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ROTFUCHS/151: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 197 - Juni 2014


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

17. Jahrgang, Nr. 197, Juni 2014



Inhalt

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Ein Toast mit Krimsekt

Krimsekt besitzt eine ganz besondere Note. Er ist so lieblich oder auch so herb wie die Landschaft, die ihm den Namen verlieh. Schon 1957 habe ich an den Gestaden des Schwarzen Meeres mit ihm angestoßen. Damals gehörte ich zu den Teilnehmern einer der ersten in diese Region der UdSSR aufbrechenden Gruppen von Jugendtourist.

In jenen Tagen schienen unsere gedankliche und die reale Welt ungeachtet drohender Gefahren heil und zukunftsträchtig zu sein. Der sehr viel später durch Abtrünnige und Karrieristen wie Gorbatschow, Jelzin, Jakowlew oder Schewardnadse verlassene und für milliardenschwere Oligarchen frei gemachte sowjetische Weg begeisterte damals nicht grundlos große Teile meiner Generation. Unsere positiven Gefühle basierten auf gesellschaftlichen Realitäten:

Dieser Weg hatte mit der Oktoberrevolution begonnen, sich in der erfolgreichen Abwehr von Interventen und Weißgardisten fortgesetzt und zwei Jahrzehnte danach mit dem Sieg in der Stalingrader Schlacht die Wende im 2. Weltkrieg ermöglicht. Das Hissen der roten Fahne mit Hammer und Sichel auf dem Berliner Reichstag im Mai 1945 symbolisierte die Befreiung der meisten Völker Europas vom Faschismus.

Jetzt konnte niemand mehr in Abrede stellen, daß ein 1917 rückständiges Agrarland im Begriff war, zur zweiten - überdies atomar beschirmten - Weltmacht aufzusteigen.

Um so bedrückender ist die Tatsache, daß die Errungenschaften des bei Licht und Schatten insgesamt erfolgreichen sowjetischen Weges, die ihren historischen Stellenwert behalten, dann im Zuge eines Verfallsprozesses der durch Lenin begründeten Partei untergraben und preisgegeben wurden.

Doch in diesem Frühjahr sind die Karten neu gemischt worden: Die Imperialisten haben die erste große Niederlage seit dem Zusammenbruch der UdSSR und der sozialistischen Staaten Europas einstecken müssen. Der Versuch von NATO und EU, sich durch einen von Faschisten und Antisemiten angeführten Staatsstreich die Ukraine im Frontalstoß zu unterwerfen und Rußlands wichtigstes Nachbarland in ihr Blocksystem einzugliedern, ist gescheitert. Der beherzte Widerstand erheblicher Teile der ostukrainischen Bevölkerung und die couragierte Haltung der überwiegenden Mehrheit der Krimbewohner haben den strategischen Planern in Washington, Berlin und Brüssel einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Das eindeutige Ergebnis des dem Völkerrecht entsprechenden Referendums auf der südeuropäischen Halbinsel war ein mächtiger Schlag ins Kontor jener Kreise des Westens, die sich bereits im Besitz von Sewastopol und Simferopol gewähnt hatten. Ihr Hauptziel, die russische Schwarzmeerflotte fortan am Auslaufen in den Mittelmeerraum zu hindern, wurde nicht erreicht. Der Traum der Kiewer Reaktionäre, die Meerenge von Kertsch und damit den Zugang zum Asowschen und zum Kaspischen Meer sowie zu den russischen Strömen Wolga und Don zu blockieren, ist ausgeträumt.

Der geradezu pathologische Russenhaß der meisten Politiker und Medien der BRD hat handfeste Gründe. Rußland erweist sich keineswegs als "Schmuddelkind der Geschichte", sondern ist nach wie vor eine selbstbewußte politisch-militärische Weltmacht. Was sich bei der glanzvollen Olympiade in Sotschi bereits abzeichnete, hat sich seither vollauf bestätigt: Der Staat zwischen Kaliningrad und Wladiwostok ist ein unverzichtbarer Friedensfaktor. Moskau steht für politische Vernunft und realistisches Handeln. Das Veto des russischen Vertreters im UN-Sicherheitsrat erweist sich als eine scharfe Waffe.

Obwohl Rußland bekanntlich schon lange nicht mehr als sozialistischer Staat betrachtet werden kann, lebt unter großen Teilen seiner Bevölkerung die Erinnerung an sowjetische Zeiten und Errungenschaften fort.

Die krankhafte Russophobie, die unmittelbar an den Antisowjetismus der Vergangenheit anknüpft, konzentriert sich derzeit vor allem auf Präsident Putin. Warum?

In erster Linie deshalb, weil er, der übrigens von nüchtern denkenden bürgerlichen oder sozialdemokratischen Politikern wie Helmut Schmidt sachlich beurteilt wird, westliche Erwartungen arg enttäuscht hat. Jene, welche die Illusion hegten, Moskau werde bei entsprechender Druckausübung nach der Pfeife von NATO und EU tanzen oder zu Kreuze kriechen, machten ihre Rechnung ohne den Wirt. Angesichts des Maßes der Bedrohung durch Kräfte, welche den Roten Platz zum Maidan der russischen Metropole machen wollten, bewahrte man im Kreml einen kühlen Kopf. Putin erwies sich in kritischen Tagen als souveräner und beherrschter Politiker. Er ließ sich durch Obama, Merkel, Cameron, Hollande, Tusk und andere "Ratgeber" nicht aus der Fassung bringen. Die Krim werde von Russen, Ukrainern und Tataren bewohnt, verwehre aber den Kiewer Anbetern des Nazikollaborateurs Bandera den Zutritt, stellte der Präsident bei der Aufnahme der Halbinsel und der Stadt Sewastopol in den Staatsverband Rußlands fest.

Fazit: Die Krim ist nicht zur Beute der Imperialisten aus NATO und EU geworden. Auch in den ostukrainischen Gebieten Donezk und Lugansk wurden die Karten neu gemischt. Die Formierung zweier Volksrepubliken beweist, daß die antifaschistische Tradition aus sowjetischen Zeiten hochgehalten wird, was nicht zuletzt die entschlossene Verteidigung von Lenin-Denkmälern in diesem Teil der Ukraine gegen weißgardistische Provokateure gezeigt hat. Das gilt auch für Charkow. Die schwere Niederlage seiner Widersacher in der internationalen Arena sollte indes nicht als Rückkehr Rußlands zum Sozialismus fehlinterpretiert, sondern als Sieg im Kampf um nationale Souveränität und territoriale Integrität gewürdigt werden. Ein herrliches Stückchen russischer Erde und zugleich ein Terrain von höchster strategischer Bedeutung für die Sicherheit des im Zweiten Weltkrieg leidgeprüften Volkes und Landes ist den westlichen Wölfen kein Fraß geworden. Das dürfte ein guter Grund sein, unsere Pokale mit Krimsekt zu füllen.

Klaus Steiniger

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Merkels Steinmeier machte Kiews "Swoboda"-Faschisten hoffähig
Minister mit Geheimdiensthintergrund
[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Ein "Nationalfeiertag", bei dem es nichts zu feiern gibt

Das Dauerspektakel um den 17. Juni

Willy Brandt bemerkte einmal: "Wer die Geschichte erst 1989 oder kurz zuvor beginnen läßt, kann nicht anders als gedanklich zu kurz springen." Das gilt auch für das offizielle Erinnern der BRD an den 17. Juni 1953. Von 1954 bis 1990 wurde jenes Tages, der seine Spuren in der DDR hinterließ, mit Reden im Bundestag gedacht.

Dabei trug sich das Ereignis, um das es ging, in einem anderen Staat zu, dessen Souveränität durch die BRD spätestens nach dem Grundlagenvertrag von 1972 und der gleichzeitigen Aufnahme beider deutscher Staaten in die UNO 1973 zu achten war. Es galt das völkerrechtliche Verbot der Einmischung in innere Angelegenheiten. Wie war dieser Rummel jahrzehntelang möglich? Warum organisierte die BRD staatlich verordnete Gedenkfeiern am 17. Juni, die zu vorgestanzten Ritualen wurden?

Das Gesetz, das dieses Datum zum "Nationalfeiertag des deutschen Volkes" erhob, entsprang vor allem einer Idee der SPD und Willy Brandts. Es trat bereits am 4. August 1953 in Kraft.

Mit dem rasch, gegen den Protest der KPD Max Reimanns verordneten Feiertag entstand ein bis heute andauernder Konflikt. Die SPD betrachtete die "Wiedervereinigung" als oberste Priorität und verwendete ihre Interpretation des 17. Juni als politische Waffe gegen Adenauer. Die CDU deutete den 17. Juni als Bestätigung ihrer Politik der Westintegration. Die unterschiedlichen Ausdeutungen spiegelten sich auch in den Bundestags-Gedenkreden wider. In den Jahren von 1954 bis 1967/68 waren sie vor allem Ausdruck des Kalten Krieges. Sie folgten der US-Konzeption des "Zurückrollens des Kommunismus", in der für die DDR keine Zukunft vorgesehen war.

Obgleich es in jeder Rede Nuancen gab, darf wohl ein Satz des Historikers Theodor Schieder, der 1964 die Laudatio auf die "Helden des 17. Juni" hielt, als roter Faden solcher Auftritte in den ersten zehn Jahren nach den Ereignissen gelten. Er sagte: "Es muß dabei bleiben: Die deutsche Teilung hat keine Wahrheit in der deutschen Geschichte und in der Geschichte Europas, sie ist eine von außen auferlegte Last. Sie darf sich daher auch keine Wahrheit durch Gewohnheit, Nachlässigkeit, durch Anpassung an äußeren Zwang oder durch Resignation erborgen." Schieder zufolge widersprach die Existenz der DDR also der "historischen Wahrheit". Als er diese Rede hielt, war die Losung von Brandt und Bahr "Wandel durch Annäherung" schon in die Welt gesetzt. Nach der großen Koalition kam die Brandt-Regierung zustande. Die friedliche Koexistenz zwischen beiden deutschen Staaten wurde auf die Tagesordnung der Geschichte gesetzt.

Mit der Ära Brandt begann eine neue Phase der Wahrnehmung des 17. Juni. Die Friedenssicherung hatte Vorrang vor der Forderung nach staatlicher Einheit. 1968, am 15. Jahrestag des "Volksaufstandes", fand kein Festakt statt. Am 17. Juni 1969 trat Walter Scheel dafür ein, den "staatlichen" oder "quasi-staatlichen Charakter" der DDR anzuerkennen.

1973 gab es erneut keine Gedenkveranstaltung. 1974 konnten sich Regierung und Opposition über die Gestaltung nicht einigen, und auch in den Folgejahren fielen die Reden aus unterschiedlichen Gründen wiederholt ins Waser. Der Streit, ob und wie die Gedenkveranstaltungen weitergeführt werden sollten, spitzte sich zu. Das widerspiegelte sich auch in den Reden von Wolfgang Mischnik (1975) und Helmut Schmidt (1977). Schmidt bemängelte, das Pathos der Reden der früheren Jahre habe bei Jüngeren eher zu Gleichgültigkeit geführt. In den 80er Jahren aber kam es dann zu einer "Renaissance".

Als der Präsident des Bundesverfassungsgerichts und spätere Bundespräsident Roman Herzog eine Variante fand, die Erfolge der DDR einzugestehen, aber als "systemfern" zu interpretieren, ergab sich eine neue Nuance. Herzog erklärte u. a.: "Natürlich ist die DDR heute kein stalinistischer Staat mehr, natürlich gibt es heute dort die oft zitierte Identifikation mit dem Staat - wenn auch nicht mit dem System -, und das kann ja, wenn man vernünftig denkt, auch gar nicht anders sein. Die Deutschen in der DDR betrachten diesen Staat, seinen bescheidenen Wohlstand und seine Rolle in der Welt als ihre eigene Leistung, auf die sie mit Recht stolz sein können, schon deshalb, weil ihr politisches System den Aufstieg anders als das unsere nicht gefordert, sondern ständig behindert hat. Sie hatten es also schwerer als wir, und entsprechend größer ist auch ihre Genugtuung über das, was sie geschaffen und geleistet haben." Hat dieser Mann im höchsten Staatsamt der BRD je ähnliches gesagt?

1989 war Erhard Eppler, der an der Erarbeitung des Dialog-Papiers führend teilgenommen hatte, der Festredner. Er plädierte dafür, die Frage des künftigen Verhältnisses beider deutscher Staaten vom Begriff der "Wiedervereinigung" zu trennen. Er forderte vor dem Bundestag, die Situation so anzuerkennen, wie sie sei und die Existenzberechtigung der DDR nicht in Frage zu stellen. Eppler wandte sich zugleich gegen den Begriff vom "Verrat an der Einheit des Landes". Adenauer habe nicht die deutsche Einheit und Brandt nicht die deutschen Ostgebiete verraten. Der Applaus aller Fraktionen des Bundestages war ihm sicher.

Die Rechtsaußen-Politiker Alfred Dregger und Wolfgang Bötsch gratulierten Eppler. Dessen Rede am 17. Juni 1989 hätte in der DDR die Alarmglocken läuten lassen müssen, forderte Eppler doch dazu auf, darüber nachzudenken, "was in Deutschland geschehen soll, wenn der Eiserne Vorhang rascher als erwartet durchrostet".

Den Schlußpunkt der Bundestagsreden zum 17. Juni setzte 1990 Manfred Stolpe. Er sah den Herbst 1989 in der Kontinuität des 17. Juni und als dessen siegreiche Krönung. Damit schließt sich der Kreis.

Fazit: Das Spektakel um den 17. Juni hat zur "Staatsintegration" der BRD-Bürger auf antikommunistischer Grundlage beigetragen, was dadurch erleichtert wurde, daß die herrschende Ideologie aus der Zeit vor 1945 nicht überwunden werden mußte. Es hat westlich der Elbe deren Identifizierung mit dem politischen System gefördert, indem man den Medienkonsumenten die vermeintliche Alternative Demokratie oder Diktatur, Freiheit oder Sozialismus suggerierte. Es hat dazu geführt, kritische Stimmen zu isolieren und auszuschalten, "Massenloyalität und Stabilitätssicherung" zu befördern.

Die DDR existiert - rechnet man die Zeit bis zum 18. März 1990 - seit über 24 Jahren nicht mehr, wohl aber gibt es Zeitzeugen, die den 17. Juni 1953 noch selbst erlebt haben, auf dieser wie auf jener Seite der "Barrikade". Die Organisatoren des Getöses um den 17. Juni sollten bedenken: Die "Opposition" von 1953 war eine lautstarke Minderheit, nicht aber "das Volk". Solches galt auch für den Herbst 1989, obwohl die Minorität mit Hilfe westdeutscher Medien auch diesmal als "das Volk" deklariert wurde.

Am 17. Juni 2010 hielt Gesine Schwan (SPD) die Gedenkrede. Sie fragte: "Steht uns im vereinigten Deutschland ein neuer 17. Juni bevor? Sicher nicht. Doch daß es unter der Oberfläche gärt, kann keiner abstreiten." Die Politikerin fügte hinzu: "Ein Gefühl der Ohnmacht und der Ungerechtigkeit hat sich in unserer Demokratie ausgebreitet." "Die deutsche Geschichte geht weiter", titelte Richard von Weizsäcker eines seiner Bücher. Zu ihr gehören auch Erbe und Vermächtnis der DDR.

Prof. Dr. Horst Schneider

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Paradigmenwechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik der BRD

"Neue Macht, neue Verantwortung". Diese Überschrift trägt ein Papier, in dem die Elemente einer qualitativ veränderten Außen- und Sicherheitspolitik der BRD formuliert sind. Den politischen und militärischen Verantwortungsträgern lag es bereits im Oktober 2013 vor. Der Öffentlichkeit wurde es erst bekannt, als Bundespräsident Gauck in seiner Eröffnungsrede auf der Münchener Sicherheitskonferenz am 31. Januar 2014 wesentliche Aussagen daraus vortrug. Das Papier wurde von der "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP) - einem "Think Tank" der Bundesregierung - und dem "German Marshall Fund of the United States" (GMF) ausgearbeitet. Auf 48 Seiten findet man trotz einer wohl beabsichtigten sprachlichen Verschleierung in aller Deutlichkeit die nunmehr herrschenden neuen Auffassungen zu den folgenden vier Schwerpunkten: Deutschland und die internationale Ordnung; Deutschland und Europa; Deutschland und seine strategischen Beziehungen; Deutschland und die internationale Sicherheit.

Man könnte es auch kurz formulieren: "Deutschland, Deutschland über alles (oder: allen)!"

Der Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung, Markus Kaim, der an der Ausarbeitung des Papiers maßgeblich beteiligt war, faßte den Inhalt in einem Beitrag in der "Neuen Zürcher Zeitung" vom 11. März so zusammen: Es gehe um eine aktive und entschlossene Außenpolitik, um neue Prioritäten, die von der Nachfrage aus anderen Märkten und dem Zugang zu internationalen Handelswegen und Rohstoffen bestimmt würden. Das Ziel bestehe darin, die jetzige Ordnung zu erhalten, zu schützen und weiterzuentwickeln.

Bereits in der Einleitung des Papiers ist zu erfahren, daß Deutschland künftig öfter und entschiedener "führen" müsse. Das ergebe sich auch daraus, daß das Engagement der USA selektiver und ihr Anspruch an Partner höher sein werde. Aus der deutlichen Entscheidung Washingtons, sich auf den asiatisch-pazifischen Raum zu konzentrieren, leite sich die neue Rolle Deutschlands in Europa, im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika ab. Irgendwie erinnert das an einen Slogan aus vergangenen Zeiten: "Germans to the front!"

Umschrieben wird das in dem Papier mit einer notwendigen maritimen Strategie, die ein aktives, auch militärisches Krisenmanagement erfordere.

Der Sprachstil des Papiers macht es dem Leser nicht leicht, aus glatten eingängigen Formulierungen den jeweiligen Kern zu erfassen. Nehmen wir ein Beispiel: "Die Strahlkraft des westlichen Modells beruht auch darauf, daß es zu Hause entschlossen verteidigt wird." Daraus kann man zunächst alles oder nichts entnehmen. Weiter hinten heißt es dann aber: "Deutsche Außenpolitik wird sich weiterhin der gesamten Palette der außenpolitischen Instrumente bedienen, von der Diplomatie über die Entwicklungs- und Kulturpolitik bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt." Das ähnelt der Rhetorik des Kalten Krieges, als der militärische Faktor das bestimmende Element der Politik war.

Mein Fazit: Mit diesem Papier wurde ein Paradigmenwechsel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik vollzogen. Er bedeutet: Weg von der bisher geübten Zurückhaltung und dem Bestreben, sich in die Gemeinschaft der Verbündeten einzuordnen, hin zu einer Vorreiterrolle nicht nur in der EU, sondern auch darüber hinaus. Wie die Völker unserer Nachbarstaaten diesen Wandel aufnehmen werden, bleibt abzuwarten. Man kann sich nicht vorstellen, daß sie schon vergessen haben, was Deutschland im vergangenen Jahrhundert in Europa und anderswo angerichtet hat.

Bernd Biedermann, Berlin

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Hindenburg blieb Ehrenbürger der Hauptstadt der BRD

Eine Schande für Berlin

In seinem Beitrag "Kopf einer braunen Schlange" (RF, Nr. 194) weist Jobst-Heinrich Müller darauf hin, daß Schulen, Straßen und Plätze weiter nach dem ersten niedersächsischen Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf benannt bleiben - wegen "seiner Verdienste um den Aufbau des Landes Niedersachsen".

Vorher hatte er sich als Generalbevollmächtigter der Treuhand Ost im besetzten Polen "Verdienste" bei der Verhökerung des Eigentums ermordeter oder verfolgter Juden oder Polen und bei der "Entjudung" und "Eindeutschung" erworben.

Das gibt Anlaß, an einen anderen "verdienstvollen" Mann zu erinnern, der die deutsche Geschichte im vergangenen Jahrhundert noch weit mehr negativ beeinflußt hat: Paul von Beneckendorff und von Hindenburg. Dieser hatte allerdings keine Gelegenheit, noch beim Aufbau der Bundesrepublik Deutschland mitzuwirken.

Er starb bereits am 2. August 1934 im Alter von fast 87 Jahren. Bis dahin hatte er viel Unheil über Deutschland gebracht. Aber in Berlin gibt es immer noch einen Hindenburgdamm und einen Hindenburgplatz. Und viel schlimmer noch: Der Erzmilitarist ist sogar weiterhin Ehrenbürger der Hauptstadt der BRD. Dabei stand er bereits 1918 auf der Kriegsverbrecherliste der westlichen Alliierten ganz weit oben.

Immerhin gab es einen Antrag der Grünen, den Status des berüchtigten Mannes zu ändern. Am 27. März 2003 stimmten aber im Berliner Abgeordnetenhaus SPD, CDU und FDP dafür, daß Hindenburg Ehrenbürger bleibt. PDS und Grüne waren dagegen. Die Forderung, Hindenburg aus der Ehrenbürgerliste zu streichen, ging davon aus, daß dieser als Reichspräsident der faschistischen Diktatur den Weg geebnet und dadurch den von ihm geschworenen Eid auf die damals noch geltende Weimarer Verfassung in vielfacher Weise gebrochen hat. Er sei mitverantwortlich für alle Folgen dieser Diktatur, für Gewaltherrschaft und Aggression, für die Ermordung Tausender Berliner Bürger in den Vernichtungslagern, für den Tod großer Teile der hauptstädtischen Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg und die Zerstörung Berlins.

Unter anderem wurde von den Grünen auf die "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" (28. Februar 1933) verwiesen, durch die Hindenburg mit seiner Unterschrift eine Reihe der wichtigsten Verfassungsbestimmungen außer Kraft setzte.

Die Grünen und die PDS hatten damit gerechnet, daß der Antrag problemlos von einer Mehrheit des Abgeordnetenhauses angenommen würde. Doch das war ein Irrtum. Denn anstelle von Hans-Georg Lorenz vom linken Donnerstagskreis, der ursprünglich für die SPD als Redner zu diesem Punkt der Tagesordnung vorgesehen war, begründete Walter Momper, Präsident des Abgeordnetenhauses, warum man Hindenburg nicht aus der Liste streichen dürfe. Dieser sei zwar eine widersprüchliche Gestalt, weil er Hitler berufen habe, aber auch eine historische Persönlichkeit, die man in ihrer Zeit sehen müsse. Auf die üblen Gesetze und Notverordnungen, die Hindenburg nach der Errichtung der faschistischen Diktatur unterschrieben hatte, ging Momper mit keinem Wort ein. Statt dessen versuchte er zu erläutern, daß dieser in den sieben Jahren seiner ersten Präsidentschaft absolut "legalistisch und demokratisch" gehandelt habe.

Wie Momper zu der Aussage kommen konnte, Hindenburg habe in dieser Zeit ohne Notverordnungen regiert, ist unerfindlich. Das traf nämlich nur für die Periode von 1925 bis 1929 zu. Bereits am 16. Juli 1930 unterschrieb der Reichspräsident die erste Notverordnung der Brüning-Regierung. 1930 standen dann den 52 vom Reichstag verabschiedeten Gesetzen fünf Notverordnungen gegenüber. 1931 war das Verhältnis schon 41:19 und 1932 sogar 60:5.

Als Hindenburg 1925 Präsidentschaftskandidat wurde, stellte die SPD völlig richtig fest, daß das eine Gefahr für den Frieden sei und diese Wahl maßloses Unglück über das deutsche Volk bringen werde. Sieben Jahre später rief dieselbe SPD dazu auf, Hindenburg als das kleinere Übel im Vergleich zu Hitler zu wählen. Die KPD mahnte damals vorausschauend: "Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg!"

Schlimmer noch als Momper trat der CDU-Abgeordnete Andreas Apelt auf. "Was wäre 1932 eigentlich geworden", fragte er, "wenn Hitler die Wahl gewonnen hätte und nicht ein starker Kandidat wie Hindenburg angetreten wäre - übrigens unterstützt von vielen demokratischen Parteien?" Recht hatte Apelt mit der Feststellung, daß Nazis und Kommunisten im Reichstag 1932 zusammen die absolute Mehrheit besaßen. Seine in diesem Zusammenhang gestellte agitatorische Frage entbehrt indes nicht der unfreiwilligen Komik: "Stellen Sie sich vor, wir säßen in einem Parlament, in dem die stalinistischen Kommunisten um Thälmann und die Nazis um Hitler die absolute Mehrheit haben. Wie wollen Sie da regieren?" Daß Hindenburg am Ende mit den Stimmen von SPD und CDU Ehrenbürger blieb, ist eine Schande für Berlin!

Dr. Kurt Laser

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Am 3. Juni 1919 wurde Eugen Leviné in München hingerichtet

Bannerträger der Bayerischen Räterepublik

Das von der Konterrevolution installierte und beauftragte Gericht verkündete am 3. Juni 1919 ein Todesurteil. Offensichtlich aber waren sich die fünf Juristen nicht sicher, ob sich dieses mit Recht und Gesetz in Übereinstimmung bringen ließ. Deshalb legten sie es der bayerischen Regierung vor. Deren Entscheidung wurde in einem amtlichen Protokoll festgehalten: "Der Ministerrat des Freistaates Bayern hat in der Sitzung vom 4. Juni 1919 beschlossen: Das auf Todesstrafe lautende Urteil des standrechtlichen Gerichts München gegen Dr. Eugen Leviné, geboren am 10. Mai 1883 in Petersburg, Schriftsteller, zuletzt in München, ist zu vollstrecken." Die neun Unterzeichner waren allesamt Minister und Staatsfunktionäre der seit dem 12. Januar im Amt befindlichen SPD-Regierung. Ministerpräsident Johannes Hoffmann drückte sich vor dem Votum, indem er kurzfristig eine Besuchsreise in die Schweiz antrat. Wer war Eugen Leviné?

Geboren wurde er am 10. Mai 1883 in St. Petersburg als Sohn einer vermögenden Kaufmannsfamilie. Der Vater Julius hieß ursprünglich Levin, hatte aber als Jude keinen Zugang zu höchsten Kreisen in der damaligen russischen Hauptstadt. Deshalb nahm er die italienische Staatsbürgerschaft an und änderte seinen Namen in Leviné. Seine Familie verehrte alles Deutsche, sprach deutsch und pflegte deutsche Kultur. Nach dem frühen Tod des Vaters zog die Mutter mit den Kindern nach Heidelberg, wo Eugen seiner Klassenzugehörigkeit entsprechend erzogen wurde: Privatschule, Kunst-, Musik- und Tanzunterricht. Mit 20 nahm er an der Heidelberger Universität das Jurastudium auf. Hier traf er auf russische Kommilitonen, die sich politisch als Sozialrevolutionäre und Gegner des Zaren verstanden. Mit ihnen ging er 1905 zurück nach Petersburg, um sich der Revolution anzuschließen. Er trat der Partei der Sozialrevolutionären bei und stellte sich ihr als Propagandist und Waffentransporteur zur Verfügung. 1907 erwischte ihn die zaristische Geheimpolizei Ochrana, die ihn so brutal folterte, daß er Monate im Hospital zubringen mußte. Vor der Vollstreckung der gegen ihn verhängten Gefängnisstrafe bewahrte ihn seine Mutter, die Beamte bestach und eine Kaution zahlte.

Wieder in Heidelberg, setzte er das Studium - nun im Fach Nationalökonomie - fort. 1912 promovierte er. In dieser Zeit erwarb er die deutsche Staatsbürgerschaft und trat 1909 in die SPD ein. Hier sah er seine Aufgabe darin, Arbeitern und Mitgliedern proletarischer Jugendorganisationen die sozialistische Politik zu erläutern. Inzwischen konsequenter Marxist, schloß er sich 1913 in Berlin dem linken Flügel der SPD an. Angesichts der heraufziehenden Kriegsgefahr wurde er zum entschiedenen Gegner des imperialistischen Völkermordens. Er machte die Antikriegspolitik der Linken zu einem Hauptthema seiner Reden und Artikel.

Das bewahrte ihn allerdings nicht davor, 1916 selbst zum Militär eingezogen zu werden. Wegen seiner schwachen Gesundheit mußte er nicht an die Front. Man setzte ihn als Dolmetscher in einem Gefangenenlager für russische Offiziere ein. Da er auch dort politisch agitierte, entließ man ihn bald. Der Lagerkommandant verabschiedete ihn mit den Worten: "Wir haben von Ihrer revolutionären Vergangenheit erfahren und können Sie unmöglich in dieser Stellung belassen. Es gibt Sozialisten und Sozialisten. Manchen geht es um das Glück ihres eigenen Landes und sie tun alles zur Unterstützung des Krieges. Sie aber sind ein Weltbeglücker. Sie streben nach dem Glück der ganzen Menschheit - und das ist sehr gefährlich."

Dem preußisch-deutschen Militarismus entronnen, arbeitete Eugen Leviné zunächst als Universitätsdozent in Heidelberg. Anfang 1918 trat er in die Dienste der sowjetrussischen Botschaft und der Nachrichtenagentur ROSTA. Als am 9. November in Deutschland die Revolution begann, wurde er als Mitglied des Spartakusbundes zu einem ihrer maßgeblichen Führer.

Vorwiegend im Ruhrgebiet tätig, suchte er, die Arbeiter zu mobilisieren. Der Essener Arbeiter- und Soldatenrat delegierte ihn als seinen Vertreter zum Reichsrätekongreß, der im Dezember in Berlin stattfand.

Am Jahresende gehörte er zu den Mitbegründern der KPD, und während der Januarkämpfe 1919 leitete er als Chefredakteur den vorübergehend von Revolutionären herausgegebenen "Vorwärts". Angesichts der massiven Konterrevolution warnte er: "Und wir sind der Ansicht, daß Ebert mindestens ebenso bereit ist, auf Mutter und Vater schießen zu lassen wie Wilhelm von Hohenzollern."

Noskes Mörderbanden in Berlin entkommen, ging Eugen Leviné unter dem Pseudonym "Nissen" Anfang März 1919 auf Weisung der Partei nach München. In der bayerischen Hauptstadt war die Revolution noch nicht niedergeschlagen worden. Obwohl dort seit Januar eine gewählte sozialdemokratische Staatsregierung existierte, bestimmten in München Arbeiter und Soldaten im Bunde mit bürgerlichen Demokraten die Politik. Leviné sollte helfen, eine kommunistische Parteiorganisation aufzubauen und die Parteizeitung "Münchner Rote Fahne" leiten.

