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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1238: Was Genossenschaften in Europa herstellen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2 - Februar 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Le Grand Magasin
Was Genossenschaften in Europa herstellen

Von Helmut Höge


2006 wurde in Deutschland ein neues Genossenschaftsgesetz verabschiedet. Seitdem kommt es wieder vermehrt zu Genossenschaftsgründungen. In Berlin läuft seit Oktober 2008 in der kommunalen Galerie Neukölln eine Ausstellung über Genossenschaften in Deutschland und Europa.


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Im Jahr 2007 bekam der Berliner Künstler Andreas Wegner von der EU, der Bundeskulturstiftung und den Genossenschaftsverbänden in Brüssel 200.000 Euro für eine Ausstellung von Produkten aus europäischen Produktivgenossenschaften in Berlin. Parallel finden in diesem Jahr ähnliche Veranstaltungen in Budapest, Dunaújváros und Usti nad Labem statt. Die Berliner Verkaufsausstellung Le Grand Magasin wurde im Oktober 2008 eröffnet. Sie hat den Charme eines polnischen Ladens aus kommunistischer Zeit und ist mit Eisenwaren, Spielzeug, Möbeln, Galanteriewaren, Textilien, Büchern und Schuhen bestückt.

Bevor es an die Einrichtung ging, mussten sprachkundige Kontaktpersonen für alle EU-Länder gefunden und ein Reiseprogramm nach Frankreich, Spanien, Italien, Tschechien usw. organisiert werden, um die Produktivgenossenschaften dort sozusagen persönlich zu überreden, ihre Produkte zur Verfügung zu stellen.

Die Genossenschaften bedienen für gewöhnlich Märkte, auf denen ihre Produkte mit anderen aus "normalen" Betrieben konkurrieren. Der Gedanke, sie nun auf einmal in einem Genossenschaftskontext zu präsentieren, leuchtete vielen nicht ein, vor allem den westeuropäischen Produktivgenossenschaften nicht.

Die im Osten, denen es wegen der zunehmenden Billigkonkurrenz aus China besonders schlecht geht, waren eher an einer Teilnahme interessiert, zumal sie bisher nur über wenige Geschäftskontakte in den Westen verfügen. Sie sind zwar in ideologischer Hinsicht oft sehr antikommunistisch eingestellt, ihre Produktion ist jedoch noch sehr proletarisch ausgerichtet, während es in den westeuropäischen Genossenschaften genau umgekehrt ist, zumal im Süden: Hier ist die Geschäftsführung nicht selten kommunistisch, die Produktion dagegen streng kapitalistisch organisiert.

Ein weiterer Unterschied zwischen Ost und West besteht in der Fertigungstiefe: Während z.B. italienische und französische Genossenschaften oft nur noch halbfertige Produkte zusammenbauen und sich ansonsten vor allem Gedanken über Design und Marketing machen, produzieren die osteuropäischen Genossenschaften ihre Produkte nicht selten noch sozusagen von A bis Z.

Die südböhmische Genossenschaft DUB aus Pelhrimov z.B. stellt Manikürsets her: Sie schmiedet die Scheren, Nagelfeilen etc. aus Roheisen und hat dafür eine eigene Metallfabrik mit Galvanisierabteilung, Schweißroboter u.a. sowie eine große Näherei für die Etuis aus Plastik oder Leder. Sie hat jedoch so gut wie keine Design-, Werbe- und Vertriebsabteilung.

Die Genossenschaft wurde 1945 gegründet, um den Frauen im Ort und Umgebung, deren Männer im KZ oder im Gefängnis gewesen waren, eine Verdienstmöglichkeit zu verschaffen. Zu Anfang bemalten sie Holzobjekte. Heute arbeiten rund 300 Leute bei DUB. Hauptabnehmerin der Produkte ist nach wie vor die Ukraine.


Taz und JW

Ein genossenschaftlicher Anfang ist in gewisser Weise typisch, generell werden Genossenschaften als "Kinder der Not" bezeichnet. In diesem Zusammenhang muss man auch die staatlichen Anstrengungen in Deutschland seit 2006 sehen, den Genossenschaftsgedanken wieder zu beleben: Die Propaganda für Ich-AGs war nicht sehr erfolgreich, deswegen versucht man es jetzt mit Wir-eGs. In Italien gibt es inzwischen derart viele "Cooperativen", dass Linke wie Sergio Bologna daran denken, sie ernsthaft zu bekämpfen, denn sie sind oft aus outgesourcten Betriebsteilen entstanden und zuvörderst Ausdruck einer Niederlage der Arbeiterbewegung.

Wenn man Bologna glauben darf, arbeiten heute viele Beschäftigte im Transportbereich, die eine Genossenschaft gegründet haben, täglich doppelt so lange wie früher, verdienen aber nur halb so viel.

