahre zugesagt. Als Gegenleistung hat Karsai, dessen Land Korruptions-Vizeweltmeister und Drogenweltmeister ist, die "Bekämpfung der Korruption" versprochen. "Würden alle Korrupten vor Gericht gestellt, hätten wir praktisch keine Regierung mehr", konstatierte am 9. Juli 2012 die Kabuler Zeitung "Aschte Sob". Karsai hat 110 Warlords, Kriegsverbrecher und Heroinbarone als "Berater" um sich versammelt. Jeder erhält monatlich 5000 Dollar Gehalt.

Damit die NATO ohne Gesichtsverlust ihre Kampftruppen abziehen kann, hat sie Bedingungen für eine Afghanisierung des Krieges geschaffen. Sie bildete etwa 500.000 Mann militärisch aus und bewaffnete sie entsprechend. Darunter befinden sich 352.000 Soldaten der afghanischen Nationalarmee. Die USA drängen aus Ersparnisgründen darauf, die Sicherheitskräfte bis 2016 auf 228.500 Mann zu reduzieren. Damit verlieren 125.000 gut ausgebildete und ausgerüstete Soldaten, die dann sofort zum Widerstand überlaufen dürften, ihren Job. Das wäre ein schönes US-Abschiedsgeschenk für die Taliban! Nach Recherchen des britisch-pakistanischen Publizisten Tariq Ali hatte der Krieg schon 2008 hundertmal mehr Zivilisten getötet, als beim Anschlag in Manhattan ums Leben gekommen sind - also 300.000. Beobachter vor Ort gehen inzwischen sogar von mehr als 500.000 zivilen Opfern aus.

Die Sicherheitslage hat sich trotz Vertreibung der Taliban und von Al Qaida nicht verbessert. Nur in Zentren, wo ISAF-Militär präsent ist, konnte die Situation so weit unter Kontrolle gebracht werden, daß die Taliban dort nicht tonangebend sind. Doch nach dem Abzug der NATO-Kampftruppen wird es zumindest zu einer Verschärfung der innerafghanischen Auseinandersetzungen kommen. Auch ein Bürgerkrieg, wie er ab 1992 stattfand, ist nicht auszuschließen. Das Ende der NATO-Kampfeinsätze ist der Anfang der Afghanisierung des Krieges. Seit dem 18. Juni 2013 haben afghanische bewaffnete Kräfte bereits die Verantwortung für das ganze Land übernommen. Nun töten Afghanen ihre Mitbürger, womit Afghanistan im günstigsten Fall "irakisiert" und im ungünstigsten "somalisiert" wird. Von einem Frieden ist meine Heimat sehr weit entfernt.

Dr. Matin Baraki

Unser afghanischer Autor lehrt internationale Politik an der Universität Marburg.

Ende RF-Extra

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Die Kathedrale von Nagasaki diente "Bock's Car" als Zielpunkt

"Christen" löschten Christen aus

Am 9. August 1945 warf eine Maschine der U.S. Air Force, deren Besatzung sich ausnahmslos zum Christentum bekannte, auf Befehl Präsident Trumans eine Plutonium-Bombe über der Kirche der japanischen Großstadt Nagasaki ab. Damit wurde zum zweiten Mal eine Kernwaffe gegen die Zivilbevölkerung eines städtischen Ballungszentrums eingesetzt.

In Nagasaki lebte Nippons zahlreichste Christengemeinde, der die größte Kathedrale des Orients gehörte. Ausgerechnet sie sollte den Killern in der Kanzel als Orientierungspunkt für einen treffsicheren Bombenwurf dienen. Die durchweg christlich getauften und überdies gläubigen Mitglieder der Crew taten nach ihrer Auffassung einen "guten Job" und kehrten nach Abschluß der "Mission" voll militärischen Stolzes in die Vereinigten Staaten zurück.

Nur drei Tage vor dem Kernwaffeneinsatz gegen die Einwohner Nagasakis - am 6. August 1945 - hatte Hiroshima bereits das gleiche Schicksal ereilt. In dem Inferno verbrannten und verglühten die meisten Einwohner dieser japanischen Großstadt. Das ungeheuerliche Verbrechen geschah zu einem Zeitpunkt, als für die kaiserlich-faschistischen Machthaber in Tokio und deren Streitkräfte längst die Würfel gefallen waren. Vor der Mega-Katastrophe war die de facto handlungsunfähige Tokioter Regierung nur deshalb nicht zur längst überfälligen Kapitulation bereit gewesen, weil sie den in Japan als Gottheit betrachteten Kaiser Hirohito schützen wollte.

Am 8. August - dem Tag vor der Auslöschung Nagasakis - war auf dem asiatischen Kriegsschauplatz ein wichtiges Ereignis eingetreten: Die UdSSR hatte Nippon den Krieg erklärt. Wenige Stunden später waren Truppen der Roten Armee über die mandschurische Grenze vorstoßend gegen die japanischen Aggressoren eingeschritten. Die Teilnahme der UdSSR am Krieg gegen Japan veränderte dessen ohnehin aussichtslose Lage erheblich. Die Bereitschaft zur Kapitulation wuchs in Tokio dramatisch, da die japanische Führung ihre Offiziere und Soldaten lieber in der "Obhut" der U.S. Army als in der Gefangenschaft der "Russen" sehen wollte.

Doch zurück zu Nagasaki: Von jener Sonderkommission des Pentagons, die über Ziele für erste Atombombenabwürfe zu befinden hatte - es handelte sich dabei natürlich auch um eine bereits auf die Nachkriegsära zielende Drohgebärde gegenüber der Sowjetunion - war eine Liste weniger zerstörter Großstädte des Inselstaates zusammengestellt worden. Dabei handelt es sich um nur noch fünf Zentren, da mehr als 60 japanische Metropolen bereits durch den im Frühjahr einsetzenden massenhaften Einsatz von Napalm in Schutt und Asche gelegt worden waren. So standen Hiroshima, Niigata, Kokura, Kyoto und Nagasaki für den Einsatz von Nuklearwaffen zur Disposition.

In den USA hatten führende Militärs und ihnen dienstbare Wissenschaftler im Vorfeld des grausigen Geschehens in Erfahrung zu bringen versucht, wie sich eine in der Luft ereignende gewaltige Explosion mit enormer Hitzeentwicklung auf intakte Gebäude und deren Bewohner auswirken könnte. Der einzige Test unter freiem Himmel war am 16. Juni 1945 in Alamobordo (US-Bundesstaat New Mexico) erfolgt. Die bei der Detonation erzeugte doppelte Sonnentemperatur hatte Felsen in glühende Lava verwandelt.

In den frühen Morgenstunden des 9. August hob eine auf den Namen "Bock's Car" getaufte fliegende Superfestung der U.S. Air Force von einem amerikanischen Stützpunkt auf der Pazifikinsel Tinian ab. Dem Start waren Gebete und Segnungen durch die evangelischen und katholischen Militärgeistlichen vorausgegangen. Als zuerst anzufliegenden potentiellen Abwurfort hatte man Kokura ausersehen. Die an Bord befindliche Plutoniumbombe trug die Codebezeichnung "Fat Man" (Dicker) - offenbar eine Anspielung auf Winston Churchill.

Zwei Tage vor dem Start des ultraschweren Bombers war plötzlich Bewegung in die Tokioter Szene gekommen: Japans Oberster Kriegsrat beschloß, nunmehr auch die Möglichkeit einer bedingungslosen Kapitulation zu erwägen. Doch es war bereits zu spät. In der Stunde, in der das Gremium zusammentreten sollte, näherten sich "Bock's Car" und die übrigen Maschinen des B-29-Geschwaders bei absoluter Funkstille bereits den festgelegten Zielen. Nachdem der zunächst erwogene frühere Abwurf auch der zweiten Atombombe wegen ungünstiger Witterungsverhältnisse hatte verschoben werden müssen, fiel die Wahl jetzt auf den 9. August. Doch auch diesmal schien der Wettergott die "christliche Mission" nicht zu begünstigen. Da der Befehl lautete, die Massenmordwaffe nur bei guter Bodensicht einzusetzen, mußte der geplante Abwurf über Kokura ausfallen. Dreimal kreiste der todbringende Riesenvogel über der Stadt, doch die dichte Wolkendecke wollte nicht aufbrechen. Weil der Treibstoff mit der Zeit knapper wurde - man mußte ja auch an den Rückflug denken -, entschied sich der Pilot befehlsgemäß, nunmehr Nagasaki anzusteuern.

Diese Stadt spielte für Japans Christengemeinde durch die Jahrhunderte eine Schlüsselrolle, wobei die auf Initiative eines Jesuiten-Missionars errichtete Kathedrale als größte katholische Kirche Asiens galt. Nagasaki wurde zugleich auch durch die dichteste Konzentration getaufter Christen bekannt. Zeitweilig gehörten der dortigen Gemeinde bis zu 12.000 Gläubige an. Da die Verpflanzung des Katholizismus nach Japan vor allem auch mit der wirtschaftlichen Umtriebigkeit iberischer Kaufleute zusammenhing, ergriff Japans Feudalregime Gegenmaßnahmen, um die fremdgläubigen Eindringlinge zu vertreiben. So unterlagen Nagasakis Christen jahrhundertelang brutaler Verfolgung. Im Jahr 1600 bedeutete ein Bekenntnis zum Christentum Folter und Tod.

Als diese Ära endlich Vergangenheit war, gab es in Japan fast keine Christen mehr. Das jedenfalls nahm man an, bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Nagasaki plötzlich Tausende Katholiken entdeckt wurden, die ihrem Glauben in Katakomben die Treue bewahrt hatten. Internationaler Druck verhinderte deren erneute Verfolgung. So waren sie 1917 sogar zur Einweihung der himmelragenden Urakami-Kathedrale imstande.

Als "Bock's Car" den Luftraum von Nagasaki erreichte, schien das Wetter einmal mehr nicht mitzuspielen. Der Besatzung war aufgetragen worden, sich an der Kirche als höchstem Bauwerk der Stadt zu orientieren. Als diese nach längerem Umherirren von der Besatzung plötzlich durch einen Wolkenspalt erblickt wurde, wußte man, daß die Stunde für "Big Man" gekommen sei: Der Zielort lag direkt unter ihnen. Um 11 Uhr - im Gotteshaus wurde gerade die Morgenmesse abgehalten - erging der Befehl zur Öffnung des Bombenschachtes. 500 Meter über der Kathedrale bildete sich ein alles sofort in Asche verwandelnder gigantischer Feuerball. Da sich die Kirche im Epizentrum der Explosion befand, hatten Nagasakis Christen keinerlei Chance, dem Inferno zu entrinnen. 8500 der 12.000 Katholiken starben in der Minute der Detonation, unzählige andere erlagen Folgen und Spätfolgen. Drei Nonnenklöster und eine christliche Mädchenschule hinterließen nur ätzenden Rauch. Insgesamt zählte man 74.000 Opfer, darunter Zehntausende Anhänger des Shinto-Glaubens und des Buddhismus. Generationen Überlebender blieben bis heute gezeichnet.

Was das kaiserliche Japan in mehr als 200 Jahren Katholikenverfolgung nicht zuwege gebracht hatte, besorgten Trumans mit priesterlichem Segen aufgestiegene "christliche" Bombenwerfer in neun Sekunden.

RF, gestützt auf "The Beacon", Zeitschrift der Unitarischen Kirchgemeinde von Melbourne

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Erinnern an den Helden von Dien Bien Phu

Mit dem Namen Vo Nguyen Giaps - des langjährigen Verteidigungsministers der damals auf den Landesnorden beschränkten Demokratischen Republik Vietnam - verbinden Zeitzeugen jener Jahre eines der denkwürdigsten Daten in der Geschichte des antikolonialen Befreiungskampfes der Völker Indochinas: dem 1954 errungenen Sieg der Truppen der vietnamesischen Befreiungsbewegung (Viet-Minh), die einen technisch weit überlegenen Gegner - die französischen Streitkräfte - vernichtend zu schlagen vermochten. In der Schlacht um die für uneinnehmbar erklärte Festung Dien Bien Phu wurde das Schicksal dieser europäischen Unterdrücker auf dem südostasiatischen Kriegsschauplatz besiegelt. Allerdings sollte das vietnamesische Volk schon bald darauf abermals zum Opfer einer noch weit grausameren Aggression werden, die von den ihren Marionetten im Süden des Landes "zu Hilfe eilenden" USA-Imperialisten ausging.

Am 4. Oktober ist General Vo Nguyen Giap - Heerführer wie Held beider Verteidigungs- und Befreiungskriege - als bislang letzter Überlebender aus der legendären alten Garde Ho Chi Minhs im hohen Alter von 103 Jahren in einem Pflegeheim bei Hanoi gestorben.

Die Biographie dieses Mannes ist äußerst bewegend. Der in einem Dorf Zentralvietnams am 25. August 1910 als Sohn von Reisbauern Geborene konnte sich im Laufe seines Lebens in mehr als einem Sattel zu Hause fühlen: Er war Lehrer, Journalist und Militär. Schon als Jugendlicher hatte er sich an einem College-Streik in der Stadt Hué gegen das vom Direktor verhängte Verbot der Lektüre fortschrittlicher Zeitungen beteiligt. Durch französischsprachige Ausgaben marxistischer Werke kam er sehr früh mit der proletarischen Weltanschauung in Berührung. Bald wählte man den Hochbegabten zum Präsidenten des Journalistenkomitees von Tongking. Lehrer für Geschichte, trat Vo Nguyen Giap 1933 der KP Indochinas bei, die mit Beginn des Zweiten Weltkrieges und dem japanischen Einmarsch in die Illegalität gehen mußte. Die Kommunisten der später unabhängigen Staaten Vietnam, Laos und Kambodscha führten bis zu Japans Kapitulation einen ebenso erbitterten wie siegreichen Guerillakampf gegen die kolonialfaschistischen Eindringlinge.

Nach der Befreiung wurde Vo Nguyen Giap auch für Militärfragen zuständiger Innenminister der aus dem Widerstand hervorgegangenen ersten Regierung Vietnams. Doch Paris ließ schon bald die Hunde von der Kette, um die französische Kolonialherrschaft über Indochina wiederherzustellen. Es konzentrierte dort Elitetruppen, vor allem auch Fremdenlegionäre.

Frankreichs Debakel von Dien Bien Phu - den großen Sieg Zehntausender vietnamesischer Kämpfer und Hunderttausender sie Tag und Nacht unterstützender Hilfskräfte aus der Bevölkerung haben wir bereits vorweggenommen.

