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ROTFUCHS/209: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 256 - Mai 2019


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

22. Jahrgang, Nr. 256 - Mai 2019



Aus dem Inhalt

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Gemeinsam gegen Unrecht und Reaktion!

Der 1. Mai 2019 ist mit dem Gedenken an die Ereignisse in Berlin vor 90 Jahren, dem "Blutmai", verbunden. Was damals geschah, hatte furchtbare Folgen, ist eine bittere Lektion.

SPD-Polizeipräsident Karl Zörgiebel hatte 13.000 Polizisten in Berlin zusammengezogen, um ein Verbot von Mai-Kundgebungen durchzusetzen. Die Beamten erschossen als ersten einen SPD-Arbeiter, den Bauklempner Max Gemeinhardt, der in der Kösliner Straße 19 im Wedding wohnte und nicht schnell genug sein Fenster zur Straße schloß. Zwei weitere Bewohner der Straße wurden durch geschlossene Türen hindurch erschossen. Nach drei Tagen wurden 33 Tote und mehr als 200 Verletzte gezählt. Wie im März 1919 in Berlin-Lichtenberg oder am 2. Juni 1967, als der Student Benno Ohnesorg in Westberlin erschossen wurde, hatte die Polizei auch 1929 das Gerücht verbreitet, die Demonstranten benutzten Schußwaffen.

Unter kommunistischen Arbeitern, aber auch Intellektuellen wie Bertolt Brecht, der ein Massaker als Augenzeuge erlebte, herrschten Empörung und Verbitterung. Für die Zeitgenossen war der Blutmai eine Fortsetzung der SPD-Zustimmung zum Krieg 1914, des Bündnisses mit der kaiserlichen Armee 1918 und der Organisierung des Mordens in Berlin im Januar und im März 1919.

Das war der Hintergrund dafür, daß die KPD die verhängnisvolle Sozialfaschismusthese annahm. Im Juni 1929 fand der 12. Parteitag der KPD in den Weddinger Pharus-Sälen, Müllerstraße 143, statt. Noch unter dem Eindruck der Ereignisse kurz zuvor erklärte er, die SPD bereite "als aktive organisierende Kraft die Errichtung der faschistischen Diktatur vor". Die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung war zementiert - trotz aller Bemühungen um eine antifaschistische Front.

Erst nach der Machtübergabe an Hitler 1933 korrigierten die Kommunistische Internationale und die KPD ihre Fehleinschätzung und verwarfen sie auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale 1935. Vor allem Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht folgten dem im selben Jahr auf der "Brüsseler Konferenz" der KPD. Es ging nun darum, den Weltkrieg zu verhindern. Zu den Grundlagen des Marxismus-Leninismus gehört seit dieser Zeit: Nur die Aktionseinheit aller Teile der Arbeiterklasse und ein Bündnis aller politischen Strömungen, die sich Faschisten und Krieg entgegenstellen, können den Imperialismus daran hindern, eine faschistische Diktatur zu errichten und einen Weltkrieg zu entfesseln. Die antifaschistische Demokratie wurde zum strategischen Ziel.

Dieser entscheidende Wandel läßt sich am Schicksal eines Liedes verdeutlichen, das zum kulturellen Erbe der deutschen Arbeiterbewegung gehört: "Roter Wedding". Erich Weinert (1890-1953) hatte den Text nach dem "Blutmai" im Auftrag einer Agitpropgruppe verfaßt, Hanns Eisler ihn vertont.

Das Lied wurde so populär, daß die Nazis versuchten, es mit eigenem Text unter die Leute zu bringen. Das Lied faßt die Empörung, die zur "Sozialfaschismusthese" führte, zusammen: "Links, links, links, links! Trotz Zörgiebels Polizei! / Links, links, links, links! Wir gedenken des Ersten Mai! / Der herrschenden Klasse blut'ges Gesicht, / der rote Wedding vergißt es nicht / und die Schande der SPD! / Sie wollen uns das Fell über die Ohren ziehn, doch wir verteidigen das rote Berlin, / die Vorhut der roten Armee." Nach 1945 erfuhr der Text in der DDR Änderungen, die auf Schallplatten des Sängers Ernst Busch (1900-1980) festgehalten sind: "Kämpfen wir als Sozialisten endlich in einer Front. / Arbeitsbrüder, Kommunisten, Rot Front, Rot Front. / Links, links, links, links, die Trommeln werden gerührt. / Links, links, links, links, die Arbeiterklasse marschiert. / Wir fragen euch nicht nach Verband und Partei, / seid ihr nur ehrlich im Kampf mit dabei, / gegen Unrecht und Reaktion."

Es ist höchste Zeit, in diesem Sinn aus der Geschichte, d. h. von der DDR, zu lernen.

Arnold Schölzel

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Genug ist genug - es reicht

Nach Berechnungen, die zur Zeit von der Trump-Administration angestellt werden, sollen die Stationierungsgebühren für die US-Truppen vollständig plus einem Aufschlag von mindestens 50 % von Deutschland und den anderen Ländern, in denen sich US-Basen befinden, bezahlt werden. Statt bisher 1 Milliarde Dollar (28 % der Stationierungskosten) pro Jahr, die Deutschland ohnehin schon bezahlt, wären es ca. 6 Milliarden (150 % der Stationierungskosten), bei "gutem Benehmen" nur bis zu 4 Milliarden (100 %). Bei "gutem Benehmen" - wenn Deutschland besonders unterwürfig ist oder wenn es sich besonders kriegswütig und völkerrechtswidrig verhält -, würde der Aufschlag erlassen bzw. reduziert. 6 Milliarden Dollar dafür, daß niemals ein Bewohner dieses Landes im US-Militärkrankenhaus bei der Air Base Ramstein behandelt wird, für die Intensivierung der völkerrechtswidrigen Drohneneinsätze, für US/NATO-Interventionseinsätze, für die massive Zerstörung der Umwelt und die Vergiftung der Bevölkerung, für noch mehr Verkehrstote durch US-Soldaten, ohne daß sie von der deutschen Justiz dafür zur Rechenschaft gezogen werden können - Milliarden für weltweite Kriege. Wir sagen tausendmal nein! Das Geld brauchen wir für Schulen und Kitas, sozialen Wohnungsbau, Krankenhäuser, öffentlichen Nahverkehr, kommunale Infrastruktur, Alterssicherung, ökologischen Umbau, Klimagerechtigkeit - aber bestimmt nicht für Kriege. Der Truppenstationierungsvertrag mit den USA muß gekündigt werden!

Das Geld, das wir für die Stationierung ausländischer Truppen bezahlen sollen, würde mehrfach für die Konversionsprogramme (Umstellung vom Militärischen zu Zivilem) für Ramstein und die anderen Militärbasen reichen.

Nein zu dieser Vasallentreue! Oder lassen gemeinsame imperiale Interessen an einer westlichen ökonomischen und militärischen Dominanz die Bundesregierung, entgegen den Interessen der Bevölkerung, noch tiefer für die Mächtigen der USA und ihre gemeinsamen Kriege in die Tasche greifen?

Durch Untätigkeit (noch weniger mit blindem Vertrauen in diese Bundesregierung) wird sich dies alles nicht verhindern lassen - aber wir haben mehr und neue Chancen für einen starken Protest! Deshalb sind die Ramstein-Protestaktionen dieses Jahr - vom 23. bis 30. Juni - so wichtig.

Mit neuen Argumenten, mit noch mehr Empörung in der Bevölkerung, mit einem klaren Nein zum "Trumpschen Bereicherungs-Deal", können wir es schaffen: Die Air Base Ramstein und alle US-Basen müssen geschlossen werden - um des Friedens willen und nun auch wegen unseres Geldes.

Aufmüpfig statt unterwürfig, Zivilcourage statt US-Kriegstreue - das ist die Herausforderung auch an die Bundesregierung!

Reiner Braun und Pascal Luig

Koordinierungskreis der Kampagne "Stopp Air Base Ramstein!"
www.ramstein-kampagne.eu

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Wie die NATO 1999 das Völkerrecht zerstörte

In einer Erklärung des Außenministeriums Rußlands zum 20. Jahrestag der NATO-Aggression gegen Jugoslawien heißt es:

Am 24. März 1999 begann die NATO ihre Bombenangriffe gegen Jugoslawien, die 78 Tage dauern sollten. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einer Aggression gegen einen souveränen europäischen Staat, der ein aktives Mitglied der Antihitlerkoalition und Mitbegründer der UNO sowie des internationalen Sicherheitssystems in der Nachkriegszeit gewesen war. Die Allianz hatte keine legitimen Gründe für solches Vorgehen, vor allem kein Mandat des UN-Sicherheitsrats. Mit dieser Aggression wurden die Basisprinzipien des Völkerrechts, die in der UN-Charta und in der Schlußakte von Helsinki verankert sind, sowie die internationalen Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten der NATO verletzt.

Das Vorgehen der Allianz widersprach zudem selbst dem Nordatlantischen Vertrag von 1949, in dem sich die NATO-Länder verpflichtet hatten, Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit in der Welt nicht zu gefährden und auf Gewaltanwendung bzw. Drohung mit Gewaltanwendung in den internationalen Beziehungen zu verzichten, falls dies den Zielen der UNO widerspricht. Damit begann die Auswechslung des Völkerrechts durch die "Ordnung", die sich auf gewisse willkürlich bestimmte Regeln, und zwar auf das Recht des Stärkeren, stützt. Im Laufe der Bombardements, die zynisch als "humanitäre Intervention zu gutem Zweck" bezeichnet wurden, kamen etwa 2000 Einwohner, darunter mindestens 89 Kinder, ums Leben. Dabei gab es unter den Opfern viele Kosovo-Albaner, für deren "Rettung" sich die NATO engagierte. Tausende zivile Objekte in Dutzenden Städten sind zerstört worden. Und wegen des Einsatzes von Munition mit abgereichertem Uran wurden in vielen Gebieten Boden und Wasser verseucht, was einen wesentlichen Anstieg der Zahl von Krebserkrankungen auslöste.

Unter dem Vorwand der Vorbeugung einer angeblichen "humanitären Katastrophe" hat man die Autonome Region Kosovo zwangsläufig vom Land abgetrennt. In Wirklichkeit wurde ausgerechnet die NATO zum "Katalysator" einer wahren menschlichen Tragödie (zum "Vorhang", hinter dem antiserbische "ethnische Säuberungen" durchgeführt wurden), wegen der mehr als 200.000 Einwohner nichtalbanischer Nationalität ihre Heimat verlassen mußten. Zehntausende Objekte, die ihnen gehört hatten, bleiben immer noch von Pristina- und Kosovo-Albanern usurpiert. Eine Heimkehr von Flüchtlingen und Zwangsumsiedlern läßt sich kaum beobachten.

Unter dem "Schutzschild" der NATO-Bombardements begingen die Kosovo-Albaner fürchterliche Verbrechen - unter anderem entführten sie Serben zwecks illegalen Handels mit menschlichen Organen. Diese Fakten wurden vom Berichterstatter des Europarats Dick Marty im Dezember 2010 veröffentlicht. Seit Juli 2017 funktioniert unter der Ägide der Europäischen Union der zuständige Sondergerichtshof, dessen Aufgabe es ist, die Schuldigen zu bestrafen. Aber bisher wurde noch niemand angeklagt. Wir gehen davon aus, daß alle mit diesen Verbrechen verbundenen Kämpfer aus der sogenannten Befreiungsarmee des Kosovo vor Gericht gestellt werden müssen - egal, welche Posten sie jetzt in Pristina bekleiden.

Wir stellen fest, daß die NATO mit ihrem Überfall auf Jugoslawien vor 20 Jahren die Mechanismen zerstörte, die jahrzehntelang Frieden und Sicherheit in Europa gesichert hatten. Dabei wurde das Kosovo-Problem nicht gelöst - im Gegenteil: Die Region bleibt nach wie vor die größte Quelle der Instabilität und der Krisenerscheinungen auf dem Balkan. Aber hätte es denn anders geschehen können, wenn man bedenkt, daß die NATO frühere Kämpfer der "Befreiungsarmee des Kosovo" in Pristina an die Macht geführt hat, die später außer Kontrolle ihrer Beschützer geraten sind?

Die schwere Last der Verantwortung für ein solches Vorgehen und für dessen Folgen liegt voll und ganz auf der Führung der Allianz und ihrer Mitgliedsstaaten, die sich an der Aggression gegen Jugoslawien beteiligten. Dieser schändliche Fleck wird den Ruf der NATO auf ewig beschmutzen. Ihn kann auch die intensive Einbeziehung der Länder der Region in die Allianz nicht beseitigen, welche die Trennungslinien auf dem Balkan immer tiefer und die gesellschaftlichen Kontroversen immer krasser machen.

(Red. bearbeitet)

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"Partnerschaft" nach Art der USA

Auf dem Gipfel der Asiatisch-Pazifischen-Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) im November 2018 in Papua-Neuguineas Hauptstadt Port Moresby riet US-Vizepräsident Michael Pence den am Gipfel teilnehmenden Ländern: "Nehmen Sie keine Kredite an, die Ihre Souveränität gefährden können. Schützen Sie Ihre Interessen. Erhalten Sie sich Ihre Unabhängigkeit. Machen Sie es wie Amerika: immer Ihr eigenes Land zuerst . Wir suchen Zusammenarbeit, keine Kontrolle. Wir ertränken unsere Partner nicht in einem Schuldenmeer, wir gefährden nicht Ihre Unabhängigkeit. Wenn Sie eine Partnerschaft mit uns eingehen, dann sind wir Ihre Partner, und wir alle sind erfolgreich."

Wie sieht eine solche "Zusammenarbeit" und "Partnerschaft" mit den USA aus? In einem Beitrag, den das "Voltaire-Netzwerk" am 29. Januar veröffentlichte, schrieb Thierry Meyssan: "Die Vereinigten Staaten haben ein Projekt für das Karibik-Becken, welches das Pentagon im Jahr 2001 angekündigt hat. Es ist ein destruktives und tödliches, ein verwerfliches Projekt. Daher bemühen sie sich, eine akzeptable Legende zu finden. Wir sehen das in Venezuela: Der Anschein verdeckt allmählich die Realität; während der Demonstrationen geht die Vorbereitung des Krieges weiter."

Am 23. Januar organisierten sowohl die Anhänger Maduros als auch die Opposition in Caracas Demonstrationen. Auf letzterer erklärte sich Juan Guaidó zum Übergangspräsidenten. Die Regierungen der USA, Kanadas, Großbritanniens und Israels erkannten den neuen "Präsidenten" sofort an. Die Europäische Union folgte. Washington gelang es in der Folgezeit, ein Viertel der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen davon zu "überzeugen", das Ergebnis der venezolanischen Präsidentschaftswahlen vom Mai 2018 und damit die Legitimität der zweiten Amtszeit des Präsidenten Maduro nicht anzuerkennen. Gegenwärtig hat also die Bolivarische Republik Venezuela einen verfassungsmäßig gewählten Präsidenten und einen selbsternannten Übergangspräsidenten.

Dieses Szenarium ist nicht neu. In Syrien wurden "innere Unruhen" (2011) drei Jahre später in eine Aggression durch eine Söldnerarmee verwandelt. Das syrische Modell funktionierte nur teilweise. Das lag daran, daß sich Rußland und China im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen widersetzten. Außerdem bewiesen das Volk und die Regierung Syriens eine große Widerstandsfähigkeit.

Und schließlich unterstützte die russische Armee die syrische Armee gegen die ausländischen Söldner und die NATO. Die USA kündigten an, sich aus Syrien zurückzuziehen. Das Pentagon hat für die Dschihadisten keine Verwendung mehr. Washington gelang es nicht, den syrischen Staat zu zerschlagen. Aber sie verletzten ihn schwer. Trump wird das Finanzministerium in Marsch setzen, um den Wiederaufbau des Landes und des Staates zu stören.

In Venezuela übernahm die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) die Rolle, die in Syrien die Arabische Liga spielte. OAS-Generalsekretär Luis Almagro, der im Dezember 2018 aus der linken Frente Amplio, der Regierungspartei Uruguays, wegen seiner US-getreuen Positionen zu Venezuela und Nikaragua ausgeschlossen wurde, hat den "Präsidenten" Juan Guaidó anerkannt.

In Venezuela wollen die USA unter Ausnutzung von Guaidó zunächst den rechtmäßigen Präsidenten Nicolás Maduro stürzen, um dann ihr Hauptziel anzusteuern, den Staaten des Karibischen Beckens die Rumsfeld-Cebrowski-Doktrin der Zerstörung der Staatsstrukturen aufzuerlegen. Im kalten Krieg zur Zeit der UdSSR wollten die USA ganz Amerika kontrollieren und jeglichen Einfluß des "Ostblocks" dort ausschließen. Heute geht es ihnen darum, den weiteren Vormarsch der Fortschrittskräfte Lateinamerikas und der Karibik zu stoppen und verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Washington will die natürlichen Ressourcen dieser Region, vor allem das Erdöl, mit geringstmöglicher nationaler Kontrolle und zu den niedrigsten Kosten ausbeuten. Deshalb planen die Strategen der USA, die nationalen staatlichen Strukturen zu zerschlagen. Die Länder dieser Region sollen faktisch Protektorate der USA werden.

In seiner Rede anläßlich des 85. Todestages des nikaraguanischen Nationalhelden Augusto C. Sandino am 21. Februar 2019 sagte Comandante Daniel Ortega, daß die Herrschenden der USA die Welt als eine unipolare betrachten. "Wir stehen in einem Kampf, in dem sich expansionistische Interessen bewegen ... Sie denken, daß die Fronten ständig durch militärische Kraftspiele eingeschränkt werden müssen. Obwohl die Welt in der Wirtschafts-, Handels- und militärischen Ordnung seit einiger Zeit multipolar geworden ist, weigern sie sich anzuerkennen, daß diese Welt so bleiben muß."

Für das Karibikbecken können die Staaten Lateinamerikas und der Karibik gemeinsam diesen teuflischen Plan durchkreuzen. In der erwähnten Rede sagte Comandante Daniel Ortega: "Wir müssen unsere Waffen in den enormen Reichtümern unserer Nationen in Lateinamerika und der Karibik sehen. Der wichtigste Reichtum sind unsere Völker mit ihrer Identität; kreative, unternehmerische und kämpferische Völker und dann die natürlichen Ressourcen der gesamten Region . Wenn wir uns in der lateinamerikanischen und karibischen Region gut entwickeln und fest vereinen, dann können wir eine große Macht für den Frieden werden ­..." Und es bedarf der internationalen Solidarität mit Venezuela, Nikaragua und Kuba!

Wolfgang Herrmann
Dreesch

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Im Visier: Venezuela, Nikaragua, Kuba

Unter den jetzigen Umständen könne man nur für oder gegen den Frieden, könne man nur für oder gegen den Krieg sein, sagte der kubanische Außenminister Bruno Rodriguez während einer Pressekonferenz am 20. Februar, als er den entscheidenden Moment ansprach, den die Region angesichts der Drohung der Vereinigten Staaten, in Venezuela einzudringen, erlebt. Es seien deshalb Momente, in denen "die Einhaltung und die Gültigkeit der Prinzipien des Völkerrechts und der Charta der Vereinten Nationen entschieden werden. Entschieden wird, daß der Grund für die Legitimität einer Regierung in der Unterstützung und Abstimmung ihrer Bürger liegt und kein ausländischer Druck die souveräne Ausübung der Selbstbestimmung ersetzen kann." Dies sagte Rodriguez, nachdem die kubanische revolutionäre Regierung am 13. Februar die Absicht der Vereinigten Staaten angeprangert hatte, zu intervenieren, und unter anderem die Bewegung von Militärtransportflugzeugen von US-Stützpunkten an den Orten ansprach, wo sich Einheiten des Kommandos für Spezialoperationen und des Marine Corps befinden, die für verdeckte Aktionen, auch gegen Führer anderer Länder, eingesetzt werden.

In diesem Fall bezog er sich auf die Flüge, die zwischen dem 6. und 10. Februar die USMilitärbasen am Flughafen Rafael Miranda (Puerto Rico), den Luftwaffenstützpunkt San Isidro (Dominikanische Republik) und andere in der Karibik anflogen, und verurteilte den Druck und die Handlungen der Regierung von Washington bei der Vorbereitung eines militärischen Abenteuers, das als "humanitäre Intervention" in Venezuela getarnt ist, Vorbereitungen, die immer noch anhalten. Er erinnerte daran, daß Präsident Donald Trump erklärt hatte, daß "alle Optionen möglich sind".

Unter Hinweis auf die Regierungserklärung betonte der Außenminister: "Wir erleben eine Fabrikation humanitärer Vorwände, wobei eine Frist gesetzt wird, innerhalb der der Eintritt von 'humanitärer Hilfe' mit Gewalt erzwungen werden soll, was an sich schon ein Widerspruch ist: Es ist nicht möglich, daß sich wahre humanitäre Hilfe auf Gewalt, auf Waffengewalt oder auf die Verletzung des Völkerrechts stützt, ein Ansatz, der tatsächlich einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht darstellt." Er erinnerte daran, daß Kuba die Bemühungen von Mexiko und Uruguay und anderen unterstütze, die versuchen, einen Weg des Friedens und des Dialogs zu finden, und forderte die internationale Gemeinschaft auf, sich zu mobilisieren, um jede Maßnahme zu verhindern, die sich für eine Intervention eigne, die in den Händen US-amerikanischer Fundamentalisten liege und ganz Lateinamerika erreichen würde.

Diese Warnung kam der Drohung der Regierung von Präsident Donald Trump gegen Venezuela zuvor, der am 19. Februar auf einer Konferenz an der International University of Florida in Sweetwater, Miami, sehr beredt, präzise und brutal war.

Einerseits forderte er die venezolanischen Militärangehörigen auf, ihr Vaterland zu verraten, indem er ihnen auf naive Weise drohte, sie würden "alles" verlieren, wenn sie den "Diktator" Nicolás Maduro weiterhin unterstützten. Neben anderen erstaunlichen Überlegungen und Drohungen stellte er die Behauptung auf: "Die Tage des Sozialismus sind gezählt, nicht nur in Venezuela, sondern auch in Nikaragua und Kuba." Er spielte "kalten Krieg". Das Imperium entblößte sich, zeigte sein altersschwaches Gesicht, seine absolute Dekadenz.