Diese Einschätzung deckt sich nur z.T. mit unseren Beobachtungen: Wir fanden die Arbeitsatmosphäre in den Produktivgenossenschaften durchweg gelassener als in normalen Betrieben, auch da, wo kapitalistische Maschinen den Arbeitstakt vorgaben. Allerdings liegen die Löhne auch meist unter Tarif.

Ich kann da aus langjähriger eigener Erfahrung in den zwei größten Berliner Produktivgenossenschaften sprechen - der Westberliner Taz und der Ostberliner Jungen Welt: Die Gehälter und Honorare sind hier sehr niedrig, dafür ähnelt jedoch das Arbeitsklima einem Kinderladen.

Als in der Taz neulich ein Redakteur von Selbstausbeutung sprach, wurde er laut ausgelacht. Diese beiden linken "Projekte sind aber eher untypische Genossenschaften, ein Überhang aus den 70er Jahren gewissermaßen - die wichtigsten Abteilungen sind hier die "Geno-Abteilungen", die Leser mit zu viel Geld überreden, Genosse (seit 2006 spricht man von "Mitglied") zu werden. Bei der Taz sind das reiche junge Erben aus Süddeutschland, bei der Jungen Welt arme alte Kommunisten, die noch ein bißchen Rentengeld über haben. Hier wie dort wird dies von Redakteuren verballert, die ihnen dafür täglich eine Ideologie liefern, die in etwa ihrer eigenen entspricht: Bei der Taz ist das eine ökologisch-konsumistische, bei der Jungen Welt eine staatssozialistisch-proletarische. Genau genommen handelt es sich bei diesen Zeitungen um zwei Konsumgenossenschaften, in die jeweils eine Produktivgenossenschaft eingewickelt ist.


PAULA

In Deutschland haben es Kollektivbetriebe in der Vergangenheit meist vorgezogen, eine andere juristische Form zu wählen: die des Vereins, der GmbH usw., weil ihnen die jährliche Genossenschaftsprüfung bis 2006 zu aufwendig und teuer war. CECOP, einer der zwei Dachverbände in Brüssel, trägt dem Rechnung, indem er für Produktiv- und Sozialgenossenschaften sowie für "Partizipative Unternehmen" offen ist. In Berlin spricht man von "sozialer und solidarischer Ökonomie" und meint damit ein noch breiteres Spektrum nichtprofitorientierter Betriebe, genauer: eine wirtschaftliche Selbsthilfe in Form eines Kollektivunternehmens, das sozialen oder anderen gemeinwesenbezogenen Zwecken dient und dessen Gewinne nicht privat angeeignet, sondern reinvestiert werden. Wird an dieser Ökonomie das "Soziale" betont, dann geht es in der Regel darum, Was gemacht wird, während beim "solidarischen" Wirtschaften nach dem Wie gefragt wird.

Allein in Ostberlin gibt es inzwischen 988 soziale Unternehmen, wovon allein die gemeinnützige GmbH Pfefferwerk 594 Arbeitsplätze geschaffen hat. Sie ist damit der drittgrößte Betrieb im Bezirk. Dort gibt es ferner eine Entwicklungsagentur für soziale Unternehmen und Stadtteilökonomie, BEST genannt, die bis Mitte 2007 aus dem "Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung" finanziert wurde. Daneben existieren über die Stadt verteilt 33 aus dem Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt" finanzierte "Quartiers-Managements", zu deren Aufgaben auch die Förderung von "lokaler Ökonomie" gehört, obwohl sie damit in der Regel überfordert sind, weshalb es häufig bei dem Versuch einer "Quartiers-Aufwertung" ohne nachhaltige ökonomische Effekte bleibt.

Der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV), der sich als eine mittelständische Interessenvertretung versteht, will mit dieser "Bewegung" nichts zu tun haben - noch nicht, wie mir Karl Birkhölzer verriet, man sei jedoch im Gespräch. Birkhölzer gründete 1983 eine "Arbeitslosen-Selbsthilfe-Initiative" an der Freien Universität. Der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler verlor damals seine (befristete) Assistenzprofessorenstelle, während gleichzeitig die Mehrzahl der von ihm betreuten Absolventen auf Grund eines Einstellungsstopps für Lehrer die Perspektive akademischer Arbeitslosigkeit vor sich hatte.

Obwohl ihre Zahl schon damals nicht unbeträchtlich war, war Arbeitslosigkeit - und vor allem die Frage, was dagegen getan werden könnte - kein Thema in der akademischen Forschung und Lehre.