Der "General des Friedens" - wie sich Vo Nguyen Giap sehr viel später bei einem Zusammentreffen mit US-Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski bezeichnete - stand in den darauffolgenden zwei Jahrzehnten unablässig im Kampf gegen die Mordbrenner des Pentagons und des Saigoner Regimes. Der legendäre Ho-Chi-Minh-Pfad, auf dem der materielle und personelle Nachschub für die Kämpfer im Süden trotz pausenloser Bombardements der U.S. Air Force jahrelang gesichert werden konnte, war mit dem Namen des DRV-Verteidigungsministers auf das engste verbunden. Bis zur Einnahme der südvietnamesischen Hauptstadt Saigon (heute Ho-Chi-Minh-Stadt) durch die Truppen der Volksbefreiungsarmee am 30. April 1975 und der überstürzten Hubschrauberflucht vom Dach der US-Botschaft stand Vo Nguyen Giap auf diesem Posten. Er zählt zu den bedeutendsten Militärstrategen aller Zeiten - nicht zuletzt auch durch die von ihm konzipierte Tet-Offensive im Januar 1968, welche die Eindringlinge das Fürchten lehrte und das Kriegsglück in Vietnam zu deren Ungunsten wendete. "Franzosen wie Amerikaner haben ihre Gegner, die schöpferische Kraft und Energie einer Volksarmee, eines ganzen Volkes, das sich für seine Unabhängigkeit und Freiheit erhoben hat, stets unterschätzt", analysierte der Sieger von Dien Bien Phu später den Triumph im ungleichen Kampf. "Der menschliche Faktor war entscheidend." Deshalb habe er auch auf eine entsprechende Frage Brzezinskis geantwortet, der "größte General" unter seinem Befehl sei das vietnamesische Volk gewesen.

Jetzt haben Hundertausende Vietnamesen den nach "Onkel Ho" berühmtesten ihrer zeitgenössischen Landsleute würdig zu Grabe getragen. Giap hatte bis zur Vollendung seines 80. Lebensjahres dem ZK der KP Vietnams angehört.

Möge sich das Volk der Sozialistischen Republik Vietnam, das inzwischen mit einer fundamental veränderten Situation konfrontiert ist, stets dieses lauteren und prinzipienfesten kommunistischen Kämpfers gegen den Imperialismus erinnern und in seinem Geiste zu handeln bemüht sein!

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Warum die "Bomeleeërs" Luxemburg in Angst und Schrecken versetzten

"Schläfer" auf Abruf

Im Juni dieses Jahres begann vor Luxemburgs 9. Strafkammer der endlos hinausgezögerte Prozeß gegen zwei als "Bomeleeërs" (Bombenleger) unrühmlich bekanntgewordene Ex-Gendarmen des Großherzogtums. Den beiden Angeklagten Marc Scheer und Jos Wilmes wird zur Last gelegt, vor rund 30 Jahren eine ganze Serie von Sprengstoffanschlägen auf Hochspannungsmasten, Gasleitungen, Gebäude des eigenen Organs, den Justizpalast, technische Einrichtungen des Flughafens und das Wohnhaus eines hohen Offiziers verübt zu haben. Etwa 20 Straftaten, darunter auch ein Mordversuch, stehen zur Debatte. Bei den Jahre währenden Ermittlungen und Voruntersuchungen zeichnete sich immer deutlicher ab, daß die Täter als Angehörige einer NATO-Schattenarmee gehandelt hatten.

Zwischen Mai 1984 und März 1986 verbreitete die Attentatsserie unter der Bevölkerung des kleinen Landes Furcht und Schrecken. Alles hatte im Januar 1984 mit einer ruchbar gewordenen ominösen Luftfracht begonnen. Sie bestand aus 374 kg Sprengstoff, 100 Metern Zündschnur und 465 Zündern.

Die "Bomeleeërs" hatten offensichtlich den Auftrag, unter den Luxemburgern eine antikommunistische Angstpsychose auszulösen, da die Attentate von den Medien sofort "linksradikalen Terroristen" angelastet wurden.

Die seinerzeitige Regierung aus Christdemokraten und Sozialisten verschärfte daraufhin die Sicherheitsvorkehrungen. Gendarmen, Polizisten und Soldaten überwachten fortan sämtliche strategischen Punkte des Großherzogtums wie Brücken, Staudämme, Kraftwerksanlagen, Sendemasten der RTL und Munitionsdepots.

Den Ermittlern gelang es nicht, auf die Spur der Täter zu kommen. Stets entschlüpften sie den Fahndern, die schließlich zu dem Ergebnis gelangten, hier seien Sprengstoffexperten mit Querverbindungen zu den Sicherheitsorganen am Werke gewesen oder hätten sogar auf deren Weisung gehandelt.

Erst am 23. November 2007 wurden die beiden Mitglieder der als "Mobile Brigade" bekannten Antiterroreinheit der Gendarmerie Scheer und Wilmes festgenommen. Sie leugneten hartnäckig die ihnen zur Last gelegten Taten. Haussuchungen förderten dann die schriftliche Erlaubnis zur Benutzung eines Handbuchs zur Herstellung von Sprengkörpern zutage.

Unmittelbar vor Prozeßbeginn nahm die Angelegenheit einen unerwarteten Verlauf. Am 20. Februar 2013 gab ein früherer Unteroffizier der luxemburgischen Armee, dessen Name ungenannt blieb, gegenüber der RTL die Erklärung ab, in den 80er Jahre seien Soldaten des kleinsten Mitgliedstaates der NATO im Gebrauch von Sprengstoff für Sabotageakte "vor der eigenen Haustür" unterwiesen worden. Ihn selbst habe man für das Anbringen von Zeitzünderbomben unter Hochspannungsleitungen, Brücken, Tunneln, Sendemasten und Trinkwasserreservoiren ausgebildet. Zu seinem Trupp hätten auch Franzosen und Niederländer gehört. Das "Training" sei im britischen Ecosse erfolgt. Von aus London gestarteten Maschinen habe man die Kursanten dann mit Fallschirmen über Luxemburg abspringen lassen - "in Begleitung" von Angehörigen der U.S. Special Forces. Die Teilnehmer seien übrigens durch britische und amerikanische Offiziere ausgewählt worden. Der anonyme RTL-Informant vertrat den Standpunkt, auch die beiden angeklagten "Bomeleeërs" wären vermutlich in NATO-Objekten auf ihren Einsatz vorbereitet worden. Sehr aufschlußreich ist die Tatsache, daß wesentliche Teile des Belastungsmaterials - darunter 80 besonders wichtige Beweisstücke - auf Drängen von FBI und BKA aus dem Verkehr gezogen wurden und seitdem spurlos verschwunden sind. In einem Falle vernichtete ein Mitarbeiter des luxemburgischen Aufklärungsdienstes SREL sogar wichtige Dokumente und Indizien, die auf eine Verstrickung der "Bomeleeërs" in Operationen eines besonders anrüchigen NATO-Projekts schließen ließen. Dabei handelt es sich um "Stay behind" - das Zurückbleiben hinter den gegnerischen Linien.

Dessen Initiatoren hatten für ihre antikommunistischen und antisowjetischen Zwecke auch in Luxemburg ein Netz von "Schläfern" geschaffen, die im Falle eines unterstellten Überrennens der NATO-Linien durch Truppen des Warschauer Vertrages sofort "aufwachen" und in Aktion treten sollten. In Vorbereitung auf eine fiktive Situation dieser Art wurden von mehreren NATO-"Partnern" spektakuläre Bombenanschläge und Attentate inszeniert. In Italien nahmen diese Operationen unter der Kennung "Gladio" die krasseste Form an. Dort wurde alles getan, um den jahrzehntelang außergewöhnlich starken Einfluß der IKP, auf die in der Regel ein Viertel der Stimmen entfallen war, durch sie diskreditierende Machenschaften zu untergraben.

Bei besonders spektakulären Aktionen der als ultralinks geltenden und zugleich geheimdienstlich unterwanderten "Roten Brigaden" hatte "Gladio" die Hand im Spiel. Das gipfelte in der Entführung und Ermordung des dem linken Flügel der Christdemokraten zugeordneten Spitzenpolitikers Aldo Moro. In einem Untersuchungsbericht der italienischen Abgeordnetenkammer hieß es explizit: "Mordanschläge, Bombenattentate und militärische Operationen wurden durch Personen organisiert, ermutigt und unterstützt, welche für inländische Institutionen tätig waren, zugleich aber auch durch Individuen, die mit amerikanischen Geheimdienststrukturen verbunden sind."

Prof. Daniele Ganser von der Universität Basel - Verfasser des umfangreichen Werkes "Die Geheimen Armeen der NATO" - stellte fest, von 1945 bis 1990 hätten in sämtlichen NATO-Staaten neben den regulären Truppen der Allianz stets auch als "Stay behind" oder "Gladio" bezeichnete Schattenarmeen existiert, die von der CIA und dem britischen MI6 aufgestellt und befehligt worden seien. Ein Sonderbüro im Brüsseler NATO-Hauptquartier habe deren Aktivitäten koordiniert.

RF, gestützt auf einen Beitrag von Herwig Lerouge in "Solidaire", Brüssel

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Griechenlands "Goldene Morgendämmerung" ist tiefbraun

Faschisierung im Würgegriff der EU

In der BRD-Öffentlichkeit ist die "griechische Krise" bewußt in den Hintergrund gedrängt worden. Insbesondere war man bestrebt, sie vor den Bundestagswahlen möglichst total auszublenden. Die Medien im Dienste des Kapitals behaupteten sogar, es gehe den Griechen inzwischen besser. Während des Wahlkampfes gaukelte man dem bundesdeutschen "Steuerzahler-Michel" vor, der harte, skrupellose Kurs von Merkel und Schäuble zur "Verteidigung des Euro" sei von Erfolg gekrönt. Nur die "Süddeutsche Zeitung" tanzte aus der Reihe und vermeldete, nach der Sommerpause würden abermals zehn Milliarden Euro benötigt, um eine drohende Finanzierungslücke zu schließen. Das Dementi folgte auf dem Fuße: Athen brauche in absehbarer Zeit keine zusätzliche Finanzspritze, behaupteten Berlin und Brüssel unisono. Die wirtschaftliche Entwicklung in Hellas habe sich stabilisiert. Auch EU-Währungskommissar Olli Rehn ließ verkünden: "In den nächsten zwölf Monaten gibt es keine Finanzierungslücke."

Dann aber erfolgte eine neue Kehrtwende. "Es wird in Griechenland noch einmal ein Programm geben müssen", erklärte Schäuble knapp fünf Wochen vor dem Wahltag auf einer CDU-Kundgebung. 2014 werde Athen neue Finanzhilfen seiner internationalen "Partner" - sprich Würger - benötigen.

Wie liegen die Dinge tatsächlich? Seit 2008 kommt Hellas aus dem Abwärtstrend nicht mehr heraus. Das hängt vor allem mit der Einführung des Euro als Einheitswährung für 17 EU-Staaten bei völlig ungleichen Wirtschaftsstrukturen zusammen. All das vollzieht sich vor dem Hintergrund der durch die USA exportierten Weltfinanzkrise. Beide Faktoren unterminieren die Wettbewerbsfähigkeit des ökonomisch schwachen kapitalistischen Agrar-Industrielandes in Südeuropa. Es wurde durch Brüssel und das internationale Kapital regelrecht totkonkurriert. Die Athener Finanzoligarchie trug dazu das Ihre bei, zumal es Schutzmechanismen wie eine nationale Währung und die Regulierung des Waren- und Kapitalverkehrs nicht mehr gab. Die Folge war eine unendliche Staats- und Auslandsverschuldung.

Doch selbst sie vermochte den drohenden Bankrott Athens nicht mehr abzuwenden. Das Eingreifen der berüchtigten Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission mit angeblichen Hilfspaketen in Form von Krediten, Bürgschaften und Auflagen beschleunigte nur noch den wirtschaftlichen Niedergang. 2011 sackte die griechische Wirtschaftsleistung um 7,2 % und 2012 um 6,4 % ab. Erst 2014 - so glauben EU-Optimisten - könne ein wirtschaftlicher "Aufschwung" einsetzen, der vermutlich bei 0,6 % läge.

Griechenlands Staatsverschuldung, die 2003 "nur" 168 Mrd. Euro betrug, wuchs im ersten Krisenjahr 2008 auf 262,3 Mrd. an und lag 2011 schon bei 355,8 Mrd. Euro. Nach dem "großzügigen" Schuldenschnitt verringerte sie sich 2012 auf 307,2 Milliarden, um 2013 wieder auf geschätzte 329,3 Mrd. Euro anzuwachsen.

Das brutale Eingreifen der "Geberländer" hatte erschreckende Auswirkungen auf die Beschäftigungslage. Im Mai 2013 betrug der Arbeitslosenanteil - nach offiziellen Angaben - 27,6 %. Bei jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren liegt er heute über 65 %. Wie aus einer Studie hervorgeht, haben seit 2010 mehr als 120.000 Ärzte, Informatiker und Ingenieure das Land verlassen - zehn Prozent seines Potentials an jungen Wissenschaftlern sind emigriert. Mit der inzwischen angelaufenen Entlassung von 15.000 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes dürfte die Arbeitslosigkeit bis zum Jahresende weiter steigen. Das wirkt sich auch auf Griechenlands Sozialsysteme aus: Nur noch 40 % der Hellenen haben Zugang zum öffentlichen Gesundheitswesen. Da viele Unternehmen ihre Pflichtbeiträge zum Rentensystem nicht mehr abführen (können), droht dessen Zusammenbruch.

In Hellas beginnt der Hunger um sich zu greifen. Heute verfügen die Griechen über fast 40 % weniger Einkommen als vor fünf Jahren. Lange Menschenschlangen vor den Suppenküchen gehören inzwischen zum alltäglichen Bild. Vor allem Kinder sind vom Nahrungsmangel betroffen. Etliche Lehrer kaufen von ihren knappen Bezügen sogar Nahrungsmittel und Schulmaterial für die Ärmsten ihrer Schüler.

Doch wir haben es keineswegs nur mit wirtschaftlicher Verwerfung zu tun. Die politische Krise der griechischen Gesellschaft ist nicht minder gravierend. Die drastische soziale Polarisierung führt zur Verschärfung der Widersprüche. Gewalttätige Übergriffe auf Linke und andere Antifaschisten sowie brutalster Polizeiterror zum Schutz rechtsradikaler Banden sind Teil der griechischen Realität. Der am 18. September an dem linken Musiker Pavlos Fyssas verübte Mord war das Werk der inzwischen einflußreichen faschistischen Partei "Goldene Morgendämmerung". Unter den jetzt festgenommenen 32 Aktivisten dieser kriminellen Organisation befinden sich auch zwei Polizisten. Das Athener Parlament sah sich gezwungen, die Immunität der tiefbraunen Abgeordneten aufzuheben. Solche staatlicherseits ergriffenen Maßnahmen sind aber vor allem Augenwischerei: Sie sollen von der Tatsache ablenken, daß die Athener Regierung und deren Polizeiapparat selbst mehrheitlich zum prononciert rechten Lager gehören.

