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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1240: Green New Deal - 20 Thesen gegen den grünen Kapitalismus


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2 - Februar 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Kommt ein grüner New Deal?
20 Thesen gegen den grünen Kapitalismus

Von Alexis Passadakis und Tadzio Müller


Infolge der Finanzkrise ist in Attac eine Debatte ausgebrochen, ob es jetzt die Chance für einen neuen "grünen" New Deal gibt - also ein kapitalistisches Reformprogramm, verbunden mit dem Namen Barack Obama, das sowohl eine grundlegende Reform des internationalen Finanzsystems (Bretton Woods II), als auch positive soziale Reformen und eine ökologische Wende des Kapitalismus einleiten würde. Innerhalb von Attac stehen Peter Wahl (WEED) und die Grüne Jugend für einen solchen Ansatz. Ihnen widersprechen andere, die eher antikapitalistisch orientiert sind.

Wir dokumentieren einen Aufruf von Sven Giegold (vormals Attac Koordinierungskreis) und Reinhard Bütikofer (vormals Bundesvorsitzender Die Grünen). Ihnen antworten Alexis Passadakis und Tadzio Müller (beide sind aktiv in der Bewegung für Klimagerechtigkeit)


*


Keine falschen Lösungen! Klimagerechtigkeit jetzt!

1.
Die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise markiert das Ende der neoliberalen Phase des Kapitalismus. "Business as usual" (Finanzialisierung Deregulierung, Privatisierung) ist keine Option mehr: wenn der Kapitalismus überleben soll, müssen sich Konzerne und Regierungen auf die Suche nach neuen Akkumulationsräumen und neuen Arten politischer Regulierung machen.

2.
Neben der wirtschaftlichen und politischen Krise, ebenso wie der Energiekrise, erschüttert noch eine weitere Krise die Welt: die Biokrise, Folge einer selbstmörderischen Diskrepanz zwischen dem ökologischen Lebenserhaltungssystem, das das gemeinsame menschliche Überleben sichert, und dem Bedarf des Kapitals, ständig wachsen zu müssen.

3.
Diese Biokrise ist eine ungeheure Gefahr für unser gemeinsames Überleben, aber wie alle Krisen stellt sie für uns, für soziale Bewegungen, auch eine historische Chance dar: dem Kapitalismus wirklich an die Gurgel zu gehen, nämlich seinen Bedarf für unaufhörliches, zerstörerisches, wahnsinniges Wachstum.

4.
Von all den Vorschlägen, welche die globalen Eliten bisher gemacht haben, gibt es nur einen, der alle diese Krisen anzugehen verspricht: der "Grüne New Deal". Dieser ist aber nicht der kuschelige "Grüne Kapitalismus 1.0" mit organischem Ackerbau und Do-it-yourself-Windrädern, sondern ein Vorschlag für eine "grüne" Phase des Kapitalismus, der Gewinne aus der allmählichen ökologischen Modernisierung bestimmter Schlüsselproduktionen (Autos, Energie usw.) zu erzielen sucht.

5.
Der grüne Kapitalismus 2.0 kann die Biokrise (also die Klimakrise und andere ökologische Probleme, wie die gefährliche Vernichtung von Biodiversität) nicht lösen, sondern versucht vielmehr, davon zu profitieren. Deshalb ändert er nicht grundsätzlich den Kollisionskurs mit der Biosphäre, auf den jede marktgetriebene Wirtschaftsordnung die Menschheit bringt.

6.
Wir leben nicht in den 30er Jahren. Damals verteilte der alte "New Deal" unter dem Druck starker sozialer Bewegungen Macht und Wohlstand nach unten um. Beim "New New" and "Green New Deal", wie er von Obama, grünen Parteien überall auf der Welt und sogar von einigen multinationalen Konzernen diskutiert wird, geht es mehr um Wohlfahrt für Konzerne als für Menschen.

7.
Der grüne Kapitalismus wird nicht die Macht derjenigen herausfordern, die gegenwärtig die meisten Treibhausgase produzieren: die Energiekonzerne, Fluglinien, Autoproduzenten, die industrielle Landwirtschaft. Stattdessen wird sie diesen Geld zuschanzen, um ihnen zu helfen, durch kleine ökologische Anpassungen ihre Profitraten aufrecht zu erhalten. Zur Lösung ökologischer Probleme werden diese Anpassungen aber zu marginal sein, und zu spät kommen.

8.
Weil Arbeiterinnen und Arbeiter weltweit ihre Macht verloren haben, höhere Löhne und Rechte am Arbeitsplatz durchzusetzen, werden in einem grün-kapitalistischen Projekt die Löhne wahrscheinlich stagnieren oder sogar sinken, um die steigenden Kosten "ökologischer Modernisierung" aufzufangen.

9.
Der "grün-kapitalistische Staat" wird ein autoritärer sein. Er wird die sozialen Unruhen "managen" müssen, die angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten (Nahrung, Energie usw.) bei gleichzeitig sinkenden Löhnen zu erwarten sind, und diese Politik dabei mit der Bedrohung durch die ökologische Krise rechtfertigen.

