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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1293: Die Bundestagsfraktion der LINKEN zu Nahost


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 - Juni 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Die Bundestagsfraktion der LINKEN zu Nahost
Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück

Von Hermann Dierkes


Die Bundestagsfraktion der LINKEN hat sich am 5. Mai auf ein aktuelles Positionspapier zu Nahost verständigt; es wurde bei einer Enthaltung (Ulla Jelpke) angenommen.


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Das Positionspapier ist zunächst einmal ein Fortschritt angesichts der starken Zweideutigkeiten, wenn nicht offenen Parteinahme für die israelische Seite seitens wichtiger Funktions- und Mandatsträger der Partei. Vor allem deshalb, weil es detaillierte und aktualisierte Forderungen aufstellt: Es benennt die völkerrechtswidrige Besatzung palästinensischer Gebiete, ihre inhumanen Folgen und ihre Deckung durch die Bundesrepublik, andere europäische Staaten, die USA und die UNO; es stellt Forderungen an die israelische Seite - sofortiger Stopp des Siedlungsbaus, der Landkonfiskation, des Mauerbaus und der Angriffe, Freilassung der politischen Gefangenen, Regelung der Flüchtlingsfrage usw.; es fordert die Einbeziehung der Hamas in politische Gespräche und die Aufhebung ihres Boykotts sowie eine internationale Untersuchung des Gazakriegs.

Zu begrüßen ist auch der Forderungskatalog an die deutsche Bundesregierung unter der Maxime Abkehr von ihrer gescheiterten Politik im Nahostkonflikt: Parteinahme für das Völkerrecht, Stopp der Waffenlieferungen an Israel und andere Staaten der Region, Akzeptanz jeder Palästinenserregierung, Aufhebung der Blockade des Gazastreifens usw.

Das Papier orientiert auf eine Zweistaatenlösung als "endgültige, gerechte und dauerhafte Lösung". Die Zweistaatigkeit wird zwar von Teilen der palästinensischen Politik - zumindest als Zwischenetappe - schon länger gefordert und findet praktische, noch häufiger allerdings nur verbale Unterstützung in der internationalen Politik.

Diese Forderung ist allerdings immer problematischer geworden, in dem Maße, wie Israel v.a. die Besetzung des Westjordanlands und der Golan-Höhen in eine fortschreitende Annexion ausgeweitet hat. Heute eine Zweistaatenlösung zu realisieren, würde auf ein 80:20-Verhältnis hinauslaufen - 80% des alten Palästina für Israel und nur noch 20% für die Palästinenser.

Etliche palästinensische und israelische Analytiker gehen davon aus, dass die Zweistaatenlösung praktisch kaum mehr realisierbar ist, weil sie mit umfassenden Umsiedlungen (allein im Westjordanland haben sich 350000 israelische Siedler niedergelassen) verbunden wäre, was bürgerkriegsähnliche Verhältnisse herauf beschwören würde. Sie argumentieren weiter, dass heute eher schon eine Einstaatensituation herrsche, und zwar auf der Grundlage von faktischer und juristischer Apartheid zwischen Israelis und Palästinensern. Aufgrund dessen müsste die Forderung nach einem gemeinsamen, laizistischen Staat erhoben werden, der allen in Israel und Palästina Lebenden verfassungsmäßige Garantien gibt.


Einseitige Parteinahme

Politisch falsch und regelrecht gefährlich sind allerdings etliche Passagen, die aus der Eingangsmaxime des Papiers folgen: "Wir sehen uns in einer Doppelverantwortung und sind mit den Menschen in Israel und Palästina solidarisch. Eine einseitige Parteinahme in diesem Konflikt wird nicht zu seiner Lösung beitragen."

Ohne Zweifel gibt es eine besondere Verantwortung für die LINKE und die deutsche Linke im allgemeinen angesichts der Naziverbrechen an den europäischen Juden. Aber diese Verantwortung kann sich - was Israel betrifft - nur auf eine großzügige Wiedergutmachung für die Überlebenden, auf systematische Erinnerungsarbeit, konsequente Strafverfolgung der Mörder, Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus, auf kulturellen, wissenschaftlichen Austausch und sinnvolle Wirtschaftsbeziehungen erstrecken.

Dagegen muss jeder Versuch, den Holocaust zu instrumentalisieren, um Völkerrecht und Menschenrechte zu missachten, den Expansionskurs der bisherigen israelischen Regierungen zu dulden oder zu unterstützen und Kritiker mundtot zu machen, auf die klare Ablehnung der Linken stoßen. Das folgt nicht nur aus wesentlichen programmatischen Grundlagen linker Politik allgemein (Menschenrechte, Selbstbestimmungsrecht der Völker usw.).