Andererseits fehlt es nicht an ermutigenden Signalen in einer Zeit wachsender Furcht und Verzweiflung. Ein Beispiel: Nach der unter dem Druck privater Medienketten am 11. Juni erfolgten Schließung des griechischen Staatsfernsehens ERT wurde dessen Programm ohne Unterbrechung weiter übertragen. Zeitweilig leisteten dabei der TV-Kanal der KP Griechenlands und andere Stationen solidarische Hilfe. Von Zehntausenden Demonstranten unterstützt, die Tag und Nacht vor dem Gebäude ausharrten, setzten anfangs 700 bis 800 Mitarbeiter der ERT ohne Chefs und Instruktionen ihre Tätigkeit fort. Bis zur brutalen Räumung des Gebäudes durch die Polizei am 7. November trotzten noch etwa zweihundert von ihnen der Willkür der Samaras-Regierung.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin

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Kampfansage an Flanderns Rechte

Die nordbelgische Metropole Antwerpen wird von der nationalistisch orientierten Rechtspartei N-VA Bart de Wevers seit den letzen Wahlen verwaltet. Zweitstärkste Kraft in Antwerpen sind die Sozialisten, in deren Reihen es außer dem tonangebenden rechten Flügel auch nicht wenige Linke gibt. Auch die kommunistische PTB verfügt - vor allem in Arbeiter- und Immigranten-Vierteln der Stadt - über beachtlichen und weiter wachsenden Einfluß.

Im antifaschistischen Kampf, auf den es heute in Flandern angesichts seiner rechtslastigen Exekutive besonders ankommt, spielt die in den Gewerkschaften dominierende SP eine wichtige Rolle.

Als für den 2. November nach Antwerpen zu einem "3. Tag des Sozialismus" eingeladen wurde - dieser Veranstaltung waren in den letzten Jahren bereits zwei solche "Runden Tische" der Linken mit hoher Beteiligung vorausgegangen -widmete die Brüsseler Wochenzeitung "Solidaire" der Vorbereitung auf dieses Ereignis eine ganze Seite. Das Blatt der PTB hatte sich in der Vorbereitung auf das Ereignis besonders aktive SP-Genossen als Gesprächspartner eingeladen: die Koordinatorin der "Table Ronde" Martine Van Geyt und den Antwerpener Sekretär der Gewerkschaftszentrale FGTB Hans Schippers.

Das Ziel auch der dritten Veranstaltung bestehe darin, angesichts der tiefgreifenden kapitalistischen Krise einmal mehr den Gedanken des Sozialismus zu propagieren, stellte Martine Van Geyt fest. "Wir wollen Menschen zusammenführen, die nach einer solidarischen Alternative zur allenthalben dominierenden sozialen Ungerechtigkeit suchen." Man werde über unverzichtbare Inhalte eines alternativen gesellschaftlichen Projekts sprechen. Dafür schiene den Veranstaltern das Wort Sozialismus durchaus zutreffend, was indes keineswegs eine Bezugnahme auf die eine oder andere politische Partei bedeute.

Hans Schippers wertete die Tatsache, daß Kräfte links von der Sozialdemokratie in letzter Zeit bei Wahlen in Belgien merklich an Boden gewonnen hätten, als positiven Vorgang. Das gestatte es auch jenen, die sonst negiert worden seien, nunmehr wirksamer in die Debatte einzugreifen. Er denke dabei an den von der PTB unterbreiteten populären Vorschlag, im Lande eine Millionärssteuer einzuführen. Hans Schippers erwähnte in diesem Zusammenhang auch den hohen Stellenwert des buchstäblich über Nacht zum Bestseller gewordenen Buches "Wie können sie es wagen?" aus der Feder des PTB-Vorsitzenden Peter Mertens.

Als am 2. November dann etwa 1000 nach Antwerpen gekommene Sozialisten - gewissermaßen im "Hinterhof Bart de Wevers" - die "Internationale" anstimmten, war das eine ermutigende Kampfansage an die extrem reaktionäre Stadtregierung.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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100 Jahre "Irish Volunteers"

In der Geschichte des irischen Freiheitskampfes blieb bislang nahezu jede Erhebung erfolglos. Bis heute streiten Iren für die uneingeschränkte Souveränität ihres Landes. Aber in nahezu jeder Generation wagten Mutige Revolten gegen die englische Krone. Dazu gehörten die vor 100 Jahren gegründeten Irish Volunteers. Es war die Zeit der Home Rule - von Bestrebungen zur teilweisen Selbstverwaltung Irlands. Erste Gesetze hatte es 1886 und 1893 gegeben. Bedeutende irische Freiheitskämpfer waren damals aktiv. Arthur Griffith zählte zu den Förderern irischer Kultur. Er gründete 1905 die Partei Sinn Féin. Der Gewerkschafter James Conolly hatte bereits 1896 die Irish Socialist Republican Party ins Leben gerufen. Der Arbeiterführer James Larkin war 1907 nach Belfast gekommen, um die meist katholischen Tagelöhner im Schiffsbau zu organisieren.

Als 1911 die Liberale Partei in Großbritannien die Wahlen gewann, schien einer dritten Auflage der Home Rule nichts mehr im Wege zu stehen. Im Norden Irlands bangten pro-britische Unionisten um ihre Vorherrschaft und gründeten die Freiwilligenmiliz Ulster Volunteer Force (UVF). Die pro-irischen Kräfte formierten 1913 ihrerseits die Irish Volunteers. Chef der zeitweise fast 200.000 Mitglieder umfassenden Organisation war Eoin MacNeill. Zahlreiche Posten besetzte die Irish Republican Brotherhood.

Kurz nachdem Großbritannien 1914 in den Ersten Weltkrieg eingetreten war, wurde die Home Rule unterzeichnet. Sie sollte jedoch erst nach Beendigung des Krieges in Kraft treten. Die pro-irische Bewegung spaltete sich u. a. an der Frage, ob Großbritannien im Krieg unterstützt werden sollte. Eine Mehrheit setzte sich durch, und bis zu 175.000 Männer wurden zu einer irischen Division zusammengezogen.

Eine Minderheit sammelte sich um Eoin MacNeill. Mit im Boot war auch die Irish Republican Brotherhood. Sie wollte die Tatsache ausnutzen, daß Großbritannien mit dem Krieg befaßt war, und machte für eine Revolte mobil. MacNeill lehnte den Plan ab, so daß die Erhebung hinter seinem Rücken geplant wurde.

Am Ostermontag 1916 begann der Aufstand, der in wenigen Tagen niedergeschlagen wurde. Die Brutalität der englischen Armee empörte auch viele Iren, welche der Revolte zunächst skeptisch gegenübergestanden hatten. Teile der Dubliner Innenstadt waren zerbombt, 3500 Menschen wurden verhaftet, 90 Anführer des Aufstandes zum Tode verurteilt, 15 von ihnen hingerichtet.

Obwohl der Osteraufstand scheiterte, besaß er große Ausstrahlungskraft. Viele Iren brachten die Erhebung mit Sinn Féin in Verbindung, obwohl deren Führer Arthur Griffith daran nicht beteiligt war. Als 1918 in Großbritannien gewählt wurde, konnte die Sinn Féin ihre Stimmenzahl vervielfachen. Doch statt die Mandate in London wahrzunehmen, bildeten ihre Abgeordneten eine eigene Regierung in Dublin.

Die Irish Volunteers fusionierten mit der sozialistischen Arbeitermiliz Irish Citizen Army zur Irish Republican Army. Mit dem Anglo-Irischen Vertrag wurde 1921 die Teilung Irlands besiegelt. Im Süden entstand ein an das britische Commonwealth gebundener "Free Irish State", der Norden verblieb bei Großbritannien. Im spätkolonialen nordirischen Zweiklassenstaat wurde die katholische Bevölkerungsminderheit durch London scharf diskriminiert.

Florian Osuch, Berlin

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Warum Malis Volk von NATO-Mächten ins Visier genommen wurde

Die Anklage der Aminata Traoré

In den Weihnachtstagen 2012 berichtete die Nachrichtenagentur AP über die Entscheidung der Obama-Administration, am Beginn des neuen Jahres weitere 3500 Militärs der U.S. Army in 35 der 54 afrikanischen Länder zu "delegieren". Das Pentagon erweise den Staaten des schwarzen Kontinents "solide Ausbildungshilfe", damit sie "jeglichen Extremisten" eine Abfuhr zu erteilen imstande seien.

Ohne Zweifel hat Washington in den letzten Jahrzehnten eine gesteigerte Aufmerksamkeit für "afrikanische Angelegenheiten" an den Tag gelegt, die natürlich "absolut nichts" mit Bodenschätzen, Absatzmärkten und ultrabilligen Arbeitskräften zu tun hat.

Am 30. Dezember 2012 wurde der erste Versuch direkter US-Truppenentsendung in die Region unternommen. Damals trafen im Tschad 50 Soldaten ein, um bei der Evakuierung von amerikanischen Bürgern und Botschaftsangehörigen aus der benachbarten Zentralafrikanischen Republik, die sich durch vorrückende "Rebellen" bedroht sahen, Hand anzulegen.

Das in Stuttgart angesiedelte U.S. Africa Command - kurz AFRICOM -, welches kein afrikanischer Staat zu dieser Zeit aufnehmen wollte, hatte bis zum 10. Oktober 2010 bereits mehr als 1700 US-GIs in den unterhalb der Sahara gelegenen Teil Afrikas entsandt. Inzwischen operiert AFRICOM, dessen eventuelle Verlegung nach Ougadougou, die Hauptstadt Burkina Fasos, im Gespräch ist, von wo bereits US-Drohnen Erkundungsflüge über dem Norden Malis unternommen haben, auf dem gesamten Kontinent.

Die "engen Beziehungen" zwischen einer Reihe afrikanischer Staaten und dem Pentagon reichen bis in den Frühsommer 2005 zurück, als Washington die auf fünf Jahre ausgelegte "transsaharische Partnerschaft zum Kontern von Terrorismus" begründete, in dessen Folge das regelmäßig stattfindende gemeinsame Manöver "Flintlock" unter Beteiligung von US-Spezialeinheiten mit entsprechenden afrikanischen Partnern abgehalten wurde.

Im Februar 2012 folgte dann die "Atlas-Übereinkunft'" zu alljährlichen Übungen, bei denen US-Luftlandetruppen samt schwerem Gerät abgesetzt wurden. Angeblich ging es dabei um die Bekämpfung von "Islamisten und anderen Terroristen". Das besondere Interesse der U.S. Army konzentrierte sich auf die westafrikanische Republik Mali - eine frühere Kolonie Frankreichs.

Am 21. März 2012 wurde in Bamako die zivile Regierung des Präsidenten Amadou Toumani Touré durch einen Militärputsch gestürzt. Aufschlußreicherweise hatte AFRICOM unmittelbar davor gemeinsame "Übungen" mit Malis Armee durchgeführt.

Unter dem Vorwand, die Einheit und territoriale Integrität des Landes gegen im Norden befindliche Angehörige des Nomadenstammes der Tuareg und radikale Islamisten schützen zu wollen, fielen die USA und ihr NATO-Partner Frankreich über Mali her. Als Deck- und Tarnmantel dienten hierbei die Strukturen der Ökonomischen Gemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWACS) - eine 15 Länder der Region umfassende politisch-militärische Allianz unter US-Ägide, die angeblich ein Eingreifen erbeten hatte. Warum aber war ausgerechnet Mali von den Imperialisten zum Angriffsziel auserkoren worden?

Der Norden des Landes grenzt an potentiell äußerst ressourcenreiche Gebiete Algeriens, die schon seit langem vor allem den Appetit der Öl-Konzerne aus Übersee und Westeuropa angeregt haben. Überdies wurden in der zu Mali gehörenden Oasenstadt Tessalit erst unlängst reiche Vorkommen des schwarzen Goldes ausgemacht.

Der zweite Grund für das strategische Interesse der USA an dem westafrikanischen Staat ist die Tatsache, daß Mali an nicht weniger als sieben andere Länder - darunter Niger, Senegal und Mauretanien - grenzt. Die Obama-Administration bezeichnet die von ihr verfolgte Afrika-Politik nicht ohne Hintergedanken als "eine Strategie für den Kontinent als Ganzes". Dabei haben gewisse Schlüsselstaaten in der politischen, ökonomischen und militärischen "Kooperation" absolut Vorrang. Mali spielt dabei die Schlüsselrolle.

Nach dem Militärputsch vom März 2012 vergingen für sein Volk 18 wechselvolle Monate einer dauerhaft drohenden Spaltung des Landes. Frankreich nutzte die entstandene Lage aus, um mit militärischer Gewalt "Ruhe und Ordnung" wiederherzustellen. Offiziell verfolgte die durch den "sozialistischen" Staatschef Hollande angeordnete Operation Serval das Ziel, "die Terroristen aus dem Norden des Landes zu vertreiben". Im Zuge ihrer Intervention unterbreitete die einstige Kolonialmacht den Bürgern Malis auch ein "Zeitfenster" für Präsidentschaftswahlen, die dann im August stattfanden.

Aminata Traoré - sie war in anderer Zeit Bamakos Ministerin für Kultur und Angelegenheiten der Dritten Welt - verurteilte unlängst in einem Interview mit der belgischen Wochenzeitung "Solidaire" unmißverständlich die französische Intervention. "Es ist davon auszugehen, daß Präsident Hollande die Absicht verfolgte, uns einzuschüchtern", sagte sie dem Brüsseler Blatt. Das Volk Malis habe indes die einzige ihm noch verbliebene Chance zur Meinungsäußerung bei diesem Urnengang genutzt und dem durch Frankreich wie auch die USA favorisierten Verfechter eines großbourgeoisen Ultra-Liberalismus die Suppe versalzen. Sie glaube indes nicht daran, daß der sozialdemokratische Wahlsieger Ibrahim Boubakar Keita, der allgemein als IBK bezeichnet werde, die fatale Situation der bitterarmen Bevölkerung Malis tatsächlich zu ändern trachte. Doch mehr als ein Votum für ihn sei überhaupt nicht denkbar gewesen. Malis Volk habe durch seine enorme Selbstmobilisierung im Vorfeld der Wahlen aller Welt den Ernst der Lage vor Augen geführt, betonte die linksorientierte Politikerin. Übrigens habe sie wie IBK in Frankreich studiert, ohne deshalb - im Unterschied zu Malis neuem Präsidenten - eine Verbündete oder Komplizin der Sozialistischen Partei François Hollandes geworden zu sein.

