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ROTFUCHS/179: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 225 - Oktober 2016


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

19. Jahrgang, Nr. 225, Oktober 2016



Inhalt

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Wir sind schon viele, doch der Frieden braucht mehr!

Am 7. Oktober 2001 begannen die USA Afghanistan zu bombardieren. Sie deklarierten den Krieg als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September in den Vereinigten Staaten, die angeblich von einem einzigen Urheber, dem Saudi-Araber Osama Bin Laden, organisiert worden waren. Bereits am Tag der Anschläge war in Washington von Krieg die Rede. Eine gewaltige Militärmaschinerie wurde in Gang gesetzt, mit der unter der Überschrift "Krieg gegen den Terror" ein bis heute andauernder Weltkrieg niedriger Intensität geführt wird. Inbegriffen ist eine Kriegspropaganda, die in der politischen Öffentlichkeit der imperialistischen Länder tiefgreifende Veränderungen bewirkte. Die Zahl der Kriegsschauplätze wurde fast Jahr für Jahr vergrößert - Irak, Somalia, Sudan, Libyen, Syrien, Mali und der gesamte Sahel, die Ukraine.

Rückschauend zeigt sich, daß die NATO die Gunst der Stunde damals zügig nutzte. In den folgenden Wochen sprach sich zum ersten Mal eine große Mehrheit der Bundesbürger dafür aus, den USA militärisch Hilfe zu leisten. Die Allianz erklärte den Bündnisfall und verpflichtete damit alle Mitgliedstaaten zum "Beistand" mit den USA.

Bundeskanzler Gerhard Schröder konnte fast widerspruchslos "uneingeschränkte Solidarität" mit ihnen verkünden, die Formel vom "Angriff auf die ganze zivilisierte Welt" übernehmen und deutsche Truppen in Marsch setzen. In kürzester Zeit wurden die Deutschen durch die Propaganda an Kriegsbeteiligung der Bundeswehr weitab von Europa gewöhnt. Die Unterstützung ging zwar rasch zurück, aber das Ziel war erreicht. Die "Leitmedien" kündigten an, es werde durch den militärischen "Einsatz" Demokratie, Gleichberechtigung für Frauen, Schulbauten und allgemeines Aufblühen Afghanistans geben. So wird Krieg gemacht - und die Opposition gegen ihn zersplittert. Am 21. Oktober 2001 fanden Wahlen zum Abgeordnetenhaus statt. Kurz nach dem 11. September unterstützte PDS-Spitzenkandidat Gregor Gysi begrenzte militärische Schläge gegen Länder, die Terroristen nicht ausliefern. Er warf alle friedenspolitischen Grundsätze seiner Partei über den Haufen, erntete damals aber ein derart negatives Echo in der PDS-Mitgliedschaft, daß er zurückruderte.

15 Jahre danach ist kein Ende der Katastrophe für Afghanistan in Sicht. Die Zahl der Kriegstoten allein in diesem Land wird auf bis zu 500.000 geschätzt. Niemand weiß, wie viele Opfer es indirekt, durch Hunger, Krankheit und Verelendung, gab. Als US-Präsident Barack Obama 2009 ins Weiße Haus einzog, verschärfte er zunächst den Krieg, ordnete 2011 eine stufenweise Reduzierung der Truppenstärke an und 2014 den fast vollständigen Abzug bis Ende 2016.

5500 Mann sollten übrigbleiben. Auch das war Propaganda. Denn das 2012 mit der Marionettenregierung in Kabul geschlossene Sicherheitsabkommen, das auch die Stationierung von US-Truppen regelt, hat eine Laufzeit bis Ende 2024. Nach Schätzungen sind insgesamt zur Zeit etwa 16.000 ausländische Soldaten im Land, darunter knapp 1000 der Bundeswehr.

Fast auf den Tag genau 15 Jahre nach Beginn des Afghanistan-Krieges mobilisiert die Friedensbewegung für den 8. Oktober zu einer Großdemonstration in Berlin.

Ihre Losungen "Die Waffen nieder! Kooperation statt NATO-Konfrontation, Abrüstung statt Sozialabbau" ergänzt sie mit dem Satz: "Wir treten ein für eine solidarische und friedliche Welt, in der Vielfalt eine Stärke ist. Auf unserer Demonstration gibt es keinen Platz für völkische Ideologien, Rassismus und Rechtspopulismus." Abgrenzungen dieser Art sind notwendig geworden - auch das zeigt, was sich in eineinhalb Jahrzehnten geändert hat. Es ist dringender denn je, daß die Friedenskräfte zusammenstehen.

Arnold Schölzel

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Kein NATO-Gipfel ohne Proteste

Der polnische Präsident Andrzej Duda, Gastgeber des am 8. und 9. Juli in Warschau durchgeführten NATO-Gipfels, nannte die dort getroffenen Entscheidungen "historisch". Und BRD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier meinte, daß von dem Treffen die "richtigen Signale ausgehen - nach innen wie nach außen, nach Osten wie nach Westen".

Was die NATO-Staats- und Regierungschefs freut, muß uns, muß alle friedliebenden Menschen in höchstem Maße beunruhigen: ungehemmte Aufrüstung, Intensivierung der Konfrontation mit Rußland, Forcierung der europäischen Militarisierung sind nur einige Stichpunkte.

Doch auch diesmal stieß das Treffen, wie alle seit 2009 abgehaltenen NATO-Gipfel, auf Proteste. Das ist in Polen - einem Land fast ohne Friedensbewegung - bemerkenswert. Unter dem Motto "Nein zum Krieg - Nein zur NATO" haben sechs polnische Organisationen aus der Friedens- und sozialen Bewegung sowie das internationale Friedensnetzwerk einen Gegengipfel und eine Demonstration in der Warschauer Metropole durchgeführt. Nach mehreren Monaten der Vorbereitungszeit und dem Vertrautwerden mit der schwierigen Situation sozialer Bewegungen in unserem Nachbarland war die Größe der Aktionen durchaus überraschend.

An der Demonstration, die unter dem Motto "Money for the hungry, not for tanks!" (Geld für die Hungernden, nicht für Panzer!) stand, nahmen über 300 Menschen teil. Das muß in diesem Land angesichts der Repressionen der polnischen Reaktion gegen NATO-Gegner und "Rußland-Versteher" und der öffentlich zustimmenden Haltung gegenüber dem Militärbündnis positiv bilanziert werden. Bunt und friedlich in Begleitung eines großen Polizeikontingents zogen sie vom Charles-de-Gaulle-Platz an der US-Botschaft vorbei zum linken Weichselufer in die Sichtweite des Nationalstadions, dem Ort des NATO-Gipfels.

Nur nebenbei sei vermerkt: Über 10.000 Polizisten und Sicherheitskräfte verwandelten die Stadt in eine Hochsicherheitszone. Stundenlang gesperrte Hauptverkehrsstraßen ließen die Stadt erlahmen.

Auf dem Gegengipfel diskutierten mehr als 150 Teilnehmer aus 18 Ländern, unter anderem aus Rußland, den USA, Tschechien, Polen, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Belgien und Spanien über die aktuellen Kriege und Konflikte, über den Kampf für den Frieden, für soziale Gerechtigkeit und gemeinsame Sicherheit in Europa. Die Konferenzteilnehmer einte die Forderung nach Auflösung der NATO. Besorgnis riefen die aktuellen Gefahren des erstarkenden Militarismus, besonders die verstärkte Militarisierung osteuropäischer Staaten hervor, die sich insbesondere in permanenter Truppenpräsenz (deutsche Truppen stehen wieder vor St. Petersburg), aggressiven Manövern, der geplanten Modernisierung der Atomwaffen und dem sogenannten Raketenabwehrschirm der NATO zeigt. Szenarien bis hin zu einem "großen Krieg in Europa" sind nicht mehr auszuschließen, resümierten viele Diskutanten.

Die Teilnehmer des Gegengipfels waren sich darin einig, daß die internationale Friedensbewegung vor den größten Herausforderungen der letzten Jahre steht. Von entscheidender Bedeutung ist, daß die von der NATO herbeigeführte Konfrontation mit Rußland beendet wird. Es gehe darum, daß ein Prozeß der Kooperation in Europa wieder eine Chance bekommt, ein gemeinsames kooperatives Sicherheitssystem, welches sich an den Bedürfnissen der Menschen ausrichtet, geschaffen wird. Es wurden die Stärkung der OSZE und die Neuauflage des Helsinki-Prozesses gefordert sowie die Stärkung und Demokratisierung der UN.

Am zweiten Tag des Treffens stand die Verständigung über Fragen der Vernetzung und künftige Aktionen der Friedensbewegung auf der Tagesordnung. In Anbetracht der Ausweitung von NATO-Militärstützpunkten nach Osten ist der Austausch mit Menschen aus Zentral- und Osteuropa unabdingbar. Die Veranstalter beschlossen, ihre Zusammenarbeit in einem Polnisch-Deutschen Friedensnetzwerk fortzusetzen. Gemeinsame Protestaktivitäten zu den Basen des "Raketenabwehrschirms" sind angedacht. In Polen ist man gerade dabei, eine Militärbasis für "Aegis Ashore" in Redzikowo zu bauen.

Der nächste NATO-Gipfel wird 2017 im neuen Hauptquartier der NATO in Brüssel stattfinden - eine weitere Bewährungsprobe für die deutsche und die internationale Friedensbewegung.

Reiner Braun, Geschäftsführer der IALANA
Mitglied des Koordinierungskomitees No to war - No to NATO

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Säbelrasseln mit göttlichem Beistand

Anläßlich des Rekrutengelöbnisses der Bundeswehr am 20. Juli - also am 72. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler - hatte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) einen ganz besonderen Gast an ihrer Seite. Es war der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Professor Wolfgang Huber - bekannt für seinen ausgeprägt bildhaften Sprachstil und mindestens genauso berüchtigt dafür.

Mit scheinbar sanften Tönen füllte der einstige Bischof der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg den hauptstädtischen Bendlerblock aus. Doch die Worte, die er dort sprach, hatten es in sich: "Ihr könnt euch darauf verlassen, dieser Staat wird euch nicht mißbrauchen. Ihr habt das große Glück, einer heute friedfertigen Nation und ihrem heute rechtlich geordneten Staat zu dienen."

Es wäre interessant zu erfahren, wie viele der Hinterbliebenen der 54 in Afghanistan getöteten Bundeswehrangehörigen den ersten Satz noch unterschreiben würden. Und ihre Friedfertigkeit hat die BRD unter anderem mit dem aktiven Eingreifen in den Jugoslawienkrieg sehr eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Huber philosophierte weiter über den Geist der Gelöbnistradition und sprach von Dankbarkeit und Verantwortung - Dankbarkeit für "mutiges" und "todesmutiges" Verhalten, Verantwortung für die Zukunft von Freiheit, Recht und Frieden.

Wann legt ein Soldat eigentlich todesmutiges Verhalten an den Tag? Ist das nicht im Krieg der Fall? Und wie mag es um die Zukunft des Friedens im Irak, in Syrien oder Libyen, in Mali oder in der Ukraine bestellt sein? Und welche Freiheit meinte Huber? Etwa die Freiheit, in der sich junge Frauen und Männer für die Bundeswehr entscheiden müssen, weil ihnen die BRD keine andere Chance auf berufliche Entwicklung gibt? Und welches Recht? Das Recht, ins Bodenlose zu stürzen, wenn man den überzogenen Anforderungen der Unternehmer aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr genügen kann? Doch Huber setzte noch eins drauf und betonte, daß das Gute "bewahrt und erkämpft" und notfalls auch gegen "dumpfe Töne aktiv verfochten" werden müsse, was nichts anderes als den offenen Aufruf zur Beteiligung an gegenwärtigen und künftigen militärischen Auseinandersetzungen darstellt. Huber ließ die Säbel sinnbildlich rasseln. Daß Gott den Berg Sinai nach derartigen Äußerungen nicht direkt in Brand gesteckt hat, ist wohl als religiöses Wunder anzusehen. Dort hat Gott, der Überlieferung nach, Moses mit seiner Gesetzgebung vertraut gemacht. Darunter auch mit dem fünften Gebot: "Du sollst nicht töten!" Selbst wenn heute durch bürgerliche Medien der Eindruck erweckt werden mag, daß Kriege im 21. Jahrhundert eher einem Computerspiel gleichen, sind sie es nicht. Sie bringen, wie tagtäglich zu verfolgen ist, einzig nur Zerstörung, Flucht, Tod und Verderben.

Der Ex-Bischof hielt jedoch noch einmal kurz inne und betonte den Vorrang von Gewaltfreiheit und nichtmilitärischen Mitteln, rückte dann aber den Islamischen Staat - einst hochgezüchtet von den USA - in seinen Fokus. Die "militärische Gegenwehr" sei diesbezüglich mehr als nur eine "abstrakte Möglichkeit", führte er aus. Als ob nicht auch Religionskriege über Jahrhunderte hinweg Leid und Elend über die Menschheit gebracht hätten. Der Theologe, der all dies kennen müßte, scheint aus der Geschichte nicht viel gelernt zu haben.

Rico Jalowietzki

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Erinnern an Wilhelm Rudolph

"Das heraufdämmernde Licht des 14. Februar 1945 erhellte nur noch eine glühende, qualmende Brandstätte an der Elbe, da, wo am Vortage Dresden gewesen war. Langgezogene Flammenhälse leckten an den Trümmerfassaden hintastend den letzten Sauerstoff aus Löchern und Abgründen. Der in der Flammenglut flüssig gewordene Asphalt hielt die Schuhe der vor dem Tode Geflüchteten unbarmherzig fest. Noch nach Monaten fand ich immer wieder Frauen- und Kinderschuhe [...] In der ruhelosen Vorstellung zwischen Schlaf und Wachen grub ich mit stählernem Griffel die Bilder der Zerstörung in Metall und Steinplatten, Strich um Strich wie Wunden ein. Bei nüchternem Tageslicht standen mir dann ein kleines Paket Zanders-Büttenpapier, etwas Tusche und eine Rohrfeder zur Verfügung, die ich hatte retten können."
Wilhelm Rudolph


Ich stehe, 70 Jahre, nachdem der Maler, Holzschneider, Graphiker und Zeichner sein Bild "Mann in Trümmern" schuf, davor und fühle mich mit den Gedanken dieses Künstlers zutiefst verbunden. Sein Hauptwerk "Das zerstörte Dresden" ist gegenwärtig im Stadtmuseum zu sehen. Es umfaßt mehrere hundert Zeichnungen, Aquarelle, Lithographien und Holzschnitte und gilt als eine Arbeit, für die es in der deutschen Kunst jener Zeit kein Äquivalent gibt.

Ich versuche, mich in den Künstler hineinzuversetzen. Gelingen will mir das nicht so ganz. Denn ich wurde 1949 in eine friedliche Epoche hineingeboren, ohne Angst vor Krieg und Zerstörung.

Es ist die Aussage des Bildes, das den Betrachter in seinen Bann zieht. Es zwingt, Schlüsse zu ziehen. Ein Mann in Trümmern - hinter ihm, um ihn herum und in ihm. Mitten in einem Trümmerberg sitzt er, hat alles verloren, besitzt nur sein Leben. Ist das noch Leben? Verletzt, erschüttert, trostlos. Wohin wird er sich wenden? Hoffnungslos sitzt er einfach nur da. Gibt es eine Zukunft für ihn? Welche Schuld trägt er selbst am Geschehenen?

In seiner Haltung kommt die ganze Verzweiflung über den Irrsinn, die Sinnlosigkeit des von den Hitlerfaschisten angezettelten Krieges zum Ausdruck. Was er einst mit seiner Hände Arbeit geschaffen hat, ist zerstört worden. Werden diese Hände, wird er die Kraft haben, noch einmal anzupacken, aufzuräumen, aus den Trümmern eine Stadt in Frieden aufzubauen?

Die Figur im Gemälde steht für Tausende Kriegsopfer, für Soldaten, die nach Kriegsende und Gefangenschaft in ihre Heimat zurückkehrten, vor Häusern stehen, die dem Erdboden gleichgemacht worden sind, und die nicht wissen, wohin und wie weiter.

Unsagbares Leid - mehr Worte braucht das Bild nicht, um die Botschaft für die Zukunft zu erkennen: Nie wieder Krieg!

Und heute? Wieder geht es um Aufrüstung und "Abschreckung" gegen den angeblichen "Feind". Wieder geht es gegen Rußland. Wieder stehen deutsche Soldaten vor seinen Grenzen.

Mit der jetzigen Strategie der NATO und ihrer Osterweiterung sind wir dem Krieg näher, als mancher glaubt.

Der Sozialismus war geprägt von einem einfachen, schlichten Wort: FRIEDEN. Es ist hohe Zeit, für seinen Erhalt zu kämpfen!

Siglinda Funke, Dresden

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Bildserie: Die unbesiegliche Inschrift von Herluf Bidstrup

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die Bildserie wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Für Eugène Pottier, den Dichter der "Internationale"

Zum 200. Geburtstag von Eugène Edmé Pottier am 4. Oktober veröffentlichen wir zwei wenig bekannte Übersetzungen des im Juni 1871 verfaßten Textes - die eine von Sigmar Mehring (dem Vater Walter Mehrings) von Anfang der 20er Jahre, die zweite von Erich Weinert (*) von Anfang der 60er Jahre.

(*) Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die Übersetzung von Erich Weinert wurde nicht in den Schattenblick übernommen, sie ist auf der Internetseite des RotFuchs und in der Printausgabe zu finden.)

DIE INTERNATIONALE

Nun kämpft zum letzten Male!
Stürmt an! Schon winkt uns dort
Die Internationale,
Der Menschheit Ziel und Hort!

Auf! Auf! Ihr glückbetrog'nen Toren
Auf! Sklaven ihr der Hungerzunft!
Hört ihr's im Krater nicht rumoren?
Zum Durchbruch kommt die Weltvernunft
Räumt auf mit allem morschen Plunder!
Und vorwärts mit der Kraft des Stiers!
Die alte Welt zerfall wie Zunder,
Wir waren nichts und jetzt sind wir's!

Es kann uns kein Erlöser retten.
Nicht Gott, noch Caesar, kein Idol.
Erlöst Euch selbst aus Euren Ketten!
Schafft selbst der Allgemeinheit Wohl!
Der Räuber, allzulang umfriedet,
Gab endlich uns die Beute preis!
Blast nur das Feuer an und schmiedet
Das Eisen noch, solang es heiß!

Der Staat erdrückt, Gesetz ist Schwindel!
Die Steuern trägt der Arbeitsknecht.
Man kennt nur Reiche und Gesindel,
Und Phrase ist des Armen Recht.
Die Gleichheit soll den Bann vernichten!
Und für das kommende Geschlecht
Gilt: "Keine Rechte ohne Pflichten!"
Und: "Nichts von Pflicht mehr, wo kein Recht!"

Die Minenherrn und Schlotbarone
In ihrem Hochmut ekelhaft,
Was taten sie auf ihrem Throne,
Als auszusaugen uns're Kraft?
Was wir gefördert, schließt die Klicke
In ihren Panzergeldschrank ein,
Und glüh'n danach des Volkes Blicke
So fordert's nur zurück, was sein!

Die Herrschgewalt hat uns benebelt,
Krieg ihnen, Frieden uns allein!
In Streik sei die Armee geknebelt,
Den Kolben hoch! In ihre Reih'n!
Wenn uns zu Helden zwingen wollen
Die Kannibalen, wagt das Spiel!
Wir werden feuern! Und dann sollen
Sie selbst sein uns'rer Kugeln Ziel!

Arbeiter! Bauern! Eilt geschlossen
Zur Proletarierpartei!
Die Welt gehört den Werkgenossen,
Und mit den Drohnen ist's vorbei.
Wieviel wir auch verloren haben,
Es kommt der Morgen, der die Schar
Der Eulen fortjagt und der Raben!
Aufflammt die Sonne hell und klar!

Nun kämpft zum letzten Male!
Stürmt an! Schon winkt uns dort
Die Internationale,
Der Menschheit Ziel und Hort!

(Aus dem Französischen von Sigmar Mehring)

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Die unbesiegliche Inschrift, 1973
Gewidmet Ho Chi Minh
von Wolfgang Metzger

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Text wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Zum neuen Bundeswehr-Weißbuch (1)
Kriegsabenteurer am Werk

Am 13. Juli wurde das neue Weißbuch zur Zukunft der Bundeswehr veröffentlicht. Nach Festlegung der Verfasser stellt es das "oberste sicherheitspolitische Grundlagendokument Deutschlands" dar, in dem allerdings die Landesverteidigung selbst so gut wie keine Rolle spielt. Denen, die es vorschnell als einen PR-Coup deklarierten, ist entgegenzuhalten, daß es vielmehr ein besorgniserregendes Dokument ist, das Deutschlands Hegemonialanspruch deutlich macht. Es steht für eine weltweite Interventionspolitik, eine schleichende Militarisierung im Inneren und die Fortsetzung der Rüstungsexporte. Dieses Dokument muß als das betrachtet werden, was es ist: das militärstrategische Konzept des auf globale Expansion setzenden deutschen Imperialismus.

Der aufmerksame Leser bemerkt bald, daß es sich um ein Machwerk voller Widersprüche handelt, in dem nur wenig Konkretes zu finden ist. Zudem fällt ein ungewöhnlicher, befremdlicher und abgehobener Sprachstil auf, der sehr dem des Papiers "Neue Macht, neue Verantwortung" vom Oktober 2013 ähnelt (siehe RF 197, Juni 2014). Man muß schon zwischen den Zeilen lesen, um des Pudels Kern zu finden. Da es hier nicht möglich ist, auf alle Kapitel des Weißbuchs einzugehen, werden nur die wichtigsten Aussagen einer kritischen Betrachtung unterzogen.

An erster Stelle ist der offen erhobene Führungs- und Machtanspruch Deutschlands in Europa und darüber hinaus zu nennen. Behauptet wird, Deutschland werde zunehmend als "zentraler Akteur" in Europa wahrgenommen. Gefaselt wird vom eigenen Gestaltungsanspruch, den zahlreichen Krisenherden und den gestiegenen Erwartungen an die außen- und sicherheitspolitische Rolle Deutschlands, die eine "Trendwende" verlangen würden. Danach heißt es, daß man die "globale Ordnung mitgestalten" wolle und Deutschland bereit sei, "sich früh, entschieden und substantiell als Impulsgeber in die internationale Debatte einzubringen, Verantwortung zu leben und Führung zu übernehmen". Damit sind die strategischen Prioritäten gesetzt.

Bleibt zu fragen, wie die Bundesrepublik als zentraler Akteur in Europa gesehen wird und ob diese Wahrnehmung auch die Zustimmung der anderen europäischen Staaten findet. Schließlich verbirgt sich dahinter das unverhohlene Streben nach einer Vorreiterrolle und nach Vorherrschaft. Im Weißbuch wird es als "Handlungs- und Gestaltungsanspruch" umschrieben. Wenn dann behauptet wird, das sicherheitspolitische Selbstverständnis sei geprägt durch die Lehren aus der Geschichte, bleibt offen: Welche Lehren sind denn gemeint? Hat man vergessen, wer den II. Weltkrieg begonnen und unsägliches Leid über die Völker gebracht hat?

Die Festlegungen für eine "strategische Neuausrichtung der Bundeswehr" zielen eindeutig darauf ab, ihre Fähigkeiten für Auslandseinsätze zu erhöhen. Dazu erklärt das Weißbuch ausdrücklich die Bereitschaft zur Anwendung oder Androhung militärischer Gewalt. Es heißt zwar, "robustes militärisches Eingreifen" müsse völkerrechtlich legitimiert sein - also kein Einsatz ohne Sicherheitsratsmandat! Doch in Ausnahmefällen müßten "humanitäre Interventionen" auch ohne Erlaubnis des Sicherheitsrats möglich sein.

Solche Einsätze hat es schon mehrfach gegeben. Das im Weißbuch geforderte "globale deutsche militärische Engagement" stellt de facto eine flagrante Verletzung der im Grundgesetz Artikel 26 (1) vorgesehenen Rolle ihrer Streitkräfte dar.

Vergeblich sucht man eine wissenschaftliche Analyse potentieller oder tatsächlicher Bedrohungen, denen sich Deutschland ausgesetzt sieht. Statt dessen wird behauptet, das Umfeld sei noch komplexer, dynamischer und schwieriger vorhersehbar geworden.

Ein immer wieder strapaziertes Thema ist die sogenannte Resilienz (Widerstandsfähigkeit). Was versteht man darunter, und worum geht es dabei im Kern? Der Begriff stammt ursprünglich aus der Kinderpsychologie und beschreibt die Fähigkeit, Entwicklungskrisen zu bewältigen und sie durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen als Anlaß für die weitere Entwicklung zu nutzen. Außer bei Medizinern war dieser Begriff kaum bekannt. Ein Schelm, der dabei an die Verteidigungsministerin denkt. Die Stärkung von Widerstandsfähigkeit des Landes gegenüber aktuellen und zukünftigen Gefährdungen sei von besonderer Bedeutung. Staat, Wirtschaft und Gesellschaft müßten sie erhöhen, um die eigene Handlungsfreiheit zu erhalten und sich gezielt gegen Gefährdungen zur Wehr setzen zu können.

Dieses Getöse geht völlig an den Realitäten des Lebens vorbei, die darin bestehen, daß die anderen europäischen Staaten auch bei Erhöhung ihrer Resilienz komplett kriegsuntauglich bleiben werden. Im Falle eines offenen Konflikts würden selbst konventionelle Kampfhandlungen innerhalb weniger Tage die fragile Infrastruktur der Länder zerstören. Die Energie- und Wasserversorgung, die Kommunikations-, Transport- und Versorgungssysteme und nahezu alles, was die Menschen zum Leben benötigen, würden ausfallen. Doch mit der Erhöhung der Resilienz sollen Kriege generell wieder führbar werden. Damit würde der militärische Faktor erneut als Mittel erster Wahl in die Politik einziehen. Wer mit dieser Art Sicherheitsvorsorge Kriegsgefahren abwenden will, spielt mit dem Feuer und gefährdet den Frieden.

Die Behauptung, die Staaten Europas hätten - gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika - auf dem europäischen Kontinent seit Ende des kalten Krieges eine "einzigartige Friedensordnung" geschaffen, ist absurd. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Bis zur Auflösung von Warschauer Vertrag und Sowjetunion herrschte in Europa trotz aufgezwungenem Wettrüsten Frieden. Schon kurz danach wurde auf dem Balkan ein verbrecherischer Krieg ausgelöst, unter dem die betroffenen Völker noch heute leiden.

Die dann einsetzende Osterweiterung der NATO hat zu einer anhaltend latenten Kriegsgefahr geführt. Rußland wurde erneut zum Hauptfeind erklärt. Begründet wird das mit der Behauptung, Rußland würde seine Nachbarn bedrohen und habe mit der Sezession der Krim die europäische Friedensordnung offen in Frage gestellt.