Als die Sozialdemokraten am 7. April in Täuschungsabsicht eine "Räterepublik" ausriefen, warnten Leviné und die KPD vor diesem Konstrukt. Erst als die Reaktion in der Nacht vom 12. zum 13. April durch einen Militärputsch die alte Ordnung wieder herstellen wollte, proklamierten die revolutionären Kräfte ihre Räterepublik, an der sich die Kommunisten aktiv beteiligten. Die Arbeiter- und Soldatenräte wählten einen Aktionsausschuß und einen Vollzugsrat mit Eugen Leviné an der Spitze.

In Abstimmung mit Reichspräsident Ebert und Noske setzte die aus München nach Bamberg geflohene Staatsregierung zahlenmäßig weit überlegene und schwer bewaffnete Reichswehrtruppen sowie faschistoide Freikorps in Marsch, welche die bayerische Rote Armee in schweren Kämpfen besiegten und die Räterepublik am 3. Mai grausam niederschlugen.

Am 13. Mai fiel Eugen Leviné den Häschern in die Hände. Für ein Kopfgeld von 10.000 Reichsmark wurde er aufgespürt und verraten. In dem gegen ihn inszenierten Prozeß verteidigte er die Politik der KPD und seine eigene revolutionäre Überzeugung mit einer großartigen Rede.

Alle Versuche, auch von Persönlichkeiten aus dem bürgerlichen Lager, die Vollstreckung der Todesstrafe abzuwenden, blieben erfolglos. Ein Gnadengesuch wurde von der SPD-Reichsregierung nicht bearbeitet. Am 3. Juni 1919 starb Eugen Leviné mit dem Ruf: "Es lebe die Weltrevolution!" im Zuchthaus München-Stadelheim unter den Kugeln eines Erschießungskommandos.

Günter Freyer

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Ein großer Strafverteidiger zieht Bilanz

Jürgen Kuczynski nannte einst eine pointierte Darstellung seiner wesentlichsten Erlebnisse "Kurze Bilanz eines langen Lebens". Das hätte auch der Titel des Buches von Friedrich Wolff sein können. Er nannte es statt dessen "Ein Leben - Viermal Deutschland". Auch er zieht das Fazit aus neun Jahrzehnten und hat dabei viel zu berichten. 1922 in Berlin als Sohn eines jüdischen Arztes geboren, schildert er seine Kindheit und die besondere Bindung zum Vater, wobei er auch der Mutter hervorragende Eigenschaften bescheinigt. Die ersten Schuljahre erlebt er in Kreuzberg. Der kleine Fritz interessiert sich vor allem für Karl May.

Nachdem die Hitlerfaschisten die Macht an sich gerissen hatten, wurde die von ihnen ausgehende Bedrohung bald sehr konkret. "Am 1. April 1933 standen SA-Männer vor der Praxis meines Vaters. Sie forderten auf Schildern, nicht zum jüdischen Arzt zu gehen. Mein Vater hatte mich an diesem Morgen in die Praxis mitgenommen. ... Es war Anschauungsunterricht."

Zwei Jahre später stirbt der Vater mit 60 Jahren. 1939 beginnt Hitler seinen Raubkrieg, der Millionen Tote fordern wird. Friedrich Wolff übersteht die folgenden Jahre. Er arbeitet in einer Treuenbrietzener Metallwarenfabrik. Bei Kriegsende wird er arbeitslos und ist nachhaltig von den Bombenangriffen der letzten Wochen gezeichnet.

"Nie wieder ein solches Gemetzel!" lautet nun sein Motto. Er meldet sich bei der Antifa-Jugend und zieht dort kräftig mit. Im Juli 1945 tritt er der KPD bei. Nach Wiedereröffnung der Berliner Universität beginnt Friedrich Wolff im Jahr darauf ein Jurastudium. Dabei stößt er auf anerkannte Rechtswissenschaftler, die ihn stark beeindrucken. Von Peter Alfons Steiniger lernt er, daß das Deutsche Reich durch Vernichtung im Krieg untergegangen ist - eine Auffassung, die noch heute von führenden Politikern und Juristen der BRD, die diese als Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches betrachten, empört zurückgewiesen wird.

1949 ist Wolff zunächst als Hilfsrichter, ein Jahr später bereits als Beisitzer einer Großen Strafkammer am Landgericht Berlin tätig. Anschließend wirkt er an der Berliner Richterschule und in der Justizabteilung des Magistrats. Als 1953 die Rechtsanwaltskollegien entstehen, gehört er zu den ersten, die einem solchen Gremium angehören. Von 1954 bis 1970, später von 1984 bis 1988 und dann auch noch 1990 ist er Vorsitzender des Berliner Kollegiums.

Vor allem als Strafverteidiger wird Friedrich Wolff in zahlreichen Verfahren tätig. Zu seinen Mandanten gehört auch Walter Janka.

Bei den in Abwesenheit der Angeklagten durchgeführten Prozessen vor dem Obersten Gericht der DDR gegen Adenauer-Berater Hans Globke, den Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, und den Bonner Naziminister Theodor Oberländer ist er deren Pflichtverteidiger. Keine leichte Aufgabe für einen Kommunisten. Andererseits steht er dem "engsten Brandt-Vertrauten" Günter Guillaume zur Seite, als der enttarnte DDR-Kundschafter von der BRD-Justiz strafrechtlich verfolgt wird.

Friedrich Wolffs Buch besticht durch seine schonungslose Offenheit, Detailtreue und Wahrheitsliebe. Dabei gewährt der Autor Einblicke in sein Familienleben, wie man das selten findet. Gerade das macht Wolffs Darstellung aber so glaubhaft.

Parallel zu seiner persönlichen und beruflichen Entwicklung bezieht der prominente Jurist immer zum aktuellen Geschehen und zu gesellschaftlichen Konflikten Stellung.

Bekannte Namen aus Politik und Kultur in seinem Umfeld lassen erkennen, daß sich Friedrich Wolff weithin hohen Ansehens erfreut. Das hat sicher noch dadurch gewonnen, daß er Anfang der 80er Jahre die populäre Fernseh-Ratgeber-Sendung "Alles was Recht ist" übernimmt, die bis 1990 von ihm moderiert wird.

Seit dem negativen Wendepunkt der deutschen und internationalen Geschichte verteidigt er seine standhaft gebliebenen und durch die bundesdeutsche Justiz strafrechtlich verfolgten Genossen. Er ist der Anwalt von Erich Honecker, von Hermann Axen und Werner Krolikowski. In anderer Sache steht er Hans Modrow zur Seite. Bei all dem sammelt Friedrich Wolff - inzwischen in den 60ern - neue Erfahrungen mit der Gerichtsbarkeit jenes kapitalistischen deutschen Staates, der sich als Rechtsstaat betrachtet. Aus dessen Umgang mit den Hoheitsträgern der DDR erfährt er, wie das Recht systematisch gebrochen wird.

Wolffs Resümee: "So habe ich viermal Deutschland erlebt. ... Die DDR war mir das liebste der vier Deutschländer. Sie führte keinen Krieg, ihre Soldaten standen nicht vor Moskau oder in Stalingrad, sie wurde auch nicht am Hindukusch verteidigt. Juden oder Ausländer wurden in der DDR nicht diskriminiert, Arbeitslose gab es nicht. In ihr sah man keine Obdachlosen, gab es kein Hartz IV. Konzernherren ... existierten nicht. Man lebte einfach als Gleicher unter Gleichen ... Ich bin zufrieden mit meinem Leben und setze weiter auf den Sozialismus."

Rechtsanwalt Ralph Dobrawa


Friedrich Wolff: Ein Leben - Viermal Deutschland. Erinnerungen: Weimar, NS-Zeit, DDR, BRD. PapyRossa-Verlag, Köln 2013, 248 Seiten, 15 €

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Blasen in Knabes Wunderhorn

Die "Märkische Oderzeitung" - unser Regionalblatt - blies einmal mehr in Knabes Wunderhorn, als sie "politische DDR-Häftlinge" aufs Podest hob. In der Tat gab es Personen, die dafür bestraft wurden, gegen geltendes DDR-Recht zum Schutz der sozialistischen Ordnung verstoßen zu haben. Auch in der BRD stehen bestimmte Angriffe auf den Staat bekanntlich unter Strafe.

In den DDR-Gefängnissen habe es "Zwangsarbeit" gegeben, behauptete die MOZ.

Gefangene (auch politische) arbeiteten dort nicht für private Unternehmen oder in kapitalistisch betriebenen Gefängnissen, die in den USA längst dominierend sind und inzwischen auch in der BRD Einzug gehalten haben. Das Recht auf Arbeit war jedem DDR-Bürger, auch einem inhaftierten, durch die Verfassung garantiert.

Es konnte aber nicht immer in Haftanstalten verwirklicht werden, so daß 65 % der Strafgefangenen unter gleichen Lohn-, Arbeitszeit-, Arbeitsschutz- und Gesundheitsbestimmungen wie freie Arbeiter in volkseigenen Betrieben beschäftigt wurden. Diese bezahlten Arbeitseinsätze trugen maßgeblich zur Resozialisierung Verurteilter bei. Die Strafgefangenen erhielten ihren vollen Arbeitslohn - wie auch in anderen Ländern - indes nicht ausgezahlt. Den überwiegenden Teil behielt der Staat als Kompensation für Unterbringung, Verpflegung, medizinische Betreuung und Sicherstellung ein. Der inhaftiert Arbeitende bekam 18 % des Nettolohnes eines vergleichbaren freien Arbeiters, Jugendliche 35 % des Lehrlingsentgelts als Vergütung. Zuschläge für Nachtschichten oder gesundheitsgefährdende Tätigkeiten sowie Prämien wurden voll ausgezahlt. Den Angehörigen wurden zur Sicherung des Unterhalts der Kinder von Strafgefangenen monatlich entsprechende Summen durch die Strafvollzugsanstalt überwiesen, auch wenn der Unterhaltspflichtige nicht leistungsfähig war.

Während der Dauer der Haftarbeit war der Gefangene kranken- und rentenversichert. In der BRD kümmert sich die Vollzugseinrichtung nicht um Unterhaltsansprüche. In Unfall- und Arbeitslosenversicherung sind die Betreffenden minimal einbezogen, nicht aber in Kranken- und Rentenversicherung. Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle erfolgt nicht.

Cornelia Noack

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Päpstliche Botschaft prangert Ausbeutung und Unterdrückung an

Franziskus spricht Klartext

In seiner Botschaft "Evangelii gaudium" bezieht Papst Franziskus zu brennenden sozialen Problemen Stellung. Sie geht in vieler Hinsicht von den tatsächlichen Zuständen und Verhältnissen aus und wird neueren Erkenntnissen gerecht.

Als "Einige Herausforderungen der Welt von heute" werden u. a. folgende Themen benannt: "Nein zu einem Geld, das regiert statt zu dienen", "Nein zur sozialen Ungleichheit, die Gewalt hervorbringt". Generell wird als Ausgangspunkt "die Ermahnung zu uneigennütziger Solidarität und zu einer Rückkehr von Wirtschaft und Finanzleben zu einer Ethik zugunsten des Menschen" angesagt.

Doch der Papst bleibt nicht bei Verallgemeinerungen stehen. Er wird konkreter. Um seine Position deutlich zu machen, soll ihm selbst das Wort erteilt werden. Vor allem geht es dabei um fundamentale Aussagen zur Problematik Ausbeutung und Armut.

Eine Maxime zur Einleitung: Für den Umgang mit der Informationsgesellschaft und ihrer Datenfülle von "erschreckender Oberflächlichkeit" wird erkannt, daß eine Erziehung notwendig ist, "die ein kritisches Denken lehrt und einen Weg der Reifung in den Werten bietet". In dieser Herangehensweise an die Problembearbeitung werden gewisse Ähnlichkeiten zu linken Positionen sichtbar.

Aber wenden wir uns dem Felde zu, das sowohl die Kirche als auch Linke, soweit sie sich noch zu den Marxschen Grundthesen bekennen, besonders interessieren dürfte. Im Abschnitt "Wirtschaft und Verteilung der Einkünfte" der päpstlichen Schrift wird der Kern der Problematik ins Auge gefaßt.

"Die Notwendigkeit, die strukturellen Ursachen der Armut zu beheben, kann nicht warten ... Solange die Probleme der Armen nicht von der Wurzel her gelöst werden, indem man auf die absolute Autonomie der Märkte und die Finanzspekulation verzichtet und die strukturellen Ursachen der Ungleichverteilung der Einkünfte in Angriff nimmt, werden sich die Probleme der Welt nicht lösen und kann letztlich überhaupt kein Problem gelöst werden. Die Ungleichverteilung der Einkünfte ist die Wurzel der sozialen Übel."

Dieser Absatz ist in vielerlei Hinsicht von besonderer Bedeutung: Die Prägnanz der Forderung bezeugt offensichtlich den Willen des Papstes, dieses Thema zu einer erstrangigen Aufgabe der ökonomischen Politik des Vatikans zu machen.

Vom Inhalt her kommen die Aussagen ihrem Wesen nach dem nahe, was Marxisten mit dem System "Akkumulation - Mehrwert - Ausbeutung" formulieren. Ein beachtlicher Grad an Übereinstimmung ist da nicht zu übersehen.

Die Thematik wird im Schreiben des Papstes auch noch variiert behandelt: "Erinnern wir uns auch, mit welcher Überzeugung der Apostel Jakobus das Bild des Schreies der Unterdrückten aufnahm: Der Lohn der Arbeiter, die eure Felder abgemäht haben, der Lohn, den ihr ihnen vorenthalten habt, schreit zum Himmel ..."

Es wird deutlich, daß Franziskus in erster Linie den Menschen im Blick hat, den Arbeiter, den Lohnempfänger. Das ist eine erfreuliche Hinwendung zu den wichtigsten Akteuren der Gesellschaft. Und wiederum läßt den Papst das Thema nicht los. Mit Hartnäckigkeit verfolgt er sein erstes Anliegen: Solidarität ist der Schritt zur Gemeinsamkeit. Franziskus schreibt: "... die Solidarität ist eine spontane Reaktion dessen, der die soziale Funktion des Eigentums und die universale Bestimmung der Güter als Wirklichkeiten erkennt, die älter sind als der Privatbesitz. Der private Besitz von Gütern rechtfertigt sich dadurch, daß man sie so hütet und mehrt, daß sie dem Gemeinwohl besser dienen: Deshalb muß die Solidarität als die Entscheidung gelebt werden, dem Armen das zurückzugeben, was ihm zusteht. Wenn diese Einsichten und eine solidarische Gewohnheit uns in Fleisch und Blut übergehen, öffnen sie den Weg für weitere strukturelle Umwandlungen und machen sie möglich. Eine Änderung der Strukturen, die hingegen keine neuen Einsichten und Verhaltensweisen hervorbringt, wird dazu führen, daß eben diese Strukturen früher oder später korrupt, drückend und unwirksam werden."

Soweit die Problematik "Armut - gerechte Löhne". Das wiederholte Aufgreifen dieser Forderung zeigt, daß ihr der Papst eine sehr hohe Wertung beimißt. Neben dem intensiv bearbeiteten Komplex des gerechten Lohnes für die arbeitenden Menschen werden im Schreiben auch andere soziale Themen aufgegriffen. Als Beispiel sei hier nur die internationale Bedeutung erlangende Frage nach der Umverteilung der Ressourcen der Erde genannt. Die päpstlichen Überlegungen hierzu beginnen mit dem Erinnern daran, daß "der Planet der ganzen Menschheit gehört und für die ganze Menschheit da ist". Franziskus schlußfolgert: "Die am meisten Begünstigten müssen auf einige ihrer Rechte verzichten, um mit größerer Freigebigkeit ihre Güter in den Dienst der anderen zu stellen."

Resümee: Das Schreiben des Papstes erfaßt die Lage der meisten Völker der Welt. Es bedeutet eine moralische Stärkung jener Kräfte, die das Wohl der arbeitenden Menschen als ihr oberstes Prinzip betrachten. Um Wirkungen in die Gesellschaft hinein zu erreichen, bedarf es einer intensiven Debatte über die Realisierbarkeit der päpstlichen Anregungen. Es wird Sache der katholischen Kirche sein, die Überlegungen ihres Oberhauptes den eigenen Gläubigen nahezubringen. Andererseits gibt es weltweit linke Kräfte, denen die soziale Problematik seit eh und je durch Marx vertraut ist. Nicht alle vertreten dessen Gedankengut heute mit der notwendigen Konsequenz. Doch es gibt immerhin ein beachtliches Potential, das auf der Basis der materialistischen Geschichtsauffassung revolutionäre Erfahrungen und Standfestigkeit einbringt. Seine Kraft und seinen Einfluß weiter zu stärken, ist unsere vorrangige Pflicht.

Gemeinsamkeiten mit anderen Auffassungen zu sozialen Fragen eröffnen neue Möglichkeiten des Dialogs und künftigen Wirkens für gleiche oder ähnliche Ziele.

Heinz Gliemann, Wismar

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Wie örtliche PDL-Funktionäre einen Rüstungsgroßauftrag feierten

Wolgaster "Teufelstanz"

Die etwa 12.000 Einwohner zählende alte Hafenstadt Wolgast in Vorpommern ist durch ein Wandgemälde in der Petrikirche, das als "Der Teufelstanz" bezeichnet wird, weithin bekannt. Unentrinnbar holt der Tod jeden ein, ungeachtet seiner Lebensführung oder gesellschaftlichen Stellung - eine drohend-realistische Aufforderung zur Akzeptanz des mittelalterlichen Glaubens. Es heißt aber auch, "Wer mit dem Teufel tanzt, verfällt der Sünde." Und das ist, so könnte man meinen, auch heute noch nicht von der Hand zu weisen.

Am 2. März erteilte der geheime "Bundessicherheitsrat" mit Frau Merkel und Herrn Gabriel einem 1,5-Milliarden-Euro-Rüstungsexportauftrag mit staatlich garantierter Hermes-Bürgschaft für Saudi-Arabien seinen Segen. Das ist fette Beute für die Bremer Lürssen-Werft, die im Dezember 2013 en passant die P & S-Werften aufgekauft hatte. Zu ihnen gehört die Peenewerft in Wolgast. Sie soll 100 Patrouillenboote an den erzreaktionären Feudalstaat - einen der wichtigsten Bündnispartner des US-Imperialismus im Mittleren Osten - liefern. Damit kann der Klüngel um König Saud, der die Menschenrechte mit Füßen tritt, seine restriktiven Maßnahmen fortan mit noch mehr Waffengewalt auch auf See ausüben und in den Schiffahrtsverkehr vom Suez-Kanal eingreifen. Das Pentagon bezeichnet den 15.000 Mann starken Küsten- und Grenzschutz der Saudis verharmlosend als "paramilitärische Einheiten".

Nach der Washingtoner "Freedom-House"-Skala für politische Rechte und bürgerliche Freiheiten schneidet Saudi-Arabien in der gesamten Region am schlechtesten ab und wird als "völlig unfrei" charakterisiert. Riad finanziert und organisiert seit einigen Jahren die systematische Destabilisierung Syriens und anderer Staaten dieses Teils der Welt.

BRD-Kanzlerin Merkel rechtfertigt die zahlreichen Waffenlieferungen an das üble Regime mit "Sicherheitsinteressen der westlichen Wertegemeinschaft an einem wichtigen Stabilitätsfaktor". Die Grünen-Politiker Roth und Trittin wetterten seinerzeit mächtig dagegen, obwohl ihre Partei in solcherlei Dingen nicht ganz unbefleckt ist. Die SPD sprach zwar von Bedenken und "sorgsamem Abwägen", steht aber voll hinter der Position Gabriels im "Bundessicherheitsrat".

Die Partei Die Linke hält sich bisher in der Öffentlichkeit an die Forderung ihres Erfurter Programms, ein Verbot für Rüstungsexporte in das Grundgesetz aufzunehmen. Selbst ihre "Reformer" spielen in dieser Frage taktisch mit. Der Grund: Nach dem schändlichen Votum solcher Mandatsträger wie Dietmar Bartsch, Stefan Liebich und Roland Claus bei der Bundestagsabstimmung über die BRD-Fregatte - immerhin bevorzugten 35 PDL-Bundestagsabgeordnete trotz Gysis anderslautender Empfehlung ein Nein - will man die Dinge nicht auf die Spitze treiben. Denn in der Öffentlichkeit stellt man die Frage "Weicht die friedenspolitische Position der Linken jetzt auf?"

Schuld an solchen Zweifeln sind außer den Jasagern im Parlament vor allem auch der Stadtverband und die PDL-Ratsfraktion in Wolgast. Sie überschritten sogenannte Haltelinien der eigenen Partei und veröffentlichten eine äußerst unerfreuliche Presseerklärung. Darin begrüßten sie ausdrücklich den milliardenschweren Rüstungsauftrag und suchten die Lieferung der Schiffe an Saudi-Arabien zu rechtfertigen. Es handele sich bei den Patrouillenbooten um keine Kriegswaffen. Sie seien vielmehr nur gegen Terroristen und Piraten einzusetzen. Der Auftrag sichere "die Zukunft junger Menschen in Ausbildung und Arbeit".

Einmal mehr scherte sich eine Sektion der Linkspartei in keiner Weise um die eigene Programmatik und trabte munter Konzepten von CDU, SPD, FDP und AfD hinterher. Und das in einer Region mit besonders vielen Nazistimmen!

In jedem kapitalistischen Land dienen nicht wenige Beschäftigungsverhältnisse den Zielen imperialistischer Strategien, vor allem auch im Bau und Export von Schiffen. Die Arbeiter müssen ohne Auswahlmöglichkeiten zur Sicherung ihrer Existenz fast jede Art von Produktion ungeachtet der oftmals unerfreulichen Zwecke akzeptieren. Das war so in der Weimarer Republik, im Dritten Reich und in der alten BRD. Heute trifft diese für frühere DDR-Bürger völlig neue Situation auf ganz Deutschland zu.

Im Verlauf der Maritimen Konferenz, die am 3. Oktober 2010 in Wismar stattfand, verlangten die Vertreter der IG Metall und der PDL deshalb mit Fug und Recht Konversionsprogramme im technologisch hochwertigen Spezialschiffbau. Dessen Mißbrauch für militärische Zwecke müsse unbedingt verhindert werden.

"Realismus" und "Zurückhaltung" mahnen demgegenüber gewisse PDL-Politiker an, wie das Beispiel Wolgast zeigt. Von anderer Seite wird in der Linkspartei aber betont, daß man nie darauf verzichten dürfe, die Menschen unablässig über die verheerenden Auswirkungen kapitalistischer Rüstungsproduktion und daraus resultierender Waffenexporte aufzuklären. Soziale Defizite seien auf diesem Wege nicht behebbar.

Die Anerkennung der Existenzberechtigung eines menschenverachtenden Systems und seiner Kriegsproduktion ist kein politischer Realismus, sondern Kapitulantentum, das zu Kollaboration und Mitschuld führt. "Wer mit dem Teufel tanzt", wird bald zu seinesgleichen.

Wo liegt die Grenze? Wenn wir darauf verzichten, im Bewußtsein arbeitender Menschen Haltelinien in der Ethik und Vernunft zu ziehen, dann verfallen wir in die Denkweise jener Deutschen im Westen, die nach 1945 zu ihrer Verstrickung in Naziverbrechen erklärten, sie hätten ja schließlich nur ihre Familien ernähren müssen. Da sei ihnen gar nichts anderes übriggeblieben, als in SS, Polizei oder Naziwehrmacht "mitzumachen".

Als Beispiel mag hier Irma Grese genannt sein, die als armes Mädchen vom Lande ihre Chance im NS-Justizvollzugsdienst gesehen hatte. Wegen grausamer Folter von Gefangenen im KZ Bergen-Belsen wurde sie am 14. Dezember 1945 hingerichtet. Zuvor wurden ihr von Gleichgesinnten Briefe mit der Anrede "Mein armes Irmchen" und Pakete mit Cadbury-Schokolade ins Gefängnis geschickt.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Was unsere Enkel für einen neuen Anlauf wissen müssen

Über Höhen und Tiefen der DDR

Mit großem Interesse las ich den Beitrag von Prof. Christa Luft in der RF-Märzausgabe zum Buch der Generaldirektoren Volkseigener Kombinate der DDR "Jetzt reden wir". Das Thema veranlaßt mich zu einer Wortmeldung. Wenn ich heute als 77jähriger an DDR-Zeiten zurückdenke, dann waren das für mich die inhaltsreichsten Lern- und Lebensjahre. Diplom-Ingenieur und SED-Parteihochschulabsolvent, war ich überwiegend als Parteisekretär verschiedener Ebenen im In- und Ausland tätig. Mit der Konterrevolution, die man gezielt als Wende verklärte, wurde zuallererst der Begriff "führende Rolle der Partei" aus den wichtigsten staatlichen und politischen Dokumenten entfernt. Anschließend zerschlug man die SED-Grundorganisationen, vor allem jene in der Wirtschaft, und inszenierte eine Hatz auf deren standhaft gebliebene Mitglieder. Sie verlief parallel zur hysterisch entfesselten "Stasi"-Jagd. Bei alldem nutzte man die Unzufriedenheit der Bürger mit der Führung aus und stieß deshalb auf wenig Gegenwehr.

Letztlich wurde dadurch erreicht, daß sogar viele PDS-Mitglieder Angst davor hatten, sich als Sozialisten oder Kommunisten zu bekennen. Unser Klassenfeind - ich benutze bewußt dieses bei manchen inzwischen verpönte Wort - wußte genau, daß man zuerst die SED zerschlagen und die Sozialismus-Ideen aus den Köpfen der Menschen entfernen mußte.

Mich beschäftigen vor allem die Lehren aus dem Untergang der DDR für einen künftigen neuen Anlauf. Neben der "jungen Welt" wirkt der RF wie ein Leuchtturm, um die Sozialismus-Ideen hochzuhalten. Als sein Leser bin ich dafür dankbar, vor allem aber für die exakten Informationen über den internationalen Klassenkampf.

Inzwischen gibt es mehr Literatur als je zuvor über die DDR. Viele Publikationen widerlegen die Lügen über den sozialistischen deutschen Staat, darunter die These, sie habe von Anfang an eine "verfehlte Wirtschaftsstrategie" verfolgt und sei am Ende pleite gegangen. Biographien verantwortlicher Genossen belegen indes, daß die DDR das eigentliche Wirtschaftswunder gewesen ist. Die vom Verein zur Förderung lebensgeschichtlichen Erinnerns und biographischen Erzählens gemeinsam mit dem Rohnstock-Verlag ergriffene Initiative, bei der sich auch Prof. Christa Luft und Prof. Jörg Roesler engagieren, finde ich toll. Sie bringt 125 Generaldirektoren zentralgeleiteter Kombinate nach langem Abwarten der meisten zum Reden und Schreiben über ihre Erfahrungen in der sozialistischen Wirtschaft der DDR.

Mir scheint die Zeit herangereift zu sein, auch über die Rolle der Partei in Vergangenheit und Zukunft nachzudenken. Hier ist das Wissen über das Wie die entscheidende Voraussetzung. Dabei sind unsere Enkel aus meiner Sicht die wichtigste Zielgruppe. Ihnen sollten wir auch anhand unserer eigenen Biographien vor Augen führen, wie weit wir in den ersten 25 Jahren der DDR bereits gekommen waren. Damals standen die Menschen ganz überwiegend hinter uns. Wir genossen das Vertrauen der Mehrheit. Ein Beispiel dafür: Das Trafowerk Dresden wurde von der Sabotage des Kupferimports betroffen. Unsere Kollektive der Trafokonstruktion und -montage suchten nach einem Ausweg. Erstmals in der Welt bauten sie einen leichteren Aluminium-Trafo mit gleicher Leistung. Dafür vergab die Leipziger Messe an unseren Betrieb die Goldmedaille. Die Kollegen waren stolz auf ihre Leistungen, ihr Werk und unsere Republik. Sie kamen jetzt nicht mehr "allein des Geldes wegen" zur Arbeit, sondern in ihr Kollektiv, das auch anständig zu feiern verstand. Es war jene Zeit, in welcher die DDR auf den 10. Platz in der Weltrangliste der Industriestaaten vordrang.

Für die Enkel habe ich die Geschichte meines Lebens aufgeschrieben. Auch andere ehemalige Parteisekretäre sollten ihre Gedanken zu Papier bringen, solange sie das noch können. Vor allem darüber, wie es besonders in der ersten Hälfte des Bestehens der DDR weitaus besser als später gelang, einen großen Teil der Menschen für unsere Vorstellungen und Ziele zu gewinnen.

In der zweiten Hälfte des Bestehens der DDR haben wir als Partei tragisch versagt, was neben dominierenden äußeren Faktoren nicht unmaßgeblich zum Untergang unserer Republik beigetragen hat. Das einzugestehen, erfordert die Ehrlichkeit.

Als sich die äußeren Bedingungen der DDR durch den verstärkten Wirtschaftskrieg und die Importausfälle aus den Bruderländern immer mehr zuspitzten, wäre eine offene Aussprache mit der Bevölkerung, besonders den Werktätigen, über Auswege und Lösungen dringend notwendig gewesen. Die Karten gehörten auf den Tisch. Über eine ungeschönte und rückhaltlos aufrichtige Information zum Ernst der Lage hätte sich vermutlich neues Unterstützungspotential erschließen lassen. Die kubanischen Genossen haben anderen vorgemacht, wie man in kritischen Situationen handeln sollte.

Leider untergruben die in der DDR immer stärker betriebene Schönfärberei und überhebliches Reglementieren wesentlicher Teile des Parteiapparates die Verbindung zu den Genossen der Basis, zur Bevölkerung und vor allem zu vielen engagierten Arbeitern und LPG-Bauern.

Als immer mehr DDR-Bürger Veränderungen einforderten und verlangten, unsere Gesellschaft transparenter, demokratischer und effizienter zu gestalten, war es bereits zu spät. Der Massenbewegung sich berechtigt zu Wort Meldender wurde durch feindliche Kräfte sehr schnell das Heft aus der Hand genommen. Eine reale Chance zur Verteidigung der DDR bestand vor allem angesichts ihrer von der letzten sowjetischen Führung betriebenen Preisgabe an die BRD und der sukzessiven Auflösung der sozialistischen Staatengemeinschaft nicht mehr. Der Untergang der DDR und der anderen Länder des RGW wie des Warschauer Vertrages war damit besiegelt, der Weg für die Konterrevolution frei.