Außenminister Rodriguez lehnte diesen Versuch der Einschüchterung von Trump ab und sagte, US-amerikanische Analysten hätten die Rede in Florida als Wahlkampf eingestuft, als einen Versuch, auch die demokratischen Führer (in den USA) einzuschüchtern, die Wähler allgemein und vor allem die mit dem System unzufriedenen Jugendlichen, die vom Präsidenten beschuldigt werden, den Sozialismus einführen zu wollen.

Für Rodriguez war der wichtigste "theoretische Beitrag" von Trump in seiner Rede die Einbeziehung des McCarthyismus in die Monroe-Doktrin der Behauptung einer einzigen imperialistischen Macht, "dem er einen extremen, altmodischen Kalten-Kriegs-Antikommunismus hinzufügte".

Aufrüstung für die Intervention

Neben eine Information der Regierung Kubas über die Luftbewegungen in der Karibik schrieb der Fachjournalist Tom Rogan in seinem Artikel "Die US-Militärmacht konzentriert sich stillschweigend in der Nähe von Venezuela" (am 15. Februar im "Washington Examiner" veröffentlicht), daß die US-Regierung zwei ihrer Flugzeugträger, die Theodore Roosevelt und das amphibische Angriffsschiff USS Boxer, das die 11. Expeditionseinheit der Marine (MEU) an Bord hat, entsandt habe. Die Charakteristika der MEU "würden ein angemessenes Gleichgewicht zwischen einem Versuch des Umstimmens des Regimes von Nicolás Maduro und der Androhung einer Invasion darstellen", sagte Rogan.

In den vergangenen Tagen haben mehrere Medien das Auslaufen einer Angriffsgruppe mit Flugzeugträgern (CGS) vor der Küste von Florida in einer Flotte bestätigt, die aus dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln (CVN-72), einem Raketenkreuzer der Klasse Ticonderoga USS Leyte Gulf und vier Zerstörern der Arleigh-Burke-Klasse, USS Bainbridge, USS Gonzalez, USS Mason und USS Nite, sowie einer Fregatte der spanischen Marine Mendez Núnez besteht. Eine echte Bedrohung oder ein Spiel mit der Abschreckung?

Inzwischen bildeten große US-Militärflugzeuge einen Korridor nach Cúcuta, an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze, angeblich beladen mit Tonnen von "humanitärer Hilfe", die mit großer Publizität bedacht wurde. Am 10. Januar bestätigte der Präsident von Panama, Juan Carlos Varela, die Angaben von politischen und sozialen Bewegungen über einen Transfer von mächtigen Artillerie-Hubschraubern aus den Vereinigten Staaten auf den US-Militärstützpunkt in Darien, einer an Kolumbien grenzenden Provinz.

Varela sagte, daß er am 4. Januar nach Florida gereist war, um sich mit dem Kommandanten des US-Südkommandos Craig Faller in seinem Hauptquartier zu treffen, natürlich ohne Erlaubnis des Parlaments und praktisch im geheimen.

Die Vereinigten Staaten haben Venezuela mit Militärstützpunkten in Kolumbien, Aruba, Peru, Paraguay und anderen karibischen Inseln umgeben. In den Gebirgsgegenden von Montes de Oca im kolumbianischen Departamento La Guajira wurden Truppenbewegungen gemeldet. Am 11. Februar gab es an diesem Ort ein ständiges Starten und Landen von US-amerikanischen Kampfflugzeugen und Kampfhubschraubern. Dabei wurden Drohnen, die venezolanische Gebiete fotografieren und filmen, und das Eintreffen gepanzerter Ausrüstung bei der Lufteinheit beobachtet.

Die venezolanische Regierung selbst hat die langjährige Präsenz kolumbianischer paramilitärischer Organisationen an der Grenze zu Venezuela angeprangert, die eine Reihe von Verbrechen und Straftaten begangen haben. Dies wird auch im sogenannten Putsch- oder Masterplan erwähnt.

Der "Masterstroke" des US-Südkommandos wurde entworfen, als Admiral Kurt Tidd im Februar 2018 noch dessen Befehlshaber war. Die venezolanische Regierung nennt einige paramilitärische Organisationen - die auch im Masterplan eingetragen sind -: der Golfclan, die Uribehos, die Rastrojos, die Águilas Negras, Experten für die Ermordung sozialer und indigener Führer.

Weitere ähnliche wurden geortet: Resistencia Radical Venezolana (Venezolanischer Radikaler Widerstand) oder der "Widerstand der Jesuiten israelischen Ursprungs", insbesondere in den Bundesstaaten Zulia, Táchira und Apure, mit Gruppen, die in der Nähe der internationalen Brücke Tienditas agieren.

Es gibt Analysten, die auf die Grenzen zu Brasilien blicken: nach Roraima, Manaus und Boavista, insbesondere, nachdem zum ersten Mal in der Geschichte ein General der brasilianischen Armee - in diesem Fall General Aleides Farfas jr., der für das Brigadekommando von Ponta Grossa im Bundesstaat Paraná verantwortlich ist - zum Unterkommandanten der US-Truppen ernannt wurde, um dem Südkommando anzugehören. Dies hat zu einer echten Krise im militärischen Bereich dieses Landes geführt, da, wie die brasilianische Zeitung "Valor" schrieb, sich die Möglichkeit ergeben könnte, daß Farfas eine Intervention in Venezuela anführe, da er bereits dem Fort Sam Houston zugeteilt würde, das dazu bestimmt ist, an diesen Aktionen teilzunehmen.

Der ehemalige Außen- und Verteidigungsminister Celso Amorim sagte, dies würde dazu dienen, "eine eventuelle militärische Intervention der Vereinigten Staaten in Lateinamerika und der Karibik zu legitimieren und einer Einheit dieses Landes eine ähnliche Rolle wie die der NATO zu verleihen, ohne daß zu diesem Zweck ein Vertrag unterzeichnet worden wäre".

Trumps Drohungen an das venezolanische Militär waren ein Bumerang, denn dieses fühlte sich angegriffen und erniedrigt und gab eine klare Antwort, indem es sich entschlossen zeigte, seine Heimat zu verteidigen.

Das US-Kriegsabenteuer bedroht die gesamte Region, aber auch die Vereinigten Staaten selbst. Das spiegelt sich im Widerstand verschiedener politischer und sogar militärischer Sektoren dieses Landes gegen die Prahlerei Trumps trotz des Medienkrieges wider, der Teil des Schemas dieser asymmetrischen Kriegsführung ist, dieses "hybriden Krieges" oder welchen Namen man diesem klaren Versuch eines Kolonialkriegs der Aneignung von Ressourcen und Territorien auch geben will.

Aber wir müssen etwas Stärkeres hervorheben, und das ist das Widerstandsvermögen, das die Regierung von Nicolás Maduro, das Volk und die patriotischen Streitkräfte Venezuelas gezeigt haben. Dabei haben sie sehr ernste Situationen überwunden, wie vorher bereits der venezolanische und lateinamerikanische Führer Präsident Hugo Chávez Frias bei dem von den Vereinigten Staaten entworfenen gescheiterten Putsch im April 2002. Von diesem Moment an hat es 25 Wahlen gegeben, die von Chávez und seinem Nachfolger Nicolás Maduro gewonnen wurden, und zwei, die sie verloren, was von der Regierung anerkannt wurde.

Als die Opposition 2016 im Kongreß die Mehrheit erreichte, war das erste und einzige Versprechen und Programm, das der damalige "demokratische" Parlamentspräsident Henry Ramos Allup ankündigte, daß sie Maduro vor Ende 2016 stürzen würden. Inzwischen sind wir im Jahr 2019. Maduro wurde im Mai 2018 bei Wahlen wiedergewählt, die beobachtet und überprüft wurden und an denen Vertreter der Opposition teilnahmen, die sich lieber zur Wahl stellten, als eine ausländische Macht zu einer Intervention aufzurufen. Dies machte Washington nervös und führte dazu, daß es seine Maske fallen ließ.

Niemand kann so tun, als wisse er nicht, worum es geht. Entweder ist man für den Frieden oder gegen den Frieden, entweder ist man für den Krieg oder gegen den Krieg!

Stella Calloni

(Siehe auch den Beitrag "Top secret: Der 'Meisterschlag' der USA gegen Venezuela", RF 249, S. 7)

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Rüstungsexporte stoppen!

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Am Krankenbett der Linkspartei

Einer der gründlichsten Kenner der Geschichte der Partei Die Linke ist Ekkehard Lieberam. In einer neuen Publikation des pad-Verlages, die als Diskussionsangebot nicht nur mit Blick auf diese Partei gedacht ist, diagnostiziert er eine schon lange bekannte Krankheit der "Linken", gegen die nur eine Therapie hilft: "Mehr Marx als Murks". Aber die Krankheit ist so weit fortgeschritten, daß eine Heilung kaum zu erwarten ist. Zumal der Patient die Therapie verweigert. Die Linkspartei ist ganz offensichtlich nicht die Antwort auf die Frage: "Welche Partei brauchen die abhängig Arbeitenden im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts?" Sie sei, so der Autor, eine "Sowohl-als-auch Partei", die "zwischen weiterer Anpassung und Gegenmachtstrategie" schwankt, die "zwei Gesichter" hat, deren Führung "statt den politischen Gegner zu nerven", über zwei Jahre hinweg vorrangig "sich selbst" genervt hat. Sie werde zu "einer zweiten sozialdemokratischen Partei mit einigen wichtigen Besonderheiten". Einen "reformistischen Weg progressiver Reformen" mittels "Stellvertreterpolitik" gebe es nicht. Es gehe darum, "die Lohnarbeiterklasse selbst politisch zu stärken".

In kenntnisreicher Weise und mit theoretischem Tiefgang zeichnet Lieberam in einer Art Soziologie der Krise den Weg der PDS bis zu ihrer Vereinigung mit der WASG und dann zur Linkspartei nach. Deutlich wird, daß die Linkspartei auch dem Entwicklungsprozeß folgt, der den Niedergang der PDS bestimmte, allerdings auf eine andere Art und Weise. Zusammen mit der Führungskrise gebe es noch eine Orientierungskrise, die vor allem im Konzept des Mitregierens der Führung der Linkspartei ihre Ursache habe. Diese sei "ein aktuelles Beispiel für eine Hinwendung einer Partei der Lohnabhängigen, die die Systemfrage stellt, zu einer systemkonformen Parlamentspartei, die sich in das parlamentarische Regierungssystem einordnet, das nicht zuletzt die Funktion hat, die Klassenkonflikte zu verschleiern und zu befrieden". Der Widerspruch zwischen Integration und Gegenmachtstrategie durchdringt die Politik beider Parteien. "Die Losung 'Mehr Ramelow wagen' ist mit Linksblinken und Systemkritik schlecht vereinbar." Dennoch sei Die Linke nach wie vor auch Operationsbasis für eine kämpferische Klassenpolitik.

In den Kapiteln "Kurze Geschichte der 'Klasse für sich selbst'" und "Klassenpolitik und Klassenpartei heute" gibt der Autor einen Abriß der deutschen sozialistischen Parteiengeschichte und formuliert Anforderungen an die Linken insgesamt. Deutlich wird, daß es nicht ausreicht, nur zu sagen, daß keine Partei irgendwann eine Entwicklung umgekehrt hat, sondern stets von dieser umgekehrt wurde. Die subjektiven Faktoren spielen schon eine Rolle. Die Funktion einer "neuen Sozialschicht der Partei" (Wolfgang Abendroth), die Abwendung vom Marxismus genau in dem Maße, wie sich sozialistische Parteien auf das parlamentarische Spiel einlassen, wie sie zu "verstaatlichten Parteien" werden (Lieberam bezieht sich hier auf Johannes Agnoli) und die Anpassung an den desolaten Zustand der Klasse zunimmt - dies alles ist zu berücksichtigen. Ansonsten wäre jegliche Arbeit an der Organisation überflüssig. Jedoch - auch das wird bei Lieberam deutlich: Es gibt ab einem bestimmten Punkt kein Zurück ...

Für den Autor steht fest: "Eine marxistische Linke, die diesen Namen verdient, muß in der Debatte um Lageanalyse und Handlungsorientierung illusionslos das ganze Ausmaß des konterrevolutionären Umbruchs von 1991 begreifen." Für die Linkspartei macht er geltend, daß deren innere Auseinandersetzungen kennzeichnet, "daß mit den in ihr um die politische Führung ringenden zwei Führungsduos (um die Parteivorsitzenden und die Fraktionsvorsitzenden) sich ... zwar nicht opportunistische Reform- und Regierungslinke und marxistisch antikapitalistische Linke gegenüberstehen, aber eben auch nicht zwei gleichermaßen 'regierungswillige' Führungsgruppen". Die Wagenknecht-Linie mag mit politischen Illusionen behaftet sein. Aber die Orientierung auf die Entwicklung von Gegenmacht, so Lieberam, stimme.

Die gegenwärtige Epoche sei eine Epoche konterrevolutionärer Umwälzungen, in der wir es momentan mit einer "objektiv gegebenen Orientierungskrise linker Politik" zu tun hätten, zu der eine "spezifische Orientierungskrise der Linkspartei" hinzukomme.

Mehrfach weist der Autor nach, daß linke Parteien dann ihren Sinn erfüllen, "wenn sie sich als Teil eines politischen Systems des Klassenwiderstandes verstehen und zunächst erst einmal den Klassencharakter des politischen Überbaus begreifen, verstehen, daß 'das innerste Geheimnis, die verborgene Grundlage der ganzen gesellschaftlichen Konstruktion und daher der politischen Form aus dem Verhältnis der Eigentümer der Produktionsbedingungen zu den unmittelbaren Produzenten hervorwächst.'" Davon sei bei der Linkspartei wenig übriggeblieben. Klassenpolitik sei dann erfolgreich, wenn sie auf "Distanz zu den Regierenden geht und sich auf ganz wenige Themen ... konzentriert ... Kleinere marxistische Parteien wie insbesondere die DKP haben in diesem Kampf ihren wichtigen Platz."

Der Autor zweifelt daran, daß angesichts der "Konfrontationsregie" und der "Niedertracht" in der Linkspartei "zwischen den beiden Führungsgruppen dennoch ein sachlicher Gedankenaustausch über den Weg des Kampfes für soziale Gerechtigkeit und eine friedliche Außenpolitik der Bundesrepublik sowie ein politisches Miteinander noch möglich sind. "Der Aufbruch für einen politischen Richtungswechsel verlange "nach einer neuen außerparlamentarischen Opposition, nach politischer Auseinandersetzung, im Handgemenge." Deshalb weise die Sammlungsbewegung Aufstehen in die richtige Richtung.

Die streitbare Schrift von Ekkehard Lieberam ist sehr verständlich geschrieben. Allein das in ihr veröffentliche Zahlenmaterial, das quantitativ belegt, was inhaltlich behauptet wird, ist das Studium des Textes wert. Es sollte sich kein Marxist die Gelegenheit entgehen lassen, mit Lieberam in die Geschichte der Linken einzutauchen. Die Titelblatt-Illustration "Gottvertrauen" setzt den I-Punkt aufs Ganze.

Herbert Münchow
Leipzig

Ekkehard Lieberam: Am Krankenbett der Linkspartei.
Therapie: Mehr Marx als Murks.
pad-Verlag, Bergkamen 2019, 84 S., 5 €.
Bestelladresse: pad-verlag@gmx.net
oder: Am Schlehdorn 6, 59192 Bergkamen

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- Christoph Butterwegge u. a.:
Rechtspopulisten im Parlament
Polemik, Agitation und Propaganda der AfD

Die Rechtspopulisten nur als "Rattenfänger" oder "braune Demagogen" abzutun, führt zur Unterschätzung der mit den Wahlerfolgen dieser Parteiformation einhergehenden Gefahren. Butterwegge, Hentges und Wiegel analysieren klar: Nur ein konsequenter Kampf gegen die äußerste Rechte, der zivilgesellschaftliche Aktivitäten und außerparlamentarische Initiativen einschließt, kann eine Normalisierung der parlamentarischen AfD-Repräsentanz verhindern.

Westend-Verlag, Frankfurt a. M. 2018, 256 S., 20 €

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Gespräche über die Abkehr vom Sozialismus

Klaus Kukuk, bekannt für seine Analysen der Vorgänge in der CSSR im Jahre 1968, hat eine Übersetzung der drei Gespräche angefertigt, die Michail Gorbatschow und Zdenek Mlynár in den Jahren 1993 und 1994 in Wien, Moskau und Prag geführt haben.

Der Gesprächsband hat drei Hauptteile. Im ersten Teil wird - anknüpfend an ihre gemeinsame Studienzeit an der Moskauer Lomonossow- Universität von 1950 bis 1955 - ihre Sicht auf die Sowjetunion der 50er Jahre präsentiert. In einem zweiten Gespräch konzentrieren sie sich auf die Amtszeit von Gorbatschow, und im dritten Teil werden wichtige Elemente ihrer konzeptionellen Vorstellungen vom Sozialismus und zu internationalen Entwicklungslinien behandelt.

In ihren Gesprächen geht es zwar um zentrale Fragen der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft und der internationalen Auseinandersetzungen, aber ihre Betrachtungen zur gemeinsamen Studienzeit, zur Geschichte der Sowjetunion und zur Außenpolitik der UdSSR in den 80er Jahren sind davon geprägt, ihr eigenes Verhalten zu rechtfertigen und als positiv und alternativlos zu präsentieren.

Das Problem besteht darin, daß sie versuchen, dem Leser ihr subjektives Verhalten als Rechtfertigung des Revisionismus zu vermitteln. Es geht ihnen nicht darum, die Geschehnisse objektiv und unter dem Gesichtspunkt des Lernens zu betrachten. Sie stellen Deformationen in den Mittelpunkt, identifizieren diese mit Sozialismus und wollen so "beweisen", wie schwer sie es hatten, wie ausweglos ihre Situation war. Sie beteuern, Marxisten zu sein, Sozialismus zu wollen und sind in Wirklichkeit bemüht, den Revisionismus als Marxismus zu verkaufen.

Sich, ihre Konzeption und ihre Politik entlarven sie selbst. So stellt Mlynár im dritten Gespräch fest: "Wenn wir unsere heutige Vorstellung von Sozialismus knapp zusammenfassen wollen, können wir das ungefähr so formulieren: Sozialismus ist vor allem ein Entwicklungsprozeß, eine bestimmte Tendenz, die in der Industriegesellschaft danach strebt, Werte zu realisieren, die mit der sozialistischen Idee verbunden sind." Und Gorbatschow fährt fort: "Und wir zwei sollten uns öffentlich zu dem großen Fehler bekennen, den wir als Vertreter der kommunistischen Ideologie begangen haben, als wir Bernsteins These 'Die Bewegung ist alles, das Ziel ist nichts' als Verrat am Sozialismus erklärten. Der Sinn von Bernsteins Gedanken bestand darin, daß der Sozialismus nicht als System begriffen werden darf, welches infolge des gesetzmäßigen Zusammenbruchs des Kapitalismus entsteht, sondern daß Sozialismus die schrittweise Realisierung des Prinzips der gleichberechtigten Selbstbestimmung der Menschen bedeutet, welche die Gesellschaft, die Ökonomie und den Staat schaffen."

Indem sie Bernstein, den Stammvater des Revisionismus, zu ihrem Bannerträger machen, weisen sich beide als würdige Vertreter des Spießbürgers aus, der die Notwendigkeit des revolutionären Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus verworfen hat und ein Übereinkommen mit der Bourgeoisie sucht.

Sie beteuern, daß es ihnen sowohl in der CSSR als auch in der UdSSR um eine Erneuerung im Sinne der Stärkung des Sozialismus gegangen wäre. Gorbatschow spricht z. B. in Zusammenhang mit der Perspektive der UdSSR nach 1990 davon, daß er davon ausging, "daß schon ein neuer Sozialismusbegriff wirken würde". Diskutiert wurde zwischen ihnen über diesen "Begriff" offensichtlich schon lange vor den im Buch behandelten Gesprächen! Sonst hätte Mlynár nicht zu Gorbatschow sagen können: "Aber erinnere dich bitte: Als wir uns 1989 trafen, schätzten wir die Lage in den Ländern des realen Sozialismus einschließlich möglicher Perspektiven des Sozialismus im Sinne eines dritten Weges anders ein." Mlynár spricht wohl nicht zufällig von einem "Übergang von einem totalitären System zur Demokratie" von "einer Systemveränderung", die "sehr kompliziert und widersprüchlich" sei. Und Gorbatschow bestätigt: "Es war mir bewußt, daß der Weg zu einer neuen Gesellschaft sehr kompliziert sein würde, daß es notwendig war, ihn Schritt für Schritt, also auf evolutionären Wegen zu gehen." An anderer Stelle sagt er: "Erst Ende 1987 gelangten wir zu dem Schluß, daß wir ohne eine politische Reform nicht auskommen würden. Die ersten freien Wahlen öffneten neuen Leuten den Weg zur Macht. ... Es begann ein unabhängiges Parlament zu arbeiten, das schwierige Entscheidungen im Geiste der Perestroika übernahm. Mühsam, aber stetig begann sich die Struktur der Regierung zu verändern, es erfolgte die Demontage der alten Staatsmaschinerie. Neue gesellschaftliche Organisationen schossen wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden. In der Gesellschaft brodelte es, uns allen war manchmal unwohl, aber wir behielten die grundlegende Entwicklungsrichtung bei." Es wurden also politische Machtpositionen erobert und gesichert, es wurde die "Demontage der alten Staatsmaschinerie" durchgeführt, indem man "neue gesellschaftliche Organisationen" schuf, und "in der Gesellschaft brodelte es" - Instabilität war angesagt. Eine nicht unbekannte Strategie - schon 1968 in der CSSR und auch 1989/1990 sowie danach, von Jugoslawien, Syrien und bis heute in Venezuela gültig! Auch Mlynár gestand, daß in der CSSR 1968 in acht bis zehn Jahren ein politischer Wettbewerb verschiedener politischer Parteien in einer grundsätzlichen Veränderung des Systems enden sollte. In der ersten Etappe bedeutete das, alle möglichen Formen weltanschaulichen Meinungsstreits zuzulassen, verschiedenen Gruppen zu ermöglichen, sich zu äußern und sich am politischen Entscheidungsprozeß zu beteiligen. Und erst danach, nach ungefähr zwei Legislaturperioden, wurde es für möglich gehalten, "freie" Wahlen durchzuführen. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte die Partei durch Herausbildung verschiedener ideologischer Strömungen, Plattformen und Fraktionen aufgeweicht und zu einem Organismus sozialdemokratischen Typs entwickelt werden. Das sollte im wesentlichen die "Erneuerung" des Modells des politischen Systems in der Tschechoslowakei werden.