Tatsache ist jedoch: Laut UNO-Resolution 2625 (XXV) vom 24.10.1970 wird das Sezessionsrecht ausdrücklich anerkannt. Das Selbstbestimmungsrecht des Volkes hat auf jeden Fall Vorrang gegenüber dem Souveränitätsanspruch von Staaten. Kein völkerrechtlicher Vertrag und keine innerstaatliche Verfassung kann das Selbstbestimmungsrecht verbieten. Der Vorwurf, Rußland habe die Friedensordnung in Europa in Frage gestellt, dient nur als Vorwand, um die eigenen Aggressionspläne zu rechtfertigen.

Bernd Biedermann

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Deutsche Speerspitze in Litauen

Sein und Scheinen sind nicht dasselbe. Die Beschlüsse des NATO-Gipfels von Warschau im Juli 2016 belegen das: erhöhte Anstrengungen zur Bekämpfung des IS, Unterstützung der Bemühungen zur Eindämmung der Migration über das Mittelmeer mit der Operation "Sophia" vor der Küste Libyens und Verlängerung des Mandats in Afghanistan. Beim Gipfel gab es Äußerungen führender NATO-Vertreter, so ihres Generalsekretärs Stoltenberg, die vernünftig erscheinen, so z. B.: "Der kalte Krieg ist Geschichte und soll es auch bleiben." Oder: "Wir handeln defensiv, transparent und angemessen." Und als Höhepunkt: "Wir werden den Dialog mit Rußland fortsetzen." Zu ergänzen wäre nur eine Kleinigkeit, sprich, das "Sein" - das auf dem Gipfel Beschlossene - dem schönen "Schein" gegenüberzustellen. Die NATO stationiert, entgegen ausdrücklichen einstigen Absprachen, "rotierende" (aber trotzdem ständig präsente) kampfbereite Truppen in den Nachbarstaaten Rußlands.

Je ein Bataillon mit etwa 1000 Mann bezieht mit voller Bewaffnung Quartier in Estland, Lettland, Litauen und Polen. Die Einsatzqualität soll stets Elemente der Land-, Luft-, See- und Spezialkräfte umfassen. Die Bataillone seien eine Art "Stolperdraht" für die von der NATO vielfach heraufbeschworene russische Invasion in seine Nachbarstaaten. Und sollte der Stolperdraht Signale aussenden, erfolge sofort Verstärkung durch die "Speerspitze" der NATO. Die Führungsrolle in Polen übernehmen die USA, in Estland Großbritannien, in Lettland Kanada, und in Litauen, man höre und staune, ist es Deutschland. Betont wurde darüber hinaus auf dem Gipfel die Einsatzbereitschaft des die Sicherheit Rußlands verletzenden und von diesem scharf kritisierten Raketenschildes in Europa mit vier Schiffen, der Raketenbasis in Rumänien und der Ortungsanlage in der Türkei. Und die deutsche Bundesministerin für Verteidigung, Frau von der Leyen, setzte noch eins drauf. Deutschland stellt mit einer Kapazität von 13.500 IT-Spezialisten eine Einheit für den "Cyber- und Informationsraum" auf.

Ganz nebenbei bereicherte sie bei diesem Treffen den militärischen Wortschatz noch mit einem neuen Ausdruck: Die Truppenverlegung in die russischen Nachbarstaaten sei keine Stationierung, sondern "Vornepräsenz". Generalstabsausbildung alter Schule?

Daß die USA als Führungsmacht der NATO den geplanten "Stolperdrähten" und selbst dem angedrohten Einsatz der "Speerspitze" kein volles Vertrauen schenken, findet seinen Ausdruck in der vorgesehenen Stationierung einer US-Panzerbrigade mit 5000 Mann und 250 Panzern in einem der Nachbarstaaten Rußlands, wahrscheinlich in Polen.

Die Speerspitze ist neuester Bestandteil der seit dem Gipfel 2002 in Warschau in mehreren Etappen aufgestellten NATO Response Force (NRF), der "Eingreiftruppe". Sowohl die heute erreichte Einsatzstärke der NRF mit 40.000 Mann als auch die Bildung ihrer "Very High Readiness Joint Task Force" (VJTF), eben der ganz schnellen Eingreiftruppe, der Spitze des Speers, gehen maßgeblich zurück auf die intensiven Bemühungen des deutschen Vier-Sterne-Generals Hans-Lothar Domröse, bis April 2016 Oberbefehlshaber des Allied Joint Force Command in Brunssum, Befehlshaber NATO für Ost- und Nordeuropa. Die VJTF, die neue und laut Berichten "superschnelle" neue Speerspitze, eine rein europäische Truppe, geführt vom Deutsch-Niederländischen Korps in Münster, soll in der Lage sein, mit ca. 5000 Mann, davon 2700 aus der Bundeswehr, in 48 bis 72 Stunden weltweit (und damit auch an der russischen Grenze) den Kampf aufzunehmen. Selbst dem Laien sollte anhand dieser Daten deutlich werden, daß hier eine sehr ernst zu nehmende Bedrohung Rußlands entsteht.

Damit ist klar: Die Zeit der in den 90er Jahren ohnehin geringfügigen Reduzierung von Truppen und Bewaffnung ist beendet.

Die Rüstungsindustrie schreibt wieder tiefschwarze Zahlen, energisch fordert das Verteidigungsministerium die zahlenmäßige und natürlich finanzielle Verstärkung der Bundeswehr. Mit dem soeben herausgegebenen Weißbuch 2016 läßt die BRD zudem ihre neue, unverhohlen auch auf militärische Mittel setzende Rolle im Ringen um die globale Mitherrschaft erkennen. (Siehe dazu auch die auf der vorhergehenden Seite begonnene neue RF-Artikel-Serie von Bernd Biedermann.) Unter Führung der "mächtigsten Frau der Welt" scheut sich die Bundesregierung in eben dieser angespannten Situation nicht einmal, im Rahmen eines erneuerten Zivilschutzprojektes die eigene Bevölkerung zur persönlichen Vorsorge gegen Katastrophen und eine mögliche Gefährdung des bisher nur von Freunden umgebenen Landes aufzurufen. Die Bundesrepublik übernimmt - 75 Jahre nach dem 22. Juni 1941 - mit der Teilnahme deutscher Soldaten an der zunehmenden Einkreisung Rußlands eine Führungsrolle bei dessen realer Bedrohung.

Geplant ist, zusätzlich zu den bereits weltweit laufenden Einsätzen der Bundeswehr ein weiteres Kontingent gerade dorthin zu entsenden, wo deutsche Soldaten schon mehrfach eingesetzt waren und nicht eben mit Ruhm bedeckt zurückkehrten, nach Litauen, in Richtung russische Grenze, in Richtung "Erzfeind". Als Kern des deutschen "Bataillons" wird bisher das Panzergrenadierbataillon 371 aus Marienberg/Sachsen genannt.

Litauen wird von keinem anderen Land bedroht, ausdrücklich auch nicht von Rußland. Warum es selbst den direkten Schutz der NATO anruft, bleibt dem neutralen Betrachter unverständlich. Für die Tatsache, daß gerade Deutschland seine Soldaten in dieses Land schickt, daß es damit erneut bereit ist, Rußland zu drohen und gegebenenfalls mit seinen Truppen russische Grenzen zu überschreiten, finde ich nur zwei Erklärungen. Die erste: Die tief sitzende Feindschaft der herrschenden Kreise der BRD gegen Rußland überwiegt die Erfahrungen aus allen gegen russische Lande geführten und immer verlorenen Kriegen. Es fehlt offenbar jede Vorstellung davon, wie Rußland selbst auf die geringfügigste Verletzung seines Territoriums gerade durch deutsche Truppen reagieren würde. Und die zweite: Deutschland unterwirft sich - völlig freiwillig und den Willen der eigenen Bevölkerung ignorierend - bedingungslos dem Willen der NATO und damit der vom militärisch-industriellen Komplex dominierten Führung der USA.

Mit der Entsendung deutscher Truppen nach Litauen, dem "Sein" der aktuellen deutschen Sicherheitspolitik, widerspricht Deutschland geradezu drastisch dem schönen "Schein" seiner im Weißbuch 2016 genannten Aussage: "Unser sicherheitspolitisches Selbstverständnis ist geprägt durch die Lehren aus unserer Geschichte."

Martin Kunze, Templin

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Die brasilianische Tragödie

Eine Bande von Kriminellen, eines "Kriminellen mit Vertrag, mit Krawatte und Kapital" - wie es im bissigen und warnenden Gedicht von Chico Buarque heißt - hat soeben aus ihrem Bau im Legislativen Palast Brasiliens heraus einen (fälschlicherweise "weich" genannten) Staatsstreich gegen die legitime und verfassungsmäßige Präsidentin Brasiliens, Dilma Rousseff, verübt. Wir sprechen von "fälschlicherweise weich genannt", weil es, wie es die Erfahrung mit dieser Art von Verbrechen in Ländern wie Paraguay und Honduras lehrt, nach solchen Umstürzen unausweichlich zu einer hemmungslosen Unterdrückung kommt, um jeglichen Versuch eines demokratischen Wiederaufbaus zu vereiteln.

Der Dreizack der Reaktion - Richter, Parlamentarier und Massenmedien, alle bis aufs Mark korrupt - setzte einen pseudo-legalen und eindeutig unrechtmäßigen Prozeß in Gang, mittels dessen die Demokratie in Brasilien durch eine unverfrorene Plutokratie ersetzt wurde. Deren Ziel ist es, den 2002 mit der Wahl von Luiz Inacio da Silva ("Lula") zum Präsidenten eingeleiteten Kurs umzukehren. Selbstverständlich zählte diese Verschwörung auf die Unterstützung und den Segen Washingtons, das schon seit Jahren die Emails von Dilma und anderen Staatsfunktionären ausspionierte.

Es erübrigt sich daran zu erinnern, daß die Demokratie den Kapitalismus herzlich wenig kümmert: Einer seiner Haupttheoretiker, Friedrich von Hayek, meinte, daß sie einfach eine Zweckmäßigkeit wäre, die in dem Maße zulässig sei, wie sie sich nicht in den "freien Markt" einmische, der die nicht-verhandelbare Ordnung des Systems darstellt. Aus diesem Grunde ist es blauäugig, eine "loyale Opposition" seitens des Kapitals und seiner politischen Sprachrohre zu erwarten, selbst gegenüber einer so gemäßigten Regierung wie der von Dilma. Aus der brasilianischen Tragödie können viele Lehren gezogen werden. Ich nenne nur einige wenige:

Erstens, jegliches Nachgeben gegenüber der Rechten seitens linker oder fortschrittlicher Regierungen dient lediglich der Beschleunigung ihres Ruins. Diesen Fehler hat die PT seit der Regierung Lula immer wieder gemacht, wodurch das Finanzkapital, maßgebliche Industriezweige, die Agrarindustrie und die reaktionärsten Massenmedien Profit schlagen konnten.

Zweitens sollte nicht vergessen werden, daß ein politischer Prozeß nicht allein über die institutionellen Kanäle des Staates verläuft, sondern auch auf "der Straße", in der Welt der Arbeitenden, der Besitzlosen und Entrechteten. Schon in den ersten Jahren der PT-Regierung hat die Partei ihre Mitglieder und Sympathisanten demobilisiert und sie bloß als wehrlose Wählerbasis betrachtet. Als die Rechte sich daran machte, die Macht zu erringen, und Dilma sich auf dem Balkon des Präsidentenpalastes Planalto in der Erwartung zeigte, eine Menschenmenge zu ihrer Unterstützung anzutreffen, sah man kaum eine Handvoll verzagter Mitstreiter, unfähig, der wuchtigen "institutionellen" Offensive der Rechten Widerstand zu leisten.

Drittens dürfen die fortschrittlichen und Linkskräfte nicht noch einmal in den Fehler verfallen, alle ihre Karten einzig und allein auf das parlamentarische Spiel zu setzen. Man sollte bedenken, daß bürgerliche Demokratie für die Rechte lediglich eine taktische Option ist, derer man sich leicht entledigen kann. Deshalb müssen progressive Kräfte, die sich dem Ziel der sozialen Umwälzung verschreiben, immer einen "Plan B" haben, um den Machenschaften der Bourgeoisie entgegenzutreten, die nach Lust und Laune mit den Institutionen und Regeln des kapitalistischen Staates hantieren. Das setzt Organisation, Mobilisierung und politische Bildungsarbeit innerhalb der Massen voraus - etwas, was die PT nicht getan hat.

Schlußfolgerung: Wenn von einer Krise der Demokratie gesprochen wird, die jetzt angesichts der Ereignisse ganz offensichtlich ist, muß auf die Ursachen der Krise hingewiesen werden. Der Linken ist immer mit gefälschten Argumenten vorgeworfen worden, nicht an die Demokratie zu glauben. Die Geschichte beweist dagegen, daß es die Rechte war, die in der ganzen Welt eine Reihe kaltblütiger Morde an der Demokratie begangen hat; die sich immer mit allen ihr zur Verfügung stehenden Waffen gegen jedwedes Projekt gestemmt hat, das darauf gerichtet war, eine fortschrittliche Gesellschaft zu errichten, und die nie davor zurückschrecken wird, ein demokratisches Regierungssystem zu zerstören, wenn es sich für sie als notwendig erweist. Für jene, die in dieser Hinsicht Zweifel hegen, sei erinnert an: Honduras, Paraguay, Brasilien und in Europa an Griechenland. Wer beseitigte die Demokratie in diesen Ländern? Wer will ihr in Venezuela, Bolivien und Ecuador den Garaus machen? Wer massakrierte sie 1953 im Iran, 1954 in Guatemala, 1961 in Belgisch-Kongo, 1965 in Indonesien, 1973 in Chile?

Atilio Borón

(Aus dem Spanischen von Gerhard Mertschenk, redaktionell bearbeitet)

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Zeitenwende in Brasilien

Sieg für die rechte Ecke in der dritten Runde. Brasiliens Oberhaus hat Präsidentin Dilma Rousseff endgültig entmachtet. Ein harter Schlag für ihre Arbeiterpartei (PT), die mehr als 13 Jahre lang den Ring beherrscht hatte. Rousseffs Aus war bei der Oligarchie schon länger beschlossene Sache. Nur das Volk, der große Lümmel, wollte 2014 nicht auf Globo hören, und ließ dessen Kandidaten in beiden Wahlrunden durchfallen. Doch dort kann man auch anders.

Dieser Konzern ist keine Gewalt vierter Klasse. Er gibt die Richtung der öffentlichen Debatte vor, nimmt Partei und ist Partei - der Macht, die aus den Tresoren kommt.

Seine Medien beherrschen die gesamte Klaviatur der Manipulation, die Inszenierung von Krisen und Seifenopern, den Tempowechsel, die Heuchelei und das Dirigieren politischer Akteure und der Justiz. Man sollte deshalb längst nicht mit der Banane auf Brasilien zeigen. Springers Kampfblatt kann auch hierzulande Würdenträgern zeigen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat. Christian Wulff kann ein Lied davon singen.

Mit der Farce des Amtsenthebungsverfahrens ohne Grundlage wurden die politischen Spielregeln dramatisch verändert. Auf eine Wende am grünen Tisch braucht die PT kaum zu hoffen. Berufung? Die Temer-Regierung erhöhte gleich nach Vollzug des kalten Putsches die Mondbezüge der Richterschaft. Das Parlament der Korrupten, der Kaziken, der Lobbys von "Bibel, Kugel und Kuh" entmachtete ungeniert den Souverän, das Wahlvolk. Zwei Tage nach Rousseffs Sturz, formal wegen vom Kongreß "nicht genehmigter Kreditvergaben", weitete der Senat die Möglichkeiten dafür noch aus, um eine gängige politische Praxis aufrechterhalten zu können. Daß Rousseff nach einem weiteren Senatsurteil das passive Wahlrecht behält, ist schon ein dreistes Eingeständnis der Heuchelei von Teilen ihrer Ankläger und Richter.

Das Präsidialsystem - die mit der Rückkehr zur Demokratie vom Volk erkämpfte direkte Wahl des Regierungschefs - steht nun auf Abruf. Es bot auch der Linken eine Machtoption. Jedoch mit einer Achillesferse dank der Kontinuität reaktionärer Eliten im Staat. Das Ende der PT-Ära spiegelt auch den wachsenden Einfluß christlicher Fundamentalisten wider. Immer mehr Brasilianer wollen nach evangelikaler Fasson selig werden. Was sie nach dem irdischen Jammertal noch so vorhaben - geschenkt. Doch die irdische Agenda des scheinheiligen Managements dieser Megakirchen mit enger US-Anbindung, darunter etliche Strippenzieher des Putsches, zielt auf drastischen gesellschaftlichen Rückschritt. Rousseffs Sturz ist nur eine Zwischenstation, um die Bahn für Marktradikalismus, den Abbau von Sozialleistungen und Rechten freizumachen. Das muß auf Widerstand treffen. Die Putschisten, die keine sein wollen, ziehen schon die Handschuhe aus.

Peter Steiniger

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Erklärung Kubas zum Anti-Rousseff-Putsch

Die Revolutionäre Regierung der Republik Kuba weist energisch den gegen die Präsidentin Dilma Rousseff gerichteten parlamentarisch-gerichtlichen Staatsstreich zurück. Die Trennung der Präsidentin von der Regierung und mit ihr der Partei der Arbeiter (PT) und anderer politischer Kräfte der verbündeten Linken, ohne daß sich irgendein Beweis für Delikte der Korruption oder andere Verbrechen ergeben hätte, stellt einen Akt der Respektlosigkeit gegenüber dem souveränen Willen des Volkes dar, das sie gewählt hat.

Während der Regierungszeiten von Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff wurde ein wirtschaftlich-soziales Modell angestoßen, das es Brasilien ermöglicht hat, einen Sprung in seinem produktiven Wachstum mit sozialer Einbeziehung, Verteidigung seiner natürlichen Ressourcen, Schaffung von Arbeitsplätzen, Kampf gegen die Armut, Befreiung von über 35 Millionen Brasilianern, die unter unmenschlichen Bedingungen lebten, aus dem Elend, Anhebung des Einkommens weiterer 40 Millionen und Erweiterung der Möglichkeiten bei der Bildung und der Gesundheit des Volkes, auch bei denen, die bis dahin am Rande der Gesellschaft gestanden hatten. In diesem Zeitraum ist Brasilien ein aktiver Förderer der lateinamerikanischen und karibischen Integration gewesen. Die Niederlage des Freihandelsabkommens für die Amerikas (ALCA), die Einberufung des Lateinamerikanischen und Karibischen Gipfels über Integration und Entwicklung (CALC), der später zur Schaffung der CELAC führte, und die Einrichtung von UNASUR sind außerordentliche Ereignisse in der jüngsten Geschichte der Region, welche die Avantgarde-Funktion dieses Landes deutlich machen. Auch seine Hinwendung zu den Ländern der Dritten Welt, insbesondere Afrikas, seine aktive Mitgliedschaft in der Gruppe der BRICS (Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika) und seine Leistung im Rahmen der Organisation der Vereinten Nationen, der UNO-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und der Welthandelskonferenz zeugen von seiner internationalen Führungsrolle. Auch der Politik Brasiliens unter den Regierungen der PT bei so entscheidenden Themen wie der internationalen Lage zur Verteidigung des Friedens, der Entwicklung, der Umwelt und der Programme gegen den Hunger gebührt Lob. Wohlbekannt sind die Anstrengungen Lulas und Dilmas bei der Reform des politischen Systems und der Ordnung bei der Finanzierung der Parteien und ihrer Kampagnen sowie bei der Unterstützung der Untersuchungen gegen die Korruption, die offen waren und bei denen die Unabhängigkeit der damit beauftragten Institutionen gewährt war.

Die Kräfte, die jetzt die Macht ausüben, haben Privatisierungsmaßnahmen zu den Erdölreserven in großen Meerestiefen und Kürzungen der Sozialprogramme angekündigt. In gleicher Weise beabsichtigen sie eine Außenpolitik, die Beziehungen mit großen internationalen Machtzentren begünstigt. Gegen nicht wenige derjenigen, die über die Präsidentin richten, sind Untersuchungen wegen Korruption im Gange.

Das, was in Brasilien geschehen ist, ist ein weiterer Ausdruck der Offensive des Imperialismus und der Oligarchie gegen revolutionäre und progressive Regierungen Lateinamerikas und der Karibik, die den Frieden und die Stabilität der Länder bedroht. Sie ist gegen Geist und Buchstaben der Proklamation Lateinamerikas und der Karibik als Zone des Friedens gerichtet, die auf dem II. Gipfel der CELAC im Januar 2014 in Havanna von den Staats- und Regierungschefs der Region unterzeichnet wurde.

Kuba bestätigt seine Solidarität mit der Präsidentin Dilma, dem Compañero Lula und mit der Partei der Arbeiter und vertraut darauf, daß das brasilianische Volk die erreichten sozialen Leistungen verteidigt, sich entschlossen der neoliberalen Politik, die man versucht ihm aufzuerlegen, und der Plünderung seiner natürlichen Ressourcen widersetzt.

Havanna, 31. August 2016 (nach der deutschen Fassung von redglobe.de)

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Ausschluß Venezuelas aus der OAS verhindert

Trotz intensiver Bemühungen des Generalsekretärs der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), des Uruguayers Luis Almagro, fand sich im Juni keine Mehrheit der OAS-Mitgliedsstaaten für einen Ausschluß Venezuelas aus der Organisation und für die Auflage von Sanktionen, mit welchen faktisch die Souveränität des Landes beseitigt worden wäre. Der venezolanische Soziologe Franco Vielma erläuterte in der deutschsprachigen Ausgabe der kubanischen Monatszeitung "Granma Internacional" die Hintergründe. Ein Auszug:

Ermutigt von der Rückübernahme der Macht durch die Rechte in Argentinien und durch die De-facto-Regierung in Brasilien, vertrauten die Akteure darauf, von außen eine Front gegen Venezuela aufbauen zu können. Die OAS-Mitgliedsländer beschlossen jedoch übereinstimmend (mit Ausnahme Paraguays, das nicht mit abstimmte), in Venezuela herrsche eine verfassungsgemäße Ordnung, und es gebe die von der venezolanischen Regierung ausgehende Initiative zum Dialog zwischen den Parteien. Die Resolution, die vom Ständigen Rat der OAS schließlich erlassen wurde, entspricht dem Geist der Anstrengungen, die die venezolanische Regierung unternimmt und an denen die venezolanische Oppositionskoalition MUD sich ungern beteiligt hat. Der Botschafter und ständige Vertreter Mexikos in der OAS, Luis Alfonso de Alba Góngora, hob hervor, daß jeder Staat das Recht habe, sein politisches System ohne Einmischung zu wählen. In diesem Sinne verlas er ein Dokument, in dem er betonte:

1. die Unterstützung des offenen und einschließenden Dialogs zwischen Regierung, diversen politischen Akteuren und einflußreichen internationalen Führungspersönlichkeiten, um den Frieden zu bewahren,

2. die Unterstützung der Initiative dreier ehemaliger Präsidenten - José Luis Rodríguez Zapatero (Spanien), Leonel Fernández (Dominikanische Republik) und Martín Torrijos (Panama) - für die Wiederaufnahme eines wirksamen Dialogs zwischen Regierung und Opposition und die daraus folgende wirtschaftliche Erholung und den nationalen Frieden,

3. die Unterstützung der verschiedenen Initiativen für einen nationalen Dialog in Anlehnung an die Verfassung und die Menschenrechte,

4. die Unterstützung aller Verständigungsanstrengungen zwischen den Parteien.

Das, was zu einer toten Partie hätte werden können, endete in einem Konsens, der auf einem veränderten Vorschlag Argentiniens basierte. Die venezolanische Rechte schickt sich jetzt an, Schadensbegrenzung zu versuchen, und verkündete es als einen Sieg, daß die Krise Venezuelas in der OAS diskutiert worden sei und daß die Regierung Venezuelas, indem sie das Dokument unterschrieben habe, "endlich anerkennt", daß es eine Krise gibt. Das klingt so, als wenn einer, der auf das große Geld aus ist, sich am Ende mit Pfennigen begnügen muß. Es ist die klassische Formulierung, um Leichtgläubige bei der Stange zu halten. Denn die venezolanische Regierung hat die schwierige innere Lage niemals abgestritten und selbst um Treffen mit internationalen Instanzen wie Unasur, der 2008 gebildeten Union der südamerikanischen Staaten, nachgesucht, um internationale Unterstützung bei der Suche nach einer Lösung für die Situation in Venezuela zu finden.

Ein Ergebnis ist, daß Venezuela - trotz der Rückschläge in Argentinien und Brasilien - weiter über ein hohes Maß an Unterstützung verfügt. Venezuela übt in der Geopolitik der Region eine Schlüsselrolle aus. Sie konnten uns nicht wie eine Kolonie behandeln. Der Chavismus hat eine weitere Kraftprobe an der äußeren Front gewonnen, gegen wirklich mächtige, offen gegen ihn eingestellte Akteure. Das bedeutet viel in der Welt, in der wir leben. Die Position der USA im Ständigen Rat der OAS war praktisch die eines Zuhörers, der den Zusammenbruch der interventionistischen Initiative mitansehen mußte, nachdem er erfolglos hinter der Bühne agiert hatte. Den USA blieb nichts anderes übrig, als den Konsens zu unterschreiben.

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Iranische und türkische Kommunisten einig in der Wertung der Entwicklungen in der Türkei

Die Führungsgremien der kommunistischen Parteien Irans und der Türkei wandten sich jüngst an die Öffentlichkeit im In- und Ausland. Getragen von gegenseitiger solidarischer Verbundenheit bringen ihre Erklärungen die übereinstimmende Einschätzung des Charakters der Entwicklungen am Bosporus zum Ausdruck sowie die klare parteiliche Haltung der Tudeh-Partei Iran gegenüber dem Kampf der Kommunisten, aller progressiven Kräfte der Völker der Türkei und insbesondere für die vom türkischen Regime gnadenlos bekämpften Kurden. Sie solidarisieren sich mit deren standhafter Gegenwehr angesichts des offenen Krieges gegen mehr als 20 Prozent der Bevölkerung des Landes, den das AKP-Regime ungeachtet der enormen zivilen Opfer und der deutlichen Kritik selbst seitens enger westlicher Partner führt.

Die Tudeh-Partei erklärt: "Die abenteuerlichen Aktionen von Teilen des türkischen Militärs mit dem Putschversuch gegen die Regierung der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) haben das Land und die gesamte Region in eine gefährliche Situation gestürzt."

Die iranischen Kommunisten verurteilen den Putsch prinzipiell und würdigen, daß sich die Türkische Kommunistische Partei in ihrer ersten Stellungnahme danach von diesem entschieden distanziert und gleichzeitig das Vorgehen der islamistischen AKP-Regierung schärfstens kritisiert.

Die türkischen Kommunisten rufen "alle Anhänger des Friedens, der Demokratie und Gerechtigkeit in der Welt" auf, zu erkennen, daß "keine der Seiten dieses Konflikts die Interessen des Volkes repräsentiert" und "einzig und allein die Kraft des Volkes die AKP stürzen kann".

