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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1472: USA - Aufstand der Mittelschicht


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 - November 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Die Tea-Party-Bewegung und die Tradition des Rechtspopulismus
Aufstand der Mittelschicht

Interview mit Dianne Feeley vor den US-Senatswahlen


Dianne Feeley war Produktionsarbeiterin bei American Axle & Manufacturing in Detroit. Sie ist als Rentnerin weiterhin in der UAW aktiv und Redakteurin der Zeitschrift Against the Current (www.solidarity-us.org).


SOZ: Welche Bevölkerungsgruppen sind in der sog. Tea-Party(*)-Bewegung aktiv und was sind ihre Anliegen?

DIANNE FEELEY: In der Tea-Party-Bewegung finden sich Menschen aus der Mittelschicht, aber auch aus der Arbeiterschaft - Leute, die unter ökonomischen Problemen leiden, dafür aber Immigranten, Linke oder Afroamerikaner verantwortlich machen. Sie denken streng individualistisch und betrachten arme Menschen, die irgendeine Art staatlicher Unterstützung erhalten, als faul oder als Simulanten. Arbeiter aus der Automobilindustrie oder andere, die einen anständigen Lohn (etwa 28 Dollar je Stunde) und Sozialleistungen (Krankenversicherung und Rente) bekommen, werden als dumm und überbezahlt dargestellt. Sie verachten die kürzlich verabschiedeten Reformen im Gesundheitswesen als "sozialistisch", obwohl die Gesetze faktisch von der privaten Gesundheitsindustrie geschrieben wurden.

Überwiegend handelt es sich bei den Tea-Party-Anhängern um weiße fundamentalistische Christen, oft ältere Menschen und viele Rentner, die sich selbst als das hart arbeitende Amerika ansehen. Aus Angst, von anderen verdrängt zu werden, greifen sie die an, die ebenfalls unter der wachsenden Ungleichheit in unserer Gesellschaft leiden, anstatt gegen die Unternehmen und die Eliten zu kämpfen. Vielfach werden sie von wohlhabenden radikalen Rechten finanziert.

SOZ: Dieser Rechtspopulismus ist nicht wirklich neu?

DIANNE FEELEY: Nein, nach dem Bürgerkrieg gab es schwarzenfeindliche Organisationen wie den Ku Klux Klan, in den 30er Jahren zog Pater Coughlin mit seiner antisemitischen Radiosendung fast 30 Millionen Menschen an, und um den New-Deal-"Sozialismus" Franklin D. Roosevelts zu bekämpfen, gründeten die wohlhabenden Brüder Du Pont 1934 die American Liberty League, eine sehr konservative nationale Protestorganisation. In den 60er und 70er Jahre wurde der Rechtspopulismus durch die 1958 gegründete, stark rechtsgerichtete und Verschwörungstheorien anhängende John Birch Society wiederbelebt.

SOZ: Es gibt also so etwas wie eine dauernde Strömung, die bis in die Zeit nach dem Bürgerkrieg zurückreicht?

DIANNE FEELEY: Die dem Rechtspopulismus zugrundeliegende Ideologie basiert darauf, dass die USA ein kolonialer Siedlerstaat sind. Insbesonders in den Südstaaten waren zwangsverpflichtete Diener und Sklaven entscheidend für den Aufbau der Agrarwirtschaft. Anfangs gab es nur wenige Unterschiede zwischen den meist weißen Leibeigenen und den schwarzen Sklaven, sie entwickelten oft gemeinsamen Widerstand. Mit der Gefahr ernsthafter Rebellionen konfrontiert, wurden jedoch rechtliche Unterscheidungen zwischen beiden Gruppen eingeführt, die im Laufe der Zeit "der Hautfarbe" zugeschrieben wurden. Als neue Immigrantenströme nach Amerika kamen, haben diese schnell die "rassische Spaltung" der US-Gesellschaft aufgegriffen und begriffen, dass sie sich besser anstrengen, "weiß zu werden".

SOZ: Das hatte wohl Folgen für das Klassenbewusstsein?

DIANNE FEELEY: Ja, denn die US-amerikanische Arbeiterklasse, die entstand, war nicht nur eine segmentierte bzw. fragmentierte Klasse, sondern auch entlang "rassischer" Linien gespalten. Immigranten aus Nordeuropa konnten relativ früh den Status des "Weißen" erlangen, während Asiaten für den wirtschaftlichen Abschwung nach dem Bürgerkrieg verantwortlich gemacht wurden. Sowohl Arbeitervertreter als auch Politiker machten "Kulis" für niedrige Löhne verantwortlich. 1882 wurde der Chinese Exclusion Act verordnet, durch den Chinesen sozial und politisch ausgegrenzt wurden. Das Gesetz wurde von einem Aufschwung antichinesischer Organisationen begleitet wie z.B. The Supreme Order of Caucasians, der mehr als fünf Dutzend Ortsverbände in Kalifornien hatte und Unruhen in Kalifornien, Oregon, Washington und Wyoming organisierte.