So entstand das Projekt PAULA e.V. - das "Projekt für Arbeitslose und Lehrer der Arbeits- und Berufspädagogik", mit dem Ziel, in selbst organisierter Forschung "Strategien gegen Arbeitslosigkeit" zu entwickeln. Zuerst in frei gewordenen Räumen der FU in Dahlem und Lankwitz, seit 1989 in der leerstehenden Rotaprint-Fabrik im Wedding. Dort befindet sich das Projekt immer noch. Das Gebäude wird demnächst jedoch von einer Künstler-Genossenschaft übernommen, die Miete verlangt.

In der Zwischenzeit sind aus der Initiative neben dem Verein PAULA eine Reihe weiterer "sozialer Unternehmen" hervorgegangen, wie das Technologie-Netzwerk Berlin e.V., die PAULA Werke Gesellschaft für sozial und ökologisch nützliche Arbeit mbH, und das Kommunale Forum Wedding, aus dem wiederum die dortige Stadtteil-Genossenschaft hervorging. Nach der Wende kamen in Ostberlin eine Projektentwicklungsagentur, die Kiezküche Hellersdorf, der Stadtteiltreff im "Labyrinth" und andere Ausgründungen dazu. Jüngstes Projekt ist die "Berliner Entwicklungsagentur für soziale Unternehmen und Stadtteilökonomie/ BEST".

All das gehört zum sog. "Paula-Verbund": "Wir sind ein sozialer Wirtschaftsverbund", sagt Karl Birkhölzer. "Soziale Unternehmen entstehen vor allem dort, wo Markt und Staat die Versorgung der Bevölkerung mit notwendigen Gütern und Dienstleistungen nicht (oder nicht mehr) gewährleisten." "Normale" Menschen sind da sehr erfindungsreich. "Wenn irgendwo ein solches Problem entsteht, bildet sich früher oder später eine Initiative oder soziale Bewegung, die auf Abhilfe drängt. Die Geschichte der Ökonomie der letzten 150 Jahre könnte auch als Geschichte der Alternativ-Ökonomie geschrieben werden. Irgendwann nach der Protest-Phase folgt die Erkenntnis: 'Wir müssen die Ökonomie selbst in die Hand nehmen - zumindest auf lokaler Ebene.'"

Fehlentwicklungen

Aus solchen Initiativen ist inzwischen eine weltweite Bewegung geworden, mit ganz unterschiedlichen Ansätzen und kulturellen Rahmenbedingungen, die sich untereinander austauscht und zu verständigen sucht, was nicht immer leicht ist. "Wir dürfen nicht in den Fehler verfallen, alles, was in diesem Bereich geschieht, unkritisch zu akzeptieren. Es gibt da auch jede Menge Widersprüche und Fehlentwicklungen."

Beispielsweise in der von einem Jesuiten 1946 gegründeten Genossenschaft Mondragon im Baskenland, die sich heute als die erste globale bezeichnet und 102.000 Leute beschäftigt. Dort ist es bisher noch zu keiner Kündigung gekommen: Bei Auftragsmangel weichen die Mitarbeiter in andere Mondragon-Betriebe aus. Vor einiger Zeit übernahm die Mondragon-Untergenossenschaft Fagor jedoch das französische Haushaltsgerätewerk Brandt und kündigte dort sofort etlichen Mitarbeitern; die Verbliebenen meinen, sie werden von Mondragon wie ein Subunternehmen behandelt.

In der Neuköllner Verkaufsausstellung sahen wir uns zu diesem Konflikt einen Film von Anne Argouse und Hugues Peyret an: "Les Fagor et les Brandt". Die Kunstprojektgruppe von Andreas Wegner, die sich in eine Konsumgenossenschaft umwandeln will, versteht sich als Teil der "sozialen und solidarischen Ökonomie" in Berlin. Dazu zählt ferner die im Kreuzberger Mehringhof tagende Gruppe Anders Arbeiten, das Netz für Selbstverwaltung und Kooperation, eine Pankower Genossenschaftsinitiative von Wolfgang Fabricius, der Berliner Büchertisch, "Visions of Labor - Perspektiven solidarischer Organisation" und die Neuköllner Künstlerinitiative Salon Petra, um nur die zu nennen, mit denen das Ausstellungsprojekt bisher in Kontakt gekommen ist.


Der Autor Helmut Höge war landwirtschaftlicher Betriebshelfer auf verschiedenen Höfen, zuletzt auf einer ostdeutschen LPG. Inzwischen arbeitet er nur noch journalistisch. In dem Kunstprojekt "Le Grand Magasin" ist er für die Dokumentation zuständig. Zuletzt erschien von ihm WPP - Wölfe Partisanen Prostituierte, Kadmos-Verlag.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2, 24. Jg., Februar 2009, Seite 20
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2009