Während diese alles versucht, zu beweisen, daß allein dieser Putsch sie zwinge, das Land von der Opposition zu "säubern", will sie auf diesem Weg ihre eigene Macht stärken und den Weg zur Installierung einer autokratischen islamistischen Diktatur bereiten. Deshalb ist es geboten, daß die wahren Freunde der Völker der Türkei ihre Solidarität mit den demokratischen Kräften des Landes bekunden und helfen, die Einheit aller Patrioten, insbesondere der arbeitenden Bevölkerung, im Kampf gegen Erdogans anmaßendes Vorgehen zusammenzuschweißen.

Beim Putschversuch vom 15. Juli ging es um die Auseinandersetzung "von zwei oder mehr Cliquen im Staat mit gleichem Klassenhintergrund und gleicher Ideologie. Es ist eine Tatsache, daß diese Cliquen, die seit Jahren gemeinsam handelten, nicht wirklich voneinander zu trennen sind. Genauso ist es eine Tatsache, daß es nicht möglich ist, daß die eine Seite von ihnen etwa völlig in Unkenntnis über die Pläne der anderen sein konnte. ... Trotzdem war der Versuch vom 15. Juli nicht, wie von vielen angenommen, ein persönlich von Erdogan geplantes blutiges Szenario, sondern ein realer Putschversuch. Allerdings bezweifeln die türkischen Patrioten, daß die Gülen-Bewegung hauptsächlich oder gar allein hinter dem Staatsstreich gestanden habe. Das stellten die Erdogan-Kräfte allein schon durch die massenhaften Repressionen und Säuberungen in allen zivilen und militärischen Bereichen des gesamten Staates selbst deutlich infrage."

Die Kommunisten geben zu bedenken, daß alle Offiziere, die am Putschversuch teilnahmen - sicher stellen sie nicht deren Mehrheit -, der Gülen-Gemeinde angehören, die ihrerseits vielgestaltige Verbindungen zu den USA hat. Einen Putsch im NATO-Mitgliedsstaat Türkei ohne Wissen oder ohne Einverständnis der USA betrachten sie als unmöglich. Und die Unterstützung der US-Regierung für die AKP ist der Hauptgrund dafür, daß die Offiziere, die mit der AKP in Konflikt gekommen waren, nicht längst versucht haben zu putschen.

Hinzu kommt, daß nicht zuletzt das immer deutlicher werdende Fiasko der türkischen Syrien-Politik die Beziehungen zwischen Erdogan und einigen imperialistischen Ländern tief erschüttert. Das Ereignis am 15. Juli muß auch im Kontext mit diesen Spannungen gesehen werden. Bemerkenswert ist deshalb das zögerliche Bekenntnis der Solidarität seitens der USA und anderer NATO-Partner mit Erdogan, und das, nachdem der Putschversuch gescheitert war.

Die Erklärung des Plenums des ZK der KP der Türkei vom 17. Juli 2016 charakterisiert Erdogan als "Politiker, der den Interessen des internationalen Monopolkapitals dient und außenpolitisch manövriert, um sich selbst zu retten. Denken wir an sein Verhältnis zu Rußland und seinen Wendungen gegenüber dem IS. Der reaktionäre islamistische Politiker ist erwiesenermaßen ein Feind des werktätigen Volkes, der sich nicht von den Putschisten unterscheidet, die ihn entmachten wollten. ... Ein Erfolg des Putsches, eines volksfeindlichen, amerikanisch orientierten Putsches, wäre keinesfalls eine Wohltat für das Land gewesen." Das erleichtert Erdogan das demagogische Manipulieren mit Massen von Anhängern auf der Straße.

"Wir Kommunisten und aufrechten Demokraten stellen die Frage: Wie weit muß Erdogan noch gehen, damit die Herrschenden in Deutschland die Geschehnisse ernsthaft verurteilen und das 'Flüchtlingsabkommen' kündigen. Die Milliarden, die Erdogan und seiner Clique in den Rachen geworfen werden, wären anders besser für die Flüchtlinge einzusetzen. Mit Entsetzen sehen wir auch, daß in der Bundesrepublik Opfer und Gegner des türkischen Regimes, die in Deutschland keinerlei strafbare Handlungen begangen haben, strafverfolgt werden." Menschen, die schon in der Türkei eingekerkert waren, werden erneut zu Haftstrafen verurteilt, wie jüngst in Prozessen in Hamburg und München geschehen. Und das Maß der unsäglichen Heuchelei der Merkel-Regierung wird durch intensivierte deutsche Waffenlieferungen an Ankara weiter gesteigert.

Ghassem Niknafs, Hamburg
Bernd Fischer, Vorbeck

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Tudeh-Partei Iran verurteilt Hinrichtungen

Im Lichte der vom Erdogan-Regime in der der Türkei angestrebten Wiedereinführung der Todesstrafe und angesichts jüngster zahlreicher Hinrichtungen von Gefangenen durch das iranische Mullah-Regime wendet sich die Tudeh-Partei Iran an das eigene Volk und die internationale Öffentlichkeit.

Letzten Berichten zufolge sind in jüngster Zeit mindestens 36 zum Tode verurteilte Gefängnisinsassen hingerichtet worden. Das geht aus "Informationen der Nachrichtenagentur HRNA (Nachrichtenorgan der Gruppe der 'Aktivisten und Aktivistinnen für Menschenrechte im Iran')" hervor. Bestätigungen gab es durch Verlautbarungen des Generalstaatsanwalts des Landes und der Justizverwaltung der Provinz Kurdistan. Bei letzteren handelt es sich um kurdische Oppositionelle aus dem dieser Verwaltung unterstehenden Sanandaj-Gefängnis.

Der Verein für die Verteidigung der Menschenrechte in Kurdistan berichtete von etwa 18 kurdischen politischen Aktivisten, die aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit den politischen kurdischen Parteien von den Gerichten der Islamischen Revolution zum Tode verurteilt wurden. Diese Urteile wurden auch vom Obersten Gerichtshof bestätigt. Der Verein für die Verteidigung der Menschenrechte in Kurdistan informierte über zahlreiche Folterungen von Kurden. Mit gefälschten Akten, die den Gerichten vorgelegt wurden, sollte bewiesen werden, daß die Hingerichteten als Feinde des Regimes aktiv waren, auch wenn keinerlei strafbare Handlungen zu beweisen wären. Die Tudeh-Partei Iran verweist darauf, "daß diese neue Welle von Hinrichtungen just mit dem Jahrestag der 'nationalen Tragödie', der Massaker an politischen Gefangenen in Iran im Sommer 1988, zusammenfällt, als Tausende Kämpfer für Freiheit, Unabhängigkeit und soziale Gerechtigkeit auf Befehl Khomeinis und der Regierenden der Islamischen Republik hingerichtet und drangsaliert wurden, darunter nicht wenige Kommunisten. Basierend auf ihren programmatischen Grundlagen wendet sich die Tudeh-Partei Iran prinzipiell und konsequent gegen die Todesstrafe und Hinrichtungen. Die Tudeh-Partei Iran verurteilt schärfstens die verbrecherischen Akte des Regimes der Rechtsgelehrten und seines Justizapparates und bringt ihr tiefes Mitgefühl und ihre Solidarität mit den Familien der Opfer zum Ausdruck."

Die Tudeh-Partei Iran fordert alle fortschrittlichen, freiheitsliebenden und humanistischen Kräfte in der Welt auf, ihre Stimme zum Protest zu erheben. "Es darf nicht zugelassen werden, daß das despotische Mullah-Regime erneut eine Unzahl Andersdenkender und politischer Oppositioneller verschwinden lassen kann, ohne daß die Weltöffentlichkeit ihre Stimme zur Verurteilung erhebt." Die Erklärung der Tudeh-Partei enthält die Namen von 36 Hingerichteten.

G. N. / B. F.

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Kurt Pätzold, Faschismus-Forscher

Als der Historiker Kurt Pätzold am 18. August nach langer Krankheit im Alter von 86 Jahren starb, lagen dem Verlag edition ost drei zum Teil druckfertige Buchmanuskripte von ihm vor: ein Band über die sogenannte Wannseekonferenz, auf der vor fast 75 Jahren, am 20. Januar 1942, die Spitzenbeamten des Nazireiches und SS-Führer Pläne für die von Hermann Göring am 31. Juli 1941 in Auftrag gegebene "Endlösung der Judenfrage" beschlossen. Verleger Frank Schumann konnte Pätzold wenige Tage vor dessen Tod noch das erste gedruckte Exemplar des Bandes überreichen. In den nächsten Wochen kommt dieser Band in den Buchhandel.

Zweitens hatte der Forscher ein umfangreiches Manuskript übergeben, an dem er bis in den Sommer dieses Jahres gearbeitet hatte. Es behandelt einen Gegenstand, der Kurt Pätzold schon lange umtrieb, den er vor sich herschob, weil die Antwort auf die mit ihm zusammenhängende Frage schwer zu geben ist. Sie berührt Grundfragen des historischen Materialismus und lautet: Welche Rolle spielen die Volksmassen in der Geschichte? Es läßt sich vorstellen, in welcher Weise dieses Problem gerade den Faschismus- und Weltkriegsforscher, den Zeitzeugen des Aufstiegs der DDR und der Konterrevolution, die ja eine Massenbasis hatte, und den scharfsichtigen Beobachter des kaum gezügelten Kriegskurses, den das imperialistische Deutschland nach dem Anschluß der DDR einschlug, umtreiben mußte. Die "junge Welt" druckte Auszüge aus diesem Manuskript am 20. und 22. August ab, der gesamte Text soll in nicht zu ferner Zukunft erscheinen.

Das dritte Manuskript besteht aus einer Sammlung von Aufsätzen und Artikeln zum Antisemitismus und zur Vernichtung der europäischen Juden durch den deutschen Faschismus. Nicht nur auf diesem Gebiet war Kurt Pätzold ein international führender Wissenschaftler. Er, der bis in sein letztes Lebensjahr auf ausgedehnte Vortragsreisen ging, hatte dazu nicht nur seine Habilitationsschrift 1973 vorgelegt, sondern auch mit dem mehrmals aufgelegten Reclam-Bändchen "Verfolgung, Vertreibung, Vernichtung. Dokumente des faschistischen Antisemitismus von 1933 bis 1942" von 1983 das Thema "unter die Massen" gebracht. Die absurde, seit 1990 von den Anschlußprofiteuren besonders gepflegte Legende, in der DDR habe es keine Beschäftigung mit dem Judentum und seiner Vernichtung gegeben, wird durch weit über 1000 Buchtitel insgesamt, durch kontinuierliche Filmproduktion, durch viele Kunstwerke, nicht zuletzt aber durch Kurt Pätzolds Arbeiten als eine der dümmsten entlarvt.

In das antikommunistische Raster der Abwickler und Liquidatoren der DDR-Geschichtswissenschaft paßte er überhaupt nicht. Stilistisch und rhetorisch, in seiner Fähigkeit, Geschichte nach ihren grundlegenden Problemen zu befragen, war er ihnen überlegen. Er mußte schon aus Konkurrenzgründen von der Humboldt-Universität, an der er seit 1965 arbeitete, verjagt werden - wegen seiner Gesinnung ohnehin. Die erste Westrektorin der Humboldt-Universität, die verdientermaßen in der Versenkung verschwundene Marlis Dürkop, die vor allem durch ihr Grünen-Parteibuch für das Amt qualifiziert war, entließ Kurt Pätzold gut einen Monat nach ihrer Berufung wegen "mangelnder persönlicher Eignung". So grotesk dies war, eine Formulierung im Kündigungsschreiben hat in der Geschichtsschreibung der vornehmen, im Resultat aber talibanmäßigen Barbarei, die von Leuten wie Dürkop mit Eifer und Rachedurst ins Werk gesetzt wurde, ihren festen Platz: "Noch in den 70er Jahren gehen Sie in ihren Arbeiten zum Faschismus ganz dogmatisch von der Faschismusformel der Kommunistischen Internationale von 1933 aus ... Die fachliche Qualifikation kann Ihnen bei aller doktrinären und propagandistischen Elemente in den Veröffentlichungen aus der Zeit bis 1989 nicht pauschal abgesprochen werden."

Dabei ist es geblieben. Denn Kurt Pätzold hat zuletzt mit steigender Sorge auf den Zusammenhang von Imperialismus und Faschismus hingewiesen, auf den Zusammenhang von imperialistischer Kriegführung und Völkermord, auch dem an den Juden Europas, von dem so mancher sich links gebende, aber vom Marxismus "befreite" Zeitgenosse behauptet, der sei "irrational", ja "unfaßbar". Er machte je länger desto deutlicher darauf aufmerksam, es sei kein Zufall, daß der Begriff Faschismus in den vergangenen Jahren endgültig aus dem Sprachgebrauch der Bundesrepublik beseitigt und durch das Propagandaetikett, das sich die braune Mordbande selbst angeheftet hatte, ersetzt wurde: "Nationalsozialismus".

Ihn, den Sohn einer antifaschistischen sozialdemokratischen Arbeiterfamilie aus Breslau, trieb um, was er in seinem Band "Der Überfall. Der 22. Juni 1941" in diesem Jahr als Warnung schrieb: "Die mißbräuchliche Mobilisierung von Völkern gegen ihre eigenen Interessen gehört nicht der Vergangenheit an. Geändert und ungeheuer vermehrt hat sich aber das Instrumentarium, das dafür eingesetzt wird. Josef Goebbels lebt in vielerlei Gestalt weiter, wenn auch nicht in Braun und mit einer Hakenkreuzbinde am Arm."

Mit Kurt Pätzold ist einer der großen DDR-Wissenschaftler gestorben, deren Werk nicht der Vergessenheit oder gar wie das vieler anderer der Vernichtung preisgegeben werden konnte. Das hat mit dessen geistiger Dimension zu tun und mit den Zeiten, in denen wir seit 1990 leben.

Arnold Schölzel

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Als der "rote Kutscher" seine Kollegen organisierte

Vor gut 130 Jahren erblickte Ernst Thälmann in Hamburg das Licht der Welt. Er wurde während der Weimarer Republik als langjähriger Vorsitzender der KPD zu einem der wichtigsten Repräsentanten der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Über seine Leistungen, aber auch seine Irrtümer und Fehler während dieser Zeit ist viel publiziert worden. Deutlich weniger Beachtung fand Thälmanns steiniger Weg aus dem strengen, kleinbürgerlichen Elternhaus in die Hamburger Arbeiterbewegung vor dem Ersten Weltkrieg.

Thälmanns Eltern eröffneten 1895 einen Gemüse- und Lebensmittelladen im Hamburger Stadtteil Eilbeck. Als sie sich ein Pferd anschaffen konnten, betrieben sie zusätzlich ein kleines Kohlen- und Transportgeschäft. Der junge Ernst mußte von nun an täglich nach der Schule im Betrieb mithelfen. Obwohl er ein sehr wißbegieriger Schüler war, erhielt er von den Eltern nur wenig Anregung und Unterstützung. In seiner äußerst knapp bemessenen Freizeit nutzte er fast jede freie Minute zum Lesen. Erwischte ihn sein Vater dabei, bekam er häufig eine Tracht Prügel. Trotz dieser so ungünstigen Verhältnisse erhielt der Junge gute Noten und wurde nach dem regulären Volksschulabschluß in die "Selekta" übernommen. In diesen Sonder-Klassen wurden in Hamburg die besten Absolventen eines Abschlußjahrganges zusammengefaßt und noch ein Jahr lang von Fachlehrern unterrichtet. Aber auch der erfolgreiche Abschluß der "Selekta" konnte Ernsts Eltern nicht erweichen. Sie lehnten seinen sehnlichsten Wunsch, ein Handwerk zu erlernen oder eine Lehrerausbildung zu absolvieren, kategorisch ab, obwohl sie beides hätten finanzieren können. Die Enttäuschung über diese Entscheidung der Eltern wirkte bei Thälmann noch lange nach.

Kurz nach seiner Schulentlassung, Ostern 1900, kam der junge Ernst erstmals mit der Sozialdemokratie in Kontakt. Sie hatte mit auffälligen roten Plakaten die schulentlassene Jugend zu einer Feier im Gewerkschaftshaus eingeladen. Ablauf und Inhalt dieser Großveranstaltung beeindruckten den Jungen tief. Noch in seinem wahrscheinlich im März 1935 für die Verteidigung vor Gericht verfaßten Lebenslauf beschrieb er dieses Ereignis, das ihm die Tür zu einer neuen Welt geöffnet hatte, ausführlich und begeistert.

Die geistige Enge des Elternhauses wurde gerade nach diesem Erlebnis für ihn immer bedrückender. Ein Streit mit dem Vater wegen der schlechten Bezahlung im elterlichen Betrieb brachte das Faß zum Überlaufen, und so verließ er 1902 sein Zuhause.

Nach einer Aushilfstätigkeit als Bühnenarbeiter in dem noch heute auf der Reeperbahn existierenden St.-Pauli-Theater lernte Thälmann die besonders katastrophalen Arbeitsbedingungen von jugendlichen Tagelöhnern im Hamburger Freihafengebiet am eigenen Leibe kennen. Schnell merkte er, daß in den tariflich gebundenen Betrieben deutlich höhere Löhne gezahlt wurden und dort überwiegend gewerkschaftlich organisierte Arbeiter tätig waren. Diese Erkenntnisse veranlaßten ihn Anfang 1904, der Gewerkschaft beizutreten. Mitglied der Sozialdemokratie war er bereits im Vorfeld des Reichstagswahlkampfes 1903 geworden. Bald nach dem Eintritt in den Transportarbeiter-Verband erlebte er im Sommer 1904 als Beifahrer auf dem Flaschenbier-Pferdewagen einer Brauerei seinen ersten Streik.

In den Folgejahren nahm Ernst Thälmann selbst die Zügel in die Hand: Beruflich arbeitete er in verschiedenen Branchen als Kutscher. Gewerkschaftlich trat er u. a. auf drei Streikversammlungen der Sektion der Möbelkutscher im Transportarbeiter-Verband hervor. So setzte er sich mutig für eine offensive Lohnpolitik und die konsequente Weiterführung eines inzwischen begonnenen Arbeitskampfes ein. Diese Aktivitäten blieben natürlich auch der übereifrigen Hamburger Politischen Polizei nicht verborgen. Im September 1906 legte sie eine Akte über den aktiven Gewerkschafter und Sozialdemokraten an.

Als ungelernter Gelegenheitsarbeiter im Hafen hatte Thälmann, wie bereits erwähnt, die Arbeitsbedingungen der Jungarbeiter, die kaum organisiert waren, gründlich kennengelernt. Er regte deshalb in der Ortsverwaltung des Transportarbeiter-Verbandes an, gezielt für ihre Organisierung aktiv zu werden. Dieser Vorschlag stieß bei den hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionären auf wenig Gegenliebe. Daraufhin versuchte es eine Gruppe junger Gewerkschafter auf Initiative von Thälmann auf eigene Faust und berief eine Arbeiterjugendversammlung der Hafenarbeiter ins Gewerkschaftshaus ein. Knapp 700 Jungarbeiter strömten in die Wandelhalle. Über 200 von ihnen traten sofort der Gewerkschaft bei. Der Antrag, eine eigene Jugendsektion des Transportarbeiter-Verbandes zu gründen, fand eine große Mehrheit. Erster Vorsitzender dieser Sektion wurde Ernst Thälmann. Mit 22 Jahren war er das jüngste Mitglied der Ortsverwaltung des Verbandes. Im folgenden Jahr, 1909, wählten ihn seine Berufskollegen außerdem zum zweiten Vorsitzenden der Sektion Kutscher aller Branchen.

Beruflich arbeitete er nun als Wäschereikutscher. Den Arbeitsalltag dieser speziellen Berufsgruppe stellte er 1911 in einem Aufruf in der SPD-Tageszeitung "Hamburger Echo" kurz und anschaulich dar: "Den ganzen Tag treppauf, treppab bis in die sinkende Nacht hinein, im Sommer schweißtriefend, kein trockener Faden am Leibe, wieder auf den Kutschbock. Das ist so ungefähr das keineswegs beneidenswerte Los der Wäschereikutscher. Eine Arbeitszeit von 14 bis 16 Stunden ist an der Tagesordnung. Es ist keine Seltenheit, daß man nachts um 11 Uhr noch Wäschereikutscher auf der Straße sieht ..."

Derartige Arbeitsverhältnisse gehörten bei der Wäscherei Gustav Welscher in Wandsbek bei Hamburg, bei der Thälmann seit Sommer 1909 arbeitete, bald der Vergangenheit an, weil es dem "roten Kutscher" gelang, alle Arbeiterinnen und Arbeiter des Betriebes zu organisieren. Welscher war nun eine Art "Musterbetrieb" unter den Wäschereien Hamburgs und überall bekannt. So wurde dort der höchste Tariflohn der Branche gezahlt. Urlaubstage wurden für alle Beschäftigen tariflich festgelegt. Der Wäschereibesitzer erkannte schnell Thälmanns organisatorisches Geschick und machte ihn bald zum Expedienten. Wenig später bot Welscher ihm sogar die Stelle des Geschäftsführers an, aber nur wenn er seine Gewerkschaftsarbeit aufgebe. Thälmann ließ sich jedoch nicht korrumpieren und lehnte das Angebot dankend ab. Zwei Monate später wechselte er als Kutscher zu einer Großwäscherei mit dem schönen Namen "Frauenlob". Auch hier gelang es ihm in mühseliger Kleinarbeit, die Belegschaft vollständig zu organisieren. Durch einen betrieblichen Streik wurden u. a. eine Lohnerhöhung und bessere Arbeitsverhältnisse durchgesetzt.

Bei "Frauenlob" fand Thälmann auch sein persönliches Glück. Hier lernte er seine spätere Ehefrau Rosa Koch kennen. Die junge Plätterin, die an der Heißmangel arbeitete, war mit ihm über gewerkschaftliche Fragen in Kontakt gekommen. Die Organisationserfolge bei den Großwäschereien Welscher und "Frauenlob" strahlten bald auch auf andere Wäschereibetriebe Hamburgs aus. Dort wurden nun ebenso kräftige Lohnerhöhungen und tarifliche Urlaubstage erstritten.

Hans-Kai Möller, Hamburg

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Erinnerungen an einen DDR-Schriftsteller
In alter Verbundenheit, Hermann Kant

Als blutjunger Bibliothekar und Genosse lud ich 1962 für meine erste Literaturveranstaltung einen noch wenig bekannten Schriftsteller in die Arbeiterstadt Brandenburg an der Havel ein. Am Telefon fragte er mich, wieso ich auf ihn gekommen sei, und ich erwiderte, daß mich seine wunderbarscharfen Polemiken und seine Erzählungen, die ich aus der Zeitschrift "Junge Kunst" kannte, beeindruckt hätten. Gerade war sein erstes Buch, der Erzählungsband "Ein bißchen Südsee", erschienen. Es war Hermann Kant, der dann im Oktober 1962 für zwei Lesungen nach Brandenburg kam. Seinen Zuhörern wie mir gefielen vor allem seine Geschichten aus der Jugendzeit. In Erinnerung blieb mir, daß er auf ein Honorar verzichtete und mir beim Abschied erzählte, daß er an einer größeren Arbeit sitze, die mit seinem Studium an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät in Greifswald zu tun habe. Daraus wurde sein Durchbruch, "Die Aula", die 1965 erstmalig in Buchform erschien. Leute wie ich und manche andere mußten aber nicht so lange warten, denn die FDJ-Zeitschrift "Forum" erwarb sich ewigen Ruhm damit, daß sie seit 1962 als ungekürzte Vorabdrucke Christa Wolfs "Der geteilte Himmel", Kants "Aula", die "Spur der Steine" von Erik Neutsch und - wenn ich mich nicht irre - auch Dieter Nolls "Abenteuer des Werner Holt" veröffentlichte. Bei solchen neuen feinen Sachen schlug das Herz höher.

In der Berliner Humboldt-Universität moderierte Hermann Kant 1963 einen der berühmten Lyrikabende - die Stephan Hermlin ein Jahr zuvor in der Akademie der Künste aus der Taufe gehoben hatte -, wo heutige Berühmtheiten wie Volker Braun oder Sarah und Rainer Kirsch vorgestellt wurden. Mit "Auswahl 64" kam darüber dann im Verlag Neues Leben eine heute gesuchte Lyrikanthologie heraus. 1966 fragte ich Stephan Hermlin, warum es von ihm so wenig literarische Texte mit Gegenwartsbezug gäbe. Seine Antwort war, daß er das lieber jüngeren Autoren überlasse und nannte als solche, die er fördere, Franz Fühmann und seinen Freund Hermann Kant.

Bei einer Veranstaltung zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution 1967 in der Humboldt-Universität nannte Kant als Hauptredner fünf Persönlichkeiten, die ihn im 20. Jahrhundert am meisten beeindruckt hätten: Lenin, der für jede seiner zehn großen Arbeiten einen Doktortitel verdient hätte, und - unter anderen - auch einen gewissen Arnold Vieth von Golßenau. Es gab einen unbeschreiblichen Applaus, denn jener, der sich inzwischen Ludwig Renn nannte, saß als Akteur vorn im Präsidium. Zum 20. Jahrestag der DDR gab es 1969 eine weitere Einladung an Hermann Kant nach Brandenburg. Das Ankündigungsplakat war schon gedruckt und geklebt. Kant wollte seinen neuen Roman "Das Impressum" vorstellen. Statt dessen kam ein Absage-Telegramm. Irgend jemand verzögerte das Erscheinen des Buches bis 1972.

Später sah ich Kant bei Buchbasaren oder Lesungen. In den 80er Jahren begegneten wir uns bei einer seiner Wanderungen durch Berlin. Er war zu Fuß auf dem Weg aus dem Stadtbezirk Mitte zum Prenzlauer Berg, wo er sich zum Schreiben ein kleines Zimmer gemietet hatte. Zu Hause mit seiner turbulenten jungen Familie fände er nicht die nötige Ruhe.

Etwa 1988 erzählte mir ein Mitarbeiter des Schriftstellerverbandes, dessen Präsident Hermann Kant schon lange war, daß dieser nach der "Sputnik"-Verbotsaffäre mit einem Exemplar der Zeitschrift unter den Arm geklemmt zum ZK gegangen sei, um seinen Unmut und sein Unverständnis kundzutun. So bekam ich eine leichte Ahnung von den Spannungen, die Kant im nationalen wie internationalen Rahmen in seiner Funktion als Verbandspräsident durchstehen mußte.

Dann kam die "Wende". Am 18. März 1990, dem Tag der letzten Volkskammerwahl, begegnete ich abends im Haus des ZK (oder war es im Staatsratsgebäude?) Hermann Kant, dem ich die dämliche Frage stellte, wie es ihm gehe. Und bekam sinngemäß die traurige Antwort: Wem es in dieser Zeit gutgehe, der habe von der Alternative zur 40jährigen staatlichen Existenz der DDR wohl wenig verstanden. Danach verstärkte sich die Hatz gegen aufrechte DDRler, zu einem der Buhmänner wurde Hermann Kant, der sich nun weitgehend aus der Öffentlichkeit verabschiedete und sich arbeitend nach Süd-Mecklenburg zurückzog. Anfang der 90er Jahre traf ich ihn wieder im Hendrik-Kraemer-Haus, Sitz der Niederländischen Ökumenischen Gemeinde in Westberlin, das von der legendären Pastorin Be Ruys jahrzehntelang geleitet wurde. In dem offenen Gespräch gab Kant zum besten, daß es die anwesenden Christen leichter hätten als er: Sie könnten bei Problemen auf Hilfe von "oben" (dabei wies er himmelwärts) hoffen, er müsse seine Schmerzen allein und auf Erden bewältigen.