Wir sollten unsere Erkenntnisse über die ideologische Arbeit der Partei in den verschiedenen Etappen offen darlegen. Dabei geht es sowohl um positive wie negative Erfahrungen, in erster Linie aber um die Qualität politischer Führungsarbeit und deren Akzeptanz durch die Basis.

Dieter Knoderer, Berlin

Dieter Knoderer: Arbeiterjunge - Botschaftsrat - Hausmeister. Ein unzeitgemäßer Lebenslauf. GNN-Verlag, Schkeuditz 2014, 264 S., 15 €. ISBN 978-3-89819-409-9

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Erlebnisse eines erfahrenen DDR-Diplomaten (3)

Heinz Birch erzählt

Seit der Einreichung unserer Visa-Anträge für eine Reise zur Entdeckung von Marx-Schriften in den Vereinigten Staaten waren bereits mehrere Wochen vergangen. Nachfragen im US-Generalkonsulat verliefen ergebnislos. Angeblich fehlte noch immer eine Entscheidung der Washingtoner Behörden. Für uns wurde die Zeit bis zum gebuchten Abreisetermin aus Berlin langsam knapp. So informierten wir den renommierten US-Gelehrten Prof. Foner über den Stand der Dinge.

Ohne seine Hilfe hätten wir sicher keinen Erfolg gehabt. Er wurde in Washington für uns aktiv, formierte sogar eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern, die im State Department vorsprachen und sich dort für unseren Besuch einsetzten. Unter ihnen befand sich auch der ehemalige Leiter der Geschichtsabteilung des US-Außenministeriums.

Der Kreis prominenter Forscher setzte sich durch. Washington mußte unserer Reise wohl oder übel zustimmen. Die Nachricht hatte uns schon erreicht, als wir vom Westberliner US-Generalkonsulat ein positives Signal erhielten. So machten wir uns auf, die Visa abzuholen. Schon unterwegs kam uns alles recht merkwürdig vor. Die U-Bahnzüge waren fast leer, auf den Bahnhöfen herrschte Öde. Zeitungskioske und kleine Läden hatten ausnahmslos geschlossen. Beim Generalkonsulat standen wir vor verriegelten Türen. Den Grund dafür kannten wir zunächst nicht. Wer aber vermochte uns Auskunft zu geben? Direkt neben dem Gebäude befand sich der Eingang zum American Headquarter - dem US-Hauptquartier in Westberlin. Die Amis ließen ihr Objekt durch zivile deutsche Posten bewachen. Konnten wir von denen etwas erfahren? Die Antwort, die wir erhielten, verblüffte uns. "Heute ist Himmelfahrt", erklärte uns der Guard.

Unsere Unkenntnis ergab sich daraus, daß Himmelfahrt in der DDR schon seit langem kein staatlicher Feiertag mehr war. So hatten wir vor dem Fahrtantritt auch keinen Gedanken darauf verschwendet. Unser Pech! Unverrichteter Dinge kehrten wir um.

Doch schon der nächste Tag bescherte uns Erfolg. Wir erhielten ein sogenanntes Immigrant Visa für die Dauer von drei Wochen zum Studium in Archiven der Lincoln University Pennsylvanias sowie der Universität von Maryland. Es bestand aus einem DIN-A4-Blatt mit Paßbild und öffnete uns die Tür zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Sicher wird der Leser wissen wollen, wie es mit Mr. Meyer, der bereits in der vorangegangenen Folge aufgetaucht war, weiterging. Als wir uns die Visa bei ihm abholten, hatten wir noch ein kurzes Gespräch. Er würde sich freuen, wenn wir uns nach der Reise nochmals sehen könnten, ließ er mich wissen. Immerhin sei er gespannt zu erfahren, wie mir der Aufenthalt in seinem Land gefallen habe. Mr. Meyer zeigte sich enttäuscht, als ich seine Hoffnungen zerstören mußte. Ich gab ihm zu verstehen, daß er uns nicht in seine Netze ziehen könne, denn schon im ersten Gespräch mit ihm war mir klargeworden, daß sein tatsächlicher Brotherr nur die CIA sein konnte.

Die Jahre gingen ins Land, und fast schon hätte ich die Begegnungen mit Mr. Meyer vergessen. In der Londoner DDR-Botschaft, wo ich jetzt tätig war, hatten wir im Rahmen unserer diplomatischen Arbeit nur flüchtige Kontakte zu US-Bürgern. In der Hauptsache galt unsere Aufmerksamkeit den Partnern aus dem dortigen Foreign Office und anderen britischen Persönlichkeiten wie Parlamentariern und Vertretern von Wirtschaft und Kultur. Nie im Leben dachte ich daran, daß mir eben jener Mr. Meyer irgendwo wieder über den Weg laufen würde. Doch ich hatte mich geirrt.

Im Februar 1978 trat ich mein Amt als Botschafter der DDR in Indien an, wo ich viele Leute aus diesem Land und allen Winkeln der Welt neu kennenlernte. An Mr. Meyer dachte ich schon lange nicht mehr, bis er eines Tages plötzlich vor mir stand. Ich traute meinen Augen nicht. Wie war ein solcher "Zufall" nur möglich?

Am 7. Oktober 1978 gaben wir in den Räumen und im Garten unserer Residenz einen Empfang zum DDR-Staatsfeiertag. Neben vielen hochrangigen indischen Gästen nahmen daran auch die Missionschefs und weitere Diplomaten der in Delhi vertretenen Staaten teil.

Beim US-Botschafter hatte ich meinen Antrittsbesuch bereits kurz nach meiner Akkreditierung abgestattet. Alles verlief ganz normal wie im Verhältnis zu anderen Botschaftern auch. Auf Empfängen wichen wir einander nicht aus, sondern hielten die Regeln diplomatischer Höflichkeiten ein, ohne daß wir uns viel zu erzählen hatten.

Als ich mit Lilo und den leitenden Diplomaten der Botschaft die Gäste begrüßte, trat ein Herr auf mich zu, dessen Gesicht mir irgendwie bekannt vorkam. Ich suchte natürlich herauszufinden, wo ich es schon einmal gesehen haben mochte. Bei der Begrüßung nannte der Gast kurz Namen und Titel, dankte im Auftrag des Botschafters der USA für die Einladung und sagte, dieser sei leider durch einen wichtigen Termin verhindert und habe ihn gebeten, am Empfang teilzunehmen. Dabei ließ er eine Bemerkung fallen, daß er Berlin und die DDR ganz gut kenne. Noch stellte ich mich ein wenig ahnungslos und bemerkte nur, daß mir auch sein Land nicht ganz unbekannt sei. Dadurch angeregt, ließ er die Hüllen fallen und sagte, er wisse darüber Bescheid, denn schließlich habe er ja bei meiner ersten Reise in die Vereinigten Staaten "auf der anderen Seite gesessen". Freundlich und zuvorkommend begrüßte ich ihn und fügte die Bitte hinzu, er möge sich doch unter die Obhut unserer Diplomaten begeben. Bei dem einen oder anderen Empfang lief mir Mr. Meyer über den Weg. Allerdings hatten wir dort immer genügend andere wichtige Gesprächspartner - Inder und Vertreter des diplomatischen Korps, so daß es über ein "Hallo!" und "How are you?" kaum hinausging.

Eines Tages traf ich erneut auf Mr. Meyer. Er wollte mich mit der "frohen Botschaft" überraschen, seine Abreise zum nächsten Einsatzort Israel stehe unmittelbar bevor. Ich dachte mir im stillen, daß er dort sicher Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit dem Mossad sammeln sollte. Das hätte er nach meiner Meinung auch bitter nötig gehabt. Immerhin verfügten die Israelis schon lange über einen sehr geschulten und äußerst effektiven Geheimdienst. Auf die plumpe Manier der CIA wären Erfolge wie das Aufspüren und die Entführung des Judenmörders Adolf Eichmann aus Argentinien wohl kaum denkbar gewesen. Ich wünschte Mr. Meyer eine gute Reise und viel Erfolg.

(wird fortgesetzt)

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Als unsere LPG mit bayerischen Landwirten einen guten Faden spann

Erinnern an Richard Scheringer

Industriekaufmann des graphischen Gewerbes und Agraringenieur, war ich zunächst Eigentümer eines Bodenreform-Hofes in Thüringen gewesen. Später ging ich - wie in anderen RF-Beiträgen von mir bereits beschrieben - den Weg der Genossenschaftsbauern.

Zwischen 1969 und 1976 unternahm ich gemeinsam mit jeweils anderen Mitstreitern aus den Kreisen Pößneck und Saalfeld Jahr für Jahr Reisen zu landwirtschaftlichen Vorträgen in Bayern. Die Veranstaltungen waren stets derselben Frage gewidmet: "Wie lebt der Bauer in der DDR?" Organisator war die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB/BHG), die damals bei uns eine große Rolle spielte.

Wir projizierten Bilder und Tabellen an eine Leinwand. Sie informierten über die genossenschaftsbäuerliche Bewegung in der Pflanzen- und Tierproduktion der DDR, zeigten moderne Technik - darunter auch aus der Sowjetunion gelieferte - und berichteten vom sozialen Leben auf dem Lande. So wurde die Aussage, LPG-Mitglieder müßten in der DDR keine Lohnsteuern zahlen, mit Interesse aufgenommen.

Die Texte zu jedem Bild sprachen wir selbst. Die anschließende Diskussion durfte nur bis 24 Uhr dauern. Unter den Zuhörern befanden sich stets auch Beamte vom Verfassungsschutz. Sie setzten sich in der Regel direkt neben uns. Zwei von ihnen ließen mich über ihre Funktionen nicht im ungewissen. Bei der Einreise mit dem Pkw mußten wir den bayerischen Grenzern zumindest eine schriftliche Einladung vorweisen. Das dann beginnende "Verhör" dauerte etwa eine Dreiviertelstunde.

Wir traten in Sälen von Gaststätten auf - auch zu "Politischen Frühschoppen" nach dem Kirchgang sowie in "Schulen der bayerischen Jungbauernschaft", vor Berufsschülern, zu Molkereiversammlungen, in Gemeindevertretungen, sogar in Bullenbesamungsstationen.

Natürlich kamen wir auch mit Genossen der DKP zusammen. Öffentliche Einladungen zu unseren Veranstaltungen erfolgten in Zeitungen, an Schwarzen Brettern und häufig auch durch Flugblätter, welche an leere Kannen gehängt wurden, die von den Dorf-Milchbänken zurück an die Bauern gingen.

Unsere Tätigkeitsbereiche lagen meist in Oberbayern. Garmisch Partenkirchen, Ingolstadt. Passau, Straubing, Plattling, Mühldorf am Inn und das Rottal der Donau gehörten zu unserem "Revier".

Im ganzen habe ich in diesen acht Jahren 56 Lichtbildervorträge gehalten. Die Zusammenstellung unserer Fotos, welche stets aktualisiert wurden, unterlag kollektiver Begutachtung. Meine Mitstreiter, welche die Filmtechnik bedienten, waren Angehörige der VdgB, LPG-Vorstandsmitglieder, Molkereiangestellte oder Tierärzte.

Unser Ziel bestand immer darin, möglichst viele Interessenten als Besucher der jährlich stattfindenden DDR-Landwirtschaftsausstellung in Leipzig-Markkleeberg, aber auch als Gäste der als bahnbrechend geltenden LPG Orlatal und der Kooperationsgemeinschaft Orlatal, Oppurg, zu gewinnen.

Der Erfolg blieb nicht aus. Meist erschienen aus Bayern ganze Delegationen, seltener einzelne Neugierige. Sie nahmen an unseren LPG-Versammlungen und Kulturveranstaltungen ebenso wie an Flur- und Stallbegehungen teil. Jugendliche verbrachten schöne Urlaubstage in den Bungalows des Ferienzentrums der LPG bei Neumannshof an der Saale. Von der "Grünen Woche" in Westberlin kommend, bogen etliche westdeutsche Bauern bei Triptis von der Autobahn zu uns ab.

Die Besucher sprachen sich anerkennend über unsere Produktionsergebnisse und den Reingewinn je Hektar aus. Sie kamen aus Otzing, Kleineuzenried, Moos und anderen Orten. Als wir dann bei ihnen waren, wollte uns ein Hofbesitzer etwas "ganz Besonderes" zeigen. Er führte uns zu einer unweit von seinem Betrieb gelegenen Möbelfabrik. Dort war gerade ein Lkw mit Hänger aus der DDR eingetroffen. Er brachte Qualitätsküchen, welche durch diese Firma unter deren Namen verkauft werden sollten. In einem anderen Dorf errichtete jemand gerade einen neuen Milchviehstall und hatte zu diesem Zweck 60 Zentnersäcke Zement aus unserer Maxhütte Unterwellenborn eingelagert. "Der ist Spitze", sagte er.

Natürlich kam es auch zu Provokationen. So sangen junge Männer im Vorraum des Saales, in dem wir uns befanden, das Horst-Wessel-Lied der SA. Es sollte uns provozieren. Doch solche Vorfälle wurden von unseren Gastgebern nach Möglichkeit unterbunden. "Wir sind in Thüringen bestens behandelt und versorgt worden. Und wir tun dasselbe hier und lassen uns dieses Treffen nicht versauen!" meinten sie.

Natürlich wurden wir jedes Jahr von bestimmter Seite befragt, ob wir nicht in der BRD bleiben wollten. Die Antwort lautete stets: "Unsere Heimat ist die DDR!"

Erwähnt sei hier noch die Familie des Genossen Richard Scheringer, damals und bis zu seinem Tod 1986 Mitglied des Vorstands der DKP. Auf deren Hof in Kösching bei Ingolstadt vervielfältigten wir Flugblätter für den Milchkannen-Anhang. Richard war in der Weimarer Republik Offizier und wurde gemeinsam mit Leutnant Hanns Ludin wegen verbotener Tätigkeit für die NSDAP innerhalb der Reichswehr vor Gericht gestellt. Im Prozeß, bei dem auch Hitler als Zeuge auftrat, bekannte er sich zur KPD. In der Haft war er Kommunisten begegnet, die ihn überzeugt hatten. - Zwei Söhne der Scheringers wurden übrigens LPG-Vorsitzende in der DDR. Richard erhielt vom sozialistischen deutschen Staat den Karl-Marx-Orden. Bei der Überreichung dieser höchsten Auszeichnung der DDR in der einem CSU-Mitglied gehörenden Gaststätte Kösching waren über 200 Personen zugegen.

Wiederholt hatte Richard Scheringer mit Delegationen Thüringen besucht und dabei das genossenschaftliche Leben - vorwiegend in unserer LPG "Orlatal" - intensiv studiert. Seine Enkelin - heute die Doktorin der Agrarwissenschaften Johanna Scheringer-Wright - schrieb wissenschaftliche Artikel über diesen Betrieb. Inzwischen ist sie thüringische Landtagsabgeordnete und Mitglied des Parteivorstands der PDL.

Herbert Klinger, Nimritz
(Saale-Orla-Kreis)

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Wie die EU den bäuerlichen Familienbetrieb ein zweites Mal erfindet

Aus alt mach neu

Bäuerlicher Familienbetrieb - kurz BFB - hört sich zunächst einmal gefällig an. Den hat die EU wieder neu erfunden und ihm sogar das Jahr 2014 gewidmet. Man solle den kleinen Klitschen mehr Aufmerksamkeit widmen, erklärte EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos.

Doch was hat es denn eigentlich damit auf sich?

Natürlich klingt diese Bezeichnung besser und vor allem umweltfreundlicher als industrielle Massentierhaltung oder Hühnerlegebatterien - Begriffe, die beinahe schon zu Schimpfworten geworden sind.

Aber was nun eigentlich unter BFB konkret zu verstehen ist, hat der Brüsseler Agrarbevollmächtigte nicht verlauten lassen. Daß solche Betriebe in Island beispielsweise völlig anders strukturiert sind als in Portugal oder Irland, liegt doch wohl auf der Hand. Welche Hektarfläche ist für sie vorgesehen? Für welchen Markt produzieren sie, und wie hoch ist überhaupt ihr Marktanteil? Wie werden sie bewirtschaftet? Die Angabe, daß sie privat und vermutlich von nur einer Familie betrieben werden, reicht doch als Erklärung kaum aus - jedenfalls nicht für eine exakte Beurteilung ihrer ökonomischen und sozialen Rolle.

Bäuerliche Familienbetriebe sind auch auf den verschiedenen Erdteilen sehr differenziert zu betrachten. Was passiert beispielsweise in Moçambique, wenn die Fluten des Sambesi unzählige kleinbäuerliche Anwesen hinwegspülen? Verfügt Maputo denn über genügend Mittel, um die betroffenen Wirtschaften wieder in Gang zu setzen?

Doch ich will nicht abschweifen, sondern im Lande bleiben. Ich stehe im 86. Jahr meines Lebens und war immer Landwirt. Gelernt habe ich von 1944 bis 1946 auf einem Großbauernhof. Nachweislich war dieser seit 1642 in Familienbesitz. In meiner Lehrzeit herrschte Krieg. Der Bauer mit seiner Frau, einem erwachsenen Sohn und einer halbwüchsigen Tochter waren die Eigner. Die Bewirtschaftung des Hofes erfolgte durch zwei deutsche Lehrlinge, zwei "Fremdarbeiter" - einen Polen und einen Ukrainer. Eine Polin versah überdies den Haushalt. Bei der großen Wäsche halfen auch noch zwei Frauen aus dem Dorf. Auf dem Acker wurden verschiedene Kulturen angebaut, und in den Ställen standen Pferde, Kühe, Jungvieh, Schweine, Schafe, Hühner, Enten und Gänse, von einem Hofhund und Katzen ganz abgesehen. So sah damals ein deutscher großbäuerlicher Familienbetrieb aus. Seine Marktleistung war allerdings eher gering. Bis zu meiner langjährigen Tätigkeit in der LPG Vippachedelhausen im Landkreis Weimar - die Leser werden sich an meine diesbezügliche Artikelserie im RF erinnern - habe ich noch in drei ähnlichen bäuerlichen Wirtschaften gearbeitet. Sie waren allerdings kleiner und ihre Produktion für den Markt dementsprechend bescheidener.

Nach dem Anschluß der DDR an die BRD im Oktober 1990 lernte ich in Hessen auch dortige Großbauernwirtschaften kennen. Diese hatten sich alle schon irgendwie spezialisiert - die einen auf Schweinemast, andere auf Milchproduktion, wieder andere auf Schafzucht.

In solchen Betrieben ist es immer wichtig, daß es einen männlichen Erben gibt, der die Wirtschaft weiterführen kann. Unter den Bedingungen der alten BRD kamen deshalb viele Höfe, bei denen er fehlte, unter den Hammer des Versteigerers, was zur Vergrößerung der bestehenden Betriebe führte.

Demgegenüber wurden in der DDR alle Aussteiger von den Genossenschaften, die man als LPG bezeichnete, aufgefangen. Niemand ging pleite, wenn ein Erbe fehlte. Alle Mitglieder und deren Kinder hatten in der LPG ihr gesichertes Auskommen.

Nach der "Wende", wie die Einverleibung der DDR durch die BRD oftmals irreführenderweise bezeichnet wird, verwandelten sich viele LPG in Genossenschaften bürgerlichen Rechts. Heute sind das meist große spezialisierte Betriebe mit einer hohen Arbeitsproduktivität und entsprechenden Marktleistungen. Eigentlich handelt es sich um Mehrfachfamilienbetriebe. Man könnte auch sagen, die Genossenschaft verbindet die Beteiligten und ermöglicht ihnen, gemeinsam wirtschaftliche wie ideelle Ziele zu verfolgen.

Ich betrachte es als reine Augenwischerei, wenn die EU plötzlich die Trommel für die Rückkehr zum BFB rührt. Bei ihr handelt es sich doch um eine Allianz zur Durchsetzung der Interessen des europäischen Finanzkapitals. Einerseits möchten es die EU-Fürsten nicht mit der bäuerlichen Agrarproduktion verderben, andererseits tragen sie dem Gesetz der Konzentration und Zentralisation der Produktion Rechnung. In den Kommandozentralen der Agrarkonzerne wird man sich bei soviel Naivität, wie sie Brüssel zur Schau stellt, sicher ins Fäustchen lachen.

Ohne Zweifel gibt es beim Prozeß der Herausbildung riesiger Landwirtschaftsunternehmen auch mannigfache negative Begleiterscheinungen. Es müßte daher feste staatliche und veterinärmedizinisch vertretbare Regeln für Größenordnungen und deren Einhaltung geben, die streng zu kontrollieren wären.

In der DDR bestanden drei Jahrzehnte lang erfolgreich wirtschaftende Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften. Und nun gibt es schon über 20 Jahre in gewisser Weise an sie anknüpfende Betriebe in bürgerlicher Rechtsform. Das genossenschaftliche Produzieren ist - wie die Erfahrung beweist - der erfolgversprechende Ausweg aus der Misere einzelbäuerlicher Bewirtschaftung unter kapitalistischen Bedingungen.

Er ist langfristig die einzig vernünftige Alternative für die Bauern, natürlich vor allem bei Bestehen sozialistischer Produktionsverhältnisse, deren Lehren trotz der Niederlage weiterwirken.

Eberhard Herr

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Deutsche Einheit: Der Osten gehört dem Westen

Nach einer Forsa-Sondierung im Auftrag der "Märkischen Allgemeinen" glauben mehr als die Hälfte aller Altersgruppen von Befragten, es gebe noch immer eine Mauer in den Köpfen, und die vielgepriesene Wiedervereinigung habe nur auf dem Papier stattgefunden.

Der Anschluß der DDR an die BRD ist ausschließlich nach westdeutschen Interessenmaßstäben erfolgt. Der Osten gehört dem Westen. Die soziale Abstufung ehemaliger DDR-Bürger und ihrer Nachkommen zu Deutschen zweiter Klasse ist eine Tatsache. Die außerhalb parlamentarischer Kontrolle als halbkriminelles Unternehmen handelnde Treuhand hat fast das gesamte einstige Volkseigentum an westliche Schnäppchenjäger verschleudert. Grobe Fahrlässigkeit war der Grundsatz, und jede Ungesetzlichkeit wurde durch den Bundesfinanzminister mit Straffreiheit abgesichert. Das war ein Einstellungskriterium für Treuhandbedienstete.

Das Billionenvermögen der DDR und ihrer Bürger wurde verscherbelt, das Land deindustrialisiert. Es handelte sich um eine feindliche Übernahme unter Beteiligung der Kriegsgewinnler und selbsternannter Bürgerrechtler.

Das Auseinanderdriften in eine Gesellschaft mit verarmender Mehrheit und einer sich über diese erhebenden reichen Oberschicht war politisch gewollt. Zwei Drittel der Bevölkerung wurden abgehängt.

Eine sozial verträgliche Gesundheitsreform wird von den Lobbyistenverbänden der Pharmaindustrie, den Ärzte- und Apothekervereinigungen und den Krankenkassen verhindert. Eine Zweiklassenmedizin hat auch im Osten Einzug gehalten.

Die staatliche Einheit ohne soziale Einheit war von den etablierten Parteien beabsichtigt, haben sie doch sich selbst und ihre Klientel mehr als gut versorgt. 95 Prozent der ostdeutschen Rentner aber sind "bestohlen bis zum jüngsten Tag". Ihre Bezüge wurden auf lange Sicht stark abgesenkt. Selbst bei der Mütterrente verlegt man sich auf Diskriminierung. Wo früher die Mauer stand, verläuft heute ein tiefer Graben zwischen Arm und Reich.

Die Verantwortlichen für diese Situation werden nicht in die Pflicht genommen. Sie lügen und betrügen weiter so, wie es Frau Merkel vor der Wahl 2009 mit der versprochenen "Ostrentenangleichung - mehr Netto vom Brutto" getan hatte. Nichts davon wurde eingehalten.

Demagogischerweise ist von einem politischen Triumph Angela Merkels die Rede. Trifft das zu?

Rund 71 Prozent der Stimmberechtigten haben an der Bundestagswahl teilgenommen. Die CDU/CSU erreichte knapp 30 Prozent des Votums. Die jetzige Regierung kam nur zustande, weil die SPD aus Opportunismus und Postenjägerei ihr Wahlversprechen, "eine Wende in der Politik" herbeiführen zu wollen, gebrochen hat, und eine große Koalition eingegangen ist. Die Einheit der Lebensumstände, eine Angleichung an das Niveau der alten BRD, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, freie Jobwahl sind ferner denn je. Um all das zu kaschieren, setzt man die Verunglimpfung früherer DDR-Bürger bis zur Volksverhetzung fort, statt normal mit der DDR-Geschichte umzugehen.

Es ist hohe Zeit, diesem Drama ein Ende zu bereiten und das Thema "Einigkeit und Recht und Freiheit" realistisch einzuordnen.

Dr. Horst Schulz, Schulzendorf

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85 Mark Miete für eine Dreiraumwohnung?

Ich stöbere im ND-Archiv und finde eine Meldung vom 23. Januar 1984, die mich persönlich betrifft: Seit 1971 wurden in Berlin fast 15.000 Wohnungen modernisiert oder instandgesetzt, 5300 davon am Arnimplatz. 83,4 Prozent aller Wohnungen verfügen heute über Innentoilette und 62,7 Prozent über Bad oder Dusche. 4600 Familien zogen in Neubauten ein, für weitere 20.000 Bürger sollen sich im laufenden Jahr die Wohnverhältnisse verbessern.

Damals lebten wir mit zwei Kindern in einer Zweiraumwohnung in Lichtenberg. Der Platz war so intensiv ausgenutzt, daß sich zwei Zimmertüren nicht vollständig öffnen ließen. Gäste mit stärkerem Körperumfang hätten wir nicht empfangen können. Wir suchten nach etwas Größerem. Der Arnimplatz war in aller Munde. Wir sahen uns dort um, besichtigten eine modernisierte Wohnung. Geräumig war sie, hatte Fernheizung, was uns besonders zusagte. Warum lehnten wir dennoch ab? Von den Räumen ging eine bedrückende Atmosphäre aus. Sie waren dunkel, das kleine Schlafzimmer fensterlos, ein Alkoven. Die Wohnung hatte einen zweiten Ausgang. Hinter der von der Küche abgeteilten Duschkabine führte eine enge Stiege zum früheren Dienstboteneingang. In der Toilette gab es eine Leiter, über die ein winziger Raum erreichbar war. Dort war noch am Beginn des 20. Jahrhunderts das Dienstmädchen der Familie untergebracht. Es konnte sich weder aufrichten noch richtig Atem schöpfen.

Also blieben wir weiter in unserer Lichtenberger Wohnung, nicht ahnend, daß wir zu den 20.000 im letzten Teil der ND-Meldung erwähnten Bürgern Berlins gehören würden, die noch im gleichen Jahr eine Neubauwohnung beziehen konnten.

Danach sind wir aus den unterschiedlichsten Gründen wiederholt umgezogen. Dabei wurde der Mietpreis von 85 Mark der DDR für eine Dreiraumwohnung nie überschritten, warm versteht sich. Der aber lag während der letzten zweieinhalb Jahrzehnte im BRD-Regelfalle um ein Vielfaches höher.

Ende vergangenen Jahres gab es in diesem reichen Land 284.000 Menschen, die überhaupt keine Wohnung besaßen. Das entspricht etwa der Einwohnerzahl einer Stadt wie Karlsruhe. Die Tendenz ist steigend. Wenn mir Menschen mit Schlafsack und Pappkarton begegnen, frage ich mich, ob das Dienstmädchen vom Arnimplatz vor 100 Jahren nicht besser gelebt hat.

Nein, ihm fehlte die von Gauck gepriesene Freiheit. Der fromme Mann braucht sich überhaupt keine Sorgen zu machen. Zur Zeit hat er seinen gesicherten Platz auf der Sonnenseite. Vermutlich weiß er, daß es in Deutschland 135 Milliardäre gibt und daß die 100 reichsten von ihnen zusammen 336 Milliarden Euro besitzen. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Wie geht der Herr im Schloß Bellevue mit dieser Tatsache um? Ein Gerechter im Sinne der Bibel? Neidisch bin ich nicht. Als Rentnerin gehöre ich ja zu den bei Hausbesitzern beliebten Mietern, die ein festes Einkommen haben und keine besonderen Ansprüche stellen. Allerdings glaube ich nicht mehr daran, daß meine Bezüge, wie von Frau Merkel schon vor der letzten Wahlperiode versprochen, wenigstens in dieser Legislatur an westdeutsche Verhältnisse angepaßt werden.

Edda Winkel

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Was ein Schwerbehinderter in der DDR und in der BRD erlebte

Hier elf, dort 852 Bewerbungen

In der Märzausgabe des RF fragte Johann Weber aus Ruhstorf: Hatten alle schwerbehinderten DDR-Bürger einen Arbeitsplatz? Ich möchte dem langjährigen niederbayerischen Personalratsmitglied und SPD-Genossen meine Erfahrungen als Schwerbehinderter in beiden deutschen Staaten kurz schildern, natürlich auch den Lesern des RF.

Mein beruflicher Werdegang umfaßt 23 Jahre in der DDR und etwa die gleiche Zeitspanne ab 1990 in der BRD. Daher kann ich beide Abschnitte gut miteinander vergleichen. Ich bin in Thüringen geboren und heute 64. Während meiner Schulzeit hatte ich einen Unfall, in dessen Folge meine Bewegungsfähigkeit linksseitig erheblich eingeschränkt ist. Ich bin zu 90 % schwerbehindert. Dennoch habe ich die DDR-Schule ohne Ausfall absolvieren und die Berufsausbildung aufnehmen können.

Nach dem Lehrabschluß erhielt ich in meinem Ausbildungsbetrieb problemlos einen Arbeitsplatz. Man gab mir die Möglichkeit zu einem Studium und anschließender fachlicher Weiterentwicklung. Für Lehre, Direktstudium, Fernstudium, zwei Praktika und fünf Arbeitsstellen habe ich insgesamt 11 Bewerbungen geschrieben.

