Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2117: Italien nach dem Referendum


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2 · Februar 2017
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Italien nach dem Referendum
Chronik einer aufgeschobenen Krise

von Ingo Schmidt


Auch in Italien hat die EZB versucht, die politischen Verhältnisse in ihrem Sinne zu stabilisieren - und ist damit bislang gescheitert.


Als selbsternannter «Verschrotter» eines ineffizienten politischen Systems war Matteo Renzi am 22. Februar 2014 als italienischer Ministerpräsident angetreten. Nachdem er eine Reihe von Gesetzen zur Senkung sozialer Standards erfolgreich durch dieses System gebracht hatte, scheiterte er bei dem Versuch einer Verfassungsänderung, die künftige Verschrottungsmaßnahmen hätte beschleunigen sollen. In einem Referendum sprach sich eine deutliche Mehrheit von 59% der abgegebenen Stimmen am 5. Dezember gegen diese Änderungen aus (siehe SoZ 1/2017). Renzi brachte noch den Haushalt 2017 durch das Parlament und trat am 7. Dezember zurück. Seither führt der bisherige Außenminister Paolo Gentiloni die Regierungsgeschäfte.

Von Neuwahlen, die die Opposition nach dem Scheitern von Renzis Verfassungsreform gefordert hatte, ist erst einmal nicht die Rede. Auch vom unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch des italienischen Bankensystems und einem davon ausgehenden neuerlichen Aufflammen der Euro-Krise ist nichts mehr zu hören. In den Wochen vor dem Referendum hatten sich die Medien mit Warnungen überschlagen, dessen Scheitern werde zu einer schweren Wirtschaftskrise führen. Zeitgleich hatten Zinsen und Kapitalabflüsse aus Italien drastisch angezogen.


Palastrevolutionen

Eine ähnliche Entwicklung hatte es zuletzt im Herbst 2011 gegeben. Im September desselben Jahres war ein Brief des damaligen EZB-Chefs Jean-Claude Trichet und seines designierten Nachfolgers Mario Draghi an den italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi bekannt geworden, in dem dieser zu einer entschlossenen Sanierung des italienischen Staatshaushalts aufgefordert wurde (siehe SoZ 11/2011).

Auch damals verteuerten massive Zinssteigerungen die Refinanzierung aufgelaufener Staatsschulden. Am 9. November trat Berlusconi zurück. Sein Nachfolger Mario Monti stellte eine Regierungstruppe aus nichtgewählten Technokraten zusammen und kündigte einschneidende Kürzungen an. Pikant: Den legalen Rahmen für solche Maßnahmen hatte Berlusconi vorher geschaffen. Ein entsprechendes Gesetz wurde am 8. September verabschiedet. Der erwähnte Brief von Trichet und Draghi, der Berlusconi zu dieser Maßnahme drängte, datierte vom 5. August, am 29. September wurde er in der Presse veröffentlicht.


Volkstribune

Angesichts solcher Palastrevolutionen ist die verbreitete Wut auf eine abgehobene politische Klasse mehr als nachvollziehbar. Renzi wusste diese Wut zu nutzen und konnte sich als «Verschrotter» eine Zeitlang großer Beliebtheit erfreuen. Renzi wurde zwar nicht in die höheren Ränge der politischen Klasse hineingeboren. Sein Vater war lange Jahre Gemeinderat in einer Kleinstadt, bevor er in Genua eine Marketingfirma gründete, in der auch der Sohn arbeitete, bevor er Vollzeitpolitiker wurde.

Allerdings lernte Renzi junior die Ränkespiele dieses Berufsstands schnell. Obwohl er sich gern als Vertreter des einfachen Volkes präsentierte, der die da oben das Fürchten lehrt, wurde er von diesem Volk doch nie gewählt, zumindest nicht zum Ministerpräsidenten. Dieses Amt übernahm er vielmehr von Enrico Letta, dem Sieger der Parlamentswahlen vom Februar 2013, den er zum Rücktritt drängte, nachdem Letta bei den Wahlen zum Vorsitz der Demokratischen Partei eine empfindliche Schlappe erlitten hatte. Mit einer solchen, über Fraktionskämpfe in der Partei errungenen, Regierungsverantwortung erwies Renzi sich als palastrevolutionärer Technokrat im Mantel des Volkstribuns.

Diesen Mantel trägt auch Beppe Grillo, der von Vertretern der politischen Klasse als populistische Gefahr für die politische und wirtschaftliche Stabilität bezeichnet wird. Um der Gefahr vorzubeugen, wurden die nach Renzis Rücktritt geforderten Neuwahlen abgesagt und stattdessen erklärt, trotz des gescheiterten Referendums sei doch alles ganz in Ordnung. Grillos Fünfsterne-Bewegung hat gute Aussichten, aus den nächsten Wahlen als stärkste Partei hervorzugehen. Schon bei den Parlamentswahlen 2013, zu denen die Bewegung erstmals antrat, wurde sie auf Anhieb mit 25% zweitstärkste Partei, hinter der Demokratischen Partei (PD).

Doch die Behauptung, Grillo würde diese Ordnung stören, ist fragwürdig. Der autoritäre Stil, mit dem er seine Bewegung führt, lässt vielmehr vermuten, dass er ebenso wie Renzi den populistisch ausgeputzten Technokraten geben könnte. Mit Renzi und Grillo erhält ein Politikertypus Zulauf, der grundsätzliche Veränderungen verspricht, damit aber doch nur mehr von der diskreditierten Politik meint. Ihr Erfolg ist vor allem auf das Fehlen einer relevanten Opposition von links zurückzuführen. Ihre Politik ist jedoch nicht nur an der Herstellung eines halbwegs soliden gesellschaftlichen Konsenses gescheitert, sie konnte nicht einmal ihre eigenen wirtschaftlichen Ziele erreichen.