Dabei irrte allerdings Kant, denn das Kraemer-Haus stellte sich höchst irdische Aufgaben wie Flüchtlingshilfe, Kirchenasyl, nationale wie internationale Friedensverständigung und nicht zuletzt dem christlich-marxistischen Dialog. Mehrmals begegnete ich Kant bei den Berliner Liebknecht-Luxemburg-Demonstrationen, so auch mit seinem Sohn und dem einstigen DDR-Bücherminister Klaus Höpcke.

Nach einer Lesung Mitte der 90er Jahre in der Marzahner Erich-Weinert-Bibliothek erzählte Kant seinen Gästen, daß er in einem neubundesdeutschen Verzeichnis empfehlenswerter Sachbücher über die DDR die Eintragung gefunden habe, wer sich über das Bildungswesen in der DDR informieren wolle, möge Kants "Aula" lesen - was von den Zuhörern mit großer Erheiterung zur Kenntnis genommen wurde.

Anfang Oktober 2005 waren Hermann Kant und Helmut Sakowski - sie waren in Mecklenburg beinahe Nachbarn - an unterschiedlichen Tagen zu Lesungen im Kulturgut Berlin-Marzahn, wo ich das nebenstehende Foto von Kant machen konnte. Wenige Monate später starb Helmut Sakowski, der froh war, die Prosafassung seines Hauptwerks "Wege übers Land" noch vollendet zu haben. Die Trauerrede in Neustrelitz hielt sein Freund Kant. Nun ist auch Hermann Kant, gerade 90 Jahre alt geworden, für immer gegangen. Ich bin dankbar, ihm als Menschen wie in seinen Büchern, anderen Schriften und Spiel- und Dokumentar-Filmen, die uns bleiben werden, erlebt zu haben. Die heutige bürgerliche Öffentlichkeit wankte nach seinem Tod zwischen verhaltener Anerkennung und der Wiederholung von Unterstellungen.

Meine Zeilen sind kein Nachruf, aber vielleicht kleine Erinnerungen an einen großen Literaten, Polemiker und Genossen. Hermann Kant war durch und durch ein DDR-Schriftsteller - von der besten Art.

Hans Hübner, Berlin


Die Überschrift ist Teil einer Buch-Widmung Hermann Kants für unseren Autor.

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Wie mir der Antifachismus aufgezwungen wurde
von Hermann Kant (1993)

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Text wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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"Wolfsmenschen" am Hauptbahnhof

Seit vor Jahren erstmals von Wolfsspuren in deutschen Wäldern die Rede war, hoffe ich auf seine Rückkehr.

Es war zum zweiten Mal Frühling, als Akela, die Wölfin, spürte, daß die Zeit gekommen war, das Rudel zu verlassen. Im vergangenen Jahr hatte sie der Mutter bei der Aufzucht der Jungen geholfen. Wenn jetzt eine neue Geburt bevorstand, würde in wenigen Wochen das Revier zu klein, der Bau zu eng werden. Nachts machte sie sich davon. Ein langer gefährlicher Weg stand ihr bevor. Sie interessierte sich nicht für die Menschen, ging ihnen aus dem Weg, wollte nur Nahrung, Raum und Frieden. Sie wußte nichts vom bösen Wolf als Kinderschreck, hatte aber unangenehme Bekanntschaft mit einem zwickenden Zaun am Schafpferch gemacht und nutzte Wildbrücken zum Überqueren der großen Straßen, die mitten durchs Wolfsrevier führten.

Als sie an die tausend Kilometer gewandert war, hörte sie aus der Ferne Taruk, den Wolf. Sie antwortete und traf mit ihm auf dem alten Truppenübungsplatz im Südbrandenburgischen zusammen. Wird es ein neues Rudel geben? Ein paar Monate sind vergangen. Vor einigen Tagen wurden frische Spuren auf einer Brache gesichtet, Spuren von Wölfen.

Ich verstecke mich am Waldrand. Nein, Angst habe ich nicht, ein lauter Ruf, ein Händeklatschen würden den Wolf verscheuchen, ich warte. Da erscheinen fünf tapsige Welpen, spielen, raufen, üben ungeschickt den Mäusesprung. Akela, die Mutter, sehe ich nicht. Das kleinste der Jungen hebt den Kopf, schaut neugierig in Richtung Kamera. Der breite Kopf, die kleinen dreieckigen Ohren, der helle Schein um die Schnauze, die ausdrucksstarke Mimik, kein Zweifel, ein Wolf sieht mich an. Ein brechender Ast, ein Lockruf, ab geht es im Wolfstrab! Ich wünsche dir Glück, kleiner Bruder!

Zwei Jahre sind vergangen, da erzählen mir meine Kinder aufgeregt von 66 riesigen Wolfsmenschen, sprungbereit, mit fletschenden Zähnen, ausgefahrenen Krallen, bedrohlich angespannten Muskeln, angriffsbereit. "Was soll das? Sind es Wolfshasser, die gegen die sich gerade wieder ansiedelnden Wölfe vorgehen wollen?", sorge ich mich. Ich will selbst sehen, was dort auf dem Alten Markt in Potsdam und dann auf dem Berliner Washingtonplatz am Hauptbahnhof gezeigt wird.

Wahrlich, eine seltsame Kunstausstellung! Sie stehen da in weitem Rund, gefährlich drohend, Blick Richtung Kanzleramt. Das riesige Wolfsrudel steht symbolisch für Hasser, Brandsatz-Werfer, Neo-Nazis, wütende Pegidisten und AfDler, die auf Flüchtlinge schießen wollen - Schöpfungen des Künstlers Rainer Opolka. Sie sollen ein Zeichen setzen gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Haß und Gewalt. Sie tragen Namen wie Mitläufer, Blinder Hasser, NSU-Mann, Kraftprotz, Anführer, Blind Soldier. Texte fordern zur Diskussion über Rassismus und Gewalt auf. Leere Tafeln animieren den Besucher, aufzuschreiben, was man tun kann, damit keiner mehr hassen muß. "Nicht schweigen, nicht wegsehen!", schreibe ich.

Laut schimpfend kommt eilig ein gutgekleideter Mann mit Aktentasche über den Platz, scheint seiner Arbeit zuzustreben: "Das soll schön sein? Kunst? Eine Unverschämtheit ist das! Das kann doch wohl nicht wahr sein! Verbieten muß man so was!" Ich fasse mir ein Herz und rufe ihm nach: "Sie haben sich wohl wiedererkannt!"

Im ausgelegten Informationsheft erschüttert mich der Bericht des Arztes Raphaele Lindemann, zuständig für die medizinische Erstversorgung neu ankommender Flüchtlinge in Deutschland:

"Ich sehe pro Schicht etwa 300 bis 500 Flüchtlinge. Mindestens 40 % davon sind Kinder. Es gibt Familien, es gibt Alte und ja - es gibt auch junge Männer. Warum auch nicht? Allen gemein ist, daß sie absolut entkräftet und fertig sind. Ich habe bisher nie so viel Elend und Verzweiflung auf einem Haufen gesehen. Neulich haben wir zum Beispiel eine Frau versorgt, deren Beine komplett verbrannt waren. Keine Ahnung, wie sie es überhaupt bis zu uns geschafft hat. Wir haben allein eine halbe Stunde gebraucht, um die festgeklebten, schmutzigen und stinkenden Verbände von den vereiterten Wunden zu lösen. Da war aber kein Klagen und keine Anspruchshaltung ... Übrigens haben Flüchtlinge auch ihre Smartphones dabei. Vielen ist es zunächst wichtiger, ihre Handys aufzuladen, als etwas zu Essen zu bekommen. Warum? Damit sie ein Lebenszeichen an die Lieben zu Hause schicken können, was ihnen aber oft genug zum Vorwurf gemacht wird und Beleg dafür sein soll, daß sie ja gar nicht so hilfebedürftig seien.

Das Wolfsrudel rüttelt auf. Wenn die Formen der Ordnung und des Zusammenhalts zerbrechen und Fremdenfeindlichkeit sich ausbreitet, moralisch-ethische Regeln ihre Gültigkeit verlieren und die Gesellschaft zunehmend von Angst, Gewalt und Verrohung geprägt wird, wird dann der Mensch des Menschen Wolf? Nein, das entwürdigt den Wolf. Der Mensch wird des Menschen Un-Mensch!

Edda Winkel

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RF-Extra
Zur neuerlichen Verunglimpfung der Oktoberrevolution

Es "droht" der 100. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Die Medien bereiten sich jetzt schon darauf vor, dieses Ereignis zu verfälschen. So brachte der MDR am Sonntag, dem 17. Juli, eine Dokumentation unter dem Titel "Lenin, die Deutschen und der Zarenmord". Es ist wie immer das gleiche Schema. Einige Fakten stimmen. Dazu kommen dann noch einzelne Halbwahrheiten. Der Rest sind Lügen. Das fängt schon bei Kleinigkeiten an. In der Vorschau der Zeitschrift "Super TV" wird Lenin als sehr eitler Mensch bezeichnet, weil er immer großen Wert auf sein Äußeres legte und immer gut gekleidet war. Dazu gibt es die glaubwürdige Geschichte, daß Clara Zetkin Lenin Anfang der 20er Jahre fragte: "Wladimir Iljitsch, haben Sie diesen Anzug nicht schon 1907 auf dem Stuttgarter Sozialistenkongreß getragen?" Lenin freute sich, und sagte: "Haben Sie ihn erkannt?" Aber Clara Zetkin schimpfte mit ihm. Er solle sich einen neuen Anzug zulegen.

Die Fernsehmacher müssen andererseits zugeben, daß Lenins Lebensstil asketisch war. Er trank nicht und rauchte nicht. Sie bescheinigen ihm auch, daß er intelligent war, mehrere Fremdsprachen beherrschte und Beethoven liebte. Leute, die Lenin achteten, sagten ihm nach, daß seine einzige Eitelkeit seine geistige Überlegenheit war.

Woher die Autoren allerdings den Blödsinn haben, daß Lenin 99,5 Prozent aller Marxisten als Vollidioten bezeichnet haben soll, und nur sich selbst als Marxisten gesehen hat, bleibt unerfindlich. Angeknüpft wird dieser Unsinn an Lenins berechtigte Auseinandersetzung mit Kautsky. Lenin schätzte Karl Marx und Friedrich Engels sehr hoch ein. Und auf der Fahrt 1917 durch Deutschland begleiteten ihn - so der Film - seine marxistischen Freunde.

Dem Hauptdarsteller haben die Maskenbildner eine gewisse Ähnlichkeit mit Lenin verschafft. Sein Spiel hat mit dem wirklichen Lenin allerdings nicht viel zu tun. Seine Kenntnisse über diese herausragende Persönlichkeit der Weltgeschichte sind offenbar begrenzt. Aus der Schulzeit erinnert er sich noch an die Gedichtzeile "Im Kreml brennt noch Licht". Das Gedicht war aber nicht Lenin, sondern Stalin gewidmet.

Lenin sei von einer gnadenlosen Härte und von Macht besessen gewesen, heißt es in der "Dokumentation". Er war aber trotzdem kein Gewaltmensch. Behauptet wird, er wäre zänkisch, despotisch und ziemlich skrupellos gewesen. Mit Arbeitern und Bauern soll er nicht in Berührung gekommen sein. Die Autoren stellen ihn als "Getriebenen" dar, der den Tod seines Bruders mit aller Gewalt rächen wollte. Dieser war nach einem gescheiterten Attentatsversuch auf den Zaren hingerichtet worden. Lenin erklärte dagegen: "Wir gehen einen anderen Weg." Sein Ziel, für die Völker Rußlands eine sozial gerechte Gesellschaft zu erkämpfen, wird in der Dokumentation in absurder Form als sein "Traum" gewertet, das Land in ein "preußisches Büro" zu verwandeln. Relativ breiten Raum nimmt die Reise der Bolschewiki im plombierten Wagen aus der Schweiz durch Deutschland nach Rußland ein.

Erwähnt wird, daß die Bolschewiki die einzige Kraft in Rußland waren, die die sofortige Beendigung des Krieges forderten. Es wird auch darauf hingewiesen, daß Lenin im Prinzip der Auffassung war, daß die sozialistische Revolution zuerst in den am weitesten entwickelten kapitalistischen Ländern ausbrechen würde. Er erkannte aber auch, daß Rußland das schwächste Glied in der Kette der kapitalistischen Staaten war und daher hier die Revolution beginnen könnte, die sich dann zur Weltrevolution entwickeln sollte. Grenzen hielt er für entbehrlich, und er wollte einen Dachverband der friedliebenden Menschen schaffen - heißt es in der Dokumentation.

Die Beziehungen zu Deutschland und der "Zarenmord", den Lenin nicht befohlen hatte, spielen eine besondere Rolle in dem Film. Es wird zwar richtig festgestellt, daß der russische Zar wegen seines grausamen Vorgehens gegen friedliche Proteste und wegen der Unterdrückung von Minderheiten den Beinamen "der Blutige" trug, aber er wäre nicht nur ein Machtzyniker, sondern auch seiner Familie treu ergeben gewesen. Er wird auch als sehr gebildet hingestellt, was nicht der Wahrheit entsprach. Richtig war die Bemerkung, daß es in Rußland keine Kraft gab, die das Ende der Zarenherrschaft bedauerte. Eine Anfrage in London ergab, daß man hier die Zarenfamilie nicht haben wollte. Das wäre aber nicht die Entscheidung der Regierung, sondern die des Parlaments gewesen.

Beim Frieden von Brest-Litowsk wird für den gewaltigen Gebietsverlust, den Rußland erleidet, nicht der raubgierige deutsche Imperialismus verantwortlich gemacht, sondern Lenins Politik.

Die Oktoberrevolution selbst spielt in der Dokumentation kaum eine Rolle. Immerhin wird zugegeben, daß die Provisorische Regierung die sozialen Probleme nicht gelöst und den Krieg nicht beendet hatte. Die Bolschewiki erhielten bei Wahlen in Moskau daher mehr als die Hälfte der Stimmen. Der bewaffnete Aufstand am 7. und 8. November 1917 wird erwartungsgemäß als Coup, als Staatsstreich, ausgegeben. Lenin habe zwar zum Sturz der Provisorischen Regierung aufgerufen. Die Führung des Aufstandes übernahm er jedoch nicht wegen seiner Geistesstärke, sondern er habe sich "wie ein Vampir" von den Fehlern seiner Gegner ernährt. Von den Dekreten über den Frieden und über den Grund und Boden erfährt man nichts, ebensowenig über die grundlegende Veränderung der Eigentumsverhältnisse. Es könnte ja jemand auf die Idee kommen, das heute unter veränderten Bedingungen zu verwirklichen.

Die Autoren kommen nicht umhin, zuzugeben, daß die eigentliche Revolution nur wenige Opfer gefordert hat. Sie behaupten nun, daß die Revolutionäre die Weinkeller der Zarenresidenz plünderten und in den folgenden Tagen betrunken viele Untaten verübten. Tatsächlich war es die einheimische Konterrevolution, unterstützt durch die Intervention von 14 imperialistischen Staaten, die für Millionen Tote im Bürgerkrieg die Verantwortung trug. Dem blutigen weißen Terror setzten die Bolschewiki ihren roten Terror entgegen und jagten Weißgardisten und ausländische Interventen zum Teufel. Trotz aller Schmähungen bleibt die Große Sozialistische Oktoberrevolution 1917 in Rußland eine Sternstunde der Menschheit.

Bestimmt nicht ohne Absicht folgte im MDR unmittelbar danach eine Dokumentation unter dem Titel "Katharina die Große - die Zarin aus Zerbst". Sie habe sich ähnlich skrupellos an die Macht gekämpft wie Lenin, indem sie durch eine Palastrevolution den Zaren Peter III. stürzte und später ermorden ließ. Hauptsächlich wird die Geschichte ihrer Liebschaften erzählt. Es wird aber auch nicht verschwiegen, daß unter ihrer Herrschaft der Bauernaufstand unter Pugatschow blutig niedergeschlagen und dieser hingerichtet wurde.

Sie lehnte angeblich die Leibeigenschaft ab, führte aber ein Reihe von Reformen zur Festigung des feudalabsolutistischen Systems in Rußland durch. In zwei erfolgreichen Kriegen gegen die Türkei gelang Rußland in dieser Zeit der Durchbruch zum Schwarzen Meer. Nicht erwähnt wird, daß Rußland, Österreich und Preußen Polen unter sich aufteilten, so daß dieses Land aufhörte zu existieren.

Dr. Kurt Laser

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Gorbatschows Perestroika und die Folgen
Totengräber oder Scharlatan?

Sein neues Buch "Das lange Sterben der Sowjetunion. Schicksalsjahre 1985-1999" meint Reinhard Lauterbach, Korrespondent für Rußland und Osteuropa, sei "ein journalistischer Essay", "keine Darstellung mit wissenschaftlichem Anspruch". So erkläre sich der relativ breite Zugriff auf Memoirenliteratur von Akteuren der Perestroika. Die Primärquellen aus den letzten Jahren der Sowjetunion seien nur teilweise veröffentlicht "und dies im Auftrag der Gorbatschow-Stiftung", so daß das Handeln des letzten Generalsekretärs der KPdSU und Staatsoberhaupts der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, und seiner Mannschaft "ins rechte Licht" gerückt werde.

Die besten Darstellungen stammen demnach mit Ausnahme der "Geschichte der Sowjetunion" des Historikers Manfred Hildermeier von englischsprachigen Autoren. Den Grund dafür sieht Lauterbach darin, daß die deutschsprachigen "mit wenigen Ausnahmen geblendet davon" seien, was Gorbatschow für Osteuropa und Deutschland "getan" habe. Sie interessierten sich nur in zweiter Linie dafür, was er für sein Land bewirkt habe.

Das Buch des Historikers und Slawisten Lauterbach füllt so eine Lücke. Der Text liefert vor allem eine Skizze der Zeit zwischen der Wahl Gorbatschows zum Generalsekretär im März 1985 und dem Aufstieg Wladimir Putins zum Ministerpräsidenten und zum Präsidenten der Rußländischen Föderation im Jahr 1999. Der Autor legt einleitend sein methodisches Untersuchungs"besteck" dar und greift durchgängig, vor allem aber im ersten Kapitel ("Der Sozialismus als Dauerbaustelle. Die Vorgeschichte der Perestroika"), mit Bezug auf Stalins Schrift "Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR" aus dem Jahr 1952 eine theoretische Frage auf: Welche Rolle spielten das Wertgesetz und Elemente der Marktwirtschaft im sowjetischen Sozialismus?

Lauterbach beantwortet die Frage nicht eindeutig, meint aber offenbar, daß ihre Nichtbearbeitung zu jenem wirtschaftlichen Desaster beigetragen hat, mit dem das Ende der Sowjetunion eingeleitet wurde. Er charakterisiert jedenfalls seinen Band als einen Versuch, "die Geschichte des Verfalls und Untergangs der Sowjetunion als die Geschichte einer wachsenden Unzufriedenheit der sowjetischen Führung mit der von ihr selbst gestalteten Gesellschaftsordnung zu erzählen". Der Kern seiner Argumentation sei, "daß Gorbatschow und sein künftiger Außenminister Edward Schewardnadse und die übrigen 'Reformer' einen Parteiflügel repräsentierten, der dem Land eine andere Staatsräson verpassen wollte".

Den meist moralisch getönten Vorwurf des "Verrats" streift Lauterbach und weist darauf hin, je massiver dieser erhoben werde, desto dünner seien die Beweise. So geistere eine Rede Gorbatschows durchs Internet, die er an der Amerikanischen Universität in Ankara 1999 gehalten und in der er erklärt habe, sein Lebensziel sei die Beseitigung des Kommunismus in der Sowjetunion gewesen. Das habe er schon zu Studentenzeiten mit seiner Ehefrau Raissa beschlossen. Das Problem: Diese Universität gibt es nicht. Lauterbach räumt ein, daß es belegbare Äußerungen Gorbatschows gibt, die "ein falsches Spiel" nahelegen, etwa ein "Spiegel"-Interview aus dem Jahr 1993. Stets handele es sich aber um Selbstinterpretationen im nachhinein.

Der Autor geht davon aus, daß Gorbatschow und seine Unterstützer in der sowjetischen Führung Anfang der 80er Jahre im Kapitalismus ihrer Zeit, insbesondere in der "sozialen Marktwirtschaft", ein positives Gegenbild zur eigenen Gesellschaftsordnung sahen. Lauterbach fragt daran anschließend, wieviel "Gegen" in der sowjetischen Gesellschaft wirklich enthalten war und ob Gorbatschow "der Mörder des sowjetischen Sozialismus, sein Totengräber oder ein Scharlatan im Arztkittel" gewesen sei. Auf jeden Fall habe das Programm des Fahnenwechsels "schöne Fensterreden" ebenso eingeschlossen "wie politische Täuschungsmanöver". Immerhin habe er in den Entscheidungsgremien der KPdSU nie eine Mehrheit besessen und habe darauf setzen müssen, "daß die schweigende Mehrheit weiter schwieg". Lauterbach vergleicht Gorbatschows Strategie mit der, die Naomi Klein mit dem Begriff "Schockstarre" für den Sieg des Neoliberalismus in der kapitalistischen Welt beschrieben hat: Eine entschlossene Minderheit nutzt soziale Katastrophen, um das, was sie ohnehin vorhat, ohne größeren Widerspruch durchzusetzen. Dabei würden zunächst beherrschbare Schwierigkeiten ignoriert, bis sie wirklich krisenhafte Ausmaße angenommen hätten. Das eigene Handeln werde dann als alternativlos dargestellt: "Gorbatschows monotoner Verweis auf 'das Leben', das dieses oder jenes verlange - und dem sich entgegenzustellen per definitionem zwecklos sei -, ist eine gewollte Begriffslosigkeit, die, wie mir scheint, weniger auf politische Dummheit als auf eine solche Strategie hindeutet."

Für das Auseinanderbrechen der Sowjetunion habe er so die Voraussetzungen geschaffen, aber konkret gehandelt habe zum Schluß Boris Jelzin. Die Richtungsentscheidung "Mehr Markt!" und "Weg mit dem Plan!" habe die unbeabsichtigte Nebenfolge gehabt, daß die Nationalitätenprobleme "zu nicht vorgesehener Schärfe" eskalierten. Nicht zu vergessen sei schließlich "der Faktor Pech": Erstens der von den USA und Saudi-Arabien gezielt herbeigeführte Fall des Ölpreises in den 80er Jahren. Der wurde zum "Erfolg" durch die Fehlentscheidung vor Gorbatschows Zeit, auf den Rohstoffexport zu setzen und sich damit in die Position eines Entwicklungslandes zu begeben. Zweitens sei das Reaktorunglück von Tschernobyl im April 1986 zu nennen, dessen Bewältigung den Fünfjahrplan irreversibel durcheinanderbrachte. Drittens das schwere Erdbeben in Armenien vom Dezember 1988, das 25.000 Tote und eine in großen Teilen zerstörte Unionsrepublik hinterließ.

In den sieben Kapiteln des Buches, hinzu kommen Prolog und Epilog, schildert Lauterbach chronologisch die Ereignisse kenntnisreich, einprägsam durch die Klarheit seiner Thesen und stilistisch souverän. Das Buch ist eine Fundgrube. An dieser Stelle sei nur hervorgehoben, daß der Zusammenhang zwischen Gorbatschows Wirtschaftspolitik und dem daraus resultierenden Hochkochen der sehr unterschiedlichen Nationalismen etwa in Zentralasien und in den baltischen Unionsrepubliken hier zwingend und zugleich differenziert analysiert wird. Lauterbachs Buch wird von den grundsätzlichen Fragen getragen, die er aufwirft und denen er, gestützt auf die reale Entwicklung, nachgeht, ohne sich in Einzelheiten zu verlieren. Er beendet es mit der Szene aus Brechts "Flüchtlingsgesprächen", in der Ziffel und Kalle auf den Sozialismus anstoßen. Nüchtern, realistisch, aber nicht ohne Leidenschaft.

Arnold Schölzel


Reinhard Lauterbach: Das lange Sterben der Sowjetunion. Schicksalsjahre 1985-1999. Edition Berolina, Berlin 2016, 224 Seiten, 14,99 Euro

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"Haste was, dann biste was"?
von Helmuth Hellge

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Artikel wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Christentum und Sozialismus - ein unaufhebbarer Widerspruch?

Ein nahezu vergessener Schriftsteller namens Montini, der in Rom lebte und Enzykliken schrieb (Paul VI.), erklärte gelegentlich einer Reise nach Kolumbien den Hungernden in Bogotá, Revolutionen seien nicht mit dem Geiste des Christentums vereinbar. Das war, meine ich, eine sehr richtige Feststellung, die ich aus anderer Richtung wie folgt stützen möchte: Das Christentum, das Montini im Sinn hatte (nicht das des Nazareners!) ist nicht mit dem Geist der Revolution vereinbar, denn so, wie es von den Amtskirchen repräsentiert und zur ideologischen Absicherung von Herrschaftsansprüchen mißbraucht wird, steht es notwendig im Pakt mit der kapitalistischen Gesellschaft und mit faschistischen Regimen (siehe hierzu Karlheinz Deschner: "Kirche und Faschismus"). Diese Tatsache schmälert nicht die hervorragenden Leistungen einzelner Christen (Camilo Torres, Ivan Illich, Leonardo Boff und anderer), die es im Gegenteil gegen die offizielle Politik der Ekklesia (Amtskirche) in Schutz zu nehmen gilt. Peinlich wird die Sache, wenn kirchliche Kreise die persönlichen Verdienste dieser Männer als Beweis für den Fortschritt der Kirche hinzustellen versuchen.

Die Kirche hatte fast 2000 Jahre Zeit und hätte aufgrund ihrer politischen Macht längst die Gesellschaft in ihren Einflußgebieten sozialisieren können, wenn es ihr dazu nicht sowohl am Willen wie auch am Konzept gefehlt hätte. Aber überaus und über Gebühr beschäftigt mit gruppen-, schichten- und klassenweiser Anpassungstherapie und privater Seelenmassage und dem nicht einmal psychologisch-rational, sondern mythisch-mystisch verstandenen Seelenheil des einzelnen, hat sie jahrhundertelang versäumt, die unwürdigen gesellschaftlichen Konditionen zu analysieren, die den einzelnen auch im moralischen Sinne unfrei machen, weil sie seine Bewußtwerdung verhindern, und hat die Erarbeitung gesellschaftlicher Gegenmodelle den ach so gottlosen Marxisten überlassen. Rundheraus: Ich halte Sozialismus und Christentum zwar nicht von der Idee her, aber de facto für unvereinbar. Hier Dynamik, Veränderung, Fortschritt - dort statisches Beharren auf einmal erlangten Machtpositionen, Stabilisierung kapitalistisch-feudalistischer Herrschaftssysteme, Unterstützung korrupter, faschistischer oder faschistoider Regime, Verhinderung von Sozialreformen, Wissenschaftsfeindlichkeit und als makabre Pointe die Rehabilitierung Galileis fast zum selben Zeitpunkt, da Paul VI. seinen Anhängern den Gebrauch empfängnisverhütender Mittel verbot. Was soll man dazu noch sagen?