Nach Art. 20 der Verfassung der DDR besaßen alle Bürger die gleichen Grundrechte. Artikel 24 regelte das Recht auf Arbeit, Artikel 25 das Recht auf Bildung. Im Arbeitsgesetzbuch der DDR war nach § 5 festgelegt worden: "... Werktätige im höheren Lebensalter und Werktätige, deren Arbeitsfähigkeit gemindert ist, werden bei der Aufnahme und Ausübung einer Tätigkeit besonders gefördert und geschützt."

Nach der "Wiedervereinigung" habe ich dann ganz andere Erfahrungen machen müssen. Für zwei Umschulungen und ein berufsbegleitendes Fernstudium - die DDR-Abschlüsse waren offenbar nicht marktgerecht - sowie insgesamt 12 Beschäftigungen habe ich 852 Bewerbungen (!) schreiben und 103 Vorstellungsgespräche führen müssen. Ich erhielt 763 Absagen. Und das alles trotz des Grundgesetz-Artikels 1: "Die Würde des Menschen ist unantastbar" und der Ergänzung zu Art. 3, Abs. 3: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."

In den vergangenen 20 Jahren war ich überwiegend in der Behindertenbetreuung und Arbeitsmarktpolitik beschäftigt. Während meiner letzten Tätigkeit als Integrationsberater bei einem sozialen Träger erkrankte ich im Januar 2013 an Lungenentzündung, worauf ich umgehend meine Kündigung erhielt. Nun bin ich Altersrentner ohne Abzüge auf der Basis meiner Schwerbehinderung. Seit September 2013 verdiene als Job-Coach zu der Rente etwas hinzu, was bei der oben beschriebenen Erwerbsbiographie ab Oktober 1990 sicher nachvollziehbar ist. Durch die Vielzahl und die Kurzfristigkeit der jeweiligen Beschäftigungen konnte keine steigende Kontinuität beim Rentenbeitrag gesichert werden.

Wolfgang Mey, Berlin

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Ein Schuß in den Ofen

Vor den Augen staunender Zuschauer werden die Fernsehbilder immer schärfer und brillanter, dafür die Inhalte der Fernsehprogramme, besonders der privaten Sender, immer seichter und geistloser. Doch auch technische Entwicklungen werfen zum Sinn einer Perfektionierung immer neue Fragen auf. Wir leben in einem Zeitalter, in dem Wissenschaft und Technik in immer kürzeren Abständen wahre Purzelbäume schlagen.

Ich bin der DDR dankbar, daß ich ohne eigene Kosten viel Bildung erfahren und gelernt habe, daß der Fortschritt der Hebung des Lebensstandards und einer immer besseren Befriedigung wachsender materieller und geistig-kultureller Bedürfnisse dienen soll. So war es im Sozialismus. Im Kapitalismus, sagt man, regele alles der Markt. Der Staat halte sich heraus und überlasse die Entwicklungen dem freien Spiel der Kräfte. So schießen einzelne Abteilungen der Gesellschaft ins Kraut, ungebremst und ungeregelt.

Vor der Internationalen Funkausstellung in Berlin gab es durch Bavaria Services eine Initiative in Richtung Zukunftsformat des Fernsehens. Stichwort: "Ultra-HD-Qualität". Noch arbeiten die renommierten Fernsehsender an der Vollversorgung in HD-Qualität. Die Fachzeitschrift "Professional Production" berichtete über die erste europäische 4K-Mehrkamera-Produktion, also in Ultra-HD-1-Qualität und wagte auch einen Ausblick, wohin die Entwicklung in welchem Tempo gehen soll.

Die für die technische Normierung zuständigen internationalen Gremien rechnen mit einer schrittweisen Einführung des UHD-Systems in der Unterhaltungsindustrie. Hardware-Decoder sollen schon dieses Jahr im Handel sein.

Nach der Digitalisierungsoffensive 2012 mit erheblichem Druck auf die Bevölkerung, sich zumindest einen Digitalreceiver leisten zu müssen, um beim Fortschritt mithalten zu können, wartet nun schon die nächste Herausforderung: das Ultra-HD-Format 1. Es verspricht ein noch schärferes Bild auch bei schnellen bewegten Szenen.

Doch jetzt kommt der Hammer: Bereits vier Jahre später soll die dritte Phase mit dem UHD-2-Fernsehen starten, was wiederum den Kaufdruck erhöht. Zu Preisvorstellungen gibt es noch keine Angaben. Ab etwa 2018 plant man die Einführung der 8K-Bildauflösung mit 7680 x 4320 Bildpunkten, vorausgesetzt die Aufnahmetechnik der Digitalkameras und die Displaytechnologie halten Schritt. Nun fragt sich der Insider: Macht das Sinn, liegt doch die Auflösung unseres Auges bei 81,25 Megapixel schwarz-weiß und für das Farbsehen bei 4,3 Megapixel. Das heißt, die Auflösung von UHD 2 liegt weit über dem Maß, das wir mit dem menschlichen Auge noch erfassen können. In der Fachzeitschrift "PP" liest man dazu lakonisch: "... und sich die Augen der Zuschauer bis dahin weiter entwickelt haben". Ja, da wäre das Problem mit den unbrauchbaren Zuschauern. Erfinderisch wie er ist, wenn es um Maximalprofit geht, versucht der Kapitalismus Menschen nicht nur freizusetzen, sondern auch zu klonen. Bis zum Schaf haben sie es ja schon gebracht. Doch die Bosse, Banker, Manager und Vordenker des Systems sehen alles mit den alten müden Augen, gehören doch auch sie zur Spezies Homo sapiens. An der Konstruktion Mensch können selbst sie nichts ändern.

Als Ingenieur für Funktechnik konstatiere ich: Ende der Fahnenstange. Für Kabarettisten eine weitere Vorlage und für die Zuschauer Grund zur Heiterkeit. Angesichts solcher abwegigen innovativen Leistungen und sinnloser Geldverschwendung sollte uns indes nicht mehr zum Lachen zumute sein. Der Kapitalismus ist mit einer Rakete ohne Steuer und Bremse vergleichbar: Keiner weiß, wo das Geschoß einschlägt.

Wolfgang Lange, Flöha

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Wie die BRD ihre Ausbildungslücke schließt

Europameister im Fachkräfterauben

Die "Zuwanderer"-Debatte in der BRD wirft ein grelles Schlaglicht auf das Wesen eines Systems, dessen Spitzenpolitiker und Wirtschaftsbosse ohne Unterlaß und Scham verkünden, Deutschland benötige Hunderttausende Spezialisten, die nur aus dem Ausland zu beschaffen seien. Hier erweist sich das ganze Gerede von Menschenrechten und europäischer Gemeinsamkeit als reine Phraseologie. Dieses wirtschaftlich kraftstrotzende Land, das sich überdies als das demokratischste empfindet, ist außerstande, seinen Fachkräftebedarf mit eigenen Menschen und Mitteln zu decken. Was für eine Bankrotterklärung!

Wie aber konnte es dazu kommen? Es offenbart sich die Achillesferse einer auf kurzfristige Profiterzielung ausgerichteten Wirtschaftspolitik, die eher bereit ist, Milliarden für Werbung und horrende Managergehälter rauszuwerfen, als diese Gelder in die Heranbildung eines eigenen Expertennachwuchses zu stecken. Denn das zahlt sich, wenn überhaupt, erst nach Jahren aus und schmälert bis dahin nur den Reibach.

Im Gegensatz dazu waren breitgefächerte Lehrlingsausbildung und qualifizierte Weiterbildung unverrückbare Bestandteile des betrieblichen Reproduktionsprozesses in der geschmähten DDR.

Die BRD verzichtet bewußt auf eine solche Kostenbelastung, zumal es ja die Möglichkeit gibt, das von anderen ausgebildete Personal - wie in den Zeiten der massenhaften Abwerbung zur Flucht in den Westen verleiteter DDR-Fachkräfte - zum Nulltarif zu bekommen.

Dieser "innerdeutsche" Prozeß konnte nach dem Untergang der DDR sogar noch forciert werden. Seit 1990 "erwarb" die BRD-Wirtschaft ohne eigenen Aufwand mehr als eine Million gut ausgebildeter und zugleich relativ anspruchsloser Fachleute vieler Bereiche aus dem annektierten Osten. Dieser ungeheure Personalzufluß - verbunden mit dem eigenen Erfahrungsschatz einer hochentwickelten Industrie- und Exportwirtschaft - hat ganz maßgeblich dazu beigetragen, daß sich die BRD lange Zeit als "Exportweltmeister" rühmen konnte. Jetzt ist dieses Reservoir offensichtlich ausgeschöpft, und man wird des selbstverschuldeten Dilemmas gewahr.

Ohne jegliches Schamgefühl plündert die BRD das Qualifiziertenreservoir anderer Staaten. Das ist Diebstahl an fremdem Volksvermögen. Die anvisierten Opfer - betroffen sind vor allem auch ehemals sozialistische Länder wie Bulgarien und Rumänien - haben seinerzeit enorme Mittel für Erziehung und Ausbildung ihrer Bürger vom Kindergarten bis zu den Universitäten bereitstellen müssen. Jetzt kommen die BRD-Konzerne und deren Staat, um nach schon lange von den USA praktizierter Methode das hochqualifizierte Personal abzuräumen, ohne selbst auch nur einen Cent zur Finanzierung dessen Bildungsweges beigetragen zu haben. Inzwischen weiß man besser, warum Berlin so darauf drängte, einstmals sozialistische Staaten Osteuropas in die EU einzubinden.

Zur Begründung des großen Raubzuges wird Wohltätigkeit vorgetäuscht. Die anderswo begehrten Fachleute lägen ja daheim arbeitslos auf der Straße, die BRD aber bringe sie in Lohn und Brot. Würden Merkel & Co. tatsächlich europäisch denken und handeln, müßte die Devise lauten: Ärzte, Ingenieure, Fachleute und Spezialisten! Bleibt in euren Ländern! Wir helfen euch dabei, sie nach vorn zu bringen. Doch das entspricht nicht kapitalistischer Logik und Moral. Zu dieser Linie gehört zugleich auch das Bestreben, weniger qualifizierte Menschen als "Sozialschmarotzer" knallhart abzuwehren.

Ist eigentlich jemals nach einer Erklärung dafür gesucht worden, warum das heute bettelarme Bulgarien einen solchen "Überhang" an Fachkräften besitzt, den man ohne Skrupel abschöpfen kann? Hängt das nicht mit der Tatsache zusammen, daß dieses Land unter der "kommunistischen Diktatur" in allen Bereichen des Lebens aufgeblüht war?

Als wir Mitte der 90er Jahre in Bulgarien Urlaub machten, beobachteten wir folgendes: Nachdem wir im Hotel zwei zusätzliche Salatteller bestellt hatten, erschien uns die Rechnung äußerst niedrig. Die des Deutschen mächtige Kellnerin klärte uns auf. Wir empfänden den Preis zwar als gering, sie aber könne sich einen solchen Teller von ihrem Gehalt nicht leisten. Wenn sie etwas übrigbehalte, müsse sie den Betrag für den Winter zurücklegen, in dem es weder Arbeit noch Arbeitslosengeld gebe.

Am Strand trafen wir einen jüngeren Mann, der Muscheln fischte. Die Tagesernte verkaufe er an ein Hotel für 1 DM, ließ er wissen. Zuvor sei er Ingenieur auf der Schiffswerft in Varna gewesen. Diese habe gleich nach dem "Umbruch" wegen mangelnder Aufträge schließen müssen. Um den Betrieb und dessen Arbeiter habe sich niemand gekümmert.

Am Strand befanden sich Zelte von Physiotherapeuten, die ihre Dienste den Touristen anboten. Sie hätten in Kliniken keine Arbeit, weil die eigenen Leute ihre Dienste nicht bezahlen könnten, teilten sie uns mit.

Im Rila-Gebirge fielen uns etliche Gewächshäuser und Viehställe auf, die verfallen waren oder leer standen. Die Erklärung der Reiseleiterin lautete: Früher habe Bulgarien insbesondere die DDR mit Tomaten, Gurken, Paprika, Obst, Wein und Konserven beliefert. Das sei plötzlich alles weggebrochen.

An den Straßenrändern standen Traktoren herum - kaputt, verrostet, nicht mehr einsetzbar. Statt dessen sah man Bauern mit Pferden oder Kühen kleinste Flächen bewirtschaften. Der Rest lag brach.

In den Städten fiel uns auf, daß auf Balkonen vieler Plattenbauten Brennholz gestapelt war. Der Grund: Die Fernheizungsgebühren waren so angestiegen, daß viele Bewohner zu einfachen Öfen zurückkehren mußten.

Solche Verhältnisse, herbeigeführt im Namen von Freiheit und Demokratie, haben das Land sozial weit zurückgeworfen und die Menschen dazu getrieben, ihre Heimat zu verlassen. Wenn ich jetzt aus den Medien der BRD erfahre, die qualifizierteren Zuwanderer aus den Balkanstaaten seien meist Ältere, während sich unter den Schlecht- oder gar nicht Ausgebildeten - etliche von ihnen sind sogar Analphabeten - vor allem Jüngere befänden, dann wirft auch das ein bezeichnendes Licht auf den Verfall des Bildungswesens in diesen Regionen.

Der "humanitäre Aspekt" des "Auffangens" von Fachkräften aus Südeuropa durch Konzerne und Staatsmacht der BRD bedarf im Lichte solcher Tatsachen wohl keines weiteren Kommentars.

Peter Elz, Königs Wusterhausen

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RF-Extra

Zur kapitalistischen Ideologisierung der Eliten in der BRD

Eindrücke einer jungen Künstlerin

Als neue Autorin des RF möchte ich mich zunächst kurz vorstellen.

Ich bin 1983 geboren, wohne im Landkreis Lutherstadt Wittenberg und übe nach abgeschlossenem Studium einen künstlerischen Beruf aus. Vor allem an der Hochschule gesammelte Eindrücke und erworbene Erfahrungen liegen diesem Beitrag zugrunde.

Im RF 191 wurden die älteren ostdeutschen Sozialisten dazu aufgerufen, sich der jüngeren stärker anzunehmen, aber nicht von ihnen zu erwarten, sie würden den Dingen die gleiche Bedeutung beimessen wie sie selbst. Zu dieser Thematik möchte ich gerne einen Beitrag leisten. Mir geht es vor allem um die Frage, wie heutzutage die kapitalistische Ideologisierung der Eliten funktioniert. Hochschulen sind staatliche Institutionen und im Kapitalismus dort angesiedelt. Das bedeutet, daß auch die jungen Ostdeutschen im Sinne kapitalistischer Auffassungen erzogen und mit entsprechenden Denkmustern vertraut gemacht werden.

1990 wurden die geistigen Eliten der DDR in einem bisher nie dagewesenen Maße ersetzt, zumeist durch westdeutsche. Damit legte man den Grundstein dafür, die Kultur der DDR und deren herausragenden Beitrag zur humanistischen Tradition auszulöschen. Die heutigen Eliten auf früherem DDR-Gebiet werden mit den verschiedensten Methoden in das kapitalistische System hineingezogen und können sich ohne die Hilfe der älteren Ostdeutschen dem nicht entziehen.

Die kapitalistische Ideologisierung funktioniert durch Zeitraub mit allumfassender Beschäftigung und Ablenkung. Das bedeutet nicht nur, das Spielerische in Kunst, Forschung und Wirtschaft aufzusaugen und nachzuahmen. Es sind auch nicht nur Internet- und Handyspiele, die zerstreuen, nicht nur der E-Mail-Verkehr nach Feierabend und die Spektakelkultur, die ständig nach "Neuem" giert. Es ist nicht nur die Konzentration auf die Form, die das ständige zeitaufwendige Herumbasteln an der oberflächlichen Erscheinung perfektionieren möchte, und es bedeutet auch nicht nur, bei jedem größeren Kauf zwei Wochen zuvor recherchieren zu müssen. Es heißt vielmehr, auch in der Wissenschaft, der Theorie die Zusammenhänge nur in kurzen Zeiträumen zu betrachten, Geschichtsvergessenheit und geschichtsferne Studenten zu fördern, die sich beständig nur um den "neuesten Schrei" kümmern. Es bedeutet ebenso zu leugnen, daß in der Historie einmal in Gang gebrachte Ursache-Wirkung-Ketten erst dann ihre Gültigkeit verlieren, wenn es dazu berechtigte Annahmen und Beweise gibt, nicht aber dadurch, daß sie bereits lange bestehen.

Kapitalistische Ideologisierung der Eliten funktioniert durch das Säen von Zweifeln und Hoffnungslosigkeit, indem man ihnen eintrichtert, man könne alles "so oder so" sehen, Begriffe verlören ihre Eindeutigkeit, Möglichkeiten wären schöner als "Festschreibungen", es gäbe keinerlei Gemeinsamkeiten zwischen Individuen und vor allem nicht die daraus resultierende Verantwortung füreinander. Hoffnungslosigkeit, indem man ihr Denken auf den Ist-Zustand fixiert: Es werden nur Fragen nach dem Was gestellt, nicht aber nach dem Warum. Man leugnet, daß es Ketten von Ursache und Wirkung gibt. So fragt man natürlich auch in der Kunstwissenschaft nicht nach der Wirkung von Kunst, sondern reiht lediglich deren diverse Erscheinungsformen wie eine Perlenkette auf die Schnur eines bestimmten Begriffs.

Kapitalistische Ideologisierung der Eliten funktioniert auch durch Menschenrechtsverletzungen. Die Ellenbogenmentalität produziert seelisch Kranke ohne Rückgrat, willenlos, verletzlich, wie Knetmasse gefügig, funktional auch dann, wenn sie sich für individuell oder selbstbestimmt halten. Gerechtigkeit wird ebenso als "Kann man so oder so sehen" definiert, als individuelle Entscheidung, was de facto ihre Abschaffung bedeutet.

Durch selbstverständliche, alltägliche Menschenrechtsverletzungen der Autoritäten wird Gerechtigkeit, also Gleichheit der Bedingungen, abgewertet: Nach der sogenannten Wende löschte man sie zugunsten eines rückschrittlichen Freiheitsbegriffes aus. Diese "Freiheit", die uns mißfällt, ist deswegen keine Freiheit, weil es sie nicht ohne Gleichheit gibt.

Rassismus wird verdreht: Statt Faschismus und Chauvinismus in ihrer hintergründigen Wirkungsweise zu begreifen, wird der Begriff Xenophobie (Angst vor Fremden) als Nichterkennen anderer und Furcht vor deren Kultur definiert. Man reduziert Aussagen auf ihren wörtlichen Inhalt. Dadurch wird die als selbstverständlich erachtete Xenophobie gewissermaßen "geerdet": Man sieht sich im Recht, keine Ausländer einzustellen oder Kulturen anderer Länder für unterlegen zu halten. Dabei heißt ja interkulturelle Kompetenz gerade, den eigenen Bedeutungskontext zu überschauen und gleichsam den anderer zu erkennen und anzuerkennen.

Kapitalistische Ideologisierung der Eliten funktioniert durch den Glauben an die sogenannte Post-Politik (post wird hier im Sinne des Wortes "nach" verwendet - RF). Eliten dienen in jedem System einem ganz bestimmten Zweck: Sie würden sowohl ohne das System keine Funktion mehr haben als auch in einem anderen System wieder nach anderen Kriterien aussortiert werden. Post-Politik will glauben machen, Politik wäre überholt oder unnütz. Es wird behauptet, Politik würde als solche nicht funktionieren. Damit rechtfertigen die Verfechter dieser These, daß sie sich nicht umfassend und kritisch informieren müssen. Sie achten weder auf Fakten noch auf Gerechtigkeit, so daß ein Verständnis der aktuellen Weltlage nicht erreicht werden kann. Es werden die vielfältigen Erscheinungsformen betrachtet, die man nach ihrer Meinung so oder so bewerten kann, aber die Fähigkeit, Zusammenhänge auf der Basis des Nicht-Gelogenen zu erkennen, geht schon in meiner Generation verloren.

Man fragt sich nicht, wer lügt, weil man denkt, das sei gar nicht so wichtig. Sie haben keine Probleme mehr, solange es ihnen selbst gutgeht, und daher fehlt die Notwendigkeit zu erkennen, daß das Soziale im eigenen Interesse liegt. Sie wollen keinen Frieden erreichen, weil sie denken, solange sie selbst in Ruhe gelassen werden, herrsche ja Frieden. Was muß also passieren, bis sie die Grenzen erkennen, die sie täglich handelnd überschreiten, indem sie Kriegsparteien wählen, den Waffenhandel unterstützen, Schokolade aus von Kindersklaven gepflückten Kakaobohnen essen, die Übermacht der Wirtschaftsbosse sowohl mit ihrem letzten Cent als auch mit ihrer körperlichen und geistigen Kraft füttern? Und so wenig ich selbst zu glauben vermag, daß Menschen so dumm sein können - nicht wenige sind es leider doch! Bei Fehlern der Politik frage niemand mehr nach der Ursache, nach dem genauen Grund, nach dem Auslöser für Probleme, hat mir neulich eine Studentin bei einer gemeinsamen Zugreise berichtet. Kapitalistische Ideologisierung der Eliten funktioniert durch Unterbindung von Aufrichtigkeit. Auch hier geht es darum zu verstehen, daß nicht nur das unaufrichtige Handeln selbst negative Effekte hat, sondern vor allem auch der Griff zu Sanktionen gegen jene, welchen Aufrichtigkeit wichtiger als geheuchelte Höflichkeit ist. Aufrichtigkeit wird vermißt in Werbung und Vermarktung, in der Beziehung zwischen Autoritäten und von ihnen Abhängigen, in der Wissenschaft, in Finanzierungsmodellen jeglicher Art, im Verhältnis der Politiker zu ihren Wählern und vor allem in den Medien. Doch am allerschlimmsten ist die mangelnde Aufrichtigkeit der Menschen sich selbst gegenüber und die fehlende Förderung dieser lebensnotwendigen Fähigkeit. Die Aufmerksamkeit der Studenten in den Bildungsinstitutionen wird durch Lehrkräfte nach außen gelenkt. Wer dieser Art zu denken nicht folgt, erreicht keinen Abschluß.

Auch im Osten können wir jeden Tag erleben, wie Arbeiter, die es sogar aufgrund ihrer Bildung und Erziehung besser wissen sollten, "Bild" lesen oder andere profitorientierte und angepaßte Medien konsumieren, statt sich beispielsweise an der "Linken" zu orientieren, die ja als einzige unter den Bundestagsparteien die Interessen der Mehrheit vertritt. Statt Selbstbewußtsein will man lieber Selbsterniedrigung, zu anderen bewundernd aufschauen. Statt das eigene Leben zu leben, wollen viele lieber das von anderen passiv verfolgen. Auch die erwähnten Eliten eignen sich nicht dazu, auf einen Umbruch hinzuarbeiten. Ich habe das zuvor ja beschrieben. Aus meiner Sicht besteht die einzige Chance derzeit darin, die weiterhin wachen, aufmerksamen, aufrichtigen Sozialisten im Lande und darüber hinaus zu sammeln. Die alternative Lösungssuche bleibt momentan noch als Frage stehen, denn sich an "dieses Dreckssystem" anzupassen, wie es ein Berliner Selbständiger mir gegenüber treffend nannte, kommt für mich überhaupt nicht in Frage. Werner Eberlein hatte sich der Aufgabe angenommen, "denen, die eines Tages zu neuen Ufern aufbrechen wollen zu hinterlassen, welche Fehler sie meiden sollten und wieviel Mut und Charakter zu einem solchen sozialistischen Vorhaben gehört". Er gab damit das positive Beispiel eines Alten, der sich um die Jungen bemüht.

Man könnte den Begriffsperlenkettendenkern mit Kurt Tucholskys Rat antworten: "Wenn man die Leute erreichen will, muß man zuerst in ihrer Sprache mit ihnen kommunizieren."

Viele von denen, die entweder die mediale oder die institutionelle Propaganda bereits durchschauen, übersehen die Tatsache, daß es zur Entwicklung des Widerstandes nicht ausreicht, das Bestehende abzulehnen, kritisch zu hinterfragen oder unbeachtet zu lassen. Man muß auch etwas haben, das Einfluß beschert, bestätigt, fordert, abverlangt, aufklärt, die eigene Energie aufnimmt und zurückwirft. Etwas, das sympathisch ist, einem recht gibt oder zum Nachdenken anregt und eigene Intelligenz fordert. Und man muß Wege finden, diese Haltung zu verbreiten und einzubürgern.

Um aber eine Verankerung der sozialistischen Ausrichtung in Wissenschaft und Kunst zu erreichen, ist die Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen dieser BRD nicht möglich. Kapitalistische Ansichten beherrschen dort das Denken der meisten, abweichende Wertesysteme werden nicht wahrgenommen und besitzen derzeit keine bedeutsame Macht. Zudem ist die Kultur in diesem Staat vor allem selbsterhaltend: Sie stellt seine Sichtweisen als einzige und allumfassende dar, nicht etwa als eines der möglichen Wertesysteme auf dieser Erde.

Auf einen Umbruch hinzuarbeiten, muß heißen, auf eine Zukunft danach vorbereitet zu sein. Das gilt für die einfachsten Probleme wie für die komplexeren Zusammenhänge.

Man muß dem Kapitalismus zugestehen, daß die politischen und ideologischen Machtmittel, von denen er Gebrauch macht, jenen der DDR-Führungskreise insofern überlegen sind, weil er zwar beständig lügt, seinen Einfluß dabei aber subtil hält. Man verbietet keine Filme, sondern redet sie schlecht. Man verweigert keine Filmproduktion, sondern fördert sie nicht. Man verfügt über eine ausgeklügelte "Bewußtseinsindustrie" (Enzensberger). Kapitalmacht will keine intelligente Gesellschaft, sondern eine möglichst dumme. Man will keine aufgeklärten Bürger, sondern unterwürfige.

Man will seine Herrschaft erhalten und ausbauen. Dazu eignen sich der scheinbare Überfluß an Informationen und die zersplitterten Meinungen an der Basis, die überwiegend auf Vorurteilen beruhen und in ihrer Gesamtheit Indifferenz ergeben. Das ist für den Kapitalismus ideal, weil sich die Gesellschaft dadurch nicht vereint. Und die Unterlegenen haben ja nur Macht, wenn sie sich vereinen.

Ich stelle mir manchmal die Frage, ob die Menschen, sobald man die kapitalistischen Eliten eines Landes austauschen würde und an ihre Stelle Sozialisten träten, wieder sozialistischer würden. Ich habe mit vielen Ost- und Westdeutschen über die DDR gesprochen. Ich glaube, daß die Arbeiter im Osten durchaus mitmachen würden, wenn wir ihnen etwas wirklich Funktionierendes anbieten könnten, das sie aus ihrer Armut und Melancholie, aus dem ganzen gesellschaftlichen Rückschritt wieder herausholt. Nur: Warum tun sie das nicht selbst?

Leider sind viele der älteren Ostdeutschen passiv geworden. Gepaart mit den überwiegend angepaßten und daher dem System gegenüber unkritischen Westdeutschen können sie uns Jüngeren die Hoffnung auf einen Wandel der Verhältnisse rauben. Sie ignorieren Menschen wie mich, die ihre humanistischen Werte klar und deutlich verteidigen und sich nicht verbiegen, nichts klein- oder schönreden und relativieren, nicht Hündchen spielen.

Junge Ostdeutsche brauchen dringend die älteren Sozialisten. Noch gibt es sie! Doch ihre Zahl nimmt deutlich ab. Die DDR besaß eine Unmenge höherer Qualitäten als der Westen, von denen heute leider viele nichts mehr wissen oder wissen wollen. Wir aber sollten dieses Potential an Erfahrungen zu unserem Vorteil nutzen und als Machtmittel gegen das Kapital einsetzen.

Samira Manthey, Trebitz

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Kämpfer gegen die Apartheid und exemplarischer Kommunist

Erinnern an Südafrikas Chris Hani

Ende 2013 nahm Südafrikas multi-ethnische Gesellschaft Abschied von Nelson Mandela, der am 5. Dezember im Alter von 95 Jahren in Johannesburg verstorben war. Trauergäste aus aller Welt, Staatsoberhäupter und hochrangige Regierungsvertreter nahmen an der bewegenden Gedenkfeier im Stadion von Soweto teil, um dem Nationalhelden der Republik am Kap die letzte Ehre zu erweisen. Vor allem Mandelas trotz leidvoller fast 27jähriger Kerkerhaft an alle Südafrikaner gerichtete historische Botschaft der Vergebung und Versöhnung brachte diesem außergewöhnlichen Menschen und humanistischen Staatsmann weltweite Hochachtung ein. Eine moralische Maxime, die zur unabdingbaren Voraussetzung für ein künftig freies, demokratisches Südafrika geworden ist.

Bei der Trauerfeier sah man im weiten Rund nicht wenige junge Leute, die voller Stolz ein gelbes T-Shirt mit dem Bildnis Chris Hanis, des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP), trugen, der am 10. April 1993 vor seinem Haus im Johannesburger Vorort Boksburg erschossen wurde. Der Mörder Janusz Walus, Immigrant aus Polen und Mitglied der scharf rechts gerichteten Afrikaner-Widerstandsbewegung (AWB), wurde schnell gefaßt und rechtskräftig verurteilt. "Der Mord war ein Akt irrer Verzweiflung, ein Versuch, den Verhandlungsprozeß (zur Beseitigung der Apartheid - d. A.) zum Scheitern zu bringen", schrieb Nelson Mandela in seiner Autobiographie "Der lange Weg zur Freiheit". Doch die fanatischen Reaktionäre erreichten ihr Ziel nicht. Ein Jahr nach Hanis Tod fanden in Südafrika die ersten demokratischen Wahlen statt, bei denen der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) einen überwältigenden Sieg errang.

Wer war Chris Hani? Der charismatische Politiker stand Nelson Mandela im gemeinsamen Kampf gegen das Apartheidregime besonders nahe. Er nahm dessen politische, ökonomisch-soziale und weltanschauliche Ansichten achtungsvoll auf und bewertete sie bisweilen auch kritisch. Dieser von Respekt geprägte Umgang beruhte auf Gegenseitigkeit.