Der Schuldenturm...

Die Marginalisierung der linken Opposition lässt sich auf die Tolerierung der Regierungen von Romano Prodi 1996-1998 und 2006-2008 durch Rifondazione Comunista zurückverfolgen. Ziel war in beiden Fällen, eine Regierungsübernahme Berlusconis zu verhindern. Beide Male wurde dieses Ziel verfehlt. Stattdessen schrumpfte Rifondazione wegen ihrer Unterstützung der Sparpolitik Prodis von einer Partei, die 6-8% der Wählerstimmen errungen hatte, zu einer 2%-Splitterpartei.

Ein wichtiges Ziel der ersten Prodi-Regierung war die Mitgliedschaft Italiens - immerhin ein Gründungsmitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 - in der Währungsunion gewesen. Um der dafür laut den Maastrichter Verträgen geforderten Höchstverschuldung des Staates von 60% vom Bruttoinlandsprodukt wenigstens näher zu kommen, hatte Prodi einen scharfen Sparkurs eingeschlagen, der von seinen Nachfolgern fortgesetzt wurde. Von der Mitte der 1990er bis Mitte der 2000er Jahre konnte die Staatsschuld tatsächlich von 120% auf 100% gedrückt werden. Trotz dieser Kürzungen im öffentlichen Sektor konnte im gleichen Zeitraum die Arbeitslosigkeit von einem Ausgangswert über 11% auf die Hälfte gedrückt werden, während die Beschäftigungsquote von 58% auf 63% stieg.

Die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt wurde allerdings nicht von einer Zunahme der privaten Investitionen, sondern von einer zunehmenden Verschuldung der privaten Haushalte getragen. Ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt stieg von weniger als 20% auf gut 40%. Ein Teil der Nachfrage, die auf diese Weise finanziert wurde, floss ins Ausland ab. Die Leistungsbilanz rutschte vom positiven in den negativen Bereich. Damit einher ging ein entsprechender Anstieg der Auslandsverschuldung.


...ein Kartenhaus

Rezession und Euro-Krise seit 2008 haben diese Erfolge am Arbeitsmarkt zunichte gemacht, die Staatsverschuldung hat erneut einen Wert von 133% des Bruttoinlandsprodukts erreicht. Sah es in den späten 90er Jahren so aus, als ließe sich durch Ausgabenkürzungen tatsächlich ein Schuldenabbau erreichen, hat sich in den letzten Jahren das Gegenteil als richtig erwiesen. Nicht nur musste die öffentliche Hand mit Steuerausfällen kämpfen und die Kosten steigender Arbeitslosigkeit tragen. Sie sieht sich auch mit einer Bankenkrise konfrontiert.

Wegen der anhaltenden Stagnation - die italienische Wirtschaftsleistung liegt noch weit unter dem Niveau von 2008 - sind private Haushalte und Unternehmen zunehmend unfähig, die Kredite zu bedienen. 2008 hatten die italienischen Banken unsichere Kredite im Wert von 117 Mrd. Euro in ihren Bilanzen, 2015 waren es 360 Mrd. Euro. Das sind rund 40% der ausstehenden Kredite.

2008 hielten die Banken noch Staatsanleihen in Höhe von 100 Mrd. Euro, 2015 waren es 400 Mrd. Euro. Ein bei den Banken hoch verschuldeter Staat hat wenig Spielraum, um kriselnden Banken unter die Arme zu greifen - zumal dieser Spielraum noch durch die Regeln der Europäischen Bankenunion gesetzlich beschränkt ist. In ihrer Not drängten im vergangenen Frühjahr eine Reihe von Banken Kleinsparer zum Kauf von Anteilsscheinen, während die Regierung Renzi versuchte, das große Kapital zur Auflage eines Bankenrettungsfonds zu bewegen. Bei diesem Unternehmen kamen aber nur magere 4 Mrd. Euro zusammen.

Nach dem Rücktritt Renzis legte die Nachfolger-Regierung einen 20-Milliarden-Fonds zur Rettung der akut von der Pleite bedrohten Bank Monte dei Paschi di Siena auf. Bei dieser ältesten Bank der Welt beträgt das Verhältnis notleidender Kredite zum eigenen Aktienkapital 249%. Deren Versuche, auf dem Kapitalmarkt auch nur 5 Mrd. Euro aufzutreiben, waren zuvor gescheitert.

Mit solchen Beträgen ist von den mittlerweile aufgelaufenen privaten und öffentlichen Schulden nicht herunterzukommen. Ohne politische Maßnahmen, die eine massive Abschreibung von Schulden erlauben und gleichzeitig die Aufrechterhaltung des laufenden Zahlungsverkehrs gewährleisten, bleibt die italienische Wirtschaft im Schuldenturm und in der Stagnation gefangen. Sollte es einmal nicht gelingen, die paar Euro zusammenzukratzen, die zur Bekämpfung einer akuten Notsituation erforderlich sind, wird sich zeigen, dass der Schuldenturm in Wahrheit ein Kartenhaus ist. Es fehlt allerdings eine politische Kraft, die aus den Trümmern eines zusammengefallenen Kartenhauses eine weniger von Schulden abhängige, dafür aber sozial gerechte und ökologisch durchhaltbare Wirtschaft aufbauen könnte.

*

Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2, 32. Jg., Februar 2017, S. 18
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96
E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.sozonline.de
 
Die Soz erscheint monatlich und kostet 3,50 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
Normalabo: 58 Euro
Sozialabo: 28 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang