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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1244: Neue Debatte um Alternative zu Hartz IV


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Neue Debatte um Alternative zu Hartz IV
500 oder 435 Euro?


Der Beschluss der Bundestagsfraktion der LINKEN Ende Januar, Hartz IV durch eine bedarfsgerechte Mindestsicherung zu ersetzen, hat unter einigen Erwerbslosengruppen große Empörung hervorgerufen. Sie sehen im Fraktionsbeschluss keinen Ausweg aus der "Armut per Gesetz". Die SoZ dokumentiert Auszüge aus der Debatte.


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DIE LINKE im Bundestag (Zusammenfassung):

Die Fraktion fordert den Parteivorstand auf zu prüfen, ob das linke Grundsicherungskonzept den Namen "bedarfsdeckende soziale Mindestsicherung" erhalten kann.

Als erster Schritt soll eine Mindestsicherung auf besserem Niveau hergestellt werden: Der Eckregelsatz wird sofort auf 435 Euro für Alleinstehende erhöht.

Die Mindestsicherung umfasst pauschalierte Regelleistungen, pauschalierte Mehrbedarfszuschläge sowie die Wohnkosten. Zur Bemessung des Bedarfs wird eine Kommission eingerichtet, in der auch die Interessen Betroffener angemessen vertreten sind. Die Bedarfsbemessungskommission passt den Eckregelsatz jährlich der Preisentwicklung an.

Außerdem umfasst die Mindestsicherung die Übernahme notwendiger Sozialversicherungsbeiträge, wobei die Rentenbeiträge deutlich erhöht werden müssen.

Es gibt eine eigenständige Mindestsicherung für Kinder und Jugendliche. Die Mindestsicherung orientiert sich am Individualprinzip.

Die Bedarfsprüfung ist unerlässlich, wird aber auf ein die Würde der Leistungsberechtigten achtendes Maß zurückgeführt.

Als zweiter Schritt soll für Langzeitarbeitslose eine steuerfinanzierte Absicherung geschaffen werden, in die - im Sinne der originären Arbeitslosenhilfe - auch Erwerbslose ohne vorherige Ansprüche aus Arbeitslosengeld einbezogen werden sollen. Eine solche "neue Arbeitslosenhilfe" ist unerlässlich, um den Absturz nach 12 bzw. 18 Monaten Erwerbslosigkeit an den untersten Rand zu verhindern. Leistungsberechtigte, die erwerbslos sind oder zu geringe Einkommen erzielen, haben Zugang zu allen Angeboten der Arbeitsförderung nach SGB III und sind grundsätzlich verpflichtet, sich um Existenzsicherung durch eine entsprechende Erwerbstätigkeit zu bemühen. Es gelten die Zumutbarkeitsbestimmungen des SGB III, die grundsätzlich zu reformieren sind (existenzsicherndes Einkommen, Qualifikationsschutz u. a.).

Am Vorrang der Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit wird festgehalten. Es liegt in der Verantwortung des Staates, Rahmenbedingungen für ausreichend existenzsichernde Arbeitsplätze zu schaffen. Es liegt in der Verantwortung des Einzelnen, zumutbare Arbeit zur menschenwürdigen Gestaltung seines Lebens zu nutzen. (27.1.2009)


Edith Barthelmus-Scholich:

Das Konzept der Linksfraktion zur "Überwindung von Hartz IV durch eine bedarfsorientierte soziale Mindestsicherung" ist in weiten Teilen der Erwerbslosenbewegung mit Erbitterung aufgenommen worden.

Die Kritik entzündet sich dabei zunächst an der Höhe der vorgesehenen Leistungen. Mit 435 Euro Regelsatz bleiben Erwerbslose weiter arm, auch wenn die Linksfraktion Sonderbedarfe, wie sie die Sozialhilfe kannte, wieder einführen möchte. Von einer menschenwürdigen materiellen Ausstattung, die auch Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben ermöglicht, kann bei 14,50 Euro am Tag (bei 30 Tagen im Monat) wirklich nicht die Rede sein. Nicht einmal die minimale Forderung der Erwerbslosenbewegung nach einem Regelsatz von 500 Euro hat die Linksfraktion aufgenommen. Folgerichtig fühlen sich Erwerbslose durch die Fraktion der Partei, die mit dem Slogan "Hartz IV ist Armut per Gesetz - Hartz IV muss weg!" wirbt, verhöhnt.


Volker Stork:

Der Wechsel von Würdelosigkeit zu Würde hängt im Falle von Hartz IV nur sekundär von der Höhe des Regelsatzes ab, primär ist er mit der Überwindung der Hartz-Logik verknüpft.