Beachtenswert ist dabei auch eine weitere Aussage von Mlynár: "Ich war gleichermaßen überzeugt, daß es - bliebe Frieden! - eine endgültige Lösung nur durch die Überwindung der totalitären Macht geben könnte. ­... Dein Aufstieg warf plötzlich neue Fragen auf. ... Trotz dieser Selbstzweifel mußte ich in der Presse, bei Fernsehauftritten und in wichtigen politischen Konsultationen eine eindeutige Haltung beziehen. Im Westen war ich zudem der einzige, der dich persönlich gut kannte - zumindest aus der gemeinsamen Studienzeit. Nicht nur Journalisten, auch Politiker wie Kreisky und Brandt, Diplomaten und Informationsspezialisten aus den USA und auch aus China waren plötzlich an Konsultationen mit mir interessiert."

Diesen Rahmen muß man schon beachten, will man die zahlreichen Aussagen zu den Grundfragen des Sozialismus wie Partei, Demokratie, Staat usw. und des weltweiten Kampfes um nationale und soziale Befreiung und Frieden richtig bewerten. Ihre Aussagen, Wertungen und Positionen zu innenpolitischen Fragen und zu den internationalen Entwicklungen werden bestimmt von dem Standpunkt, den Gorbatschow so formuliert: "Die gegenwärtige Gesellschaft ist nicht mehr geprägt vom Konflikt zweier Klassen. Es ist erforderlich geworden, Probleme der weiteren Entwicklung außerhalb dieses Schemas zu suchen. Das gilt auch für die Entwicklung von Institutionen einer demokratischen Gesellschaft. Ich sehe heute eine hoffnungsvolle Möglichkeit für die Weiterentwicklung der Konzeption der sozialen Partnerschaft." Und Mlynár sekundiert an anderer Stelle, "daß man den Sozialismus nicht als antikapitalistische Formation begreifen dürfe".

Wie gesagt: eine entlarvende Publikation!

Prof. Anton Latzo


Michail Gorbatschow und Zdenek Mlynár:
Gespräche in Wien, Moskau und Prag.
Herausgegeben und übersetzt von Klaus Kukuk.
Verlag am Park, Berlin 2019, 236 Seiten, 15 €

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Journalismus als Eskorte der Macht

Ich gebe zu: Ein wenig bin ich neidisch. Dieses Buch hätte ich gern selbst geschrieben. Der Journalist David Goeßmann macht das, was eigentlich wir Medienforscher machen müßten. Er fragt, was seine Kolleginnen und Kollegen seit dem Sommer 2015 über Flüchtlinge berichtet haben. Liefern sie das, was die Demokratie braucht? Zum Beispiel: Informationen für gute öffentliche Debatten. Die Regierung in Frage stellen. Sagen, was die Wissenschaft weiß. Solche Sachen.

Die wichtigste Antwort: Zwischen Politik und Medien paßt kein Blatt Papier. Der Journalismus als Eskorte der Mächtigen und nicht als ihr Gegenüber oder gar als ihr Kritiker. Man hat uns Bürgerinnen und Bürger "eingeschworen" auf den "offiziellen Kurs" - "durch rigide Filterung dessen, was als real und notwendig die öffentliche Bühne betreten durfte". Ein "Armutszeugnis", sagt der Klappentext.

Wenn David Goeßmann richtig liegt, wird dieses Buch nicht auftauchen im Medienmainstream. Alle auf "Parteilinie", beim Deal der EU mit der Türkei sogar Heribert Prantl, der ansonsten noch einigermaßen gut wegkommt bei Goeßmanns "komplexer journalistischer Gegenrecherche".

Zu dieser Recherche gehören Inhaltsanalysen. Methodisch keine große Nummer. Artikel zählen in der Pressedatenbank. In aller Regel reicht das schon. Die "Flüchtlingskrise" schlägt den Klimawandel (um den Faktor sieben) und den Atomkrieg sowieso. Das eine Schiffsunglück vor Lampedusa (im April 2015) schlägt auch eindeutig das nächste (ziemlich genau ein Jahr später), obwohl sich die Umstände und die Zahl der Toten gleichen. Dazwischen liegt die Erfindung der "bedrohten Republik". Wo Günter Jauch bei Fall eins noch eine Schweigeminute einlegt (live im Ersten, Sonntagabend), gibt es bei Fall zwei kaum noch Resonanz. David Goeßmann über die "Wahrheit", die "nicht ausgesprochen werden darf": Der "reichste Kontinent der Welt" will "Schutzsuchende mit aller Macht draußen vor der Tür halten".

Damit wir das akzeptieren, werden uns Märchen erzählt. Im Fernsehen natürlich, aber auch in der "Süddeutschen", im "Spiegel", in der FAZ. Man muß uns Märchen erzählen, sagt David Goeßmann, weil die meisten von uns helfen wollen und auch keine Angst haben, daß unser Land überfordert sein könnte, egal wie viele da kommen. Keine "abfallende Tendenz", keine "gekippte Stimmung". Allenfalls "Schwankungen", wenn es in der Öffentlichkeit besonders hitzig wurde, in der "Grundhaltung" aber immer positiv.

Die Märchen sind es, die nicht nur Medienforscher interessieren sollten, sondern jeden Zeitungsleser. Fake News da, wo wir Orientierung suchen. Der "Mythos von den flüchtlingsfreundlichen Medien" zum Beispiel, gefüttert auch von einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung, die den Journalisten (in den Worten von David Goeßmann) vorwarf, 2015 "gehorsam der naiv-humanen Merkel-Regierungslinie gefolgt" zu sein. Die "Gegenrecherche" sagt: "substanzlos". Selbst im Spätsommer keine Euphorie, nirgends. Statt dessen "Probleme wie Kontrollverlust, Orientierungschaos, kommunale Überbelastung, Druck auf den Wohnungs- und Arbeitsmarkt, Terrorgefahr, Kriminalität, Integrationsschwierigkeiten, Ablehnung und Feindlichkeit der Bevölkerung gegenüber Fremden". Warum diese Studie trotzdem als "Kronzeuge des Medienversagens" rauf und runter zitiert wurde? "Selbstkasteiung" und "Fake-Kritik" mit "Effekt", sagt David Goeßmann. Eine "disziplinierende Botschaft". Fortan seien auch "liberale Kritiker wie Heribert Prantl" verstummt.

Und dann war da Köln. Für David Goeßmann ein "Fake-Skandal", bei dem Realität, Wissensstand der Polizei oder "kriminologische Erkenntnisse" keinerlei Einfluß "auf die Berichterstattung" hatten. Die Silvesternacht 2015/16 wurde so groß, weil das zur Linie der Herrschenden paßte.

Den Nachweis liefert ein Verfahren, das man von Noam Chomsky kennt: Medienberichte mit anderen Quellen vergleichen (hier: die Rekonstruktion der Ereignisse in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß) und nach vergleichbaren Ereignissen suchen. Das Oktoberfest in München, der Mißbrauchsskandal in der katholischen Kirche (wobei es die Einzahl hier nicht wirklich trifft), #MeToo. Wer bis hierher gekommen ist und die Medienrealität ohnehin kennt, der weiß, was jetzt folgt: ein "komplett anderer Berichterstattungsmodus". Ein paar "emotionslose Meldungen" über "Entgleisungen" im Bierrausch, in der Zeitung ganz hinten. "Die PR-Strategien der Kirche" und die "Eindämmungspolitik der politischen Klasse" ("beide vielfach miteinander vernetzt"). Und eine "Tätergruppe" aus der "liberalen, säkularen Männerschicht", die vom "Nachrichtenbetrieb so gut es ging aus der Schußlinie gebracht" wurde.

David Goeßmann ist Journalist, wie gesagt. Das hat den Vorteil, daß man seinen Wälzer in einem Rutsch lesen kann, trotz der enormen Menge an Details und obwohl es tief hineingeht in die Materie. Wann ist ein Flüchtling zum Beispiel ein Flüchtling (also jemand, der nach der Genfer Konvention tatsächlich hierbleiben darf)? Um wie viele Menschen würde es sich handeln, wenn wirklich "alle" kämen? Warum macht es für die, die aus anderen Gründen wegwollen von daheim (Armut, Hunger, Klima), wenig Sinn, es in Europa zu versuchen? Was genau wurde "aufgemacht" im Spätsommer 2015, was hat es mit Schleppern und Schmugglern auf sich, was mit den "Terror-Inszenierungen", die uns immer wieder heimsuchen, und was vor allem mit der "Erzählung", mit der uns die "Abwehrpolitik" verkauft wird? Alles PR. Regierungs-PR, eins zu eins übernommen von denen, die wir dafür bezahlen, genauer hinzuschauen, die aber trotzdem einfach kopieren, was der Apparat ausspuckt. Daß ein "Exodus" droht, mit ungeheuren Folgen. Daß Deutschland nicht mehr kann. Und daß wir genug haben von den Flüchtlingen.

Die Redaktionen selbst bleiben in diesem Buch allerdings eine Black Box. Hin und wieder deutet das Wort "Filter" an, daß sich David Goeßmann auf das Propagandamodell von Herman und Chomsky (1988) bezieht, entwickelt für einen kommerziellen Medienmarkt in einer Welt ohne Internet. Die "freie Presse" gibt es bei David Goeßmann nur in Anführungszeichen, und an einer Stelle geht es auch um Besitzverhältnisse und "die Interessen der Elite", um "milliardenschwere Verlegerdynastien und Medienkonzerne", die versuchen, uns abzulenken - "weg von der Politik, hin zu Unterhaltung, Sport und Konsumismus". Das alles erklärt noch nicht wirklich, warum die Regierenden durchkommen konnten mit ihrer "Erfindung der bedrohten Republik". Ein bißchen zu tun bleibt also für die Medienforscher.

Michael Meyen
(Blog Medienrealität)


David Goeßmann: Die Erfindung der bedrohten Republik.
Wie Flüchtlinge und Demokratie entsorgt werden.
Das Neue Berlin, Berlin 2019, 464 S., 18 €

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Unsichtbarer Kolonialismus als Fluchtursache

Die wirtschaftliche und soziale Situation von afrikanischen Ländern wie Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad hat sich seit ihrer "Unabhängigkeit" in den 60er Jahren kaum verändert, vor allem nicht ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von Frankreich, der alten und neuen Kolonialmacht.

Übertrieben? Nur ein Beispiel: In acht Ländern der Region (Benin, Burkina Faso, Côte d'Ivoire, Guinea-Bissao, Mali, Niger, Senegal und Togo) gilt die Gemeinschaftswährung CFA-Franc. Die Abkürzung steht für "Franc de la Communauté Financière d'Afrique" (Franc der Finanzgemeinschaft Afrikas). Frankreich führte ihn 1945 in seinen Kolonien ein, damals hieß die Währung schlicht Franc "Colonies Francaises d'Afrique" (Französische Kolonien Afrikas). 1958 ersetzte Paris die "Colonies" durch "Communauté". Bei der ebenfalls Franc CFA abgekürzten Gemeinschaftswährung von sechs benachbarten Staaten (Äquatorialguinea, Gabun, Kamerun, Republik Kongo, Tschad und Zentralafrika) wurde "Colonies" durch "Cooperation" ersetzt: "Franc de la Coopération Financière en Afrique Centrale" (Franc der Finanzkooperation von Zentralafrika).

Beide Währungen sind mit einem Kurs von 655,957 CFA-Franc je Euro fest an die europäische Gemeinschaftswährung gekoppelt. Und das ist der Clou: Diese Kopplung führt zu einer hohen Bewertung des CFA-Franc. Das heißt, Exporte aus den CFA-Staaten werden teuer, Importe, zumal die subventionierten aus der EU, billig. Seit der Unabhängigkeit haben die meisten der CFA-Staaten noch nie eine positive Außenhandelsbilanz erzielt, daher Schulden aufgehäuft, die mit Milliardenbeträgen bedient werden müssen. Es handelt sich um eine fast perfekte fiskalische Maschinerie, um die afrikanische Wirtschaft am Boden zu halten oder zu zerstören, sich eine korrupte Oberschicht in den betreffenden Staaten zu kaufen, deren Vermögen stetig ins französische Versteck wandern, und schließlich mehr Geld aus diesen Ländern Richtung Paris zu pumpen, als je dorthin in Form sogenannter Entwicklungshilfe gelangte - und das seit mehr als 60 Jahren.

In Afrika nimmt die Kritik daran in den vergangenen Jahren zu. 2017 fanden dort und in Europa große Kundgebungen statt, auf denen "die perversen Auswirkungen des postkolonialen Geldes" angeprangert wurden. Die Forderung "Degage France!" (Hau ab, Frankreich!) wird heute in Burkina Faso wie in den anderen 13 CFA-Ländern, in denen insgesamt etwa 150 Millionen Einwohner leben, von verschiedenen Initiativen erhoben. Bei den Präsidentschaftswahlen am 24. Februar in Senegal gehörte sie zu den wirkungsvollen Losungen der Opposition. In der Bundesrepublik ist weder von diesem monetären Ausplünderungsinstrument noch vom wachsenden Protest viel zu hören. Immerhin sendete z. B. der "Deutschlandfunk" am 20. Dezember 2018 einen aufschlußreichen "Hintergrund" von Benjamin Moscovici zu diesem Thema unter dem Titel "Frankreich und der unsichtbare Kolonialismus". Untertitel: "In West- und Zentralafrika setzt Frankreich die Ausbeutung seiner ehemaligen Kolonien fort - unter anderem über eine Währung, die alte Machtverhältnisse zementiert und die wirtschaftliche Entwicklung blockiert. Die Folgen: Armut, Konflikte und Migration."

Der Autor führt die heutige Situation bis auf 1960, das "afrikanische Jahr" der Unabhängigkeit, zurück und zitiert aus einem Brief des damaligen französischen Finanzministers Michel Debré an seinen Amtskollegen aus Gabun vom Juli jenes Jahres. Darin schreibt Debré unverblümt: "Wir geben Euch die Unabhängigkeit unter der Bedingung, daß sich der Staat nach seiner Unabhängigkeit an die vereinbarten Handelsverträge hält. Das eine geht nicht ohne das andere."

Moscovici: "Bis heute sichert sich Frankreich mit diesen alten Verträgen einen bevorzugten Zugang zu den Ressourcen in den ehemaligen Kolonien. Im Falle Gabuns heißt es in dem Vertrag beispielsweise: 'Die Republik Gabun verpflichtet sich, der französischen Armee strategische und rüstungsrelevante Rohstoffe zur Verfügung zu stellen. Der Export dieser Rohstoffe in andere Staaten ist aus strategischen Gründen nicht erlaubt.'" Bis heute kaufe Frankreich in West- und Zentralafrika aufgrund solcher Verträge strategische Rohstoffe weit unter dem Weltmarktpreis: Erdöl, Gas, Uran, Thorium, Beryllium, Lithium. Aus Niger holt sich Paris z. B. 40 Prozent seines Uranbedarfs und zahlt dafür ein Drittel des üblichen Preises - eine Einsparung von Milliarden Euro Jahr für Jahr, die durch nichts, schon gar nicht durch "Entwicklungshilfe", kompensiert wird. Das Land, so Moscovici, sei eines der ärmsten der Welt und "das wohl extremste Beispiel" für das seinerzeit geschaffene Vertragssystem.

Das "Kernstück kolonialer Kontinuität und finanzieller Kontrolle" ist nach Auffassung des Autors aber der CFA-Franc: Frankreich druckt die Geldnoten und prägt die Münzen, es hat allein das Recht zu Auf- oder Abwertung und verlangt, daß 50 Prozent aller Währungsreserven der 14 CFA-Staaten in Paris deponiert werden. In den Zentralbanken West- und Zentralafrikas, die 2014 mehr als 14 Milliarden Euro in Paris lagern mußten, sitzt jeweils ein französischer Vertreter mit Vetorecht. Moscovici zitiert einen Aktivisten der Anti-CFA-Bewegung: "Ich sage nicht, daß der Franc CFA der einzige Grund für die Unterentwicklung unserer Länder ist. Aber es ist einer der wichtigsten. Der Franc CFA ist ein System finanzieller Repression."

Und warum bestehen die afrikanischen Politiker nicht auf Veränderungen? Der frühere Weltbank-Ökonom Abdourahmane Sarr in der Sendung: "Die Elite profitiert von dem überbewerteten CFA-Franc. Diese Leute haben kein Interesse daran, daß sich etwas an dem System ändert, das sie reich gemacht hat." Und schließlich der ivorische Exfinanzminister Mamadou Koulibaly, der 2000 den Franc CFA öffentlich ablehnte und daraufhin auf persönliche Intervention von Jacques Chirac, dem damaligen französischen Präsidenten, geschaßt wurde: "Solange Europa die Politik Frankreichs in der CFA-Zone mitträgt, wird Europa auch die Folgen dieser Politik mittragen müssen. Solange werden Sie mit Massenmigration aus den frankophonen Teilen Afrikas leben müssen."

In der bundesdeutschen Migrationshysterie spielt diese Fluchtursache keine Rolle. Dabei deutet viel darauf hin, daß Präsident Nicolas Sarkozy Frankreich nicht nur mit dem Krieg in Libyen 2011 ins Schlingern brachte. Sein Nachfolger François Hollande mußte 2013 Mali und damit wahrscheinlich auch alle anderen Staaten der Region mit einer Armee vor dem Kollaps retten. Denn ohne westafrikanische Staatsfassaden funktionieren das CFA- und das Ausplünderungsvertragssystem nicht. Der Feldzug wurde aber Paris so teuer, daß die Bundeswehr noch im selben Jahr zu Hilfe gerufen werden mußte und nun mit insgesamt fast 1000 Soldaten in ihrem auch offiziell gefährlichsten "Einsatz" buchstäblich in der Wüste sitzt. Die zur Entlastung der Europäer gedachte "G5-Sahel"-Truppe ist eine Fata Morgana; ihr Zweck ist zu offensichtlich: nicht die Wahrung afrikanischer, sondern ausschließlich französischer und damit EU-Interessen. Sarkozy hat mit seinem Feldzug fast ein großes Reich zerstört, nämlich das eigene koloniale.

Auf das ist Frankreich aber in um so größerem Maße angewiesen, je größer der wirtschaftliche Vorsprung Deutschlands wird. An einer schwächeren französischen Wirtschaft mag die Bundesrepublik bis zu einem gewissen Grad Interesse haben, das gehört zur Konkurrenz. An einem Absturz Frankreichs aber hat sie keins, der würde auch die deutsche Exportwalze stoppen. Deutsche Soldaten sichern daher u. a. in Mali und Niger ein Kolonialsystem, auf das Paris finanziell angewiesen ist, das aber zugleich zuverlässig Armut, Korruption, Terrorbanden, Staatszerfall und Flucht hervorbringt. Eine nicht sehr komfortable Lage.

Laut einem Internet-Lexikon gehen im übrigen "80 Prozent des gesamten französischen Militärkooperationsbudgets" in die CFA-Region. Die Währung wird mit Waffen gestützt. Etwas anderes ist Kolonialisten noch nie eingefallen.

Arnold Schölzel

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"Die Zeiten der Verteilung sind vorbei" (BDI)

Der Historiker Götz Aly mag die SPD künftig nicht mehr wählen. Zu sehr haben ihn die sozialpolitischen Versprechungen der SPD auf deren Debattencamps verärgert. Da steht er nicht allein. Auch die FDP (Zitat: "SPD-Spendierhosen-Politik zum Schaden Deutschlands"), die CDU (Zitat: "Bei der SPD geht die reine Verzweiflung um") oder der Bundesverband der Deutschen Industrie (Zitat siehe oben) können nicht verstehen, warum man das aus ihrer Sicht erfolgreiche Hartz-IV-Modell und die angeblich notwendig gewordenen Kürzungen der Renten plötzlich kritisiert. Aly zum Beispiel vermutet in der "Berliner Zeitung" vom 13.11.2018, "daß die fetten Jahre nicht ewig währen". Und weiter heißt es, daß "kein vernünftiger Mensch glaubt, unsere Rentner könnten ohne weiteres mehr Geld bekommen, ohne daß die Jüngeren darunter leiden müßten. Das glaubt kein Mensch, jedenfalls keiner, der bis drei zählen kann."

Nun weiß man nicht, ob Aly und seine Mitstreiter nur bis drei zählen können oder ob sie darüber hinaus schon einmal vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) gehört haben. Das BIP erfaßt nämlich den Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen einer Volkswirtschaft in der sogenannten Entstehungsrechnung. Die "Verteilungsrechnung" des BIP zeigt, daß diesem produzierten Gesamtwert die Einkommen aller Wirtschaftssubjekte entsprechen. Dieses (freilich sehr ungleich verteilte) Einkommen steht also den privaten Haushalten, den Unternehmen und dem Staat für konsumtive und investive Verwendungen zur Verfügung - wenn wir zunächst vom Ausland absehen. Werden die hergestellten und daher natürlich auch angebotenen Güter nicht komplett nachgefragt, bleiben die Unternehmen auf einem Teil ihres Angebots sitzen. Üblicherweise kommt es zu diesem Szenario, wenn die Gesellschaft insgesamt zuviel spart. Sie lebt dann offenkundig unter ihren Möglichkeiten.

In allen Volkswirtschaften sind es die privaten Haushalte (zu denen auch die "Unternehmer-Haushalte" zählen), die sparen. Natürlich legen nicht alle Haushalte Geld zur Seite, sondern nur die wohlhabenderen. In Deutschland beispielsweise sparen 30 % der Haushalte keinen Cent und weitere 20 % kaum etwas. Üblicherweise werden die Ersparnisse (in Deutschland rund 5 % des BIP) der reicheren Haushalte von den Unternehmen zur Finanzierung von Investitionen und vom Staat zur Schließung des Haushaltsdefizits als Kredit nachgefragt. Im (selten erreichten) Gleichgewicht würde die Kreditaufnahme den Ersparnissen entsprechen, so daß die Nachfragelücke geschlossen wird.

Aber in Deutschland ticken die Uhren anders. Hier sparen dank der Umverteilungen der letzten Jahre mittlerweile sogar die Unternehmen (ca. 3 % des BIP) und der Staat (knapp 1 % des BIP). Wenn aber alle weniger ausgeben als sie einnehmen, ist das Angebot größer als die Nachfrage, und die Unternehmen werden in der Folgeperiode entsprechend weniger produzieren. Eine geringere Produktion führt zwingend zu sinkenden Konsumtions- und Investitionsmöglichkeiten in der Zukunft. Die Gesellschaft hat sich arm gespart. Das nennen Volkswirte das Sparparadoxon.

