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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1789: Der GroKo-Deal


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1 - Januar 2014
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Der GroKo-Deal
Nicht zukunftsfähig und nicht solidarisch

Von Angela Klein



Von einer bürgerlichen Regierung, die im Interesse des Großkapitals arbeitet, war etwas anders als "Nicht zukunftsfähig und nicht solidarisch" nicht zu erwarten: So leicht wäre die Sache abzuhaken, wären nicht einige Gewerkschaftsführungen bereits vor der Wahl geradewegs auf dieses Modell zugesteuert und würden sie nicht die Vorhaben im Koalitionsvertrag als "wichtige Schritte in die richtige Richtung" (IG Metall) verkaufen. Bei der Bewertung des Vertrags geht es uns also primär um die innergewerkschaftliche Auseinandersetzung. Zwei Dinge springen ins Auge:


1. Der Koalitionsvertrag ist ein Vertrag zulasten Dritter. Er geht:
...zulasten der Jugend

Von der abschlagsfreien Rente mit 63 haben die Jungen nichts. Da das vorzeitige Ausstiegsalter parallel zur allgemeinen Regelaltersgrenze (67 Jahre) steigt, ist 2031 wieder die Grenze von 65 Jahren erreicht. Zudem werden nur die Wenigsten von ihnen eine geschlossene Erwerbsbiografie von 45 Beitragsjahren (nicht Versicherungsjahre!) erreichen. Mit dem Zückerchen verbrämen die Gewerkschaftsführungen, dass sie ihren Widerstand gegen die Rente mit 67 aufgegeben haben.

Um die versprochene Bafög-Anhebung werden die Jungen geprellt. Investitionen in die Bildung folgen so gut wie ausschließlich dem Gebot der Exzellenz und Selektion, um im weltweiten technologischen Wettbewerb mithalten zu können. In die Breitenförderung fließt nichts; die 6 Milliarden Euro, die die Länder "für Kinderkrippen, Kitas, Schulen und Hochschulen" erhalten sollen, werden in ärmeren Stadtteilen nicht ankommen. Was die Jungen vom "Ausbildungspakt" mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebern haben, ist höchst unsicher; dem Ziel einer Ausbldungsgarantie jedenfalls ist die IG Metall bislang nicht näher gekommen.

Der Marsch geht weiter in Richtung Verwahrlosung öffentlicher Einrichtungen und Kulturlosigkeit, Öffentlich-Private-Partnerschaften und Ausrichtung der Forschung an den Interessen der Industrie. Sascha Waltz muss ihr international hoch angesehenes Tanztheater zumachen, dafür kriegen wir ein Pina-Bausch-Museum und natürlich das Berliner Schloss. Das Betreuungsgeld, das die Besserverdienenden kassieren, bleibt erhalten, beim Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen wird es fehlen.

...zulasten der Sozialversicherungssysteme

Die werden weiter geplündert. Die Mütterrente, die mit 7,5 Mrd. Euro zu Buche schlägt, soll aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt werden. Dasselbe gilt für die Lebensleistungsrente, die Altersarmut verhindern soll. Das hat alle Sozialverbände auf die Palme gebracht. Norbert Blüm legte in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung (2.12.13) den Finger in die Wunde: "Jedem sei die Aufbesserung einer kargen Rente gegönnt. Aber dieser Weg ist ein Schlag gegen die Beitragsgerechtigkeit, die das Grundprinzip der Rentenversicherung ist. Die Rentenversicherung folgt dem Prinzip Leistung für Gegenleistung, die Fürsorge bindet ihre Leistungen an Bedürftigkeit. Jetzt gerät beides durcheinander. Wenn man mit Arbeit und Beitragszahlung nur so viel Rente bekommt wie ohne diese Arbeit Sozialhilfe ... lohnt sich [Arbeit] rentenpolitisch nicht mehr."

Weil sie an 45 Beitragsjahre gekoppelt ist, die heute nicht mehr erreicht werden, schützt die Lebensleistungsrente auch nicht vor Altersarmut. Hinzu kommt: "Die Leistung der gesetzlichen Pflichtversicherung wird an den Abschluss einer freiwilligen Privatversicherung geknüpft. Das ist originell. Die Rentenversicherung leistet so Schlepper- und Zubringerdienste für die Privatversicherung."