Chris Hani war ein Sympathieträger der aufstrebenden jungen Generation Südafrikas. Als exzellentem Redner gelang es ihm, sie zu begeistern und im besten Sinne des Wortes politisch aufzuklären, ihr die Ziele der Kommunisten nahezubringen. Im Urteil Mandelas sprach Chris ihre Sprache, und sie hörte ihm zu. Er war akademisch gebildet, sehr belesen und verfügte über solide Kenntnisse im Marxismus. Ein hervorragender Agitator mit argumentativer Kraft, vermochte Chris Hani sein Publikum, das er nicht überreden wollte, zu überzeugen. Seine äußere Erscheinung beeindruckte. Bilder zeigen ihn als militärischen Führer in Drillich-Uniform oder bisweilen auch im hellen Tropenanzug, stolz eine Makarow-Pistole an der Seite tragend. Hani war einer, der gerne tanzte, sang und lachte. Er gehörte zu jenen, welchen die Frauen zugetan waren. Kurzum, er war eine attraktive Persönlichkeit.

Chris Hani wurde nur 50 Jahre alt. Als Martin Thembisile Hani kam er am 28. Juni 1942 in Sabalele bei Cofimvaba in der ehemaligen Transkei-Provinz Südafrikas - der heutigen Ostkap-Provinz - zur Welt. Prägend für seinen weiteren Lebensweg war die extreme Armut, mit der er sich seit frühester Kindheit konfrontiert sah. Dieses Erleben war auch der wesentliche Grund für seine Entscheidung, im Alter von 15 Jahren der ANC-Jugendliga beizutreten. Schon bald profilierte er sich als verantwortungsbewußter Funktionär des Verbandes. Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre wurde er an der Fort-Hare-Universität durch den erfahrenen Anti-Apartheid-Kämpfer Govan Mbeki für die SACP geworben. 1962 beendete er sein Studium als Bachelor of Arts in Latein und Englisch. Im selben Jahr schloß sich Chris Hani der neugegründeten militärischen Organisation des ANC - dem Umkhonto we Sizwe (MK) - an.

Im Verlauf seiner 30jährigen Mitgliedschaft in ANC und Kommunistischer Partei erwies sich Hani als einer der hervorragendsten Führer in der Geschichte des Anti-Apartheid-Kampfes. Zu dessen Marksteinen gehörte 1955 die Verabschiedung der Freedom Charta, welche die Grundprinzipien der Befreiungsbewegung Südafrikas formulierte. Durch das Verbot des ANC und anderer kämpferischer Organisationen nach dem Massaker von Sharpeville 1960, der Einführung weiterer Apartheidgesetze sowie der Einkerkerung solcher ANC- und MK-Führer wie Nelson Mandela, Walter Sisulu, Govan Mbeki und vieler anderer nach dem berüchtigten Rivonia-Prozeß (1963) geriet die Anti-Apartheid-Bewegung zeitweilig in arge Bedrängnis.

Zu diesem Zeitpunkt bot die UdSSR den südafrikanischen Freiheitskämpfern eine umfassende militärische Ausbildung an. Auch Chris Hani erwarb in der Sowjetunion entsprechende Kenntnisse.

Wichtig für die Verstärkung des Anti-Apartheid-Kampfes Anfang der 60er Jahre war die schrittweise Einrichtung von Stützpunkten des ANC/MK in den unabhängig gewordenen Staaten Tansania und Sambia. 1967 erfolgte unter Chris Hanis Leitung eine erste gemeinsame Operation des MK und der Simbabwischen Befreiungsfront ZAPU im damaligen Süd-Rhodesien, dem heutigen Simbabwe. Das Ziel bestand darin, vom dortigen Territorium aus geeignete Wege der Einschleusung von Freiheitskämpfern nach Südafrika zu erkunden. In der sogenannten Wankie Campaign bewährten sich MK-Angehörige erstmals im bewaffneten Kampf gegen die Soldateska Pretorias. Hier erbrachte der junge Chris Hani den Beweis seiner Fähigkeit, in Zukunft den "bewaffneten Arm" des ANC führen zu können.

Mitte der 70er Jahre wurde für die Kämpfer des MK das Königreich Lesotho zu einem wichtigen Operationsgebiet. Von dort entsandte man eigene Leute in den Apartheidstaat, um die erforderliche Logistik zur Intensivierung des Befreiungskampfes zu schaffen. Nach dem opferreichen Aufstand in Soweto (1976) erfolgte ein besonders großer Zulauf engagierter Jugendlicher. Sie waren vom Haß auf das Terrorregime der Apartheid erfüllt. In Ausbildungslagern auf dem Boden Tansanias und Sambias wurden sie militärisch geschult. Doch Chris Hani wußte, daß die Vermittlung waffentechnischer und politischer Kenntnisse bei diesen überwiegend unerfahrenen Kämpfern eine Einheit bilden mußte.

In den 80er Jahren verstärkte sich der Anti-Apartheid-Kampf in Südafrika. So wurden seitens des ANC und seiner bewaffneten Formation zunehmend verdeckte Kampfformen wie Sabotage angewandt, die auch weiße Viertel erfaßten. Diese neue Militärstrategie erschütterte mehr und mehr das Regime Pretorias.

Chris Hanis herausragende Rolle bei all diesen Aktionen wurde von der ANC-Führung gewürdigt und anerkannt. 1987 ernannte sie den bereits erfahrenen Kämpfer zum Stabschef des MK. Im April 1990 kehrte dieser nach Südafrika zurück. Dort konzentrierte sich Hani auf die Vorbereitung der ersten wirklichen Wahlen in der Geschichte Südafrikas und den vom ANC angestrebten friedlichen Übergang von der Apartheid zur Demokratie. Diese Vision nahm angesichts von Veränderungen im internationalen Kräfteverhältnis zugunsten der sozialistischen Länder und der nationalen Befreiungsbewegungen realistische Züge an.

In dieser Zeit wurde Chris Hani der populärste politische Führer Südafrikas an der Seite Nelson Mandelas. Er war zu der Erkenntnis gelangt, daß der bewaffnete Widerstand gegen das Apartheidregime eingestellt werden mußte, um im ganzen Land eine demokratische Wahlen begünstigende Atmosphäre des Friedens und der Stabilität zu schaffen. In seiner Autobiographie "Mein Leben" schrieb er: "In der gegenwärtigen politischen Situation ist die Entscheidung unserer Organisation, den bewaffneten Kampf aufzugeben, ein wichtiger Beitrag, den Fortgang der Verhandlungen zu sichern."

Im Dezember 1991 wurde Chris Hani zum Generalsekretär der KP Südafrikas gewählt. Er gab seine Funktion beim MK auf, zumal das Ende des rassistischen Regimes bereits abzusehen war. Der beliebte Politiker konzentrierte sich jetzt darauf, die Reihen der SACP zu festigen und zahlenmäßig zu verstärken. Zugleich ging es ihm um ein noch engeres vertrauensvolles Zusammenwirken mit dem ANC.

Das Augenmerk des KP-Generalsekretärs galt vor allem auch den südafrikanischen Gewerkschaften. Deren Dachverband COSATU besaß schon bald nach seiner Gründung im Jahre 1985 etwa eine halbe Million Mitglieder. Die von Hani organisierte politische Bildungsarbeit in den Unions richtete sich darauf, in der Industrie, den Bergwerken und Häfen tätige Arbeiter für den Anti-Apartheid-Kampf zu mobilisieren.

Das Wirken der gewerkschaftlichen Basis, dessen Hauptziel mit dem der südafrikanischen Kommunisten im Einklang stand, sollte dem Aufbau eines antirassistischen, demokratischen und auch ökonomisch befreiten Südafrikas dienen. Der frühere COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vavi sagte über Chris Hanis bestimmenden Einfluß auf die südafrikanische Gewerkschaftsbewegung: "Unsere Zukunft wird mit dem Blut von Chris Hani geschrieben werden."

Das Fundament des nationalen Befreiungskampfes in Südafrika war die Dreier-Allianz aus ANC, SACP und COSATU. Es gab in der ersten Zeit nach der Proklamierung der Apartheid als Staatsdoktrin der weißen Rassisten Ende der 40er Jahre in diesem Bündnis noch Risse, und es ist heute neuen Erschütterungen ausgesetzt, bei denen sowohl Rechtsopportunisten aus den Reihen des ANC als auch linkssektiererische "Revoluzzer" eine Rolle spielen.

Die ANC-Führung hegte anfangs erhebliche Vorbehalte gegenüber politischen Grundpositionen der südafrikanischen Kommunisten. So äußerte Nelson Mandela in seiner Autobiographie, daß ihm "die ablehnende Haltung der Partei gegenüber der Religion" mißfalle. Besonders problematisch war jedoch seine Kritik, daß die SACP das Land vornehmlich "durch die Optik des Klassenkampfes" betrachte. Mandela folgerte: "Ich fand die Idee nicht besonders relevant für das heutige Südafrika." Seine Position änderte sich mit zunehmender Schärfe des Anti-Apartheid-Kampfes. Vor allem die bewaffneten Aktionen des MK, bei denen kommunistische Kämpfer wie Chris Hani eine entscheidende Rolle spielten, bewirkten bei Mandela und anderen ANC-Führern ein Umdenken. Die im Befreiungskampf gewachsenen persönlichen Sympathien zwischen Mandela und Hani sowie deren solidarischer Umgang miteinander trugen wesentlich dazu bei, das Bündnis der beiden wirksamsten Kräftegruppierungen Südafrikas zu festigen.

Chris Hani sah in Nelson Mandela bereits frühzeitig einen Freiheitshelden, als er selbst noch in der ANC-Jugendliga aktiv war und mit den Zielen der Widerstandsbewegung erst näher vertraut gemacht wurde. Mandela wiederum schätzte an Hani die Stärke seines Charakters und vor allem dessen Fähigkeit, gleichermaßen politischer Organisator und militärischer Führer im Untergrund zu sein. Seine Wertschätzung galt auch so profilierten weißen SACP-Funktionären wie Joe Slovo und Ruth First.

"Mein lange gehegter Widerstand gegen den Kommunismus brach langsam zusammen. Ich konnte und wollte die Aufrichtigkeit solcher Männer und Frauen nicht länger in Zweifel ziehen", bekannte Mandela. Deshalb akzeptierte er auch die Position des ANC, "Marxisten in seinen Reihen willkommen zu heißen".

Der gewaltsam herbeigeführte Tod Chris Hanis war für die südafrikanische Gesellschaft fraglos ein schwerer Verlust im fortwährenden Kampf zur endgültigen Überwindung von Apartheid und rassistischer Unterdrückung. In seiner Autobiographie fand Nelson Mandela die eindringlichen Worte: "Südafrika war eines seiner größten Söhne beraubt worden, eines Mannes, der bei der Umgestaltung des Landes in eine neue Nation von unschätzbarem Wert gewesen wäre. Eines Mannes, der die ganze Nation mit seiner Leidenschaft und seiner Fähigkeit erregte."

Dr. Wolfgang Semmler, Bernau
Hans-Jürgen Große, Berlin

Ende RF-Extra

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Hände weg von den Antifaschisten der Ukraine!

Wo Faschisten zum Zuge kommen und wüten, richtet sich ihr Terror immer zuerst und am brutalsten gegen die Kommunisten und deren Parteien. Das hat sich in Hitlerdeutschland, Mussolinis Italien und Franco-Spanien so zugetragen. Jetzt sind unsere ukrainischen Genossen der KPU unter ihrem beherzten, bereits zur Zielscheibe auch physischer Angriffe gewordenen 1. Sekretär Petro Simonenko massiver Gewalt und Bedrohung ausgesetzt. Während Mitglieder und Funktionäre der Partei überfallen, Parteisitze - darunter das Kiewer Gebäude des ZK der KPU - durch faschistische Banditen ausgeraubt und in Brand gesteckt wurden, ist die Legalität des Wirkens unserer ukrainischen Genossen akut bedroht.

Die Faschistenhorden der über 37 Parlamentssitze verfügenden und mit U.D.A.R. - der Partei des Zöglings der Konrad-Adenauer-Stiftung Witali Klitschko - verbündeten Swoboda haben sich in Schlüsselpositionen des Staatsapparates eingenistet. Sie kontrollieren de facto Armee, Polizei und Sicherheitsdienst, stellen obendrein den Generalstaatsanwalt der Ukraine. Gemeinsam mit den Terroristen des Rechten Sektors machen Killerbanden Jagd auf Antifaschisten, deren Mut wir nur bewundern können und denen unsere uneingeschränkte Solidarität gehört.

In einem Appell der KPU an kommunistische Bruderparteien in aller Welt hieß es in einer frühen Phase des von NATO und EU inspirierten Kiewer Putsches: "Wir bitten zur Aussöhnung der ukrainischen Gesellschaft mit allen möglichen Mitteln beizutragen, sowohl unsere spezifischen Vorschläge zu unterstützen als uns auch angesichts der realen politischen Lage im Lande in breitem Umfang beizustehen. Wir bitten Euch, die extremistischen Handlungen der faschistischen, nationalistischen und neonazistischen Kräfte in unserem Lande genauso zu verurteilen wie die ausländische Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine und jegliche weitere Zuspitzung der Gewalt."

Der RF - die derzeit auflagenstärkste marxistische Monatsschrift in den ehemals sozialistischen Staaten Europas und darüber hinaus - versichert die ukrainischen Genossen im Namen von Zehntausenden Lesern und Freunden seiner Gefühle unverbrüchlicher revolutionärer und antifaschistischer Verbundenheit.

K. S.

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Millionen Spanier trotzten der Erniedrigung durch das Rajoy-Regime

Der Kampf um Würde

In diesem Frühjahr schlug der Widerstand der spanischen Massen gegen ihre soziale Degradierung in eine neue Qualität um. Sehr unterschiedliche Formen des Protestes gegen den menschenverachtenden Kurs der Madrider Regierung unter Mariano Rajoy vereinigten sich zu einem mächtigen Strom. Die Volkspartei (Partido Popular - PP) des hart bedrängten Premiers steht in der ideologischen und politischen Nachfolge der Franco-Faschisten. Inzwischen sieht sie sich mit einer ständig an Breite gewinnenden Massenbewegung konfrontiert. Den Höhepunkt der diesjährigen Aktivitäten gegen Rajoys volksfeindliche Maßnahmen stellte der landesweite Marsch für Würde dar. Die aus allen Himmelsrichtungen in die Hauptstadt aufgebrochenen Kolonnen - ihre Teilnehmerzahl wurde von den Veranstaltern auf ein bis zwei Millionen geschätzt - vereinigten sich am 22. März auf dem Madrider Kolumbus-Platz zum größten Fest der Demokratie in der neueren spanischen Geschichte.

Die von sämtlichen Beteiligten unterstützte Hauptforderung lautete: "Brot, Arbeit, Wohnraum und Würde!"

Zu jenen, welche sich überall in Spanien zu Fuß auf den Weg gemacht hatten, stießen 900 Busse und zahllose Kolonnen privater Fahrzeuge. Unter den Demonstranten sah man die seit Monaten im Kampf stehenden Bergleute, Streikende der Coca-Cola-Fabriken, Aktivisten der Bewegung gegen Zwangsexmittierungen nicht zahlungsfähiger Mieter, viele aus dem Riesenheer der Arbeitslosen, junge Leute ohne Perspektive, zahlreiche Studenten, sich gegen Rajoys verhängnisvolle Politik auflehnende Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Pädagogen aller Bereiche. Etliche Demonstranten trugen Losungen, die ihren spezifischen Anliegen Ausdruck verliehen. Die Forderungen aller wurden in einem Manifest gebündelt. Darin hieß es u. a., es gehe um "würdige Beschäftigung, ein generelles Grundeinkommen, soziale Rechte und demokratische Freiheiten, gegen die Zwangseintreibung von Schulden, Budgeteinschnitte, Unterdrückung und Korruption. Wir wollen eine Gesellschaft freier Männer und Frauen, die Mobilisierung gegen ein System, das uns mißfällt und das uns in keiner Weise vertritt."

Nie zuvor hatte man in Spanien eine solche Vielfalt beteiligter Organisationen, Vereinigungen und Verbände gesehen, wobei die linken Parteien und die Gewerkschaftszentralen Comisiones Obreras (CCOO) und CNT sowie die KP Spaniens (PCE) und deren Wahlfront Vereinigte Linke (IU) den Kern der Organisatoren des Marsches für Würde verkörperten. Den Ordnungsdienst hatten an diesem Tag die hauptstädtischen Feuerwehrleute übernommen.

Als die zehn Marschkolonnen der Auswärtigen die Peripherie der spanischen Metropole erreichten, wurden sie von unzähligen Madridern stürmisch begrüßt und zum Kundgebungsort begleitet.

Die Staatsmacht hatte 1650 Polizisten im Einsatz, denen einige ultralinke Hitzköpfe Gelegenheit verschafften, ihr Gewaltmonopol auszuspielen. Sie fielen über vereinzelte Demonstrantengruppen her und jagten die von ihnen Verfolgten bis zu den U-Bahn-Eingängen.

Die Teilnehmer des Abschlußmeetings sagten der Rajoy-Regierung und der berüchtigten Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds entschiedenen Widerstand an.

In ihrer April-Ausgabe veröffentlichte "Solidaire", die jetzt als Monatsschrift erscheinende bisherige Wochenzeitung der Partei der Arbeit Belgiens (PTB), auf ihrer täglich erneuerten Internet-Homepage ein bemerkenswertes Interview mit Maite Mola. Die Verantwortliche für internationale Beziehungen des ZK der KP Spaniens beantwortete Fragen zu den konkreten Inhalten des derzeitigen Kampfes in ihrer iberischen Heimat. Bei der größten Protestaktion der letzten Jahrzehnte, an der sich Hunderte Organisationen beteiligt hätten, seien sehr unterschiedliche Interessengruppen aktiv geworden. Das einzige, was alle vereint habe, sei das Thema Dignidad (Würde) gewesen. Diese werde vor allem durch die immer dramatischer anwachsende Arbeitslosigkeit, die inzwischen ein Viertel aller Spanier betreffe, und die brutale Handhabung der Wohnungsmisere mit Füßen getreten. Tausende Menschen seien in letzter Zeit ohne viel Federlesen auf die Straße gesetzt worden. Gegenwärtig vegetierten 12 Millionen Spanier unterhalb der Armutsgrenze. Die noch im Arbeitsprozeß Stehenden erhielten oftmals Hungerlöhne. So bezögen 2 der 7,7 Millionen berufstätigen Frauen weniger als das Mindesteinkommen.

Das öffentliche Gesundheitswesen liege weithin am Boden. Ein Rettungswagen der Dringenden Medizinischen Hilfe treffe oftmals erst nach etlichen Stunden bei Notfallpatienten ein. Nur eine Privatversicherung, für die allerdings 110 bis 125 € im Monat gezahlt werden müßten, eröffne einen Ausweg aus der Misere.

Maite Mola ging auch auf das Thema der Medienberichterstattung über den Marsch für Würde ein. Zuerst sei dieses Großereignis völlig totgeschwiegen worden. An den Tagen vor dem 22. März hätten selbst die öffentlich-rechtlichen Sender kein Sterbenswörtchen verlauten lassen. Später habe sich die bürgerliche Journaille auf Zwischenfälle am Rande des Geschehens gestürzt, ohne dabei das harte Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten zu erwähnen.

Spaniens rechtssozialdemokratische PSOE - die größte parlamentarische Oppositionspartei - habe der machtvollen Willensbekundung einmal mehr die kalte Schulter gezeigt. Von ihr sei statt dessen ein anderes Thema bedient worden - das Ableben des früheren Premiers Adolfo Suarez. Das habe sich gerade zum rechten Zeitpunkt ereignet. Während der PSOE nahestehende Medien den Marsch für Würde außer Betracht ließen, berichteten sie detailliert über den Tod und die Beisetzung von Suarez. Bei Attacken auf Rajoy schneide sich die PSOE-Spitze ins eigene Fleisch, da dessen Vorgänger - der Sozialist Zapatero - bereits einen ähnlichen Kurs verfolgt habe, stellte Maite Mola fest. "Wenn wir, wie beim Marsch für Würde, die Einheit zwischen den sozialen Bewegungen, den Gewerkschaften und den Linksparteien auf Dauer herstellen könnten, dann wären in Spanien viele Dinge möglich", sagte sie. Schließlich sei einer der am häufigsten skandierten Sprechchöre der Demonstranten vom 22. März "Ja, man kann es tun!" gewesen, worauf die Antwort stets gelautet habe: "Ja, man muß es tun!"

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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El Salvador: Der Sieg des Comandante

Von 1980 bis 1992 tobte in der mittelamerikanischen Republik El Salvador ein erbitterter Bürgerkrieg zwischen den linksgerichteten Guerillakämpfern der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) und dem Terrorapparat der US-hörigen Staatsmacht. Damals sorgten die oftmals siegreichen Operationen der den Regierungstruppen zahlenmäßig unterlegenen FMLN-Verbände in der Weltpresse ebenso für Schlagzeilen wie der gnadenlose Terror der Reaktion. Der Bürgerkrieg endete schließlich mit einem Kompromiß, der zur Einstellung der Kampfhandlungen und zur Legalisierung der Befreiungsfront als politische Partei führte.

2009 wurde der parteilose Journalist Mauricio Funes mit Unterstützung der FMLN zum Staatspräsidenten gewählt. Während er der Organisation, die ihn aufgestellt hatte, ideologisch weniger verbunden war und eher zu reformistischen Auffassungen tendierte, war sein Vizepräsident Sanchez Ceren da aus ganz anderem Holz. Der ehemalige Kommandeur einer Einheit der Volksbefreiungskräfte besitzt marxistische Wurzeln und ist der Sache treu geblieben. Ceren, der in der ersten Runde der salvadorianischen Präsidentschaftswahlen am 2. Februar deutlich vor seinem Hauptrivalen Norman Quijano von der rechtsgerichteten ARENA gelegen hatte, siegte auch bei der Stichwahl am 9. März, allerdings nur mit sehr knappem Vorsprung. Die auf Grund des Einspruchs der ARENA erfolgte Nachzählung führte zu keinem anderen Resultat. Es blieb bei 49,89 % für den früheren Staatschef Antonio Saca, den die ARENA ins Rennen geschickt hatte.

Da auch im benachbarten Honduras ein Mitte-Links-Sieg gegen die reaktionäre Konkurrenz errungen wurde, kann man von einer gewissen Stärkung des antiimperialistischen Lagers in Mittelamerika sprechen. Übrigens gehörte auch El Salvadors neuer Vizepräsident Oscar Ortiz - er war zuvor der populäre Bürgermeister der Stadt Santa Tecla - derselben FMLN-Guerillaformation wie Sanchez Ceren an. Der neue Präsident steht vor einem Knäuel kaum lösbarer Probleme, auch wenn unter seinem Vorgänger Mauricio Funes manches sozialpolitische Projekt zur Verbesserung der Lage der Ärmsten in Angriff genommen wurde. Eine besondere Hypothek bleibt El Salvadors äußerst hohe Gewaltkriminalitätsrate, deren radikale Bekämpfung die Rechtskräfte in den Mittelpunkt ihrer Wahlversprechen gestellt hatten. Während des Bürgerkrieges waren Tausende Salvadorianer in die USA geflohen, denen Washington jedoch kein Asylrecht gewährt hatte, so daß sie nur als Illegale in den Slums großer Städte unterkamen. Dort beteiligten sich etliche von ihnen an Bandenkriegen der Drogenmafia. Viele wurden gefaßt und nach El Salvador zurückgeschickt. Die "Maras", wie die Banden genannt werden, sind unterdessen ein wichtiges Glied in der Transportkette des mexikanischen Drogenschmuggels.

Im salvadorianischen Wahlkampf spielten die von der Reaktion entfesselten Gewaltakte gegen Venezuelas bolivarische Regierung keine geringe Rolle. Die von den proimperialistischen Gegnern der Chavistas geschaffene explosive Situation in dem bedeutenden südamerikanischen Staat diente zur Manipulierung der Stimmberechtigten El Salvadors. Medien und Politiker der Rechten redeten ihnen unablässig ein, auch in ihrem Land werde eine ähnlich brisante und explosive Situation wie in dem "an Kuba geketteten Venezuela" eintreten, wenn die "Kommunisten der FMLN" am Ruder bleiben sollten.

Wie man sieht, hat diese Kampagne den Brunnenvergiftern der ARENA nicht den Sieg gebracht, auch wenn die Stimmabgabe für die Liste der Befreiungsfront am Ende deutlich unter den günstigeren Wahlprognosen zu Jahresbeginn gelegen hat.

RF, gestützt auf "People's World", New York

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Mexikos spurlos Verschwundene

Es gibt derzeit wohl kein anderes Land, wo so viele Menschen spurlos verschwinden oder "unter ungeklärten Umständen" zu Tode kommen wie Mexiko. Folgt man der offiziellen Version, dann handelt es sich bei den "Ausgelöschten" ganz überwiegend um Opfer von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Drogenkartellen. Zweifellos spielen mächtige kriminelle Vereinigungen und deren Bandenkriege eine gewichtige Rolle.

Doch vieles spricht dafür, daß die alle Dimensionen sprengende Gewalttätigkeit Teil einer bewußten Strategie zur Erzeugung von Angst und Schrecken ist, die Widerstandslosigkeit herbeiführen soll. Inzwischen kommen in Mexiko jährlich mehr Menschen um als während der Gesamtdauer der argentinischen Militärdiktatur. Im Verlauf der sechsjährigen Amtszeit des früheren Präsidenten Felipe Calderon registrierten Mexikos Behörden insgesamt 26.000 Menschen als "disappeared" (verschwunden). In jedem Jahr seiner Legislaturperiode fielen mehr Mexikaner aus den Einwohnerkarteien heraus als während der gesamten Schreckensherrschaft Pinochets in Chile.

Ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zu 250 überprüften Tötungsverbrechen ergab, daß "Sicherheitskräfte" in 149 dieser Fälle unmittelbar beteiligt waren.

Mexikos neuer schmutziger Krieg scheint weniger mit "subversiven Elementen" und weitaus mehr mit staatlichem Machtmißbrauch zu tun zu haben, der oft in enger Zusammenarbeit mit dem Organisierten Verbrechen erfolgt, stellte Kanadas Information Clearing House fest. Ziel sei es, die "soziale Kontrolle" zu behalten.

Zu diesem Zweck erfolge eine komplexe Militarisierung der mexikanischen Gesellschaft. Wo Blut fließe, hätten fast immer Angehörige der Armee, der Marine oder von föderalen wie örtlichen Polizeiorganen die Hand mit im Spiel. Die Glaubwürdigkeit amtlicher Untersuchungsergebnisse tendiere gegen Null.

Auch bei nachgewiesenen Taten sei Straflosigkeit fast die Regel. In der Mehrzahl der Fälle werde den Angehörigen der Opfer lediglich mitgeteilt, die zu Tode Gekommenen seien "in kriminelle Aktivitäten verstrickt" gewesen.

Über 98 % aller Tötungsverbrechen werden in Mexiko weder untersucht noch aufgeklärt. Im Jahr 2012 konnten von 27.700 Morden nur 523 geahndet werden. Solche offiziell bekanntgegebenen Zahlen legen die Vermutung nahe, daß der angeblich so energisch geführte Krieg gegen die Drogenkartelle in Wahrheit Schall und Rauch ist.

Wie sein Amtsvorgänger Calderon verlegt sich auch Staatspräsident Enrique Teña Nieto auf die durchgängige Militarisierung des öffentlichen Lebens, um der Krise Herr zu werden. Unter beiden Administrationen überschritt die Zahl der in Mexiko gewaltsam zu Tode Gekommenen die Grenze von 100.000. Damit gilt die Nord- und Zentralamerika verbindende Republik derzeit neben den USA als der gewalttätigste Staat der Welt.

RF, gestützt auf "The Guardian", Sydney

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Australien peinigt Bootsflüchtlinge in KZ-ähnlichen Internierungslagern

Folterhöllen vor der Küste

Brutale Gewaltakte in einem Lager für Refugees auf der zu Australien gehörenden Insel Manus haben ein grelles Schlaglicht auf die "Einwanderungspolitik" Canberras geworfen. Der 23jährige iranische Kurde Reza Berati, der an einer Hochschule auf dem Fünften Kontinent seine Architekturstudien fortsetzen wollte, wurde unter mysteriösen Umständen ermordet. Er war dorthin verschleppt worden, nachdem die Küstenwache das Boot, unter dessen Passagieren er sich befand, aufgebracht hatte. Kurz nach dem Zwischenfall, bei dem mehr als 70 weitere Internierte verletzt worden waren, verkündete Scott Morrison, Einwanderungsminister der rechtsgerichteten Regierung des Liberalen Toni Abbott, zunächst abwiegelnd: Berati habe sich durch einen Fluchtversuch aus dem Lager selbst in Gefahr begeben. Doch mehrere Zeugen, darunter die beherzte Dolmetscherin Avita Bokal, bekundeten, daß der junge Mann beim Betreten des Computer-Raumes hinausgeprügelt, brutal mißhandelt und weggeschleift worden sei. Diese Tatsachen konnte dann Abbotts Minister im Zuge einer "Nachprüfung" des Geschehens nicht mehr in Abrede stellen. Rod St. George, der in dem früher nur für Männer eingerichteten Internierungslager auf Manus für Gesundheit und Sicherheit verantwortlich gewesen war, sagte aus, in dem maßlos überfüllten Camp seien zu seiner Zeit sexuelle Übergriffe und physische Folter an der Tagesordnung gewesen.

Das australische Einwanderungsamt wies solche Angaben des Beamten zwar zurück, gestand aber ein, daß sich dort und in anderen Lagern vor der Küste Selbstverstümmelungen, das Zunähen des Mundes und fatal endende Fluchten aufs offene Meer des öfteren zugetragen hatten.

Derzeit befinden sich über 4300 Flüchtlinge wegen versuchten "illegalen Eindringens" in den einstmals selbst von "Boat People" mehrheitlich begründeten Staat des britischen Commonwealth in Camps auf Manus, Nauru und Papua Neu-Guinea. Obwohl diese Männer, Frauen und Kinder (!) kein Verbrechen gegen Australien begangen haben, werden viele von ihnen schon seit Jahren unter unmenschlichen Bedingungen gefangengehalten.

Nach den jüngsten Vorfällen erklärte Premierminister Abbott zynisch, die Internierten könnten ja auf eigene Kosten in die Hauptstadt Canberra fliegen, um vor dem Oberhaus des Parlaments über das Geschehen auszusagen. Demgegenüber verlangte Sarah Hansen-Young, Senatorin der australischen Grünen, eine Überprüfung der Zustände an Ort und Stelle. Diese sollte nicht nur auf Manus, sondern auch in allen anderen Flüchtlingslagern erfolgen.

Die couragierte Melbourner Monatsschrift "the Beacon" (Das Leuchtfeuer) - es handelt sich um das dem RF regelmäßig zugehende Blatt der unitarischen Kirchgemeinde - schlug sich einmal mehr für eine gute Sache in die Bresche. Unter der Schlagzeile "Verzicht auf Handeln bedeutet Komplizenschaft!" verlangte dessen Leitartikler, "von jedem anständigen Australier", die Abbott-Regierung aufzufordern, "das Verfrachten von Menschen in vor der Küste gelegene Konzentrationslager sofort zu beenden. Die Regierung spielt jetzt den Gastgeber für unsere eigenen Guantánamos." Mit der Bezeichnung vor Hunger und Gewalt Fliehender als "Illegale" müsse unverzüglich Schluß gemacht werden, las man im "Beacon". Australiens aufeinanderfolgende Regierungen der Labour Party wie der Liberalen versuchten der Bevölkerung nicht ohne Erfolg einzureden, ohne Visa an Land gegangene Bootsflüchtlinge seien als "Kriminelle" zu betrachten.

Das kirchliche Blatt verweist auf den Standpunkt des Amtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR), das schon seit langem seine Besorgnis über die anhaltende Zwangsinternierung auf Nauru und Manus zum Ausdruck gebracht habe. Die Fortsetzung dieser Praxis stelle einen Völkerrechtsbruch dar.

Der "Beacon"-Leitartikel schloß mit den Worten: "Es ist an der Zeit, daß jeder Australier die Abbott-Regierung wissen läßt: Nicht in meinem Namen!"

Der unabhängige Journalist und Buchautor Antony Loewenstein konstatierte in der diesem Thema gewidmeten "Beacon"-Ausgabe: "Nach 20 Jahren ständig zunehmender Grausamkeit gegenüber Flüchtlingen ist es an der Zeit einzugestehen, daß wir in eine Sackgasse geraten sind." Westliche Führer lebten in der Vorstellung, "daß sie sich gegenüber Machtlosen und Unsichtbaren alles herausnehmen könnten". Asylsuchende besäßen in ganz besonderem Maße keine Stimme, zumal sie weder durch Reporter noch von Anwälten aufgesucht werden dürften.

Australien nehme für sich in Anspruch, eine Demokratie zu sein, schreibt Loewenstein. Dabei habe es an einer wirklich demokratischen Politik Canberras in bezug auf Asylsuchende nie zuvor so gemangelt wie jetzt. Doch die am Ruder Befindlichen tangiere das nicht. Die australische Regierung fühle sich unbesiegbar, solange sie von Amerikas Sicherheitsdecke geschützt werde.

Nicht minder aufschlußreich ist ein "Beacon"-Beitrag der Koordinatorin Pamela Curr vom Beratungszentrum für die Rechte Asylsuchender. "60 % der Australier wünschen sich härtere und zugleich kargere Bedingungen in den Internierungslagern. Sie haben keinen Grund zur Besorgnis: Die Abbott-Regierung wird sie ihnen liefern", stellt die erfahrene Flüchtlingsberaterin fest. Die Camps vor der Küste entsprächen Standards der Dritten Welt. Auf Aqua gebe es z. B. sechs Toiletten für 400 bis 500 Menschen. Schwangere Frauen müßten dort oftmals bis zu 90 Minuten in der Schlange stehen, bis sie die absolut unhygienischen Aborte benutzen könnten. Auf der Insel Manus seien die "unerwünscht Einreisenden" in überhitzten, nach Regenfällen aber sofort unter Wasser stehenden Zelten zusammengepfercht.

Besonders kritikwürdig sei Canberras Krieg gegen Kinder. Wenn sie auf australischem Boden zur Welt kämen, werde den Müttern schon kurz nach der Entbindung mitgeteilt, ihr Nachwuchs besitze natürlich keinerlei Anspruch auf Staatsbürgerrechte und werde als ebenso illegal wie seine auf dem Fünften Kontinent gestrandeten Eltern betrachtet.

RF, gestützt auf "the Beacon", Melbourne, und "The Guardian", Sydney

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Wie Brüssel das griechische Gesundheitswesen krankpflegt

Gefahr für Leib und Leben

Ein Drittel der griechischen Bevölkerung ist heute nicht krankenversichert und besitzt de facto keinen Zugang zu regulärer medizinischer Betreuung. Tausenden und aber Tausenden Kindern werden Impfungen verweigert. Befragt, ob dadurch die Gesundheit der Hellenen auf dem Spiel stehe, gab die Athener Krankenschwester Olga Siantou vom Sekretariat der den Kommunisten nahestehenden klassenkämpferischen Arbeiterzentrale PAME - sie gehört zugleich dem Generalrat der Gewerkschaftsdachorganisation im Öffentlichen Dienst Beschäftigter (ADEDY) an - in einem Interview Auskunft.

Hier das Resümee: Der durch die EU verordnete griechische Staatshaushalt sieht für 2014 eine neuerliche Kürzung der Ausgaben für soziale Zwecke um 12,5 %, der Mittel für das öffentliche Gesundheitswesen sogar um 19,7 % vor. Das Budget für Krankenhäuser verringert sich um 32 %. Das sind mindestens fünf Milliarden Euro!

Diese Zahlen lassen den Schrecken indes nur ahnen, der in die Hospitäler der öffentlichen Hand Einzug gehalten hat. Am empfindlichsten sind natürlich die Wohnbezirke der sogenannten einfachen Leute betroffen, während die griechische Bourgeoisie ihr Schäfchen auch diesmal ins trockene bringt.

Die Notaufnahme des Athener Evangelismos-Krankenhauses, das zu den größten Einrichtungen des Gesundheitswesens der griechischen Metropole zählt, erinnert inzwischen an einen Hauptverbandsplatz nach blutigen Schlachten. Unter der Koalitionsregierung aus konservativer Neuer Demokratie und rechtssozialdemokratischer PASOK sind etliche Athener Hospitäler geschlossen worden. Viele Menschen sterben, da sie überhaupt keine oder eine erst maßlos verzögerte Aufnahme bei übriggebliebenen Einrichtungen finden. Vor allem der Mangel an Personal fordert viele Opfer. So verfügt z. B. das auf die Behandlung von Krebspatienten spezialisierte Métaxa-Hospital nur über 50 % der im Stellenplan vorgesehenen Mitarbeiter. Auf Beschluß des Gesundheitsministeriums wurden sämtliche 250 staatlichen Polikliniken der Einheitskrankenkasse EOPYY geschlossen, wodurch 8000 Mitarbeiter auf die Straße flogen.

In zahlreichen Fällen sind die in stark reduzierter Zahl zur Verfügung stehenden Betten nicht mit den notwendigen Gerätschaften ausgestattet. Landesweit wurden mehr als 10.000 Betten "eingespart".

Etliche Patienten verlassen die Hospitäler vorzeitig, weil sie die hohen Untersuchungs- und Behandlungskosten nicht aus eigener Tasche aufbringen können. Andere fühlen sich außerstande, teure Medikamente zu erwerben.

Natürlich spielt bei all dem auch die enorm gestiegene Arbeitslosigkeit eine große Rolle. Bei einem europäischen Durchschnitt von 12,1 % lag sie in Griechenland im November 2013 bei 28 %, die der jungen Erwerbsfähigen betrug sogar 61,4 %!

Während die Kosten versicherter Patienten in der Regel durch die Kassen übernommen werden, müssen Nichtversicherte entweder sofort dafür aufkommen oder eine "Bereitschaftserklärung" zu späterer Schuldenbegleichung unterschreiben. Mammographien und pränatale Untersuchungen schwangerer Frauen fallen aus den vom Staat finanzierten Leistungen ebenso heraus wie Ultraschall-Anwendungen.

Die Einrichtungen des Gesundheitswesens stehen unter dem permanenten Preisdruck der Pharmakonzerne und ähnlich strukturierter Lieferanten von sanitärem Material, was sie zu möglichst preisgünstigen Lösungen greifen läßt.

Nach der Spezifik von Sparmaßnahmen im griechischen Gesundheitswesen befragt, erklärte Olga Siantou: In erster Linie betreiben die das Krankenhaus-Busineß Fördernden im Athener Machtapparat die Kürzung der Bezüge des Personals, die Erhöhung kostensparender Flexibilität der Arbeitszeiten von Ärzten und Pflegekräften, die Unterdrückung von Kollektivverträgen, die Steigerung der abzuleistenden Stundenzahl ohne zusätzliche Vergütung, die Verzögerung des Renteneintrittsalters, eine "Liberalisierung" der Entlassungsmöglichkeiten, die Heraufsetzung der Medikamentenpreise für die Patienten, Einschnitte im öffentlichen Gesundheitsdienst und bei der Sozialversicherung sowie die Verteuerung von Energie und warmem Wasser.

Die Ärzte sind gehalten, in geeigneten Fällen Kranken die Verlegung in besser ausgerüstete und bequemer eingerichtete Privatkliniken zu empfehlen. Beim Ausfall von Geräten in öffentlichen Hospitälern wird ein zu Untersuchender generell an sie überwiesen.

Besonders übel sind in Hellas die Immigranten und deren Kinder dran. Ihre Diskriminierung ist offenkundig. So zahlt eine nichtversicherte Griechin für die Aufnahme in einem öffentlichen Krankenhaus etwa 1000 Euro. Eine eingewanderte Frau hat für die gleichen Leistungen das Doppelte auf den Tisch zu legen.

In Griechenland betrachtet man die Gesundheit als "Privatangelegenheit" der Bürger. In dem 2007 von der EU beschlossenen Weißbuch zum Thema Gesundheit heißt es, der Zugang zu den entsprechenden Dienstleistungen sei "eine persönliche Angelegenheit jedes einzelnen".

Olga Siantou kann diesen Standpunkt des Europas der Patrone natürlich nicht akzeptieren. "Die Gesundheit ist ganz einfach schon deshalb keine Privatangelegenheit, weil die physische Verfaßtheit der Menschen ganz entscheidend mit den Produktionsverhältnissen, dem sozialen Umfeld und den Arbeitsbedingungen, dem Zugang zur Bildung, der Ernährung und den Wohnverhältnissen zusammenhängt. Entsprechen diese Voraussetzungen nicht den Erfordernissen, verschlechtert sich die Gesundheit, so daß sanitäre Dienstleistungen, Krankenhausaufnahme, Medikamenteneinsatz und Ärzte erforderlich werden."

Die Folgen der Athen durch Brüssel verordneten Politik sind beweisbar. Von 2008 bis 2010 stieg die Säuglingssterblichkeit in Hellas um 43 %. Fast ein Drittel der nicht altersbedingten Todesfälle ist auf die Krise zurückzuführen. Zwischen 2007 und 2011 nahm die Zahl der Selbstmorde um 45 % zu.

RF, gestützt auf "Solidaire"

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Alarmsignale aus dem Yankee-Land
[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Wie dem EU-Parlament ein Zugeständnis abgerungen wurde

Wasser zum "schützenswerten Gut" erklärt

Ohne Wasser gibt es kein Leben. Trinkwasser ist das wichtigste Lebensmittel der Menschen. Da sich der Markt jede Ressource unterwerfen will, soll auch das Trinkwasser zum profitablen Geschäft werden. Zugleich bedeutet die Verfügung darüber Macht. Noch befindet sich die Trinkwasserversorgung weltweit zu 90 Prozent in öffentlicher Hand. Doch die Privatisierung schreitet - gefördert von der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU-Kommission - unter dem verschleiernden Begriff "Liberalisierung" voran. Derzeit teilen sich etwa 20 Wasserkonzerne den Markt, wovon "Veolia" und "Suez" die Hälfte kontrollieren.

Im Kampf gegen die Privatisierung ist ein bescheidener Erfolg errungen worden: Die erste erfolgreiche europäische Bürgerinitiative hat am 19. März der EU-Kommission in einer Erklärung das Zugeständnis abgetrotzt, daß "Wasser als öffentliches Gut für alle Bürger der Union von grundlegendem Wert ist". Darüber konnte sich eine Gruppe engagierter Berliner Bürger aus erster Hand informieren. Sie war unter Federführung des Charlottenburg-Wilmersdorfer Kreisverbandes der Grünen auf Einladung der bisherigen Abgeordneten Hiltrud Breyer noch vor den Wahlen nach Brüssel gereist. Zu ihr gehörte auch Wolfgang Deinlein aus Karlsruhe. Er ist Unterstützer der Bürgerinitiative "Right2Water", welche die Kommission zu der eingangs zitierten Erklärung zwang. Sie hatte diese aufgerufen, allen EU-Bürgern das Recht auf Wasser zu garantieren, die Versorgung mit Trinkwasser und die Bewirtschaftung der Wasserressourcen von den Binnenmarktregeln auszuschließen und weitere Anstrengungen zu unternehmen, um weltweit universellen Zugang zu Wasserversorgung und Abwasserentsorgung zu sichern.

Knapp zwei Millionen Bürger aus EU-Mitgliedsstaaten unterstützten in über 20 Initiativen dieses Anliegen. Dadurch mußte es auf die Tagesordnung der EU gesetzt werden. In ihrer Mitteilung konstatiert deren Kommission, daß Wasser ein "ererbtes Gut ist, das geschützt und verteidigt werden muß".

Der Bericht von Wolfgang Deinlein über die Fallstricke und Hürden, die sich hinter solchen wohltönenden Worten verbergen, verhinderte eine unangemessene Euphorie in der Besuchergruppe. Eher wuchsen die Besorgnis und das Mißtrauen gegenüber den demokratischen Möglichkeiten des Parlaments. Einige Bürger gewannen sogar den Eindruck, daß die politische Struktur der Europäischen Union eher geeignet ist, Konzerninteressen den Weg zu bahnen, als dem politischen Willen der Bürger Rechnung zu tragen.

Die EU behandelt die Trinkwasser- und Abwasserversorgung als eine Dienstleistung, die auch von privaten Konzernen erbracht werden soll. Das ist eine Einladung, wenn nicht gar Aufforderung zur Privatisierung der Wasserversorgung.

Deutlich wird dies gerade in Griechenland und Portugal, wo die Troika aus EU-Kommission, IWF und Europäischer Zentralbank weitere Hilfen von der Privatisierung der kommunalen Wasserbetriebe abhängig macht. Damit solle die Staatsverschuldung verringert werden. In die gleiche Richtung laufen die gegenwärtig seitens der EU mit den USA geführten Verhandlungen über ein Freihandels- und Investitionsabkommen. Dessen Bestandteil sind Schiedsgerichte, vor denen die Investoren, einzelne Staaten, Regionalparlamente und Kommunen verklagen können, sollten deren demokratisch gefaßte Beschlüsse oder Gesetze den zu erwartenden Profiten Hindernisse in den Weg legen. In einem solchen Falle hätten die jeweiligen Länder Schadensersatz zu zahlen. Für Hiltrud Breyer, die nicht wieder für das Europaparlament kandidierte, ist die Tatsache, daß sich Privatunternehmen derart über demokratisch verfaßte Körperschaften erheben dürfen, eine Ungeheuerlichkeit. Es wäre überhaupt die Frage zu stellen, weshalb in sogenannten Rechtsstaaten Richtergremien mehr zu sagen haben als der Souverän - die Parlamente.

Wie Kommunen mit Forderungen auf Schadensersatz erpreßt werden können, erleben die Bürger, die nach Brüssel gereist waren, derzeit gerade in ihrem Berliner Heimatbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Ein US-Finanzunternehmen hat dort bundeseigenes Kleingartengelände gekauft und durch die Umwandlung zu Bauland eine Wertsteigerung von 8582 Prozent erzielt. Um die Rendite realisieren zu können, sollen nunmehr die Kleingärtner ihre Parzellen räumen. Dem Bezirk wurde im Verweigerungsfalle eine Schadensersatzforderung von zunächst 50 Millionen Euro, die man dann auf 25 Millionen Euro reduzierte, angedroht.

Der SPD-Stadtrat ist eingeknickt und hat einen Kompromiß ausgehandelt, demzufolge nur die Hälfte der Kleingärtner weichen muß, dafür aber auf der anderen Hälfte der Fläche doppelt so hoch gebaut werden darf. Der Grundstücksspekulant verliert nichts, aber die Hälfte der Kleingärtner büßt ihre Parzellen ein. Dieses Ergebnis auf den erfolgreichen Berliner "Wassertisch" umgelegt, könnte bedeuten, daß sich Politiker rühmen, einen Kompromiß gefunden zu haben, wonach die Hälfte der Berliner zu trinken bekommt, während die andere Hälfte dürstet. Nach dem Prinzip "Teile und herrsche" dürfen dann die Durstigen die Auseinandersetzung mit den Trinkenden führen.

Wasser mag in Berlin ein eher fernliegendes Problem sein. Das verdanken die Bürger allein der geographischen Vorzugslage. In anderen deutschen Städten, wo Trinkwasser aufwendig gefördert werden muß, besitzt es bereits einen höheren Stellenwert. Noch deutlicher wird das beim Blick auf andere Kontinente. In Australien nimmt in Flaschen abgefülltes Regenwasser schon die größte Fläche in den Supermärkten ein. Und nur in guten Hotels und Luxuswohnungen gibt es einen zweiten Hahn, aus dem Trinkwasser fließt.

Politisch brisant wird es, wenn Trinkwasserressourcen Staatsgrenzen überschreiten, wie das bei Flüssen, Seen und im Grundwasser der Fall ist. Die UNO zählt 263 solcher Vorkommen. Wenn der Zugang nicht durch gerechte Verträge geregelt wird, kommt es oftmals zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Das ist in Afrika bereits Realität. Die Präsidentin der westafrikanischen Hilfsorganisation FAI Marie-Ginette Amani berichtet, das sich die Trockenregion der Sahelzone immer weiter nach Süden ausbreitet und auf die Küsten zubewegt. Bei den ethnischen Konflikten in Mali und Burkina Faso geht es bereits ums Wasser.

Die UNO schätzt, daß jährlich mehr als fünf Millionen Menschen - darunter zwei Millionen Kinder - sterben, weil sie kein reines Trinkwasser erhalten. Bis zu 1,3 Milliarden Menschen haben zu ihm keinen Zugang. Es wird erwartet, daß 2025 zwei Drittel der Erdbevölkerung unter der Wasserknappheit leiden werden.

Dr. Frank Wecker, Leegebruch

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Kontrollierter Sinkflug nach glanzvollem Aufstieg

Das letzte Kapitel der HV A

Bernd Fischer - seit Jahren kundiger Autor unserer Zeitschrift und wissensreicher Gesprächspartner vieler RF-Regionalgruppen - hat ein neues Buch vorgelegt. Darin schildert er das schmerzvollste Kapitel in der Geschichte des Auslandsgeheimdienstes der DDR - der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A). Es geht um ihre erzwungene Auflösung im Zuge der Konterrevolution. Obwohl es sich hierbei um einen letztlich zum Absturz führenden Sinkflug handelte, beeindrucken die Selbstbeherrschung und verläßliche Disziplin der kleinen Schar mit dem Quellenschutz und personeller wie materieller Abwicklung des wohl sensibelsten Teils der DDR-Schutz- und Sicherheitsorgane befaßter Genossen.

Wie die HV A von Freund und Feind beurteilt wurde, ist ein Ruhmesblatt. In seinen Memoiren notierte der 2007 verstorbene langjährige Leiter der Auslandsaufklärung der UdSSR, Armeegeneral Wladimir Krjutschkow: "Von den Freunden erhielten wir ... Informationen, die ihren Niederschlag in politischen Entscheidungen von perspektivischer Bedeutung fanden. Sie halfen auch, Angriffe zu verhindern, Entführungen zu vereiteln und Provokationen abzuwehren."

Milton Bearden, der lange Zeit in der CIA-Zentrale Langley die Abteilung Sowjetunion/Osteuropa leitete, bekundete 2004 auf einer Konferenz in Berlin: "In der Tat ist hier die Frage angebracht, wie sehr das allgemeine Niveau des Verständnisses, das den Kalten Krieg kalt hielt, durch die von der HV A ... gesammelten nachrichtendienstlichen Erkenntnisse zusätzlich gefördert wurde."

Auch der einstige CIA-Chefhistoriker Benjamin Fisher sprach Wahres aus: "Gemeinsam haben MfS und HV A es vermocht, daß sich die CIA in der DDR, einem neuralgischen Punkt im Kalten Krieg, als taub, stumm und blind erwiesen hat." Sie habe dort über keine echten Quellen verfügt, so daß sie 1989 von den Ereignissen buchstäblich überrascht worden sei.

Der dänische Historiker Thomas Wegener Friis ging noch einen Schritt weiter, als er die HV A "einen der erfolgreichsten, wenn nicht den erfolgreichsten Spionagedienst des Kalten Krieges in Ost und West" nannte.

Diese Bewertung eines glanzvollen Aufstiegs soll vorangestellt sein, um die ganze Tragik des zwar von Beginn an kontrollierten, aber unvermeidlicherweise mit Aufprall und Zerschellen endenden Sinkfluges der HV A zu erfassen.

Mit der dilettantischen und zugleich verräterischen "Order zum sofortigen Öffnen" der DDR-Staatsgrenze in Berlin durch ein schon bald darauf zum politischen Achtgroschenjungen mutierendes SED-Politbüromitglied am 9. November 1989 wurde auch das Finale der DDR-Sicherheitsorgane eingeleitet. Die wohl kaum ernsthaft angestrebte Umwandlung des MfS in ein Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) hielt diesen Prozeß nur unwesentlich auf. In der Zeit vom 31. Oktober bis zum 31. Dezember 1989 sank die Zahl der Mitarbeiter der HV A von 4128 auf 2923. Am 31. März 1990 waren nach der Entlassung aller regulär Beschäftigten im Stellenplan des Komitees für die Auflösung des MfS/AfNS nur noch 246 bisherige HV A-Mitarbeiter vorgesehen.

Die Verbliebenen leisteten eine titanische Arbeit. Sie folgten der bereits im November 1989 ergangenen zentralen Weisung zur Vernichtung sämtlicher Karteikarten, Akten und des verfilmten Materials der HV A. Schon im Monat darauf waren drei Viertel der Bestände - Originale wie Duplikate - nicht mehr vorhanden. Im Vordergrund allen Handelns standen der Schutz inoffizieller Mitarbeiter und oftmals in der Höhle des Löwen operierender Kundschafter.

Bei der am 15. Januar 1990 erfolgten Besetzung des Berliner MfS/AfNS-Gebäudekomplexes hatten sich Mitarbeiter westlicher Geheimdienste - vor allem der BRD - mit Material zu bedienen gesucht, wobei das beteiligte CIA-"Team" in dieser Phase beinahe noch leer ausging. Erst im März 1990 gelangte Langley in den Besitz wichtiger Unterlagen.

Während in Berlin die Gesamtverfilmung der Zentralkartei durch die beherzten Mitarbeiter Bernd Fischers - des Beauftragten Leiters der HV A in ihrer Auflösungsphase - vernichtet und so dem gegnerischen Zugriff entzogen worden war, stieß das früheren MfS-Mitarbeitern unterbreitete Angebot, sie zu übernehmen, falls sie zur Identifizierung eigener Quellen in BRD-Regierungsinstitutionen bereit seien, ins Leere. Allerdings gab es auch einige höherrangige Überläufer, die Karten aufdeckten, was zur Festnahme so gut plazierter Kundschafter wie Rainer Rupp und Dr. Gabriele Gast führte.

Ende 1998 meldete die als Gauck-Behörde bezeichnete BRD-Inquisitionszentrale triumphierend, das Datenprojekt SIRA der HV A sei rekonstruiert worden. Tatsächlich gelangte eine Kopie der Sicherheitsverfilmung der DDR-Auslandsaufklärung - sie wurde unter der Bezeichnung "Rosenholz"-Datei bekannt - mit sämtlichen Eintragungen bis Januar 1988 in den Besitz der CIA. Unklar ist, wie diese äußerst sensible Kartei in deren Hände gelangen konnte.

In jedem Falle handelte es sich um eine ernste nachträgliche Niederlage der HV A. Am schlimmsten war die im Ergebnis doppelter Archivierung eingetretene Bloßlegung von Quellen. Übrigens gehörten zu den im Zuge der "Stasi"-Jagd Festgenommenen auch Generaloberst a. D. Werner Großmann und Oberst a. D. Bernd Fischer. Insgesamt wurden gegen 20.000 bis 30.000 Personen Ermittlungsverfahren wegen Tätigkeit für das MfS eingeleitet. Es kam zu etwa 300 Verurteilungen. Die meisten Betroffenen - Rainer Rupp erhielt mit 12 Jahren die längste Freiheitsstrafe - waren Kundschafter der HV A.

Am 15. Mai 1995 stellte das Bundesverfassungsgericht in einem Prozeß wegen "Landesverrats", in dem auch Werner Großmann und andere leitende Mitarbeiter der Auslandsaufklärung angeklagt waren, unmißverständlich klar: "Die Angehörigen der Geheimdienste der DDR haben - wie die Geheimdienste aller Staaten der Welt - eine nach dem Recht ihres Staates erlaubte und sogar von ihm verlangte Tätigkeit ausgeübt."

Die Auflösungsgruppe der HV A übergab der Öffentlichkeit eine Fülle von Archivmaterialien über die friedenssichernde Arbeit dieses Organs. Der spätere Bundesanwalt Lampe zeigte sich enttäuscht. Er wertete die historisch kostbare Sammlung mit den Worten ab, es handele sich dabei lediglich "um Dokumente von geringer Aussagekraft".

Bernd Fischers neues Buch führt den Nachweis, daß frühere DDR-Bürger, aber auch Antiimperialisten der alten BRD und anderer Länder gute Gründe haben, die bleibenden Verdienste der HV A trotz des Debakels am Ende gebührend zu würdigen.

Klaus Steiniger


Bernd Fischer. Das Ende der HV A. Die Abwicklung der DDR-Auslandsaufklärung. edition ost im Verlag das Neue Berlin, 2014. 288 Seiten, 14,99 €. ISBN 978-3-360-01855-7

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Was aus den Kunstwerken in der Wandlitzer Waldsiedlung wurde

Vandalen und Retter

Im Herbst 1989 öffnete man das vom Kunstschmied Fritz Kühn geschaffene Tor des Haupteingangs zur Wandlitzer Waldsiedlung für die Öffentlichkeit. Eine ausgewählte Presse bemühte sich, die dunklen Geheimnisse um das Domizil der Mitglieder des SED-Politbüros in Erfahrung zu bringen und zu lüften. Sie vermischte dabei Wahres und Unwahres, Bedeutendes und eher Nebensächliches.

Wesentliche Zusammenhänge blieben außer Betracht. Mit reißerischen Reportagen, tendenziöser Auslegung der Lebensbedingungen in dieser sehr speziellen Einrichtung peitschte man Emotionen hoch, die eine sachliche, differenzierte Bewertung des Objekts in seiner Funktion und Bedeutung unmöglich machten.

Das war wohl auch so gewollt. Allein im ersten Monat des öffentlichen Zugangs wurde die Waldsiedlung von über 70.000 Menschen aus sehr unterschiedlichen Motivationen besucht. Sie wurden allerdings enttäuscht. Denn anstelle pompöser Luxusvillen sahen sie Einheitsbauten in gepflegter Waldlandschaft.

Das Terrain gehörte seit dem 15. Jahrhundert der Stadt Bernau und war auch in deren Grundbuch als Stadtforst eingetragen. 1958 ging es in den Besitz der DDR über.

Die ergriffenen Sicherungsmaßnahmen entsprachen den speziellen Gegebenheiten des Territoriums und dem Grad der Gefährdung in diesem Objekt konzentriert wohnender Personen.

Andererseits war die offizielle Geheimniskrämerei um das Wohngebiet des Politbüros weder notwendig noch politisch sinnvoll. Die Presse Westberlins hatte übrigens schon 1959 über das Bauvorhaben bei Wandlitz berichtet. Mehrere an der Projektierung Beteiligte waren republikflüchtig geworden und plauderten darüber.

Die Gewährleistung der Sicherheit durch terroristische Aktionen gefährdeter Politiker der DDR war besonders in den Zeiten des Kalten Krieges eine erstrangige Aufgabe des sozialistischen Staates. Die übertriebene "Diskretion" und die unnötige Isolierung der Führung vom Volk wurden jedoch von den bürgerlichen Medien ausgenutzt, um Menschen in Ost und West gegen die Regierung der DDR und besonders die in der Waldsiedlung wohnenden Politbüromitglieder aufzuwiegeln.

So war es nicht verwunderlich, daß nach der Freigabe zur Besichtigung viele Interessierte das geheimnisumwitterte Objekt aufsuchten. Die meisten wollten sich lediglich ein Bild davon verschaffen, wie es dort tatsächlich aussah, während andere hier Frust und Haß zu entladen gedachten.

Am 14. Dezember 1989 beschloß die Koalitionsregierung unter Hans Modrow, die Wandlitzer Waldsiedlung in ein Reha-Sanatorium umzugestalten. Mit dem vorhandenen Personal und der Neuanstellung von Ärzten und anderen medizinischen Fachkräften wurde diese Aufgabe in kurzer Zeit gelöst. Schon am 20. Februar 1990 trafen die ersten 35 Patienten ein. Bis Ende 1990 waren es 1900, außerdem 91 Rollstuhlfahrer und 89 krebskranke Kinder, die hier behandelt wurden.

Das BRD-Gesundheitsministerium stellte als Nachfolgeinstanz des Ministeriums für Gesundheitswesen der DDR bei deren Anschluß an den westdeutschen Staat die Zahlung für das Reha-Sanatorium zum Jahresende 1990 ein. Es wurde geschlossen und in private Trägerschaft überführt. Seine 550 Mitarbeiter entließ man von heute auf morgen.

Zu Beginn der 60er Jahre hatten der Architekt Gläske und der mit ihm befreundete Bildhauer Grzimek von Künstlern der Modernen Klassik geschaffene Skulpturen ausgewählt und in der Waldsiedlung aufgestellt. Es handelte sich um Plastiken aus dem Schaffen älterer namhafter Künstler und Angehöriger der ersten Nachkriegsgeneration. Die Werke waren weder speziell für die Waldsiedlung geschaffene Auftragsarbeiten, noch wurden sie von den Bewohnern angefordert.