Allerdings gibt es eine Lösung für das skizzierte Problem. Die Unternehmen können den Überschuß ans Ausland verkaufen. Diese Lösung hat freilich einen Haken. Es können nicht alle Länder gleichzeitig Exportüberschüsse erzielen, sondern den Überschüssen des einen entsprechen die Defizite des anderen. Defizite wiederum müssen bezahlt werden, so daß Kredite aufgenommen und/oder Vermögenswerte verkauft werden müssen. Diese Zusammenhänge sind keinesfalls mysteriös, sondern spiegeln die simple Logik einfacher Buchführung wider. Und sie helfen uns zu verstehen, warum es nicht immer reicht, nur bis drei zu zählen.

In Deutschland werden seit vielen Jahren die produzierten Güter im Inland nicht umfassend nachgefragt. Deutschland lebt unterhalb seiner Möglichkeiten, während Defizitländer wie die USA über ihre Verhältnisse leben. Die Differenz zwischen Angebot und Nachfrage wird von Deutschland exportiert. Da die Exporte größer sind als die Importe, entsteht ein sogenannter Leistungsbilanzüberschuß. Dieser ist seit 2007, also der letzten großen Krise, geradezu explodiert. Er beläuft sich seither jährlich auf 6 % bis 8 % des BIP. Spiegelbildlich haben sich Forderungen und Nettovermögen gegenüber dem Ausland drastisch erhöht, während deren Schulden sprunghaft angestiegen sind. Nun wird auch verständlich, warum es immer wieder vom Ausland, aber auch von der EU-Kommission und sogar vom Internationalen Währungsfonds, Kritik an den deutschen Leistungsbilanzüberschüssen gibt.

Das offizielle Deutschland verteidigt die Überschüsse, indem ein Märchen erzählt wird. Demnach sind die deutschen Produkte derart beliebt, daß sich deutsche Unternehmen der Nachfrage durch das Ausland kaum erwehren können. Tatsächlich aber sind die Exportüberschüsse das Resultat einer langjährigen Lohndumpingstrategie. Werden bei der Lohnentwicklung die Produktivitätsfortschritte berücksichtigt, so erhält man die sogenannten Lohnstückkosten. Sie sind in Deutschland von Mitte der 90er Jahre bis 2012 faktisch nicht gestiegen, obwohl sie selbst nach Empfehlung der Europäischen Zentralbank jährlich um rund 2 % hätten steigen sollen, um der Gefahr einer Deflation zu entgehen. In Europa existiert kein Land mit einer vergleichbar dysfunktionalen Lohnentwicklung. Im Ergebnis aber hat sich Deutschland einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen Ländern erspart. Beispielsweise beläuft er sich gegenüber Frankreich auf rund 20 %, gegenüber Italien auf etwa 30 % und gegenüber Griechenland und Spanien auf zirka 40 %.

Es wäre demnach im engen Wortsinn notwendig, daß sich Deutschland mehr leistet: Die Renten und Hartz-IV-Sätze könnten ebenso wie die Mindestlöhne angehoben oder dringend benötigte staatliche Infrastrukturprogramme durchgeführt werden. Wenn dazu hohe Einkommen stärker besteuert würden, würde die Sparquote sinken, und das Ausland könnte aufatmen. Es könnte nun mehr exportieren und damit Schulden abbauen. Der Rückgang unserer Exporte würde durch die erhöhte Inlandsnachfrage kompensiert werden.

Es reicht eben nicht, nur bis drei zählen zu können.

Henri Arweiler
Berlin

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Theodor Weißenborn: Querschüsse - Gedanken und Memoiren eines Ketzers

Diese Textsammlung verdankt ihr Entstehen der lebenslangen kritischen Auseinandersetzung des Autors mit wissenschaftlichen, politischen und kirchlichen Autoritäten.

Weißenborn macht mobil gegen Bevormundung, Machtanmaßung und Unterdrückung, räumt auf mit religiösen Mythen, Dogmatismus und Denkfaulheit, weckt kritische Rationalität und sucht im Geist humanistischer Aufklärung mitzuwirken an der Veränderung hierzulande bestehender ungerechter Verhältnisse. Seine Texte enthalten keine Heilslehre und sind keine "Ratgeber für alle Lebenslagen". Aber sie markieren Schritte auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben, motivieren zum Kirchenaustritt und tragen bei zur Solidarisierung aller Freundinnen und Freunde des freien Denkens.

"Querschüsse" sind Lehr- und Lernmittel für Gruppenarbeit und emanzipatorischen Schulunterricht und als Sozialkritik dringend geboten, gerade da, wo sie unerwünscht sind.

46 ketzerische Essays (nebst einer Liste empfehlenswerter Literatur) zu finden unter:
www.theodor-weissenborn.de

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"Wenn du kämpfen mußt, wirst du die Angst überwinden"

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
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Das Blockadebuch

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Ein offener Brief Heinrich Manns von 1945

An das befreite Berlin

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Das Ensemble "Grenada" grüßt aus Moskau

Wir sind Mitglieder des Moskauer Musikensembles "Grenada", das seit 45 Jahren besteht und in den ersten Jahren seiner Entwicklung die hervorragende Schule des "Festivals des politischen Lieds" in Berlin durchlaufen hat. Wir nahmen 1977, 1978 und 1987 daran teil und brachten 1987 ein Lied unseres Ensembles "Der Thälmannplatz" mit nach Berlin - über die Gedanken, die uns auf dem Ernst-Thälmann-Platz in Moskau kamen. Wir sind davon überzeugt, daß denjenigen, die vergessen, nach wem dieser Platz benannt wurde, die Gefahr einer Wiederbelebung des Faschismus droht.

Unser Ensemble existiert immer noch. Heute gehören ihm viele junge Leute an -wir sind alle Gleichgesinnte untereinander, und wir sind Eure Gleichgesinnten. 1987 wurden wir in Berlin mit der goldenen Arthur-Becker-Medaille ausgezeichnet, worauf wir alle sehr stolz sind. Ich sende Euch Fotos unserer Festivalauftritte (u. a. mit "Floh de Cologne" und dem Ensemble "Tiempo nuevo") sowie Fotos von heute.

Wir waren sowohl in der DDR als auch in der BRD viel unterwegs, aber in den letzten Jahren wurden unsere Kontakte zu linken Deutschen unterbrochen. Wir freuen uns sehr, daß Ihr und Eure Genossen weiterkämpft, und wir bitten Euch, uns zu Euren Freunden zu zählen. Über unsere Arbeit erhalten Ihr Informationen auf unserer Website www.agrenada.ru

Das Lied "Der Thälmannplatz" habe ich zusammen mit meinem Mann Sergej geschrieben - ich habe den Text geschrieben, von ihm stammt die Musik. Das Lied erklang das erste Mal 1987 beim Berliner Festival, und es wurde vom ganzen Saal im Palast der Republik aufgegriffen. Wir haben fast geweint, als wir aus dem Saal gingen und den Gruß "Rot Front!" von Tausenden Zuhörern hörten, die stehend mit uns sangen! Als das Eröffnungskonzert beendet war, sangen viele beim Verlassen: "Rot Front, Genosse Thälmann, Rot Front, Rot Front!" Wir haben das Lied geschrieben, da wir sehr stolz waren, als in Moskau in der Nähe der Metrostation Aeroport (nicht sehr weit von unserer Wohnung) ein Denkmal für Ernst Thälmann errichtet wurde. Für uns ist er ein hervorragender Mensch, ein Held!

Leider fühlte man gegen Ende der 80er Jahre, daß bei uns starke antisowjetische Tendenzen aufkamen, die letztendlich zum Zerfall der UdSSR führten. In dieser Situation war die Zuwendung zu Thälmann, die Erinnerung an ihn, sehr wichtig. Deshalb haben wir dieses Lied geschrieben.

Tatjana Wladimirskaja
Moskau


Der Thälmannplatz

Langsam verhüllt weißer Schnee
Hochstraßen, Boulevards und Grünanlagen ...
Für mich wurde der Ernst-Thälmann-Platz
eine denkwürdiger Moskauer Ort.

Auf dem Platz steht ein Denkmal,
gewidmet dem legendären Kämpfer.
Die Sonne wirft funkelnde Lichter
auf sein entschlossenes Antlitz ...

Rot Front, Genosse Thälmann, Rot Front,
Genosse Thälmann, Rot Front!

Wir dürfen nicht unsre Überzeugung verlieren,
auch wenn wieder Fackeln im Dunkeln lodern
und schon wieder verblendeter tierischer Haß
in kahlgeschorenen Schädeln pocht.

Damit das Leben nicht so gemächlich verrinnt
auf spießbürgerliche Art,
gehe ich zum Denkmal Thälmanns -
des legendären Kämpfers!

(Dank an Genossin Cilly Keller in Hamburg,
die uns diese Zeilen übermittelt hat.)

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Freizeit ist für die "Granadas" fast ein Fremdwort

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
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Aus der Rede Berolt Brechts bei der Verleihung des Lenin- Friedenspreises in Moskau
Worauf unsere Hoffnung auf Frieden beruht

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
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WISSENSCHAFTLICHE WELTANSCHAUUNG
Wer erfüllte das Potsdamer Abkommen?
Sendung des Deutschlandsenders vom 17. Juli 1975

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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BUCHTIPS

Matthias Krauß: Die Große Freiheit ist es nicht geworden
Was sich für die Ostdeutschen seit der Wende verschlechtert hat

In Euphorie wegen der Wiedervereinigung mag er nicht ausbrechen. Nach dem Einigungsvertrag wurde der Osten zum Armenhaus Deutschlands, das bis heute alimentiert werden muß, das hoch verschuldet ist und selbst nach der Konjunktur der vergangenen zehn Jahre wenig mehr als die Hälfte dessen erwirtschaftet, was es verbraucht.

In den zehn Jahren vor der Wende wurden in Ostdeutschland mehr als eine Million Kinder mehr geboren als in den zehn Jahren danach. Das und der Wegzug der Jugend veränderte die Sozialstruktur Ostdeutschlands grundlegend.

Das Neue Berlin, Berlin 2019, 256 S., 14,99 €


J. Oehme / A. Schölzel / H. H. Holz: Die Sinnlichkeit der Vernunft
Letzte Gespräche

Im Kampf gegen die Nazis gereift, greift Hans Heinz Holz nach 1945 als politischer Journalist in die Kämpfe gegen die Remilitarisierung der BRD und gegen die Notstandsgesetze ein. Seine Promotion wird 1951 aus politischen Gründen abgelehnt. 1970 muß seine Berufung als marxistischer Philosophieprofessor nach Marburg von der Studentenbewegung erkämpft werden. Der international anerkannte Wissenschaftler und Kommunist forscht und lehrt fortan zu allen Bereichen der Philosophie, zu Ästhetik und Politik.

Nach der Konterrevolution von 1989/90 veröffentlicht er im Essener Neue-Impulse-Verlag die drei Mut machenden und Orientierung gebenden Bücher "Niederlage und Zukunft des Sozialismus" (1991), "Kommunisten heute. Die Partei und ihre Weltanschauung" (1995) und "Sozialismus statt Barbarei" (1999). Im Gespräch führt Holz anhand seines Lebenswegs ungezwungen und allgemeinverständlich in dialektische Philosophie und Ästhetik ein und schildert die politischen Kämpfe in Westdeutschland seit 1945 und seine Teilnahme an ihnen als Kommunist und Philosoph.

Das Neue Berlin, Berlin 2018, 336 S., 20 €



Lucas Zeise: Das Finanzkapital
Reihe Basiswissen Politik/Geschichte/Ökonomie

Daß in Gelddingen demokratische Regeln nichts gelten, wurde uns am Beispiel Griechenland drastisch vor Augen geführt: Auf das überwältigende Nein der Bevölkerung zum Diktat der Troika folgte das Ja der von ihr gewählten Regierung. Auch wenn es im Alltag parlamentarischer Republiken nicht immer offensichtlich ist, wird in Krisen deutlich, wie die Herrschaft des Finanzkapitals funktioniert. Wer ist dieses Finanzkapital, das Rudolf Hilferding 1909 und Lenin 1917 untersucht haben.

Und wie herrscht es heute? Besonders interessiert Lucas Zeise dabei die Rolle des Geldkapitals, der Banken, Versicherungen, Hedgefonds und Schattenbanken. Wie kommt es, daß die Gläubiger-Schuldner-Beziehung die politischen Verhältnisse dominiert? Wie kommt es, daß sich die politisch Mächtigen unter dem Druck der Finanzmärkte befinden? Wer reguliert diese oder unterläßt es, sie zu regulieren? Wie funktioniert international die Hackordnung unter den Finanzkapitalisten? Warum dominiert immer noch der Dollar, und wird er als dominante Währung abgelöst?

PapyRossa-Verlag, Köln 2019, 140 S., 9,90 €


D. Helmbold: Mehr Kunst als Werbung. Das DDR-Filmplakat 1945-1990
Herausgegeben von der DEFA-Stiftung

Das Filmplakatschaffen in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR ist klar umrissen: Es gibt das erste Plakat (aus dem Jahr 1945) und das letzte (es entstand 1990). In diesem Zeitraum schufen über 400 Graphiker rund 6400 Plakate, denn für jeden Film, der in die Kinos kam - seien es DEFA-Produktionen wie "Ich war neunzehn", europäische Kunstfilmimporte wie "La strada" oder Hollywoodfilme wie "Tootsie" -, wurde ein eigenes Plakat gebraucht.

Sie alle sind in diesem Buch versammelt. Bei den Entwürfen wurden alle graphischen Techniken angewandt, alle Stile der klassischen Moderne adaptiert. Und so liefert der Band nicht nur einen Gang durch 45 Jahre Filmgeschichte, sondern auch einen Überblick über die unterschiedlichen Phasen künstlerischer Gestaltung und Ästhetik in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR. Sichtbar wird die Vielfalt der visuellen Sprachen der Gestalter und deren Mut zur graphischen Reduktion. So ist das Buch auch Beleg dafür, daß Filmwerbung in der DDR eine eigenständige künstlerische Gattung war, deren Vielgesichtigkeit Filmfreunde erstaunen und Graphiker begeistern wird. Nach Jahrgängen sortiert, enthält der Band neben den Abbildungen aller Plakate auch die filmographischen Angaben und Aufführungsjahre der Filme sowie die Namen der Plakatgestalter.

Bertz+Fischer-Verlag, Berlin 2018, 672 S.,
6385 Abbildungen, Format 28 x 32,5 cm, 96 €

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Eugen Leviné im April 1919

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Dienst beim Ostergottesdienst

Der Sonntagsdienst besteht heute aus der Begleitung der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner zum evangelischen Gottesdienst in die auf demselben Gelände gelegenen Kirche. Zwölf Heiminsassen wollen dabeisein, die meisten in Rollstühlen, die Mehrheit dement.

Ich nehme zum ersten Mal an einer solchen religiösen Zeremonie teil und harre neugierig der Dinge, die da kommen. Die Pfarrersfrau setzt sich zu Beginn der Veranstaltung eine rote Kappe auf, nimmt ein überdimensionales "Taschentuch" zur Hand und beginnt, auf laienhaft-übertriebene schauspielernde Art die Maria zu geben, die am Grab Jesu trauern will, dann aber von einer Stimme beim Namen gerufen wird. Wie sich herausstellt, bzw. wie sie kindergartenpädagogisch erklärt, soll diese Stimme die von Jesus sein. Ihre Stimme ist etwas quiekend und schwer zu ertragen, das Mikrofon weiß sie nicht richtig zu handhaben, und die Gemeinde versteht kaum ein Wort dieser Darbietung. Meine dementen Begleiterinnen sitzen einigermaßen gebannt da; meine Sitznachbarin Frau S., die nur dabei ist, weil sie zu jedem Angebot mitkommt, schaut sich die Vorstellung an, schaut dann mich an und sagt nur: "Oh Gott."

Der Rest der Veranstaltung besteht im Singen von Liedern, deren simple Texte ("Je-Je-Jesus ist besser, Je-Je-Jesus ist größer, Je-Je-Jesus ist stärker") zu den schlagerartigen Softpop-Melodien passen wie der Becher zum Henkel; außerdem noch aus dem Hersagen von Glaubenssätzen, die wirken wie affirmative Kühlschranksprüche: man möchte gerne dran glauben, weil die Zweifel so riesig sind, daß man sie immer wieder mit der Beschwörung einer weder selbst erfahrenen noch irgendwie greifbaren "Wahrheit" vertreiben möchte.

Alles in allem bin ich erschüttert über das Niveau und frage mich, ob das hier vielleicht ein Kindergottesdienst ist. Insgesamt komme ich mir nämlich eher vor wie im Kindergarten als in einem Ort der Einkehr, der Besinnung oder gar der Meditation; von einer würde- und weihevollen Feier eines Ereignisses, das sich immerhin um Leben, Tod und Wiedergeburt/Auferstehung dreht, ist nichts zu spüren. Der religiöse Anlaß der Feier wird gnadenlos infantilisiert und seines spirituellen Gehaltes und damit seiner Botschaft beraubt - zugunsten einer krampfhaft auf modern getrimmten Show auf Vorschulniveau, die nur ein Vehikel darstellt für die Propagierung von Dogmen und Sprechblasen der Rechtgläubigkeit. Zurück zu meinen dementen Schützlingen: Am Ende des Gottesdienstes geht die Pfarrerin reihum, gibt jedem die Hand und sagt dabei "Frohe Ostern! Jesus ist wahrhaftig auferstanden!"

Als sie bei meiner Sitznachbarin angekommen ist, läßt sich diese bereitwillig die Hand schütteln, hört sich den Spruch an und schaut die Kirchenfrau neugierig an. Dann antwortet sie: "Gut! Kann ich mitkommen?"

Kay Strathus
Düsseldorf

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Über Reichtum und eine notwendige Erfindung

Was heißt denn reich sein? Reich im Sinne von üppig oder von vermögend? Reich geschmückt, reich begabt oder reich begütert? Oder reichlich? Im Sinn von viel, unzählig wie Sand am Meer, in Hülle und Fülle?

Reich sein bedeutet für mich Leben, Lebensglück, Zufriedenheit. Geld ist dabei nur ein Mittel, und ich habe nie zugelassen, daß es Selbstzweck wird. In meinem ersten Leben bis 1989 brauchten wir über Geld nie nachzudenken, nicht üppig, aber sicher hat die Familie aus einem gemeinsamen Topf gelebt. Die Gespräche mit anderen Menschen drehten sich um gelesene Bücher, Ausstellungen, Sport, Musik, Familie, Arbeitsinhalte, auch Wartezeiten aufs Auto und Ersatzteilbeschaffung. Nach dem Westen haben wir nie geschielt.

1986 war ich vierzehn Tage mit einer Delegation in Zypern. Das war beeindruckend, eine Mischung von Meer, Stränden, leuchtenden Wiesen, schneebedeckten Bergen, Ausgrabungen, geschichtsbewußten Menschen und bunter Reklame für überquellende Geschäfte, aber auch mit Prostituierten und eindeutigen Angeboten am Abend. Einige Tage vor Reise-Ende habe ich gesagt: "Ich will wieder zurück in meine graue DDR."

Nun ist bei uns auch alles bunter geworden, nur mit dem Geschichtsbewußtsein ist das so eine Sache. Und auch der Reichtum hat sich nicht eingestellt. Obwohl, es hat sich das Verhältnis zum Geld schon geändert. Wo ich auch bin, überall wird geredet über Arbeitslosigkeit, Steuererhöhungen, unsichere Zukunft, Finanzen. Wieviel kostbare Lebenszeit wird nun vergeudet mit Sorgen um Geld und der Jagd danach. Angestrebte und versprochene Werte wie Freiheit und Demokratie sind zu Worthülsen verkommen. Ohne Mittel und ohne Perspektive bleiben sie Makulatur, kommen sich Unzählige betrogen und verhöhnt vor. Wen wundert es, wenn heimlich der Gedanke aufkommt: "Ich will zurück in meine graue DDR." Das wird nicht ausgesprochen und hört sich so an: "Die DDR möchte ich nicht zurück, aber ..." Für mich war nach der Rückwende das Bedrückendste, meinen Schülern keine hoffnungsvolle Zukunft malen zu können.

Wenn ich einen Wunsch frei hätte, wünschte ich mir eine geniale Idee, das Denken der Menschen umzukrempeln, ihre Gehirne umzuprogrammieren. Jedermann wäre bestrebt, alles, was er weiß und kann, so einzusetzen, daß Wasser und Brot, Gesundheit und Glück für sein Haus, seine Straße, seine Stadt, sein Dorf, sein Land, sein Europa, sein Afrika, sein Amerika, seine ganze Welt gesichert wäre. Jedermann vergäße, was Neid, Lug, Trug und Gewalt ist, und er müßte weinen, wenn er einem Schwachen nicht helfen könnte.

Märchen? Spinnerei?

Es wird viel manipuliert für Macht und Reichtum, weniger oder gar nicht über Manipulation aller für alle.

Es müßte ein Genie wie Einstein, Ardenne oder Leonardo da Vinci ein "Gut-Gen" bauen, in Viren einschleusen und für intensive Verbreitung sorgen. Schneller als AIDS, Geflügelpest, Schweinegrippe, käme das Gute über die Menschen der Erde. Freudig und friedlich würde die Welt neu geordnet ...

Edda Winkel

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Kein Aprilscherz: der "Parlamentskreis Pferd"

Das im Berliner Reichstag residierende Parlament ist aktuell tierisch gut aufgestellt. Hinterbänkler von CDU und FDP haben nämlich einen "Parlamentskreis Pferd" ins Leben gerufen. Warum nicht, wenn es in den letzten Reihen auf den blauen Sesseln sonst schon nichts weiter Sinnvolles zu tun gibt. "Verteidigungs"ministerin Ursula von der Leyen ist selbstverständlich auch mit von der Partie. Die Dame braucht schließlich hin und wieder etwas Erholung von ihrer Rüstungs- und Kriegspolitik.

Eine Brücke zwischen Stadt- und Landbevölkerung schlagen zu wollen, das hat sich der "Parlamentskreis Pferd" auf seine Fahnen geschrieben. Das ist natürlich mit dem Schwein, der Kuh oder dem Huhn nicht zu machen. Da muß schon ein so edles Tier wie das Pferd herhalten. Und genau das zeigt die Stoßrichtung in diesem Land, wenn man sich der Sorgen von etwa 4,6 Millionen Reitern auf höchster politischer Ebene annimmt. Es ist eben jene Lobby, die in Armut lebenden Kindern und Rentnern, Hartz-IV-Empfängern, einer permanent vom gesellschaftlichen Absturz gefährdeten Mittelschicht, Alleinerziehenden oder auch den Pflegekräften so bitter fehlt.

