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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1233: 28. März in London - "Wir zahlen nicht für eure Krise"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2 - Februar 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

28. März in London
"Wir zahlen nicht für eure Krise"
Internationale Großdemonstration anlässlich des G20-Gipfels

Von Knut Unger


Die Internationale Finanz- und Wirtschaftskrise erfordert dringender denn je eine sichtbare weltweite Antwort in Form eines internationalen Aktionstags, wie der 15. Februar 2003 einer gegen den Irakkrieg war. Die sozialen Bewegungen in Europa, einschließlich der Gewerkschaften, tun sich allerdings schwer damit. Die politische Diskussion kommt nur schleppend in Gang, auf Bündnistreffen dominieren organisatorische Fragen, die Schnittmenge für gemeinsame Aktionen ist groß, doch kommen die unterschiedlichen organisatorischen Interessen nur schwer überein. Das zeigt die Suche nach einem gemeinsamen europäischen und deutschen Aktionstag. Nachstehend zwei Berichte.


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Am 10. Januar fand in Paris das Treffen "der Zivilgesellschaft" mit dem umständlichen Namen "European Cross Network/Sectorial Civil Society Meeting" statt.

Als Teilnehmende gekommen waren mehr als 140 Leute aus verschiedenen europäischen Ländern (markante Präsenz zeigten Frankreich, Deutschland, England, Spanien, Italien) und verschiedenen Organisationen wie Attac (aus Deutschland, Frankreich und anderen Ländern), Friends of the Earth/BUND, Via Campesina, Entwicklungs-NGOs und Stiftungen, sowie NGOs und Netzwerke wie WEED, TNI, Transform usw.

Die linkeren Gewerkschaften zeigten ebenfalls Präsenz mit Vertretern von Ver.di, CGT-F, CGIL-I, Gewerkschaften aus Belgien und Spanien und vereinzelte Vertreter basisgewerkschaftlicher Netzwerke. Städtische Basisbewegungen z. B. von Menschen mit prekären Existenzen waren nur schwach vertreten. Kaum anwesend waren auch Gruppen aus dem Milieu der alternativen Ökonomie oder der Wiederaneignungsbewegungen (Hausbesetzer). Auffallend war schließlich die weitgehende Abwesenheit linksradikaler und dezidiert marxistischer Positionen.

Ziel des Treffens war, die überfällige Mobilisierung zivilgesellschaftlicher Bewegungen zur Finanzkrise nach vorn zu bringen. Den konkretesten Anlass dazu mochte man im zweiten Finanzkrisengipfel der sog. G20-Regierungen sehen, der Anfang April in London stattfinden wird. Zu den G20 gehören neben den G7/8 auch Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien, Mexiko, jedoch nicht die armen und ärmsten Länder.


Verschiedene Ziele

Der erste G20-Gipfel im November in Washington hat keine besonderen Ergebnisse gebracht, auf den zweiten konzentrieren sich größere Hoffnungen, wegen der Anwesenheit des neuen US-Präsidenten Obama. Außerdem hat sich inzwischen die Krise weiter zugespitzt; neben den staatlichen Rettungsaktionen für die Banken nehmen jetzt auch Konjunkturprogramme zur Stützung der Nachfrage, der Infrastruktur, der Autoindustrie Kontur an.

Krisenursachen und systemische Perspektiven wurden in Paris nicht besonders tiefschürfend analysiert. Damit wurden unfruchtbare ideologische Kapitalismusdiskussionen weitgehend vermieden. Nur zu Beginn keimte ansatzweise eine Diskussion auf, ob das Ziel eine generelle Alternative zum Kapitalismus sei oder ob es nur um die Überwindung des gescheiterten neoliberalen Finanzkapitalismus zugunsten eines geläuterten Akkumulationsmodells gehe. Die salomonische Antwort von Peter Wahl (WEED und Attac Deutschland und sicher einer der Chefideologen des Treffens) darauf war: Der Kapitalismus tritt immer in einer konkreten Form auf, und kritische Bewegungen arbeiten sich an dieser konkreten Form ab. Ideologische Diskussionen über Antikapitalismus auf der Grundlage eines theoretischen Modells von Kapitalismus seien unfruchtbar. Dem wurde nicht vernehmbar widersprochen. Im Vordergrund stand der Wille, ein breites Bündnis sozialer Bewegungen zustande zu bringen und Differenzen hintan zu stellen.

Wichtiger als die Differenzen in der Analyse waren die allerdings ganz offensichtlichen Unterschiede der Interessen und Ziele z.B. zwischen Umweltbewegungen, die ein Ende des Wachstumsparadigmas fordern, und Gewerkschaften, die von den staatlichen Hilfsprogrammen gerade Wachstumsförderung erwarten. Es wurde deutlich, dass die Gewerkschaften bei der Kritik des Wachstumsparadigmas nicht ungebrochen mitziehen können. Dieser Widerspruch müsste differenzierter bearbeitet werden, dazu wäre allerdings auch etwas mehr Krisenanalyse erforderlich. Das Treffen blieb arg im allgemein zu Wünschenden befangen.

Deutlich brachten dagegen gleich zu Anfang verschiedene Redner einige Gefahren auf den Punkt, die in den gegenwärtigen staatlichen Reaktionen auf das Scheitern des Neoliberalismus liegen. Neben der "Sozialisierung der Kosten" durch die Bankenrettungsaktionen stellt sich auch die Frage, was neokeynesianische Ausgabenprogramme bringen werden. Die von vielen herbeigesehnte Neuauflage des New Deal - in Form eines "grünen" New Deal - wurde vielfach mit gemischten Gefühlen betrachtet: Ist er ohne massive Mobilisierung der Zivilgesellschaft überhaupt denkbar, und wenn ja, um welchen Preis? Gibt es dann eine "grüne Spekulationsblase" und werden weitere Naturressourcen in Waren verwandelt?


