Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1253: Kuba im Jubiläumsjahr der Revolution


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Kuba im Jubiläumsjahr der Revolution
Ein politischer Reisebericht

Von Paul Kleiser


Paul Kleiser bereiste die Insel Anfang 2009.


Fünfzig Jahre nach der Flucht des von den USA ausgehaltenen Diktators und Menschenschlächters Batista und dem Einzug der barbudos, der "Bärtigen", in Santiago de Cuba und Havanna ist die Revolution in die Jahre gekommen.

Dies gilt im doppelten Wortsinn: 1959 hätte niemand einen Pfifferling darauf wetten wollen, dass die Revolution im US-amerikanischen Hinterhof und Bordell länger als ein paar Monate überleben würde. Doch der revolutionäre Eifer, das unglaubliche Engagement der großen Mehrheit der Bevölkerung, die nach der Flucht der reichen Oberschicht fast geschlossen hinter ihrer neuen Führung stand, bewirkte zusammen mit den radikalen Bewegungen der 60er Jahre überall auf der Welt, dass die zahlreichen Versuche, die Revolution zu vernichten, gescheitert sind.

Andererseits ist die Mehrheit der heutigen Bevölkerung nach der Revolution geboren und hat durch sie einen enormen sozialen Aufstieg erlebt. Nun sind viele unzufrieden, dass es nach der tiefen Krise der 90er Jahre viel zu langsam vorangeht und die Mühen des Alltagslebens so beschwerlich sein können. Viele scheinen müde zu werden, jungen Leuten sind ihre Konsumwünsche oft wichtiger als die Zukunft des Landes.

Die Feiern zum 50. Jahrestag gestalteten sich überall sehr bescheiden, es gab keinen großen propagandistischen Aufwand. Man findet auf Kuba heute sehr viel weniger politische Parolen und Plakate als je zuvor; nur in den (früher ärmeren) östlichen Provinzen, in denen die Revolution geboren wurde und die noch nicht so geschäftig sind wie Havanna, gab es sie in größerer Zahl. Zahlreiche Vertreter lateinamerikanischer sozialer Bewegungen waren eingeladen, an den Feiern teilzunehmen, und die kubanische Revolution wurde betont in die lateinamerikanische Geschichte eingeordnet.

Von "Sozialismus" ist gegenwärtig auf Kuba wenig die Rede, und wenn, dann wird darunter neben den allgemein anerkannten historischen Fortschritten in den Bereichen Gesundheitswesen, Bildung und Erziehung, Gleichstellung der Geschlechter und Abbau des Rassismus (Kuba hat eine geringere Kindersterblichkeit als Deutschland und fast schon die gleiche Lebenserwartung!) vor allem die "Unabhängigkeit und Würde der Nation" verstanden, wie sie in der Parole "Patria libre o muerte" zum Ausdruck kommt.

Nicht zufällig gilt eines der beiden größten politischen Denkmäler des Landes (in Santiago) dem Dichter und Kämpfer gegen den spanischen Kolonialismus, José Martí. In seiner Verteidigungsrede vor Gericht nach dem gescheiterten Angriff auf die Moncada-Kaserne am 26. Juli 1953 antwortete Fidel Castro auf die Frage nach dem geistigen Urheber seiner Tat mit eben diesem Dichternamen.

Das zweite große Denkmal (in Santa Clara) gilt natürlich dem Arzt und Revolutionär Che Guevara und seinen Mitkämpfern. 1997 wurden die in Bolivien entdeckten sterblichen Überreste des Che dorthin überführt.