Hier könnte man einwenden, ich setzte die Ideen des Christentums, wie sie im Neuen Testament (insbesondere in der Bergpredigt) formuliert sind, kurzschlüssig gleich mit den Lehren der Amtskirche. Ich stelle daher klar: Was dem Sozialismus entgegensteht, das sind nicht der menschenfreundliche Geist des Nazareners, nicht die Lehre Jesu, der Nächstenliebe und Barmherzigkeit predigte, sondern das, was die Kirche verräterischerweise aus dieser jesuanischen Lehre gemacht hat (von der Rechtfertigung der Sklaverei durch den Apostel Paulus über die Verbrennung von Ketzern und Hexen bis hin zur Ablehnung der Demokratie, die einer ihrer Päpste als "moderne Geisteskrankheit" bezeichnete, und zur Nichtratifizierung der Charta der Menschenrechte)!

Daneben gilt: "Die Wahrheit ist immer konkret" (Lenin, bezugnehmend auf Hegel), und wahre Ideen, ob sie nun im Neuen Testament oder bei Hegel, Marx oder Lenin formuliert sind, existieren nicht für sich, sondern für den Menschen jetzt und hier, d. h. sie bedürfen der Verwirklichung am genauen historischen Ort, in genau dieser unserer konkreten gesellschaftlichen Lage. Von der Bergpredigt bis zur Vergesellschaftung der Produktionsmittel ist es so weit wie von der Theorie zur Praxis; das eine ist nichts wert ohne das andere, und wenn jemand aufgrund religiöser Erfahrung (was immer das sein mag) Nächstenliebe in soziale Tat umsetzt und somit Christentum und Sozialismus als Einheit in seiner Person verkörpert, so soll mir das recht sein, und ich nenne es ein hervorragendes Beispiel, dem die Ekklesia nacheifern sollte.

Allerdings möchte ich wetten, daß die Arbeiterpriester in Frankreich und Spanien oder anderswo nicht nur das Neue Testament, sondern vor allem neuere und differenziertere Schriften gelesen haben und sich eher auf alles andere als irgendwelche vagen und sentimentalen Anmutungserlebnisse berufen.

Von solch politischer Konsequenz mag die Ekklesia offiziell nichts annehmen; sie duldet sie bestenfalls, solange es ihr und ihrem dogmatisch angestrengten Wahrheitsmonopol nicht an den Kragen geht. Sie - die "Infame", wie Voltaire sie genannt hat - hat die Caritas institutionalisiert anstatt sie überflüssig zu machen, weil sie die gesellschaftlichen Grundübel nicht beseitigen, die bestehenden Macht- und Besitzverhältnisse nicht ändern will; sie gibt dem Notleidenden Almosen, um ihm ungestört die Rechte vorenthalten zu können, die ihm zustehen; sie verleugnet die Ideen des Nazareners, in dessen Geist sie zu handeln vorgibt, und würde ihn kreuzigen, sobald er wiederkäme. Man lese Dostojewskis "Großinquisitor" und anschließend eine beliebige Ausgabe des "L'Osservatore Romano"! Man wird Dostojewski zustimmen. Und noch eins: Mahatma Gandhi hat gesagt: "Den Hungernden erscheint Gott in der Gestalt des Brotes." Ich glaube kaum, daß er damit die Eucharistie gemeint hat, denn eine Alternative zu profanem Brot wäre tatsächlich Opium.

Fazit: Wenn die Kirche sich dazu durchringen könnte, sich von ihrem überflüssigen Besitz zu trennen und an die Hungernden in aller Welt statt Bibeln Brot zu verteilen, so könnte ihre Lehre vielleicht überzeugen. Denn ob es ihr paßt oder nicht - gemessen wird sie nicht an ihren Worten, sondern allemal an ihren Taten!

Theodor Weißenborn

Ende RF-Extra

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WISSENSCHAFTLICHE WELTANSCHAUUNG (Folge 4)

Die Prinzipien des proletarischen Internationalismus

Seit Mitte der 60er-Jahre hat der damalige "Deutschlandsender" (später umbenannt in "Stimme der DDR") eine auch in Westdeutschland gehörte und beachtete Sendereihe mit Vorträgen zu Fragen unserer wissenschaftlichen Weltanschauung ausgestrahlt, deren Manuskripte sich erhalten haben und die wir den Lesern des "RotFuchs" in einer Auswahl zur Verfügung stellen - inhaltlich wurde nichts verändert, von unumgänglichen Kürzungen abgesehen. Man kann diese Vorträge lesen als Kapitel eines Geschichtsbuchs (dazu auch immer die Angabe des seinerzeitigen Sendetermins) und zugleich als Einführung in die Grundlagen marxistisch-leninistischen Denkens. Viele auch in den Vorträgen zum Ausdruck kommende Hoffnungen haben sich mit und nach der Konterrevolution von 1989/90 zerschlagen, manche Prognosen haben den Praxistest nicht bestanden. Wesentliche Erkenntnisse von Marx, Engels, Lenin und anderen unserer Theoretiker aber haben nach wie vor Bestand, an ihnen halten wir (gelegentlich deswegen als Ewiggestrige beschimpft) fest, sie wollen wir - auch mit dieser Serie - vermitteln. RF


Sendetermin: 8. November 1972

Über den Abend des 30. November 1922 notierte die Bibliothekarin Lenins in das Tagebuch seiner diensthabenden Sekretäre: "Wladimir Iljtsch kam um 6.45 Uhr in sein Arbeitszimmer, fragte, was es Neues gebe und wann die Sitzung des Politbüros zu Ende gewesen sei ... Er bat um das Protokoll vom Politbüro, das ich ihm gab."(1) Lenins Gesundheitszustand hatte sich erneut verschlechtert; er konnte nicht mehr an allen Beratungen teilnehmen. Das Politbüro des ZK der KPR(B) hatte am selben Tage einen Bericht über die "Union der Republiken" entgegengenommen und die Grundthesen der Verfassung der zu bildenden UdSSR beschlossen.

Deshalb interessierte Lenin das Protokoll so außerordentlich. Ihn bewegte vor allen Dingen, ob bei der Vereinigung der Sowjetrepubliken die Prinzipien des proletarischen Internationalismus auch konsequent genug berücksichtigt würden. Darüber hatte es Auseinandersetzungen gegeben, und Lenin war voll Sorge, ob diese schwierige Frage - von entscheidender Bedeutung für die weitere Festigung der Sowjetmacht, für die internationale Arbeiterklasse und für die ganze fortschrittliche Menschheit - richtig gelöst würde. Das Protokoll bestätigte, daß jetzt Einmütigkeit über den zu beschreitenden Weg herrschte. Die Leninschen Ideen wurden verwirklicht.

Einen Monat später, am 30. Dezember 1922, versammelten sich in Moskau über 2200 Delegierte der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, der Ukrainischen SSR, der Belorussischen SSR und der Transkaukasischen SFSR zum I. Sowjetkongreß der UdSSR. Sie beschlossen die Vereinigung der vier selbständigen Sowjetrepubliken zur Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, wählten das Zentralexekutivkomitee der UdSSR und beauftragten es, den Entwurf einer Verfassung auszuarbeiten. Vier Sowjetrepubliken schlossen sich zu einem einheitlichen, multinationalen sozialistischen Unionsstaat zusammen, einem Staat, dem heute (1972) über 100 Nationen und Völkerschaften angehören.

Dieser erste multinationale sozialistische Staat der Weltgeschichte beruhte auf den Ideen der Gleichberechtigung und brüderlichen Zusammenarbeit der Völker, auf den Ideen des proletarischen Internationalismus. Der proletarische Internationalismus war das bestimmende Prinzip W.I. Lenins und der Kommunistischen Partei bei der Bildung der UdSSR.

Die Gründung der Sowjetunion bedeutete eine Weiterentwicklung des proletarischen Internationalismus. Zum ersten Male in der Geschichte wurde er zur festen Grundlage des engen Zusammenschlusses, der freiwilligen Vereinigung gleichberechtigter und unabhängiger Staaten. Karl Marx hatte 75 Jahre vorher, im November 1847, auf einem internationalen Meeting in London erklärt: "Damit die Völker sich wirklich vereinigen können, muß ihr Interesse ein gemeinschaftliches sein. Damit ihr Interesse gemeinschaftlich sein könne, müssen die jetzigen Eigentumsverhältnisse abgeschafft sein, denn die jetzigen Eigentumsverhältnisse bedingen die Exploitation (Ausbeutung) der Völker unter sich: die jetzigen Eigentumsverhältnisse abzuschaffen, das ist nur das Interesse der arbeitenden Klasse. Sie allein hat auch die Mittel dazu."(2)

Voraussetzung für die wirkliche Vereinigung der Völker, der einzelnen Staaten entsprechend den Prinzipien des proletarischen Internationalismus war also der Sieg der sozialistischen Revolution in jedem dieser Staaten, die Errichtung der Macht der Arbeiterklasse. Diesen Weg hatten die Arbeiter und Bauern des alten russischen Reiches unter Führung Lenins und der Partei der Bolschewiki beschritten.

Für die Arbeiter aller Länder ist eines wichtig, so hatten Karl Marx und Friedrich Engels den proletarischen Internationalismus begründet, daß sie trotz nationaler Unterschiede dem Wesen nach den gleichen geschichtlichen Weg beschreiten müssen: Errichtung der Macht der Arbeiterklasse, Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, Aufbau des Sozialismus. Das liegt in der Natur der Arbeiterklasse, ergibt sich aus ihrer Stellung im Produktionsprozeß, in der Gesellschaft. Das gemeinsame Ziel der Arbeiterklasse verlangt den gemeinsamen Kampf, die gegenseitige Unterstützung, den proletarischen Internationalismus. Diesen zentralen Gedanken bringen die Schlußsätze des "Kommunistischen Manifests" zum Ausdruck: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" Das meinen auch die Statuten der 1864 gegründeten I. Internationale, wenn in ihnen festgestellt wird: "Die Emanzipation der Arbeiterklasse (ist) weder eine lokale noch eine nationale, sondern eine soziale Aufgabe, welche alle Länder umfaßt."(3)

W.I. Lenin erklärte die Notwendigkeit des proletarischen Internationalismus so: "Die Herrschaft des Kapitals ist international. Das ist der Grund, weshalb auch der Kampf der Arbeiter aller Länder für ihre Befreiung nur dann Erfolg haben kann, wenn die Arbeiter gemeinsam gegen das internationale Kapital vorgehen ... Die Vereinigung der Arbeiterklasse, ihr Zusammenschluß, beschränkt sich nicht auf die Grenzen eines Landes oder auf eine Nationalität: Die Arbeiterparteien verschiedener Staaten verkünden laut und vernehmlich die völlige Übereinstimmung (Solidarität) der Interessen und Ziele der Arbeiter der ganzen Welt ... und schließen die Arbeiterklasse aller Nationalitäten und aller Länder zu einer einzigen großen Arbeiterarmee zusammen. Diese Vereinigung der Arbeiter aller Länder ist eine Notwendigkeit, dadurch hervorgerufen, daß die über die Arbeiter herrschende Kapitalistenklasse ihre Herrschaft nicht auf ein einzelnes Land beschränkt."(4)

Das heißt, der proletarische Internationalismus ist ein grundlegendes und wichtiges Prinzip in der Politik und Ideologie der revolutionären Arbeiterbewegung, untrennbarer Bestandteil der wissenschaftliche Weltanschauung des Proletariats. Er ist das höchste Prinzip in den Beziehungen zwischen den kommunistischen und Arbeiterparteien. Proletarischer Internationalismus verlangt, bei der Beurteilung aller Ereignisse im Klassenkampf, bei der Entscheidung jeder politischen Frage vom Standpunkt der internationalen Arbeiterklasse auszugehen.

Proletarischer Internationalismus bedeutet die Unterstützung der Arbeiterklasse der anderen Länder im Kampf gegen den gemeinsamen Feind, bedeutet gegenseitige Hilfe bei der Lösung der jeweiligen Aufgabe im eigenen Land, bedeutet Zusammenarbeit, Einheit und Geschlossenheit der Arbeiter aller Länder zur Erfüllung der welthistorischen Mission der Arbeiterklasse.

Proletarischer Internationalismus ist die wissenschaftlich begründete Ideologie der gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse. Er bringt das Solidaritätsgefühl der Arbeiterklasse, ihre Freundschaft und Brüderlichkeit zum Ausdruck und charakterisiert die Beziehungen der Arbeiter verschiedener Länder zueinander. Der proletarische Internationalismus ist ein objektives Erfordernis für den Klassenkampf der Arbeiter. Er ergibt sich aus dem gesetzmäßig verlaufenden geschichtlichen Prozeß und aus der historischen Rolle der Arbeiterklasse. Er ist sowohl seiner Entstehung als auch seiner Wirkung und Entwicklung nach objektiv begründet.

Auf diesen Prinzipien beruht der 1922 gegründete sozialistische Staat der Sowjetrepubliken. Der proletarische Internationalismus wurde damit zum charakteristischen Merkmal für das Verhältnis sozialistischer Staaten zueinander. Er bestimmte den Inhalt eines ganz neuen Typs staatlicher Beziehungen und wurde zur Grundlage für die brüderlichen Beziehungen der im Staatenbund zusammengeschlossenen sozialistischen Nationen, der Länder, in denen die Arbeiterklasse zusammen mit ihren Verbündeten die politische Macht errichtet hat. Die Grundprinzipien der Beziehungen von Angehörigen der Arbeiterklasse verschiedener Länder zueinander wurden zur Grundlage der Zusammenarbeit und des Zusammenschlusses sozialistischer Staaten in einer Gemeinschaft. Aus dem proletarischen Internationalismus entwickelte sich der sozialistische Internationalismus.

Die Gründung der UdSSR verkörperte die höchste Form des proletarischen Internationalismus. Das wurde in der internationalen Arbeiterbewegung auch so verstanden. Die Rote Armee konnte Konterrevolution und Intervention nicht zuletzt deshalb schlagen, weil Arbeiter in der ganzen Welt mit dem Sowjetstaat Solidarität übten. Zur Verteidigung Sowjetrußlands organisierten die Arbeiter in vielen kapitalistischen Ländern Streiks, behinderten den Transport von Waffen für die Konterrevolution und bildeten Aktionskomitees unter Losung "Hände weg von Sowjetrußland!" Diese Bewegung erfaßte die Arbeiterklasse in allen großen kapitalistischen Staaten Europas und in den USA.

Internationale Bataillone und Regimenter halfen der Roten Armee, die sozialistische Revolution zu verteidigen. In diesen Einheiten kämpften rund 80.000 Ungarn, Tausende Polen, etwa 6000 Deutsche, ferner Jugoslawen, Tschechen, Koreaner und Vertreter anderer Völker. W.I. Lenin würdigte die gewaltige internationale Solidaritätsbewegung, diesen hervorragenden Ausdruck des proletarischen Internationalismus, indem er schrieb: "Die Hauptursache unseres Sieges lag darin, daß die Arbeiter der fortgeschrittenen westeuropäischen Länder so viel Verständnis und Sympathie für die internationale Arbeiterklasse empfanden, daß sie trotz der Lügen der bürgerlichen Presse, die die Bolschewiki in den Millionenauflagen ihrer Druckerzeugnisse mit den widerlichsten Verleumdungen überschüttete, dennoch auf unserer Seite standen. Und dieser Umstand hat den Krieg, den wir führten, entschieden. Es war allen klar: Wenn Hunderttausende von Soldaten gegen uns so gekämpft hätten, wie sie gegen Deutschland gekämpft haben, so hätten wir uns nicht behaupten können."(5)

Die Gründung der UdSSR krönte den Sieg über Intervention und Konterrevolution, den Sieg der Arbeiter und Bauern Rußlands, den Sieg der ganzen internationalen Arbeiterklasse. Am 31. Dezember 1922, einen Tag nach der Bildung der UdSSR, diktierte Lenin einen Brief für den XII. Parteitag der KPR(B) "Zur Frage der Nationalistäten ...", in dem es hieß: Man muß "die Union der Sozialistischen Republiken bestehen lassen und festigen; über diese Maßnahme kann kein Zweifel sein. Wir brauchen sie ebenso wie das kommunistische Weltproletariat für den Kampf gegen die Weltbourgeoisie und für die Verteidigung gegen ihre Intrigen."(6)

Der proletarische Internationalismus, der sozialistische Internationalismus ist das Grundlegende. Er ist die größte Kraft für die Entwicklung des Sozialismus in jedem einzelnen Lande, er ist die stärkste Waffe im Kampf gegen den Imperialismus.


Anmerkungen

1) Tagebuch der Sekretäre W.I. Lenins,
Dietz-Verlag, Berlin 1965, S. 32
2) MEW, Bd. 4, S. 416
3) MEW, Bd. 16, S. 14
4) LW, Bd. 2, S. 101 f.
5) LW, Bd. 30, S. 489
6) LW, Bd. 36, S. 594

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Der Schwur von Luckau
von Werner Seiffert, Berlin

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Artikel wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Die "Wende" war keine Wende zum Besseren

Am 26. Dezember 2006 schrieb ich in mein Tagebuch: Zur Wende war ich elf Jahre alt. Sie riß ein tiefes Loch in die Entwicklung der Jahrgänge 1974-1980. Diejenigen, die vorher geboren worden waren, hatten ihre schulische Entwicklung weitestgehend hinter sich, und jene, die später auf die Welt kamen, hatten ihre schulische Entwicklung noch vor sich. Nur wir - wir waren mittendrin. Die Einschulung lag sechs Jahre zurück und der Schulabschluß sollte uns erst in vier bzw. sechs Jahren sicher sein. Wir hatten also gerade mal die Hälfte geschafft. Die Polytechnischen Oberschulen, auf die wir seit der 1. Klasse gegangen waren und in denen wir auch die 10. Klasse abschließen sollten, gab es auf einmal nicht mehr. Das Schulsystem wurde von heute auf morgen umstrukturiert und dem Schulsystem der Bundesrepublik Deutschland angeglichen. Klassen wurden auseinandergerissen. Freundschaften entzweit. Man wurde selektiert und etikettiert, um dann irgendwann wieder rehabilitiert zu werden. Das Umfeld brach in sich zusammen. Und wir steckten mittendrin. Man war zusammen in der Kinderkrippe, man ging zusammen in den Kindergarten, man wurde zusammen eingeschult, und man sollte doch auch die Schule gemeinsam beenden. Man kannte sich schließlich schon seit gut zehn Jahren. Die gemeinsamen Wege sollten sich erst mit ca. 16 Jahren trennen.

Mit der Umstrukturierung des Schulsystems verschwanden auch der Hort, die Arbeitsgemeinschaften, die Timur-Hilfe, das Altstoffe-Sammeln, Gruppenrat, Fahnenappell und acht Wochen Sommerferien. Mit der sozialistischen Vaterlandserziehung gab es dann auch bestimmte Lehrinhalte nicht mehr. Nicht in Fächern wie Deutsch oder Mathematik. Die Regeln der Kommasetzung und die Prozentrechnung wurden beibehalten. Das, was uns in dieser Zeit eindeutig vermittelt wurde, war Unsicherheit. Einstige Werte hat man durch "freie, demokratische und kapitalistische Werte" ersetzt. Ohne Vorwarnung.

Kaum ein Lehrer war in der Lage, seinen Unterricht so weiterzuführen, wie er es vor dem 3. Oktober 1990 getan hätte. Anstelle von Russisch mußten wir nun Französisch lernen, anstatt des "Heiderösleins" wurde Michael Jackson im Musikunterricht präsentiert. Das Fach "Werken" wurde durch Arbeits- und Hauswirtschaftslehre ausgetauscht. Anstelle von Walter Ulbricht und Erich Honecker waren jetzt Konrad Adenauer und Helmut Kohl die Väter der Nation. Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Ernst Thälmann mußten aus unserem Geschichtsbild getilgt werden, um später auch im Osten die Kinokassen für Steven Spielberg klingeln zu lassen.

Herr Fuchs, Frau Elster, Moppi, Schnatterinchen, Pittiplatsch und der Sandmann wurden durch die Sesamstraße ersetzt. Anstelle von Elf 99, Mobil und "Mach mit, mach's nach, mach's besser!", durften wir nun auch endlich "McGyver" und das "A-Team" gucken ... Anstelle des Frauen- und des Kindertages bekamen wir den Buß- und Bettag. Der Haushaltstag, den unsere Mütter einmal im Monat nahmen, war für jedes Kind ein Fest. Dieser Haushaltstag war nun nicht mehr nötig, da die meisten sowieso erst mal ihre Arbeit verloren und eh zu Hause waren.

Die Kopfnoten fielen weg, und wir bekamen eine neue Note, die 6. Eine nichtssagende Zahl, die einfach nur deutlich machen sollte, daß man schlechter als schlecht ist. Und plötzlich stand der 8. Mai nicht mehr unter dem roten Stern, sondern unter "Stars & Stripes", dem "Union Jack" und der "Trikolore". Feinde sollten auf einmal Freunde sein und Freunde auf einmal Feinde. Wir sollten nicht länger im Dienste von Hammer, Zirkel und Ährenkranz stehen. Wir wurden zu gewöhnlichem "Schwarz, Rot, Gold", um uns dann später wieder zu noch gewöhnlicheren "Ossis" degradieren zu lassen. Der Hammer fiel weg, weil die Industrie nicht der des Westens entsprach, der Zirkel fiel weg, weil die Universitätsabschlüsse angeblich nicht den Vorstellungen des Westens entsprachen, und der Ährenkranz fiel weg, weil die Ländereien/LPGs von der Treuhand zerpflückt wurden. Es gab niemanden, der uns in dieser Zeit zuhören, ja gar Lösungsvorschläge hätte unterbreiten können.

Arbeitslosigkeit war für uns früher ein Furunkel des Kapitalismus. Nun waren wir selbst betroffen. Einer nach dem anderen. Eine ausgebildete Bevölkerung wurde plötzlich zu abhängigen Bittstellern degradiert. Und das, was der Westen Mitte bis Ende 1989 so bejubelt hatte, wurde nun zum eigentlichen Sündenbock aller Probleme erklärt. Das, was bei den Montags-Demos in Leipzig gefordert wurde, ist nicht das, was wir bekamen. Es war ein schlechter "Deal".

Frauen im Osten wurden zu "Rabenmüttern", weil sie studierten und arbeiten gingen. Und genau in diesem Chaos, in dem wir in unserer schulischen Entwicklung standen, wurden wir aller Werte unserer Eltern und unserer Vorbilder beraubt. "So wachse zusammen, was zusammengehört." Ein stolzer Arbeiter-und-Bauern-Staat verkam zu einem manisch-depressiven, kränkelnden und nicht beachtenswerten Klotz am Bein des ehemaligen "Feindes". Der Osten wurde zum Krebsgeschwür des Westens. Man entdeckte die Krankheit, analysierte sie, diskutierte über den Verlauf der drohenden Krankheit, steckte viel Geld in die medikamentöse Behandlung, um festzustellen, daß teure Therapien nicht den gewünschten Erfolg brachten.

Der Abriß eines fertigen Hauses ist kostspielig, der Wiederaufbau noch teurer, aber wider jede Vernunft waren die Architekten und Statiker der Meinung, daß man doch ein Haus auch nur mit Fenstern und Türen bauen könnte. Vielleicht dachte man sich auch, daß man zuerst das Dach bauen könnte, und das Fundament würde dann von allein wachsen. Nun liegen sie da, die einstigen Häuser. Bedeckt mit neuen, schönen Dächern. Nun, es sind ja auch nur die schönen, neuen Dächer, die man von weitem und von oben blitzen sieht. Majestätisch und großzügig sieht man sie leuchten in den "blühenden Landschaften" des Ostens. Die Symptome konnten hier und da behandelt werden, das Krebsgeschwür jedoch, das ist nach wie vor da.

Maja Nowak, Berlin

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Grund zu Jubelfeiern oder Zwang zur Gewissensprüfung?

Seit Monaten erleben wir die Lobpreisungen für die Ereignisse, die vor fünfundzwanzig Jahren zur "Wiedervereinigung" geführt haben. Selbst die Sitzung der Volkskammer vom 23./24. August 1990 wurde als Klassentreffen wiederholt. In einer Art Zirkusveranstaltung hatten die meisten der "Laienkünstler" Hochverrat an der Verfassung der DDR begangen und das Völkerrecht gebrochen, indem sie ihren Staat, seine Bürger und deren schwer erarbeiteten Reichtum dem BRD-Imperialismus in den Rachen warfen. Es dürfte keinen Abgeordneten gegeben haben, der der den "Vertrag" gelesen hatte und dessen Folgen einschätzen konnte. Das Treffen fand am "authentischen Ort" statt, den es gar nicht mehr gibt. Lothar de Maizière hatte die Stirn, die damalige Volkskammer als "das fleißigste Parlament der deutschen Geschichte" zu bezeichnen. In einem halben Jahr hatte es 164 Gesetze und drei Staatsverträge diskutiert und beschlossen.

Nach Kohl ist entscheidend, "was hinten herauskommt". Was ist beim Treuhandgesetz herausgekommen, wenn nicht die Enteignung der DDR-Bürger durch eine Räuberbande? Am gleichen Wochenende, an dem sich die Volkskammerabgeordneten von 1990 bejubelten, erschien im "Spiegel" (35/2015, S. 120 f.) ein Essay Dirk Kurbjuweits "Warum Deutschland ein neues Nationalkonzept braucht". Das "Nationalkonzept", das de Maizière und Co. gerade gefeiert hatten, scheint also nicht mehr zu taugen. Was bietet Kurbjuweit im "Spiegel" an? Er behauptet: Die alte deutsche Frage stellt sich neu. Zwar sagt er nicht, was er unter "deutscher Frage" versteht, die neu zu stellen sei, aber er weiß die Antwort: "Eine neue Idee wird gebraucht, eine gute Nationalidee. Warum nicht diese, die aus Südafrika stammt: Rainbow Nation, Regenbogennation?"

Die Frage ist: Warum soll Deutschland eine "Regenbogennation" werden? Der Autor findet Gründe in der aktuellen politischen Situation, im Flüchtlingsstrom und in der Gefahr des Grexit. Sein Grundsatz: "Wer in Not ist, verdient Hilfe. Alles andere wäre unanständig." Bei solchem Bekenntnis erübrigt sich die Frage nach den Ursachen der Not als "unanständig". Der Autor versichert dem Leser: "Rainbow Nation ist ein herzliches und strategisches Projekt. Der Spielraum für die Politik wird größer ... Rainbow Nation heißt, daß egal ist, wer ein echter Deutscher ist oder nicht." So also wird die alte "deutsche Frage" auf neue Weise gelöst. Angesichts einer solch abstrusen Idee dürfte es zweckmäßig sein, zu prüfen, worin die "deutsche (nationale) Frage" bisher bestanden hat. Das war in Ost und West unterschiedlich. Lord Weidenfeld/Karl Rudolf Körte widmeten im "Handwörterbuch zur deutschen Einheit", das von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben wurde, dem Begriff "deutsche Frage" viereinhalb Seiten (S. 127 f.): "Die deutsche Frage entzieht sich einer einfachen Definition. Sie ist ein komplexes Problembündel."