Die zahlreichen Schieflagen im Gesundheitswesen werden fortgeschrieben. Es bleibt dabei, dass der Arbeitnehmer einen doppelt so hohen Beitrag zahlt wie der Arbeitgeber.

...zulasten der Leistungsbezieher und Niedriglöhner

Der vielgepriesene Mindestlohn, mit dem der SPD die Zustimmung zur GroKo abgekauft wurde, kommt nicht nur reichlich spät und lässt zahlreiche Ausnahmeregelungen befürchten. Er ist vor allem zu niedrig und stellt auch keinen Einstieg zu einem höheren Niveau dar, weil eine automatische Anpassung an die Preissteigerung nicht vorgesehen ist. Stattdessen entscheidet eine Kommission von Unternehmern und Gewerkschaften über mögliche Anpassungsschritte. Je mehr aber die Differenz zu den darüberliegenden Tariflöhnen zunimmt, desto mehr zementiert er den Niedriglohnsektor und wirkt - wegen des Lohnabstandsgebots - zudem als Deckel für die notwendige Anhebung der ALG-II-Regelsätze.

Für die 6,9 Millionen Lohnabhängigenr, die derzeit weniger als 8,50 Euro (Brutto) in der Stunde erhalten und in den Genuss des Mindestlohns kommen, ist er unmittelbar eine Erleichterung. Eine Heldentat ist er nicht: Deutschland landet damit im EU-Ranking auf Platz 6, kurz vor Großbritannien (7,78 Euro); ab Platz 8 folgt das Tal der Tränen mit Mindestlöhnen von 4,53 Euro (Slowenien) und weniger.

...zulasten der Gewerkschaftsfreiheit

Arbeitgeber und die Führungen der großen Gewerkschaften sind wild entschlossen, das in der vergangenen Legislaturperiode gescheiterte Vorhaben, in einem Betrieb nur noch eine Gewerkschaft zu Tarifverhandlungen zuzulassen (Tarifeinheit), diesmal durchzusetzen. Es richtet sich gegen alle kleineren, kämpferischen Gewerkschaften sowie grundsätzlich gegen alle, die sich von den großen Gewerkschaften nicht mehr vertreten fühlen. Mit Hilfe der Arbeitgeber wollen sich die Gewerkschaftsfürsten ihren Monopolanspruch sichern und eine unliebsame Konkurrenz vom Leib halten.

...zulasten der ärmeren Regionen in Europa

In der Europapolitik gibt es nur ein "Weiter so!" Die ärmeren Länder haben die deutschen Wettbewerbskriterien zu erfüllen, sonst bekommen sie kein Geld. Geld gibt es nur zur Absicherung der deutschen (wirtschaftlichen, militärischen und politischen) Interessen. Soviel nationaler Egoismus sprengt den europäischen Zusammenhalt. Europapolitisch hat die Koalition null Fantasie.

...zulasten der Flüchtlinge und sog. Armutsmigranten

Zu den Verschärfungen, die die EU in Sachen Flüchtlingsabwehr an den Außengrenzen plant, äußert sich der Vertrag gar nicht; es ist also davon auszugehen, dass Deutschland sie weiter forciert. Ansonsten wirkt das Prinzip der Selektion auch in diesem Bereich: die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.

Die hier geborenen Migrantenkinder bekommen die doppelte Staatsbürgerschaft und Migranten mit guten Abschlüssen sollen gefördert werden, um den deutschen Arbeitsmarkt aufzufüllen. Sogenannte Armutsmigranten aber gehen leer aus, das trifft vor allem Roma aus Rumänien und Bulgarien, die ab dem kommenden Jahr eigentlich in den Genuss der Arbeitnehmerfreizügigkeit als Teil der europäischen Personenfreizügigkeit kommen - aber doch nicht kommen sollen, weil ihnen "ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Sozialleistungen" unterstellt wird. Zu diesem Zweck sollen "die Westbalkanstaaten Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien als sichere Herkunftsstaaten (eingestuft werden), um ... ihren Aufenthalt in Deutschland schneller beenden zu können". Die neue Bundesregierung schafft damit die gesetzliche Basis für populistische Kampagnen gegen Roma.