Der "Período special", der auf den Zusammenbruchs des Ostblocks folgte, war sehr entbehrungsreich gewesen; seit den 70er Jahren hatte Kuba etwa 85% seines Handels mit dem Ostblock abgewickelt. In den 90ern konnte die Nahrungsmittelversorgung gerade so aufrecht erhalten werden, Engpässe in der Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs bis hin zu langen Stromabschaltungen waren die Regel.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Wirtschaft jedoch deutlich erholt, jährlich wächst sie durchschnittlich um gut 6%. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet der Tourismus; vor allem in Zusammenarbeit mit spanischen Unternehmen wurden große Hotelketten als Joint Ventures hochgezogen, an denen kubanische Gesellschaften einen Anteil von 49% haben. Diese Gesellschaften gehören indirekt der Armee, womit der Staat eine gewisse Kontrolle darüber ausübt, wer in diesem Bereich arbeiten darf und wer nicht. Kuba verfügt mittlerweile über 50.000 Hotelbetten; hinzu kommt eine wachsende Zahl von Privatunterkünften "auf eigene Rechnung" (man kann heute problemlos auf eigene Faust durch das Land reisen), sodass das Land jährlich über 2 Millionen Touristen beherbergt.


Doppelte Währung

In der Zeit der Krise wurde ab 1993 der Dollar als Zweitwährung zugelassen, viele Familien konnten nur mit Hilfe der Überweisungen von Freunden und Verwandten aus den USA überleben. Die Dollarisierung führte - zusammen mit dem faktischen Zusammenbruch der Wirtschaftsplanung - schnell zu einer Polarisierung der Wirtschaft in die Bereiche, die über Devisen verfügten, und die anderen. Der Wert des Peso verfiel rasch.

2004 wurde der konvertible Peso, der CUC, eingeführt (1 CUC = 1,08 Dollar oder 0,84 Euro); er wurde zum allgemeinen Zahlungsmittel der Touristen. Kubanische Beschäftigte können sich einen Teil ihres Lohnes (20%) in CUC auszahlen lassen, was den Nachteil hat, dass der Umtauschkurs sehr schlecht ist, aber den Vorteil, dass man für CUC alles kaufen kann. So haben sich mittlerweile in der Nähe der großen Hotels im Westen Havannas fast alle europäischen Nobelmarken angesiedelt.

Wegen der Trinkgelder oder auch durch illegale Geschäfte (Währungstausch, Zigarrenhandel, Prostitution usw.) kommen die im Tourismus Beschäftigten leicht an CUC heran, was dazu führt, dass eine stark von Gleichheitssinn geprägte Gesellschaft immer deutlicher auseinanderdriftet.

Es gibt nun die NEP-Leute (wie in der Sowjetunion nach dem Kriegskommunismus ab 1921), die es zu einigem Reichtum gebracht haben; man hortet ihn (noch) zu Hause bei der Familie, da man den kubanischen Banken und dem Staat misstraut, aber eine kleine Schicht verfügt bereits über Konten in Spanien oder in lateinamerikanischen Ländern.

Ein Lehrer, der in Havanna mit einem staatlichen Taxi unterwegs ist, erzählte uns, mit den Trinkgeldern komme er leicht binnen zwei bis drei Tagen auf einen durchschnittlichen kubanischen Monatslohn; er habe sich diesem Gewerbe zugewandt, weil sein Gehalt als Lehrer zur Versorgung seiner Familie kaum ausreicht.

Die mausgraue "Libreta", ein Heftchen mit Lebensmittelrationen, das 1964 eingeführt wurde, um die Bevölkerung mit sehr billigen, weil staatlich subventionierten Gütern des täglichen Bedarfs zu versorgen, reicht heute kaum aus, um den monatlichen Lebensunterhalt zu bestreiten. Für diejenigen, die auf diese Form der Versorgung angewiesen sind, weil sie nicht an harte Währung herankommen (etwa Rentner), lebt es sich, zumal in den Städten, nicht leicht.

In Havanna und anderen Großstädten breiten sich zahllose Formen von "Dienstleistungen" an Touristen aus, die den Zweck haben, an den begehrten CUC zu kommen: Alte Frauen mit riesigen Zigarren oder Frauen in farbiger kreolischer Kleidung posieren fürs Foto für einen CUC; Künstler und Karikaturisten porträtieren die Zahlungswilligen, und es gibt originelles Kleingewerbe jeder Art. Nicht zu reden von den unzähligen Musikgruppen mit zumeist erstaunlichem Niveau, die in fast allen Restaurants zur Stelle sind, wenn dort Ausländer zu Abend essen (und die fast immer gleich ihre CD dabei haben).