SOZ: Du hast erwähnt, dass reiche Rechte die Tea-Party-Bewegung finanzieren. Um wen handelt es sich da genau? Ist es eine besondere Fraktion der herrschenden Klasse, die Geld gibt?

DIANNE FEELEY: Eine ganze Reihe von Geschäftsleuten unterstützen verschiedene rechte Projekte, darunter auch die Tea Party. Am wichtigsten sind David und Charles Koch, deren Vater war Mitglied des Leitungsgremiums der eben erwähnten John Birch Society. Erst vor kurzem hat Jane Mayer in ihrem Artikel in der Zeitschrift New Yorker aufgedeckt, welche ultrakonservativen Projekte sie finanziell unterstützen. Auf der Grundlage von Steuerunterlagen hat sie rekonstruiert, dass von den Koch-Brüdern betriebene Stiftungen zwischen 1998 und 2008 knapp 196 Millionen Dollar an solche Einrichtungen verteilt haben. Außerdem haben "Koch Industries" durch ihr Political Action Committee 4,8 Millionen Dollar für politische Kampagnen gespendet und weitere 50 Millionen für Lobbying ausgegeben - ihre Lobbyisten verharmlosen u.a. die Gefahren des Klimawandels. Als David Koch 1980 Vizepräsidentschaftskandidat der Libertarian Party war, forderte er die Abschaffung staatlicher Sozialsysteme, von Bundesbehörden und sogar des öffentlich finanzierten Bildungssystems.

Neben den Koch-Brüdern ist der Medienmogul Rupert Murdoch ein weiterer wichtiger Unterstützer der Tea-Party-Bewegung - insbesonders seine Fox News bieten deren prominenten Köpfen viel Sendezeit.

SOZ: Wie schätzt du den politischen Einfluss der Tea Party ein?

DIANNE FEELEY: Das ist schwer zu sagen, weil ihr Gewicht von den Medien aufgebauscht wird. Ein Beispiel dazu: Ein nationales Treffen der Tea Party, zu dem nur 900 Menschen kamen, erhielt weitaus mehr Fernsehsendezeit als das US-Sozialforum, das im Sommer 2010 in Detroit stattfand und an dem mehr als 15.000 Menschen teilgenommen haben.

Der politische Einfluss der Tea Party geht weit über die Zahl ihrer Anhänger hinaus. Der rechte Mainstream greift ihre Ideen auf. Dinesh d'Souza, ein republikanischer Autor, hat im Forbes Magazine einen Artikel veröffentlicht, in dem er behauptet, dass "die USA auf der Basis der Träume eines Stammesangehörigen der Luo aus den 50er Jahren regiert werden. [Die Luo sind eine Volksgruppe, die in Kenya und Tanzania lebt. Das Zitat spielt darauf an, dass der Vater Barack Obamas afrikanischer Einwanderer war.] Dieser notorisch untreue, betrunkene afrikanische Sozialist ... bestimmt jetzt die Agenda der nationalen Politik durch die Wiedergeburt seiner Träume in und durch seinen Sohn." Der Sohn soll kein geringerer als Barack Obama sein. Newt Gingrich, der ehemalige Vorsitzende der Republikanischen Partei, hat diesen Blödsinn begrüßt.

SOZ: Das klingt so, als würde die Tea-Party-Bewegung nur Schichten mobilisieren, die bereits von der extremen Rechten angezogen wurden, bevor Obama Präsident wurde. Welche Rolle spielt denn seine Regierungspolitik bei alledem?

DIANNE FEELEY: In Bezug auf die Außenpolitik gibt es praktisch keine Unterschiede zwischen Demokraten und Republikanern. Beide Parteien verteidigen politische, ökonomische und militärische imperialistische Abenteuer. Innenpolitisch dürften die Unterschiede für die Anhänger der Tea Party schon wichtiger sein.

Aber haben diese Leute, die Präsident Obama für einen heimlichen Muslim halten, ihn 2008 gewählt und wurden dann von seiner Politik enttäuscht? Das möchte ich stark bezweifeln. Sie haben Obama immer schon misstraut, und alles was er seither getan hat, bestärkt sie in ihrer Idee, er sei ein "Sozialist".

Unter den vielen Millionen Menschen, die für Obama gestimmt haben, dürfte es verschiedene Reaktionen auf seine Politik geben. Darunter gibt es auch diejenigen, die davon enttäuscht sind, dass und wie er dabei versagt hat, sozialdemokratische Werte durchzusetzen. Guantánamo wird immer noch betrieben, die Zahl der Hauspfändungen und die Erwerbslosenquote bleiben hoch. In Detroit liegt die reale Arbeitslosigkeit bei rund 50%.