Zu dem "Bündel" gehört die "Frage nach der territorialen und nationalen Organisation der Deutschen in der Mitte Europas". Die Grenzen und die Größe Deutschlands sind von besonderer Bedeutung. Anders wäre die Bonner These von der "offenen deutschen Frage", solange die DDR existierte und die "Ostgebiete" nicht "befreit" waren, nicht zu erklären. Weidenfeld/Körte fragen nicht nach den Eigentums- und Machtverhältnissen. In der DDR war die "deutsche" Frage mit der "sozialen Frage", dem Gesellschaftssystem, verknüpft. Im "Sachwörterbuch zur deutschen Geschichte" (S. 408 f.) waren der "deutschen Frage" sieben Seiten gewidmet. Es wurde abgehandelt, welche politischen und sozialen Kräfte bestimmend wirken. Die "deutsche Frage" wurde zur Frage des Überlebens, als sich zeigte, daß die "Wiedervereinigung" nur noch im gemeinsamen atomaren Massengrab (Egon Bahr) denkbar war. Willy Brandt faßte das in die Worte: "Der Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts." Erich Honecker und Helmut Kohl formulierten wortgleich: "Von deutschem Boden darf kein neuer Krieg ausgehen." Der befürchtete Bruderkrieg trat 1989/90 nicht ein, aber das "wiedervereinte" Deutschland hält es nun für "normal", weltweit an Kriegen teilzunehmen. Damit ist die Dialektik von Frieden und deutscher Einheit erneut sichtbar.

Bismarck schuf mit dem Deutschen Reich zugleich die Macht, die zum Hauptschuldigen am Ausbruch des ersten Weltkrieges wurde. Die Quittung war Versailles. Das Großdeutschland Hitlers brach den zweiten Weltkrieg vom Zaun. Jalta, Potsdam und Nürnberg waren die Konsequenz.

Die Zeit der Existenz der beiden deutschen Staaten war die längste Friedensperiode in der jüngsten deutschen Geschichte. Sie ist beendet.

Prof. Dr. Horst Schneider

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Post aus Chile - Korrespondenz mit Margot Honecker

Wenige Tage nachdem die Traueranzeige für die Kommunistin und Volksbildungsministerin der DDR, Margot Honecker, in der "jungen Welt" und dem "nd" erschienen war, traf ich in meinem Kiez Prof. Christa Luft, die mir danken wollte, daß sie auch meinen Namen bei den Unterzeichnern gefunden hat.

Nun liegt uns ein Buch vor, welches die letzte Lebensetappe von Margot genau nachzeichnet. Es beginnt am 10.8.1994 mit einem Brief von Margot Honecker aus Santiago de Chile an den Verleger Frank Schumann bezüglich der geplanten Veröffentlichung der "Moabiter Notizen" von Erich Honecker. Aus diesem ersten Arbeitskontakt wird eine dauerhafte, freundschaftliche und vertrauensvolle Beziehung. Eigentlich konzipiert wie ein klassischer Briefroman - nur, daß wir heute leider auf die Form des Briefes verzichten und die E-Mail zum schnelleren Austausch der Gedanken und notwendigen Arbeitsschritte nutzen.

Wir erfahren viel Persönliches aus dem Leben im Exil und sind angetan von ihrer ausgesprochenen Freundlichkeit. Sie war zwar hart in der Sache, unbeirrbar von unserer Sache überzeugt, aber auch freundlich zu fast allen Menschen, die auch ihr freundlich gegenübertraten. Wir, die wir ihre Freundlichkeit empfangen haben, wissen, daß es weder eine Beichte noch eine Kehrtwende bei Margot gab. Dem Leser begegnet in diesem Buch eine Kommunistin mit ausgeprägtem Klasseninstinkt, die sehr wohl wußte, daß bürgerliche Journalisten nichts anderes als mehr oder weniger gut bezahlte Propagandisten des Kapitalismus sind. Darum werden sie die bestehenden Verhältnisse nie in Frage stellen und dieses System immer verteidigen. Ihre Aufgabe ist es, ihre Gegner und Kritiker zu attackieren. Das wußte Margot und verhielt sich dementsprechend.

Der E-Mail-Partner von Margot, der marxistisch geschulte Verleger und Autor Frank Schumann, mußte auch aus seinem Leben einiges offenbaren, so wie es unter Freunden üblich ist, und Margot nahm regen Anteil daran.

Auch wenn die DDR nicht mehr existiert - vieles ist geblieben. Eines besonders: das ist ihre Leistung für die Volksbildung. Margot Honecker hat das als Ministerin mit stoischer Ausdauer vorangetrieben, allen Vorwürfen und Vorbehalten, auch aus den eigenen Reihen, zum Trotz. Wir reden viel davon, daß in Skandinavien die "Polytechnische Oberschule" als Erfolgsmodell übernommen wurde. Aber viel wichtiger noch ist es wohl, daß in der DDR Millionen und aber Millionen junge Menschen aufs Leben vorbereitet wurden. Die fundierte Bildung und Erziehung der Ostdeutschen könnte dem Kapitalismus noch einmal zum Verhängnis werden, wenn sie in den linken, marxistischen Bewegungen noch mehr genutzt würde.

In der Februar-Ausgabe des "RotFuchs" konnte noch einmal ein Leserbrief von Margot veröffentlicht werden, in dem sie ihrer Hoffnung Ausdruck gab, der "RotFuchs" möge auch weiterhin dazu beitragen, "daß die Menschen lernen, 'hinter allen möglichen moralischen, religiösen, politischen und sozialen Phrasen, Erklärungen und Versprechungen die Interessen dieser oder jener Klasse zu suchen'. (Lenin) Es bleibt noch viel zu tun!"

In den letzten Monaten vor ihrem Ableben wird es ruhig. Keine Nachrichten, keine Telefonate. Der Verleger Frank Schumann erhält am 17.2. eine letzte Nachricht von Margot. Unsere Bemühungen, noch einmal in Kontakt zu kommen, schlagen fehl.

Wer mehr über die DDR, den Klassenkampf und eine tapfere Kommunistin erfahren will, dem empfehle ich diese Lektüre.

Konstantin Brandt

Post aus Chile. Die Korrespondenz mit Margot Honecker.
edition ost im Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2016, 336 S., 16,99 €

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Eine proletarische Familien-Saga

Zögernd forschen und berichten heute Angehörige der zweiten Generation über das Leben, den Kampf und die Leiden ihrer Familienangehörigen während des Faschismus. Die Autorin und ihr Ehemann gehören zu dieser zweiten Generation. Christel Weiß versucht, einseitigen Betrachtungen auf anspruchsvolle Weise zu widersprechen. Anhand der eigenen Familiengeschichte schildert sie in ihrem Roman die Zeit vom Beginn des vorigen Jahrhunderts bis 1945. Basis der Handlung sind real existierende Personen wie Fritz und Lea Große, Albert Hähnel, Rudolf Harlaß, Edith und Kurt Kretzschmar, Max Müller, Lilli und Jakob Segal, Curt Wach. Diese Protagonisten werden mit fiktiven Personen und Handlungen verknüpft. So kann die Form einer strengen Dokumentation gesprengt und eine spannende Handlung entwickelt werden.

Komplexe historische und politische Abläufe auf der Basis gründlich recherchierter Fakten werden bildhaft in die Handlung eingefügt. Erlebbar wird, wie sich die Masse des deutschen Volkes in das faschistische Regime integrierte und es in nicht unerheblichem Maße aktiv trug. Bohrend werden im Roman die Fragen wiederholt: Wie konnten so viele Menschen, unabhängig von Herkunft und Bildungsgrad, einem solch menschenverachtendem Regime folgen? Warum zeitigten die Aufklärungsbemühungen der Antifaschisten so wenig Erfolg? Diese Fragen sind nicht nur historische Fragen. Es sind Fragen der jüngeren Geschichte und leider auch der Gegenwart.

Der Roman führt uns in eine Proletarierfamilie aus dem Erzgebirge, die später vor allem in Chemnitz gewirkt hat. Ein paralleler Handlungsort ist Berlin in den 30er Jahren bis zur Befreiung 1945. Plastisch werden das Leben und die Armut der "einfachen" Menschen im Erzgebirgischen und Sächsischen dargestellt. So gut, daß es nicht nur Lehrenden, sondern auch Lokalhistorikern als Bild dienen könnte. Auf diese Weise werden Wurzeln der Klassenkämpfe in dieser Zeit sichtbar. Aus dem Kampf um ein bißchen mehr sozialer Gerechtigkeit entwickelte sich das politische Engagement der Romanfiguren, das bei jenen mit stabilen moralischen Werten und gesundem Menschenverstand zwangsläufig in ein Engagement gegen die Nazis mündete.

Der Kampf der aktiven Nazigegner im Roman begann in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts und reicht bis zur Befreiung 1945. Es sind Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, atheistische Juden, Christen und andere. Es gibt keine Fokussierung auf eine bestimmte Partei oder Organisation. Wenn auch zahlenmäßig klein, so doch breit im sozialen Spektrum wäre das Handeln dieser Nazigegner unter zivilisatorischen Umständen nicht spektakulär. In jener Zeit aber war ein solcher Widerstand nicht weniger lebensgefährlich als etwa Attentatsversuche. Wie das Buch zeigt, führte er zu schwersten persönlichen Konsequenzen auch für die Familie, bis hin zu den minderjährigen Kindern. Der Roman schildert anschaulich die illegale Arbeit, aber auch Denunziation, KZ und die Repressalien der Nazis, bis hin zum Todesurteil für mehrere Familienangehörige. Familiärer Zusammenhalt und die Solidarität Außenstehender lassen die Familie die schweren Eingriffe in ihr Leben überstehen.

Viele Opfer des Faschismus sind nach der Befreiung zur Tagesordnung, d. h. zum Ringen um das Überleben und für eine bessere Zukunft, übergegangen. Erinnerungen aufzuschreiben war nicht ihre Sache. Aber ihre Erfahrungen darüber, wie es zum Faschismus kam, wie es unter ihm war und wie sich einige gewehrt haben, sind brandaktuell. Faschistischer Ungeist beeinflußt immer noch bzw. erneut deutsches und europäisches Leben. Geschichte wird in der BRD verfälscht, indem man die Leiden auf einige wenige, dem Zeitgeist genehme Opfergruppen und Personen reduziert, Opferhierarchien schafft und einige Gruppen marginalisiert. So entstehen neue Geschichtslügen. Der Roman versteht sich daher nicht nur als Geschichts- und Geschichtenbuch, als Denkmal für Menschen, die es verdient haben. Man erkennt das an den Passagen mit Bezug zu heutigen Ereignissen. Besonders deutlich wird das im Anhang, wo u.a. aufgelistet wird, welche zu DDR-Zeiten nach Antifaschisten benannten Schulen, Straßen, Plätze, Betriebe usw. nach 1989 umbenannt wurden.

Das Buch ist allen, ob jung oder alt, zu empfehlen. Unaufdringlich fordert es auf, gegen aktuelle faschistische Tendenzen aktiv zu werden.

Hans Rentmeister
(ehem. Generalsekretär des Internationalen Sachsenhausen-Komitees)


Christel Weiß: Da war nicht nur einer ... Eine proletarische Familien-Saga. BS-Verlag, Rostock 2015, 506 S., Preis 19,90 €, ISBN 978-3-86785-321-7

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Was des Volkes Hände schaffen ...

Unter diesem Titel hat Professor Horst Schneider ein Buch veröffentlicht zum Volksentscheid in Sachsen am 30. Juni 1946 über die Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher. Trotz der seither vergangenen 70 Jahre ist dieses Ereignis von durchaus aktueller Bedeutung. Unter dem Eindruck der verheerenden Folgen der Naziherrschaft und des von den deutschen Faschisten und ihren Förderern entfesselten Krieges gab es in ganz Deutschland die verbreitete Auffassung, daß eine neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung geschaffen werden müsse, die für die Zukunft Frieden und Wohlergehen sichern sollte.

Das fand seinen Ausdruck in den Programmen und Beschlüssen der kommunistischen und sozialdemokratischen, aber auch christlich-demokratischer Parteien - und es entsprach dem erklärten Willen der Siegermächte, den deutschen Faschismus mit seinen Wurzeln auszurotten und zu verhindern, daß von Deutschland jemals wieder ein Krieg ausgehen würde.

In Sachsen, wo sich zu dieser Zeit mehr als 50 % der Industrie in der sowjetischen Besatzungszone (ohne Berlin) befanden, führten diese Forderungen im Juni 1946 zu einem Volksentscheid über die Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher, bei dem 77,62 % der Wahlberechtigten einer Enteignung zustimmten. Auch in Hessen stimmten im Dezember 1946 76,8 % für eine Sozialisierung der Schlüsselindustrien. In Berlin verabschiedete die Stadtverordnetenversammlung im Frühjahr 1947 entsprechende Gesetze. Ähnliche Bestrebungen gab es überall in Deutschland.

Während diese Entscheidungen in Sachsen und danach in ganz Ostdeutschland mit Unterstützung der Sowjetunion umgesetzt wurden, verbot die US-amerikanische Besatzungsmacht in Hessen deren Verwirklichung. Und auch in Berlin verhinderten die Westalliierten deren Umsetzung in den von ihnen besetzten Sektoren. Der Autor macht deutlich, daß die entsprechend dem Willen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung im Osten erfolgte Schaffung des Volkseigentums und die darauf gestützte Arbeiter-und-Bauern-Macht die wichtigsten Voraussetzungen dafür waren, daß über 40 Jahre von deutschem Boden kein Krieg mehr ausging. Zugleich hebt er hervor, daß sich hier mit der DDR trotz ungünstiger Ausgangspositionen und vielfältiger Störmaßnahmen des wieder erstarkten westdeutschen Imperialismus ein Staat entwickeln konnte, der zur Spitzengruppe der Industrienationen gehörte und soziale und demokratische Errungenschaften hervorbrachte, die zum Besten gehören, was in der deutschen Geschichte bisher geschaffen wurde.

Im schroffen Gegensatz dazu zeigt sich aus heutiger Sicht, daß da, wo die Großbanken, Finanzinvestoren und Monopole fast alles besitzen, wo die Superreichen herrschen, Kriege wieder zum Mittel der Politik gehören, die Demokratie, Menschen- und Bürgerrechte immer weiter eingeschränkt werden und ein immer mehr Menschen erfassender Sozialabbau und rücksichtsloser Raubbau an der Natur betrieben wird. So drängt sich beim Lesen des Buches die Erkenntnis auf: Wer will, daß sich an den derzeitigen gesellschaftlichen Zuständen in diesem Land wirklich etwas ändert, der muß für eine grundsätzliche Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung eintreten.

Wer nicht will, daß die Welt in Chaos, Kriegen und Umweltkatastrophen untergeht, daß Millionen verhungern oder aus ihrer Heimat vertrieben werden, der muß heute mit den ihm gegebenen Möglichkeiten dazu beitragen, daß dem Imperialismus als dem Verursacher dieser Zustände die ökonomische Basis und die politische Macht entzogen werden. Wie die Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR bewiesen hat, gibt es durchaus eine Alternative zum Kapitalismus, eine Perspektive für die Gestaltung einer friedlichen und gerechteren Ordnung - wobei es dabei gilt, aus in der Vergangenheit gemachten Fehlern Lehren zu ziehen.

Daß die Basis dafür - genaue Kenntnisse von der deutschen Geschichte, besonders auch der Neuzeit - nicht in Vergessenheit gerät, dazu hat Professor Schneider mit seiner Schrift einen verdienstvollen Beitrag vorgelegt - wichtig vor allem für nachwachsende Generationen, die diese Zeit aus eigenem Erleben nicht mehr kennen.

Dr. Karl Fischer, Dresden


Horst Schneider: Was des Volkes Hände schaffen, soll des Volkes eigen sein. Der Volksentscheid über die Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher am 30. Juni 1946. Edition Freiberg, Dresden 2016, 92 S., 8 €. ISBN 978-3-943357-53-8

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Die Preisgabe von Prinzipien führt ins Abseits

Der Bundestagswahlkampf 2017 wirft seinen langen Schatten. Und für die SPD rückt der Tag näher, an dem die Wähler "Kassensturz" machen werden. Da das Phänomen "Merkel forever" aus eigener Kraft nicht geändert werden kann, hofft man nun, sich der Linkspartei und der Grünen als Steigbügelhalter bedienen zu können. Dazu müßten sich allerdings die Linken "bewegen". Man solle doch "falsche" Prinzipien aufgeben und eine "realistische" Außen- und Sicherheitspolitik mittragen. Das Fallenlassen der Forderung nach einem NATO-Austritt wie die Zustimmung zu Kriegshandlungen im Ausland zum Zwecke der gewaltsamen Durchsetzung von geostrategischem Landraub und neoliberalen Wirtschaftsinteressen zählen dazu.

Preisgabe unserer friedenspolitischen Grundsätze lautet die Forderung. Doch gerade sie machen unsere Identität und Glaubwürdigkeit aus. Eine Partei, die ihr Gewissen auf dem Altar der Macht geopfert hat, die für Kriegseinsätze stimmt, am Waffenexport verdient, die für sozialen Abstieg für alleinerziehende Mütter, Abschaffung der Vermögenssteuer und gleichzeitige Absenkung des Spitzensteuersatzes, Armut per Gesetz durch Hartz IV, Altersarmut durch Sklaven- und Leiharbeit, Aushöhlung von Tarifverträgen durch Werksverträge und Rentenkürzung durch das Absenken des Rentenniveaus auf 40 % steht, kann als Verhandlungspartner für die Linkspartei nicht in Frage kommen.

Eine "Volkspartei", die zu "Hoch-Zeiten" 46,5 % Wählerstimmen auf sich vereinen konnte, ist abgestiegen auf zeitweise unter 19 %. Das hindert die SPD nicht, auch weiterhin die Geschäfte des Kapitals zu besorgen, wie die Kumpanei in Sachen TTIP, Glyphosat und Fracking oder die Enteignung der Sparer und Inhaber einer Lebensversicherung durch die Niedrigzinspolitik des "Banksters" Draghi zeigen. Der SPD geht es genausowenig um ein Europa zum Wohle der Menschen.

Auch mit den Stimmen der Sozialdemokraten wurde Jean-Claude Juncker, der frühere Regierungschef von Luxemburg und Betreiber der größten Steueroase in Europa, zum Chef der EU-Kommission gewählt. Der soll nun nach der Veröffentlichung der "Panama-Papers" die Steuervermeidung beenden, die eine beispiellose Vermehrung von Gewinnausschüttungen an Aktionäre zum Schaden der Sozialsysteme in der EU erst möglich macht.

Der von den Faschisten ermordete Pfarrer Dietrich Bonhoeffer hat es auf den Punkt gebracht, als er sagte: "Es gibt Grundsätze und Ideale, für die es sich lohnt, eine kompromißlose Haltung einzunehmen!" Wir werden nicht mit dem Tode bedroht für unsere Haltung. Deshalb müssen wir den Wählern zeigen, daß die Linkspartei ihre Prinzipien nicht aufgibt und Rückgrat hat.

Die Partei Die Linke darf sich einer SPD nicht anbiedern, in der Leute wie Stegner, Oppermann und Gabriel das Sagen haben. Oder Leute wie Stefan Weil aus Niedersachsen, der im Aufsichtsrat von VW sitzt und deshalb für den Betrug durch gefälschte Emissionswerte mitverantwortlich ist. Er hält es für richtig, daß die VW-Fluglinie aus Gründen der Steuervermeidung in dem USA-Steuerparadies Delaware registriert ist, aber die Start- und Landebahn auf Kosten der Steuerzahler in Wolfsburg verlängern läßt. So werden Gewerbesteuer und Baukosten gespart - zugunsten der Bonuszahlungen an die Manager. Der Vorsitzende der Jusos in Niedersachsen, der das öffentlich gemacht hatte, wurde deshalb "zurechtgewiesen". Das ist die Moral der SPD.

Wahrhaftigkeit beginnt nach Albert Schweitzer mit der Wahrhaftigkeit sich selbst gegenüber. Also laßt uns aufhören, rot-rot-grüne Luftschlösser zu bauen, aus denen die Partei-Ruinen der Zukunft werden würden - Luftschlösser haben kein solides Fundament ...

Joachim Augustin

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Wie der Berliner Senat mit Geschichte umgeht
Wer war Dr. Arthur Werner?

Mai 1945: Für den Oberbürgermeister Berlins Dr. Arthur Werner und seine Stadträte ging es darum, unter großem persönlichem Einsatz das Leben in der Stadt wieder in Gang zu bringen, den Hunger und das Elend der Menschen zu lindern, Krankheiten und Seuchen zu bekämpfen, die Auswirkungen des Krieges Schritt für Schritt zu überwinden. Doch vergebens wird man heute nach einer sonst üblichen Würdigung, wie beispielsweise die Benennung einer Straße, suchen.

Arthur Werner war es, der am 3. Januar 1946 Wilhelm Pieck zum 70. Geburtstag die erste Ehrenbürgerschaft Berlins nach Kriegsende verlieh. Zwei Jahre später beschloß die Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin, die seit September 1948 in Westberlin tagte, auf Antrag der SPD- und LDP-Fraktion die Streichung Wilhelm Piecks aus der Liste der Ehrenbürger. Dabei schreckte man nicht davor zurück, diesen Antifaschisten in einem Zuge mit den Kriegsverbrechern Adolf Hitler, Hermann Göring, Joseph Goebbels und Wilhelm Frick zu streichen. Auch in der neuen, im Herbst 1992 von Senat und Abgeordnetenhaus beschlossenen Ehrenbürgerliste wird man den Namen Wilhelm Piecks nicht finden. Lediglich eine Gedenktafel an seinem Wohnhaus in Berlin-Lichterfelde erinnert seit 1994 an ihn.

Die am Stadthaus angebrachte Tafel mit der Inschrift: "Am 19. Mai 1945 wurde in diesem Gebäude der Magistrat der Stadt Berlin durch den ersten sowjetischen Stadtkommandanten N.E. Bersarin feierlich in sein Amt eingeführt. Erster Oberbürgermeister war Dr. Arthur Werner" wurde entfernt. Ähnlich verhielt es sich mit dem von Walter Womacka 1987 angefertigten Porträt von Arthur Werner, das bis zum Ende der DDR im Roten Rathaus hing. Man hat es ins Depot der heutigen Stiftung Stadtmuseum verbannt.

Das nahm ich zum Anlaß, um mich im Juli 2013 an die Senatskanzlei, Kulturelle Angelegenheiten, zu wenden. Ich bat darum zu prüfen, für das erwähnte Bild wieder einen gebührenden Platz in Berlin zu finden. Als Antwort bekam ich folgende E-Mail: "Ihre Nachricht vom 3.7.2013 bezüglich Ihrer Anfrage haben wir erhalten. Zum Ergebnis unserer Recherchen werden wir Ihnen zu gegebener Zeit eine Antwort zukommen lassen." Am 30.9.2013 erhielt ich folgende Nachricht: "Ihr Anliegen ist hier weiter in Bearbeitung; das Ergebnis der inzwischen abgeschlossenen Recherchen bezüglich einer möglichen öffentlichen Präsentation des Porträts Arthur Werners wird in Kürze der für die abschließende Entscheidung zuständigen Stelle vorgelegt werden. Selbstverständlich werden wir Sie unverzüglich informieren, sobald diese Entscheidung getroffen worden ist." Zwei Jahre später, am 26. Januar 2015, dann eine weitere Meldung: "... Ihre Anfrage wird hier in der Berliner Kulturverwaltung bearbeitet. ... Daß Sie bislang nicht von uns gehört, gelesen haben, liegt vor allem daran, daß Ihr Anliegen im Verlauf personeller Wechsel hier in der Leitung nicht weiter bearbeitet worden ist. ... Ich versichere Ihnen, daß wir Ihnen alsbald eine Nachricht zukommen lassen ..." Die dann folgende Information vom 10. März 2015 lautete wie folgt: "... Ich bitte zunächst um Nachsicht für die doch sehr späte Beantwortung Ihrer Anfrage. Zu unserem Bedauern vermögen wir Ihrem Anliegen, ..., im Ergebnis einer langen und intensiven Diskussion, nicht zu entsprechen. ... Die Anbringung des von Walter Womacka geschaffenen Porträts von Arthur Werner läßt sich leider nicht in die künstlerische Gesamtanmutung der Galerie des Roten Rathauses einpassen. Hinzu käme, daß das Risiko einer Schädigung des Bildes durch Besucher nicht ausgeschlossen werden kann. Auch ist die Gefahr nicht auszuschließen, daß die klimatischen Bedingungen des Roten Rathauses unter konservatorischen Gesichtspunkten der künstlerischen Qualität des Werner-Porträts abträglich sein könnten. ­... Im Ergebnis einer sorgfältigen Abwägung des Für und Wider aller Facetten Ihres Anliegens hat sich die Waage aber zur Seite der Ablehnung geneigt. Das Stadtmuseum, in dessen Depot sich das Porträt befindet, hat mitgeteilt, daß es konservatorisch unbedenklichen Leihanfragen anderer Institutionen jederzeit offen gegenübersteht. Vielleicht ergibt sich ja an einem anderen Ort die Möglichkeit, das Porträt von Herrn Dr. Werner dauerhaft zu zeigen ..."

Wiederholt wird das Argument angeführt, daß nur jene Persönlichkeiten gezeigt oder erwähnt werden, die demokratisch gewählt wurden. In diesem Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß die Bürgermeister nach Kriegsende, nicht nur in Berlin, von den jeweiligen Besatzungsmächten zur Verwaltung eingesetzt und beliebig auch abgesetzt wurden, es galt Besatzungsrecht.

Das wohl prominenteste Beispiel aus dieser Zeit war der Umgang der Besatzungsmächte mit dem späteren ersten Kanzler der BRD Konrad Adenauer. 1945 setzten ihn die Amerikaner am 4. Mai, da er bereits von 1917 bis zum 13. März 1933 das Amt des Oberbürgermeisters in Köln ausgeübt hatte, wieder ein. Nach wenigen Monaten entließ ihn der britische General wegen angeblicher Unfähigkeit, erteilte ihm sogar Hausarrest und verbot ihm, die Stadt Köln zu betreten. Adenauer habe sich nicht energisch genug um die Ernährungsversorgung gekümmert. Die britische Besatzungsmacht verhängte gegenüber Adenauer für die Zeit vom 6. Oktober bis 4. Dezember 1945 ein Verbot parteipolitischer Betätigung.

Geschichte von 1945 bis 1989 darf nicht von ihrem Ende, sondern muß von ihrem Beginn an objektiv betrachtet und beurteilt werden. Hindenburg ist immer noch Ehrenbürger, aber der erste Friedensbürgermeister Dr. Arthur Werner und sein Magistrat sollen vergessen werden.