Aminata Traoré, die international großes Prestige besitzt, bezeichnete Frankreichs Militäroperation als einen alle Dimensionen sprengenden Akt der Infamie. Noch immer befänden sich mehr als 5000 Soldaten der einstigen Kolonialmacht auf dem Boden Malis. "Mein Land ist ein Kollateral-Opfer der französischen Armee, die bei uns allein im Profitinteresse der Konzerne eingerückt ist." Das Ganze stelle eine reine Machtdemonstration dar. "Paris macht mit uns dasselbe, was Washington mit den Afghanen macht."

RF, gestützt auf "The Guardian", Sydney, und "Solidaire", Brüssel

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Warum sich die PCdoB an Brasiliens Koalitionsregierung beteiligt

Am Kabinettstisch und in den Fabriken

Wie ist Dilma Rousseffs Politik zu bewerten? Welche Rolle spielt die Kommunistische Partei Brasiliens (PCdoB) - neben der es im größten und volkreichsten Land Lateinamerikas auch die sich zum Marxismus- Leninismus bekennende PCB gibt - in dem von der PT geführten Koalitionskabinett, dem sie bereits seit zehn Jahren angehört?

José Reinaldo Carvalho, Sekretär für Öffentlichkeitsarbeit der PCdoB, gab unlängst der Brüsseler Wochenzeitung "Solidaire" ein aufschlußreiches Interview, in dem er zu diesen und anderen Fragen Stellung bezog.

Bei den Parlamentswahlen des Jahres 2010 habe seine Partei knapp drei Prozent der Stimmen und 15 der 513 Mandate im brasilianischen Zentralparlament erringen können. Derzeit werde das Land von einer breitgefächerten Koalitionsregierung unter Führung der sozialdemokratisch orientierten Partei der Arbeit (PT) regiert, an deren Spitze die einstige antifaschistische Guerillakämpferin gegen die Militärdiktatur und heutige Staatspräsidentin Dilma Rousseff steht. Sie sei die Nachfolgerin von Luis Inácio Lula da Silva - kurz Lula - und setze dessen beachtenswerte Arbeit fort.

Nach den Wahlen des Jahres 2002 lud die PT andere politische Kräfte Brasiliens zur Teilnahme an einer Linkskoalition ein. José Reinaldo zog deren Bilanz: Es sei eine Tatsache, daß sich in den Jahren der PT-Regierungen in Brasilien sehr viel verändert habe. Dem sei die Diktatur einer von der CIA ans Ruder gebrachten Militärkamarilla, eine kurze Periode des Aufatmens und die lange Ära des Neoliberalismus vorausgegangen, der Brasilien an den ökonomischen und sozialen Abgrund geführt habe. Die PT-Regierung stehe weder für revolutionäre Umgestaltungen noch für einen spektakulären Bruch mit dem kapitalistischen System, habe aber beachtliche Veränderungen in dessen Rahmen bewirken können, betonte Reinaldo. Zuvor habe der Internationale Währungsfonds (IWF) in der Wirtschaft des Landes nach Gutdünken geschaltet und gewaltet. In der Hauptstadt Brasília sei durch ihn sogar eine Ständige Vertretung eingerichtet worden, um bei anstehenden Entscheidungen gleich an Ort und Stelle mitmischen zu können.

Die PT-Regierung habe damit Schluß gemacht und die Strippenzieher des IWF nach Hause geschickt, was einer souveränen ökonomischen Entwicklung Brasiliens im Rahmen neuer regionaler Bündnisse mehrerer lateinamerikanischer Staaten zugute gekommen sei, betonte Reinaldo. Sein Land habe eine Schlüsselrolle bei der Durchkreuzung des von Washington unterbreiteten ALCA-Projekts gespielt, das eine kontinentale Freihandelszone mit beherrschender Position der USA anvisiert hatte und auf die Spaltung Lateinamerikas gerichtet war.

José Reinaldo unterstrich auch den Anteil Brasiliens beim Zustandekommen von Unasur und Celac - zweier die Länder des Subkontinents einander näherbringender Zusammenschlüsse.

Ohne Zweifel verfüge Brasiliens Finanzoligarchie nach wie vor über enorm viel Macht. Das nationale und internationale Kapital sei in ökonomischer Hinsicht weiterhin dominant.

Nach BRICS - der aus Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika bestehenden Gruppe von fünf zu wirtschaftlichen Großmächten aufgestiegenen Staaten - gefragt, verwies José Reinaldo auf dessen unabhängigen Kurs. Zuvor habe sich Brasilien in seiner Außenpolitik strikt an den USA und Westeuropa orientiert, während heute die nationalen und kontinentalen Anliegen, aber auch jene Asiens und Afrikas Vorrang besäßen.

Reinaldo machte gegenüber "Solidaire" konkrete Angaben zur sozialen Situation der Brasilianer. Der Kampf der Lula-Dilma-Regierungen gegen extremste Armut habe in einem kapitalistischen Land mit weiterbestehenden krassen Unterschieden im Lebensniveau der Angehörigen verschiedener Klassen und Schichten dazu geführt, daß zahlenmäßig sehr relevante Bevölkerungsteile aus dieser fatalen Lebenssituation herausgeholt worden seien. Erfolge habe Brasília auch in Bereichen der Bildung und des Gesundheitswesens zu erzielen vermocht.

Trotz solcher Fortschritte herrsche im Land noch immer ein hohes Maß durch kapitalistische Ausbeutung bedingter Armut, wobei man nur an die als Favelas bezeichneten großstädtischen Slums denken müsse.

Auf die Frage nach Charakter und Inhalt der Mitarbeit von Kommunisten an den PT-Regierungen Lulas und Dilmas betonte José Reinaldo, daß es sich in beiden Fällen um sehr breit gelagerte Koalitionen handle. Ihnen drücke vor allem die nationale Bourgeoisie den Stempel auf. Am Ruder sei ein Mitte-Links-Kabinett. "Wir hegen absolut keine Illusionen darüber, daß die derzeitige Regierung etwa einer sozialistischen Tendenz folgen könnte, welche zu radikalen Wandlungen führen würde. Für uns sind drei Dinge unverzichtbar. Erstens muß die staatliche Exekutive demokratisch handeln und eine echte Mitwirkung des Volkes gestatten. Zweitens soll ihre Politik sozialen Kriterien folgen, und drittens gilt es, die nationale Souveränität gegenüber den USA und der EU konsequent zu verteidigen." Maximum des derzeit Erreichbaren sei eine Politik des demokratischen Drucks, der das Land nicht destabilisiere, die Regierung aber dazu veranlasse, ihrerseits nicht vor der politischen Rechten und der Großbourgeoisie zurückzuweichen, stellte José Reinaldo zusammenfassend fest. Neben ihrer politischen Arbeit im Kabinett verfolge die PCdoB aufmerksam den Kampf der Volksmassen in dessen verschiedenartigen Ausdrucksformen. In der Gesellschaft weiterbestehende Ungerechtigkeiten brächten fast jeden Tag neue Aktionen der Arbeiter, der Studenten, der Landlosen und der in Favelas Lebenden hervor. "Wir sind in der Regierung, bleiben aber zugleich in den Fabriken und an den Universitäten. Wir unterstützen alles, was den wachsenden Einfluß rechter Kräfte zurückdrängt."

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Jean Effels unnachahmlicher Strich

Der 1908 geborene und 1982 verstorbene Jean Effel - er hieß eigentlich François Lejeune - war ein künstlerisches Multitalent. Als Zeichner und Karikaturist bediente er eine ganze Palette renommierter französischer Blätter - von Satire-Magazinen bis zu seriösen Zeitungen -, vor allem aber linke Publikationen. In der damals mit hoher Auflage erscheinenden kommunistischen "Humanité" machte er sich weit über Frankreich hinaus einen Namen. Gleich, ob es sich um die Illustration eines politischen Leitartikels oder um Betrachtungen über das Universum handelte - stets waren die humorgeladenen Beiträge Jean Effels mit der Kraft seiner schöpferischen Ideen und der Poesie unnachahmlicher Ausdrucksformen gepaart. Sie vermittelten Millionen Menschen in vielen Ländern der Welt starke Impulse.

Jean Effels erste Zeichnungen erschienen Anfang der 30er Jahre. Ein hochbegabter Autodidakt, vermochte er es, seinen unverrückbaren Platz in der französischen Presselandschaft im Sturm zu erobern. Proletarischer Internationalismus und poetischer Realismus gehörten zu seinen Markenzeichen. Einem vielschichtigen Publikum prägte sich besonders sein 1937 erschienener Zyklus "Die Erschaffung der Welt" ein. 1958 machte der tschechische Regisseur Eduard Hofman daraus einen wunderbaren Film, bei dem er den Figuren des Künstlers Leben einhauchte. Effels Strich ließ die Betrachter schmunzeln und rief Nachdenklichkeit hervor. Über 5000 seiner Zeichnungen und Skizzen waren dem "Debut unserer Erde" gewidmet. Effels Alben wurden in 15 Sprachen übersetzt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bot sich vor allem General de Gaulle dem Karikaturisten als eine nie versiegende Quelle immer neuer Inspirationen an. Dabei dienten Effel sowohl die physische Beschaffenheit des Generals als auch dessen Diskurse und Manieren als Zielscheibe für treffsichere Satire. Mit seinem scharfen Blick für de Gaulles Schwachstellen leistete Jean Effel einen wichtigen Beitrag zur seinerzeitigen Auseinandersetzung mit einem ebenso bedeutenden wie reaktionären Staatsmann.

Als einzigem Karikaturisten der Grande Nation widmete Frankreichs Post dem angriffslustigen, bisweilen aber auch sanften Meister des kühnen Strichs im Oktober 1983 eine Sondermarke.

RF, gestützt auf "Ôtincelles", Paris

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Briefmarken offenbaren den Charakter eines Staates

Philatelistische Visitenkarte der DDR (7)

Während die DDR den 8. Mai, der in früheren Jahren auch als arbeitsfrei galt, zu ihren wichtigsten Feiertagen rechnete, reitet die BRD auf einem ganz anderen Pferd. Die legale, in Parlamenten tolerierte und daher sogar staatlich finanzierte Faschisten-Partei NPD besitzt im Farbenfächer der "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" einen festen Platz. Sich drehend und windend glauben die in der BRD politisch den Ton Angebenden, dieses allen Antifaschisten heilige Datum dadurch aus dem Gedächtnis der Menschen tilgen zu können, daß sie in verharmlosender Absicht lediglich vom "Ende des Zweiten Weltkriegs" sprechen, um dann sofort die Platte von der Vertreibung und von Übergriffen beim Einmarsch der Roten Armee aufzulegen.

In der gesamten Geschichte der BRD, an deren Staatsspitze es ja neben unerträglich salbadernden Schwadroneuren und allzeit zungenfertigen Wichtigtuern durchaus auch Politiker von beachtlichem Kaliber gegeben hat, zeichnete sich Richard von Weizsäcker durch persönlichen Bekennermut aus. Als einziger Bundespräsident - noch dazu mit dem Parteibuch der CDU - wagte er es in einer historisch bedeutungsvollen Rede, explizit von der Befreiung des deutschen Volkes durch die Armeen der Antihitlerkoalition zu sprechen. Es versteht sich von selbst, daß ihm solcher Wahrheitsdrang den gebündelten Haß des ganzen Rudels staatlich bestallter Geschichtsfälscher einbrachte.

Ebensowenig bedarf es der Kommentierung, daß sich der imperialistische deutsche Staat auch in postalischer Hinsicht niemals zur Befreiungstat der gegen die Hitlertyrannei und deren uniformierte Mordbrenner kämpfenden Koalitionäre bekannt hat. So gibt es keine einzige Briefmarkenemission, die dieser Thematik historisch exakt Rechnung trüge.

Demgegenüber hat die DDR seit der ersten Stunde ihrer 40jährigen Existenz hierzu immer wieder unmißverständlich Farbe bekannt. Zu runden und halbrunden Jahrestagen der Befreiung erschienen graphisch überwiegend eindrucksvoll gestaltete Serien von Sonder-Postwertzeichen. Sie würdigten die Völker der Sowjetunion, welche die Hauptlast des Kampfes trugen und die meisten Opfer brachten. Andere Editionen stellten das jahrzehntelang erfolgreiche Wirken der im Osten Deutschlands freigesetzten antifaschistisch-demokratischen Kräfte in den Mittelpunkt. Einprägsame Sonderblöcke zeigten Rotarmisten beim Hissen der Fahne mit Hammer und Sichel auf dem Reichstag, die Statue des Sowjetsoldaten im Treptower Park, der gerade ein Kind birgt, und Fritz Cremers weltbekannte Buchenwaldgruppe. Weitere Marken von Arbeitern, Genossenschaftsbauern und Intellektuellen verdeutlichten den Charakter des der BRD diametral entgegengesetzten, weil ausbeutungsfreien sozialistischen deutschen Staates.

An der Haltung zum 8. Mai 1945 scheiden sich bis heute die Geister.

Rainer Albert, Zwickau

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Das Massaker an der Bernsteinküste

Auch zur Auffrischung meiner Sprachkenntnisse unternahm ich in den letzten Jahren mehrere Reisen in die Russische Föderation. In diesem September besuchte ich das Kaliningrader Gebiet. Sowohl dessen Hauptstadt als auch die durch ihre Naturschönheit bekannte Bernsteinküste standen auf meinem Programm.

Die Leistungen beim Wiederaufbau der völlig zerstörten Stadt Kaliningrad beeindruckten mich sehr. Sichtbar sind dort jedoch auch die Auswirkungen der unter Gorbatschow und Jelzin eingeleiteten Restauration kapitalistischer Macht- und Eigentumsverhältnisse. Der Kontrast zwischen Armen und Reichen springt ins Auge. Der Raub des Gemeineigentums aus sozialistischen Tagen führte zum Entstehen einer einflußreichen Schicht saturierter Neureicher, die durch vordergründige Prunksucht besonders ins Auge springt. Mafiabanden kontrollieren weitgehend das öffentliche Leben. All das erinnert an das Gebaren der Treuhand.

Zum unvergeßlichen Erlebnis wurde für mich ein Aufenthalt an der landschaftlich reizvollen Bernsteinküste. Dort befindet sich ein beeindruckendes Mahnmal, das ein schreckliches Verbrechen der deutschen Faschisten in den letzten Januartagen des Jahres 1945 ins Gedächtnis ruft. Die Rote Armee war bereits bis zum Frischen Haff vorgestoßen, die "Festung Königsberg" lag schon in Reichweite ihrer Artillerie, als SS-Männer tausende Arbeitssklaven aus Außenlagern des bei Danzig gelegenen KZ Stutthof, die zum Schanzen eingesetzt waren, auf einem Todesmarsch in Richtung Ostseeküste trieben. Wer nicht mehr laufen konnte, wurde an Ort und Stelle erschossen.