Aber es ist unwahrscheinlich, dass die so Enttäuschten in diesem Jahr wieder wählen gehen. Sie werden weder für die rechten Republikaner stimmen, noch werden sie das Zwei-Parteien-System überwinden, indem sie für die unabhängige Grüne Partei stimmen. Wahrscheinlich bleiben sie zu Hause.

Natürlich gibt es auch die anderen, die meinen, Obama habe sein Bestes getan, oder die Demokraten für weniger schädlicher halten als die Republikaner. Sie werden auch 2010 und 2012 wieder die Demokraten wählen.

SOZ: Was ist der beste Weg für die Linke, die Tea Party zu bekämpfen?

DIANNE FEELEY: Wir haben in der Gewerkschaftsbewegung zwei zusammenhängende Probleme. Zum einen sind die Gewerkschaften an die Demokratische Partei gebunden, zum anderen sind sie den Angriffen der Unternehmerseite ausgesetzt. Die Gewerkschaftsführungen reagieren mit Kooperation - im Glauben, so Arbeitsplätze zu erhalten. In der Ausgabe der Detroiter Free Press vom 23. September hat der Präsident der United Autoworkers (UAW), Bob Kink, seine Strategie so erklärt: "Ich denke, es wird einen neuen Verhandlungsansatz der UAW geben ... Wir arbeiten dauerhaft zusammen, um die Qualität und die Produktivität zu verbessern und sicherzustellen, dass die Unternehmen wettbewerbsfähig sind. So werden wir die Verhandlungen 2011 führen."

Doch das führt in die Sackgasse. Wir müssen verstehen, dass die Unternehmer und Politiker nicht auf unserer Seite stehen. Wir müssen eine eigene Strategie entwickeln und eine Partei aufbauen, die uns gehört. Unglücklicherweise sind wir weit davon entfernt.

SOZ: Was wären erste praktische Schritte?

DIANNE FEELEY: Ich denke - auch wenn das kein unmittelbarer Schritt ist -, dass der Kampf für die Demokratisierung unserer Gewerkschaften immer noch von zentraler Bedeutung ist, insbesonders, um den Rechtspopulismus zu bekämpfen, der sich auch auf die Enttäuschung der Arbeitenden stützen kann. Dieser Kampf war schon in den 70er Jahren wichtig, doch außer kleineren Siegen an der Basis in der Teamsters Union und der Bergarbeitergewerkschaft haben wir keine Erfolge errungen.

Die Arbeiterklasse und die Linke haben in den letzten dreißig Jahren viele Niederlagen einstecken müssen. Fast ausnahmslos glauben höhere Gewerkschaftsführer, die Gewerkschaften müssten akzeptieren, dass Unternehmen Profite machen. Praktisch gibt es kein Zugeständnis, dem sie nicht zustimmen würden - dabei vertrösten sie die Arbeiter, Zeit zum Kämpfen sei ein anderes Mal. Aber mit einer solchen Strategie gibt es kein "anderes Mal". Damit kann man die unorganisierten Niedriglohnarbeiter und die Enttäuschten nicht gewinnen - sie werden die Gewerkschaften nicht als das Werkzeug sehen, das sie brauchen.

In meiner Gewerkschaft, der UAW, hat die Führung die Arbeiter bei General Motors und Chrysler davon überzeugt, bis 2015 auf Streiks zu verzichten. Glücklicherweise haben sich die Ford-Arbeiter geweigert, sich dem anzuschließen - das war das erste Mal, dass Arbeiter ein Abkommen abgelehnt haben, das von der Gewerkschaftsführung unterstützt wurde. Das war ein wichtiger Sieg der gewerkschaftsinternen Opposition - sechs Monate später haben die Arbeiter des Stanzwerks von GM sich geweigert, den Vertrag nachzuverhandeln, weil damit Lohnkürzungen und eine Demontage ihrer Rechte am Arbeitsplatz verbunden gewesen wären.

Allerdings ist es ziemlich schwierig, einen Kampf zu führen, wenn die Führung die Position der Firmenleitung teilt.


(*) Der Name Tea Party kommt von der "Boston Tea Party", einer Schlüsselaktion im amerikanischen Unabhängigkeitskampf gegen die britische Kolonialmacht: 1773 kippten Bostoner Bürger drei Ladungen Tee der britischen East India Trading Company ins Hafenbecken als Zeichen des Protests gegen die ihnen aufgebürdete Steuerlast.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 25.Jg., November 2010, S. 15
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2010