10.
Im grünen Kapitalismus müssen die Armen vom Konsum ausgeschlossen und an die Ränder gedrückt werden, während die Wohlhabenden ihr weiterhin umweltschädigendes Verhalten "kompensieren" können: einkaufen und gleichzeitig den Planeten retten.

11.
Ein autoritärer Staat, massive Klassenungleichheit, öffentliche Gelder, die an Konzerne umverteilt werden: vom Standpunkt sozialer und ökologischer Emanzipation wird der grüne Kapitalismus eine Katastrophe sein, von der wir uns nie wieder werden erholen können. Heute haben wir eine Chance, über den selbstmörderischen Irrsinn kontinuierlichen Wachstums hinaus zu kommen. Morgen, wenn wir uns alle erst einmal an das neue grüne Regime gewöhnt haben, könnte diese Chance vorbei sein.

12.
Im grünen Kapitalismus besteht die Gefahr, dass Mainstream-Umweltorganisationen die gleiche Rolle spielen werden, die die Gewerkschaften in der fordistischen Ära gespielt haben: als Sicherheitsventile zu agieren, die sicherstellen, dass die Forderungen nach sozialem Wandel, unser gemeinsamer Zorn innerhalb der Grenzen bleiben, die den Bedürfnissen des Kapitals und der Regierungen entsprechen.

13.
Nach Albert Einstein ist die Definition von Wahnsinn, immer wieder das Gleiche zu tun und dabei andere Ergebnisse zu erwarten. In den letzten zehn Jahren ist, trotz Kyoto, nicht nur die Menge der Treibhausgase in der Atmosphäre gestiegen, sondern sogar deren Steigerungsrate. Wollen wir einfach immer wieder das Gleiche tun? Wäre das nicht Wahnsinn?

14.
Internationale Klimaabkommen fördern falsche Lösungen, die mehr der Energiesicherheit dienen als dem Klimawandel. Weit entfernt davon, die Krise zu lösen, schaffen Emissionshandel, Clean Development Mechanism (CDM), Joint Implementation, CO2-Kompensation usw. einen politischen Schutzschild für die fortgesetzte Produktion von Treibhausgasen.

15.
Für viele Gesellschaften des globalen Südens sind diese falschen Lösungen (Biosprit, "grüne Wüsten", CDM-Projekte) inzwischen eine größere Bedrohung als der Klimawandel selbst.

16.
Tatsächliche Lösungen für die Klimakrise werden nicht von Regierungen oder Konzernen entwickelt werden. Sie können nur von unten kommen, von weltweit vernetzten sozialen Bewegungen für Klimagerechtigkeit.

17.
Solche Lösungen enthalten: Nein zum Freihandel, Nein zur Privatisierung, Nein zu den "flexiblen Mechanismen" des Kyoto-Protokolls, Ja zur Ernährungssouveränität, Ja zu einer Ökonomie ohne Wachstum, Ja zu radikaler Demokratie und dazu, die Ressourcen im Boden zu lassen.

18.
Als entstehende weltweite Bewegung für Klimagerechtigkeit müssen wir gegen zwei Gegner kämpfen: auf der einen Seite gegen den Klimawandel und den fossilistischen Kapitalismus, der ihn verursacht, und auf der anderen gegen einen neuen grünen Kapitalismus, der den Klimawandel nicht einschränken wird, wohl aber unsere Fähigkeit, dies zu tun.

19.
Natürlich sind Klimawandel und Freihandel nicht das Gleiche, aber: Das Kopenhagen-Protokoll wird eine zentrale Regulierungsinstanz des grünen Kapitalismus werden, genauso wie die WTO für den neoliberalen Kapitalismus zentral war. Wie sollen wir uns also dazu verhalten? Die dänische Gruppe KlimaX argumentiert: ein gutes Abkommen ist besser als kein Abkommen - aber kein Abkommen ist erheblich besser als ein schlechtes.

20.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Regierungen in Kopenhagen ein gutes Abkommen beschließen werden, ist extrem gering. Unser Ziel muss daher sein, tatsächliche Lösungen einzufordern. Wenn uns das nicht gelingt: Forget Kyoto, and shut down Copenhagen (mit welcher Taktik auch immer)!


Alexis Passadakis ist Mitglied im Attac-KoKreis, Tadzio Müller Teil des Turbulence-Kollektivs. Beide sind in der Bewegung für Klimagerechtigkeit aktiv.


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Für einen Grünen New Deal!

Globale Finanzkrise, drohender Klimakollaps, Energie- und Rohstoffverknappung und die Zunahme des Hungers verlangen nach einem Grünen New Deal!

Auf die Finanzkrise der 1930er Jahre reagierte der US-Präsident Roosevelt mit einem mutigen "New Deal" sozialer und wirtschaftlicher Reformen. Jetzt ist wieder die Zeit, weitreichende Veränderungen durchzusetzen.

Wir brauchen ein internationales Programm für massive Investitionen in Erneuerbare Energien und Energieeffizienz wie auch in die Bildung. Das schafft Millionen neuer Jobs, bekämpft den Klimawandel und mildert die Wirtschaftskrise ab.