Einige seien kurz erwähnt, so die 1959 entstandene "Schwimmerin" von Fritz Cremer. Der Bildhauer schuf überdies zwei Großplastiken auf dem Zentralfriedhof in Wien, wurde aber besonders durch das Buchenwalddenkmal und eine Plastik in den Außenanlagen des UN-Hauptquartiers am New Yorker East River weltweit bekannt. Heinrich Drakes "Jaguar" stammte bereits aus dem Jahre 1938. Zu seinen bekanntesten späteren Arbeiten gehört das Zille-Denkmal in Berlins Köllnischem Park sowie die Skulptur Memento Vietnam. Auch Waldemar Grzimeks "Schwimmerin" (1959) und eine zur gleichen Zeit entstandene Wildschwein-Plastik waren Teil des Ensembles. Dazu gehörten auch die "Gänsegruppe" (1958) von Gustav Weidanz sowie seine Skulptur "Die Liegende" (1959). Schließlich seien hier Gerhard Geyers "Musizierendes Mädchen" (1956) und Ludwig Engelhards "Sitzende Schwimmerin" (1960) erwähnt. Übrigens gehört auch das Marx-Engels-Denkmal am Fernsehturm zum Schaffen dieses Künstlers.

Nach Öffnung der Waldsiedlung und ihrer Verwandlung in ein Reha-Sanatorium schenkte man diesen Arbeiten zunächst wenig Aufmerksamkeit, obwohl der damalige Leiter der Einrichtung auf den kunsthistorischen Wert der frei im Gelände stehenden Skulpturen nachdrücklich hingewiesen worden war. Der Aufwand zu ihrer sicheren Verwahrung würde nur Kosten verursachen und sich nicht rechnen, hieß es marktwirtschaftskonform. Damit war das Problem abgetan und dem politischen Willen der Sieger jener Runde der Geschichte entsprochen worden.

Von den rund 30 Kunstgegenständen sind noch etwa zwei Drittel vorhanden. Die übrigen wurden gestohlen oder landeten vermutlich auf Müllhalden. Der "Jaguar" Heinrich Drakes wechselte auf einem Berliner Flohmarkt für 200 Mark den Besitzer, während "Die Trauernde" Waldemar Grzimeks in einem Garten von Joachimsthal ihren neuen Standort erhielt.

Viele Jahre standen die Skulpturen in ungepflegtem Zustand auf dem Gelände der jetzigen Brandenburg-Klinik. Ein Artikel in der "Märkischen Oderzeitung" wies am 24. Juni 2010 auf den bedauerlichen Zustand der Werke hin. Damals befand sich der Kurator a. D. der Nationalgalerie Berlin-Preußischer Kulturbesitz gerade im Sanatorium und erkannte das Problem. Er informierte den Geschäftsführer der Brandenburg-Klinik über die Sachlage und empfahl dringend, die kostbaren Kunstgegenstände der Nachwelt zu erhalten.

In der Folgezeit wurden die Skulpturen dann völlig unsachgemäß abgebaut und eingelagert, was zu erheblichen Beschädigungen führte. So hat man Grzimeks "Schwimmerin" brutal von ihrem Sockel gerissen und ihr dabei beide Füße abgebrochen. Man entdeckte die durch Künstler von internationalem Rang geschaffenen Arbeiten der Modernen Klassik in einer Rumpelkammer der Brandenburg-Klinik.

Im Streit um die Eigentumsrechte konnte sich die Stadt Bernau vorerst durchsetzen. Mit viel Engagement und nicht wenig finanziellem Aufwand ließ sie die Skulpturen restaurieren und stellte so ihre Erhaltung sicher. Bis Februar 2014 waren sie im Bernauer Zentrum der Öffentlichkeit zugänglich. Eine weitere Ausstellung an anderer Stelle der Stadt wurde ins Auge gefaßt. In den Haushaltsplan nahm man zusätzliche Mittel für den Erhalt und die Restaurierung der Kunstwerke auf. Ihre Bewahrung vor natürlichem Verfall, mutwilliger Beschädigung und politischer Ignoranz ist das Verdienst des Kulturamtes Bernau, der Abgeordneten der Stadt, besonders aber der Fraktion der Partei Die Linke und des Einsatzes vieler Bürger.

Werner Beck, Bernau

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Über Stille und Trubel am 1. Mai

Wie immer wache ich gegen 7 Uhr auf und gehe ans Fenster meiner im 9. Stock liegenden Wohnung eines Plattenbaues in Berlin-Hellersdorf. Auf der Straße herrscht eine himmlische Ruhe. Kein Mensch ist auf dem gesamten Terrain zu sehen, das ich von meiner Höhe aus überblicken kann. Auch kein Auto fährt vorbei. Aber die Straßenbahn kommt pünktlich. Sie hält, obwohl niemand an der Haltestelle steht. Nur eine Person steigt aus. Ich hasse Lärm und Geschrei. Das zarte Konzert der Vögel und der Geruch von blühendem Flieder umschmeicheln meine Sinne. All das wirkt so stark auf mich ein, daß meine Gedanken nach der Ursache dieser Stille fragen.

Es ist der 1. Mai, ein arbeitsfreier "Tag der Arbeit"!

Und sofort schießen mir Erinnerungsfetzen aus DDR-Zeiten durch den Kopf: Schalmeienklänge dringen an mein Ohr, Marschmusik, Umzüge, ein unüberschaubares Gewimmel fröhlicher Menschen, Fahnen, Transparente, Kinder, die kleine Wimpel schwenken.

Das war bei den Leuten aus Magdeburgs großen Industriebetriebe in Buckau so, bei den Thälmannwerkern, den Marxwerkern, den Dimitroffwerkern, den Liebknechtwerkern, den Weinertwerkern und den Chemiearbeitern von "Fahlberg List". Im Zentrum der Stadt ging es an der Ehrentribüne vorbei, auf der Vertreter von Stadtverwaltung, Gewerkschaft und Partei sowie ausgezeichnete Werktätige, Aktivisten und Erfinder Platz genommen hatten.

Man kannte sich untereinander - die im Marschblock und die auf der Tribüne. Per Lautsprecher und über Megaphone wurden Erfolge in der Produktion wie bei der Planerfüllung einzelner Betriebe genannt. Auch kleine und große Siege in der Kultur, der Bildung und im Gesundheitswesen fanden Erwähnung. Niemand wurde vergessen. Hier war ich ein Jahrzehnt lang mittendrin.

Irgendwo hinter der Tribüne lösten sich dann die Marschblöcke auf, und man widmete sich im Kreise von Kollegen eher leiblichen Genüssen, der Geselligkeit und dem Tanz unter dem Maienbaum. Überall war dazu Gelegenheit. Bierzelte, Würstelbuden, Kaffee und Kuchen.

Einige Betriebe gaben sogar Wertmarken - meist in Höhe von 5 Mark - an ihre Belegschaften aus. Ein kleiner Feiertagszuschlag! Der Westen machte daraus ein "materielles Lockmittel", um "die Leute überhaupt auf die Straße zu bekommen". Wer den 1. Mai in der DDR miterlebt hat, kann über solchen Unsinn nur lachen, ebenso über die Behauptung, Nichtteilnehmer seien wegen Abwesenheit gemaßregelt worden. Das war nichts anderes als eine triviale Verunglimpfung des großen Festes.

Inzwischen ist es 9 Uhr geworden. Ich schaue aus dem Fenster, verspüre fast keine Veränderung, wenn auch im Zentrum der Stadt demonstriert wird. Hier sehe ich ein paar Autos mehr auf der Straße und an der Tramhaltestelle zwei Wartende. Sonst herrscht Menschenleere. Jetzt kommt mir die Stille unheimlich vor, ja, sie macht mir sogar Angst. Ich sehne mich nach dem Trubel von einst zurück!

Dr. Werner Kulitzscher, Berlin

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Mit dem Fahrrad durch die Tundra

Der Donat-Verlag hat wieder etwas Einzigartiges herausgebracht: "Yukon - Kanada. Vom Pazifik durch die Tundra. Mit dem Fahrrad unter dem Sternbild des Großen Bären zu den Inuit" von Christian Hannig, einem jetzt 73jährigen Radwanderer, der in den letzten fünf Jahrzehnten auf seinem Gefährt allein und ohne Hilfsmotor mehrere Erdumrundungen bei teils enormen Anstiegen und unter widrigsten Witterungsbedingungen mit vielen unvorhersehbaren Hindernissen bewältigt hat.

Es ist ein sehr schönes Buch. Stationen der Reise: Alexander-Archipel, Alaska, Klondike River, Rocky Mountains, Yukon River, Dawson City, Polarkreis ... Das Besondere dabei ist die Schilderung der Begegnungen Hannigs mit den Menschen - den Indianern und den Inuit.

Er berichtet über ihr schweres Leben, ihre alte Kultur, ihre Lebensauffassungen. Er spricht von ihnen voller Respekt, mit menschlicher Wärme. Ihre Schicksale bewegen.

Der Autor erinnert an den Goldrausch in der Zeit Jack Londons mit all seinen sozialen "Nebenwirkungen" - Alkohol, Gewalt, Prostitution -, und er vergleicht das mit dem Heute, dem erneut forcierten Raubbau an Öl- und Gasvorkommen. Er nennt Beispiele zeitgenössischer Ausbeutung, Unterdrückung und Ungerechtigkeit.

Das Buch erhellt schlaglichtartig das derzeitige Leben der Ureinwohner dieser Landstriche. Es ist vergleichbar mit den wunderbaren Erzählungen Ernest Thompson Setons aus einer früheren Zeit. Keine gesellschaftspolitische Analyse, geht es doch um das Erleben einer außergewöhnlichen Natur, vor allem aber um Menschen und Menschlichkeit in einer immer inhumaneren Welt. Beginnt man das Buch zu lesen, kommt man nicht mehr davon los.

Dr. Ernst Heinz


Christian Hannig: Yukon - Kanada. Vom Pazifik durch die Tundra. Mit dem Fahrrad unter dem Sternbild des Großen Bären zu den Inuit. Donat-Verlag, Bremen 2013. 220 Seiten, 47 Abbildungen, 14,80 Euro. ISBN 978-3-943425-13-0

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Griff in die literarische Schatztruhe (20)

Einst erfolgreiche DDR-Autoren dem Vergessen entreißen

Hartmut Zenker ist am 24. Februar 1922 in Zittau in der Oberlausitz zur Welt gekommen. Er legte 1940 das Abitur ab und studierte zunächst an der Kunstakademie Dresden. Als Soldat geriet er 1945 in Italien in Gefangenschaft, aus der er im November 1946 entlassen wurde.

Nach Kriegsende war er Hilfsarbeiter in Jena, besuchte die dortige Fachschule für Bibliothekare und legte 1950 das Examen ab. In Rathenow, Potsdam, Zittau und Görlitz arbeitete er in diesem Beruf. Als Externer studierte Zenker an der Berliner Humboldt-Universität Bibliothekswissenschaft und erwarb 1971 das Diplom. Ab 1969 war er wissenschaftlicher Bibliothekar und Abteilungsleiter in Schwerin. Als "Wanderbibliothekar" bekannt, war er ab 1978 freischaffend und seit 1981 dann in Dresden seßhaft.

Hartmut Zenker legte 1976 mit Tamara Tanzmann den Gedichtband "Handschriften" vor. Seinen literarischen Durchbruch erreichte er mit dem Roman "Die Uhr steht auf fünf" (1979). Dem Autor ging es um die faschistische Vergangenheit, die nicht vergessen werden darf. Zur bibliophilen Kostbarkeit wurde sein Lyrikband "Zeitflug ins Grün" (1980), den er mit eigenen Aquarellen versah. In dem Gedichtband "Fürsprache" (1987) forderte er den Leser zum Mitdenken auf. "Das Titelgedicht und andere umschreiben ein Grundanliegen des Lyrikers, ständig im Wind von Rede und Gegenrede zu stehen, den Dialog mit bisher Schweigenden zu führen, verstanden zu werden." (Werner Voigt)

Weitere Arbeiten vereinte Zenker in dem Band "Vorkommnisse" (1981). Es folgte die Reiserzählung "Mit Goethe in Polen" (1986). Tagebuchartig notierte er Eindrücke von Stationen der Fahrt und blieb dabei ständig Partner des Lesers. Er mischte die Zeitebenen und ließ Gegenwart und Vergangenheit ineinanderfließen, so daß historische wie imaginäre Gestalten gleichsam in einem großen Welttheater agierten. In seinem Roman "Hohe Straße" (1989) erzählte Zenker das Schicksal des Schriftstellers Hans-Jürgen Münnich und verflocht abermals Gegenwart und Geschichte. Dabei wurden frühe Irrwege und Enttäuschungen ebensowenig ausgespart wie die verklärten Touren mit der studentischen Wandergruppe und einzelne Dispute. Die Gedankenstruktur dieses Romans war geprägt von der Erfahrung des unter dem Faschismus und im Weltkrieg Durchlittenen und Durchschrittenen.

1989 legte Zenker den Band "Kornblum und andere Erzählungen" vor. Der Schriftsteller publizierte auch in Zeitschriften und Anthologien. Anzumerken ist, daß wiederholt Vorabdrucke aus Zenkers Werken in der Zeitschrift "Sinn und Form" erschienen, so 1979 vier Teile aus "Unterwegs mit Goethe". Hartmut Zenker starb 1991.

Dieter Fechner

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Wann habe ich sie in mein Herz geschlossen? Vermutlich, als ich sie gesehen und ihre Stimme gehört habe. Sie hat ein eher altmodisches Gesicht, in der Kunst manchmal unter "Lesendes Mädchen" abgebildet, mit Klavier in der Nähe, oder von Jane Austen geschildert.

Mir fiel auf, daß sie, auch in bedrängender Situation, ihre klare Meinung ohne unnötige Lautstärke vertritt. So sanft sie redet, ihre Haltung bleibt deutlich. Das leichte Zögern in der Stimme meint wohl, daß eigenen Erkenntnissen andere hinzugefügt werden könnten. Nie aber auf Kosten erworbener, gesicherter Erfahrungen.

Das Leben ist ihr eigentlich wohlgeraten. Unser Anfang lag in einer Zeit besonderer Förderung weiblicher Talente. Es entwertet diese Tatsache nicht, daß solche Gunst durch die Vielzahl von Abgängen bereits geförderter Talente zur Blüte kam. Wir wurden gebraucht und hatten die Chance, uns zu beweisen. Das hieß nicht, daß uns etwas geschenkt wurde.

Der Reihe nach, Freundin: Du bist vierjährig von Liegnitz nach Thüringen gelangt, dann nach Kleinmachnow, dort geblieben, hast früh geheiratet, zwei Söhne geboren, in Babelsberg an der Hochschule für Film und Fernsehen Dramaturgie studiert, und schließlich noch ein Jahr Literaturinstitut in Leipzig drangehängt. Ehre für Ehemann Christian, er hat das gefördert. Wohl wissend, daß daraus Selbstfindung folgert, und so war es dann auch.

Wir waren beide in unserer Zunft organisiert, Christa im Bezirksverband der Schriftsteller in Potsdam, ich in Berlin. Aber man traf sich ja, in Vorständen oder zu Beratungen, auch in Frankfurt an der Oder bei den Chansontagen, aus denen das Chansonstudio Potsdam immer mit Preisen hervorging. Christas nun fast lebenslanger Christian hat auch dieses Studio gegründet und es erhalten, bis heute. Über die Krise hinweg, in der ein verdienstvoller Künstler auf einmal weniger galt als eine Aktie. In Kleinmachnow beheimatet zu sein und sich ein Haus nach den beruflichen Nötigkeiten eingerichtet zu haben, das mußte die Treuhand wecken und auf die Spur setzen. Die Alteigentümer, die eine Bruchbude hinterlassen hatten und drüben entschädigt worden waren, wurden ermutigt, den neu ermittelten Wert zu fordern. Sie ließen sich nicht zweimal bitten. Das unrühmliche Gesetz stand auf ihrer Seite.

Christian gebührt der Dank für die Entdeckung und Förderung vieler reifer und ganz junger Talente, außerdem ist er ein erfolgreicher Komponist.

Christa hat immer auch Lieder und Gedichte geschrieben, aber unsere Kinder haben sie geliebt für ihre wunderbaren Filme, die sie mit den Regisseuren Rolf Losansky oder Hermann Zschoche geschaffen hat. Ob es um "Sieben Sommersprossen" ging, um den Trompetenanton, oder ob ein Schneemann nach Afrika sollte, ob die Gritta vom Rattenschloß erzählt wurde, eine Grüne Hochzeit anstand - es gelang Christa Kozik wunderbare Literatur für Kinder, und sie bezaubert auch Erwachsene. Der Nationalpreis war verdient.

Es lag nahe, daß die Kindertheater nach den Stücken griffen. Christa sagt: "Kinder sind glücklich. Sie sehen die Welt noch mit drei Augen. Das dritte Auge gibt ihnen den bunten Blick." Den hat sie sich offenbar erhalten.

Ein Autor meinte, Christa Kozik fühle sich von der Fröhlichkeit, aber auch von der Zerrissenheit des Menschen angezogen. Vielleicht war dies der Anlaß, sich mit dem Leben Hölderlins zu beschäftigen und den Film "Die Hälfte des Lebens" zu schreiben. Seit 2010 verleiht Baden-Württemberg den Hölderlin-Ring. Ihn bekamen der Regisseur Hermann Zschoche und die Autorin Christa Kozik.

Zur Uraufführung gelangte dieser DEFA-Film, mit Ulrich Mühe und Jenny Gröllmann, 1985 in der DDR. Ein Publikumserfolg; ob es auch gerunzelte Stirnen gegeben hat, weiß ich nicht. Es war auch nicht die Zeit, dergleichen auszutragen.

Das Leben schien eigentlich rund, arbeitsreich, solide. Die Familie war umgeben von Freunden und Kollegen, ein jeder trug zur Arbeit bei, feierte Ergebnisse, beklagte, wenn etwas nicht gedieh, oder nur zur Zeit eben nicht - Aufhaltungen, die wir alle kannten.

Die alltäglichen Anforderungen durchdrangen sich, das war Leben genug. Dieser kleine Clan braucht nicht auf die Probe für seine Kraft und seine Haltung gestellt zu werden.

Aber wer kann sich das aussuchen? Das über Jahrzehnte zum brauchbaren Lebens- und Arbeitsplatz gewordene Haus hatte plötzlich Leute mit großen Augen am Zaun. Sie waren gar nicht einverstanden mit dem, was aus ihrer Buchte geworden war. Es war nicht ihr Geschmack, sagten sie. Die damals Abgehauenen ließen sich mit Billigung der Behörden das Haus noch einmal bezahlen, zum nun aktuellen Wert.

Christian konnte vielleicht noch mehr vollbringen, noch mehr Verantwortung übernehmen, aber die Vorgänge kamen in eine Zeit, in der für die Schaffung von Liedern kein Fonds mehr existierte, und wenn es nicht sofort einen Verwerter gab, dann war nur auf spätere Tantiemen zu hoffen.

Gegen die Forderungen der Altbesitzer, erinnert euch, gab es damals gegenüber der Treuhand keinen wirksamen Einspruch. Deswegen: Zwanzig Jahre lang reiste die Schriftstellerin, immer mit dem Zug und vollem Bücherkoffer, zwischen Frankfurt an der Oder und der gleichnamigen Stadt am Main, sogar bis in die Schweiz, zu Lesungen. Da gab es für sie als Alleinreisende auch sehr unangenehme Situationen - sie staunt, daß ich die noch so genau weiß.

Sie sagt, wir seien Schwestern im Geiste. Ich mag ihre Lieder. Ihre Kinderfilme liebe ich, und ich schleiche mich demnächst mal wieder ins Theater, um mir die Wundersalbe Kinderlachen in die Seele zu holen. Es wirkt, ich glaube an Wunder und an Tatsächliches.

Wirklich ist, daß wir beide noch immer die gleiche Weltanschauung haben. Brauche ich dafür Beweise? Ja, ich habe mich einmal an ihr festgehalten, weil ich für den Aufruhr meiner Gefühle und Erinnerungen ihre Gelassenheit in Anspruch nahm.

Das war an jenem Tag im April 1990, an dem die Schriftsteller der DDR ihre Interessenvertretung in den Sack hauten und sich vom Acker machten. Da saß sie neben mir, und ihre weibliche, menschliche und politische Würde gab mir die Kraft, mich nicht zu Wort zu melden.

Anläßlich des Internationalen Frauentages hat sie im März 2014 in Potsdam eine offizielle Rede gehalten, vor vielen einflußreichen Leuten. Sie nannte das: Gemeinsam - Lebendig - Widerständig.

Kluge, richtige Worte, aber ich will Christa auf einem Spaziergang begleiten und sie an ihr Gedicht erinnern, es heißt "Winterlandschaft 1990":

Kleines Land, weithin verschneit.
Die Stille gefriert unterm Mond.
Schnee deckt ein Leichentuch,
schön anzuschaun.
Stöhnen die Bäume?
Bebt die Erde?

Ich geh durch die Nacht, höre
die gierigen Krähen und sehe
den Abdruck des Engels
im Schnee.

Wer starb hier?
Ich nicht ...
doch mein Land.

Wir sind sehr erwachsen geworden. Außer, wenn wir über unsere vollkommenen Enkel sprechen.

Grüß deine schöne Familie. Bis gleich.

*

Leserbriefe an RotFuchs

Auf der Krim haben Mehrheiten Selbstbestimmung im Sinne des Völkerrechts praktiziert. Zugleich macht eine zu ihrer Amtszeit nicht unumstrittene Ex-Ministerpräsidentin der Ukraine von sich reden. Die an die Öffentlichkeit gelangten Äußerungen Julia Timoschenkos sind so ungeheuerlich, daß sie abstoßen und erschrecken. Da spricht ein Mensch, blind vor Haß und voller faschistischer, nationalistischer Irrungen und erklärt, den russischen Präsidenten mit einer Kalaschnikow in den Kopf schießen und allen Russen gleiches antun zu wollen.
Wäre dieses Verhalten krankhaft, müßten medizinische und geistliche Hilfe angeboten werden - auch bei wenig Hoffnung auf Erfolg. Hier aber hat ein Mensch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte eine künftige "Regierungserklärung" vorweggenommen. Die Haltung zu solchen realen Drohungen einer im öffentlichen Leben stehenden Person wird zeigen, wie ehrlich sich die führenden Staatenlenker um die Bewahrung des Friedens bemühen. Eskalation ist kein Weg eines notwendigen Miteinanders in kritischen Zeiten.

Dr. Wilfried Meißner, Chemnitz


Das Scheitern Napoleons ist bekannt: Von den 500.000 Soldaten, mit denen er 1812 in den Rußlandfeldzug ausrückte, blieben ihm nach der entscheidenden Schlacht von Borodino noch knapp 100.000 Mann. Hitlers Borodino hieß Stalingrad. Allein in dieser Schlacht wurden 700.000 Tote gezählt. Die meisten waren Sowjetbürger, überwiegend Russen. Von den 230.000 deutschen Soldaten überlebten 6000. Die elf Millionen im Krieg gefallenen Rotarmisten fehlten nach 1945 beim Aufbau einer modernen UdSSR und der Erschließung des ungeheuren Reichtums im größten Land der Erde. Das können die Russen nicht vergessen, und wir Deutschen sollten uns angesichts der Entwicklung in der Ukraine von dem durch die Medien geprägten antirussischen Feindbild verabschieden. Das permanente Vorrücken der NATO bis zur russischen Westgrenze, die von Obama diktierten militärischen Drohgebärden mit deutschen Kampfjets und die geforderte Anhebung der Rüstungsausgaben erhöhen die Kriegsgefahr.

Karl-Heinz Mruck, Kassel


Aus der Sicht von EU und NATO kann es in Sachen Ukraine nur einen Schuldigen geben: den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dabei liegt der Ursprung dieser Krise bereits um Jahre zurück. Nach dem Anschluß der DDR an die BRD erhielt Rußland vom Westen die Zusage, die NATO werde sich nicht in östlicher Richtung ausdehnen. Doch schon bald rückte der Westen von den in der Pariser Charta fixierten Prinzipien für das neue Europa ab. Der Beschluß über die NATO-Erweiterung tat ein übriges, wobei die BRD federführend mitwirkte. Inzwischen sind zwölf ehemals sozialistische Staaten oder Teilstaaten in die NATO hineingezogen worden. Die Installierung der Raketensysteme in Polen und Tschechien, die angeblich Iran abschrecken sollen, sind keine vertrauensbildende Maßnahme. Man kann sie aus Moskauer Sicht durchaus als Bedrohung auffassen. In Europa wird es keine Sicherheit ohne und schon gar nicht gegen Rußland geben.

Wilfried Steinfath, Berlin


Nach einem NATO-Bombenkrieg gegen Jugoslawien wurde die Republik Kosovo gegründet. Man trennte sie von der Bundesrepublik Jugoslawien ab, die nach dem Verlust Kroatiens, Sloweniens und Bosnien-Herzegowinas zunächst außer Serbien nur noch Montenegro und Mazedonien umfaßte. Die Zerschlagung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien war ein Programm des Westens, durch das nationalistische Kräfte ermuntert wurden.
Ähnliches plante man auch mit der Russischen Föderation, nachdem sich bereits die nichtrussischen früheren Sowjetrepubliken verselbständigt hatten. Im Visier waren Tschetschenien, Abchasien und Südossetien. Das programmierte Angriffsziel hieß von Beginn an Rußland, wobei die USA, deren NATO-Verbündete und viele Nichtregierungsorganisationen den Ton angaben.
Die Krimrussen haben die Vorgänge in Kiew genau beobachtet, wie es auch in der Ostukraine mit ihrer bedeutenden Industrie und oftmals überwiegend russischsprachigen Bevölkerung der Fall ist. Warum führt sich der Westen plötzlich als Moralwächter auf? Seine Kriege auf dem Balkan, in Irak, Libyen und Afghanistan sowie die inszenierten Unruhen in Syrien ebenso wie die Waffenlieferungen der Imperialisten in diese Regionen sprechen doch eine beredte Sprache.

Udo Hammelsbeck, Drübeck


Am 24. April 1920 entfesselte Polens damaliger Machthaber Josef Pilsudski mit dem Überfall auf die Ukraine den dritten imperialistischen Interventionskrieg gegen Sowjetrußland. Am 6. Mai fiel Kiew in die Hände der polnischen Truppen. Die Rote Armee kämpfte sich bis auf Polens Gebiet zurück. Die Entente-Mächte organisierten über deutsche Häfen und Bahnlinien Militärhilfe für Warschaus erzreaktionäre Machthaber. Andererseits solidarisierten sich deutsche Arbeiter, vor allem Kommunisten und linke Sozialdemokraten, mit den in schwerem Kampf stehenden Rotarmisten. Die Losung hieß damals: "Hände weg von Sowjetrußland!" Waffen- und Munitionslieferungen konnten blockiert werden, doch Polens Aggressivität war nicht zu zügeln. Mitte August 1920 wurde die Rote Armee in der Schlacht an der Weichsel geschlagen, und bis zum Waffenstillstand am 20. Oktober ging auch das Wilnagebiet verloren.
Daran wird man angesichts der Forderungen der Warschauer Tusk-Regierung erinnert, die NATO möge doch erhebliche Truppenkontingente in Ostpolen stationieren.

Cornelia Noack, Beeskow


Besonders am Beispiel des Jugoslawienkrieges vor 15 Jahren wurde deutlich, wie auch unter einer Regierung aus SPD und Grünen das Grundgesetz mit Füßen getreten wird. Heute vollzieht sich ähnliches unter der Groko aus CDU/CSU und SPD mit dem AWACS-System aus Geilenkirchen, das in der Ukraine-Krise zum Einsatz gelangt.
Wie richtig war doch die Feststellung des KPD-Vorsitzenden Max Reimann vor dem Parlamentarischen Rat, die Kommunisten stimmten zwar gegen das Grundgesetz, würden aber die ersten sein, die es eines Tages zu verteidigen hätten. Das gilt heute besonders für Artikel 26 Abs. 1, der lautet: "Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen." Es ist hohe Zeit, die Merkel-Gabriel-Regierung an weiteren Grundgesetz-Brüchen zu hindern.

Uwe Moldenhauer, Altena


Wenn ich den peinlichen Formulierungs-Mißgriff "Mutti Merkel" in Zeitungen der Partei Die Linke oder neuerdings selbst in der UZ meiner Partei, der DKP, entdecke, bin ich über den Mangel an Sensibilität entsetzt. Auch die Gänsefüßchen ändern daran nichts. Würde je eine Mutter zulassen, daß alle fünf Sekunden auf der Erde ein Kind verhungert, obwohl genug Nahrung für alle da ist? Wäre es einer Mutter eigen, darüber zu jubeln, daß es endlich gelungen sei, bin Laden per Mordbefehl aus dem Weißen Haus in Pakistan umzulegen? Was gelten bei Merkel die Menschenrechte und das Völkerrecht? "Mutti"? Eine Vielzahl anderer Attribute wäre hier angemessen.

Elke Prieß, Potsdam


Die Erinnerung daran, daß Panzer der Roten Armee den hitlerfaschistischen Staat niederwalzten, veranlaßte die selbsterklärten Rechtsnachfolger des "3. Reiches" in der BRD zu Kapriolen des Hasses und der Verleumdung. Springers "Bild" und "BZ" als journalistische Nachahmer übler Vorbilder aus vergangenen Zeiten spielten bei der Initiierung einer "Petition" an den Bundestag die Schlüsselrolle: Sie verlangten die sofortige Entfernung der beiden "Russenpanzer" aus dem Berliner Tiergarten. Man richtet die Attacke gegen die an der Befreiung Berlins beteiligt gewesenen T34, die Teil des sowjetischen Ehrenmals auf Westberliner Boden sind.
Die Namen unter dieser "Petition" sprechen für sich. Professionelle Brunnenvergifter wie Knabe und Steinbach führen den Reigen an.