Jeder Opportunismus gegenüber massivem Unrecht und seine offene oder faktische Unterstützung wäre auch eine Missachtung der Lehren aus der Shoah und eine Verhöhnung ihrer Opfer.

Aber genau damit ist die Linke konfrontiert. Es haben Formulierungen in das Positionspapier Eingang gefunden, die Opfer und Täter auf eine Stufe stellen. Die Geschichte des Nahostkonflikts erweist eine solche Position aber als historisch und völkerrechtlich daneben. Bezeichnenderweise fehlen in dem Papier klare Aussagen zur Geschichte des Nahostkonflikts. Es ist eine Geschichte der Durchsetzung eines kolonialen Siedlerstaats auf Kosten der Palästinenser.

Parteien und herausragende Vertreter der israelischen Seite haben immer wieder das Ziel formuliert, ganz Palästina zu erobern und in einen in seiner demografischen Zusammensetzung zumindest zu 80% jüdischen Staat zu verwandeln.


Bewaffneter Widerstand

Offensichtlich sind solche Formulierungen auf das Bemühen eines erheblichen Teils der Parteiführung (Gregor Gysi u.a.) und namhafter Mandatsträger (Petra Pau u.a.) zurückzuführen, in der Nahostfrage Kontroversen mit den Dogmen der deutschen Außenpolitik zu vermeiden bzw. die Partei sogar schrittweise darauf einzuschwören (vgl. Gysis Rede zum 60. Jahrestag Israels).

Der hier völlig untaugliche Begriff "Menschen" verunklart, dass es sich um machtpolitische Auseinandersetzungen handelt, in denen der israelische Staat mit seiner territorialen Expansions-, ethnischen Säuberungs- und gezielten Einwanderungspolitik gegenüber den Palästinensern der Aggressor ist. Die eindeutige Täter-Opfer-Konstellation in dem nun über 60 Jahre andauernden Konflikt, der mit der Errichtung des kolonialen Siedlerstaats Israel auf jahrhundertealtem Palästinensergebiet begann und zu neun Kriegen führte, die die israelische Seite mit überlegener Bewaffnung bisher alle für sich entschied, wird damit verwischt. Ebenfalls nicht klar benannt wird die maßgebliche Verantwortung der israelischen Seite dafür, dass alle Schritte zu einer Friedenslösung unter Beteiligung der UN oder der Großmächte gescheitert sind.

Warum hier - ganz im Sinne des Völkerrechts - eine "einseitige Parteinahme" ausscheidet, ist logisch nicht begründbar und bleibt ein Rätsel. Denn im Papier heißt es: "Für uns ist der Maßstab das internationale Völker- und Menschenrecht, das für alle Staaten und Konfliktparteien zu gelten hat." Doch sogleich folgt eine Einschränkung, die dazu im Widerspruch steht: "Jegliche Gewaltanwendung der beteiligten Parteien wird von uns verurteilt."

Nun brauchen wir nicht darüber streiten, dass die früheren Selbstmordanschläge der Hamas oder der militärisch ohnehin vollkommen wirkungslose, mit dem Völkerrecht unvereinbare, weil wahllose und auf Zivilisten gerichtete Raketenbeschuss israelischer Grenzregionen durch Gruppen wie den islamischen Jihad abzulehnen sind. Der israelischen Regierungspropaganda, den Hardlinern in der Armee und ihren internationalen Lobbyisten kam der Raketenbeschuss übrigens immer gelegen.

Das Völkerrecht erkennt indessen das Recht des bewaffneten Widerstands für Völker an, die unter Besatzung stehen, wenn er sich gegen eine völkerrechtswidrige Besetzungspraxis richtet. Der Widerstand gegen die Besatzer hat sich dann allerdings auch an die Regeln der Völkerrechts zu halten. Gregor Gysi selbst hat noch Mitte 2008 in einem Interview über die Kurdenfrage die Ansicht vertreten: "Wer es in einer Demokratie nicht schafft, Mehrheiten zu organisieren, hat kein Recht zum gewaltsamen Widerstand. Wer aber diktatorisch unterdrückt wird, hat notfalls das Recht, sich auch bewaffnet zu wehren."

Es bleibt zu hoffen, dass sich in der LINKEN in der anstehenden Programmdiskussion Mehrheiten für konsequent linke Positionen entwickeln. Auch in der Nahostfrage.


Das Positionspapier der Bundestagsfraktion findet sich auf:
www.Norman-Peach.de


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 24. Jg., Juni 2009, Seite 16
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2009