Geplante Aktionen

Das wichtigste Ergebnis war die gemeinsame Orientierung auf breite Proteste aus Anlass der G20 in London Anfang April.

Konkret soll es am 28. März eine große Demonstration mit internationaler Beteiligung in London geben. Das ist der Samstag vor dem Beginn des offiziellen G20-Gipfels. Es ist auch der Samstag der Großdemonstrationen in Deutschland. In England ist es gelungen ein Bündnis aus Gewerkschaften, Eine-Welt- und einigen Umweltgruppen hinter die Demo zu bringen. Die Zusammenarbeit mit lokalen Basisbewegungen scheint hingegen wenig entwickelt zu sein. Organisationen aus anderen Ländern sollen Delegationen schicken, was einige auch zusagten.

Auf diese zentrale Demo sollen parallel zum G20-Gipfel dezentrale Aktionstage sowie ein kleiner "Gegengipfel" mit akademischer Prominenz folgen. In London münden die Aktionstage in eine große Antikriegsdemo am 2. April; ihre Organisatoren sind mit denen der G20-Demonstration am 28. März nicht identisch. Sie steht auch potenziell in Konkurrenz zur europäischen Anti-NATO-Demo in Straßburg am 4. April, zu der manche, aber nicht alle der Anwesenden aufrufen wollten.

All diese Pläne sollen nicht nur in den Netzwerken und Organisationen in Europa diskutiert werden, sondern auch global, vor allem beim kommenden WSF in Belem.


Weiterführende Diskussionen

Einen einheitlichen Aufruf zu den Aktionen gibt es bislang nicht, nur eine Pariser Erklärung, die bekräftigt, dass es wie bisher nicht weiter gehen darf, dass Alternativen möglich sind, und dass die arbeitenden Menschen und die Benachteiligten nicht für die Krise zu zahlen haben. Die Erklärung trägt den Titel: "Wir zahlen nicht für eure Krisen! Zeit für die Wende!"

Der politische Inhalt ist zugegebenermaßen ein wenig dünn. Viele waren damit unzufrieden und es hätte in Anbetracht der teilnehmenden Personen und Organisationen durchaus politischere und klarere Aussagen geben können.

In zwei Arbeitsgruppen wurde inhaltlich gearbeitet: Eine Arbeitsgruppe befasste sich mit den öffentlichen Gütern (wozu das Kreditwesen gehört), ihrer demokratischen Kontrolle und der Umverteilung; eine zweite befasste sich mit der Infragestellung des Wachstumsparadigmas, der ökologischen Nachhaltigkeit, der Ernährungssouveränität sowie den sozialen und Menschenrechten.

Einige, wie auch der Autor, fanden die in den Arbeitsgruppen erarbeiteten Grundsätze unzureichend. Sie entwickelten deshalb den Vorschlag, auf der Grundlage solcher Prinzipien Kriterien für die Bewertung der Rettungs- und Konjunkturprogramme zu entwickeln.

Damit könnte eine Art Rahmen für kritische Auseinandersetzungen mit den sich abzeichnenden Gefahren einer neuen Tonnenideologie und Top-down-Subventionierung geschaffen werden, es könnte auch angeregt werden, sich auf örtlicher Ebene mit Fragen zu beschäftigen wie: "Was brauchen wir vorrangig bei uns vor Ort, um Ziele wie Nachhaltigkeit, Bedarfsdeckung und Gerechtigkeit zu erreichen?" Einige Deutsche haben diese Frage gut verstanden, bei den übrigen weiß man es nicht so genau. Vielleicht gelingt es, diesen Ansatz zu vertiefen - z. B. im Rahmen des Folgetreffens, das in Frankfurt geplant ist.


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28. März
Großdemos in Berlin und Frankfurt am Main

Aus Deutschland zeigt sich ein ähnliches Bild wie auf europäischer Ebene: Auf einem kurzfristig vor Weihnachten einberufenen Bündnistreffen in Frankfurt am 6. Januar waren etwa 100 Personen vertreten - das Spektrum rangierte von Ver.di und Attac bis hin zu Organisationen der radikalen Linken und Autonomen. Der Wunsch war groß, eine gemeinsame Demonstration hinzukriegen. Die inhaltlichen Differenzen wurden nicht weitergehend diskutiert: Soll man die Vergesellschaftung und Kontrolle der Banken und Versicherungen fordern? Oder soll man sich konzentrieren auf Umverteilung (Millionärssteuer), Kampf gegen Privatisierung und Stärkung der Kaufkraft der Geringverdienenden?

Die längste Kontroverse wurde um den Termin geführt: 21.3. oder 28.3.? Die große Mehrheit war für den 28.3.; doch wird dieser Termin den Beigeschmack nicht los, dass hier ein Bündnis derer zum Zuge gekommen ist, die auf die Anti-NATO-Mobilisierung Anfang April keine Rücksicht nehmen wollen, und die sich (wie Attac) schon im Vorfeld auf eine Mobilisierung zum G20-Gipfel nach London festgelegt haben. Wie dem auch sei, faktisch wird mit den beiden Mobilisierungsterminen, die nur eine Woche auseinander liegen, das Bündnis von Heiligendamm - das so erfolgreich war, weil es die Radikalen wie die Gemäßigten gleichermaßen unter einen Hut brachte - nun wieder in zwei Hälften zerlegt. Das ist erst mal kein gutes Zeichen. IG Metall und Ver.di aus Baden-Württemberg kündigten darüber hinaus Initiativen für betriebliche Aktionen an.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2, 24. Jg., Februar 2009, Seite 8
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2009