Die meisten Opfer waren jüdische Frauen aus Polen und Ungarn zwischen 18 und 40. Ihre Zahl wird mit über 3000 angegeben. Im damaligen Palmnickel sollten sie lebendig in einem Stollen des dortigen Bernsteinwerkes eingemauert werden. Ein Wirtschaftsleiter, der diesen Massenmord verhindern wollte, wurde durch einen SS-Obersturmführer sofort an die Front geschickt. Nun hatten die Schergen freie Hand. In der Nacht zum 1. Februar jagten sie die wehrlosen Frauen an den Ostseestrand und unter Maschinengewehrfeuer ins eisige Meer. Nicht alle starben sofort, viele wurden nur angeschossen und fanden erst Tage danach einen qualvollen Tod, während andere ertranken oder im Eis erfroren. Der Roten Armee, die wenig später dort eintraf, bot sich ein grauenvoller Anblick.

Die Opfer wurden in einem Massengrab beigesetzt. Zunächst befand sich dort nur ein schlichter Gedenkstein. Später schuf der israelische Bildhauer Frank Meisler ein mehrere Meter hohes Monument. Es zeigt die zum Himmel gereckten Hände der Frauen, die sich am Leben festklammern wollen.

Die SS-Verbrecher setzten sich in Richtung Westen ab. Die Adenauer-Globke-Regierung ließ diese Untat wie viele andere ungesühnt. Keiner der Täter mußte jemals vor Gericht erscheinen.

Heinz Behrendt, Plauen/Vogtland

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Spontan gegen Nazis: die Edelweißpiraten

Dirk Reinhardts Buch "Edelweißpiraten" konnte ich nicht aus der Hand legen. Nachdem ich die ersten Seiten auf einer Bahnfahrt verschlungen hatte, las ich den weiteren Text die Nacht hindurch. Er ließ mich einfach nicht los. Ich wollte unbedingt wissen, wie die Geschichte weiterging.

In der Zeit, als die Nazis in Deutschland ihre Diktatur errichteten, gab es Jugendliche, die sich nicht vereinnahmen ließen. Sie wollten weder in die Hitlerjugend noch an der vormilitärischen Ausbildung teilnehmen, waren anders als die meisten jungen Deutschen jener Jahre, liebten die Freiheit, trugen lange Haare und kleideten sich auf recht ungewöhnliche Art. Das alles waren Dinge, welche die auf "Zucht und Ordnung" bedachten Faschisten in Rage versetzten und zu Repressalien greifen ließen.

Die Edelweißpiraten trafen sich in Parks, an Seen und in Wäldern, sangen lustige und besinnliche Lieder, wanderten und wollten anfangs von politischen Dingen überhaupt nichts wissen. Dirk Reinhardts Geschichte ist zwar erfunden, könnte aber Satz für Satz wahr sein, da es die Edelweißpiraten wirklich gab und alle ähnliches erlebt hatten. In Form eines Tagebuches erzählt der Autor den Werdegang einiger Aktiver aus dem Kölner Umfeld.

Zunächst war da der alte Gerlach, der sich mit dem 16jährigen Daniel anfreundet und ihm schließlich sein Tagebuch übergibt. Während der Lektüre erfährt der Junge, wie "Gerle", so der Spitzname des Piraten, zur Clique stieß und was er bis zum Ende des Krieges alles mit seinen Freunden durchstehen mußte. Von Beginn an durch die HJ drangsaliert, weil er anders war und sich nicht anpassen wollte, floh er vor denen und fand Freunde bei Freiheitsliebenden, die sich Kralle, der Lange, Frettchen, Tilly, Maja, Goethe, Tom, Flocke und Flint nannten.

Eingehend wird der Konflikt zwischen dem Tagebuchschreiber und seinem Bruder Horst geschildert, der als 16jähriger auf eine SS-Eliteschule ging und schließlich Lageraufseher wurde. Bis kurz vor Toresschluß blieb er bei der SS.

"Gerle" hingegen entwickelte sich mit der Zeit weiter. Verfolgt und brutal von Gestapo und Polizei mißhandelt, wurde er zum Antifaschisten. Er verteilte Flugblätter, schrieb Antikriegsparolen an Mauern und Häuserwände. Irgendwann begann er dann mit militanten Aktionen, weil die Wut und der Haß gegen die Nazischergen - vom Blockwart bis zur Gestapo - alle Dimensionen sprengte. Doch so richtig wollten die Edelweißpiraten nicht an eine bessere Zukunft glauben. "Selbst wenn die Nazis mal nicht mehr sind: Es ändert sich nichts. Die Großkotze haben weiter das Sagen, und Leute wie wir sind ihre Fußabtreter", schrieb Gerle in sein Tagebuch. Trotz solcher nihilistischer Anklänge wahrten die Freunde ihre Menschlichkeit, die Liebe zu schönen Dingen des Lebens, standen sie füreinander ein. So war es nur selbstverständlich, daß sie sowjetischen Menschen halfen, die aus umliegenden Lagern geflohen waren, und daß sie sich am Ende um ein elternloses Kind kümmerten.

Auf dem Weg zum Frieden verlor der Tagebuchschreiber wichtige Freunde, die den Nazis nicht mehr zu entfliehen vermochten. Doch Reinhardt, der mit diesem spannenden Roman den Edelweißpiraten ein Denkmal setzt, weist im Nachwort darauf hin, daß auch sie Gegner des Naziregimes waren und deshalb nicht vergessen werden dürfen. Er erklärt, warum man sich erst in den 80er Jahren dessen bewußt wurde, daß nicht nur eine politische Vorhut den Faschismus bekämpfte, sondern auch Menschen ganz anderer Art. Die Edelweißpiraten unternahmen viele spontane Aktionen. Sie waren Jugendliche, die zunächst einmal Spaß haben wollten und schließlich mit allen Mitteln für ihre Freiheit stritten.

In der BRD herrschte die Ansicht vor, die Edelweißpiraten seien keine Widerstandskämpfer, sondern Unruhestifter gewesen. So beantragte die Mutter des von den Faschisten hingerichteten 16jährigen Bartholomäus Schink zehn Jahre nach dessen Tod beim Kölner Regierungspräsidenten die Anerkennung ihres Sohnes als politisch Verfolgter. 1964 lehnte die Behörde den Antrag mit der Begründung ab, es habe sich bei den Edelweißpiraten wohl eher um eine "Verbrecherbande" gehandelt. Dieser Wertung lagen die Aussagen ehemaliger Gestapobeamter zugrunde, während das Wissen früherer Edelweißpiraten völlig ignoriert wurde.

Thomas Behlert


Dirk Reinhardt. Edelweißpiraten, Aufbau-Verlag, Berlin 2012, 254 Seiten, 8,99 Euro

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Griff in die literarische Schatztruhe (14)

Einst erfolgreiche DDR-Autoren dem Vergessen entreißen

Werner Steinberg wurde am 18. April 1913 in Neurode/Schlesien - dem heutigen Nowa Ruda - geboren. Nach dem Abitur studierte er an den Hochschulen in Elbing und Hirschberg. 1934 bildete er eine antifaschistische Widerstandsgruppe, wurde inhaftiert und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Danach arbeitete er im Buchhandel und begann ab 1940 zu publizieren. Steinberg entkam aus der "Festung Breslau" und siedelte sich in Süddeutschland an. Von 1945 bis 1948 gab er Zeitschriften heraus und war als Wirtschaftsjournalist tätig. Er zählt zu jenen Autoren, welche wie Peter Hacks, Johannes Tralow, Kurt Kauter, Gotthold Gloger und Wolf Spillner in den 50er und 60er Jahren aus der BRD in die DDR übersiedelten. Er vollzog diesen Schritt 1956 und lebte seit 1960 als freischaffender Schriftsteller in Dessau. Sein besonders erfolgreicher Heine-Roman "Der Tag ist in die Nacht verliebt" (1956) erschien noch in der BRD, allerdings ohne die Szenen mit Marx. Er wurde dort über zweihundert Mal rezensiert. In der DDR erreichte der Roman - nun mit dem vollständigen Text - mehr als zwanzig Auflagen. Er wurde in ein halbes Dutzend Sprachen übersetzt.

In "Protokoll der Unsterblichkeit" (1969) stellte Steinberg das tragische kurze Leben Georg Büchners anhand von Dokumenten, Briefen, Erinnerungen, Akten und anderen Hinterlassenschaften dar. Zu einem vierbändigen Zyklus des Autors zählen "Als die Uhren stehenblieben" (1957), "Einzug der Gladiatoren" (1958), "Wasser aus trockenen Brunnen" (1962) und "Ohne Pauken und Trompeten" (1965). Darin gestaltet er entscheidende Etappen der deutschen Geschichte um die Mitte des 20. Jahrhunderts - vom Untergang des Nazireiches und der Befreiung durch die alliierten Truppen über die Einführung einer separaten Währung im Westen bis zur Frühzeit der DDR.

Danach widmete sich Steinberg der Spannungsliteratur und verfaßte die Kriminalromane "Ein Mann namens Nottrodt" (1972), "Der Hut des Kommissars" (1966), "Und nebenbei Mord" (1968) sowie "Zwei Schüsse unterm Neumond" (1988). Zu verweisen ist auf den Abenteuerroman "Ikebana oder Blumen für den Fremden" (1973) und die utopischen Romane "Die Augen der Blinden" (1973) und "Zwischen Sarg und Ararat" (1978). Zu erwähnen wären auch die beiden Erzählungen über Probleme junger Menschen "Der Schimmel mit den blauen Augen" (1970) und "Die Eseltreiberin" (1973) sowie der große Roman "Pferdewechsel" (1974).

Werner Steinberg starb am 22. April 1992 in Dessau. In verschiedenen DDR-Verlagen erschienen über zwanzig seiner Titel in einer Gesamtauflage von über drei Millionen Exemplaren, wozu noch etwa 450.000 Exemplare als Lizenzausgaben und Übersetzungen kamen. Als Gestalter zeitgeschichtlicher Ereignisse und historischen Geschehens setzte Steinberg, der übrigens auch einen Zirkel Schreibender Arbeiter leitete, Lichtpunkte, da seine Bücher ebenso anspruchsvoll wie unterhaltsam waren.

Dieter Fechner

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Polierte Platte

Wenn ich als "alter Zeitungshase" das jetzt auch äußerlich gewandelte ND betrachte, kann ich das eher gutbürgerlich anmutende Layout höchstens unter dem Gesichtspunkt verminderter Leserfreundlichkeit tadeln. Ich war rund 25 Jahre Redakteur und Auslandskorrespondent des mit dem neuen nicht zu verwechselnden alten ND. Das hatte eine Millionen-Auflage, riß sicher nicht jeden vom Stuhl und war wohl selten ein Blatt der Extraklasse, doch sozialistisch allemal.

Jetzt hat der neue Chefredakteur, um nicht nur Stroh zu häckseln, sondern auch zu schneiden, in einem Artikel über das veränderte Make up der Zeitung den Nagel auf den Kopf getroffen: Mit rationeller Nüchternheit setzte er die Worte Sozialistische Tageszeitung in Anführungszeichen. Mir scheint das eine kluge Idee und eine von Konsequenz zeugende Handlung zu sein.

Denn das, was sich die "Sozialistische Tageszeitung" am 19. Oktober mit dem Einlegen eines "ausschließlich für ND-Leser bestimmten" verschlossenen Umschlags der Deutschen Goldmünzen-Gesellschaft geleistet hat, ist schon ein starkes Stück. Dagegen wirken selbst Schütts schüttere Bemühungen, historische Wahrheiten wie die deutsche Sprache nach Leibeskräften auf den Kopf zu stellen, blaß und harmlos.

Was den ND-Lesern hier "exklusiv und nur für sie preisgesenkt" angeboten wird, ist nicht weniger als eine 24karätige güldene Gedenkmünze zum Thema "25 Jahre Deutsche Einheit", die bereits jetzt geprägt werden soll. Die Worte "Einigkeit und Recht und Freiheit" aus dem total kompromittierten Deutschlandlied, das schon den Nazis als Hymne diente, umranden einen stolzen deutschen Adler. Die Völker Europas und der ganzen Welt wissen nur allzugut, wie weit dieser unersättliche Raubvogel seine Schwingen auszubreiten versuchte, bis ihm im Mai 1945 zunächst einmal die Flügel gestutzt wurden.

Wie gut, daß Chefredakteur Tom Strohschneider beim ND rechtzeitig die Anführungszeichen eingeführt hat, um den Eklat in Grenzen zu halten.

"Ein baldiger Ausverkauf" sei zu erwarten, bieten die Werber der Deutschen Goldmünzen-Gesellschaft den ND-Lesern ihr Produkt an. Vor allem Hartz-IV-Bezieher sollten da rasch zugreifen, weil die Auflage "streng limitiert" ist. Es gibt nur ein Exemplar pro Haushalt! Dafür aber wird ein absolutes Spitzenerzeugnis geliefert. "Höchste Prägequalität - Polierte Platte", heißt es in der Beigabe zum ND. Auf einen solchen Köder dürften wohl nur Leute hereinfallen, die sich - wie man in Berlin sagt - "keine Platte machen".

Klaus Steiniger

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Archie "auf Station"

Als Archie im Sommer den Versuch unternahm, wieder einmal mit einem deutschen Billigreisebüro an die polnische Ostseeküste bei Miedzyzdroje zu gelangen, schwelgte er bereits in Erwartung und Vorfreude. Immerhin kannte er den Strand und das gastfreundliche Haus, wo man von jedem Balkon aus auf die Ostsee blicken kann. Am Wechselspiel von Himmel, Wolken und Meer erfreute er sich besonders. Bei seinem letzten Aufenthalt hatte er dort allerdings ein beängstigendes Unwetter erlebt, so daß es ihm bisweilen vorkam, als steige der Klabautermann tatsächlich gerade über die Balkonbrüstung ins Zimmer. Bei Sonne aber scheint kein anderes Meer so klar zu sein wie die Ostsee bei Misdroy in all ihren Blau- und Grüntönen. Billig ist dieses Hotel im heutigen Polen übrigens auch nicht gerade, eine Wochenpension mit Frühstück kostet an die 500 Euro. Aber der Arzt hatte Archie dringend Seeluft empfohlen, um ihm das beschwerliche Atmen zu erleichtern.

Doch es kam leider ganz anders. Seine Frau hatte - über einen neuerlichen Anfall von Luftnot ihres Mannes erschrocken - einen Rettungsarzt herbeirufen müssen, der ihn sofort ins Krankenhaus einwies. Dort brachte er ewig in der Notaufnahme zu, obwohl er zuvor schon dreimal in eben diesem Haus mit derselben Diagnose gelandet war. Der Aufnahmearzt, der ihn auf die Station einwies, konnte an ihn gerichtete Fragen auf Grund sprachlicher Verständigungsschwierigkeiten leider nicht beantworten.