Siegfried Wunderlich, Plauen


Ich hatte Gelegenheit, mich an einer Protestaktion gegen den Aufmarsch zur "Ehrung" im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommener lettischer Angehörigen der Waffen-SS in Riga zu beteiligen. Unsere Gruppe war von der VVN/BdA entsandt worden.
Da stand ein Häuflein von etwa 100 Antifaschisten, darunter 30 aus der BRD und etwa 70 Einheimische überwiegend russischer Nationalität, gegen rund 2000 vergreiste lettische Nazis und deren Anhang. Die Faschisten marschierten - an der Spitze ein Pfarrer und geschützt von einem Großaufgebot der Polizei - unter offensichtlicher Zustimmung zahlreicher Personen zum Freiheitsdenkmal. Dabei trugen die Mörder von einst Transparente mit irreführenden Losungen: "Wir sagen nein zu Kommunismus und Nazismus" lautete eine der Parolen.
Nachdenklich und mit der Frage beschäftigt, was zu tun ist, um dieser Entwicklung nicht nur hierzulande, sondern europaweit Einhalt zu gebieten, kehrte ich heim.

Michael Brix, Potsdam


Der vom RF nachgedruckte ND-Beitrag Gisela Karaus über die roten Kapos im KZ Buchenwald hat mich tief erschüttert, nicht zuletzt auch wegen der herabsetzenden Äußerungen des derzeitigen Verwalters der Gedenkstätte - eines Westimports.
Robert Siewert habe ich persönlich kennengelernt. Ohne den unter Einsatz des eigenen Lebens von ihm und anderen organisierten Widerstand hätte es keine Selbstbefreiung der Buchenwaldhäftlinge gegeben. Ich begegnete ihm auf dem Ettersberg. Damals war ich mit meiner Brigade an den Außenanlagen beschäftigt, als er auf mich zukam und fragte, welcher Partei ich angehörte. Ich sagte ihm, daß ich Gewerkschafter sei. Ein längeres Gespräch über die "Judenfrage" schloß sich an. Seitdem weiß ich, daß auch dieses Problem eine Klassenfrage ist.
Später war ich bei einem Treffen ehemaliger Buchenwaldhäftlinge auf dem Ettersberg zugegen. Hier sah ich, wie herzlich weitaus jüngere Polen Robert Siewert begrüßten. Einige nannten ihn sogar Papa.
Ein anderes Mal traf ich den ehemaligen Kapo - er war inzwischen Vizepräsident der Landesverwaltung Sachsen-Anhalts -, als wir Bauleute den SMAD-Befehl 209 zur Errichtung von Neubauernhöfen umsetzten. Er nahm mir die Kelle aus der Hand, und alle wunderten sich, wie ein Vizepräsident mauern konnte. Robert war - wie wir erfuhren - als Maurergeselle auf Wanderschaft, als er in der Schweiz Lenin begegnete. Der gab ihm den Rat, das "Kommunistische Manifest" gemeinsam mit anderen zu lesen und über jeden Absatz zu debattieren.

Günter Vehoff, Hagenow


Der RF-Beitrag über die roten Buchenwald-Kapos erinnert mich an eigene Erlebnisse: Im Herbst 1963 arbeitete ich mit meinen Schülern gerade am "Wilhelm Tell", als der Fachberater für "Deutsche Sprache und Literatur" Walter Schwandt zwei Stunden in unserer 10. Klasse hospitierte. Danach ließ er mich wissen, daß der Rat des Kreises über einen Weiterbildungsplatz in Weimar während der Sommerferien verfüge. "Ich gebe ihn Dir. Es ist das Beste, was bei uns überhaupt für Lehrer im Fach geboten wird", sagte er.
Walter Schwandts Prognose bewahrheitete sich. Die Mitarbeiter in den Klassischen Stätten gaben sich mit uns etwa 30 Teilnehmern aus allen Bezirken der DDR große Mühe. Aus diesem und einem weiteren Besuch in Weimar ergab sich für Schüler der 10. Klassen unserer damaligen Brüssower Hermann-Matern-Oberschule zwischen 1965 und 1990 jeweils eine Exkursionswoche im zweiten Schulhalbjahr. Daran nahmen insgesamt über 1250 Schüler teil. Sie besuchten neben den Klassischen Stätten (Nationalmuseum, Wohnhäuser von Goethe und Schiller, Gartenhaus u. a.) immer auch die Mahnund Gedenkstätte Buchenwald.
Am 11. April 1965 kam es im Glockenturm zu einer Begegnung mit Stefan Jerzy Zweig - dem "Buchenwaldkind". Er war dort mit Dreharbeiten für einen Dokumentarfilm beschäftigt. Die Schüler baten ihm um Autogramme, die er ihnen gewährte. Bei dieser Gelegenheit nannte er Bruno Apitz, den Autor des Buches "Nackt unter Wölfen", seinen "literarischen Vater".

Walter Wiemer, Brüssow


Unlängst ging ein Foto durch die Presse, das die Erinnerung an 1914 wachrief. Es zeigte Soldaten in Eisenbahnwaggons, welche die Losung "Auf nach Paris!" trugen. Zu jenen, die sich dem verbrecherischen Krieg widersetzten, gehörten auch Mitglieder der Sozialistischen Arbeiterjugend aus Rostock. Karl Gau berichtete darüber in seiner 1976 erschienenen heimatgeschichtlichen Publikation: "So kam es, daß sich 1916/17 die Gruppe 'Wilde Rose', zu der auch ich gehörte, aktiv für die sofortige Beendigung des Krieges einsetzte. ... Die Stunden des Zusammenseins waren unsere glücklichsten. Aber die Freude währte nicht lange. Neue Jahrgänge mußten sich stellen. So wurde einer nach dem anderen aus unserer Kampfgemeinschaft gerissen. Nach kurzer Ausbildung mußten alle an die Front. Ihr Abschied erinnerte an Galgenhumor: 'Na, dann mal gut in den Himmel!' oder 'Auf Wiedersehen im Massengrab in Flandern'. ... Viele kamen nicht wieder.
Erst die Oktoberrevolution gab uns die Hoffnung, daß der Völkermord ein Ende finden werde."

Dr. Johanna Jawinsky, Roggentin


Unlängst brachte "Bild" Fotos, die eine Lehrerin mit Schülern des Suhler Gymnasiums in FDJ-Hemden und -Blusen zeigten. Die Schlagzeile der Springerpresse lautete: "Abi-Klasse spielt DDR". Diese Bilder waren nicht im Unterricht entstanden. Wie in jedem Jahr fanden auch diesmal vor dem Abi sogenannte Motto-Tage statt. Dabei setzen sich die Teilnehmer auf fröhlich-satirische oder auch ernsthafte Art mit Problemen aller Gesellschaftsformationen - vom Altertum bis in die Gegenwart - auseinander. Diesmal stand das Thema DDR zur Auswahl. Niemand nahm daran Anstoß. Allein die Schreiberlinge des anrüchigen Boulevardblattes verlegten die Spielstätte einfach in den Geschichtsunterricht einer Klasse. Die betroffenen Schüler bezeichneten den "Bild"-Beitrag als Frechheit und stellten sich in einem offenen Brief hinter ihre diffamierte Lehrerin. Das Schulamt erteilte ihr dennoch eine Mißbilligung.
Bei diesem Schmierentheater hatte der Hohenschönhausener Knast-Direktor Knabe seine Hand ebenso im Spiel wie beim Strafprozeß vor einem Berliner Landgericht gegen zwei junge Leute, die Blauhemden der FDJ getragen hatten.

Hans Linke, Suhl


Habt Dank für die "RotFuchs"-Hefte! Sie sind eine Perle im Medien-Gewirr.
Ich habe eine Bemerkung zur abgedruckten Rede von Chief Seattle. Vorausschicken möchte ich, daß ich mich seit Jahrzehnten mit den nordamerikanischen Indianern thematisch befasse. Ich besitze mehrere hundert Bücher darüber und hatte auch ein gutes Verhältnis zu Lakota Tashina (Prof. Lieselotte Welskopf-Henrich).
Die Rede Seattles ist oft gedruckt, erweitert und modernisiert worden. Sie gilt als umstritten, da es verschiedene Texte und Interpretationen gibt. Im Buch "Meine Worte sind wie Sterne" von William Arrow Smith und Michael Korth befindet sich eine Aufnahme des Häuptlings, die als einziges Seattle-Foto bezeichnet wird. Auch in Frank Waters Buch "Tapfer ist mein Volk" sieht man dasselbe Foto. Woher hat der RF seine Illustration? Die Kleidung des abgebildeten Indianers entspricht nicht der des Volkes der Duwamish, dessen Existenz als Stamm im Jahre 1910 aufhörte.

Renate Bölsche, Beetzsee, OT Brielow

Bemerkung der Redaktion: Das Foto wurde von Google als Aufnahme "Chief Seattles" ausgewiesen.


Die Pussy-Riot-Mädchen geistern noch immer durch die Gesellschaft. Sie werden vom Westen als "Aktivistinnen" bezeichnet, weil sie gegen Rußland Gift und Galle versprühen. Übrigens fiel bei ihren Haßgesängen in der Kirche mehrfach das Wort "Gottesscheiße". Die Religion ist im russischen Volk tief verwurzelt. Selbst bei Genossen fand man nicht selten in einer Ecke ihrer Stube das Heiligenbild mit einem Lämpchen davor. Der üble Mummenschanz der Pussy-Riot-Mädchen konnte nicht ungestraft bleiben. Wenn westliche Politiker solche Personen noch immer auf den Schild heben und öffentlich zu Wort kommen lassen, stellen sie sich damit nur selbst bloß.

Gerda Huberty, Plauen-Neundorf


Mit großem Interesse las ich im RF 194 den Artikel Prof. Wagners "Für ein marxistisches Ausbruchsprogramm". Auch ich halte das Thema des Übergangs vom hochentwickelten Kapitalismus zum Sozialismus für sehr wichtig. Eigentlich müßte es auf der Tagesordnung jeder sich als sozialistisch oder kommunistisch bezeichnenden Partei und Organisation an oberster Stelle stehen.
Mit Prof. Wagners Prämissen stimme ich im wesentlichen überein. Vor allem halte ich die Bündnisbereitschaft gegenüber unterschiedlichen marxistischen Kräften im gemeinsamen Kampf gegen den Kapitalismus für unerläßlich. Eines der größten Hindernisse im Ringen um den Sozialismus ist derzeit die Spaltung der Arbeiterbewegung. Wie soll dieser erreicht werden, wenn sich die verschiedensten linken Kräfte untereinander bekämpfen, statt eine Front gegen den gemeinsamen Feind zu bilden. Wenn das Ziel das gleiche ist, sollten ideologische Differenzen möglichst zurückgestellt werden. Dabei ist mir klar, daß dies nicht dazu führen darf, jede Position innerhalb des Bündnisses für den Sozialismus zu akzeptieren. Doch sollte die Einbeziehung von Sozialisten, aufrichtigen Demokraten und progressiven Christen nicht nur erwogen, sondern als zwingende Notwendigkeit betrachtet werden.
Richtig ist, daß Revolutionen in den hochentwickelten kapitalistischen Staaten derzeit nicht wirklich zu erwarten sind. Ich hege im Gegenteil sogar die Befürchtung, daß auf unserem Kontinent in nicht allzu ferner Zukunft eher wieder mit weiteren Rückfällen in die Barbarei des Faschismus als mit sozialistischen Revolutionen zu rechnen ist.
Übrigens halte ich die "Rehabilitierung" des Begriffs Kommunismus als höchste Form der Demokratie für eine wichtige Voraussetzung jedes Übergangsprogramms.

Stefan Dahn, Halle


Gedanken zu dem begrüßenswerten Ausbruchsprogramm-Artikel von Prof. Wagner beginnen bei mir mit der Frage: Was ist eigentlich eine nichtrevolutionäre Etappe? Ist das eine Zeit, in der Friede, Freude, Eierkuchen herrschen? So etwas hat es in der Geschichte von Klassenkämpfen nie gegeben.
Der Aufruf Ingo Wagners geht von der Mitwirkung möglichst vieler Menschen aus. Als Subjekte des Nachdenkens über ein Ausbruchsprogramm erwähnt Ingo Wagner außer der DKP als Impulsgeber auch den "RotFuchs", was ich ausdrücklich gutheißen möchte. Die im Artikel geforderten politisch-ideologischen Voraussetzungen, die beim "RotFuchs" vorhanden sind, möchte ich dahin gehend ergänzen, daß es in diesem Falle wohl weniger um die unmittelbare Teilnahme am politisch-ökonomischen Ringen und mehr um die dritte Kampfform - den theoretischen Beitrag - geht.
Angeregt durch Prof. Wagners Artikel habe ich Lenins "Was tun?" noch einmal gelesen und dabei festgestellt, daß seine Gedanken - verglichen mit einem früheren Studium in einer anderen Gesellschaftsordnung - für mich heute einen ganz anderen Stellenwert besitzen.
Zurück zur Eingangsfrage: Revolutionäre oder nichtrevolutionäre Etappe? War denn die Zeit zwischen 1900 und 1905, in der Lenin "Was tun?", "Zwei Taktiken ..." und "Ein Schritt vorwärts ..." schrieb, anders geprägt als die heutige?

Helmut Müller, Berlin


Zum Beitrag von Erika Belz "Quo vadis, DKP?" möchte ich bemerken: Die wissenschaftliche Weltanschauung der Kommunisten ist der Marxismus-Leninismus. Demgegenüber bedienen sich die Reformisten in der DKP nur des Begriffs Marxismus. Für Leute wie Leo Mayer ist Lenin kein Klassiker. Zum 85. Geburtstag des langjährigen DKP-Vorsitzenden Herbert Mies - eines standhaften Marxisten-Leninisten - fehlte in der UZ-Glückwunsch-Annonce u. a. der Name seines Nachfolgers Heinz Stehr, der unter Herbert bereits verantwortliche Funktionen innehatte. War das deshalb so, weil dort der Name Patrik Köbele stand? Stehr war von der Durchsetzbarkeit der revisionistischen Sekretariatsthesen in der DKP überzeugt. Sein Motto "Ob alle Genossinnen und Genossen diesen Weg mitgehen, wird sich zeigen", war eine latente Drohung.
Wir sind keine Linkssektierer, wie andere behaupten, sondern verfolgen nach dem 20. Parteitag der DKP eine den Massen zugewandte kommunistische Politik. In unserem Stadtteil sind wir in der Initiative "Nordbremer Bürger gegen den Krieg" fest verankert. Diese hat seit 2001 insgesamt 610 Straßenkundgebungen durchgeführt - jede Woche eine. Wir sind aktive Unterstützer des "Gustav-Heinemann-Bürgerhauses", arbeiten in der Willkommensinitiative für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge, übernehmen Patenschaften für Migranten und organisieren internationalistische Spendensammlungen für Kuba und Haiti. Mit dem Olivenölprojekt auf Kreta üben wir gemeinsam mit anderen Friedensfreunden aktive Solidarität.

Gerd-Rolf Rosenberger, Bremen


Bei uns in Bayern fanden unlängst Kommunalwahlen statt. Unser Ortsverband der Partei Die Linke zeigte sich kämpferisch. Wir hatten die letzten vier Jahre mit 52 Mitgliedern den Grundstein gelegt. So wurde die Hürde für die Unterstützer-Signaturen zur Zulassung locker genommen. Viele unserer Sympathisanten sahen in der Briefwahl ihre Chance, uns zu unterstützen. Denn das komplizierte Wahlsystem mit den vielen Kandidaten war nicht für jedermann überschaubar. Etliche Wähler, vor allem aus Osteuropa, baten uns, ihnen den Ablauf der Wahl zu erklären. Wir hatten sie vier Jahre lang mit Sozial- und Rentenberatung sowie kulturellen Aktivitäten betreut.
Durch eine Hetzkampagne der SPD gegen mich und unseren Kreisvorsitzenden fühlten sich viele Wähler verunsichert. Sogar Polizei, Kripo und Justiz kamen zum Einsatz. Das zielte auf Einschüchterung. Trotz allem errangen wir zwei Mandate im neuen Stadtratsgremium. Da ich selbst 13 Jahre in der SPD aktiv war und deren Wahlkampfgepflogenheiten kenne, konstatiere ich: Dort lief es nicht anders ab als bei uns. Auch die Genossen der SPD verwiesen auf die Briefwahl und füllten vor allem für Rußlanddeutsche und ältere Bürger die Unterlagen mit aus, um sie anschließend zur Post zu bringen. Den "altgedienten Parteien" wurde das gestattet, uns aber kreidete man es an und bezichtigte die PDL sogar der "Wahlfälschung". Ich frage mich: Warum werden Sozialisten und Kommunisten in Bayern noch immer wie Schwerverbrecher behandelt?

Hannes Färber, Stadtrat in Grafenwöhr


In seinem Beitrag "Keine Fußnote der Geschichte" schreibt Horst Winter aus Ilmenau im RF: "Vor Jahren begab sich eine Delegation des Bundestages nach Finnland, um die dortige Volksbildung kennenzulernen. Man tat dabei so, als ob es die DDR nie gegeben hätte, obwohl doch die Finnen in den 80er Jahren wesentliche Erfahrungen in der DDR gesammelt und von ihr übernommen haben."
Beim Lesen dieser Zeilen fiel mir eine Passage aus Walter Womackas Buch "Farbe bekennen" ein. Dort heißt es: "Mag sein, daß Margot Honecker von Wein und Mode nichts verstand. Aber sie hat mit anderen Pädagogen ein Bildungswesen organisiert, das etwa die Finnen vor ihrer Schulreform zu Beginn der 70er Jahre aufmerksam studierten und von dem sie vieles übernahmen. Resultat: Bei der berühmten PISA-Studie wurden sie Spitzenreiter, während hierzulande nicht nur Unternehmer über die Unbildung der Auszubildenden klagten. Jedes Bundesland strickt sich eigene Bildungspläne und -regeln, nahezu jeder Kultusminister meint, sich ein Denkmal in Gestalt einer Schulreform setzen zu müssen. Kaum ein Land in Europa sündigt so wie die föderale Bundesrepublik seit Jahrzehnten auf diesem Felde, nirgendwo sonst ist die Schule derart zum Experimentierfeld gemacht worden."
Diese Feststellungen scheinen mir als einem langjährig Verantwortung tragenden Mitgestalter des DDR-Volksbildungswesens den Nagel auf den Kopf zu treffen.

Helmuth Hellge, Berlin


Beim Lesen des Beitrags von Siegfried R. Krebs "Lüftung eines Lügenschleiers" fiel mir eine Notiz von Mitte Januar 1989 aus meinem Zettelkasten ein. Damals hatte ich festgehalten: Im ND wird die Bildung eines Verbandes der Freidenker vorbereitet. ... Prof. Dr. Helmut Klein, der Vorsitzender wurde, berichtet zur Entstehung des DDR-Verbandes, er sei Ende 1988 eines Morgens vom Leiter der Propagandaabteilung des ZK, Gäbler, angerufen und mit der Nachricht von der beabsichtigten Gründung eines DDR-Freidenkerverbandes konfrontiert worden. Gäbler zu Klein: "Im ZK haben wir beschlossen, daß Du die Sache übernimmst" ... "Habt Ihr Euch die Sache überlegt?" erkundigte sich der Auserwählte. Antwort: "Da gibt es nichts mehr zu überlegen, da ist alles überlegt. Ihr habt ... Planstellen, Räumlichkeiten, Auto, Finanzen - alles ist geregelt. Lies Dir die Statuten durch!"
Klein machte darauf aufmerksam, daß im vorgesehenen Statut ganze Passagen wörtlich aus dem des sozialdemokratischen Freidenkerverbandes der BRD abgeschrieben worden seien. Geändert werde nichts mehr. Der Generalsekretär habe bereits alles unterschrieben, erfuhr er von Gäbler. So spielte sich sozialistische Demokratie im Verständnis bestimmter Leute im ZK an der Jahreswende 1988/89 ab!
Diese hier knapp zusammengefaßten Aufzeichnungen aus meinem Zettelkasten oder aus dem Protokoll sollte man nicht zum Typischen des Systems erheben. Das dort der Nachwelt Erhaltene trifft natürlich nicht überall, nicht ständig, schon gar nicht für alle zu. ...
Das wirklich Typische mußte nach 1989 schleunigst unter den Teppich gekehrt werden, damit alle Deutschen wieder auf gleich niedrigem bis jämmerlichem allgemeinem Kulturniveau dahindümpeln können. Denn was ist das, was da auf einigen Zetteln an Ärger abgelassen wurde, gegen die kulturellen und ethisch-moralischen Glanzleistungen derer, die verkündeten: "Marx ist tot und Jesus lebt."

Prof. Dr. Klaus Kannapin, Neuenhagen


Gut finde ich, daß der "RotFuchs" in seiner April-Ausgabe das "Dokumentarische Lesebuch zur Geschichte des Freidenkerverbandes der DDR" von Horst Groschopp und Eckhard Müller ausführlich rezensiert hat. Eine Präzisierung scheint mir indes notwendig zu sein. Siegfried R. Krebs schreibt, die etwa 12.000 Mitglieder und lokalen Organisationen seien 1990 "im Nirgendwo verschwunden". Dies ist nur bedingt richtig. Ein Teil von ihnen trat dem Humanistischen Verband (HVD) bei, darunter die Autoren des Lesebuches. Andere schlossen sich den im Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften vereinten Organisationen oder dem Bund Freireligiöser (Freigeistiger) Gemeinschaften an. Der wohl größte Teil fusionierte 1991 mit dem Deutschen Freidenker-Verband (DFV). Er umfaßt einige tausend Mitglieder. Viele, so auch ich, traten ihm erst später bei.

Gernot Bandur, Berlin


Die Autorin des Beitrags "Aus Eddas Blickwinkel: Elbflorenz heute" im März-RF ist über den Kulturpalast Dresden falsch informiert worden. Sein Umbau wurde vom Stadtrat am 4. April 2012 beschlossen. Die Baukosten bestätigte man mit 81,5 Mill. Euro. Der Palast erhält einen neuen Konzertsaal mit exzellenter Akustik. Zusätzlich zur Dresdner Philharmonie werden das Kabarett "Herkuleskeule" und die Dresdner Stadtbibliothek dort ihren Sitz haben. Die Bauarbeiten begannen im August 2013. Nach der Entkernung des Gebäudes sollte der Einbau der neuen Säle und Funktionsräume im 2. Quartal beginnen. Die Übergabe ist für den Herbst 2016, die Eröffnung im März 2017 geplant. Die äußere Hülle des Kulturpalastes bleibt erhalten. Auch andere denkmalgeschützte Elemente wie die Bronze-Tore, Friese und Wandbilder werden restauriert und bewahrt.
Die Autorin verwechselt offenbar Umbau und Neubau sowie deren Kosten. Es wurde kein "funktionierendes wirtschaftliches Gebäude zerstört". Sicher scheint, daß das Haus nach dem Umbau durch drei Kultureinrichtungen effektiver genutzt werden kann als zuvor.

Dr. Sigurd Schulze, Berlin


Meine Meinung zum Beitrag "Zwei Seelen in einer Brust" von Dr. Norbert Rogalski im April-RF. Ich habe mich 1954 als Sechsjähriger noch nicht für Fußball interessiert und daher vom Spiel BRD gegen Ungarn auch nichts mitbekommen. Später spürte ich dann aber deutlich, daß Sport nicht losgelöst von Politik gesehen werden kann. Vielfach wurde von BRD-Seite versucht, uns auf diesem Gebiet Steine in den Weg zu legen - auch mit Erfolg. Selbst als die DDR mit Hilfe ihrer Freunde eine eigene Olympiamannschaft durchgesetzt hatte, hörten die Feindseligkeiten nicht auf. Erst in den 70er Jahren, als die internationale Entspannung immer mehr Fuß faßte, normalisierte sich halbwegs die sportliche Atmosphäre.
Ich konnte nie begreifen, daß es in der DDR Menschen gab, die den Mannschaften jenes Staates zujubelten, der nur danach trachtete, uns auf allen Gebieten zu schaden. Meine Sympathie gehörte den Sportverbänden der Länder, die uns stets geholfen haben, diese feindseligen Blockaden zu durchbrechen. Da war es mir eine große Genugtuung, daß die DDR zur Fußball-WM 1974 das einzige offizielle Länderspiel gegen die BRD - noch dazu auf deren Territorium - mit 1:0 gewinnen konnte.

Jürgen Förster, Dresden


Heute habe ich meinen April-"RotFuchs" bekommen. Da ich früher bei verschiedenen Sportgemeinschaften selbst Fußball gespielt habe, interessierte mich der Artikel Dr. Rogalskis. An das WM-Endspiel BRD - Ungarn von 1954 erinnere ich mich noch sehr genau. Ein Film darüber wurde in den DDR-Kinos gezeigt. Später kamen Gerüchte auf, die Ungarn hätten das Spiel "verkauft", weil einige ihrer Spieler dann im Mercedes herumfuhren.
1955 fand im Leipziger Zentralstadion das Freundschaftsspiel SC Wismut Karl-Marx-Stadt: 1. FC Kaiserslautern statt (3:5). Vor dem Anpfiff herrschte eine gute Stimmung. Zahlreiche Zuschauer hielten brennende Streichhölzer hoch. Das Spiel begann mit einem Paukenschlag - 1:0 für den SC Wismut. Doch im Handumdrehen führte Kaiserslautern dann mit 3:1. Man erlebte das berühmte Hackentor von Fritz Walter. Er sprang mit vorgestreckten Armen nach vorn und beförderte den Ball mit der Hacke ins Tor - eine Meisterleistung! Insgesamt fielen acht Tore.
Heute, da auch der Fußball total vom Geld beherrscht wird, interessiert mich keine Bundesliga. Es handelt sich ja nicht mehr um echten Sport. Das war einmal anders. So sperrte man den Internationalen und Spieler des Dresdner Sportklubs Richard Hofmann 1933 auf ein Jahr, weil er sich als Amateur für die Reklame einer Dresdner Zigarettenfirma zur Verfügung gestellt hatte.

Gerhard Frank, Riesa


Peter Wiese meint in seinem Leserbrief (RF 195) einen "Widersinn des Privateigentums, das eigentlich gar nichts Privates mehr an sich hat" zu erkennen. Es ergibt aber durchaus einen Sinn, wenn man der Bedeutung des Begriffs nachspürt. Das Wort "privat" kommt vom lateinischen privare und bedeutet rauben, berauben. Privateigentum heißt also eigentlich "das (der Allgemeinheit) geraubte Eigentum", was doch absolut stimmig ist, meine ich.

Helga Sommer, Röthenbach an der Pegnitz


Kanzlerin Merkel hat den Griechen bei ihrem jüngsten Athen-Besuch die falsche Beruhigungspille verpaßt. Bekanntlich führt sie die Gilde der Schönfärber an. In Hellas sprach sie von "Schwierigkeiten für die Menschen" - eine Blinde erklärte die Farbe, hatte sie doch solche weder in der DDR noch in ihrem heutigen Paradies erfahren. So nahm sie gar nicht wahr, daß im Athener "Sparpaket" für die in Hellas während des Winters "freigestellten" Beschäftigten der Tourismusbranche die Arbeitslosenkompensation gestrichen wurde. Angela Merkel täuschte die Griechen mit ihrer Äußerung, auch in Ostdeutschland habe es "nach der Wiedervereinigung für viele Menschen eine schwierige Phase" gegeben. Sie behauptete also, die Not im Osten der BRD sei bewältigte Vergangenheit. Tatsächlich stecken dort wie im Westen des Landes noch immer unendlich viele Menschen in großen Schwierigkeiten. Das System Merkel hat z. B. bewirkt, daß während der Amtszeit der Kanzlerin rund 50 Millionen Arbeitslosigkeitsmeldungen bei den "JobCentern" eingingen.

Joachim Spitzner, Leipzig


Die Zerschlagung des Hitlerfaschismus verhinderte den Absturz Europas in die Barbarei und ermöglichte etlichen Völkern des Kontinents einen demokratischen Aufbruch. Nie wieder Bomben! Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! waren damals unsere Losungen. Danach hatten wir 40 Jahre Zeit, am Sozialismus zu bauen. Trotz der Niederlage war all das nicht vergeblich. In die Geschichte geht die Erfahrung ein, daß Sozialismus möglich und besser als Kapitalismus ist.
Als Oberst und Regimentskommandeur der NVA konnte ich dazu beitragen, daß die längste Friedensperiode in der Geschichte des 20. Jahrhunderts ermöglicht wurde. Die NVA war eine Friedensarmee. Sie hat dafür gesorgt, daß an der Nahtstelle beider Systeme ein dritter Weltkrieg verhindert wurde.
Ich bereue nicht eine Minute meines Lebens in der DDR. Wer sich mit Kopf und Herz für sie einsetzen konnte, hat nicht umsonst gelebt.

Hein Friedriszik, Berlin


Im real existierenden Kapitalismus der BRD gibt es auch positive Seiten. So ist unser aller Leben inzwischen doch viel bunter und spannender geworden, als wir uns das im ach so finsteren Sozialismus hätten träumen lassen. Geht man heutzutage durch deutsche Städte, dann erlebt man grölende Glatzen, betrunkene Bettler, verwahrloste Vagabunden und prügelnde Polizisten. Man kann sich als BRD-Bürger auch das Geld für einen Abenteuerurlaub sparen: Es genügt, nachts auf die Straße zu gehen und dann mit Spannung darauf zu warten, an welcher Ecke man überfallen, ausgeraubt oder vielleicht sogar ermordet wird. Wer das Pech hat, nur krankenhausreif geschlagen zu werden, kommt wenigstens in den Genuß eines hervorragenden Gesundheitswesens. Immerhin rangiert die BRD in puncto medizinische Betreuung auf dem 17. Platz in der Welt. Auch unser Bildungssystem soll nicht versteckt werden. Jeder Bürger hat die Möglichkeit, sich umfassend zu "bild"en, beim Highlight des intellektuellen Bildungsfernsehens, also bei RTL II, opulentes Wissen aufzusaugen und durch das Studium von Hochglanzprospekten die Supermarktreife zu erwerben.
Noch ein Wort zur Meinungsfreiheit: Jeder, der im Erwerbsleben steht, hat zweifellos das Recht, die Meinung seines Chefs zu vertreten. Bei abweichenden Standpunkten aber stehen der Verfassungsschutz, die NSA und andere Einrichtungen dem Bürger zur Seite.

Johannes Scholz, Görlitz

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RotFuchs Nr. 197, 17. Jahrgang, Juni 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2014