Schattenwirtschaft

Die CUC-isierung der kubanischen Wirtschaft hat deutlich sichtbare negative Auswirkungen auf die medizinische Versorgung und das Bildungswesen.

Medizinische Behandlung kostet in ganz Lateinamerika oft ein Vermögen und ist nur von Reichen zu bezahlen, auf Kuba gibt es sie umsonst. Kuba hat die Qualität seiner Medizin auch als Devisenquelle entdeckt; gegen Hartwährungen kann man sich dort Behandlungen unterziehen, die im eigenen Land nicht möglich oder zu teuer sind.

Aber es schleicht sich immer mehr ein, dass für die Behandlung Trinkgelder in CUC zu entrichten sind, für die es anscheinend bereits so etwas wie eine "inoffizielle Tarifliste" gibt: Alle scheinen zu wissen, wie hoch bestimmte Leistungen zu honorieren sind. Der Staat duldet diese Entwicklung, weil er verhindern will, dass Fachkräfte ins Ausland oder in den Tourismus abwandern - was natürlich trotzdem geschieht. Noch verfügt Kuba allerdings über die größte Ärztedichte der Welt: hier kommt ein Arzt auf 160 Einwohner.

Unser Reiseleiter, der seine hervorragenden Deutschkenntnisse von seinem Vater hat, der sich wiederum unter den ersten Studenten befand, die in den 60er Jahren zum Studium in die DDR geschickt wurden, hätte sicherlich eine Professur an einer Universität anstreben und bekommen können. Wegen seiner guten Leistungen wurde er - wiewohl nicht Parteimitglied, was zunächst zu Einsprüchen führte - zum Studium nach Brasilien geschickt. Er hatte den festen Vorsatz, aus materiellen Gründen nicht auf die Insel zurückzukehren, sondern sein Heil in Lateinamerika oder Spanien zu suchen. Zwei Gründe haben ihn schließlich bewogen, in sein Heimatland zurückzukehren: eine schwere Nierenerkrankung seines Vaters, deren acht Jahre lange Dialysebehandlung in einem anderen lateinamerikanischen Land 1-2 Millionen Dollar gekostet hätte, was niemand hätte aufbringen können; und die Erfahrung der täglichen brutalen Gewalt in den gesellschaftlichen Beziehungen in Brasilien, Venezuela oder Mexiko, mit jährlich Tausenden von Toten durch Banden- oder Drogenkriege. Seine Kenntnisse und Dienste werden von den deutschsprachigen Touristen allenthalben geschätzt, was sich in erheblichen Trinkgeldern niederschlägt, von denen er und seine Familie sicher gut leben können.


Szenen aus dem Alltag

Die Gewinner der Revolution waren und sind die kleinen Bauern, sie sind bis heute eine Stütze des Regimes. Fast ein Viertel der Kubaner lebt auf dem Land, in Brasilien sind es nur 17,2%, in Venezuela gar 6,6%. Durch die Verstaatlichung des Großgrundbesitzes in den beiden Landreformen von 1960 und 1963 und durch die Blockade der USA wurden sie für die Lebensmittelversorgung des Landes wichtig.

Der Staat kauft ihre Produkte zu relativ hohen Preisen; seit den 90er Jahren sind auch freie Bauernmärkte zugelassen, auf denen die Erzeugnisse des Landes zu relativ hohen Preisen gehandelt werden.

Notwendig wäre eine deutliche Steigerung der Arbeitsproduktivität durch stärkere Mechanisierung. Sie unterbleibt wegen fehlender Geldmittel, aber wohl auch, weil der Staat Angst hat, eine zu starke Veränderung der Verhältnisse auf dem Land werde zu sozialen Differenzierungen führen und das Bündnis mit den Bauern gefährden.