Archie kam in ein Vierbettzimmer mit lauter hustenden, prustenden und keuchenden Männern um die Achtzig, also seines Alters, wobei die Patienten häufig wechselten. Zwei seiner aktuellen Bettgenossen starrten Tag und Nacht auf die Mattscheibe des Fernsehers und zogen sämtliche schwedischen Krimifolgen mit Kommissar Wallander in sich hinein. Daß solches bis in die Nacht geschehen konnte, gehörte dort offenbar zur Routine und schien niemanden zu stören - außer Archie.

Ein früherer Schuldirektor aus DDR-Zeiten, der mit fürchterlichen Hustenanfällen kämpfte, befaßte sich fast ohne Unterlaß mit Briefmarken und Kreuzworträtseln.

Hauptgesprächsthemen waren - wie in Hospitälern üblich - natürlich die jeweiligen Krankengeschichten. Zwei einstige Facharbeiter gelangten bei ihrer Unterhaltung zu der Erkenntnis, sie seien in den letzten Jahrzehnten abwechselnd durch schwere Maloche oder Erwerbslosigkeit krank geworden. Beide waren gesundheitlich sehr angeschlagen, wollten über ihre Probleme sprechen, suchten also in gewisser Weise nach den Ursachen des Unheils, das da über sie hereingebrochen war. Sie waren recht intelligent, besaßen selbst in ihrer mißlichen Lage noch eine Portion Humor und erzählten ganz heitere Episoden. So wußte der eine von ihnen zu berichten, er habe dreimal geheiratet - immer dieselbe Frau. Die beiden Scheidungen, die er schilderte, schienen Archie sehr plausibel, die Hochzeiten nicht minder. Diese Story wurde nur noch durch die Erzählung eines Amateur-Heiratsschwindlers übertroffen, der einer hübschen Heiratsschwindlerin auf den Leim gegangen war und von ihr über den Tisch gezogen wurde. Danach waren sie 25 Jahre lang ehelich verbunden. Der einstige Schuldirektor schwor - zwischen seinen Hustenattacken und der Befassung mit den erwähnten Lieblingsthemen - auf das Bildungswesen der DDR und erzählte rührende Schülergeschichten, die heute gar nicht mehr denkbar wären. Danach tauchte er aber sofort wieder in seine Buchstabensuche ein. Offenbar hatte er die Kreuzworträtsel selbst erfunden. Eine etwas tiefgründigere Beschäftigung mit politischen Themen fiel allerdings aus, wie Archie das auch schon bei Patienten, mit denen er früher zusammenlag, erfahren hatte.

Nachdem die Chancen für einen Sozialismus auf deutschem Boden zunächst einmal verspielt worden sind, heißt jetzt offenbar das Motto vieler: Rette sich, wer kann! Jeder, der dazu imstande ist, sollte sich eine hübsche Nische suchen, und wenn ein recht Betagter noch einen Bus fahren kann oder eine Frau in fortgeschrittenem Alter als Reinigungskraft noch saubermachen darf, dann ist das eben die neue Freiheit. Nach ihr hatten ja nicht wenige geschielt, als sie angesichts ihnen zugeworfener Bananen wahre Veitstänze aufführten. Blanker Zynismus!

Wenn Archie an die alten Männer in ihren Krankenbetten denkt, deren Arbeitsbiographien mit dem Untergang der DDR jäh beendet waren und die jetzt heimlich in ihre Kissen weinen, fragt er sich immer wieder: Was macht solche Menschen nur so manipulierbar, daß sie trotz allem eine Angela Merkel wählen? Es ist wohl die ständige Angst vor den Normen und Umgangsformen einer mitleidlosen Gesellschaft oder die Furcht vor einer Gewalt, die jeden von heute auf morgen nach ganz unten befördern kann. Deswegen stehen die Führungsetagen nur Skrupellosen offen, die in ihrer Unverfrorenheit weder Tod noch Teufel fürchten, da sie ja alles kaufen können, sogar Bildung vom Feinsten.

Während Archie solch düsteren Gedanken nachhing, blickte er aus dem Bettenhochhaus der Klinik in den Himmel, wo sich - wie einst an Polens Ostseeküste - gerade ein bedrohliches Gewitter mit schwarzgelben Wolken und grellen Blitzen aufbaute. Da zeigte sich schon wieder der Klabautermann, von dem eingangs die Rede war. Noch schäkerte er allerdings auf dem Gang mit der Schwester.

Klabautermänner, denkt Archie, beherrschen heute und vermutlich auf längere Sicht allenthalben das Denken und Handeln vieler Menschen. Das ist so, weil der rabiate Kapitalismus auch bei uns im Osten Einzug gehalten hat. Dabei sollte man doch lieber auf Brecht hören: "Das Sichere ist nicht sicher, so wie es ist, bleibt es nicht!"

Manfred Hocke



Eine traurige Nachricht

Wir hatten diese Archie-Folge bereits in Satz gegeben, als uns am 7. November die Nachricht von Manfred Hockes Ableben in der Berliner Charité erreichte.

Sein Tod ist nicht nur ein schmerzlicher Verlust für die Angehörigen, denen wir in Verbundenheit fest die Hand drücken, sondern beraubt auch den "RotFuchs" eines langjährigen Mitstreiters, Freundes und Autors. Bisher schien es so, als sei sein Vorrat an Archie-Geschichten zur Bereicherung des Feuilletons unserer Zeitschrift unerschöpflich.

Mit dem nun unvermeidlichen Ausklingen der von vielen Lesern geschätzten Beiträge aus Manfred Hockes Feder verbinden wir die Erinnerung an einen bewährten Dramaturgen und Lektor.

Wir entbieten Manfred Hocke - unserem Archie - einen letzten traurigen Gruß.

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Leserbriefe an RotFuchs

Vor einigen Tagen erhielt ich die traurige Nachricht vom Tode Dr. Hans Kaisers, der in den Jahren meiner Haft gemeinsam mit der GRH so viel für mich getan hat. Ich kam gerade von der Beisetzung Margrit Pitmans. Sie war lange Zeit die Korrespondentin der damaligen Tageszeitung der KP der USA "Daily World" in der DDR.
Allmählich kehre ich wieder in die Welt zurück. Lisa und ich haben viel Zeit mit Familienangehörigen und alten Freunden verbracht. Ich finde meinen eigenen Pfad in politische Aktivitäten, lese viel und schreibe auch eine ganze Menge. Ich füge diesem Brief einen Beitrag für den "RotFuchs" hinzu.
Der Leitartikel im Oktoberheft "Der springende Punkt" hieß zu recht so, weil er die derzeitigen Herausforderungen richtig zum Ausdruck bringt: den Widerstand gegen schreiendes soziales Unrecht und drohende Gefahren.
Laßt mich hinzufügen, daß ich es sehr zu schätzen weiß, Monat für Monat den RF von Euch zu erhalten, den ich bereits während eines Teils meiner langjährigen Haft habe lesen können.
In solidarischer Verbundenheit grüßt Euch aus den USA

Kurt Stand, Cheverly, Maryland


Mich beeindruckt die Kontinuität der "RotFuchs"-Leitartikel, die stets auf hohem theoretischem Niveau geschrieben sind. Die politisch-ideologischen Aktivitäten des RF sind unter Linken in Polen weithin bekannt, nicht zuletzt auch durch meine Informationen. Ich wünsche dem Chefredakteur und dem gesamten Kollektiv des RF nicht nur viele weitere publizistische Erfolge, sondern auch die dazu erforderliche Portion Kraft.

Prof. Dr. Zbigniew Wiktor, Wroclaw


Wie ich den Leserbriefen im RF 188 entnehme, stehen die Gründe für den Untergang der DDR nach wie vor zur Debatte. Aus meiner Sicht handelte es sich bei dem Debakel nicht zuletzt auch um eine Unterschätzung politischer und ökonomischer Machtpositionen, die sich nach 1945 in Gestalt eines geteilten Deutschlands manifestierten. Nicht die Fehler dieser oder jener DDR-Politiker und die Schwächen der leitenden Gremien, sondern der auf die Zerstörung der Sowjetunion abzielende Kurs von Gorbatschow & Co., welche auch die DDR im Rahmen einer "Neuordnung Europas" sang- und klanglos dem Westen ausgeliefert haben, war das Ausschlaggebende. Ohne sowjetischen Schutz hätte die DDR einem imperialistischen Angriff militärisch nicht standhalten können. Überdies weisen die Ergebnisse beim raffinierten Locken mit D-Mark und Bananen auf die Empfänglichkeit einer zu großen Teilen ideologisch noch unreifen Bevölkerung für die Scheinwelt des Kapitalismus hin. Natürlich muß das Schicksal der DDR auch im Zusammenhang mit innenpolitischen Unzulänglichkeiten betrachtet werden.

Dr. Vera Butler, Melbourne


Wer hat Schuld am Tod der Flüchtlinge vor Lampedusa? Jeder, der sich neben der offiziell verbreiteten Version eine Zweitmeinung - z. B. im "RotFuchs" - bildet, hat längst die Rolle der Erdölkonzerne durchschaut. In einer großen Tageszeitung las ich vor einigen Jahren: "Folgendes wird sich ereignen: Ihr werdet von einer Immigrationswelle aus Afrika überschwemmt werden, die von Libyen aus nach Europa überschwappt. Es wird keiner mehr da sein, um sie aufzuhalten." In ihrer Öl-Gier schlugen der britische und der französische Imperialismus, assistiert von den USA, alle Warnungen in den Wind und bombten in Tripolis Terroristenhaufen an die Macht. Es gibt in Libyen weder Demokratie noch Freiheit oder Sicherheit für Leben und Gut, keine Arbeitsplätze mehr für die vielen Gastarbeiter aus Afrikas armen Ländern, keine handlungsfähige Regierung, statt dessen aber eine enorme Korruption beim Erdölabsatz und das Ende unentgeltlicher medizinischer Versorgung.
Die damals vorhergesagte Hungerflüchtlingswelle wurde Wirklichkeit. Die EU hat dem lediglich die Abriegelung ihrer Grenzen, nicht aber die Beseitigung der Ursachen für die Flucht so vieler Menschen nach Europa entgegenzusetzen.
Nun verstehe ich auch vorausschauende Politiker, die trotz aller Unterstellungen und Anfeindungen den Syrern ein solches Schicksal ersparen wollten.

Dr. med. Gerd Machalett, Siedenbollentin


Die Berichte über Lampedusa sind erschütternd. Wie können Menschen nur so mit anderen Menschen umgehen?
"Ein feste Burg" ist die EU, könnte man frei nach Martin Luther sagen. Der Titel einer Broschüre von Pro Asyl aus dem Jahr 2009 ist heute aktueller den je: "Mit Menschenrechten darf man nicht spielen."

Kurt Wolfgang Ringel, Braunschweig


Ja, den "RotFuchs" lese ich gern. Kritik? Ich denke, er sollte so bleiben, wie er ist, und sein Chefredakteur auch.

Prof. Dr. Georg Fülberth, Marburg


Waren das Zeiten, als unsere Mauern noch offen waren! Es konnten ja gar nicht genug Wirtschaftsflüchtlinge in unsere Sozialkassen strömen, die wir mit der Brotkruste aus dem Urwald der "Ostzone" gelockt hatten! Das heißt, es war eine gehobene Kruste, eine Milchschnitte - das Begrüßungsgeld. Oder auch ein Linsengericht, für das sich manche bekanntlich gern verkaufen. Daß der Preis kapitalistischer Freiheit auch das dicke Hartz-IV-Ende sozialen Elends sein kann, merkten diese "mündigen Bürger" nicht. Sie wollten unbedingt in den kapitalistischen Scheuersack. "Laßt uns rein! Laßt uns rein! Wir wollen auch bescheuert sein!" riefen sie und stimmten mit den Füßen ab.
Wieviel Tote aber gab es seit dem Mauerbau? Das Zentrum für Zeithistorische Forschung geht von 98 aus. Es fanden 131 Gerichtsverfahren gegen 277 Personen statt, die etwa zur Hälfte mit Verurteilungen endeten.
Nun steht für mich die Frage, mit wieviel Verfahren unsere Himmler-Verschnitte und deren Organe zu rechnen haben. Immerhin zogen sie die Mauer um ganz Europa, damit die aus dem afrikanischen Urwald mit der Brotkruste Angelockten nicht einwandern. Die auf 28 Jahre bezogene Zahl von Opfern der DDR wird schon an einem einzigen Lampedusa-Tag zu 300 % erfüllt! Diese Flüchtlinge haben ebenfalls demokratisch abgestimmt - zwar nicht mit den Füßen, weil nur unser Herr Jesus Christus auf Wasser wandeln kann, sondern mit Flößen und nicht hochseetüchtigen Booten. Und wie sehen unsere Schießbefehle aus? Es wird mitnichten geschossen, sondern Water-Boarding in rauhen Mengen betrieben. Ist unterlassene Hilfeleistung denn kein juristischer Straftatbestand? Statt dessen gibt es das Verbot der Hilfeleistung für mitleidige Fischer vor Lampedusa, die sich strafbar machten, als sie die ertrinkenden Flüchtlinge retten wollten. Man verbot ihnen, nochmals auszulaufen. Das ist unser Grenzregime an der Reichtums-Zonengrenze.

Manfred Lowey, Kamen


Über die Veröffentlichung des vollen Wortlauts meines im RF erschienenen Extra-Beitrags über aktuelle Aspekte zu Lenins "Was tun?" in einer Moskauer Zeitschrift habe ich mich sehr gefreut. Auch aus etwas "nostalgischen" Gründen: Ich habe zu DDR-Zeiten nicht nur freundschaftliche Beziehungen mit sowjetischen Rechtstheoretikern gepflegt, sondern auch viele meiner Arbeiten in der UdSSR publiziert. Da kommen alte Erinnerungen hoch ...

Prof. Dr. Ingo Wagner, Leipzig


War die 7. Mitgliederversammlung unseres RF-Fördervereins im Münzenbergsaal des Gebäudes, das einst ganz vom ND genutzt wurde, für mich eine bewegende Angelegenheit, so muß ich gestehen, daß ich bereits vor der Fassade des "Großen Hauses" in Bewegung geraten war, um das Wort "Wallung" zu vermeiden. Auf dessen "Außenhaut" hat nämlich die Rosa-Luxemburg-Stiftung in der Art einer Bauchbinde Sinnsprüche drapiert, darunter auch den mit Karl Marx unterschriebenen Satz: "Die soziale Revolution kann ihre Poesie nicht aus der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft." Wollte der "Prometheus von Trier" wirklich allen Revolutionären so ultimativ den Blick zurück verbieten? Sollten sie auf Erfolge, Erkenntnisse, Erfahrungen aus Siegen und Niederlagen pfeifen?
Diese Frage ließ mir keine Ruhe, weil die angeblich Marxsche Äußerung so verdächtig nach gewissen Leuten aus der Führung der Linkspartei roch, die unverkennbar die Axt an die Wurzeln unserer DDR-Vergangenheit legen. Also ging ich der Quelle nach und siehe da: Die RLS hatte nur ein Genitiv-Attribut aus Marxens Arbeit "Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte" gestrichen und das nicht einmal durch die üblichen Auslassungszeichen kenntlich gemacht. Es reichte, um die Aussage zu fälschen. Diese lautet: "Die soziale Revolution des 19. Jahrhunderts kann ihre Poesie nicht aus der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft."
Die Vergangenheit des 19. Jahrhunderts aber waren das 18. und alle anderen vorangegangen Dezennien. Wir aber leben im 21., das von der "Poesie" des 20. Jahrhunderts vorerst nur träumen kann. Warum wollen ausgerechnet die Vordenker der Linken das leugnen?

