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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1241: Großbritannien - Vereintes Europa, vereinte Arbeiter?


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Grossbritannien
Vereintes Europa, vereinte Arbeiter?
Wie ein Streik politisch ausgeschlachtet wird

Von Angela Huemer


Ende Januar brachen in der Ölraffinerie Lindsey des französischen Konzerns Total In Lincolnshires Streiks aus, ihnen folgten Solidaritätsstreiks in ganz England.


Was war der Auslöser? Die sizilianische Firma IREM erhielt von Total den Zuschlag für den Bau einer neuen Entschwefelungsanlage. Dafür wollte IREM 400 ihrer eigenen italienischen und portugiesischen Arbeiter mitbringen. Während der Streiks waren 100 von ihnen bereits vor Ort, untergebracht in einem Boot.

Nach Angaben von IREM und Total werden diese Arbeiter zu denselben Konditionen wie ihre britischen Kollegen beschäftigt, zudem würden keine Briten entlassen, weil es sich um neue Arbeitsstellen handele. Rechtlich bewegen sich die Italiener im grünen Bereich. Nach EU-Recht können sie ihre eigene Belegschaft für zeitlich begrenzte Projekte in ein anderes EU-Land mitbringen. Die Bedingung: Der Vertrag muss zeitlich begrenzt sein und der Arbeitgeber muss örtliche Regeln wie das Mindestgehalt befolgen - was, wohl zurecht, nicht nur von den Streikenden bezweifelt wird, nicht zuletzt aufgrund der entstehenden Zusatzkosten.

Am Tag nach dem Streik folgten in ganz Großbritannien Solidaritätsstreiks. Der Streik in Lincolnshire endete Anfang Februar, als IREM versprach, von den noch zu schaffenden Arbeitsstellen 102 an Briten zu vergeben.


"British Jobs for British Workers"

Die Geister die ich rief... Die Parole, die bei den Streiks zu sehen war, war zuerst von Gordon Brown geprägt worden - in seiner ersten Rede als Premierminister auf einem Labour-Parteitag im September 2007. Sie war der Anlass, dass die Socialist Workers Party (SWP) den Arbeitern ihre Unterstützung verwehrte, während die Socialist Party (SP) trotzdem hinter ihnen stand. Die Parole war auch der Grund, warum die extreme Rechte, allen voran die BNP, den Streik für sich ausschlachten wollte. Sie schickte Unterstützer und eröffnete eine eigene Internetseite. Die Streikenden wehrten sich, sie würden gegen ausländische Firmen kämpfen, nicht gegen ausländische Arbeitnehmer, und für das Recht, nahe ihrem Heimatort arbeiten zu können.

Eklatant kam in der Berichterstattung zutage, wie sehr Großbritannien noch eine Klassengesellschaft ist. Die BBC musste sich entschuldigen, ein Arbeiter war verkürzt zitiert und so in die rassistische Ecke gedrängt worden. In einer BBC-TV-Debatte fragte der Moderator den Vertreter der Gewerkschaft Unite, Kenny Ward, ob denn Arbeiter von der Isle of Wight willkommener wären als Italiener; das verneinte Ward. "Ihre Xenophobie ist also ganz extrem, eine die sich gegen alle richtet, die von außerhalb kommen?", hakte der Moderator nach. "Absolut nicht. Es geht überhaupt nicht um Fremdenfeindlichkeit, es geht um das Recht, einer Arbeit nachzugehen, die nahe am Wohnort ist."

Die umstrittene Parole "British Jobs for British Workers" wurde dann geändert in "Fair Access for Local Labour", fairer Zugang zu Arbeit vor Ort, was den eigentlichen Streit/k-Punkt traf.

Im aktuellen Streik ging es um eine relativ begrenzte Gruppe, spezialisierte Arbeiter nämlich, die von der jeweiligen Firma/Subunternehmen mitgenommen werden. Nach Angaben des Labour-Ageordneten Pat McFadden gibt es derzeit 47.000 britische Entsendearbeiter in der EU, während nur 15.000 davon in Großbritannien arbeiten.

Ein Beispiel: Die beanstandete sizilianische Firma IREM, die ihre Arbeiter nach Lincolnshire mitbrachte, beschäftigt auf einer Baustelle in Italien rund 100 Engländer. Laut Guardian ist diese Zusammenarbeit harmonisch, die derzeitigen "Troubles" werden einfach nicht erwähnt. Basis der Harmonie: die gemeinsame Sprache sei Englisch, die Küche jedoch strikt italienisch. Naturgemäß kochten die Gemüter in Italien hoch. Gianni Rinaldini von der Gewerkschaft FIOM sprach sich für eine globale Gewerkschaft aus und bedauerte, dass ein Arbeitskonflikt in einen Konflikt zwischen Arbeitern verwandelt wird.


Viking/Laval

Eigentlicher Hintergrund des Protests der britischen Arbeiter sind Urteile des Europäischen Gerichtshofs, die eine Abwärtslohnspirale verstärken. Die EU-Direktive von 1996 besagt, dass Arbeitern, die von Konzernen in andere EU-Länder mitgenommen werden, das Äquivalent eines im Entsendeland üblichen Lohns gezahlt werden soll. In zwei Fällen hat der EU-Gerichtshof die Richtlinie eklatant zugunsten der Arbeitgeber novelliert: 2003 hisste das finnische Fährunternehmen Viking Line eine neue Flagge, die estnische. Sie heuerte estnische Seeleute an und zahlte ihnen estnische Löhne, womit sie 60% Arbeitskosten sparte. 2004 sandte eine lettische Firma, Laval, ihre Arbeiter nach Schweden und zahlte sie nach lettischem Tarifvertrag. In beiden Fällen wurde zugunsten der Firmen und gegen die Arbeiter entschieden.

Das Motto "Fair Access for Local Labour" führte am 11. Februar zum nächsten Streik, diesmal in Staythorpe, gegen die französische Firma Alstom. Hier wurde ganz offensichtlich dem gesetzlich vorgesehenen "resident labour market test" zuwidergehandelt. Dieser Test besagt, dass lokal ansässige Arbeitsuchende die Chance haben müssen, sich zu bewerben. Steve Syson von der Gewerkschaft "Unite" erklärte gegenüber der BBC, dass obwohl sich tausend britische Arbeiter für Jobs bei Alstom beworben hätten, keiner berücksichtigt worden sei. Der französische Energieriese Alstom baut in Staythorpe, Nottinghamshire, für den deutschen Energieriesen RWE ein Gaskraftwerk unter Zuhilfenahme spanischer Subunternehmer.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 24. Jg., März 2009, Seite 7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2009