Und genau gegen diesen Zustand könnte die einstige Arbeiterpartei SPD nun kräftig wettern. Aber nein! Deren Vorsitzende Andrea Nahles mischt im "Parlamentskreis Pferd" noch kräftig mit. Selbst ihr Genosse Olaf Scholz hat in seinem Amt als Bundesfinanzminister verkündet, daß die "fetten Jahre" für die BRD vorbei seien. Im Klartext heißt das nur, daß der nächste Abschwung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung unmittelbar bevorsteht. Das scheint seiner Parteichefin aber relativ egal zu sein. Auf dem hohen Roß sitzend, scheint sie verdrängt zu haben, daß manche ihrer einstigen Wähler sich inzwischen nur noch mit zwei oder gar drei Jobs über Wasser halten können. So erwirtschaften die betroffenen Frauen und Männer auch noch das Steuergeld, von dem Nahles ihre Diäten erhält, mit denen sie sich schließlich eben auch ein eigenes Pferd leisten kann.

Rico Jalowietzki

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Weimar, Dessau, Berlin - 100 Jahre Bauhaus

Eine epochale Innovation in Architektur und Design, in bildender und darstellender Kunst ging ab 1919 von Deutschland aus und entfaltete sich in den darauffolgenden 13 Jahren der Weimarer Republik. Die geistigästhetischen Impulse des Bauhauses wirkten und wirken weltweit vorbildhaft und maßgebend. In diesem Jahr wird vielerorts das 100jährige Gründungsjubiläum gefeiert. Museen in Weimar und Dessau, den Wirkungsstätten der Bauhäusler, zeigen sehenswerte Ausstellungen. Die visionären Konzepte der Künstlerinnen und Künstler des Bauhauses sollen darin nachvollziehbar werden. Hinter den damals neuen Lehrmeinungen über die Einheit von Kopf und Hand, Form und Funktion standen sozialistisch inspirierte Ideen von befreiter Arbeit, von menschenwürdigem Wohnen für die Arbeitenden und von deren gerechter Teilhabe an der Kunst.

Bauhaus - das ist heute nicht allein unter Kulturhistorikern ein signalhafter Begriff von umwälzender ästhetisch-künstlerischer Erneuerung, ähnlich wie "Renaissance" oder "Impressionismus".

Als der Architekt Walter Gropius zusammen mit dem niederländischen Designer Henry Van de Velde in Weimar eine neue Kunstschule gründete, gab er ihr sehr entschieden eine revolutionäre Programmatik: Keine die überkommenen Formen nachahmende Gestaltung mehr, sondern die Funktion bestimme die Form. Damit sei auch der Herstellungsprozeß im Produkt verkörpert - inbegriffen die moderne Weise, mit Maschinen zu fertigen: Statt historisierendem Schnörkelschmuck Klarheit und Sachlichkeit. Ablehnen der entfremdenden Industriefertigung, dafür Besinnung auf den "Schöpfungsakt", wie ihn die verstandesgeleitete werkzeugführende Menschenhand vollzieht. Die Maschine wird zur Verlängerung der Hand - nicht länger der Mensch zum Maschinenteil! Ein zutiefst humanistisches Ideal hatte 1919 die Gründer des Bauhauses inspiriert: Aufheben der Trennlinien zwischen geistiger und manueller Produktion, zwischen Lehrenden und Lernenden, zwischen Kunst und Handwerk. Das alles artikulierte zugleich scharfe Kritik an den menschenunwürdigen industriekapitalistischen Produktionsverhältnissen. Solcherart Ideengut stand in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem der sozialistischen Arbeiterbewegung. Waren es Illusionen? Gropius und Van de Velde hatten für ihr Projekt die Avantgarde der zeitgenössischen Kunst und Architektur gewonnen. Am Weimarer Bauhaus lehrten unter anderen Lyonel Feininger, Oskar Kokoschka, Paul Klee, Oskar Schlemmer, Gerhard Marcks, Wassili Kandinsky. Um ihre Abkehr vom hierarchischen Akademiebetrieb zu betonen, führten sie den Titel Meister statt Professor. Die Studierenden nahmen den Geist der befreiten Gestaltungskraft in sich auf. Im Mittelpunkt der Lehre standen das Bauen und der Bauplatz als ein Ort des Experimentierens mit dem Material. Glas und Stein, Holz und Metall sowie gewebte Stoffe bildeten die Palette der Materialien. Die jungen Frauen und Männer übten sich in ihrer dreijährigen Ausbildung in Raum-, Farb- und Konstruktionslehre, dazu in strengem Naturstudium.

Als das Bauhaus im April 1919 gegründet wurde, bestand die neue Republik, gleichfalls im provinziellen Weimar aus der Taufe gehoben, gerade drei Monate lang - ein mit konterrevolutionärem Terror tödlich vergiftetes Beginnen im krisengeschüttelten Nachkriegsdeutschland war das, wie wir heute wissen. Die Arbeiterbewegung war in verhängnisvoll-folgenschwerer Weise gespalten worden: Die junge Kommunistische Partei Deutschlands und die nach rechts gerückte SPD, angeführt von dem nunmehrigen Reichskanzler Friedrich Ebert und dem "Bluthund" Gustav Noske, trennte fortan ein tiefes Zerwürfnis. Kulturpolitische Klärungsprozesse innerhalb der linkssozialistisch inspirierten Kunstszene gerieten in der Dramatik der wenigen Jahre bis zur Hitlerschen Machtergreifung in den Hintergrund. Dennoch stießen die Bauhäusler innerhalb der gegebenen Freiräume eine bahnbrechende Erneuerung an. Im Angesicht der sozialen und psychischen Belastungen, mit denen jeder dem Bauhaus-Gedanken Verpflichtete konfrontiert war - ob Lehrer oder Student, ob Publizierender oder Bauender, Malender oder Komponierender -, bedeutete dies neben der künstlerischen auch eine große menschliche Leistung.

Nachdem die demagogisch und gewaltsam auftretende NSDAP im Thüringer Landtag zur Mehrheit gekommen war, nahmen die Anfeindungen und Repressionen gegen die fortschrittlichen Vertreter des Bauhauses zu. Dies betraf vor allem die zahlreichen Künstler jüdischer Herkunft und kommunistischer wie sozialistischer Überzeugung. International geachtete Maler wie Paul Klee sahen sich widerlichen Schmähungen zum Beispiel im Hetzblatt "Der Stürmer" ausgesetzt. Das Bauhaus zog deshalb 1925 ins sachsen-anhaltinische Dessau um. Ein Bau aus Stahl und Glas, entworfen von Walter Gropius, zeugt bis heute vom Gestaltungswillen der Nutzer, und er demonstriert, daß die Architektur der Moderne in diesen hier ausformulierten konstruktiven Ideen ihre Ursprünge hat. Im Jahr 1930 übernahm Mies van der Rohe die Leitung. Er hatte unter anderem 1926 in Berlin-Friedrichsfelde das Revolutionsdenkmal auf dem Friedhof der Sozialisten geschaffen, das 1935 von den Faschisten vernichtet wurde.

Kulturbarbarei verdunkelte für zwölf Jahre das gesamte Schöpfertum des Bauhauses in Deutschland. Die Repräsentanten gerieten unter Verfolgungsdruck, wurden ermordet oder wählten die innere Emigration. Einige konnten auswandern und ihre Laufbahn fortsetzen, zum Beispiel in den kulturellen Zentren der USA oder im damals palästinensischen Tel Aviv.

Die Kunsthochschule in Berlin-Weißensee, eine Gründung nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus, trug als eine der ersten Institutionen den Bauhaus-Gedanken zurück nach Deutschland. 1946 gründeten Kulturschaffende wie der Keramiker Jan Bontjes van Beek und der niederländische Designer und Architekt Mart Stam die neue Lehreinrichtung. Sie wurde zur Ausbildungsstätte Tausender junger Künstler, Architekten und Formgestalter in der 1949 gegründeten DDR. Der Gedanke der Einheit von baugebundener, angewandter und bildender Kunst beflügelt Absolventinnen und Absolventen bis heute. Ihre kreative Kraft ist verwirklicht in Bauten und Bildern, auf Straßen und Plätzen, in Büchern und Gebrauchsgegenständen.

Wer etwa das "Haus am Horn" in Weimar besucht, erkennt in dem begehbaren Museum, einem Musterhaus von 1920, bereits die Formensprache der gestalteten Lebenswelt des einundzwanzigsten Jahrhunderts.

Marianne Walz

Buchtip: Lothar Lang, Das Bauhaus 1919-1933. Idee und Wirklichkeit. Zentralinstitut für Gestaltung, Berlin 1966

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Erinnerung an den "Maler mit dem Stern"

Wer war Alfred Frank? Ein Maler und Antifaschist, ein Soldat gegen den Krieg. Die Faschisten ermordeten ihn. Sie vernichteten viele seiner Werke. Was ihrem Zugriff entzogen werden konnte - Selbstporträts, Porträts von Lenin, Liebknecht und Marx, Landschaften, Bilder von der sozialen Not und vom Kampf der Arbeiterklasse - wurde in der DDR gehütet. In diesen Bildern, die als Signum einen kleinen Sowjetstern tragen, Symbol der Zuversicht und des Sieges, ist Alfred Frank lebendig.

Eine Filmerzählung "Der Maler mit dem Stern" von Ursula und Michael Tschesno-Hell, die unter der Regie von Lothar Dutombé entstand, berichtet von ihm.

"Wenn man die Entwicklung unserer Republik miterlebt, dann denkt man oft an die Genossen, die nicht mehr sind, und dann fühlt man sich verpflichtet, etwas zu tun, daß sie nicht vergessen werden, daß sie weiterleben unter uns. Deshalb schrieb ich die Liebknecht- und Thälmann-Filme, deshalb versuchte ich, gemeinsam mit meiner Frau, mit der Gestalt der Klara Baumann in dem Film 'Die Mutter und das Schweigen' den Müttern und Frauen zu danken, die gegen Faschismus und Krieg kämpften, und deshalb machten wir unseren Film über Alfred Frank", sagte Michael Tschesno-Hell vor der Erstausstrahlung am 20. April 1969. "Ohne Menschen wie Liebknecht und Thälmann, wie diese Berliner Arbeiterin und wie dieser Leipziger Künstler wäre unser Leben nicht denkbar."

In Gesprächen mit der Lebens- und Kampfgefährtin Gertrud Frank, der zur Zeit der Dreharbeiten Siebzigjährigen, die Folter und Zuchthaus überstand, mit Genossen und Freunden, mit Kollegen und Schülern, aus Tagebuchblättern und Briefen vertiefte und verdichtete sich das Bild eines Mannes, der das Leben liebte und den Tod nicht fürchtete.

Ursula und Michael Tschesno-Hell verzichteten in ihrem Film auf eine Spielhandlung. "Alles, was geschieht und gesagt wird, kann man überprüfen, es sind Fakten", sagen sie. "Vor allem versuchen wir, durch Selbstzeugnisse das ausdrücken zu lassen, was über den Menschen und Künstler Alfred Frank zu sagen ist. Alfred Franks Werke legen Zeugnis ab für ihn. Von ihnen wird auch die zutiefst emotionale Wirkung des Films ausgehen."

Dennoch wird dieser Film keineswegs ein Film (nur) über bildende Kunst sein. Er wird - so formulierte es Lothar Dutombé - "ein Film sein über die Einheit der Persönlichkeit eines Künstlers. Wir werden in Alfred Frank einem Menschen begegnen, der sein persönliches und politisches Leben in Einklang gebracht hat."

Frank hat anläßlich einer Ausstellung im Leipziger Kunstverein im Jahre 1923 geschrieben, das Selbstbildnis sei "der beste Schlüssel zur Erkenntnis der psychologischen Beschaffenheit des Künstlers, der klarste Ausdruck seiner Persönlichkeit".

Alfred Franks Selbstbildnisse sind mehr als die Widerspiegelung des eigenen Ichs, es sind Bekenntnisse, Bekenntnisse zu seinem Weg, den er bis zu Ende gegangen ist. Sein 1934 geschaffenes Selbstporträt im Gefängnis ist eine Kampfansage. Es spricht von ungebrochener Entschlossenheit und von der moralischen Überlegenheit des Kommunisten.

"Er konnte und wollte sich nicht abfinden mit diesem 'Man kann nichts tun', das die Masse der Deutschen damals schweigen ließ", erzählt Michael Tschesno-Hell, der den Künstler persönlich gekannt hat. Frank kämpfte nach seiner Freilassung 1934 weiter illegal und mit neuen künstlerischen Mitteln. Er schuf Handzettel, gestaltete Schablonen mit antifaschistischen Kampflosungen, und seine revolutionären Graphiken waren in den Straßen Leipzigs zu finden, sogar an den Mauern des Polizeipräsidiums. Die Filmerzählung bringt uns den Künstler und den antifaschistischen Widerstandskämpfer nahe. Sie würde Wesentliches versäumen, wenn sie den Lehrer darüber vergessen würde, denn Alfred Frank war im doppelten Sinne des Wortes ein Menschenbildner. "Er schuf immer für die Menschen, und er lebte mit den Menschen", erzählt Ursula Tschesno-Hell. "Er leitete Malklassen der Volkshochschule und sammelte in der Marxistischen Arbeiterschule (MASCH) junge Leute um sich, fuhr sonntags mit ihnen hinaus in die Umgebung Leipzigs, lehrte sie die Heimat sehen und regte sie an, die Probleme ihres Lebens künstlerisch zu gestalten, denn für ihn war Kunst keine Berufsfrage, sondern ein schöpferischer Prozeß und zum Wesen des Menschen gehörig."

Alfred Frank wußte, daß sich diese Ganzheit des menschlichen Wesens nur in einer wahrhaft menschlichen, also sozialistischen Gesellschaftsordnung verwirklichen lassen würde. Dafür kämpfte er als Künstler in den Reihen der Kommunistischen Partei. Dieser Kampf ist noch nicht beendet. Er wird überall dort fortgesetzt, wo Menschen sozialer Unterdrückung und geistiger und emotionaler Verkrüppelung ausgesetzt sind. Nicht zuletzt in diesem Sinne ist die Filmerzählung "Alfred Frank - der Maler mit den Stern" auch ein heutiger Film. Die Bemühungen des Schöpferkollektivs zielen darauf hin, immer wieder Beziehungspunkte zur Gegenwart zu finden und auf vielschichtige Weise zu gestalten. Dabei werden die verschiedenen künstlerischen Elemente - Bilder, Plastiken, Literatur, Musik und filmische Dokumentationen - miteinander verschmolzen zu einer emotionalen Bilderzählung. Alfred Franks Impressionen vom damaligen Leipzig werden Szenen aus der sozialistischen Handelsmetropole Ende der 60er Jahre gegenübergestellt. Aus den Augen der Kinder armer Leute, welche Alfred Frank zeichnete, spricht die gleiche Not wie aus den Augen vietnamesischer Kinder zur Zeit der US-Aggression, und wenn in diesem Film Musik von Mikis Theodorakis erklingt, auch dann gehen Vergangenheit und Gegenwart ineinander über.

Geboren wurde Alfred Frank vor 135 Jahren (am 28. Mai 1884) - ermordet wurde er nach einem Urteil des NS-Volksgerichtshofs am 12. Januar 1945.

Gestützt auf einen Beitrag von Ilse Jung


Buchtip: Alfred Frank - Der Maler mit dem Stern. Nach dem gleichnamigen Fernsehfilm über den Maler und Graphiker. Henschelverlag, Berlin 1971, 112 S., zahlr. Abb.

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Erinnerung an einen "Verdienten Lehrer des Volkes"

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Vor 70 Jahren: Die erste Verfassung der DDR

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Wie sozial war die DDR tatsächlich?

Die DDR war ein sehr sozialer Staat. Man sprach im Zusammenhang mit den Sozialleistungen auch gerne von der sogenannten zweiten Lohntüte, deren Inhalt oft so groß war wie die ausgezahlten Gehälter der Arbeiter und Angestellten.

Ziel des sozialpolitischen Programms war die "Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage des ständigen Wachstums von Produktion und Produktivität". Als sein Kernstück galt das auf dem VIII. Parteitag beschlossene Wohnungsbauprogramm von 1973. Geplant war, bis 1990 dreieinhalb Millionen neue Wohnungen zu bauen. Damit hatten sich für 50 % der Bürger die Wohnbedingungen entscheidend verbessert. Die dreimillionste Wohnung wurde am 12. Oktober 1988 in Berlin-Marzahn übergeben.

Bei den Produkten des Grundbedarfes (Grundnahrungsmittel, Mieten, bestimmte Textilien, Kinderkleidung) blieben die Priese stabil. Diese Bereiche waren stark subventioniert. So lagen die Bruttomieten für eine fernbeheizte Wohnung zwischen 30 und 130 Mark (0,80 bis 1,20 M/qm), das waren nicht einmal 5 % des Familieneinkommens. Heute beträgt der durchschnittliche Mietanteil 30 % und mehr des Familienbudgets.

Das staatliche Gesundheitswesen war für die Nutzer vollkommen kostenlos. Der Patient war nicht Ausbeutungsobjekt, sondern Ziel der ärztlichen Kunst. Ärzte und Apotheker wurden durch den Staat bezahlt und hatten nicht die Möglichkeit, durch zusätzliche, mitunter zweifelhafte Leistungen weiteres Einkommen zu generieren. Das Gehalt der Ärzte orientierte sich an den Entgelten der anderen akademischen Berufe. Das staatliche Gesundheitswesen war effizient und flächendeckend strukturiert, insbesondere was die Polykliniken als zentrale Behandlungsorte für die Patienten betrifft. Dabei soll nicht übersehen werden, daß aufgrund fehlender Mittel nicht immer die modernste Technik vor Ort vorhanden war. Die Ärzte waren universitär gut ausgebildet. Der Einsatz erfolgte dort, anders als heute, wo sie benötigt wurden, was auch legitim ist, da das kostenintensive Studium durch das Gemeinwesen getragen wurde.

Es existierte ein Recht auf Arbeit. In der DDR war man faktisch unkündbar. Das galt unabhängig davon, ob es Krisen oder Absatzprobleme für die produzierten Güter gab. Heute wird man in diesem Fall entlassen. Dieses Recht und die Bedingungen, unter denen die Arbeit geleistet werden mußte, waren im Arbeitsgesetzbuch aus dem Jahr 1977 festgeschrieben.

Einen weiteren Schwerpunkt im Sozialprogramm der DDR bildete die Gleichberechtigung der Frauen. Oft hört man, die Frauen mußten ja arbeiten, da die Löhne in der DDR generell so niedrig waren. Sicherlich war es für die finanzielle Situation der Familien hilfreich, wenn die Ehefrau ihren Verdienst einbringen konnte. Im Sinne der Gleichberechtigung und der persönlichen Unabhängigkeit war die Berufstätigkeit der Frauen ein enormer historischer Fortschritt. Mit einer Beschäftigungsrate von etwa 90 % der Frauen bezog die DDR einen Spitzenplatz in der Welt. Um dieses Ergebnis zu erreichen, mußten durch den Staat Voraussetzungen geschaffen werden. Wichtig war dabei das gesellschaftliche Bewußtsein, das eine Diskriminierung der Frauen ausschloß und die althergebrachte Rollenverteilung zwischen Mann und Frau zunehmend aufhob. Des weiteren gab es gesetzliche Grundlagen, die Müttern nach der Geburt eines Kindes den Arbeitsplatz sicherten. Der Ausbau eines umfassenden Systems der Kinderbetreuung war ein wichtiges Anliegen des Staates.

Das Prinzip "Gleiches Geld für gleiche Arbeit" war nach geltender Arbeitsgesetzgebung einklagbar. So heißt es im § 2 (3) des Arbeitsgesetzes der DDR: "Das Arbeitsrecht trägt zur konsequenten Verwirklichung des Prinzips <'Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung' bei. Es sichert, daß den Werktätigen Löhne nach Qualität und Quantität der Arbeit gezahlt werden und daß Mann und Frau, Erwachsene und Jugendliche bei gleichen Arbeitsleistungen gleichen Lohn erhalten."

Besonders gefördert wurden junge Familien. So gab es für sie die Möglichkeit, nach der Eheschließung einen zinslosen Kredit in Höhe von 5000 Mark aufzunehmen. Bei der Geburt von Kindern wurden beim ersten Kind 1000 M, beim zweiten Kind 1500 M und beim dritten Kind 2000 M erlassen. Zusätzlich erhielten die Familien bei der Geburt eines Kindes 1000 M. Und, das sollte man auch nicht vergessen, es gab einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kindergarten- und Krippenplatz. Die Kosten für den Aufenthalt der Kinder betrugen in der Krippe ca. 30 M und in der Kinderkrippe ca. 12 M im Monat.

Es gab auch das sogenannte Babyjahr, d. h., die Mütter hatten das Recht, nach der Geburt des Kindes ein Jahr zu Hause zu bleiben. In diesem Fall erhielten sie 80 % ihres Bruttogehaltes. Keine Mutter brauchte im übrigen Angst zu haben, daß sie den Arbeitsplatz verliert. Dieser war ihr gesetzlich gesichert, und hinzu kam, daß ein Elternteil bei der Erkrankung des Kindes eine bezahlte Freistellung bekam. Soziale Errungenschaften, die sich erst jetzt, fast 30 Jahre später, langsam in der BRD durchsetzen.

Für junge Menschen waren Ausbildung und Studium komplett kostenlos. Zusätzlich erhielten sie ein Stipendium, welches die Grundbedürfnisse abdeckte.

Unbedingt zu erwähnen ist noch die preiswerte Feriengestaltung für Kinder in Ferienlagern: 12 Mark pro Kind oder die Urlaubsaufenthalte in Ferienheimen für Arbeiter und Angestellte: 50 M pro Erwachsenen. Nicht zu vergessen die umfangreichen Subventionierungen der Artikel und Leistungen des Grundbedarfes (Grundnahrungsmittel, öffentliche Verkehrsmittel, Schulspeisung, Betriebskantinenessen, Fernwärme, Strom, Kultur), Solidaritätsleistungen auch für Nicht-DDR-Bürger.

