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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2113: Riester reloaded


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2 · Februar 2017
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Betriebsrente
Riester reloaded

von Daniel Kreutz


Im Jahr 2012 sah sich die neoliberale Postsozialdemokratie genötigt, auf den fortschreitenden Akzeptanzverlust der Riester-Rente (nicht nur) infolge der Finanzmarktkrise und die nach wie vor «unzureichende» Verbreitung der kapitalmarktbasierten privaten Altersvorsorge zu reagieren. Zur stabilisierenden «Nachjustierung» des «grundsätzlich richtigen» rentenpolitischen Systemwechsels zum teilprivatisierten «Drei-Säulen-Modell» der Lebensstandardsicherung im Alter orientierte das SPD-Rentenkonzept damals u.a. auf eine vorrangige Stärkung der Betriebsrenten als kollektiv organisierter Form der kapitalgedeckten Altersvorsorge, insbesondere durch «tarifliche Regelungen zur Förderung der Entgeltumwandlung». Mit dem Referentenentwurf des «Betriebsrentenstärkungsgesetzes» von Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) geht diese Orientierung nun ihrer Umsetzung noch vor der Bundestagswahl entgegen.

Um die Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) - insbesondere unter Geringverdienenden sowie Beschäftigten kleinerer Betriebe - zu fördern, will das Gesetz Anreize zum Abschluss von bAV-Tarifverträgen schaffen. Die Tarifverträge sollen gemeinsame Versorgungseinrichtungen: Pensionskasse, Pensionsfonds oder Direktversicherung, der Arbeitgeber und Gewerkschaften vorsehen (im Jargon: «Sozialpartnermodell»). Und sie sollen alle Beschäftigten zur Entgeltumwandlung verpflichten, soweit sie nicht individuell widersprechen («Opt-out»).

Der Rahmen zur steuerfreien Entgeltumwandlung wird von 4% auf 7% des Bruttoeinkommens erhöht; die sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung, die zur Minderung von Renten und Rentenniveau der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) beiträgt, bleibt bei 4%. Riestergeförderte Betriebsrenten, deren Beiträge dem Nettoeinkommen entnommen werden, werden von der Belastung der Betriebsrenten mit Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen ausgenommen. Bislang konnte diese Riester-bAV wegen der nachteiligen Doppelverbeitragung bei Beiträgen und Renten praktisch nicht genutzt werden. «Durch die erhöhte Attraktivität der betrieblichen Riester-Rente für den Personenkreis der Geringverdiener wird eine effizientere Möglichkeit geschaffen, die Absenkung ihres Rentenniveaus zu kompensieren», so die Gesetzesbegründung.


Für die Rentenhöhe keine Haftung

Wichtigster Anreiz für Arbeitgeber zum Abschluss von bAV-Tarifverträgen ist die Vereinbarung einer «reinen Beitragszusage» («pay and forget»), mit der sie sich vollständig aus Garantie- und Haftungspflichten für (Mindest-)Leistungen verabschieden. Dies ist ein Bruch mit dem das Betriebsrentenrecht bislang prägenden Prinzip der Arbeitgeberhaftung. Über die Höhe der Betriebsrenten entscheidet dann allein der von der Gewerkschaft mitverantwortete Erfolg oder Misserfolg der Anlagepolitik der gemeinsamen Versorgungseinrichtung. Der Wegfall der Mindestgarantien soll ausdrücklich auch Anlagen mit höheren Risiken ermöglichen, um bessere Renditen erzielen zu können. Zwar «sollen» die Arbeitgeber einen steuerlich absetzbaren «Sicherungsbeitrag» (Höhe: Verhandlungssache) zuschießen, den die Versorgungseinrichtung in einer gesonderten Reserve zur Abpufferung von Kapitalmarktrisiken anlegt. Letztlich aber tragen die versicherten Beschäftigten diese Risiken allein.