Die Finanzmärkte müssen konsequent reguliert werden. Wir fordern die Besteuerung von Finanztransaktionen, die Schließung der Steueroasen, die Stabilisierung der Wechselkurse und die progressive Besteuerung von Kapitaleinkommen.

Damit auch die Entwicklungs- und Schwellenländer mitziehen, brauchen wir endlich faire Regeln im Welthandel und in den internationalen Institutionen.

Die Ausgaben für Armutsbekämpfung, Bildung und Gesundheit in den Entwicklungsländern müssen erhöht werden. Die Industrieländer müssen für die in den Entwicklungsländern angerichteten Klimaschäden aufkommen.

Klimaschutz und Armutsbekämpfung müssen verstärkt und dürfen nicht kurzsichtig und kleingeistig gegen die Bekämpfung der Finanzkrise ausgespielt werden.

Streiten wir gemeinsam für einen Grünen New Deal!

- Sven Giegold (Gründer), Reinhard Bütikofer, Gerhard Schick -


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Was war der New Deal?

Wie die derzeitige Finanz- und Wirtschaftskrise in ihren Ausmaßen nur mit der Großen Depression Anfang der 30er Jahre verglichen werden kann, so wird in den neuen US-Präsidenten Barack Obama von vieler Seite die Hoffnung projiziert, er werde mit einem neuen New Deal einen Ausweg zeigen. Dabei hält sich hartnäckig die irrige Auffassung, Roosevelts Sozialprogramm habe den Grundstein für den anhaltenden Wirtschaftsaufschwung gelegt, der schließlich in das "Wirtschaftswunder" der 50er und 60er Jahre mündete.


Im Börsenkrach von 1929 und in der nachfolgenden Depression sanken die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften von 19,4% aller Beschäftigten im Jahr 1920 auf 10,2% im Jahr 1930. Als Roosevelt das Präsidentenamt 1933 übernahm, war ein Viertel aller Arbeiter arbeitslos. Seine Wahlplattform kulminierte jedoch in der Forderung: Haushaltskonsolidierung durch Kürzung der Ausgaben um 25%.


Einen ersten Wiederaufschwung der wirtschaftlichen Tätigkeit der USA gab es 1933; er war jedoch kurzlebig und ihm folgte ein neuer Abschwung. Erst Ende 1935 erreichte die Industrieproduktion wieder das Niveau von 1923; 1936 und '37 waren Boom-Jahre. Dieser Aufschwung wurde durch einige außergewöhnliche Umstände induziert: Die Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg erhielten zusammen eine Rente von 1,7 Mrd. Dollar, die Löhne stiegen, und die Warenlager füllten sich wieder. 1937 kam allerdings eine neue Rezession.


Roosevelt wurde bei seinem Amtsantritt von Konzernen wie General Electric und Standard Oil of New Jersey gedrängt, die "Exzesse des Kapitalismus" einzudämmen und ihnen in der schwierigen Situation staatliche Hilfe zu geben. Sie drängten ihn auch, eine Reform der Sozialversicherung zu verabschieden. Das Gesetz über die Sozialversicherung von 1935 nahm sich dabei die Wohlfahrtsprogramme zum Modell, die einige Konzerne in den 20er Jahren freiwillig in ihren Unternehmen eingeführt hatten.


In erster Linie war der New Deal eine Restrukturierung und politische Neuaufstellung der US-amerikanischen Kapitalinteressen; die aufstrebenden Kapitalkreise standen dabei einem Bündnis mit Teilen der Arbeiterschaft aufgeschlossen gegenüber. Nur so erklärt sich, dass der National Recovery Act von 1933, welcher der Regierung Roosevelt erlaubte, Banken zu verstaatlichen und die Wirtschaft anzukurbeln, eine Klausel enthielt, die Arbeitern erlaubte, mit den Unternehmern Kollektivverhandlungen zu führen. Diese Klausel hatte den unbeabsichtigten Effekt, dass die US-amerikanische Arbeiterklasse von einer ungeheuren Welle von Streiks und gewerkschaftlicher Organisierung ergriffen wurde. In dieser Bewegung entstand der Congress of Industrial Organizations (CIO). Zwischen 1933 und 1937 stieg die Zahl der gewerkschaftlich Organisierten von 2,7 auf 7 Millionen. Erst diese Streikwelle schaffte das Kräfteverhältnis, um das Arbeitsgesetz von 1934 durchzusetzen, das die Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit regulierte. Roosevelt hatte es anfangs abgelehnt, musste sich der Welle von Streiks und Fabrikbesetzungen jedoch beugen.


Erst im April 1938 beschloss die Regierung Roosevelt ein Konjunkturprogramm, das auf einer Verschuldung des öffentlichen Haushalts beruhte. Erst zu diesem Zeitpunkt kann man von einer "keynesianischen Politik" reden. Die neue lange Periode des wirtschaftlichen Aufschwungs war jedoch nicht mehr dem Konjunkturprogramm von 1938 geschuldet, sondern dem Zweiten Weltkrieg.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2, 24. Jg., Februar 2009, Seite 16
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2009