Ein besonders sensibler Bereich des Sozialprogramms war die Absicherung der älteren Menschen, der Rentner. In diesem Zusammenhang wird von den heute Herrschenden regelmäßig von Altersarmut in der DDR gesprochen. Lassen wir auch hier die Fakten sprechen! Es stimmt, daß für einen nicht geringen Teil der älteren Menschen die Renten nicht üppig waren. Erst die Gegenüberstellung der Rentenzahlungen mit der im Alter üblichen Verbrauchsstruktur und den Kosten läßt eine realistische Aussage zur Auskömmlichkeit zu.

Wie sah die Altersversorgung in der DDR tatsächlich aus? Die Finanzierung der Sozialversicherung erfolgte zum geringen Teil aus Beiträgen der Versicherten und zum größten Teil aus dem Staatshaushalt. Die Beiträge zur Versicherung betrugen 10 % des Einkommens, höchstens 60 Mark (Krankenversicherung, Rentenversicherung, Unfallversicherung). Aus diesen Beiträgen ergab sich Ende der 80er Jahre eine Mindestrente von 330 M und bei längerfristig Versicherten eine Rente von über 500 M. Zusätzlich zu dieser Grundversorgung bestand die Möglichkeit, bei einem Einkommen über 600 M, der freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FRZ) beizutreten, bzw. ein Teil der Beschäftigten gehörte einem der Sonderversorgungssysteme an (Intelligenz, Lehrer, Künstler, Bahn, Post, Parteien, bewaffnete Organe). Diese zusätzlichen Rentenzahlungen betrafen etwa 80 % der Altersrentner, die nach 1980 eine Rente bezogen.

Dieses beeindruckende Programm, welches weltweit einmalig gewesen sein dürfte, war natürlich nicht zum Nulltarif zu haben und führte auf einzelnen Gebieten zu nicht unerheblichen Disproportionen. So erfolgte z. B. der umfangreiche Neubau preiswerter Wohnungen zu Lasten der notwendigen Sanierungen der Innenstädte, es fehlten die Mittel für die Ausstattung des Gesundheitswesens mit modernster Technik, der Ausbau und die Instandsetzung der Infrastruktur konnte nicht im notwendigen Umfang realisiert werden. Die umfangreichen Subventionen wurden durch einen kleinen Teil der Bevölkerung zweckentfremdet genutzt. Die sozialpolitischen Maßnahmen führten zu ungeplanten erhöhten Ausgaben im konsumtiven Bereich zu Lasten der Modernisierung des produzierenden Bereiches.

Wir sehen, daß es sich beim Sozialsystem der DDR insgesamt um ein sehr anspruchsvolles Unterfangen handelte.

Andreas Wenzel

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Die Heinrich-Mann-Bibliothek Strausberg

Die Strausberger Volksbücherei wurde 1951 in Heinrich-Mann-Bibliothek umbenannt. Diese Namensverleihung und das Erinnern an den großen humanistischen Romancier Heinrich Mann ist heute wichtiger denn je.

Heinrich Mann, Schriftsteller, bedeutender bürgerlicher kritischer Realist, geboren am 27. März 1871 in Lübeck, gestorben am 12. März 1950 in Santa Monica (Kalifornien), im demokratischen Berlin beigesetzt, entstammte einer alteingesessenen Lübecker Bürgerfamilie. Nach Absolvierung des Gymnasiums wurde Mann Buchhändlerlehrling in Dresden und Verlagsangestellter bei S. Fischer in Berlin.

Er setzte sich als unermüdlicher Publizist und seit 1930 als Präsident der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste für eine humanistische Kulturpolitik ein. Seine Stimme erhob er gegen wiedererstehenden Militarismus, chauvinistische Gewaltpolitik und faschistische Barbarei. Manns Werk wurde von den Faschisten verboten und verbrannt. Er emigrierte 1933 über Prag nach Frankreich und später nach Kalifornien. Unübertroffen in der Bloßstellung des wilhelminischen Spießbürgers ist sein Hauptwerk "Der Untertan" (1912/14). Mit Mitteln der Groteske, Satire und Karikatur wird die gefährliche Machtgebärde der junkerlich-kapitalistischen Gesellschaft im frühen Imperialismus zeitig gebrandmarkt. Mit dem "Untertan" wurde Mann zum Warner seines Volkes und griff mit dem preußisch-deutschen Militarismus und Chauvinismus den Faschismus an seiner Wurzel an.

So ist auch sein Appell an die Deutschen nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus bedeutungsvoll. Der aufrechte Demokrat und konsequente Kriegsgegner wandte sich am Tag der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 in einem Aufruf "An das Volk von Berlin" (siehe im vorliegenden RF weiter vorn). Dort warnte er davor, sich bei der Frage nach der Schuld nur auf den "abgehauenen Lumpen Hitler" zu konzentrieren.

"Vor allem bedankt Euch bei seinen Geldgebern, die ihn und seinen entsetzlichen Unfug über Euch gebracht haben! Ruht nicht, bis der letzte von ihnen verschwunden und unschädlich ist, wenigstens soweit sie in Deutschland sitzen!"

Er forderte Gründlichkeit beim Ausmisten, das er eine Revolution nannte. "Den großen Generalstab abschaffen? Richtig, ... Die Junker entmachten? Richtig, ... Die Industriellen und Finanzleute sind der Feind, den Ihr schlagen sollt. Das könnt nur Ihr selbst. Versagt Ihr, kann auch kein fremder Sieger helfen. Ruht nicht, bis alle lebenswichtigen Unternehmungen übergegangen sind aus der Privathand in die öffentliche! Solange noch eine der großen Industrien individualistisch betrieben wird, drohen Euch Rechtlosigkeit und Gewalt wie je."

In der DDR hatte man seine das Gewissen aufrüttelnde Rede beherzigt, heute ist sie von vielen vergessen. Doch die Strausberger Stadtbibliothek kann stolz sein auf solch einen Namensgeber!

H. P.

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Das Kulturhaus Martin Andersen Nexö in Rüdersdorf

Der Oktober kam in Rüdersdorf wie jedes Jahr mit den üblichen Winden. Der Kalkstaub verteilte sich, einer Dunstglocke gleich, auf alles, was in seinem Einzugsbereich lag. Auf dem Hasenberg war der kalkhaltige Staubniederschlag geringer, und genau hier wurde ab 1954 ein Kulturhaus erbaut, das am 12. Oktober 1956 mit einer Festveranstaltung eröffnete.

Diesem Ereignis ging ein Besuch des 1. Sekretärs des ZK der SED Walter Ulbricht am 6. September 1953 voraus. Dabei hatte Ulbricht den Zementwerkern versprochen, daß sie bald ein eigenes Kulturhaus erhalten. Der Architekt Emil Leibold fertigte Entwürfe an. Das Modell des künftigen Rüdersdorfer Kulturhauses wurde dann in allen Abteilungen des Zementwerkes ausgestellt, und Werktätige sagten ihre Meinung dazu. Ab Frühjahr 1954 mußte Baufreiheit geschaffen werden, denn der zu dieser Zeit unbebaute Hasenberg war mit einem undurchdringlichen Dornengebüsch bewachsen. Es erfolgte der Aushub des Fundaments und am 15. Juli 1954 die Grundsteinlegung. Viele Rüdersdorfer - unter ihnen auch der damalige Werksdirektor Ernst Reißmann - beteiligten sich an freiwilligen Arbeitseinsätzen. Allein 350.000 Ziegelsteine wurden in das Fundament verbaut.

27 Monate später öffnete der repräsentative Kulturpalast, der den offiziellen Namen "Martin Andersen Nexö" und den Spitznamen "Akropolis" erhielt.

Nicht zu Unrecht, denn das Rüdersdorfer Kulturhaus ist mit seinen Pilastern, Kapitellen und Friesen ein "gebautes Denkmal", dessen historische und baukünstlerische Bedeutung für die DDR-Architektur der 50er Jahre ebenso unumstritten ist wie seine städtebaulich dominante Wirkung. Zudem war es mit einer Gesamtnutzungsfläche von 2500 Quadratmetern eines der größten Kulturhäuser der DDR.

Kurt Groll leitete das Haus von 1956 bis 1959. Er erinnerte sich an die Eröffnung: "Es war ein feierlicher, historischer Augenblick, als das Werksorchester 'Weihe des Hauses' von Beethoven spielte. Ein prominenter Schriftsteller hielt übrigens die Festrede: Willi Bredel. Unter den Ehrengästen weilte auch die Witwe des Schriftstellers Martin Andersen Nexö, dessen Namen unser Kulturhaus trägt. Sie gab die Zustimmung zur Namensgebung." Martin Andersen Nexö (1869-1954) der legendäre dänische Dichter, mit dessen Namen sich für Leser in aller Welt die Romane "Pelle der Eroberer" und "Ditte Menschenkind" sowie zahlreiche meisterhafte Erzählungen verbinden, zählte in der DDR zu den populärsten Schriftstellern. In hohen Auflagen wurden seine Bücher publiziert. Die Universitäten Greifswald und Leipzig verliehen ihm die Ehrendoktorwürde. Die Stadt Dresden kürte ihn zu ihrem Ehrenbürger. Schulen, Institutionen und Einrichtungen rechneten es sich zur Ehre an, seinen Namen tragen zu dürfen. So auch das Rüdersdorfer Kulturhaus.

Im Oktober 1956 erfolgte der festliche Einweihungsakt. Seither sind über 60 Jahre vergangen. Mit der Übernahme aller Immobilien der VEB Zementwerke Rüdersdorf durch die Readymix Zement GmbH erhielt auch das Kulturhaus diesen neuen Eigentümer. Gewinn war aber mit dem Kulturtempel nicht zu machen, so daß am 20. September 1994 das Haus als "Schenkung" ins Eigentum der Gemeinde überging. Seit 26 Jahren hängt das Haus nun am finanziellen Tropf, und nur dank des Fördervereins und vieler Sponsoren konnte zum 50. Jubiläum im großen Saal neues Parkett gelegt werden.

Martin Andersen Nexö stammte aus ärmsten Verhältnissen, arbeitete als Bauernknecht, Steinbrucharbeiter, Schuhmacher und schließlich als Maurerhandlanger. Während dieser Zeit besuchte er die Volkshochschule, anschließend einen einjährigen Kurs an der Lehrerhochschule in Kopenhagen, um dann Lehrer in einem Vorort Kopenhagens zu werden. 1898 erschien sein erstes Buch mit Novellen. "Ich fing an zu schreiben", so sagt Nexö über sich selbst, "um Luft zu kriegen, um über mein Los zu schimpfen, um ein bißchen Ellenbogenraum für mein Wesen zu bekommen. Ich hatte nichts dagegen, so zu schreiben, daß die guten braven Bürger dadurch ihren Appetit und ihren Nachtschlaf verloren." Noch vor dem Ersten Weltkrieg glückte ihm sein großer Coup: "Pelle der Eroberer". Nexö schildert die Arbeiter nicht aus der Sicht des bürgerlichen Intellektuellen, nicht als Objekte des Mitleids und Mitgefühls. Er stellt Pelle von Anfang an als Eroberer dar, der sich als Pionier der Arbeiterbewegung und Streikführer profiliert.

Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse führen zurück zu den Romanen "Pelle der Eroberer" und "Ditte Menschenkind". Obwohl Thomas Mann den proletarischen Dichter "den Stolz Dänemarks und ganz Europas moralischer Besitz" nannte, sind seine Bücher in den meisten Büchereien verschwunden. Dabei könnten sie helfen, die Menschen aufzurichten und geistige Trägheit zu beseitigen.

Dies würde auch dazu beitragen, die Kulturhaus-Kosten aufzubringen, denn die 400.000 Euro Zuschuß der Gemeinde pro Jahr reichen nicht. Eine GmbH versucht, den Status Kulturhaus zu erhalten, und kämpft um seinen Fortbestand.

Insofern paßt kein Name besser zu diesem Haus als "Martin Andersen Nexö", das in seinem mächtigen Baustil und dem Leben, was sich in ihm abspielt, dem Stil des Dichters entspricht sowie seiner Lebensauffassung, die Menschen zum Nachdenken anzuregen, sie zu bewegen, ihnen Freude und Entspannung zu bringen.

Heinz Pocher
Strausberg

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"Sie werden den Sieg über uns voll auskosten"
Zum 27. Todestag von Gerhard Riege

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Ein Kombinatsdirektor klärt auf

Seit einiger Zeit liegt sie vor: die umfassendste historische Darstellung der technologischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung der Chemieregion Bitterfeld-Wolfen, die vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Ende der DDR zu den größten, bedeutendsten und innovativsten Chemiestandorten in Deutschland zählte.

Mit diesem Buch schließt der Autor, Dr. Adolf Eser (Insider und letzter Generaldirektor des Chemiekombinats Bitterfeld), eine bisherige Lücke in der Wirtschaftsliteratur über die großen Chemiekombinate der ehemaligen DDR. Bereits früher erschienen Bücher zum Petrolchemischen Kombinat Schwedt, zu Buna und Leuna, zum Stickstoffwerk Piesteritz, zur Filmfabrik Wolfen, zum Synthesekombinat Schwarzheide u. a.

Das Chemiekombinat Bitterfeld (CKB) ging 1969 aus der Fusion des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld und der Farbenfabrik Wolfen hervor sowie der Angliederung weiterer Kombinatsbetriebe in der Republik. Zur Entstehung und Entwicklung beider Werke in Bitterfeld und Wolfen und auch des daraus gebildeten Stammbetriebes des Kombinats gibt es eine Reihe von themenbezogenen Veröffentlichungen, die der Autor auch als Quellen und weiterführende Literatur aufführt und an denen er punktuell beteiligt ist.

Dieses Buch ist kein Roman zur abendlichen Entspannung, sondern ein sehr anspruchsvolles Sachbuch mit einem umfangreichen Volumen an Fakten und Daten. Dem Autor ist es gelungen, die Komplexität der Entwicklung dieser Chemieregion darzustellen, die sowohl die technologischen und Chemieinnovationen als auch die ökonomischen und sozialen Faktoren und die Wirkung auf die Menschen in dieser Region umfaßt.

Aus der Fülle der behandelten Themen sollen folgende besonders hervorgehoben werden:

1. Sehr deutlich behandelt der Autor die Rolle der IG Farben, der die meisten Werke der Region bis zum Ende des 2. Weltkrieges gehörten, und ihre Verquickung in die Vorbereitung und Durchführung beider Weltkriege.

Auch in den Bitterfelder Werken der IG Farben wurden Giftgase für den 1. Weltkrieg produziert. Ihre Werke an Rhein und Main beteiligten sich mit dem Giftgas Zyklon B an der massenhaften Judenvernichtung in den KZs der Faschisten. Wer weiß heute noch, daß alle IG-Farben-Chefs in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen freigesprochen wurden?

2. Adolf Eser geht ausführlich auf die in der Öffentlichkeit - schon zu DDR-Zeiten - diskutierte Umweltproblematik im Raum Bitterfeld-Wolfen ein und weist nach, daß der Ursprung der hohen Belastungen bereits in der IG-Farben-Zeit liegt. Ihre Werke hatten keine Abwasserbehandlung und leiteten alle Abwässer in die Mulde. Luftbelastungen entstanden in hohem Maße durch die Kohlegruben und ihre Verarbeitungsfabriken, nicht nur durch die Chemie.

In der DDR-Zeit verstärkten sich trotz umfangreicher Gegenmaßnahmen die Probleme mit Abluft und Abwasser, was im Buch sehr kritisch behandelt wird. Detailliert werden die zahlreichen Maßnahmen zur Reduzierung der Umweltbelastungen und zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen nachgewiesen, so durch ein breites Programm zur Rationalisierung, Stabilisierung und Modernisierung (RSM) der Grundmittel und die Stillegung von 20 Altanlagen.

3. Breiten Raum nehmen Forschung und Entwicklung von Erzeugnissen, Verfahren und Technologien ein. Hier gehörte die Region schon zu Vorkriegszeiten zu den innovativsten in Deutschland. Diese Tradition wurde zu DDR-Zeiten nahtlos fortgesetzt. Das CKB gehörte zu den Kombinaten mit dem höchsten Forschungspotential, sowohl personell als auch finanziell. Dazu zählten Schlüsseltechnologien wie die Biotechnologie und die breite Anwendung der EDV, besonders in der Prozeß-Steuerung.

Die primäre Bedeutung von Forschung und Entwicklung ergab sich auch aus der enormen Sortimentsbreite des Kombinats. Das CKB hatte die breiteste Erzeugnispalette aller Chemiekombinate.

4. Die detaillierte Darstellung des Arbeitsvermögens (ca. 18.000 Beschäftigte im Stammbetrieb) vermittelt tiefe Einblicke in Fragen der Qualifizierung, der Mitbestimmung, der Rolle der Gewerkschaften vor Ort, aber auch in auftretende Konflikte in und mit den Arbeitskollektiven. Beeindruckend ist die Darstellung der enormen sozialen Leistungen für die Werktätigen des Kombinats, vor allem des Stammbetriebes, aber auch für die Einwohner des Territoriums.

5. Einen großen Abschnitt widmet der Autor der Abwicklung des Kombinats durch die Treuhandanstalt Anfang der 90er Jahre. Hier wird fokussiert und völlig zutreffend die Strategie der Alt-BRD zur Deindustrialisierung der DDR, zur Zerschlagung der Kombinate bzw. die Teilprivatisierung an neue Eigentümer (über 90 % aus der Alt-BRD) sichtbar.

Im Ergebnis dessen beweist der Autor, daß einer der größten deutschen Chemiestandorte mit enormer Sortimentsbreite infolge der stofflichen Verflechtung de facto verschwunden ist - mit den bekannten sozialen Auswirkungen, die bis heute anhalten.

In der Dokumentation des heutigen Verbandes der Chemischen Industrie Deutschlands sind alle wichtigen Chemieparks der Bundesrepublik gelistet - Bitterfeld-Wolfen ist nicht mehr dabei! Daran ändert auch der entstandene Gewerbepark mit mittelständischen Firmen und einigen isolierten Chemieansiedlungen (z. B. Bayer/Aspirin) nichts.

Das Buch ist eine Fundgrube für alle historisch Interessierten, für Freunde der Chemie, für alle ehemaligen Mitarbeiter des CKB, für Studenten und all jene, die sich an die großen Leistungen der Menschen in der Region und im Kombinat erinnern wollen, aber auch an die Verwerfungen und sozialen Abstiege nach 1990; es ist allen zu empfehlen, die objektiv und ohne Vorbehalte erfahren wollen, wie und warum dieser große Chemiestandort zerschlagen wurde.

Die Lektüre ist nicht einfach und erfordert hohe Konzentration, vor allem wegen seiner vielen fachspezifischen Begriffe und Beschreibungen, aber auch wegen seiner zu tiefen Gliederung in den vier Komplexen der Entwicklung bis 1925, von 1925 bis 1945, von 1945 bis 1990 und von 1990 bis zur Gegenwart. Seitenangaben bei den Gliederungspunkten wären sinnvoll gewesen, sie hätten das schnellere Auffinden von bestimmten Abschnitten erleichtert.

Dem Autor, Dr. Adolf Eser, sei gedankt für diese aufwendige Arbeit, die sich über viele Jahre erstreckte und ein enormes Pensum an Quellenstudium, Aufarbeitung eigener Unterlagen aus der aktiven Zeit im Kombinat und tangierender Literatur erforderte.

Ich wünsche mir, daß das Buch viele Leser findet.

Dr. Dieter Knoch, Berlin


Adolf Eser: Von Alaun bis Zitronensäure.
Ein Streifzug durch die Geschichte.
United p.c. Verlag, München 2015, 508 S., 29,19 €

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Stimmen aus aller Welt über die DDR

Solange der sozialistische deutsche Staat, die DDR, existierte, haben sich immer wieder Persönlichkeiten aus der ganzen Welt bei oder nach Besuchen über die DDR geäußert. Zum 30. Jahrestag am 7. Oktober 1979 hat die Auslandspresseagentur Panorama DDR über hundert solcher Stellungnahmen in einem Buch vereint. Entstanden ist so ein Mosaik persönlicher Erfahrungen und Erkenntnisse, die jeweils ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit widerspiegeln. Stellvertretend für die anderen veröffentlichen wir hier einige dieser Äußerungen - Älteren zur Erinnerung, Jüngeren zur Verdeutlichung dessen, was die DDR für die Welt (und für uns) war.

José Saramago (1922-2010)
Schriftsteller, Portugal

In Erinnerung an die Tage, die ich in der Deutschen Demokratischen Republik verbrachte, ziehen in meinem Geist Bilder, Gesichter, Laute vorüber; die natürliche Schönheit der Landschaft, das vernunftbedingte Panorama der Städte; der Puls der Arbeit kehrt wieder, und ich höre mich fragen: Wie viele Jahre braucht ein Volk, um sein Land aufzubauen?

Auf dem Boden, auf dem sich heute die Deutsche Demokratische Republik befindet, leben die Nachkommen jener, die sich von der Barbarei frei machten, die Kaiserreiche, Feudalstaaten, Fürstentümer, Staatenbünde, wiederum Kaiserreiche erlebten und schließlich die imperialistische Besessenheit des Faschismus durchmachen mußten. Dieser kurze Beitrag erhebt in keiner Weise den Anspruch einer historischen Abhandlung. Dennoch will ich in ihm den drastischen Bruch hervorheben, den die Gründung der DDR darstellte, diese Form eines qualitativen Sprunges, dem quantitative Sprünge vorausgingen, diese große moralische Selbstbehauptung, der Wille nach einer Umgestaltung des kollektiven Denkens und Fühlens.

Unter den besonderen Bedingungen des Entstehens der DDR war es nur mit einem festen politischen Bewußtsein und einer starken moralischen Haltung gegenüber der offenen Feindschaft der halben Welt möglich, diese Herausforderung zu wagen, die die Schaffung nicht nur durch das Volk selbst darstellte.

Nach meiner Auffassung ist dies eines der großen gesellschaftlichen Ereignisse unseres Jahrhunderts. Das ist einer der Aspekte der DDR, der mich als Kulturschaffenden am tiefsten bewegt: Hier ist ein Volk, das sich dafür entscheidet, eine neue Geschichte zu schreiben, das Leben an den Orten wiederaufzubauen, an denen es verwurzelt ist und wo es aus den besten Traditionen Kraft schöpft. Dies ist etwas, das unser Vertrauen in die Kraft der Erneuerung der Menschheit stärkt.

Die Zeit, in der die DDR als unabhängiges Land und Volk besteht, diese historisch äußerst kurze Zeit, zeigt, welche tiefgreifenden geistigen, gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Umgestaltungen ein kollektiver Wille bewirken kann, der sich seiner Ziele bewußt ist.

Die Deutsche Demokratische Republik hat die Ausdrucksstärke des Wortes "möglich" erweitert. Besser gesagt: Sie hat die Grenze hinausgeschoben zwischen dem, was man für möglich und demnach von den Menschen für machbar hielt, und dem, was nur gewisse Utopien für möglich zuließen. Ich beziehe mich jetzt bewußt nicht auf materielle Errungenschaften, nicht einmal auf die Vorzüge einer besseren Lebensqualität, auf die neuen sozialen Errungenschaften der Kultur. Ich beziehe mich hauptsächlich auf jenen anderen Teil der ganzen Gemeinschaftsarbeit, was man nicht mit einem Wort erfassen kann. Ich würde es als Reform des Menschen zu bezeichnen wagen, als den neuen Menschen in seiner auserwählten Neuheit.


Prof. Sergej Obraszow (1901-1992)

Direktor des Zentralen Puppentheaters Moskau, Präsident des Internationalen Puppentheaterverbandes

Ich bereiste zum erstenmal in den zwanziger Jahren Deutschland. Damals noch als Schauspieler zusammen mit einer Theatergruppe. Seitdem interessiere ich mich für dieses Land und seine Kultur.

Seit ich mit meinem Puppentheater in das sozialistische Deutschland komme, nehme ich auf ganz neue, andere Weise teil an der Entwicklung Ihres Landes. Einmal, weil es zur sozialistischen Gemeinschaft gehört, zum anderen, weil es speziell mit meinem Land auf sehr enge Weise freundschaftlich verbunden ist.

Meine Aufmerksamkeit gehört besonders der kulturellen Entwicklung. Das meine ich im weitesten Sinne. Natürlich liebe ich Ihre Musik, Ihre Literatur. Aber ich liebe auch deutsche Fachwerkhäuser, liebe die sächsischen Barockbauten, Ihre Gotik. Aber ein Land darf nicht nur von seinen Erinnerungen leben. Es muß mit dem Wort "Es wird" leben. Das finde ich hier in der DDR schön und stark entwickelt. Jedesmal, wenn ich in Ihr Land komme, entdecke ich Neues, zum Beispiel gibt es in den alten Städten interessante architektonische Lösungen, die beweisen, wie behutsam das Alte - im dialektischen Sinne - im Neuen aufgehoben ist. Kulturelle Entwicklung - darunter verstehe ich auch, was für die Alten, für die Kinder getan wird. Und das ist in der DDR sehr viel. Die selbstverständliche Eingliederung von Altenwohnheimen, Schulen und Horten in die Neubaugeschichte weist aus, daß das selbstverständliche Miteinander der verschiedenen Generationen auch von den baulichen Voraussetzungen her gelöst ist.


Mohamed Majzoub

Fernsehjournalist, Syrische Arabische Republik

Mein Aufenthalt in der DDR ist mein erster Besuch in einem sozialistischen Land. Ich war deshalb besonders daran interessiert, alles zu begreifen, was um mich herum passiert, die Aktivitäten dieser Gesellschaft zu studieren und enge Beziehungen mit den Bürgern dieses Landes zu knüpfen.

Eines, was mir in der DDR besonders auffiel, ist die Tatsache, daß die Arbeiterklasse einen großen Teil ihrer Einflußnahme auf Gesellschaft und Wirtschaft durch die Gewerkschaften verwirklicht. Mir gefällt die zentrale staatliche Leitung und Planung der Industrie. Das garantiert allen Bezirken volle Gleichberechtigung in ihrer Entwicklung. Jeder Bezirk kann eine Industrie aufbauen, die seinen sozialökonomischen Bedingungen entspricht. Das Wichtigste bei der Industrialisierung ist meiner Meinung nach das Interesse der Regierung an der Modernisierung und Rekonstruktion der Betriebe, die den Arbeitern Ansporn ist, den Plan überzuerfüllen und den wissenschaftlich-technischen Fortschritt in den Betrieben zu verbessern.

Auf dem Gebiet der Landwirtschaft gefällt mir das System der Genossenschaftsproduktion, die die Möglichkeit schafft, das wissenschaftlich-technische Niveau anzuheben und mittels der Mechanisierung die landwirtschaftliche Produktion zu erhöhen. Den Nutzen haben nicht nur die Genossenschaftsbauern, sondern die gesamte Gesellschaft. Darüber hinaus trägt die Industrialisierung dazu bei, die Lebensbedingungen in den Dörfern zu verbessern. Stadt und Land nähern sich einander an, und das ist ein großer Fortschritt.

Ich glaube also, daß alle Bürger der DDR ihre Rechte zur Teilnahme bei der Gestaltung des Lebens in dieser sozialistischen Gesellschaft und beim Aufbau des Staates voll und ungehindert wahrnehmen.


Detlef Hensche

Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Druck und Papier, BRD

Unsere Besuche in den Betrieben der DDR hatten vor allem das Ziel, ein Bild vom System der Mitwirkung zu gewinnen. Wir verstehen die Mitbestimmung vornehmlich als Hebel zur Lösung von Konflikten zwischen Arbeitern und Unternehmen, und zwar im Interesse der Arbeiter. In der DDR gibt es zwischen Werkleitung und Betriebsgewerkschaftsleitung auch Meinungsverschiedenheiten, ja Konflikte. Der durchgängige Stil ist jedoch geprägt von gemeinsamer Beratung und gemeinsamer Planaufstellung. Der Direktor kommt nicht -wie die Unternehmensleitung bei uns - aus einer anderen Welt. Die Direktoren beider Betriebe, die wir besucht haben, stammten aus der Belegschaft selbst. Allgemein ist die Werkleitung in der DDR aufgrund der gesellschaftlichen Machtverhältnisse sowie infolge der starken Bindung an die gesellschaftlichen Organisationen und die Parteien in ihrer Stellung wesentlich abhängiger von der Betriebsgewerkschaftsleitung, als dies bei uns jemals der Fall sein könnte.

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In eigener Sache

Liebe "RotFuchs"-Leserinnen und Leser, liebe Mitglieder des Fördervereins, seit Februar 1998 erscheint der "RotFuchs" Monat für Monat (seit dem letzten Jahr mit einer kleinen, vom Vertrieb gewünschten Verschnaufpause im Sommer). Klaus Steiniger, der Initiator und Gründer der Zeitschrift, hatte seinerzeit nicht damit gerechnet, daß der "RotFuchs" so lange existiert, dann aber gehofft, daß er auch ohne ihn weiter erscheint. Wir haben ihm dies vor seinem Tod vor drei Jahren versprochen und das Versprechen bisher halten können.

Aus den ersten Anfängen mit seinerzeit noch am "Küchentisch" kopierten erst acht, dann zwölf und schon bald 24 Seiten entwickelte sich eine vielgelesene marxistische Monatszeitschrift, die nicht dem bürgerlichen Mainstream folgt. Sie ist eine Tribüne für Kommunisten, Sozialisten und andere Linke, die nicht nur in Deutschland, sondern mit wachsendem Interesse auch im Ausland gelesen und beachtet wird.

Es wurde bereits mehrfach sowohl in der Zeitschrift als auch vor allem bei den zentralen Leser- bzw. Mitgliedsversammlungen über die ganz besonderen Bedingungen berichtet, unter denen der "RotFuchs" entsteht. Für die vielen neu dazugestoßenen Leserinnen und Leser hier noch einmal einige Fakten.

Die gesamte Herstellung ist eine komplexe und kollektive Fleißarbeit von vielen Beteiligten, die aus Überzeugung und überwiegend unentgeltlich die Zeitschrift gestalten, an ihrer Fertigung und bei ihrem Vertrieb mitwirken. Ohne dies wären das monatliche Erscheinen in der anerkannten inhaltlichen und formalen Qualität und der regelmäßige Versand von über 10.000 Exemplaren undenkbar. Alles, was mit der Herausgabe der Zeitschrift in Verbindung steht, wird mit minimalem Kostenaufwand, aber maximalem persönlichem Einsatz organisiert. Die größten Ausgaben fallen dabei für das Layout, den Druck und den Versand der Zeitschrift an - und die Postgebühren steigen weiter.

Der "RotFuchs" hat ein Postfach, aber keinen Verlagssitz. Ein für den Vertrieb Verantwortlicher berichtete, daß er Anrufe von Lesern erhielt, die mit der Redaktion verbunden werden wollten. Wir haben aber keine Redaktion mit Vorzimmer, Sekretariat und einzelnen Abteilungen oder Ressorts. Die tägliche redaktionelle Arbeit erfolgt in den Wohnungen der Beteiligten. Lediglich für den Versand werden einmal im Monat separate Räumlichkeiten benötigt und genutzt.

Jede Ausgabe des "RotFuchs" wird (wie auch die zu verschiedenen Themen zusätzlich erscheinenden Beilagen) jeweils neu zusammengestellt aus:

  • unaufgeforderten Einsendungen von Beiträgen neuer Autoren oder solcher aus unserem Autorenkreis (vieles erreicht uns nur handschriftlich und muß, falls zur Veröffentlichung geeignet, entziffert und abgeschrieben werden)
  • Wunsch- oder "Auftrags-"arbeiten, welche die Redaktion in bestimmten thematischen Zusammenhängen oder aus gegebenen terminlichen Anlässen von Autorinnen oder Autoren erbittet bzw. an diese vergibt
  • Beiträgen, die von Redakteuren selbst verfaßt werden (z. B. die Leitartikel) oder die im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Fördervereins stehen (Veranstaltungshinweise, Geburtstagsglückwünsche u. ä.)
  • Archivfunden (Tages- und Wochenzeitungen, Zeitschriften und Bücher aus vielen Jahrzehnten sozialistischer und kommunistischer Publizistik stehen zur Verfügung und müssen dazu durchsucht, Gefundenes muß gescannt und ggf. bearbeitet werden)
  • Die "Bildredaktion" ist zuständig für das Suchen, Beschaffen, Auswählen und Bearbeiten von Photos, Graphiken und Karikaturen, die vor allem optische Ergänzungen und Interpretationen zu Artikeln bieten, aber auch selbständigen Charakter haben können.

Alle Texte (pro Heft mit einem Umfang von etwa 250.000 Zeichen) werden sorgfältig lektoriert und korrigiert, auf sachliche Richtigkeit geprüft und - soweit notwendig - stilistisch überarbeitet.

Als nächstes wird ein erstes Layout-Konzept erstellt. Das nach inhaltlichen Kriterien geordnete Text- und Bild-Material wird dabei möglichst optimal auf die zur Verfügung stehenden Seiten (versandbedingt derzeit maximal 36) verteilt. Nicht immer lassen sich dabei alle Kriterien gleich gut berücksichtigen, gelegentliche Kompromisse oder Umstellungen führen aber meist zu stimmigen Lösungen. Anhand dieses Konzepts wird dann von unserem Graphiker gemeinsam mit dem verantwortlichen Redakteur ein Layout realisiert, überprüft, korrigiert und nach einer nochmaligen Gesamt-Revision durch den Korrektor und der Druckfreigabe (dem Imprimatur) in digitaler Form an die Druckerei (sowie gleichzeitig an den für die Aktualisierung der Homepage Zuständigen) übermittelt.

Nach dem Druck werden alle Exemplare abgeholt und zum Verteilungspunkt transportiert. Im Vorfeld der Versandarbeiten muß das sich häufig ändernde Adressenmaterial (Umzüge, Sterbefälle, Neuzugänge etc.) auf dem Laufenden gehalten werden. Falsche (oder falsch geschriebene) Adressen führen zu unnötigem Verlust und verständlichem Ärger beim Abonnenten.

Die Leseradressen werden ausgedruckt und die Versandtaschen damit beklebt, die nach Postleitzahlengebieten sortiert werden. Anschließend geht es ans "Eintüten" der Zeitschriften. Wenn alle Versandtaschen gefüllt sind, erfolgt das Bündeln der postleitzahlengerechten Pakete. Auf mehreren Paletten gestapelt erfolgt dann der Transport der Hefte zur Deutschen Post.

Seit dem ersten Erscheinen des RF ist beim Versand eine unserer aktivsten und langjährigsten Aktivistinnen, Sonja Brendel, dabei. Sie wurde am 16. März 90 Jahre alt. Ein weiteres Mal: Herzlicher Dank von allen!

Es sind viele Genossinnen, Genossen und Kollegen an den Vorbereitungen, der eigentlichen Redaktionsarbeit, dem Layout, der Korrektur, dem Druck und dem Versand beteiligt. Teilweise seit nunmehr über zwei Jahrzehnten gewährleisten sie alle durch ihr Engagement und ihre kontinuierliche Arbeit das Erscheinen der Zeitschrift.

Zum 1. April hat Arnold Schölzel seine Tätigkeit als stellvertretender Chefredakteur der "jungen Welt" beendet und von Wolfgang Metzger die Leitung des "RotFuchs"-Redaktionskollektivs übernommen.

R. N. / me.

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LESERBRIEFE

Zu Kay Strathus: Die DDR, ein Staat, in dem 40 Jahre lang Mangel herrschte, RF 252, S. 32
Ja, es stimmt wirklich: Wir hatten in der DDR tatsächlich vierzig Jahre lang weniger angehimmelte Leistungsträger, angepaßte Kirchen, angewiesenen Teamgeist, Apotheken, Arbeitsplatzangst, Ärztemangel, Automobilklubs, Bankenskandale, Banküberfälle, Baumärkte, Biersorten, Bordelle, bunte Zeitschriften und Bild-Zeitungen, weniger Einkaufscenter, erschossene Schüler, exklusive Hotels, fahrbare Verkaufstellen, Falschgeld, Falschheit unter Kollegen, freie Außendienstmitarbeiter, freiwillig unbezahlte Überstunden, zugedröhnte und kiffende Discobesucher, geschlossene Bahnhöfe, Glasfassaden, Golfplätze, hohe Benzinpreise, weniger hohe Krankenversicherungsbeiträge, Industriebrachen, Karrieregeilheit, Keuchhustenerkrankungen, Kinderarmut, Kinderbetreuungskosten, kommerzielle Werbung, Küchenstudios, leere Gaststätten, leere Kultursäle, leere Neubauwohnungen, Mode-Labels, weniger Münzsorten, Nachtangst, Notare, öffentlich dargestellte Kriminalität, Preisstreß, Privatfernsehsender, Raubüberfälle, Rechtsanwälte, Reiche, Reiseunternehmen, Reiseverkaufsveranstaltungen, Reiterhöfe, Scheindemokratie, schlechte Bildungsnoten, Schnapsvielfalt, Schulabbrecher, Sicherheitsdienste, Singles, Sozialneid, Spielhöllen, Steuerbetrüger, Tankstellen mit Brötchenverkauf, weniger Teilzeitarbeit, teure Medikamente, teure Tageszeitungen, Tuberkulosekranke, überdimensionierte Großprojekte, unbezahlbare Reisefreiheit, unverbindliche Freundlichkeit, Verkehrstote, Versandhandel, Versicherungen, Waffenrechte, Währungsspekulation, Waschmittelmarken, Wirtschaftsprüfer, Zukunftsnot und so weiter ...

Ronald Dietrich Wandel, Oberlungwitz


Zu "Erinnerung an Michail Scholochow", RF 253, S. 19

Während in der BRD "Der stille Don" als kommunistische Propaganda diskreditiert und "Ein Menschenschicksal" wegen der Anklage gegen den deutschen Faschismus ignoriert wurde, gehörten die Werke Scholochows in der DDR zum Bildungsgut von Millionen. "Das Volk" - Zentralorgan der SED-Bezirksleitung Erfurt - schrieb am 27. Februar 1987 in einer Erfolgsmeldung über Spartakiadegold, daß eine 17jährige Eisschnelläuferin ihre Leselust mit dem Scholochow-Roman "Neuland unterm Pflug" stillt. Wer stellt heute die Frage nach Verwirklichung einheitlicher Ziele im gesellschaftlichen und persönlichen Interesse, die Frage nach Vorbeugung bzw. Verhinderung individueller Fehlentwicklung, nach Vertrauen in Entwicklungsfähigkeiten und - perspektiven des Menschen? Die Fragen sind aktuell. Immer noch werde ich angesprochen: Ich war in der Sportgruppe jener Eisschnelläuferin ­...

Manfred Wozniak, Erfurt


Zu E. Pößneck: Otto Grotewohl - ein Kämpfer für Frieden, Demokratie und Sozialismus, RF 254, S. 29
Es war gut, daß im "RotFuchs" der herausragende Politiker Otto Grotewohl gewürdigt wurde. Wenn heute überhaupt an seinen 125. Geburtstag erinnert wird, dann meist in diffamierender Weise. So auch in der Zeitschrift "super TV" unter dem Titel "Otto Grotewohl: Mann mit gutem Gewissen oder Marionette von Moskau?" Da heißt es dann, im Westen meine man bis heute: Er verriet die Sozialdemokratie an Stalin ­...
Es wäre schön, wenn die heutige SPD einen Politiker wie Otto Grotewohl hätte!

Dr. Kurt Laser, Berlin


Zu: Das vergessene Lager, RF 254, S. 18
Als "Bredelianer" und begieriger Leser des "RotFuchses" hat es mich besonders gefreut, daß in der März-Ausgabe unser neues Buch "Das vergessene Lager" über die am authentischen Ort weitgehend im Originalzustand erhaltenen Zwangsarbeiterbaracken Hamburgs vorgestellt wurde.
Bedauerlicherweise wurde von unserer Seite versäumt, den Leser darauf hinzuweisen, daß wir nicht nur Angebote für Schulklassen und Gruppen auf Anfrage haben, sondern auch jeden ersten Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr Führungen durch die Ausstellungen anbieten.
Zusätzlich finden inzwischen drei Sonderöffnungen im Jahr statt:
- Zur Woche des Gedenkens an die Befreiung des KZ Auschwitz im Februar oder März
- Am Tag des offenen Denkmals im September (8.9.2019)
- Am Tag der Hamburger Geschichtswerkstätten Ende September/Anfang Oktober (29.9.2019)
Solidarische Grüße

Holger Schultze / Willi-Bredel-Gesellschaft-Geschichtswerkstatt e. V., Hamburg (www.bredelgesellschaft.de)


Stellt Migration wirklich eine Gefahr dar für Deutschland und die dort wohnenden Deutschen? Gibt es überhaupt eine Bedrohung durch Migranten und offene Grenzen? Im Vergleich - bezogen auf die jeweiligen Einwohnerzahlen - mit den anderen Aufnahmeländern von Flüchtlingen weltweit nimmt das reiche Deutschland erschreckend wenige Migranten auf. Die unter deutschen Linken geführte Diskussion zum Thema Migration als ein Schwerpunkt für politische Handlungsorientierung sitzt offensichtlich einer medial verbreiteten Desinformation auf. Cui bono? Wem nützt das? Auf jeden Fall dem ordo-(neo-)liberalen globalen Weltordnungssystem, das uns beherrscht, in dem Deutschland einen Platz an der Sonne belegt, den es mit allen Mitteln - auch militärischen - absichert.

Und wenn jetzt erleichtert festgestellt wird, daß gar nicht mehr so viele Migranten kommen? Ruhen wir uns mit gutem Gewissen aus und blenden aus, wo und wie die Migranten tatsächlich, und zwar unter verheerendsten, unmenschlichsten Bedingungen, festgehalten werden, damit sie uns nicht behelligen? Ich merke an, daß Deutsche bis heute Weltmeister sind im Verdrängen und Verleugnen von Verbrechen, die in ihrem Namen begangen wurden. Verdrängen wir schon wieder Verbrechen, an deren Ausübung wir direkt oder indirekt beteiligt sind?

Beate Brockmann, Praeto (Italien)


Am 21. Juli vergangenen Jahres wurde manchenorts des 125. Geburtstages Hans Falladas gedacht. Wenigen ist bekannt, daß Fallada der sowjetischen Armee für die Befreiung von Nazi-Deutschland sehr dankbar war.
Grigorij Weiss beschreibt in seinem Buch "Am Morgen nach dem Kriege. Erinnerungen eines sowjetischen Kulturoffiziers" - 1981 in der Übersetzung von Leon Nebenzahl im Berliner Verlag der Nation erschienen - folgendes Gespräch, das er mit Hans Fallada führte.
"'Wissen Sie, worauf ich jetzt zu trinken vorschlage?' Er nahm das volle Glas in die Hand. 'Auf jenen Roman, den ich unbedingt schreiben muß ...'
Hans Fallada legte eine Pause ein und fuhr alsdann fort: 'Ich will einen Roman über die Russen schreiben. Über sowjetische Offiziere. Und nicht etwa, weil ich Russen vieles verdanke, nicht etwa, weil sie für mich persönlich unfaßbar viel getan haben! Nein! Nein!', wiederholte der Schriftsteller und schüttelte den Kopf. 'Die russischen Menschen erschütterten mich. Derartiges habe ich noch nie gesehen. Wo und wann hat es das je gegeben, daß eine Siegerarmee dem besiegten Volk so viel Hochherzigkeit und Güte entgegenbrachte? Ich meine nicht die offizielle Politik, nicht die überall angebrachten Losungen. Obgleich wir Deutschen diese Losungen auswendig lernen sollten wie Gedichte. Ich spreche vom Alltag, von dem, was ich als Bürgermeister der Stadt Feldberg gesehen und erlebt habe ... Teufel noch mal!', schrie Fallada, 'ihr seid doch als Sieger hergekommen. Als Befreier ganz Europas. Vier Jahre habt ihr weder Schlaf noch Ruh gekannt, habt dem Tod mehr als einmal ins Auge geblickt ... Tausend Toden! Eure Herzen hätten versteinert sein müssen. Euer war das Recht, zu feiern, zu prassen, das Leben zu genießen, das euch das Schicksal geschenkt hatte ­... Aber was habe ich gesehen? Besessene Kommandanten, die weder sich selbst noch mir Ruhe gönnten, bis für die Deutschen noch eine Bäckerei die Arbeit aufnahm, bis ein Kraftwerk Strom lieferte, ein Kino eröffnet wurde, Nahrungsmittel für das Kinderkrankenhaus herangeschafft waren. Was ging euch das alles an? Sollten doch die Deutschen krepieren, sollten sie verhungern, wahnsinnig werden - was ging das euch an? So gedacht haben in jenen Tagen sogar viele Deutsche ­... Meine Freunde Kommandanten aber - es waren ihrer nacheinander drei oder vier - holten mich in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett und fragten mich, wieviel Arbeitskräfte ich bei der Enttrümmerung eingesetzt habe, wieviel Brot gebacken und ob Gemüse herangeschafft worden ist. Dann fuhren sie auf die Felder, kontrollierten den Ablauf der Saatkampagne, als wären sie irgendwo im Rjasaner Gebiet, als wären es ihre eigenen Kinder, die dieses Brot brauchten!'
Hans Fallada trank plötzlich aus, aß ein Stück Wurst dazu und sagte, nicht auf uns, sondern zum Fenster blickend: 'Über all das möchte ich einen großen Roman schreiben. Das ist meine Pflicht. Ich pfeife darauf, was meine Feinde sagen werden. Sie sind doch auch eure Feinde ­...'
Der Einsatzwagen kam zurück, die letzte Seite war bereits imprimiert, aber in der Rotation klappte etwas nicht. Ich wollte die Gäste, die offensichtlich müde waren, nicht länger aufhalten. Hans Fallada trat an mich heran, dankte für unerwartete Bewirtung. Wir umarmten uns. Nein, ich hatte damals nicht die Vorahnung, daß wir uns das letzte Mal sahen.
Zwei Wochen später, im Februar 1947, starb Hans Fallada überraschend an Herzschwäche."

