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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1996: Klimagipfel in Paris


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1, Januar 2016
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Klimagipfel in Paris
Ein Abkommen nach den Wünschen des Kapitals

Von Daniel Tanuro


Wer sich über das Klimaabkommen von Paris freut, unterstreicht vor allem, dass es das Ziel enthält, "in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen den menschengemachten Treibhausgasemissionen und deren Absorption zu erreichen". Das stimmt, aber um die Tragweite dieser Festlegung zu ermessen und einzuschätzen, ob sie wirklich den Erfordernissen der Nachhaltigkeit gerecht wird, müssen folgende Tatsachen berücksichtigt werden:

  • Der Text legt keine Höchstgrenze für die Emissionen fest.
  • Der Text sagt nicht, wann genau das Gleichgewicht von Emissionen und Absorption erreicht werden soll ("in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts", das kann auch im Jahr 2099 sein).
  • Logischerweise nennt der Text infolgedessen auch keine Ziele für die jährliche Reduktion der Emissionen.
  • Der Text verliert kein Wort über den notwendigen Ausstieg aus der Nutzung der fossilen Energieträger und über die Umstellung der Energieerzeugung auf erneuerbare Energien.
  • Das Konzept der Dekarbonisierung fehlt in dem Abkommen vollständig.

Was kann daraus geschlossen werden?
  • Der Nutzung der fossilen Energieträger wird keine Grenze gesetzt - einschließlich derjenigen aus Schiefersand, schwerem Erdöl usw.
  • Für einen nicht näher eingegrenzten Zeitraum (nichts schließt aus, dass er über das 21.Jahrhundert hinausgeht) bleiben Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger Teil der menschlich verursachten Emissionen, die von heute an bis zum Jahr 2100 durch verstärkte Absorptionen kompensiert werden müssen.

Gewisse Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace und Avaaz folgern daraus, dass "die Zeit der fossilen Energien zu Ende geht". Es tut mir leid, aber das heißt wirklich, die eigenen Träume für die Realität zu halten! Die transnationalen Energiekonzerne beabsichtigen in keiner Weise sich selbst umzubringen. Wäre das Abkommen von Paris für sie nicht akzeptabel, würde man ihre Stimme deutlich vernehmen, sie würden es geradezu herausschreien, dass man sie umbringen will. Das ist aber nicht der Fall.


Nach dem Geschmack der Extraktivisten

In Wirklichkeit entspricht das Abkommen sehr genau dem, was sich vierzehn transnationale extraktivistische Konzerne, darunter Shell und BP, erhofft hatten. Sie hatten das im Oktober 2015 sehr klar ausgesprochen, als der Entwurf für das Abkommen bekannt wurde. Sie wollten eine Vereinbarung

  • auf der Grundlage der von den Einzelstaaten eingegangenen Verpflichtungen;
  • die alle Länder umfasst (zumindest die bedeutendsten CO2-Emittenten);
  • die langfristig angelegt ist und keine kurz- und mittelfristig bezifferten Reduktionsziele für die Emissionen enthält, aber von Zeit zu Zeit überprüft werden soll;
  • die von den internationalen fossilen Märkten unterstützt wird;
  • die keine Einschränkung des Frachtverkehrs per Schiff und Flugzeug enthält (eine Voraussetzung für die neoliberale Globalisierung).

Warum sind die Vertreter dieser Kapitalgruppen jetzt so zurückhaltend?

  • Weil ihnen die Vereinbarung von Paris entgegenkommt;
  • weil ihnen mehr noch die dort aufgebaute Illusion gefällt, dass diese Vereinbarung endlich der klimatischen Herausforderung gerecht wird; das lenkt die Aufmerksamkeit von ihrer Verantwortung ab und schwächt die Mobilisierung gegen ihre Projekte.

Was wollen sie tun?

Was bedeutet in diesem Kontext eigentlich genau die Verpflichtung, die Treibhausgasemissionen und die Absorption von Treibhausgasen bis zum Ende des Jahrhunderts miteinander in ein Gleichgewicht zu bringen? Da es eine Illusion ist zu glauben, damit werde das Ende der fossilen Energieträger eingeläutet, worum geht es dann? Wie wollen die "Großen dieser Welt" in der Praxis erreichen, was sie in der Vereinbarung "Klimaneutralität" nennen?