Nach den Wirbelstürmen des Sommers, die besonders in den Tabakprovinzen des Westens (Pinar de Río) Schäden von etwa 10 Milliarden Dollar verursacht haben, muss der Staat seine Mittel vorrangig in die Reparatur investieren.

Wir besuchten eine Bauernfamilie, die Tabak anbaut (und erfolgreich selbstgedrehte Zigarren an Touristen verhökert). Die Scheune zum Trocknen der Blätter war stark beschädigt, aber bereits notdürftig mit Schieferplatten repariert. Der Tabakanbau ernährt drei Generationen - und dies sicher besser als viele mir bekannte Bauernfamilien in Griechenland, die Wein oder Rosinen produzieren.

Für die Erwerbtätigen ist eines der größten Probleme die Fahrt zur Arbeit; Nah- und Fernverkehr lassen massiv zu wünschen übrig. Zwar sind die "Kamele" - von Lkw gezogene Großbusse, in die bis zu 400 Menschen gequetscht werden - fast verschwunden, aber die chinesischen Ytong-Busse, die ersatzweise gekauft wurden, werden mehrheitlich zum Transport von Touristen verwandt.

Außerdem sind viele Busse für den Transport der Beschäftigten reserviert, die in den Hotels arbeiten. Häufig sieht man Hunderte von Menschen am Straßenrand stehen, die mitgenommen werden möchten. Manche schwenken auch Geldscheine, um anzuzeigen, dass sie sogar bezahlen würden (im Prinzip ist der Transport auf Kuba kostenfrei).

Bekanntlich ist Kuba das größte Automuseum der Welt. Sämtliche US-amerikanischen Fabrikate der 30er bis 50er Jahre finden sich, oft intensiv gepflegt, auf Kubas Straßen und Parkplätzen. Es gibt Handwerker, die sich auf ihre Reparatur spezialisiert haben und von dieser Tätigkeit "auf eigene Rechnung" nicht schlecht leben. Seit wenigen Jahren nimmt die Zahl der neuen Fabrikate aus chinesischen oder südkoreanischer (Hyundai) Produktion aber deutlich zu.

Ein weiteres gravierendes Problem ist die Wohnungsnot. Noch immer haben junge Paare Schwierigkeiten, eine eigene Wohnung zu finden, obwohl erhebliche Geldmittel in den Bau neuer Wohnungen geflossen sind, die auch eine deutlich bessere Qualität haben als die Plattenbauten der 70er und 80er Jahre. Die überfällige Sanierung der Altstadt von Havanna und anderer teilweise auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes stehender Innenstädte ist in diesem Jahrzehnt sichtbar vorangekommen, führt aber häufig zu Verlust an Wohnraum, weil die alten, sehr hohen Wohnpaläste der kreolischen Bourgeoisie wiederhergestellt werden. Alte Zwischendecken, die eingezogen wurden, um aus einer Wohnung zwei oder mehr zu machen, werden nun entfernt, ohne dass parallel dazu der Bau neuer Wohnungen vorankommt. Im Unterschied zu ganz Lateinamerika gibt es auf Kuba keine Slums, doch der Investitionsbedarf in die Versorgung mit Wohnraum ist riesig.

Heftig wird gerade diskutiert, ob Obama eine Neuausrichtung der US-Kubapolitik bringen wird. Die überwiegende Mehrheit war da skeptisch.


*


Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 24. Jg., März 2009, Seite 19
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
(VsP, www.vsp-vernetzt.de)
SoZ-Verlags-GmbH, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96, Telefax: 0221/923 11 97
E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.soz-plus.de

Die Soz erscheint monatlich und kostet 3 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
Normalabo: 55 Euro, inkl. SoZ Hefte
Sozialabo: 26 Euro, inkl. SoZ Hefte


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2009