Johann Weber, Niederbayern


Ende Januar 2019 waren es 75 Jahre, daß das hungernde Leningrad von der Roten Armee befreit wurde. Fürwahr ein Anlaß zum Gedenken. Doch nicht für die bürgerlichen Medien dieses Landes. So schrieb die "Süddeutsche Zeitung": "Moskau mißbraucht das Gedenken an Leningrad." Die Zeitung scheint nicht zu merken, daß Predigten von Journalisten aus dem Land, das die Blockade verhängt hat, unpassend sind. Es entspricht jener Gesinnung, den Opfern des faschistischen Völkermordes vorzuschreiben, wie sie ihrer Toten gedenken dürfen.
Dieses Beispiel wirft ein bezeichnendes Licht auf das in der Bundesrepublik vorherrschende Rußlandbild, das offensichtlich nicht nur immer noch vom kalten Krieg geprägt ist, sondern teilweise auch bis auf die Zeit der Hitlerdiktatur zurückgeht. Demnach bestand der "Fehler" der Deutschen nicht in der mörderischen Selbsterhebung über Slawen und darunter vor allem gegen sowjetische Menschen, sondern nur in dem Glauben an das falsche System. Die Russen aber hätten ihrerseits im "falschen System" gesteckt, seien somit nicht besser gewesen als die Deutschen - nur daß sie diesen Glauben, anders als die Musterschüler der Geschichtsbewältigung in der Bundesrepublik, noch nicht korrigiert hätten. Noch nicht einmal macht sie die Tatsache stutzig, daß sich die Zeiten geändert haben. Deutschlands führende Kräfte scheinen nicht zu begreifen, daß das Verbrecherische des Nazismus in der mörderischen Anmaßung gegenüber den Völkern anderer Länder wie Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und den Osteuropäern, den Polen, Ukrainern, Belorussen, Litauern, Esten und Letten, vor allem aber den Russen bestand. In ihrer Vorstellung lebt ungebrochen das Bild der zurückgebliebenen Russen fort, die sich unterwürfig und zurückgeblieben unter der Knute von Diktatoren ducken.
So gesehen hat sich an der bundesdeutschen Denkweise von vor 1989 nichts geändert. Sie beschreibt Rußland mit dem nahezu gleichen Vokabular, das sie schon von den 50er bis 80er Jahren für die Berichterstattung über die Sowjetunion gebrauchte. Doch noch bösartiger ist der Vergleich des heutigen Rußlands mit dem "Dritten Reich".
Aus dem Antisowjetismus wurde im Laufe der Jahre das sogenannte Rußland-Bashing. Aber was halten jene "Oberlehrer" denn von der universalen Anwendbarkeit des Artikels 1 des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen (damit auch der Russen) ist unantastbar."?
Es wäre naiv zu glauben, daß solche Haltungen allein auf Überheblichkeit, Arroganz oder Oberflächlichkeit in der Geschichtsbetrachtung zurückzuführen sind. Beschäftigt man sich mit der Sprache der Massenmedien, wird deutlich, daß irreführende Darstellungen keineswegs zufällig sind. Politik, Medien und Wissenschaft haben und bedienen immer auch einen gesellschaftlichen oder gruppenspezifischen Auftrag, indem sie selektiv informieren, unangenehme Seiten des Geschehens unterschlagen, die eigene Sprachregelung professionell organisieren und diese von verschiedenen Multiplikatoren verbreiten lassen.

Günter Guttsche, Erfurt


Wie in den Jahren zuvor zogen auch an diesem 16. März ehemalige Angehörige der "Lettischen Legion" der faschistischen Waffen-SS durch Riga. Die Regierung dort sieht offensichtlich keinen Handlungsbedarf. Unbehelligt durften die Faschisten zum Rigaer Freiheitsplatz marschieren und am Freiheitsdenkmal Blumen niederlegen. Ausgerechnet am Freiheitsdenkmal!
Die "Lettische Legion" hat im 2. Weltkrieg aktiv mitgeholfen, andere Völker zu unterdrücken und viele Menschen zu ermorden. Zahlreiche Strafkommandos der "Lettischen Legion" waren an der Vernichtung der Bevölkerung in der Sowjetunion beteiligt. Im März 1944 nahm diese Legion im Raum Pskow am Kampf der Faschisten gegen die Rote Armee teil.
Dieses Heldengedenken, an dem mit Sicherheit Mörder und Folterer teilnahmen, darf in einem Land der Europäischen Union stattfinden? Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Niemand interveniert, weder die EU noch die BRD. Alles vergessen? Krieg ist wieder salonfähig!
Durch die BRD wurden die damaligen "Helden" noch lange mit Kriegsversehrtenrenten aus der deutschen Steuerkasse bedacht. Aber für die echten Opfer gab es offiziell so gut wie nichts. Da mußten und müssen private Organisationen wie der rührige Berliner Verein Kontakte-Контакты einspringen ...

Wilfried Steinfath, Berlin


Ekkehard Lieberam hat zu Beginn des Jahres in der "jungen Welt" eine fundierte Einschätzung der Entwicklung und des Augenblickszustandes der Partei Die Linke (PDL) vorgenommen, die sich mit meiner Ansicht deckt. Wir haben in diesem Jahr in Sachsen und in Thüringen Wahlen. Die Frage ist für mich, welcher Partei ich meine Stimme geben kann. Ich staune immer über die Berliner und Brandenburger mit einer, so dachte ich, in der DDR erhaltenen soliden gesellschaftswissenschaftlichen Grundbildung, die ihre Stimme der PDL geben können. Doch aus meiner Sicht ist die Partei Die Linke zur zweiten Sozialdemokratie abgeglitten. Eine solche zweite Sozialdemokratie ist für mich wie die "alte" nicht wählbar. Die rechten Parteien kommen nicht in Frage. So auch die AfD nicht. Nationalistisches und rechtsextremes Personal und zweifelhafte Parteienfinanzierung brachten auch diese Partei in Mißkredit. Bleiben die KPD und die DKP. Doch entspricht diese Zweisamkeit der 1945 gezogenen Lehre von der Einheit der Arbeiterklasse? Das ist das Dilemma, vor dem viele Nichtwähler stehen. Was bleibt, ist zu den "Gelbwesten" nach Frankreich zu sehen. Meiner Meinung nach könnte "Aufstehen" bei uns die Chance sein, die Meinung der Mehrheit der Menschen durchzusetzen.

Dr. Peter Nitze, E-Mail

Siehe dazu auch Ekkehard Lieberam: Was sagt Karl Marx der Linken heute? (RF 253, S. 9) und Herbert Münchow: Am Krankenbett der Linkspartei (im vorliegenden Heft, S. 6)


Zu Johann Weber: Meinungsfreiheit in der BRD und KPD-Verbot, RF 255, S. 28
Zu dem interessanten Beitrag von Johann Weber ist zu ergänzen, daß der Ermittlungsrichter den Erlaß eines Heftbefehls gegen Max Schäfer 1968 wegen Verstoßes gegen das KPD-Verbot ablehnte. Daraufhin verfolgte man ihn wegen angeblicher Beleidigung der ihn verhaftenden Polizisten, welchen gegenüber der langjährig in der Nazizeit verfolgte Widerstandskämpfer sagte, als diese ihm Handschellen anlegten: "Das ist ja wie bei der Gestapo!" Das Amtsgericht Frankfurt/M. sprach ihn frei, und nach Einlegung von Revision durch die Staatsanwaltschaft kam auch das Oberlandesgericht zu keiner anderen Auffassung.
Der Programmentwurf der KPD vom Februar 1968 wurde unabhängig von alledem in der Druckerei in Neumünster beschlagnahmt, und über die Einziehung sollte durch das Landgericht Flensburg entschieden werden. Dort bejahte man einerseits dessen angeblich verfassungsfeindlichen Inhalt, war aber andererseits der Meinung, die politische Aufklärung wäre zulässig.
Aufgrund der hiergegen von der Staatsanwaltschaft eingelegten Revision und Aufhebung der die Einziehung ablehnenden Entscheidung von Flensburg durch den BGH mußte die Sache nach Zurückverweisung erneut vor dem LG Flensburg verhandelt werden. Dort wurde 1970 das Verfahren durch das Gericht ausgesetzt, nachdem die Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft mehrfach den Gerichtssaal verließen, um damit eine von den Verteidigern beantragte Einvernahme zahlreicher prominenter Zeugen zu torpedieren. In beiden Verfahren war Friedrich Karl Kaul (*) als Verteidiger tätig.

RA Ralph Dobrawa, Gotha

(*) Friedrich Karl Kaul, Jurist, geb. 1906. 1933 von der Gestapo verhaftet, wurde er 1935 in das Konzentrationslager Lichtenburg, später nach Dachau eingeliefert. 1937 wurde er unter der Bedingung entlassen, daß er nach Übersee gehe. Daraufhin emigrierte er nach Lateinamerika (Kolumbien) und in die USA. 1945 kehrte er nach Berlin zurück. Seit dieser Zeit war er als Justitiar beim Berliner Rundfunk und seit 1948 als Rechtsanwalt tätig. Später wurde er Chefjustitiar des DDR-Rundfunks und des Staatlichen Komitees für Fernsehen. 1960 wurde er zum Professor ernannt. Er war Schriftsteller, Fernseh- und Hörspielautor und ist besonders als Verteidiger von Antifaschisten und Kommunisten vor Gerichten der BRD hervorgetreten. Professor Dr. F. K. Kaul verstarb am 16. April 1981.


Zu Manfred Wild: Die DDR im Zerrspiegel des Herrn Behling, RF 254, S. 30
Als die Werbung zum Buch "Leben in der DDR" mit der ansprechenden Aufmachung erschien, gab es für mich keine lange Überlegung. Habe es sofort gekauft, zumal mir auch irgendwie der Autor in positiver Erinnerung war. Es sollte ein Buch für die Enkel sein, denn ich habe in der DDR gelebt und sie erlebt.
Doch wie groß war meine Enttäuschung, als ich schon nach wenigen Seiten nicht so recht begreifen konnte, was da geschrieben stand! Das von mir mit großer Freude und Erwartung gekaufte Buch erwies sich von Anfang bis Ende, wie Manfred Wild schreibt, als "grobe Miesmache der DDR".
Die Darstellung des Autors unterscheidet sich nicht wesentlich von dem DDR-Bild, das uns die bürgerlichen Medien seit nunmehr fast 30 Jahren vorsetzen. Ihn hätten wir dazu nicht gebraucht.
Insofern stimme ich dem Beitrag von Manfred Wild aus ganzem Herzen zu.
Es ist mir ein Bedürfnis, ihm und dem "RotFuchs" für die Veröffentlichung zu danken.

Hannelore Thürfelder, Frankfurt/Oder


Das Buch von Klaus Behling schreckt vor keiner Gemeinheit zurück. Repräsentanten der DDR werden verleumdet, lächerlich gemacht, als unfähig dargestellt, Haß und Lügen durchziehen fast jede Seite. Besser wäre es, Autoren wie Behling würden sich gleich als Antikommunisten outen. Aber ihnen zur Seite standen ja auch genug Wendehälse und charakterlose Typen. Dank des Beitrags von Manfred Wild im "RotFuchs" weiß ich, daß ich mit den Schmähungen jetzt nicht alleine fertig werden muß. Ich bedaure, mir das Buch gekauft zu haben.

Liesel Bauer, Dormagen


Den "RotFuchs" lese ich immer sorgfältig. So auch die Nummer 254. Und was habe ich entdeckt? Auf der Seite 30 einen Beitrag von Manfred Wild zum Buch von Herrn Behling "Leben in der DDR". Als ich die Seite 30 gelesen hatte, wußte ich, daß der Autor des Buches die Absicht verfolgte, die DDR zu verleumden. Ich habe dieses "Machwerk" an die "Buchredaktion Berlin" zurückgeschickt. Eine Gutschrift habe ich bis heute nicht erhalten. Lieber Manfred Wild, ich glaube, Du hast noch zuviel Aufwand betrieben. Das hat Herr Behling gar nicht verdient!

Otto Semmler, Erfurt


Zu Jobst-Heinrich Müller: Rufmordkampagne gegen Rosa Luxemburg, RF 254, S. 14
Von einem saturierten Kleinbürger wie Thierse, der sich seit Jahrzehnten als MdB von unseren Steuergeldern aushalten läßt und sich dem Herrschaftssystem des Großkapitals gegenüber natürlich mit Konformität erkenntlich zeigt, lasse ich mir keine Verlogenheit unterstellen. Wir, die wir jedes Jahr am zweiten Sonntag im Januar, oft bei miesem Wetter, viele an den Beschwerlichkeiten ihres hohen Alters leidend, nach Friedrichsfelde marschieren, tun dies, um Menschen zu ehren, die zu den besten unseres Volkes gehören und dort ihre letzte Ruhe gefunden haben - aufrechte Kämpferinnen und Kämpfer für die Befreiung der Arbeiterklasse, gegen die Kriege der Imperialisten und die Barbarei des Faschismus.
Abgesehen von den bürgerlichen Dummschwätzern und gegenüber dem wissenschaftlichen Rüstzeug des Marxismus-Leninismus ignoranten Pseudolinken, stellt sich die Frage nach der Integrität von Thierse, einem führenden Vertreter seiner Partei, der SPD, die in jüngster Geschichte, unter Schröder, einmal wieder, wie schon so oft seit 1914, ihre Wähler betrogen und sich als willfährige Hure des Großkapitals erwiesen hat - mit den ersten imperialistischen Kriegseinsätzen der BRD seit 1945 und mit einer selbst für die BRD beispiellosen Zerstörung sozialer Errungenschaften.
Nun hockt die SPD in ihrem selbstgeschaufelten Grab und versucht panisch, mit dem Versprechen sozialer Wohltaten aus diesem wieder herauszukriechen. Aber wie heißt es so schön im Volksmund? "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht ..." Leider gehen nun viele von denen, die sich abgewandt haben, den "Heilsbringern" von rechts auf den Leim.

Peter Krüger, Berlin


Ein Ruck geht durch die SPD, eine "Vision" bricht sich Bahn. Politik für den "kleinen Mann" soll das Handeln und Streben der SPD nun bestimmen und leiten. Was für ein wegweisender Anspruch! Weg mit Hartz IV!, Grundsicherung für Kinder, Mindestlohn 12 Euro, Steuererleichterungen für Geringverdiener usw. usf. Das Füllhorn versprochener Wohltaten ist reich gefüllt.
Doch was bewegt die Upper-Class der ehemaligen Arbeiterpartei wie Nahles, Stegner, Schulz und Scholz, alte, lange verschüttete Tugenden und Ziele jetzt ans Tageslicht zu zerren? Die pure Angst vor dem Untergang! Es droht der Absturz in die Bedeutungslosigkeit.
Männer wie Gerhard Schröder und Peter Hartz haben mit ihren "Reformen" aus der Partei ein Anhängsel der Union gemacht. Den Weg zum versprochenen Paradies haben sie gepflastert mit prekären Beschäftigungen, Altersarmut, Arbeitssklaven, die für 1 Euro schuften, alleinerziehenden Müttern, die ihren Kindern aus Geldmangel oft den kleinsten Wunsch nicht erfüllen können, Obdachlosigkeit, Wohnungsmangel, Energiekosten, die die zweithöchsten in Europa sind, Essensversorgung durch die "Tafeln", die übrigens von ehemals 25 (1994) auf heute 972 angewachsen sind.
Dafür explodierten die Unternehmensgewinne, die Zahl der Millionäre beträgt jetzt 1.021.975, und Milliardäre gibt es über 240. Nun weiß man ja, daß das nicht alles der SPD zuzuschreiben ist, denn Schröder und Hartz genießen schon lange ihre utopischen Renten und Vergünstigungen. Aber für die SPD gilt: Mitgefangen, mitgehangen!
Die Auswirkungen einer Sache oder einer Handlung liegt immer in deren Bedeutung und in dem Verständnis, das wir als Wähler und Betroffene dafür haben. Und die Erkenntnis, daß es für die SPD drei Minuten vor zwölf ist, hat den Wandel, der ja bis jetzt nur ein Wahlversprechen ist, bewirkt.
Doch lassen wir uns nicht blenden von den neuen frischen Gesichtern. Erinnern wir uns an das Versprechen, daß Martin Schulz nach der verlorenen Wahl niemals Außenminister werden sollte! Und dann wollte er doch, und alle haben zugestimmt, allen voran Frau Nahles. Ich bin gespannt, wann sie zum ersten Mal die Raute benutzt. Kanzlerin kann sie ja. Hat sie gesagt, obwohl niemand danach gefragt hatte.
Lassen wir uns vom gesunden Menschenverstand leiten und erkennen, daß der "neue Aufbruch" aus Angst geboren ist. Und da man gegen die Union die Ziele nicht durchsetzen kann, da für die Union der Koalitionsvertrag bindend ist, wurden von einigen "Granden" der SPD sogar Neuwahlen in Betracht gezogen. Wie soll das denn gehen? Eine 14-Prozent-Partei gegen Schwarz-Grün? Die Union kann sich beruhigt zurücklehnen und abwarten.
Eine Neuwahl jetzt wäre für die SPD wie politischer Selbstmord aus Angst vor dem politischen Tod! Und so wird sich der "neue" Kurs als das entpuppen, was er ist: Augenwischerei zum Zwecke des Wahlbetrugs. Wie sagt eine alte chinesische Weisheit: Der Mensch hat dreierlei Wege, klug zu handeln: 1. durch Nachdenken, das ist der edelste; 2. durch Nachahmen, das ist der einfachste, 3. durch Erfahrung, das ist der bitterste ...

Joachim Augustin, Bockhorn-Grabstede


Anfang März ist Prof. Arnulf Baring verstorben. Da es die lokalen Zeitungen nicht getan haben, will ich eine kurze Würdigung schreiben: Wir sollten seine bleibenden "Verdienste" für die "deutsche Einheit" nicht vergessen - die arrogante Diskriminierung der Menschen im Osten des Landes: "Das Regime hat fast ein halbes Jahrhundert die Menschen verzwergt, ihre Bildung verhunzt. ... Ob sich dort heute einer Jurist nennt oder Ökonom, Pädagoge, Psychologe, Soziologe, selbst Arzt oder Ingenieur, das ist völlig egal. Sein Wissen ist auf weite Strecken völlig unbrauchbar. ... viele Menschen sind wegen ihrer fehlenden Fachkenntnisse nicht weiter verwendbar."
Mit welcher Überheblichkeit wird die traurige Entwicklung der Bildung hierzulande oder die Massenverblödung (nach Peter Scholl-Latour) ignoriert!

Dr. Gerhard Machalett, Siedenbollentin


Die Zeit der Wahlen aller Art, über Kreistags-, Landtagswahlen bis zu den Exekutiven in der Regierung und der Kanzlerwahl ist angelaufen. Wer ist die neue CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer? Was ist von ihr zu erwarten? Die jahrzehntelange Vorsitzende dieser Partei, Angela Merkel, hat als Hüterin der Interessen des deutschen Monopolkapitals für Klarheit gesorgt.

Hans-Georg Vogl, Zwickau


Es ist an der Zeit, laut "Nein!" zu sagen. Nein zum ungezügelten Marktfundamentalismus und zur Allmacht der Konzerne, nein zum Abbau des Sozialstaates, nein zur wachsenden und zutiefst unmoralischen Kluft zwischen Arm und Reich, nein zur schleichenden Aushöhlung der Demokratie, nein aber auch zum Raubbau an unserer Umwelt, zum unfairen Handel mit der dritten Welt und zu einer von einem falschen Sendungsbewußtsein getragenen geschichtsvergessenen und arroganten Außenpolitik. Die etablierten linken oder halblinken Parteien, selbst von Neoliberalismus und Privatisierungswahn infiziert, sind offensichtlich nicht willens oder nicht mehr in der Lage, dieser unheilvollen Entwicklung in unserem Lande etwas entgegenzusetzen. Es bedarf daher einer starken linken Bürgerbewegung, um endlich einen dringend notwendigen Politikwechsel in unserem Lande herbeizuführen und zugleich die akut drohende Ausbreitung rechtsextremer Ideologien zu verhindern. Ich begrüße und unterstütze daher die von Sarah Wagenknecht initiierte Sammlungsbewegung "Aufstehen".

Prof. Dr. Cornelius Weiss
Ehem. Rektor der Universität Leipzig


Wer so unbeirrt wie Ihr über Jahre hin diese Zeiten politisch, kommunistisch und kritisch begleitet, wer mir schon über Jahre hin (seit 2002) den RotFuchs zusendet, der hat mehr als ein Lob verdient. Ich und andere lesen Eure Zeitschrift mit großer heller Begeisterung. Ich freue mich, daß es in diesen komplizierten Zeiten Eure klare Stimme noch gibt ... Klassenbewußt und Marx nicht vergessend. ... Weiter so!

Werner Bischoff, Reinheim

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Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.
Postfach 02 12 19, 10123 Berlin


Das Impressum für die obenstehende Ausgabe ist zu finden unter:
www.rotfuchs.net/files/rotfuchs-ausgaben-pdf/2019/RF-256-05-19.pdf

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Quelle:
RotFuchs Nr. 256, 22. Jahrgang, Mai 2019
Internet: www.rotfuchs.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2019

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