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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1415: Polen - Kommerzialisierung des Gesundheitswesens


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 - Juni 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Polen: Kommerzialisierung des Gesundheitswesens

Von Norbert Kollenda


Die Privatisierung des Gesundheitswesens stößt in Polen auf Widerstand.


Das polnische Gesundheitswesen krankt seit langem. Die vom Nationalen Gesundheitsfonds (NFZ) bereitgestellten finanziellen Mittel reichen vorne und hinten nicht. Die Krankenhäuser bezahlen Rechnungen nicht; zum Quartalsende werden Untersuchungen und Behandlungen oft nur gegen Barzahlung durchgeführt. Dann kommt der Gerichtsvollzieher in die Klinik und legt Geräte lahm oder beschlagnahmt Konten, sodass auch keine Löhne gezahlt werden können.

Die Löhne und Gehälter der im Krankenhaus Beschäftigten liegen unter dem Niveau von Beschäftigten mit ähnlicher Qualifikation. In den "sozialistischen" Ländern gab es zwar gleichen Lohn für gleiche Arbeit, aber typische Frauenberufe wurden (und werden) geringer entlohnt.

Im Juni 2007 protestierten die Krankenschwestern vor dem Sitz des Premierministers, leider fanden sie in der Bevölkerung und in einigen Gewerkschaften keine sehr große Unterstützung und die Ergebnisse, die die Gewerkschaft der Krankenschwestern und Hebammen (OPZZ PiP) mit dem Kampf erzielte, waren das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben standen. Vereinbart war, dass bei einer Erhöhung der Mittel für den Nationalen Gesundheitsfonds 40% in die Personalkosten gehen.

Für das mittlere medizinische Personal wurde das nicht eingehalten. Nachdem die Ärzte ihre Forderung durchgesetzt hatten, stellte sich heraus, dass für das übrige Klinikpersonal kein Geld mehr vorhanden war. So mussten die Kolleginnen und Kollegen trotz ihres Streikergebnisses in den einzelnen Kliniken separat um ihre Forderungen kämpfen - mit unterschiedlichen Ergebnissen.

Wie die Vorsitzende der Gewerkschaft der Krankenschwestern und Hebammen, Dorota Gardias, bei den jetzigen landesweiten Protesten der Krankenschwestern betonte, sind in letzter Zeit die Ärztegehälter um 200% gestiegen, die der Krankenschwestern jedoch nur um 5%.

Am 8. Februar begann ein Streik der Krankenschwestern in der Region südlich von Kattowitz, einige Krankenschwestern traten dabei sogar in den Hungerstreik. Vom 22. Februar an fanden vor dem Gesundheitsministerium Solidaritätsproteste statt. Nachdem es in den betroffenen Kliniken zu Verhandlungen kam, wurden die Streiks und Protestkundgebungen am 27. Februar beendet.

Der Streik wurde von der Gewerkschaft Sierpien 80 (August 80) unterstützt. Der Vorsitzende der Gewerkschaft, Boguslaw Zietek, betonte auf einer Kundgebung, diese Berufsgruppe sei seit Jahren mit Versprechungen abgespeist worden, keine Regierung habe ihre Versprechen gehalten. Zudem wies er darauf hin, dass diese Berufsgruppe bei der geplanten Privatisierung als erste dem Profit zum Opfer fallen würde.


Privatisierung

Unter der Regierung der neoliberalen Bürger-Plattform (PO) ist nun die Privatisierung der Krankenhäuser geplant - in Polen nennt man das Kommerzialisierung. Die Krankenhäuser sollen keine Non-Profit-Unternehmen mehr sein. Dagegen wendet sich die Oppositionspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit), sie sieht die Gefahr, dass viele Krankenhäuser geschlossen werden.

Auch die Ärztekammer ist gegen diese radikale Privatisierung - obwohl viele Ärzte zu den Liberalen gehören - und sieht auch keinen Sinn in der ebenso geplanten Privatisierung der Polikliniken und Blutspendedienste.

Die Regierung kann die Kommunen nicht zur Privatisierung zwingen, aber sie schafft Rahmenbedingungen, die das den Kommunen erleichtern. Zum Beispiel erhalten sie zusätzliche Gelder, wenn sie Polikliniken schließen oder die Kliniken entschulden.

Nach Aussage der Gesundheitsministerin sollen die zusätzlichen Mittel "ein Ansporn zur Umstrukturierung sein, weil ein großer Teil der Kliniken ohne Hilfe nicht auskommt. Die Einrichtungen, die bereit sind, sich dem allgemeinen Handelsrecht zu unterstellen, bekommen eine unmittelbare Hilfe. Jetzt ist die kommunale Selbstverwaltung gefragt."

Damit erreicht man unter Umständen, dass Kliniken mit privatrechtlichem Status auch pleite gehen können, was bisher nicht möglich war. Viele Kliniken stehen im Zentrum von Städten und somit auf attraktivem Grund und Boden.