Beim gegebenen Stand der Dinge gibt es für dieses Problem nur drei mögliche technische Lösungen:

  • die Ausweitung des Waldanteils an der Erdoberfläche, wodurch CO2-Senken entstehen; evtl. verbunden mit der Anpflanzung ultraschnell wachsender, gentechnisch veränderter Bäume;
  • die Abscheidung und Speicherung von CO2 aus der Verbrennung fossiler Energieträger in geologisch tief gelegene Erdschichten;
  • die Abscheidung und Speicherung von CO2 aus der Verbrennung von Biomasse (englisch: bio-energy with capture and storage, BECS); diese Technologie unterscheidet sich von der vorgenannten dadurch, dass der Erdatmosphäre CO2 entzogen, mit anderen Worten eine Energieproduktion mit "negativer Emission" konzipiert wird.

Es ist gut möglich, dass diejenigen, die das Abkommen von Paris formuliert haben, in Wirklichkeit darauf pfeifen, ob in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen menschengemachten Emissionen und Absorption wirklich erreicht wird.

Wenn aber das Ziel tatsächlich ein solches Gleichgewicht ist, ohne aus der Nutzung der fossilen Energieträger auszusteigen, dann wird das nur möglich sein, indem die oben genannten Technologien verallgemeinert und mit Atomkraftwerken, großen Wasserkraftwerken, Biosprit und großen Anlagenparks für die Nutzung erneuerbarer Energien (Windräder, Photovoltaik) kombiniert werden - ohne das ultrazentralistische, verschwenderische und ineffiziente kapitalistische Energiesystem zu verändern. Damit werden die Profite und Renditen eben der großen Kapitalgruppen gerettet, die für die Klimakatastrophe verantwortlich sind.


Was zwischen den Zeilen steht

Dieses Szenario ist keine Polit-Sciencefiction, sondern entspricht haargenau dem der Internationalen Energieagentur (IEA). Implizit stehen die verschiedenen Techniken der "Kompensation" und des "Einfangens" im Mittelpunkt dieses Projekts, und es sollen neue Mechanismen auf dem Kohlemarkt geschaffen werden, um sie in Gang zu bringen.

Der Text spricht von der Schaffung eines "Mechanismus der nachhaltigen Entwicklung": der "Mechanismus der sauberen Entwicklung" aus dem Kyoto-Protokoll soll erweitert werden, um alle Möglichkeiten der Kompensation von Emissionen maximal auszuschöpfen - v.a. indem China, Indien und anderen "aufstrebenden" Ökonomien erlaubt wird, davon zu profitieren... zulasten der Ärmsten und der Ökosysteme.

Die Klimaskeptiker haben in der herrschenden Klasse den Kampf wohl verloren, wenn sie auch immer noch Widerstand leisten. Aber was tun? Vom kapitalistischen Standpunkt aus ist das oben skizzierte Szenario wahrscheinlich die einzig denkbare Strategie, mit der die absolute, apokalyptische Katastrophe noch verhindert werden kann, die eine Erwärmung der Erdatmospäre um bis zu 6 °C bis Ende des Jahrhunderts bedeuten würde (und noch mehr im nächsten Jahrhundert, beim aktuellen Rhythmus der Emissionen).

Vom ökosozialistischen Standpunkt aus ist es extrem unwahrscheinlich, um nicht zu sagen ausgeschlossen, dass dieses Szenario die Erwärmung auf 1,5 °C oder auch nur 2 °C begrenzen kann. Vielmehr droht eine Erwärmung bis zu 3 °C oder noch mehr, wenn die geologischen CO2-Reservoire ihren Inhalt plötzlich freisetzen. Für das Kapital ist eine solche Situation durchaus zu bewältigen, aber um den Preis von Hunderten Millionen menschlicher Opfer.


Quelle:
COP21: la "neutralité climatique" au prix du désastre social et écologique, 14. Dezember 2015
http://www.lcr-lagauche.org/cop21-la-neutralite-climatique-au-prix-du-desastre-social-et-ecologique/

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1, 31. Jg., Januar 2016, S. 11
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2016

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