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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1336: Frankreich - Protest gegen Privatisierung der Post


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 - November 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Frankreich
Landesweiter Protest gegen Privatisierung der Post

Von Willi Hajek


Nutzer und Beschäftigte der Post in Frankreich ermächtigen sich selbst, die Bevölkerung zu befragen über ihre Meinung zur Privatisierung der Post. 2.123.717 Citoyens haben ihre Antwort an mehr als 10.000 Wahlorten abgegeben, fast alle sind gegen die Privatisierung.


Organisiert wurde das Ganze ohne Erlaubnis der Regierung von einem breiten Bündnis von Organisationen, Gewerkschaften, Initiativen und Parteien. Geplant ist eine landesweite Demonstration, die ein offizielles Referendum über die Privatisierung der Post fordert. Die Aktionen knüpfen an das erfolgreiche Referendum gegen den EU-Vertrag 1995 an.

Die Post mit ihren öffentlichen Postämtern, Briefträgern und Schalterangestellten macht in Frankreich einen wichtigen Teil des öffentlichen Sektors aus - ebenso wie Schulen, die Bahn und Krankenhäuser. Ihre Angestellten unterhalten besondere Beziehungen zu den Nutzern, oftmals ist es auch eine Vertrauensbeziehung. Gerade in der Figur des Briefträgers, der täglich die Post vorbeibringt, ist dies sichtbar; besonders in den weiträumigen ländlichen Gebieten stellt er die Beziehung nach draußen her. Er führt kleine Gespräche mit den Postempfängern, bringt gehbehinderten Bewohnerinnen Zigaretten vorbei usw. Damit soll jetzt Schluss sein, er wird jetzt begleitet von einem amtlichen Kontrolleur, der die Rentabilität seiner Botengänge untersuchen soll.

Im September 2009 brach in Paris, im populären Viertel Chateau rouge im 18. Pariser Bezirk mit einem hohen Anteil an Arbeitern und Migranten, ein Streik aus. 15 Schalterbeschäftigte begannen ihn am 7. September, denn es sollten vier Stellen gestrichen werden. Von vier Schaltern sollten nur noch zwei offenbleiben, gleichzeitig sind viele der täglich tausend Nutzer Immigranten, die Überweisungen tätigen oder einfach eine Beratung brauchen. Im oft überhitzten Raum gab es manchmal Wartezeiten von mehr als einer Stunde - für alle Beteiligten hyperstressig. Gleichzeitig müssen die Angestellten jetzt aufrecht stehen, sie dürfen nicht mehr sitzen. Es gibt sehr viele körperliche Beschwerden gerade wegen dieser Maßnahme. Die Arbeitszeiten wurden flexibilisiert, Schichtpläne waren nicht länger als zwei Wochen gültig und wurden ständig geändert. Das Durchschnittsalter bei der Post liegt bei 47 Jahren.

Der Streik dauerte vier Wochen mit täglichen Versammlungen, Gesprächen und einer grossen Unterstützung aus dem Bezirk. Die Streichung der Stellen wurde zurückgenommen.


Interesse an öffentlichen Dienstleistungen

Seit Jahren läuft die Debatte um die Transformation der öffentlichen Post zu einem rentablen Unternehmen für die Finanzmärkte. Hinter einem scheinbar formalen Wechsel der Eigentumsformen steht eine grundlegende Veränderung der Beziehungen zwischen Beschäftigten und Nutzern. Der Nutzer soll zum Kunden werden, dem im Postbüro die unterschiedlichsten Produkte angedreht werden, die mit seinem Kommen zur Post nichts zu tun haben. Die Schalterbeamten sollen zu Verkäufern werden, ähnlich wie Bankberater, und nicht ihre Zeit mit unproduktiven Ratschlägen oder Gesprächen verbringen und den Nutzern eventuell sogar noch beim Ausfüllen von Formularen helfen. Die Schalter verschwinden hinter dem Angebot an teilweise fremden Produkten. Die Schlangen der Wartenden werden dadurch nicht kürzer.

Genau das nährt die Unzufriedenheit aller Beteiligten, führt zu individuellen Wutausbrüchen auf beiden Seiten und zu offensiven Streikbewegungen.

In der Frage, wie eine öffentliche bürgernahe lokale Dienstleistung wie die Post funktionieren soll, unterscheiden sich die Vorstellungen der beteiligten Gewerkschaften. Um die Post zu verteidigen, muss man sie erneuern und beleben durch das Bündnis von Beschäftigten und Nutzern, meint die Gewerkschaft SUD-PTT. Auf dieser Linie führt sie seit Jahren die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Befürwortern der Privatisierung, organisiert Diskussionen zwischen Beschäftigten und Nutzern, organisiert Streikbewegungen.

Damit - wie auch mit ihrer absoluten Verpflichtung auf basisdemokratische Entscheidungen (z.B. in täglichen Streikvollversammlungen) und mit ihrer unermüdlichen Informationsarbeit - ist sie so erfolgreich, dass sie innerhalb von zehn Jahren bei der Post zur zweitstärksten Gewerkschaft nach der CGT aufstieg und bei der Telekom mit dieser sogar gleichzog. Die Orientierung der SUD-Gewerkschaften auf den gesellschaftlichen Bedarf ist ungewöhnlich, im traditionellen Selbstverständnis sind Gewerkschaften ausschließlich Interessenverbände von Lohnabhängigen, die mit den Unternehmen um den Preis und die Nutzungsbedingungen der Arbeitskraft ringen.

Der Kampf um die staatliche Post wird landesweit geführt: Flächendeckend haben sich Komitees gegen die Privatisierung der Post gegründet, die Nutzer und Beschäftigte zusammenbringen. Alle Gewerkschaften beteiligen sich an dieser Bewegung, mit Ausnahme der CFDT. Sie hat den Umbau von Anfang an begrüßt.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 24.Jg., November 2009, Seite 10
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2009