Lutz Heuer, Berlin


Siehe hierzu auch den Beitrag "Der erste Berliner Nachkriegs-OB", RF 209, Juni 2015.

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Ptitschka oder Dank an einen verstorbenen Freund

Es gibt schon merkwürdige Sachen im Leben! Da liege ich bei der Dialyse mit einem Mann zusammen, der in seinem früherer Leben Dolmetscher war, also einen sehr schönen Beruf hatte, bei dem man überall dabei war, ohne jedoch inhaltlich irgendeine Verantwortung zu haben. Dieser Mitpatient hat aber die Fähigkeit, mit großer Neugier alle Menschen, die in seine Nähe kommen, zu befragen. So traf er auch auf den Chefredakteur des "RotFuchs", Klaus Steiniger. Er fragte den gründlich aus und erzählte ihm natürlich alles Wissenswerte auch über seine Zimmerkollegen, darunter auch den Fakt, daß einer seiner Gefährten eine Frau hatte, die zu DDR-Zeiten Richterin am Obersten Gericht war, nämlich eine gewisse Frau Klier.

Da wurde Klaus Steiniger hellhörig und erkundigte sich, ob das etwa die Ptitschka (vom russischen Ptak = Vogel) war, die er aus der Studienzeit kenne, wenn er nicht sogar mit ihr schon auf die Schinkelschule gegangen sei. Den Spitznamen Ptitschka hätte sie dort erhalten, weil sie nicht nur ein ausgesprochen hübsches Mädchen war, sondern liebend gerne und sehr schön gesungen habe. Mich habe er nie persönlich kennengelernt, wußte aber von unserer ehelichen Beziehung.

Als mein Mitpatient mir das erzählte, ich weiß nicht, wie mir da geschah. Mir wurde ganz heiß ums Herz, und ich mußte mich schon sehr beherrschen, um nicht in Freudenrufe auszubrechen ob dieser völlig unerwarteten Begegnung mit der Frau, mit der ich nicht nur fast fünfzig Jahre verheiratet war, sondern die meine Kampfgefährtin für ein ganzes Leben gewesen ist. Ich verbarg mich unter meiner Decke und mußte erst einmal verarbeiten, was mir soeben geschehen war.

Es stimmte ja alles, aber daß ein für mich "wildfremder" Mann sich noch an seine Schulzeit erinnerte und in dieser Erinnerung meine geliebte Frau eine Rolle spielt, war doch wirklich sehr wunderbar.

Wir hatten uns im Chor der Humboldt-Universität kennengelernt und gemeinsam gesungen. Aber weit über diese Zeit hinaus gehörte das Singen zu unserem Leben. Damals hatten wir im Auto noch kein Radio, aber sobald wir eingestiegen waren, um zum Beispiel nach Rauchfangswerder in unseren Garten zu fahren, fielen uns unsere schönen Lieder aus der Chorzeit, aber auch Schlager aus dem Alltag ein, und wir trällerten fröhlich los. Vor allem wenn wir längere Fahrten zu meiner Mutter nach Rastenberg in Thüringen unternahmen, haben wir unsere "Konzerte" gegeben, später schon unter Mitwirkung unseres Töchterchens Kristina, die auch auf diese Weise mit der Musik vertraut gemacht wurde und bald selbst im Schulchor eifrig mitsang.

Ich muß gestehen, während ich diese Zeilen schreibe, umfängt mich das Glücksgefühl eines guten gemeinsam erfüllten Lebens, das ich niemals vergessen möchte. Nun gibt es einen Grund mehr, mir jeden Abend das Bild meiner Irmgard anzusehen und einfach dankbar zu sein.

Ich habe schon daran gedacht, mich vor Freude an Klaus Steiniger zu wenden, werde das aber lassen, um nicht aufdringlich zu sein. Doch es ist wunderschön - wenn auch um drei Ecken herum -, solche Freunde zu haben, von denen man sagen kann: "Uns vereint gleicher Sinn, gleicher Mut!" Danke, unser gemeinsamer - wenn auch mir unbekannter - Freund Klaus!

Fritz Klier


Aus Horst Jäkel (Hrsg.): Heimat DDR. GNN-Verlag, Schkeuditz 2015, 374 S., 19 €. (Redaktionell bearbeitet)

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Der Urmensch von Bilzingsleben

Der 6. August 1974 war ein heißer Sommersonntag. Ich arbeitete damals als Student der Ur- und Frühgeschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Sommerpraktikum auf der Ausgrabungsstätte Steinrinne bei Bilzingsleben im Landkreis Sömmerda. Die ganze Grabungstruppe war nach dem Mittagessen mit Pkws nach Kindelbrück zum Eis-Essen gefahren. Auf dem Rückweg wanderten die Nichtfahrer zum Gründelsloch, einer Erdfallquelle, und von dort zur Steinrinne. Spätnachmittags hatte Dr. Dietrich Mania die Idee, daß wir ja noch ein bißchen arbeiten könnten. Und während Mania ausgesiebten Sand kraftvoll auf ein Transportband schaufelte, hatte ich mich unlustig auf den Rand des einstigen Baches gesetzt, der sich in den grauen tonigen Schluff eingegraben hatte.

Ich gucke nach unten und sehe zwischen meinen Füßen eine handtellergroße Fläche mit Kalksinter, die meine beiden Vorgänger beim Ausgraben wohl vergessen hatten. Gedankenverloren greife ich nach einer nahe liegenden kleinen Spitzkelle und pieke in das Sinterstück hinein. Ich treffe auf etwas Hartes, das nachgibt. "Ein Schädelstück!" denke ich. Ich heble das Stück aus dem Schluff (ein kleines Stück war beim Hineinpieken abgebrochen) und versuche mit der Kelle den anhaftenden Kalksinter von der Oberfläche abzuschlagen. Das Innere des Stückes gleicht dem Inneren des größeren Schädelstückes, das Mania erst ein paar Monate zuvor bei der Durchsicht älterer Funde entdeckt hatte. Ein glückstrahlender euphorischer Dieter lief damals schwitzend durchs hallische Landesmuseum, allen seine Entdeckung zeigend. "Dietrich", rief ich zu dem schippenden Mania rüber. "Ich glaube, ich habe ein Stück Urmenschenschädel gefunden!" Und: "Tobias (Töpfer) und Benno (Gramsch), kommt mal runter!" Die beiden waren der Zoologe aus Halle und der Urgeschichtsmuseumsdirektor aus Potsdam, die in dem Quadranten vorher gegraben hatten. Dann expedierten sie die Teile in einen Mostrichbecher, die Köpfe dabei bedächtig wiegend. Und ich habe zu einem Studenten aus Leipzig gesagt: "Heute ist ein bedeutender Tag in der Ur- und Frühgeschichte, und du kannst sagen, du bist dabeigewesen." Am Abend, ich liege gerade in meinem Zimmer den Heinrich IV. lesend im Bette, da kommt der Rüdiger Stoile, ein grabungshelfender Junge aus Bilzingsleben, die Treppe heraufgestürmt: "Dieter, Du hast einen Homo gefunden, Du hast einen Homo gefunden!" Ich bin dann mit rüber ins Haus der Litty Böttner, wo die Führungsgruppe wohnte. Es hatte sich herausgestellt, daß mein Stück A2 genau an das Hinterhauptteil A1 paßte. Große Gratulation! Im Verlauf der Grabungen sind dann noch weitere Schädelfragmente gefunden worden, wahrscheinlich von insgesamt drei Individuen stammend. Wir hatten damals Mühe, eine Flasche Rotkäppchen-Sekt zu bekommen, und haben den Fund auch noch an den restlichen drei Abenden meines Grabungspraktikums weidlich begossen.

Dieter Bauer, Kelbra

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Stimmen aus aller Welt über die DDR (Folge 4)

Solange der sozialistische deutsche Staat, die DDR existierte, haben sich immer wieder Persönlichkeiten aus der ganzen Welt bei oder nach Besuchen über die DDR geäußert. Zum 30. Jahrestag am 7. Oktober 1979 hat die Auslandpresseagentur Panorama DDR über hundert solcher Stellungnahmen in einem Buch vereint. Entstanden ist so ein Mosaik persönlicher Erfahrungen und Erkenntnisse, die jeweils ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit widerspiegeln. Stellvertretend für die anderen werden wir in den nächsten Monaten einige dieser Äußerungen veröffentlichen - Älteren zur Erinnerung, Jüngeren zur Verdeutlichung dessen, was die DDR für die Welt - und für uns - war.


Herluf Bidstrup

(1912-1988)
Karikaturist, Dänemark

Als ich zum erstenmal in Berlin war, sah die Stadt entsetzlich aus, überall Ruinen. Schlecht gekleidete Frauen klopften Steine aus den Trümmern, damit sie für den Wiederaufbau verwendet werden konnten. Ich glaubte damals, daß es mindestens hundert Jahre dauern würde, ehe Berlin aus den Ruinen wieder errichtet werden könnte. Aber es ging verblüffend schnell. Neue schöne Wohnviertel sind überall aufgewachsen mit Wohnungen zu so niedrigen Mieten, daß man in Dänemark glaubte, die Berichte hierüber seien lediglich sozialistische Propaganda.

Wenn ich jetzt an die Zeit des kalten Krieges zurückdenke, an die Verleumdung und Hetze, der die DDR seitens der kapitalistischen Länder ausgesetzt war, so frage ich mich noch heute, wie man es gewagt hat, naiven Menschen in der kapitalistischen Welt einzureden, daß Unmenschlichkeit, Barbarei und Kulturlosigkeit das Leben in der DDR unerträglich machten. Wenn man wie ich die Gelegenheit gehabt hat, die beiden Welten zu vergleichen, dann fällt der Vergleich zum Vorteil der DDR aus. Was die Unmenschlichkeit betrifft, da ist die kapitalistische Welt üppig an der Spitze allein mit Millionen von Arbeitslosen, die es in der DDR nicht gibt und wohl auch nicht geben wird.

Und wie verhält es sich mit der Kultur? In Dänemark zum Beispiel sind Konzertsäle oft halb leer, Theater müssen schließen, in Berlin dagegen spielt man in Konzertsälen und Theatern vor vollen Häusern. Kunstausstellungen werden dort von einem zahlreichen, interessierten Publikum besucht. Und das, was auf dem Gebiet der Kultur vielleicht das Wichtigste ist, die Bücher. In der DDR gibt es ein imposantes Angebot an Literatur deutscher und aller Länder der Welt, Kunstbücher, politische und wissenschaftliche Bücher, Lehrbücher und Kinderbücher, alle zu abenteuerlich niedrigen Preisen.

Ich erinnere mich auch an die Haltung der DDR während des kalten Krieges. Beharrlich hat Ihr Land Freundschaft, Handelsverkehr und friedliche Koexistenz angeboten. Gastfreundschaftlich öffnete es seine Grenzen, damit Menschen aus den Nachbarländern selbst kommen und sehen konnten, was der Sozialismus in der DDR seinen Bürgern zu bieten hatte. Viele Dänen nahmen die Einladung an, und nicht zuletzt die jährlichen Besuche während der Ostseewoche trugen dazu bei, daß viele die Lügenpropaganda westlicher Medien durchschauten, die wirkungslos wurde, wenn man die Wirklichkeit gesehen hatte.

Man sagt, daß die Lüge fliegt, aber die Wahrheit marschiert. Es ist meine Hoffnung und mein Wunsch jetzt zum 30. Jahrestag, daß die DDR ihren Marsch zum Sozialismus und zum Frieden fortsetzen wird, und ich zweifle nicht daran, daß sie ihn in der richtigen Richtung fortsetzen wird trotz aller Versuche von außen, in den Kompaß Störungen hineinzubringen.


Martin Andersen Nexö

(1869-1954)
Schriftsteller, Dänemark

Als ich nach dem zweiten Weltkrieg, im Jahre 1947, das erstemal von Warnemünde nach Berlin fuhr, war das Land überall wie eine Wüste. Die Felder waren schlecht, zum Teil gar nicht bestellt, die Dörfer halbe Ruinen, die Menschen wanderten die Landstraße entlang, suchend nach irgend etwas, nach einer Chance, etwas Eßbarem, oder sie lagen im Straßengraben und rupften Grün für die Kaninchen.

Und jetzt, wenige Jahre später, ist das Land so sauber bestellt wie das Dänemarks, überall Häuser für Klein- und Neubauern, die Straßen schön befahrbar.

Schulen sind gebaut worden, eine neue Lehrerschaft ausgebildet, Fabriken in Gang gesetzt, und die Menschen sind sich bewußt geworden, daß sie Menschen sind, nicht eine Horde von Wesen, die dazu da sind, um einem Militärapparat zur Verfügung zu stehen, sondern Menschen, das Teuerste von allem, die schaffen müssen, um sich selbst und der Menschheit eine schönere Zukunft zu bauen. Und jeder, der sich in die Reihe derjenigen einreiht, welche für die Zukunft arbeiten, ist auch ein Friedenskämpfer! Dies bedeutet, daß die Menschheit ihre Entwicklung à jour führt, weg vom Krieg, der ja Kannibalismus ist, ein Rest von unserer fernen Zeit als Hordenmenschen. Wir wollen keinen Krieg, wir wollen nicht die Entwicklung auf Bestialitäten bauen oder uns von Bestien regieren lassen. Wir wollen die Kultur à jour führen, das heißt, die Arbeit, die friedliche Arbeit auf den Thron setzen. Deshalb ist das Festival nicht nur die Sanktion unserer Träume, es ist auch die große Manifestation dessen, was wir wollen.

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Ich habe das Glück gesehn. Kein vom Himmel gefallenes. Kein von der Natur geschenktes. Kein durch ein Los gewonnenes. Keins, über das viel gesprochen worden wäre. Ein gelebtes Glück, das anderen eher glanzlos erscheinen mag. Das Glück ist eine alte Frau, zierlich, vogelleicht, die ihren Reichtum an Erfahrung nicht ausstellt. Man muß ihr abverlangen, was man wissen will. Ich sitze da und schaue sie mir an. Ganz offen, denn sie kann kaum noch sehen. Ihr Kopf arbeitet mit einer Genauigkeit, um die ich sie beneide. Ich sehe, daß sie ungewöhnlich schmale, lange Hände hat mit sehr langen Fingern. Sie hält die Hände immer in Höhe ihres Mundes. Sie spricht sehr deutlich, eher langsam. Das kann durch ihr genaues Denken kommen, vielleicht aber ist das auch einem Teil des Glücks zu verdanken, nämlich den 81 Monaten Schwangerschaft, die sie gelebt hat. Sie hat neun Kinder auf die Welt gebracht, und es gelingt mir nicht, ihr auch nur eine Klage über die körperlichen Zumutungen zu entlocken. Da sieht sie mich erstaunt an, als ich sie frage, ob sie nicht doch einmal gedacht haben mag, es sei genug. Immer und jedes Mal Freude, Vorfreude, die ganze Zeit lang, bis es sich zu den anderen Kindern gesellte. Wie konnte das gehen? Damals, ohne die vielfältigen Erleichterungen im Haushalt.

Er war ihr einmal an Dienstgrad weit überlegen - der einzige Abstand, den sie in einem ganzen langen Leben zueinander hatten, aber arbeiten konnte sie da schon. Sie war Krankenschwester, Sachbearbeiterin, Trümmerfrau, und die Steine wurden damals in die bloße Hand genommen und abgeklopft, Handschuhe gab es für die Trümmerfrauen noch nicht. Als sie ihren späteren Lebensgefährten zum ersten Mal sah, dachte sie: "Oooh." Ein unverwöhntes Mädchen aus einer ostpreußischen Flüchtlingsfamilie. Sie war dann auch Sekretärin, und einer der ganz großen Momente in ihrem Leben war der Augenblick des Aufgebotes. Um russisch zu lernen, ließ sie sich in die erste Offiziersschule für Dolmetscher versetzen. Da hatte sie noch Zeit dafür.

Sie sagt: "Die Liebe war vom ersten Tag an." Ihr Mann wurde nach Prenzlau versetzt, als Regimentskommandeur. Sie schaffte es, selbst nach Prenzlau versetzt zu werden, und nahm ihre Mama mit, die in Weimar allein lebte. Von diesem Zeitpunkt an lebte sie das Leben ihres Mannes und das eigene immer mit den Bedingungen, die ihr seine Entwicklung bereithielt. Offizier war er, Arzt wollte er werden.

Aus beengten Wohnverhältnissen in die nächsten, die nicht besser waren, richtete sie die Möglichkeit des Zusammenlebens der wachsenden Familie immer wieder ein. Er sollte Arzt werden, so wollten sie es beide. Dieser Traum war für ihn erfüllbar. Allerdings mußte er dazu nach Jena. Nach einem Jahr konnten sie ihre Trennung beenden und sich über die Geburt des dritten Sohnes freuen. Sie lebten in Jena mit Hilfe der Großmutter, den Alltag bewältigend, mit sehr wenig Geld, ausprobierend, was man an einfachen Gerichten auf den Tisch bringen konnte. Ich frage sie, ob sie nicht, etwa nach dem dritten Kind, manchmal den Gedanken hatte, es wären nun genug Kinder, und sie könne ihre eigene Bildung und ihr Streben besser verwirklichen. Da sieht sie mich erstaunt an: "Aber dann wurde doch unsere erste Tochter geboren. Wir waren so froh. Nach drei Söhnen die erste Tochter.

Natürlich hatte ich reichlich zu tun. Damals gab es keine Windeln aus Zellstoff. Es mußte alles gewaschen und gebügelt werden, um die Kleinen zu versorgen. Aber danach kamen wieder zwei Söhne. Außer gesellschaftlicher Arbeit konnte ich nicht mehr in eine hauptamtliche Tätigkeit zurückkehren. Aber ich war mehrere Jahre als ehrenamtliche Parteisekretärin im Wohnbereich zugange und war im Elternaktiv der Schule." Irgendwann hatten sie es geschafft - er war Arzt, sie konnten in Berlin eine Wohnung beziehen und schließlich ein Haus mieten. "Bei neun Geschwistern", sagt sie, "muß man Regeln erfinden, damit jedes Kind sich beachtet und geliebt fühlt. Wir haben es so gemacht: An unserem großen Familientisch war jedes größere Kind Pate für ein kleineres. Der Pate mußte auf saubere Hände und auf die Tischmanieren achten. Aber auch darauf, daß die Bedürfnisse des einzelnen Kindes befriedigt wurden."

Ich gucke sie mir an und denke: Wie hat die das gemacht? Ich war schon ziemlich gefordert, als ich mit drei Kindern lebte und nebenbei versuchte, mich als Freischaffende zu entwickeln.

Sie sagt, daß jedes Kind anders ist, auch wenn es neun Geschwister sind. Und mit jedem Kind muß man anders umgehen. War der Große ruhiger, so wurde ihm ein Kind zugeteilt, das sehr lebhaft war. Das ist merkwürdig gut gelungen. Die Paten und ihre Kleinen sind sich auch als erwachsene Leute näher. "Alle haben gelernt und studiert, alle stehen im Berufsleben und haben mir zwanzig Enkelkinder und vierzehn Urenkel geschenkt, bis jetzt. Bisher war immer eins unterwegs, wenn woanders gerade eins geboren war." Das Glück, das ich sehe, spüre und erfahre, war eine große Liebe, die sich in 65 Jahren nicht in ein aufdringliches Zunahesein verwandelte. Sie wurden einander nie wie Verwandte, die man zu gut kennt. Woher kam das? Der Mann wurde immer übermäßig gefordert, hatte eine Karriere, die ihm nicht erlaubte, viel Zeit für die Familie aufzuwenden. Und dennoch erinnern die "Kinder" seine Nähe. Und die der Ma, die den Pa immer an die erste Stelle setzte und doch verstand, alle Kinder so nahe zu halten, daß sie bis heute über ihre Kindheit lächeln, lachen und in ihren Erinnerungen nahezu weise sind. Daß diese Person, diese kleine Frau, den Tod ihres Mannes immer noch nicht als eine Trennung lebt, das senkt sich mir tief ins Herz. Wenn sie abends schlafen geht, legt sie zwei große Fotos von ihm auf das Bett, in dem er jahrzehntelang neben ihr geschlafen hat. Am Morgen erzählt sie ihm, was sie für den Tag vorhat, schaut sich eine Weile sein Bild an und, so sagt sie, fühlt sich danach besser.

Der Sohn, der mich zu ihr gebracht hat, der uns reden ließ und dann doch noch teilnahm, hat die Werte von seinen Eltern behalten und lebt so. Diese Wärme ist echt, auch die Zuständigkeit. Wir hatten uns dienstlich verabredet und herein kam ein Freund. Leicht hat auch er es nicht gehabt. Aber das gilt in dieser Familie als normal. Man bewältigt Konflikte, sogar den Untergang eines Staates, der einmal Heimat war.

Ich weiß nicht, wie lang die Strecke dieser kostbaren Person ist. Ich glaube, darüber denkt sie nicht unentwegt nach. Zu den Kindern hält sie Kontakt in der von ihr erwünschten Weise. Die Enkelkinder sind Lieblinge, aber man kann ja nicht mit fast fünfzig Nachkommen ständig telefonieren. Und nur selten zusammensein. Manchmal kommen alle. Schon bemerkenswert, daß sie sehr unterschiedliche Charaktere sind. Die Anekdoten erklären das. Angst hatten die Kinder vor ihren Eltern nicht. Sie wurden weder geprügelt noch in ihrer Würde verletzt. Die kleine zierliche Person vor mir hat eine Lebensleistung vollbracht, an der ich mich nicht messen kann. Worauf sie verzichtet hat, war ihr kein Wunschtraum und kein Konflikt. Sie hat die neun Kinder ausgetragen, über körperliche Befindlichkeiten oder gar Einschränkungen ist ihr kein Wort zu entlocken. Ich hatte es beim dritten Gespräch eigentlich erwartet, daß sie nun doch mit unerfüllten Wünschen, mit einer Traumreise oder zur Abwechslung mal einer schönen Einsamkeit rausrückt. Aber da spreche ich eine Fremdsprache. Ohne ihren Mann? Nur wenn es durch seine Arbeit sein mußte.

So sind wir heutzutage in der Regel nicht. Keine von uns. Ich denke, wir beide bleiben, wie wir nun eben geworden sind.

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Leserbriefe an RotFuchs

Die von Arnold Schölzel in seinem Beitrag "Wer profitiert vom Brexit?" herausgearbeiteten Standpunkte möchte ich voll und ganz unterstützen. Die imperialistischen Mächte sind sich nur bis zu einem gewissen Grad einig, vornehmlich im Kampf gegen links. Doch wenn es um die Durchsetzung eigener Interessen gegen die anderer Großmächte geht, überrascht das Verhalten des britischen Kapitals keineswegs. Wie sich nun zeigt, ist Großbritannien nicht gewillt, weiterhin unter deutscher Vorherrschaft zu bleiben. Vorsorglich warnt Finanzminister Schäuble schon mal davor, daß das britische Beispiel in anderen EU-Mitgliedsstaaten Schule machen könnte, was sicher als Kampfansage gegen deutsche Herrschaftsansprüche verstanden werden müßte.

Hans-Georg Vogl, Zwickau


Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, der im Ergebnis eines Volksentscheids erfolgte, brachte "Europa"-Politiker um Angela Merkel in Schwierigkeiten. Die Folgen für die EU und die deutsch-britischen Beziehungen sind noch nicht abzusehen. Und schon scheint der bundesdeutschen Kanzlerin neues Ungemach bevorzustehen. Tony Blair, als Premier wichtigster Partner in London, droht Schimpf und Schande, vielleicht eine Anklage.
Im Auftrag des Unterhauses hat Sir John Chilcot in siebenjähriger Arbeit einen Bericht fertiggestellt, in dem die Rolle der britischen Regierung im Krieg gegen Irak analysiert wird. Im Bericht wird festgestellt, daß es für die Teilnahme Englands am Krieg gegen Irak keine völkerrechtliche Grundlage gab. Der Beschluß 1441 des Sicherheitsrates war keine Ermächtigung zum militärischen Eingreifen. Blair habe ihn einfach unterminiert. Der Premier hatte seine Entscheidung mit Informationen des Geheimdienstes begründet, wonach Saddam Hussein über chemische, biologische und atomare Waffen verfügt haben soll. Diese Waffen wurden nie gefunden, weil sie in Irak nicht existierten. Die erfundene Existenz von Massenvernichtungswaffen dort war lediglich der Vorwand für die Eroberung des irakischen Erdöls.
BRD-Kanzler Schröder entschied sich anders. Er weigerte sich, Deutschland in einen Krieg um das irakische Öl zu verwickeln und trotzte dem Druck aus Washington und der Opposition, die damals von Angela Merkel geführt wurde. Die Christin übte sich in der Rhetorik des Säbelrasselns, die sie inzwischen perfekt beherrscht. Zu erinnern ist daran, daß sie am 13. Februar 2003 im Bundestag dem Kanzler vorgeworfen hat, "seit Wochen auf einem Irrweg" zu sein.
Wie die "Washington Post" meldete, habe sie sich für die Teilnahme Deutschlands am Krieg gegen Irak ausgesprochen. Inzwischen bekennt sie: "Wir Deutschen haben nun auch eine Verpflichtung, unserer neuen Verantwortung umfassend gerecht zu werden. Das schließt auch die Beteiligung an militärischen Operationen zur Herstellung von Stabilität und Sicherheit ausdrücklich ein."
Am 7. Juli 2016 erläuterte sie vor dem Bundestag die vom NATO-Gipfel in Warschau gefaßten Beschlüsse. Sie plädierte dafür, daß die Bundeswehr in Irak zur Gewährleistung von mehr Sicherheit Ausbildungsmaßnahmen übernehmen solle. Zugleich verkündete sie, die Ursachen für die Flüchtlingswelle aufdecken zu wollen. Über ihre eigene Rolle als faktische Komplizin der NATO-Verbündeten USA und England bei der Zerstörung der irakischen staatlichen Strukturen verlor sie kein Wort. Ihr Säbelrasseln von damals richtet sich nun gegen Moskau.
Kurzsichtigkeit und Größenwahn verbinden sich zu einer explosiven Mischung. Mit der jüngsten, nach dem kaiserlichen Vorbild "Gott strafe England!" inszenierten antibritischen Medienkampagne werden Stimmen wieder lauter, die fordern, daß in der EU nur noch deutsch gesprochen wird.