Torsten Preußing, Berlin


Politisch interessierte Bürger der DDR erinnern sich gern an die Sozialistische Zeitung für internationale Politik und Wirtschaft, den "horizont". Die hat seinerzeit unseren Horizont maßgeblich mit geprägt, erweitert und umfassende, journalistisch seriös recherchierte Informationen über Ereignisse in aller Welt und deren Einordnung in die Klassenkämpfe der 1917 eingeleiteten Epoche - an diesem Begriff halte ich unverrückbar fest - vermittelt.
Der "RotFuchs" pflegt die Tradition des "horizont" sehr gut. Seine klug ausgewählten Beiträge, insbesondere in der zweiten Hälfte des Heftes, die sich auf fortschrittliche Zeitungen und Autoren aus vielen Ländern stützen, bestimmen heute beträchtlich unseren Horizont. Es gibt in der derzeitigen deutschen Medienwelt nichts Vergleichbares. Der Redaktion gebührt dafür Dank und hohe Anerkennung, verbunden mit dem Wunsch, daß sie diese Tradition unbedingt fortsetzen möge.

Dr. Dr. Ernst Albrecht, Dormagen


Die "Märkische Oderzeitung" veröffentlichte einen Kommentar ihres Kulturredakteurs zur im Oktober erfolgten Wiederenthüllung von Walter Womackas Wandbild, das erstmals 1968 am Ministerium für Bauwesen der DDR der Öffentlichkeit vorgestellt worden war. Hätten sich der Womacka-Freundeskreis und andere nicht so vehement für die Einlagerung des beim Abriß des Gebäudes demontierten Werkes verwandt, wäre mit ihm ein weiteres Stück Kulturerbe verlorengegangen. Auf Diffamierung künstlerischen Schaffens hatten sich ja bereits die Nazis mit ihrem Feldzug gegen "entartete Kunst" verstanden. In diesem Geiste befaßte sich auch der MOZ-Kommentator mit der Womacka-"Renaissance".
Wie kann denn jemand, der die DDR nicht bewußt erlebt hat, überhaupt begreifen, für wen und von wem Werke des sozialistischen Realismus geschaffen wurden? Als Womacka-Verehrerin kann ich mich immer wieder in seine Bilder hineinträumen. Ich bin im damaligen Stalinstadt/Eisenhüttenstadt aufgewachsen. Dort hat Womacka seine Kunst am Bau begonnen. Er sorgte für Buntheit im Erscheinungsbild der Stadt des Eisenhüttenkombinats. Ausdruck dessen sind eine mächtige Hand, die himmelwärts eine Taube aus ihren Fingern entläßt, ebenso wie das gewaltige Mosaik im Rathaus oder auch die liebevolle Glasgestaltung einer ehemaligen Kinderkrippe. Diese ist übrigens heute ein DDR-Dokumentationszentrum.
Eisenhüttenstadt verweigerte dem großen sozialistischen Künstler nach 1990 den Eintrag in das "Goldene Buch", weil dieser in seiner Autobiographie "Farbe bekennen" die Maßnahmen des 13. August 1961 als friedenssichernd betrachtet hatte.
Warum verehre ich Womacka so? Weil er - wie Picasso - die Malerei als "eine Waffe zum Angriff und zur Verteidigung gegen Feinde" verstanden hat. Ich selbst bin übrigens vom Jahrgang 1954, habe dreifachen Nachwuchs und zwei Enkel, wobei zu meinen "Kindern" auch die Ergebnisse eigener Malerei gehören.

Cornelia Noack, Beeskow


In den 50er Jahren habe ich am Institut für Fachschullehrerbildung in Plauen studiert. Ich war bereits verheiratet und hatte eine einjährige Tochter. Mein Mann mußte nach seinem Aufenthalt in der DDR in seine nordrhein-westfälische Heimat zurückkehren. Meine Tochter konnte ich in einem Dauerkinderheim unterbringen. Dessen Leiterin gestattete mir, sie jederzeit zu besuchen und auch ins Internat mitzunehmen. Während der Unterrichtszeit wußte ich sie dort in guten Händen. Nur ihr blasses Aussehen bereitete mir Sorgen. Wahrscheinlich kamen die Kinder zu wenig an die frische Luft.
So setzte ich mich an meine Schreibmaschine und verfaßte mindestens zehn gleichlautende Briefe, in denen ich meine Sorge um die Gesundheit der Kinder ausdrückte und um Abhilfe bat. Diese sandte ich an den Bürgermeister sowie sämtliche Parteien, Massenorganisationen und Vereine. Natürlich konnte ich mir denken, daß die Empfänger andere Probleme als die blassen Wangen einer Einjährigen hatten. Doch es wurde Abhilfe geschaffen! Die Villa des Heimes erhielt eine große Veranda mit Schiebefenstern, wo im Sommer die Kinderbetten standen. Plauener Schwesterschülerinnen fuhren sie an den Nachmittagen abwechselnd aus.
In dieser Zeit lief die Kampagne "Waren des täglichen Bedarfs". Alle volkseigenen Betriebe sollten - neben ihrer Hauptproduktion - Gebrauchsartikel für die Bevölkerung herstellen. So wurde auch ein "Mehrkinderwagen" konstruiert und gebaut, in den sechs kleine Persönchen paßten. Natürlich war ich über all das sehr froh, bewiesen mir solche Maßnahmen doch immer wieder, daß die DDR ein kinderfreundlicher Staat war. Wie aber sieht es damit in der BRD aus?

Gerda Huberty, Plauen-Neundorf


Am 10. und 11. Oktober berichteten Fernsehstationen im Rahmen einer deutschlandweiten Auswertung von Lernergebnissen auch über den Stand in den sogenannten neuen Bundesländern. Dort hätten die Schüler bessere Resultate als ihre Altersgenossen im Westen erzielt.
In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, daß der Osten über besser ausgebildete Lehrer als der Westen der BRD verfügt. Es ist bekannt, daß die berufliche Qualifizierung in der DDR auf vielen Gebieten jener in der alten BRD überlegen war. Das erstreckte sich auch auf sämtliche Kunstbereiche - von der Musik über die Malerei bis zum Schauspiel. Dennoch werden akademische Abschlüsse an Hochschulen der DDR bis heute oftmals nicht anerkannt.

Manfred Schwallmann, Schwarzenberg


Mit der Zulieferung von Rohstoffen und Materialien für den Chemiewaffenbau in Syrien haben die beteiligten BRD-Firmen eine schwere Schuld auf sich geladen. Richtig wäre es, wenn die betreffenden Unternehmen ihren Gewinn aus diesem kriminellen Geschäft unverzüglich an den Staat abführen müßten. Das Geld könnte syrischen Flüchtlingen in verschiedenen Aufnahmeländern zugute kommen. Die Verantwortung für Machenschaften, die man augenscheinlich weder sehen noch kontrollieren wollte, tragen die zuständigen Staatsorgane der BRD.

Gerhard Masuch, Leipzig


Es genügt nicht, allein die Chemiewaffen zu zerstören. Auch das konventionelle Kriegsgerät sollte dem folgen. Die Bestände müßten Schritt für Schritt beseitigt und ihre Ersetzung unterbunden werden. Die Waffenproduktion verschlingt enorme Ressourcen, wobei durch Kriege ohnehin kein einziges Problem der Erdbevölkerung gelöst werden kann.
Heute haben fast alle Menschen - auch viele in Entwicklungsländern - Zugang zu Fernsehern, Computern und Handys. Dadurch erfahren die Benachteiligten, wie die gesellschaftliche Oberschicht in hochentwickelten Industrieländern praßt. Das motiviert sie, dafür zu kämpfen und notfalls auch zu sterben, daß es ihren Völkern besser geht. Die Ereignisse in den arabischen Ländern, die Invasion der Bootsflüchtlinge im Mittelmeerraum, die Demonstrationen und Streiks in Süd- und Westeuropa, lassen erkennen, daß der Kampf der Millionen mit Waffen auf Dauer nicht aufzuhalten ist.

Dr. Ernst-Ludwig Hischer, Rostock


Im "RotFuchs" gibt es immer wieder kritische Leserbriefe, die sich mit Hans Dieter Schütts ND-Beiträgen befassen. Daß er eine besondere Rolle im Autorenkreis dieser Zeitung spielt, ist nicht zu übersehen. Niemand "verurteilt" dort den Sozialismus in seiner bisherigen Form so scharf wie er.
Schütt wiederholt in seinen Sätzen immer dieselben Gedanken und Aussagen. Für ihn war der Sozialismus lediglich Politik, Ideologie, Methodik, jedoch nichts Materielles, Substantielles. Er geht wohl davon aus, daß die geschichtlichen Würfel gefallen sind, so daß man den Sozialismus wie einen "toten Hund" begraben kann.
Am 1. August veröffentlichte Schütt im ND folgenden Satz: "Noch nie war eine Idee wie die kommunistische so zur befreienden Weltkraft geworden - und zugleich derart abschreckend hineingesunken ins Elend des Diktatorischen."
Schütt schweigt über den Kapitalismus, obwohl er den Kommunismus in seiner befreienden Mission verbal lobt, und er redet vom Sozialismus ­... redet und redet und redet.
Nicht Schütt, das ND hat ein Problem. Es ist einerseits substantiell, andererseits aber mangelt es ihm durch die einseitige Orientierung auf hds an inhaltlichen Debatten zum kommunistischen Thema.

Hermann Jacobs, Berlin


Im ND wurde Wolfgang Leonhard als "profunder Kenner ... des Realsozialismus" vorgestellt. Mit welchem Recht eigentlich? Er hat sich doch noch vor der Gründung der DDR zu den Kapitalisten aus dem Staub gemacht. Nach der Vereinnahmung der DDR tauchte er dann wieder auf, um uns seine Ratschläge über "Freiheit, Fortschritt und Demokratie" zu erteilen. Leonhard hat nichts für den antifaschistischen, solidarischen, kinder- und frauenfreundlichen, Bildung und Gesundheit fördernden Friedensstaat DDR getan. Im Gegenteil: Er hat ihn nach Kräften bekämpft.
Das ND war äußerst schlecht beraten, ausgerechnet diesen Mann als "Ratgeber" zu befragen. War es Zufall oder Absicht, daß die Sozialistische Tageszeitung gerade am 12. Oktober das Interview mit den Leonhards brachte? Wenn das die mit dem neuen Layout verbundene Linie, die an jenem Tag angekündigt wurde, sein soll, dann gute Nacht!

Horst Jäkel, Potsdam


Deutschland hat mal wieder gewählt. Die "junge Welt" traf den Nagel auf den Kopf, als sie am Tag danach feststellte, 80 % der Abstimmenden hätten für die Kriegsparteien CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne votiert. Das sind fast 60 % aller Wahlberechtigten in der BRD.
Doch solange die Differenz zwischen der Anzahl der Wahlberechtigten und der Summe der abgegebenen Wählerstimmen immer noch größer ist als der Abstand zwischen den Stimmen für CDU/CSU und PDL, gilt es, dieser dadurch zu Leibe zu rücken, daß die Linkspartei fortan im Bundestag den Part der konsequentesten, radikalsten, das Spiel der Regierenden am meisten entlarvenden Opposition übernimmt, der überhaupt möglich ist. Nur so kann sie künftig Nichtwähler in größerer Zahl für sich gewinnen.

Wolfgang Mäder, Neubrandenburg


Der Beitrag von Klaus Liebrenz im Oktober-RF "Warum hat unser Bestes nicht gereicht?" wirft ernste Fragen auf. Die Antwort darauf aber ist von entscheidender Bedeutung, wenn es nachfolgende Generationen einmal besser machen sollen, als wir es vermochten. Allzu oft haben wir - vor allem Genossen an der Spitze der kommunistischen Bewegung - wissenschaftlich begründete Theorien zwar unablässig im Munde geführt, sie aber zu wenig in die Praxis umgesetzt. Ich erinnere vor allem an Lenins These von der entscheidenden Rolle einer höheren Arbeitsproduktivität im Kampf um den Sieg des Sozialismus. Natürlich hinderte uns das westliche Embargo, aber auch eigenes Unvermögen daran, diese historische Aufgabe konsequent zu lösen. Was hat uns denn geritten, unablässig "Siegesmeldungen" zu verbreiten, wo doch ein Wort der Wahrheit eher am Platze gewesen wäre? War das ein adäquater Umgangsstil einer marxistisch-leninistischen Partei mit dem Souverän - dem Volk? Da wir als Kommunisten unverrückbar für eine sozialistische Zukunft kämpfen, sollten wir uns die Beantwortung der Frage nach den Gründen unserer größten Niederlage nicht zu leicht machen.

Heinz Bilan, Leipzig


"Das entscheidende Feld für den Sieg einer neuen Gesellschaft ist die Sphäre der materiellen Produktion", faßt Harald Schleuter, Autor des 1987 im Mitteldeutschen Verlag erschienenen Romans "Reklamation", grundlegende Ansichten des Marxismus auf diesem Gebiet zusammen. Folge ich seiner Betrachtungsweise, dann erblicke ich eklatante Verstöße gegen den Marxismus während der gesamten Existenzdauer der DDR. Beginnend mit der Bodenreform und der Enteignung der Kriegsverbrecher waren bis Anfang der 70er Jahre die meisten zuvor in Privathand gewesenen Produktionsmittel deren Besitzern entzogen. Umgangssprachlich wurde der Begriff Volkseigentum verwendet. Wie aber wurde der Arbeiter an der Werkbank tatsächlich in die Erarbeitung des Planes einbezogen? Wer bei Plandiskussionen zugegen war, weiß, daß diese von den Parteileitungen ausgiebig "vorbereitet" wurden. So vermied man eine wesentliche Veränderung der von den Parteiorganen erarbeiteten Vorgaben. Wo blieb da die Meinung des einzelnen? Das Volk nahm seine Eigentümerrechte nicht wahr. In diesem Sinne wurde das Volkseigentum von den meisten als "niemandes Eigentum" betrachtet.
Was fehlte in der DDR, daß "unser Bestes" nicht gereicht hat? Daß der Klassenfeind den Versuch unternahm, die neue Gesellschaft zu bekämpfen, war doch das Normalste von der Welt. Bei Antworten auf die Frage nach den Ursachen des Untergangs der DDR sollten wir diese zuerst einmal bei uns selbst, nicht aber beim Wirken der Feinde suchen.
Meine kritischen Bemerkungen betreffen die sozialistische Planwirtschaft, beabsichtigen aber nicht, die Erfolge der DDR auf anderen Gebieten in Abrede zu stellen.