Bei Vereinbarung der «reinen Beitragszusage» muss der Arbeitgeber einen «Zusatzbeitrag» zur Tarif-bAV von mindestens 15% des umgewandelten sozialversicherungsfreien Entgelts zahlen. Bislang konnte er sich die bei sozialabgabenfreier Entgeltumwandlung eingesparten Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung von knapp 20% komplett in die Tasche stecken. Als Förderanreiz zur Tarif-bAV für Geringverdienende werden ihm jedoch bei Löhnen bis zu 2000 Euro 30% seines Zusatzbeitrags durch Abzug von der abzuführenden Lohnsteuer als steuerlicher «bAV-Förderbetrag» vergütet. Der Zusatzbeitrag schmälert dann seine unverdiente Beitragsersparnis nur um 11,5%. Ist im Niedriglohnbetrieb, wo wegen der niedrigen Löhne und der Steuerfreibeträge nur wenig Lohnsteuer anfällt, die abzuführende Lohnsteuersumme niedriger als die Summe der bAV-Förderbeträge, erhält der Chef eine entsprechende Nettoauszahlung.


Private Vorsorge wird privilegiert

Auch zwei weitere Maßnahmen sollen vor allem Geringverdienende zu mehr Privatvorsorge bewegen: Zum einen wird die Grundzulage bei Riester von 154 auf 165 Euro erhöht. Zum anderen werden für Renten aus Privatvorsorge in der Grundsicherung Freibeträge bis maximal 202 Euro monatlich eingeführt, damit sich Privatvorsorge auch noch «lohnt», wenn man am Ende doch auf die Altersgrundsicherung angewiesen ist. Damit wird hier die Privatvorsorge gegenüber der erwerbslebenslangen Pflichtvorsorge in der GRV, deren Renten bei der Grundsicherung weiterhin voll als Einkommen angerechnet werden, gezielt privilegiert. Für die öffentlichen Haushalte rechnet der Gesetzentwurf im vierten Jahr mit Kosten von insgesamt 406 Mio. Euro jährlich, gut die Hälfte davon sind Steuermindereinnahmen der Länder und Gemeinden.

Das «Betriebsrentenstärkungsgesetz» ist in Wirklichkeit ein «Privatvorsorge- und Kapitalmarktstärkungsgesetz» mit dem alleinigen Zweck, den mit Riester eingeleiteten Systemwechsel zu zementieren und zu vertiefen. «Riester reloaded» nennt es der Sozialwissenschaftler (und Bundespräsidentenkandidat der Linkspartei) Christoph Butterwegge. Es macht einen sehr grundsätzlichen Unterschied, ob man mit gesetzlichen Rahmenregelungen ein tarifbasiertes System der bAV verbreitet und stärkt, das der weiteren Ergänzung einer tragfähigen, den Lebensstandard sichernden gesetzlichen Rente dient, oder ob die Tarif-bAV als zweite Säule des «Drei-Säulen-Modells» der Lebensstandardsicherung vorrangig Sicherungslücken schließen muss, die der neoliberale Abbau der GRV aufgerissen hat. Nun soll gewerkschaftliche Tarifpolitik dazu beitragen, der Teilprivatisierung der Alterssicherung neue Akzeptanz zu besorgen und den Kapitalmärkten frische Milliarden aus den Taschen auch und gerade von Geringverdienenden zuzuführen.

Will man dabei substanzielle Arbeitgeberbeiträge durchsetzen, wird dies kaum ohne Folgen für die Ergebnisse von Lohntarifrunden bleiben - von Arbeitszeitpolitik ganz zu schweigen. Angesichts dessen muss irritierten, dass die Gewerkschaften, deren aktuelle Rentenkampagne immerhin unter dem Motto: «Kurswechsel: Die gesetzliche Rente stärken!» steht, den Zusammenhang des Gesetzentwurfs mit dem Abbau der GRV in ihren Stellungnahmen nicht einmal thematisieren. Stattdessen legen IG Metall, IG BCE, DGB und auch Ver.di Haltungen an den Tag, die von verhalten konstruktiv bis zu pauschalem «begrüßt und unterstützt» (IG BCE) reichen, jedenfalls nie grundsätzlich ablehnend sind. Was immer den aufgeschlossenen Tenor der gewerkschaftlichen Stellungnahmen zum Gesetzentwurf motivieren mag, das vorrangige Kollektivinteresse der abhängig Beschäftigten am Wiederaufbau einer den Lebensstandard sichernden, solidarischen GRV war es nicht. Dem vertiefend nachzugehen, wäre ein wichtiges, aber eigenständiges Thema.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2, 32. Jg., Februar 2017, S. 6
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2017

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