Seit der Weimarer Republik bis zur Einführung der Hartz-Gesetze bestand ein dreigliedriges System von Sozialleistungen. Im Gegensatz zur Sozialhilfe, bei der individuelle Bedürftigkeit den Anspruch begründete, bestand auf Arbeitslosenhilfe ein Anspruch, dessen Höhe von geleisteten Beiträge in die Arbeitslosenversicherung abhing. Den fundamentalen Unterschied zwischen Bedürftigkeit und Anspruch hebt die Hartz-IV-Gesetzgebung auf. Ansprüche auf die Grundsicherung ALG II können allein bei nachgewiesener Bedürftigkeit geltend gemacht werden. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe verallgemeinert die kommunale Armenfürsorge auf alle Personen, die in der Lage sind, täglich drei Stunden zu arbeiten und keinen Versicherungsanspruch auf ALG I (mehr) haben.

Das ist die Logik von Hartz IV; unabhängig davon, ob der Regelsatz 351 oder 435 Euro im Monat beträgt. Jetzt hat es der Staat nur noch mit bedürftigen Individuen zu tun.

Wenn man ungeachtet dieses grundsätzlichen Einwands trotzdem eine Grundsicherung favorisiert, gibt es nur eine Alternative: den Rechtsanspruch aller Bewohnerinnen und Bewohner der BRD auf Grundsicherung in Höhe der Armutsschwelle. Sie ist als Pfändungsgrenze offiziell definiert (monatlich 985 Euro).


Daniel Kreutz:

Ich finde es auch richtig, 500 Euro Regelsatz einzufordern, um Druck zugunsten einer deutlichen Erhöhung der Regelsätze aufzubauen.

Ich rate allerdings davon ab, eine Regelsatzfestsetzung durch parlamentarischen Mehrheitsbeschluss für einen Betrag (500 Euro) anzustreben, der nicht aus einem anerkannten Bedarfsbemessungsverfahren hergeleitet ist. Das würde andere Mehrheiten legitimieren, andere (niedrigere) Beträge zu beschließen. Deshalb dreht sich m. E. eine Mindestsicherungsreform, die mit dem Anspruch auftritt, Gesetz werden zu können, hinsichtlich des Leistungsniveaus nicht vorrangig um Beträge, sondern um die Durchsetzung eines anderen anerkannten Bedarfsbemessungsverfahrens, aus dem sich ein armutsfestes Leistungsniveau ergibt. Ich halte es deshalb für vernünftig, eine Sofortanhebung vorzuschlagen, die auch eine deutliche Verbesserung bringt, aber als sachgerechte Umsetzung des bislang geltenden Bedarfsbemessungsverfahrens auftreten kann.


Angela Klein:

Es gibt einige "sehr harte" Kriterien für die Festlegung des individuellen Bedarfs. Ein Kriterium wird in der Erwerbslosenbewegung gern herangezogen, um zu zeigen, wie unmenschlich die Sozialgesetzgebung seit der Wende mit den Erwerbslosen verfährt. Es ist die Kalorienzahl; da geht es um das Überleben. Die Initiativen rechnen vor, dass ein Regelsatz von 435 Euro nur die Zufuhr von 1500 Kalorien am Tag erlaubt; Minimum für Erwachsene sind aber 2550. Wenn man sich diese Zahl vergegenwärtigt wird sofort klar, warum 500 Euro Regelsatz tatsächlich ein physisches Minimum sind, das nicht unterschritten werden kann, nicht etwa ein dehnbares moralisches Minimum.

Ein weiteres Kriterium hat bis zur Einführung des Statistikmodells 1991 gegolten und wurde von der Bundesregierung (mit erkennbaren Hintergedanken) für die Berechnung der Sozialhilfe abgeschafft. Das ist der Warenkorb. Das ist ein ziemlich objektives Kriterium. Es wäre von Vorteil gewesen, hätte sich die Fraktion darauf wieder besonnen. Statt dessen zielt sie auf eine nicht weiter beschriebene "Bedarfsmessungskommission", ohne sich darauf festzulegen, wer da drin ist noch wie sie arbeiten soll. Schlimmer noch: Die Fraktion operiert mit pauschalierten Leistungen. Deren Berechnung fällt aber grundsätzlich zum Nachteil der Erwerbslosen aus, weil Maßstäbe herangezogen werden, deren Niveau ständig sinkt: z. B. das Durchschnittseinkommen, das verfügbare Haushaltseinkommen usw.

Wenn man in diese Falle des "downgradings" nicht tappen will, und die oben genannten "harten" Kriterien als zu "unhandlich" zurückweist, gibt es nur einen Maßstab: Das ist das Bruttoinlandsprodukt. Alle ökonomischen Größen werden in Prozent vom Bruttoinlandsprodukt ausgedrückt, nur nicht die Ermittlung von Mindesteinkommen (Sozialhilfe, Mindestlohn, Grundrente etc). Wenn man das akzeptiert, akzeptiert man, dass Menschen, die aus welchem Grund auch immer nicht mehr im Erwerbsleben stehen, kein Anrecht mehr haben, an der Gesellschaft und ihrem Reichtum zu partizipieren. Das ist das Gegenteil eines Ansatzes, der ein Leben in Würde für alle will.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 24. Jg., März 2009, Seite 8
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2009