Die Privatisierung der Kliniken wird für viele Menschen eine Einschränkung ihres Zugangs zu medizinischer Versorgung bedeuten - schließlich geht es um Profitmaximierung. Unrentable Abteilungen werden geschlossen werden, Patienten, die eine aufwändige Behandlung brauchen, werden nach Möglichkeit weggeschickt oder hinten angestellt; die Kosten werden durch Personalabbau und somit Qualitätsminderung gesenkt werden; die Monopolstellung der privaten Kliniken wird ausgebaut werden, diese können dann entsprechend dem Nationalen Gesundheitsfonds die Preise diktieren.


Die Mehrheit ist dagegen

Wenn Sie an den entsprechenden Schalthebeln sitzen - z.B. als Chefarzt oder Leiter der Klinikverwaltung - und zudem einen guten Draht zu den Regierenden in der Kommune haben, könnte Ihnen "Ihr" Krankenhaus durch den Bürgermeister übereignet werden.

Nun kommt es nur noch darauf an, welchem Ethos Sie sich verpflichtet fühlen. Wollen Sie ordentlich verdienen und ihre Klinik gut dastehen lassen, dann schließen Sie kostenaufwändige Abteilungen wie die Chirurgie oder die Onkologie, denn der Nationale Gesundheitsfonds zahlt pro Bett, egal in welcher Abteilung. Übrigens war es bisher auch möglich, finanziell lukrative Abteilungen aus dem Verband der Klinik herauszulösen und privat weiterzuführen.

Das "Zentrum für Meinungsforschung" (CBOS) hat bei seiner neuesten Befragung herausgefunden, dass 59% der Bürger gegen Zuzahlungen für spezielle medizinische Leistungen sind. Unter den Befürwortern von Zuzahlungen würde nur jeder Sechste diese in Kauf nehmen, 22% fürchten, dass sie nicht in der Lage wären, die zusätzlichen Kosten zu tragen. Die meisten sind gegen Zuzahlungen bei Arztbesuchen, vor allem beim Aufsuchen des Familienarztes.

55% der Befragten sind auch dagegen, sich zusätzlich freiwillig zu versichern, um bei Bedarf eine medizinische Versorgung auf höherem Niveau zu haben.


Das Beispiel Piekary Slaskie

In der schlesischen Stadt mit einem Einzugsbereich von etwa 100.000 Einwohnern soll das Krankenhaus privatisiert werden. Nachdem unter Protesten der Belegschaft der Verwaltungsleiter abgezogen wurde, ist der Bürgermeister eifrig dafür tätig, das einzige Krankenhaus der Stadt zu privatisieren. Unter der Belegschaft kommt es daraufhin zu Protesten.

Zbigniew Zdónek, einer der Anführer der Proteste, hat sich zum Ziel gesetzt, die städtische Klinik zu retten. Er ist Vertreter der Gewerkschaft Sierpien 80. Im Zusammenhang mit den Protesten Anfang November 2009 gab er ein Interview, das die Klinikleitung zum Anlass nahm, ihm fristlos zu kündigen. Das Arbeitsgericht hat ihm zwar Hoffnungen gemacht, dass er wieder eingestellt werden muss, allerdings werde es einige Zeit dauern - "und bis dahin ist die Klinik privatisiert!", meinte Zdónek.

Inzwischen ist sie auch privatisiert. Am 28. Januar haben die Stadtverordneten der "Umgestaltung" des Städtischen Krankenhauses in eine "Gesellschaft der Gesundheitspflege des Hl. Lukas" zugestimmt. Offensichtlich haben sie ins Blaue hinein abgestimmt, denn es lagen weder ein Wirtschaftsplan noch andere konkrete Angaben vor.

Es ist zu befürchten, dass Leben und Gesundheit der Einwohner gefährdet werden. Schließlich gab es solche Probleme auch schon, als das Rettungswesen privatisiert wurde und in den Rettungswagen nicht ausreichend Medikamente vorhanden waren, sodass bei einem Notfall ein Rettungswagen aus der Nachbarstadt zu Hilfe geholt werden musste. Der Bürgermeister meinte gar in seiner offenen Art, es sei auch möglich, dass der Direktor das Krankenhaus schließen müsse.

Inzwischen haben Zdónek und seine Mitstreiter bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen Bürgermeister Korfanty wegen unrechtmäßiger Durchführung der Privatisierung eingereicht.

Die Gewerkschafter sammelten bei den Einwohnern Unterschriften für ein Referendum mit dem Ziel, den Bürgermeister abzusetzen und die Privatisierung des Krankenhauses rückgängig zu machen. Sie stoßen bei den Bürgern der Stadt auf Unterstützung. Anfang März waren alle Unterschriften und alle Unterlagen eingereicht. Jetzt kommt es auf alle Einwohner an, sich am Referendum zu beteiligen.

Die Pläne, Abteilungen der Klinik zu schließen, wurden zunächst wegen des Referendums zurückgestellt. Sollte die Privatisierung jedoch nicht rückgängig gemacht werden, ist mit Schließungen zu rechnen, die Einwohner können dann sehen, wo sie sonst eine entsprechende Abteilung finden.

Der Arzt und aktive Gewerkschafter Zbigniew Zdónek bemüht sich jetzt darum, alle gewerkschaftlichen und beruflichen Verbände, die im Gesundheitswesen tätig sind, in einer Organisation zu bündeln, um gemeinsam gegen die Privatisierung im Gesundheitswesen vorzugehen.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 25. Jg., Juni 2010, Seite 11
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2010