...zulasten der Umwelt

In der Energiepolitik ist mit dem Bekenntnis zur Braunkohle und der Deckelung der Förderung der Erneuerbaren Energien sowie der Priorität für Off-Shore-Anlagen eine Rolle rückwärts angesagt. Darüber schrieben wir ausführlich in SoZ 12/2013. Diese Suppe dürfen jetzt Gabriel und sein grüner Staatsminister auslöffeln.


2. Der Koalitionsvertrag trägt die Handschrift der Union

Die GroKo ist - obwohl Wunschkonstellation der Gewerkschaftsführungen - in Wahrheit eine Verlegenheitslösung, die dem wahlpolitischen Absturz der FDP geschuldet ist. Sie ist eine letzten Endes auf beiden Seiten ungeliebte Zwangsgemeinschaft, weil weder die Union noch die SPD derzeit über alternative Regierungspartner verfügen. Man kann davon ausgehen, dass beide Parteien in den nächsten vier Jahren mit Hochdruck daran arbeiten, Schwarz-Grün und Rot-Rot-Grün auch im Bund möglich zu machen. Hessen ist da wieder Vorreiter.

Dennoch gibt es auch gemeinsame Schnittmengen. Merkels Politik dominieren drei Leitlinien, die sie im Oktober vor den Gewerkschaftstagen der IG BCE und der IG Metall vorgetragen hat: 1. Der Euro-Raum muss stabil bleiben, Deutschland und Europa müssen gestärkt aus der Krise hervorgehen. 2. Die Energiewende darf den Industriestandort Deutschland nicht gefährden. 3. Mehr qualifizierte Arbeitskräfte durch bessere Selektion und gezielte Migration. In allen drei Feldern kann die Kanzlerin die Mehrheit der deutschen Gewerkschaften hinter sich wissen: Die haben schon in der vergangenen Legislaturperiode ihre Rettungsschirme unterstützt, waren in Sachen Energiewende noch nie Vorreiter und hoffen von der Bundesregierung, dass sie Ausbildungsblockaden im Unternehmerlager aufbricht.

Hoch über dem Vertragswerk thronen die Sätze: "Auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig sein"; "Alles steht unter Finanzierungsvorbehalt"; "Keine Steuererhöhungen, keine Schulden" (das war die rote Linie der CDU). Von diesen Leitsätzen war nur das Prinzip "Keine Steuerehöhungen" wirkich umstritten. Schließlich hatte die SPD mit ehrgeizigen Umverteilungsplänen Wahlkampf gemacht. Diese Position räumte sie jedoch schon ganz am Anfang der Koalitionsverhandlungen. In dieser - für die ganze Stoßrichtung der Regierungspolitik wesentlichen - Beziehung hat sich die Union also durchgesetzt.

Der Wettbewerbsfähigkeit aber haben sich die Gewerkschaften verschrieben, seit sie vom Kampf um Arbeitszeitverkürzung auf das "Bündnis für Arbeit und Standortsicherung" eingeschwenkt sind. Es ist ein zutiefst spalterisches Prinzip, das nicht nur in Europa, sondern auch hierzulande zahlreiche Opfer kostet. Dagegen die Interessen der Verlierer aufzugreifen und zu verteidigen, wäre die Aufgabe der Linkspartei. Damit macht sie sich bei der SPD-Führung allerdings nicht lieb Kind - sie müsste den Mut haben, das auszuhalten.

Last but not least hat die Große Koalition zwei Achillesfersen: Die Gefahr, dass sie sich mit ihrer Verfassungsmehrheit als Alleinherrscherin aufspielt, ist sehr groß. Und die Unternehmer sind nicht mit im Boot, die haben im Gegenteil schon munter Widerspruch angemeldet, während die Gewerkschaftsführungen im wesentlichen eingebunden werden konnten.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1, 29. Jg., Januar 2014, S. 2
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2014