Prof. Dr. Horst Schneider


Beim Stöbern in einer Buchhandlung stieß ich auf die Zeitschrift "Deutsche Geschichte. Europa und die Welt". Darin eine ganzseitige Anzeige für Bernd Schwippers Buch "Deutschland im Visier Stalins".
Es wurde als "militärgeschichtliche Sensation" angekündigt, das "die These vom 'Überfall' endgültig widerlegt" ...
Seriöse Historiker bestätigen, daß der Krieg gegen die Sowjetunion von deutscher Seite von Anfang an als Vernichtungskrieg geplant war. Stalin hielt sich strikt an den mit Hitler geschlossenen Vertrag, und der Überfall der faschistischen deutschen Wehrmacht traf die Rote Armee völlig unvorbereitet. Nur so sind die Anfangserfolge und das rasche Vordringen der Wehrmacht zu erklären.
Stalin wollte den Frieden für den weiteren Aufbau der Sowjetunion sichern. Daß dann doch Panzer statt Traktoren produziert werden mußten, das erzwangen die deutschen Aggressoren! Überrascht war ich, ja erschrocken, daß ein ehemaliger Generalmajor der NVA als Autor angegeben wurde. Es läßt sich wohl nicht vermeiden, daß es immer und überall "faule Äpfel" gibt ...
Nicht überrascht haben mich die Presseorgane, die sich überschwenglich über das Machwerk äußerten: einmal die "Junge Freiheit" und dann die "Deutsche Militärzeitschrift". Das sind die Wölfe, mit denen Bernd Schwippers heult.
Aber wir haben ja unseren "RotFuchs"! So habe ich mich sehr über den aufklärenden Leserbrief von Oberst a. D. Hans Linke aus Suhl gefreut. Die angekündigte Beilage zum Oktober-Heft mit der ausführlichen Kritik des Buches kann ich kaum erwarten. Es zeigt sich immer wieder: der "RotFuchs" ist notwendig!

Norbert Kornau, Hannover


Angesichts des NATO-Aufmarsches an der Westgrenze Rußlands und der Begründung desselben mit einer "Annexion" der Krim durch Rußland sollten wir uns näher mit dem Völkerrecht befassen.
Kanzlerin Angela Merkel hat sich hinter diese Aktionen gestellt und zugleich betont, mit Rußland müsse auch der Dialog geführt werden. Dialog worüber? Woran wäre denn Rußland interessiert? Doch daran, nicht als Aggressor, als Annexionist be- und verurteilt zu werden. Und was müßte das Interesse der NATO und der BRD-Politik gegenüber Rußland sein? Eigentlich die Einhaltung der Integrität, die Unverletzlichkeit der Grenzen von Ländern und Staaten, meine ich.
Das ist Völkerrecht. Das muß bewahrt und weltweit eingehalten werden. Wurde es im Falle der Krim eingehalten? Ich glaube nicht - aber warum hielt Rußland es nicht ein? Weil in der Ukraine ein gewaltsamer politischer Wechsel mit eindeutig antirussischer Orientierung - unterstützt durch NATO-Staaten - durchgesetzt wurde. So gesehen mußte sich Rußland angegriffen fühlen, konnte und durfte sich politisch verteidigen. Womit? Mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, das ebenso Bestandteil des Völkerrechts ist.
Rußland hat schnell gehandelt - vielleicht zu schnell; vielleicht hat es aber gerade dadurch einen größeren ethnischen Konflikt verhindert, eine harte politische Form der Auseinandersetzung zwischen den neuen Machthabern in der Ukraine und der ethnisch-russischen Mehrheit auf der Krim. Ich kann nicht beurteilen, wie es Völkerrechtler sehen, ob sie mehr auf die Unverletzlichkeit der Grenzen als auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker setzen.

Hermann Jacobs, Berlin


Die "Berliner Woche" veröffentlichte vor einiger Zeit eine Meldung unter dem Titel "Jubelfeier abgesagt". Es handelte sich um die im August vom Verein Unentdecktes Land und der "RotFuchs"-Regionalgruppe Berlin-Lichtenberg organisierte Veranstaltung aus Anlaß des 55. Jahrestages der Sicherung der DDR-Staatsgrenze.
Da es sich hierbei um eine Falschinformation handelte, schickte ich der Zeitung einen Brief, in dem es sinngemäß heißt: Nein, die "Jubelfeier" wurde nicht abgesagt, da irren Sie, weil es gar keine gegeben hat. Aber die Veranstaltung hat stattgefunden - gegen alle Widersacher!
Ich habe daran teilgenommen und weiß daher, daß vom in Moskau beschlossenen Mauerbau als einer "Niederlage des Sozialismus" in Deutschland die Rede war - es war eben nicht gelungen, bei offenen Grenzen den Sozialismus aufzubauen. Zu viele Menschen verließen 1960/61 die DDR, die meisten wegen des höheren materiellen Lebensstandards westlich der Grenze. Westberliner kauften zudem im Osten ein und alles mögliche auf. Es ging um die Existenz der DDR, die mit dem Bau der Mauer gesichert werden konnte. Kein Wort jedenfalls von einer "Jubelfeier". Aber: "There was no alternative" wie ein Kennedy-Zitat bestätigt.

Dr. Volker Wirth, Berlin


Joachim Gauck gibt auf! Nun ist es endlich soweit. Im Februar 2017 scheidet er als Bundespräsident aus seinem Amt. Forsch, in straffer, aufrechter Haltung, fast im Exerzierschritt ging er, als er am 6. Juni diese Botschaft in seinem Amtssitz Schloß Bellevue in Berlin verkündete, ans Mikrofon und gab seine Depesche wehleidig der Öffentlichkeit bekannt. Für eine zweite Amtszeit stünde er nicht mehr zur Verfügung. In mir löste diese Tatsache einen Schrei der Erlösung aus. Von Beginn an war seine Personalie für das höchste Amt der BRD ein Fehlgriff. In Ostdeutschland begegneten ihm die Menschen bei öffentlichen Auftritten - wie vor einiger Zeit in Sebnitz (Sächsische Schweiz) und im Frühjahr bei einem Besuch in Bautzen - mit Buhrufen. Es kam zu tumultartigen Szenen und verbalen Angriffen. Nicht vergessen ist sein Auftritt im ZDF am 17. April 1991, bei dem er dem Moderator androhte: "Für Ihre Fragestellung möchte ich Ihnen am liebsten eine knallen." Offensichtlich hatten ihn unbequeme Fragen ins Mark getroffen. Man sollte nicht vergessen: Gauck war der "Herr über alle Akten" der Staatssicherheit. Nach gerichtlicher Feststellung genoß er selbst vielfältige Privilegien in der DDR. An diesen wird es ihm auch nach Ausscheiden aus seinem Amt nicht mangeln.

Walter Krüger, Güstrow


Ich habe mich sehr gefreut über den in der Juli-Ausgabe des RF erschienenen Beitrag zu Peter Gingold, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Er, seine Frau Etty und auch seine Tochter Silvia - das wohl prominenteste Opfer des sogenannten Radikalenerlasses und als solches einst mit Berufsverbot bedroht - stehen beispielhaft für ein lebenslanges Engagement im Interesse unserer gemeinsamen Sache. Etty und Peter haben den Nazismus in Frankreich erlebt und sich nachhaltig für den Antifaschismus eingesetzt. Peter war auch einer der Nebenkläger im Prozeß gegen den Gestapo-Chef von Paris, Kurt Lischka, und dessen Handlanger Hagen und Heinrichsohn, als diese sich 1979/80 vor dem Landgericht Köln - dank der Initiativen der Klarsfelds - verantworten mußten.
Zu den im Anschluß an den Beitrag von Horst Schneider im August-RF gegebenen Buch-Tips zum Verbot der KPD durch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1956 möchte ich noch ein Buch ergänzend empfehlen: "... ist zu exekutieren", das von meinem Kollegen Friedrich Karl Kaul 1981 im Verlag Neues Leben Berlin veröffentlicht wurde und von mir 2006 nach Ergänzung und Fortschreibung im selben Verlag neu herausgegeben worden ist. Professor Dr. Kaul war einer der Prozeßvertreter der KPD im Verbotsprozeß und hat seine Eindrücke aus unmittelbarem Erleben in dem Buch wiedergegeben.

RA Ralf Dobrawa, Gotha


Mit der Gründung der "Zentrale für Heimatdienst" 1952 und ihrer spezifischen Ausrichtung ab 1955 wurde die BRD ein Land mit verordnetem Antikommunismus. In Bildungseinrichtungen und Betrieben war entsprechendes Schulungsmaterial zuhauf zu finden. Ich besorgte mir das "Taschenbuch 1959", welches das genannte Amt an Schüler aushändigte. Auf Seite 18 steht folgender Text: "Wo sich aber ein einzelner oder eine Gruppe über das Recht hinwegsetzen oder gar willkürlich selbst bestimmen, was Recht ist, dort herrscht die Diktatur. Der Staatsbürger lebt in ständiger Angst und Unsicherheit vor der Allmacht des Staates, denn es gibt niemand, der verbindlich sagen kann, was rechtens ist und was nicht. Vor allem: Niemand wagt darüber etwas zu sagen! Weil damit dem Unrecht Tür und Tor geöffnet sind, können wir die Diktatur auch als Unrechtsstaat bezeichnen."
Ich überlegte, wo ich so etwas schon einmal gelesen hatte. Ich fand es im Thüringer Koalitionsvertrag, den SPD, die Partei Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen aufgesetzt hatten. In der Präambel dieser Vereinbarung steht: "[...] weil jedes Recht und jede Gerechtigkeit in der DDR ein Ende haben konnte, wenn einer der kleinen oder großen Mächtigen es so wollte, weil jedes Recht und jede Gerechtigkeit für diejenigen verloren waren, die sich nicht systemkonform verhielten, war die DDR in der Konsequenz ein Unrechtsstaat".
Wissen diese Verantwortungsträger nicht, daß in der Bundeszentrale für Heimatdienst sehr viele beschäftigt waren, die schon in der Zeit des Hitlerfaschismus führende Positionen einnahmen? Auch Kriegsverbrecher wie der estnische Faschist Hjalmar Mäe, der für seine Untaten zu einem der Hauptverantwortlichen des Landes erklärt wurde, fanden sich im Kreis dieser Einrichtung. Die DDR informierte schon 1975 über den gesuchten Kriegsverbrecher. Im vom Akademie-Verlag herausgegebenen Buch "Deutschland im zweiten Weltkrieg" ist zu lesen: "In Estland wurde der berüchtigte estnische Faschist Landrat Dr. Hjalmar Mäe eingesetzt, der mit der SS-Einsatzgruppe A nach Tallinn zurückgekehrt war."
Für mich unfaßbar, daß SPD und auch Die Linke keine Skrupel hatten, solch geistiges "Gut" in ihren Koalitionsvertrag aufzunehmen. Kommt das doch einem Verrat an alle Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschaftern, die ihren Kampf gegen den Faschismus mit dem Leben bezahlen und grausamste Folterungen über sich ergehen lassen mußten, gleich.

Johann Weber, Ruhstorf


Inzwischen wurde in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt. Sowohl die Partei Die Linke als auch die DKP bewarben sich um den Einzug in ein Landesparlament.
Der RF-Regionalgruppe Schwerin war das Anlaß genug, gemeinsame mit anderen linken Vereinen Kandidaten der PDL und der erstmals in Mecklenburg-Vorpommern kandidierenden DKP zu einer Veranstaltung unter dem Thema "Linke Politik oder Regierungsbeteiligung?" einzuladen. Peter Ritter, hiesiger parlamentarischer Geschäftsführer der Linkspartei, und Erich Bartels von der Landes-DKP sagten zu und stellten sich den Fragen der Gäste.
In einem sachlich geführten Meinungsaustausch wurden die unterschiedlichen Positionen beider Landesverbände sichtbar.
Während der PDL-Vertreter Opposition im Parlament als eine Arbeit für den Papierkorb empfindet, unterstreicht die DKP ganz im Sinne von Rosa Luxemburg die Notwendigkeit, "die parlamentarische Tätigkeit zur Aufklärung der Arbeiterklasse und systematischen Kritik an der herrschenden Politik" zu nutzen.
Mit dem Hinweis auf die bereits vor Jahren formulierten Positionen zur DDR klammert die Linkspartei dieses Thema bis zu einer möglichen Regierungsbeteiligung aus. Dagegen bekennt sich die DKP zu einer gerechten und differenzierten Bewertung der DDR als der größten Errungenschaft des revolutionären Kampfes der deutschen Arbeiterbewegung.
Die Genossen des DKP-Landesvorstands erklärten, daß sie nicht als Konkurrenten zur Linkspartei antreten, sondern all jenen Bürgern eine Stimme geben wollen, die ihr Vertrauen in die Politik der PDL verloren haben.
Einig waren sich die Teilnehmer der Versammlung darin, daß bei aller Bedeutung kommunalpolitischer Fragen die Aufklärung und Mobilisierung für die Erhaltung des Friedens auch auf Landesebene ins Zentrum des Wahlkampfes gehört. Es sei gut und nachahmenswert, sagte der stellvertretende Vorsitzende des RF-Fördervereins Wolfgang Dockhorn, daß Mitglieder der PDL und Kommunisten zusammenkommen und sich über ihre Positionen austauschen.

Peter Dornbruch und Rainer Stankiewitz, Schwerin


Klaus Steiniger kommt in seinem letzten Leitartikel "Anleihen bei Goethe" in der Juni-Ausgabe des RF auf die perfide Meinungsumfrage ("Bild" und ZDF) nach dem beliebtesten und berühmtesten Deutschen zurück, woraus dann per TED Herr Adenauer ermittelt wurde. Nachdem in der letzten Fortsetzung der Sendung Gefahr drohte, daß es Karl Marx werden könnte, drehte der Moderator noch einmal auf und wies die Zuschauer darauf hin, daß sie in der Sendepause noch die Möglichkeit hätten, ihre Meinung kundzutun. Und siehe da, es hatte wieder einmal funktioniert mit der "Meinungsumfrage". Der "beliebteste und berühmteste" Kandidat war dann auf einmal Konrad Adenauer. Überhaupt kam da eine illustre Reihenfolge zustande, die einem alten Marxisten verdeutlicht, auf welcher Kultur-Unterstufe sich das "Vaterland" befindet. Daß Karl Marx dann jedoch den dritten Platz unter den einhundert Ermittelten einnahm, hat die Macher von ZDF und "Bild" sicher sehr geschmerzt und spricht heute noch Bände.
Da man meinen lebenslangen Dichterfreund Heinrich Heine unter den letzten in der Auflistung der "Bildzeitung", auf Platz 96, schob, regte sich bei mir großer Unmut, um das sanft auszudrücken. Und nun finde ich in der Juni-Ausgabe des RF den schönen Beitrag von Marianne Walz "Hier irrte Heine". Auf der Titel-Seite Klaus Steiniger und Heine, auf Seite 16 Marianne Walz und Heine - soviel Zufall gibt es - sieh mal an!

Klaus J. Hesse, Berlin


Als vor einigen Jahren Klaus Steiniger bei uns in Plauen war, nahm ich eine Ausgabe des "RotFuchs" mit. Nachdem ich diese Zeitschrift gelesen hatte, beschloß ich, sie zu abonnieren. Ich lese nun fast jeden Beitrag mit Interesse und habe die meisten RF-Hefte an ehemalige Kollegen und Bekannte weitergegeben. Es freut mich, daß einige nun ebenfalls Abonnenten des "RotFuchs" geworden sind.
Mir ist keine gleichwertige Publikation bekannt. Was den "RotFuchs" so wichtig macht, ist die realistische und aktuelle Darstellung politischer, ökonomischer und kultureller Themen, die einfach zu verstehen sind, weil auf Fremdwörter weitgehend verzichtet wird. Das gilt besonders für die Anglizismen, von denen es in der kapitalabhängigen Presse nur so wimmelt.
Ich freue mich nicht zuletzt darüber, daß der bisherige Chefredakteur der "jungen Welt" die RF-Redaktion verstärkt hat.

Willi Ronz, Plauen


Ich möchte darauf hinweisen, daß der im Beitrag von Dr. Karl-Heinz Otto (Juli-RF) genannte Tag der Gründung der DRV berichtigt werden muß. Ho Chi Minh hat die DRV nach der siegreichen Augustrevolution am 2. September 1945 auf dem Ba-Dinh-Platz in Hanoi für das ganze Vietnam ausgerufen - nicht 1954 nach der Schlacht von Dien Bien Phu.

Johanna Mothes, Erlau


Im Februar 1952 stürzte ich beim Holzholen von einem Felsen in die Zschopau, trug schwere Kopfverletzungen davon, der linke Arm war gebrochen. Das 7. Schuljahr wäre damit gelaufen. Aber es kam anders. Damals gab es an unserer Grundschule sogenannte Lernaktive, die dazu dienten, leistungsschwachen Mitschülern zu helfen. Ich - monatelang ans Bett gefesselt - wurde ein spezieller Fall. Dank der Jungen Pioniere, die damals meine Nachhilfestunden absicherten, kam ich gerade zu den Abschlußprüfungen der 7. Klasse wieder auf die Beine und legte diese mit dem Notendurchschnitt von 1,8 ab, übrigens die beste Note, die ich je hatte und die ich auch zum Schulabschluß der 8. Klasse verteidigen konnte. Die Vorsitzende der Pionierorganisation der DDR war damals Margot Feist, die spätere Volksbildungsministerin der DDR.
Ich war zwar furchtbar auf den Kopf gefallen, dadurch aber nicht dümmer geworden. Und ich konnte von einem Volksbildungssystem profitieren, das der Devise folgte: "Keinen zurücklassen, alle erreichen, jeden gewinnen!"

Peter Pöschmann, Döbeln



Richtigstellung

Bei der September-Ausgabe sind uns zwei Namensfehler unterlaufen, die hiermit korrigiert werden: Am 28.9. wurde Monika Ricker 75 (nicht Richter), und der Ko-Autor des von Hans-Kai Möller rezensierten Spanienkämpfer-Lexikons ist Enrico Hilbert (nicht Hubert).
Die Redaktion


Im Mai-RF wurde der Beitrag von Adelheid Klinke "Aus dem Erfahrungsschatz einer Werbe-Designerin" veröffentlicht, in dem sie sich zur DDR-Werbung in Allgemeinen und im Konkreten, u.a. auch zur Deutschen Werbe- und Anzeigengesellschaft (DEWAG), äußert. Dazu sind einige richtigstellende Bemerkungen notwendig. Die DEWAG (Deutsche Werbe- und Anzeigengesellschaft), zuletzt DEWAG Kombinat für Werbung mit dem Stammbetrieb Berlin, unterhielt in Berlin, Leipzig, Dresden und Erfurt Hauptbetriebe mit den Säulen Werbedienst (Export- und Binnenmarktwerbung, Anzeigenverwaltung u. a.) sowie Werbeproduktion mit vier bis sechs produzierenden Gewerken. In allen übrigen Bezirksstädten existierten nur reine Werbedienstbetriebe bzw. kleinere Zweigbetriebe. Außerdem gehörten zum Kombinat mit mehr als 3000 Beschäftigten verschiedene Spezialbetriebe (industrielle Herstellung von Standbauelementen und deren Vermietung, Modellbau, Fotoproduktion, Siebdruck, Fahnenstickerei ...). Diese Leistungen flossen im Auftrag der SED-Bezirksleitungen und des FDJ-Zentralrats vorrangig in den weltweit betriebenen Messe- und Ausstellungsbau ein (wenn kommerziell, realisiert durch DEWAG im Auftrag der INTERWERBUNG - einer Einrichtung des Ministeriums für Außenhandel hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Zielstellung), aber auch in den Sektor Sichtagitation und Stadtgestaltung (Realisierung von politischen Großveranstaltungen, Pressefesten und Parteitagen sowie von Demonstrationen plus ständiger Sichtagitation). Auch die Gestaltung der beliebten Weihnachtsmärkte erfolgte teilweise durch die DEWAG.
Zur Formulierung von Adelheid Klinke "zentralgeleitet" ist zu sagen, daß sich die DEWAG als SED-Parteibetrieb einer doppelten Anleitung und Kontrolle "erfreute", nämlich einmal durch die Abteilung Agitation sowie im besonderen Maße durch die Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebe (Struktur, Personal, Ausstattung/Investitionen, Finanzen, Ergebnisse). Dazu kamen noch die direkten Einflußnahmen der jeweiligen SED-Bezirksleitungen bei Großveranstaltungen und der allgemeinen Stadtgestaltung im Sinne einer wie selbstverständlich in Anspruch genommenen Dienstleistungsfunktion durch die DEWAG.
"Chef der DEWAG ..." war nicht der genannte (Fachdirektor) Dr. Martin Degen, sondern seit 1974 der leider schon verstorbene Generaldirektor (und RF-Autor) Dr. Manfred Böttcher. Daß die Autorin dies verwechselte, ist mir rätselhaft.

Hans-Joachim Wagner, Berlin


Wir können, was Engels an den englischen Arbeitern feststellte, auch an Arbeitern in unserem Lande beobachten: "Sie fragen mich, was die englischen Arbeiter von der Kolonialpolitik denken? Nun, genau dasselbe, was sie von der Politik überhaupt denken ... Es gibt hier ja keine Arbeiterpartei, es gibt nur Konservative und Liberal-Radikale, und die Arbeiter zehren flott mit von dem Weltmarkts- und Kolonialmonopol Englands." (W.I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. In: LW Bd. 22, S. 288 f.).
Die kapitalistisch-imperialistische Propaganda hat im Begriff der Konsumtion jenen mächtigen Hebel entdeckt, mit dem sich die gesellschaftlichen Verhältnisse wesentlich als welche interpretieren lassen, in denen der Kunde König ist und deshalb alles bestimmt: Der Kunde verändert - auf der Ebene des herrschenden Bewußtseins als dem Bewußtsein der Herrschenden - die Welt, indem er ist, was er ißt, trägt, fährt ... konsumiert. Von Produktionsverhältnissen, Besitzenden und Besitzlosen ist hier überhaupt nicht mehr die Rede und vom Menschen als solchem erst auf der Stufe des Kunden - und mit welch verheerenden Konsequenzen für das gesellschaftliche Bewußtsein der Massen und das Selbstbewußtsein der einzelnen!

Daniel Hohnerlein, Ludwigsburg


Wie überall im Land haben sich die Zirkel Schreibender Arbeiter nach der Konterrevolution aufgelöst oder wurden heimatlos, verloren die Leiter oder die Mitglieder. Nur wenige Zirkel konnten sich bei anderen Institutionen angliedern oder als Schreibgruppen etablieren. Auch etliche neue, zum Teil bei den Volkshochschulen, sind entstanden, aber unter anderen Voraussetzungen und mit anderen Zielen. Da heute das Geld über den Druck entscheidet, nicht die Qualität, gibt es viele seltsame Auswüchse, die wenig mit Literatur zu tun haben.
In Brandenburg an der Havel gab es zwei Zirkel Schreibender Arbeiter, einen am VEB Stahl- und Walzwerk, geleitet von Dietrich Hohmann, und einen am IFA Getriebewerk unter der Leitung von Dieter Höhne. Da beide Betriebe die Kulturhäuser schlossen und die Leiter nicht mehr bezahlt wurden, fanden sich nur wenige Zirkelmitglieder, die weitermachen wollten. Diese schlüpften dann als Havelländer Autorengruppe unter das Dach des Kulturbundes e.V. und trafen sich wie gewohnt, um zu diskutieren und ihre Arbeiten vorzustellen. Sie veranstalteten zweimal im Jahr eine öffentliche Lesung, die gut besucht wurde. Nachdem der Fontane-Klub als Zusammenkunftsort wegen Betriebskostenzuschußforderungen nicht mehr zur Verfügung stand, mehrere Mitglieder austraten oder starben und niemand mehr die Leitung übernehmen wollte, fanden sich noch fünf Schreibende zusammen, davon nur ein ehemaliges "Zirkel"-Mitglied. Inzwischen sind es wieder sechs Schreiblustige, die sich wie gewohnt treffen und weiterhin die Tradition der Frühjahrs- und Herbstlesungen pflegen. Sie werden mit etwa 30 Zuhörern gut besucht. Diese "Überlebenden" gehören weiterhin zum Brandenburgischen Kulturbund e. V.
Eine Förderung wie in der DDR ist im Kapitalismus überhaupt nicht denkbar.

Beate Bölsche, Beetzsee


Im Februar 1986, als ich mit einem politischen Kabarettprogramm durch die Lande reiste, spielte mir ein Veranstalter ein wahrscheinlich vertrauliches Schreiben des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung in die Hände, das von einem gewissen Kubatz unterzeichnet und an die Friedrich-Naumann-Stiftung in Königswinter gerichtet war.
Bei der Lektüre dieses Schreibens standen mir die Haare zu Berge! Das wird verständlich, wenn man daraus die folgenden Sätze liest, die ich hier wörtlich zitiere: "Der Jahresbericht der hauptamtlichen Jugendoffiziere der Bundeswehr 1985 hat gezeigt, daß politische Realitäten nicht hinreichend wahrgenommen werden. So werden den USA zum Beispiel Überlegenheitsstreben, Kriegführungsdenken und geringes Interesse an Ergebnissen der Rüstungskontrollverhandlungen vorgeworfen. Eine generelle Bedrohung durch die Sowjetunion und den Warschauer Pakt wird zwar gesehen, die Ursachen für den West-Ost-Konflikt jedoch zunehmend nicht mehr der Sowjetunion allein angelastet. In dem Maße, wie die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Politik geringer bewertet wird, nimmt die positive Einschätzung der Sowjetunion zu. Daraus folgt der Auftrag für uns alle, durch intensive und zielgerichtete Aufklärungsarbeit den Bürgern die Bewertung der Zusammenhänge zu erleichtern ..."

Theodor Weißenborn, Gerolstein-Gees


Für viele Mitstreiter des Arbeitskreises "Kultur- und Bildungsreisen" in der GBM ist der "RotFuchs" ein treuer und wertvoller Weggefährte. Als kleines Dankeschön laden wir hiermit alle interessierten "Rotfüchse" zu unserem alljährlichen Herbsttreffen - diesmal am Sonnabend, dem 19. November, im Schloß Diedersdorf - herzlich ein. Es spricht der Botschafter der Russischen Föderation in der BRD Wladimir Grinin. Neben einem interessanten Kulturprogramm werden die Reisevorhaben für 2017 vorgestellt.
Die Abfahrt der Busse erfolgt um 9.30 Uhr am Ostbahnhof (Ecke Andreasstraße). Die Kosten für die Veranstaltung betragen 23 € und beinhalten Busfahrt, Mittagessen und Kaffeetrinken. Die Bezahlung erfolgt im Bus. Interessenten melden sich bitte telefonisch unter 030-557 83 97 oder schriftlich an GBM/Arbeitskreis "Kultur- und Bildungsreisen", Weitlingstr. 89, 10317 Berlin.

Klaus Radzinski, Berlin

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Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

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REDAKTION: Wolfgang Metzger, (V.i.S.d.P.)
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Redaktionsschluß für die übernächste Ausgabe ist der 20. eines Monats.

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Joachim Augustin
Dr. Matin Baraki
Konstantin Brandt
Prof. Dr. Götz Dieckmann
Ralph Dobrawa
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Bernd Gutte
Helmuth Hellge
Eberhard Herr
Erik Höhne
Lutz Jahoda
Rico Jalowietzki
Ralf Jungmann
Christa Kozik
Marcel Kunzmann
Rudi Kurz
Dr. Dieter Laser
Bruno Mahlow
Dr. Bernhard Majorow
Prof. Dr. Herbert Meißner
Jobst-Heinrich Müller
Horst Neumann
Cornelia Noack
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Erhard Richter
Prof. Dr. Horst Schneider
Prof. Dr. Rolf Sieber
Gisela Steineckert
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Quelle:
RotFuchs Nr. 225, 19. Jahrgang, Oktober 2016
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2016

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