Klaus Buschendorf, Erfurt


Die mit dem Beitrag von Klaus Liebrenz aufgeworfene Frage halte ich für sehr berechtigt. Mit "Unser Bestes" meint der Autor die ehrliche, verantwortungsvolle tägliche Einbringung von Arbeitsleistungen durch den überwiegenden Teil der DDR-Bevölkerung. Gemeint ist damit aber auch ihr wahrer Reichtum: die soziale und politische Ordnung des Staates DDR, welcher die freie Entfaltung von Persönlichkeiten ermöglichte und das Zusammenleben der Menschen erträglich gestaltete.
12.354 ausbeutungsfreie volkseigene Betriebe, 465 Staatsgüter, insgesamt 3,3 Millionen kommunale oder genossenschaftliche Wohnungen sowie Verkehrsbetriebe, Versicherungen und Handelsorganisationen, die in der Hand des Volkes lagen, bildeten die Grundlage für all das.
Doch warum hat es nicht gereicht? Dafür gibt es vielfältige Gründe. Einer davon: Die DDR war als rohstoffarmes Land bei wesentlichen Ressourcen entscheidend von der UdSSR abhängig. Im Juli 1969 fanden in Moskau Gespräche über die langfristige Lieferung von Erdöl, Erdgas, Walzstahl, Aluminium, Kautschuk und Kupfer statt, von denen die weitere Entwicklung der DDR abhing. Breschnew erklärte ihrer Delegation, daß die sowjetischen Exporte um die Hälfte gekürzt werden müßten. Er begründete das mit der angespannten wirtschaftlichen Lage, die auch durch wachsende Militärausgaben bedingt sei. Damit stand die ökonomische Perspektive der DDR bereits damals zur Disposition.

Wolfgang Schröder, Schöneiche


Johann Webers Beitrag "Ein 100-Meter-Lauf der besonderen Art" sprach mir aus dem Herzen. Als Kind der Uckermark - Angela Merkels Heimat - mußte ich 1945 zunächst erleben, daß nach dem Einmarsch der Roten Armee die Pferde requiriert wurden. Anschließend trieb man das Milchvieh ab und schlachtete die Schweine zur Versorgung der Sowjetsoldaten, denn deren Heimat - das betraf vor allem auch die Landwirtschaft - war zum großen Teil von den deutschen Faschisten zerstört worden. Die wirtschaftliche Erholung der Betroffenen dauerte lange.
Im Sommer 1945 waren die Bahnschienen einschließlich der Stellwerksanlagen demontiert und abtransportiert worden. Erst Mitte der 50er Jahre konnten die Folgen einigermaßen überwunden werden. In den ersten Jahren wurden auch große Waldflächen - wie es hieß, für den Holzexport der UdSSR nach Großbritannien - kahlgeschlagen. Anschließend begann sofort die Wiederaufforstung.
Nach und nach wurde den Menschen klar, daß solche Reparationsleistungen ein Bestandteil unter den Alliierten vereinbarter Wiedergutmachungen war. Inzwischen finden ja in den zuvor geschonten Wäldern des Ostens großflächige Holzernten neuer Besitzer aus den alten Bundesländern statt.
Wie sieht es heute in Merkels Uckermark aus? Die Strecke von Templin - einst ein Eisenbahnkreuz - wurde vor etwa 15 Jahren weitgehend stillgelegt und zum großen Teil wieder demontiert. Es erfolgte eine Verlegung von der Schiene auf die Straße. Die Industrie wurde bis auf Schwedt weitestgehend paralysiert. Die Arbeitslosenquote in der Region pendelt seit Jahren um etwa 15 %, was in der BRD einen Rekord darstellt. Ein großer Teil der Jugend versucht, im Westen Arbeit zu finden.
Also, lieber Johann Weber, die Bedingungen für den "100-Meter-Lauf" haben sich bei uns leider nicht verbessert.

Dr. Hermann Berlin, Berlin


Friede, Freude, Eierkuchen: Am 3. Oktober stimmten die bürgerlichen Medien zum "Tag der deutschen Einheit" wieder Jubelarien an. In Stuttgart erklärte Bundespräsident Gauck, die BRD müsse sich stärker in militärische Konflikte überall auf der Welt einmischen. Das heißt im Klartext: Kriege führen. Wilfried Kretschmann, Mitglied des ZK der Deutschen Katholiken und olivgrüner Ministerpräsident Baden-Württembergs, ist seit Studententagen ein in der Wolle gefärbter Antikommunist. Erzbischof Robert Zollitsch betrachtet die Annexion der DDR gar als ein "Gottesgeschenk", kann doch die Kirche endlich ungehindert über die bösen Heiden herfallen.
In den Stuttgarter Jubel mischt sich indes kreischender Diskant. Am 4. Oktober schrieb die Rhein-Neckar-Zeitung: "Die Polizei ist omnipräsent. Gulli-Deckel sind verplombt, über der City kreisen Hubschrauber." Wovor haben sie Angst? Daß der geistigen und psychischen Besoffenheit des Volkes die Ernüchterung folgt? Nehmen Einsicht und Handeln zu? Das scheint offenbar der Fall zu sein. So rüsten sie Polizei und Armee für Kampfeinsätze im eigenen Land auf, führen flächendeckende Bespitzelung durch, drücken ein Drittel des Volkes unter das Existenzminimum, damit es nicht auf dumme Gedanken kommt, handeln nach Cäsars Prinzip: "Teile und herrsche", überziehen Demokraten mit Prozessen und halten sich Faschisten wie Bluthunde an der Leine, um sie loszulassen, wenn gar nichts mehr hilft.
Am Abend des 3. Oktober wurde im baden-württembergischen Mannheim eine 20jährige Studentin brutal vergewaltigt, danach ermordet und wie Müll im Gebüsch liegengelassen. Sie stammte aus Litauen, das vor dem Putsch der Gorbatschow-Jelzin-Clique zur Sowjetunion gehörte.

Hans Dölzer, Hirschberg


Im Sächsischen Landtag hielt Bischof i. R. Joachim Reinelt vom Bistum Dresden-Meißen am 3. Oktober eine skandalöse "Festansprache". Darin verwies er auch auf jene Rede, welche Kohl 1989 an der Ruine der Dresdner Frauenkirche gehalten hatte. Allerdings vergaß der geistliche Herr, daß der BRD-Exkanzler dort auch die Formulierung verwandte, von deutschem Boden solle nur noch Frieden ausgehen. Als besonders empörend empfand ich, daß Herr Reinelt die Behauptung aufstellte, das Volk der DDR sei "um einen verdienten Wohlstand betrogen" worden.
Nur ein Beispiel zum Beweis des Gegenteils: 1972 wurde in der DDR der Beschluß über den Eigenheimbau gefaßt. Obwohl ich kein "dickes Konto" besaß, vermochten wir uns zwischen 1973 und 1975 mit staatlicher Finanzhilfe sowie mit betrieblicher und kollegialer Unterstützung ein Eigenheim zu schaffen. Die Kinder sind dort glücklich aufgewachsen.

Peter Müller, Freital


Viel wurde über Familienkungeleien im Bayerischen Landtag berichtet. Hierzulande wird auf Kosten der Steuerzahler ähnlich gemauschelt. Gegen Thüringens Ministerpräsidentin Lieberknecht leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Untreue ein. Sie hatte ihren dem Lebensalter nach recht jungen Ex-Regierungssprecher in Frührente geschickt, als dieser einen lukrativen Posten in der Wirtschaft ergattern konnte. Mit einem Eklat trat auch der neue Minister der Staatskanzlei Gnauck (CDU) sein Amt an, das er bereits zwischen 1999 und 2003 bekleidet hatte. Er verklagte das eigene Ministerium wegen seinerzeitiger Ansprüche im Krankheitsfall. SPD-Wirtschaftsminister Machnig bezieht nebenbei Ruhegeld aus einer früheren Tätigkeit.
Zehn Jahre lang lief die Landesbeauftragte der Gauck-Birthler-Jahn-Behörde, Frau Neubert, Sturm gegen jedermann, der mit der DDR-Staatssicherheit irgend etwas zu tun hatte. Jetzt beginnt in ihrem Laden ein neuer Turnus, und sie muß abtreten, wird aber weder arbeitslos noch Hartz-IV-Empfängerin. Man sicherte ihr einen einträglichen Posten in der Landesregierung zu. Ihren pathologischen Haß auf die DDR dürfte die Dame dorthin mitnehmen. Es ist höchste Zeit, diesen Selbstbedienungsladen bei den Landtagswahlen 2014 endlich zu schließen.

Hans Linke, Suhl


Noch immer redet man den DDR-Bürgern ein, ihr Staat sei marode gewesen. Nur hat dieser bis zum letzten Tag seiner Existenz wertmäßig das produziert, was seine Bürger verbrauchten. So etwas schaffen die "neuen Bundesländer" bis heute nicht.
Eine BRD-Landeshauptstadt - Mainz - wurde viele Wochen vom Bahnverkehr abgeschnitten, weil drei Stellwerksarbeiter erkrankt oder Fahrdienstleiter in Urlaub waren. Großprojekte wie der bereits weltweit in Verruf gekommene Internationale Flughafen Berlin-Brandenburg oder ein gewisses Hamburger Musiktheater werden ebenso wie Straßen und Autobahnen niemals oder nur mit enormer Verspätung fertiggestellt.
Armes Deutschland, in dem 10 % der Bevölkerung mehr als 66 % des Vermögens besitzen!

Manfred Kleinpeter, Berlin


Im Beitrag Ulrich Guhls über das Grundgesetz der BRD und die beiden DDR-Verfassungen wird nicht darauf hingewiesen, daß es im Westen seit 1968 eine Notstandsverfassung gegeben hat. Darin wurden die Streitkräfte ermächtigt, nicht nur im Verteidigungs- und Spannungsfalle "zivile Objekte zu schützen" und im Zusammenwirken mit den zuständigen Behörden "polizeiliche Maßnahmen" zu ergreifen. Die BRD-Regierung hätte unter den dort genannten Voraussetzungen die Bundeswehr zur Unterstützung der Polizei und des (damaligen) BGS bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter "Aufständischer" einsetzen können.

Gerd Schulz, Waldau


In einem Leserbrief ist vom sowjetischen Panzer P 54 die Rede. Das machte mich stutzig: Es gab einen Panzer T 54, der 1953 bei den sowjetischen Truppen in der DDR bereits im Einsatz war. Er löste ab 1957 den T 34 auch in der NVA ab.
Ein anderer Leserbriefschreiber will sich erinnern, daß am 17. Juni 1953 in Leipzig "Angehörigen der NVA und der VP" die Ausrüstung abgenommen wurde. Das Gesetz über die Schaffung der NVA und des Ministeriums für Nationale Verteidigung wurde aber erst am 24.1.1956 beschlossen.

Mike Otto, Berlin


Im Oktober-RF äußerte sich Siegfried Mikut zur Notwendigkeit der Einheit linker Kräfte. Ich teile seine Meinung, weiß aber auch, daß der Weg dorthin noch lang ist. Dabei kommt es auf die Verbindung von Toleranz und Auseinandersetzungen ohne Scheu bei Verzicht auf Bevormundung und Rechthaberei an. Unter den heutigen Bedingungen wachsender faschistischer Gefahr und bundesdeutscher Militärinterventionen möchte ich an Äußerungen des US-Brigadegenerals Telford Taylor erinnern, der als beigeordneter Ankläger im Nürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher bereits 1946 warnte. "Der deutsche Militarismus wird, wenn er wiederkommt, nicht unbedingt unter der Ägide des Nazismus auftreten. Die deutschen Militaristen werden sich mit jedem Mann oder jeder Partei verbinden, die ihnen die Wiedergeburt der bewaffneten deutschen Macht versprechen. Sie werden sorgfältig und kalt kalkulieren. Sie werden sich nicht von faschistischen Ideen oder abstoßenden Methoden abhalten lassen. Sie werden Verbrechen in Kauf nehmen, um das Ziel zu erreichen: die deutsche Macht und den deutschen Terror. Wir haben das schon einmal erlebt."

Gert Thiede, Suhl


Am Wahltag machten wir Urlaub auf Rhodos. So konnte ich das schlechte Abschneiden der "Liberalen" und der drei bisherigen Oppositionsparteien nur aus der Ferne verfolgen. Mitarbeiterinnen des Hotels und des Handels berichteten mir, die Athener Regierung habe ihnen nach der Urlaubssaison für die Zeit von November bis Ende April - wie angekündigt - tatsächlich das Arbeitslosengeld gestrichen, das Kindergeld gleich mit.
Im Gegensatz zu anderen RF-Lesern bin ich nach dem in Griechenland Erlebten gegen eine weitere Fehlersuche im Hinblick auf das Debakel der DDR. Die Gründe dafür sind aus meiner Sicht doch zu 95 Prozent mehr oder weniger geklärt. Angesichts der akuten und langanhaltenden Krise des Kapitalismus - im Verhältnis dazu waren ja unsere Defizite geradezu Kinkerlitzchen - sollten wir bei Recherchen nach den restlichen fünf Prozent die Kirche im Dorf lassen.
Vor allem die Südeuropäer sind der schlimmsten Misere seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 ausgesetzt, wobei die Statistiken sogar noch maßlos frisiert sind.
Zum Schluß noch eine "Erfolgsmeldung" aus der hiesigen LVZ: Nach 23 Jahren "Wirtschaftsunion" mit der ökonomisch stärksten Macht Europas - der BRD - hat es Sachsen immerhin geschafft, nicht weniger als 52,1 % der Älteren in Arbeit zu bringen. Wenn ich mich recht erinnere, offerierte die DDR stets Arbeitsplätze für 100 % ihrer Bürger.

Joachim Spitzner, Leipzig


"Wer immer mit Merkel ins Bett geht, wacht hinterher tot (FDP 2013) oder halbtot (SPD 2009) wieder auf."
Das lasen wir von Josef Joffe, Herausgeber der "Zeit", zum Thema große Koalition.

"Die rote Spindel", Nordhorn

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RotFuchs Nr. 191, 16. Jahrgang, Dezember 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2014