Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2235: Neuer Premierminister und die Sozialpolitik in Polen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 · März 2018
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Neuer Premierminister und die Sozialpolitik in Polen

von Ewa Groszewska*


Der Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten in Polen hat im Ausland zu einem positiven Echo geführt.

Auf recht unfeine Art wurde Beata Szydlo durch einen erfahrenen Banker ersetzt, Mateusz Morawiecki, von 2007 bis 2015 Präses des Bank Zachodni WBK. Auf der Linken dachten einige, der neue Premier sei ein polnischer Macron. Die einen waren froh, denn sie hofften, Morawiecki werde ein Pro-Europäer sein, andere wiederum meinten, ein Banker werde den Menschen nicht mehr etwas vormachen über die angeblich fortschrittliche Sozialpolitik der PiS und werde den bekannten Weg der Eliten in den Neoliberalismus einschlagen.

Unterdessen benutzt Morawiecki sehr eindeutig ein Vokabular, das den Neoliberalen aller Schattierungen - von sogenannten Sozialdemokraten über Marktfundamentalisten gar nicht gefällt, er spricht vom «fürsorglichen Staat». Ob dies nur ein PR-Gag ist oder ein Körnchen Wahrheit enthält, lässt sich jetzt noch nicht sagen.


Schutz der polnischen Industrie

Als einen der ersten Erfolge der neuen PiS-Regierung bezeichnete Morawiecki den steten Anstieg der Mehrwertsteuer für die Unternehmen. Dieses Geld würde dem Programm 500+ zugute kommen, das zugleich die inländische Konjunktur ankurbeln werde. 500+ Zloty jeden Monat erhalten Erziehungsberechtigte ab dem zweiten Kind bis zum 18. Lebensjahr unabhängig vom Einkommen. Unter bestimmten Bedingungen - vor allem bei niedrigem Einkommen - gibt es die 500 Zloty auch schon für das erste Kind.

Der Premier beruft sich gern auf Keynes, wie er sich auch gern auf die Familie, die Verteidigung der Religion und das christliche Europa beruft. In einem Entwurf hat der Premierminister eine neue Politik für Senioren als vorrangig bezeichnet. In diesem Jahr werden 15,6 Milliarden Zloty (3,8 Mrd. Euro) für einige Projekte des Ministeriums für Familie, Arbeit und Sozialpolitik zur Verfügung gestellt. Für das Programm «Senior+» 2018 gibt es 80 Mrd. Zloty, davon können 310 neue Einrichtungen - 60 Tageskliniken und 250 Klubs «Senior +» - finanziert werden.

Morawiecki spricht von staatlicher Intervention. Die PiS-Regierung bemühte sich bereits zur Regierungszeit von Beata Szydlo, als Morawiecki noch Wirtschaftsminister war, diese Idee in die Praxis umzusetzen. Als die Pesa AG in Bydgoszcz (sie baut Schienenfahrzeuge) in Schwierigkeiten geriet, weil sie es nicht schaffte, ihre Aufträge zu erfüllen und ihr deshalb 1,9 Mrd. Zloty EU-Zuschüsse entgangen wären, eilten zwei stellvertretende Minister, die für die EU-Zuschüsse verantwortlich sind, zur Zentrale von Pesa. Gemeinsam mit dem Vorstand der Firma verbrachten sie Stunden damit, wie der Firma geholfen werden könne. Schließlich überzeugten sie das EU-Gremium, das für die Zuschüsse im Transportwesen zuständig ist, besondere Abrechnungsmodalitäten einzuführen, das alle EU-Zuschüsse bündelt.

Die Intervention bei den Ursus-Werken (Traktoren und Landmaschinen) war noch spektakulärer. Deutsche Beamte wollten Traktoren und Landmaschinen von Ursus nicht zulassen. Obwohl alle nach EU-Recht notwendigen Zertifikate vorhanden waren, verlangten sie noch zusätzliche, die aber nach europäischem Recht nicht notwendig sind. Der Vizepremier Morawiecki intervenierte bei Vizekanzler Gabriel und der Export von Ursus-Maschinen stieg rasant an.

Die Unternehmer im Handel (zumeist ausländische) äußern viel Kritik wegen der Absicht der Regierung, Geschäfte und Einkaufszentren jeden zweiten Sonntag zu schließen und eine Umsatzsteuer zu verlangen - bislang können die Bürgerinnen und Bürger bis auf elf Feiertage an allen Tagen des Jahres dort lustwandeln.


Inflation und Emigration

Was den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung angeht, so gibt es allen Grund, über zu hohe Lebensmittelpreise zu klagen. Eier sind z.B. im Laufe von zwei Jahren um 30 Prozent teurer geworden. Die Regierung ist der Auffassung, dass die Preiserhöhungen durch Lohnerhöhungen und die Anhebung des Mindestlohnes kompensiert werden.

Die Arbeitslosigkeit ist in Polen auf einem Rekordtief und wird in den kommenden Monaten weiter zurückgehen. Ende 2018 soll sie bei 4,3 Prozent, ein Jahr später bei 4,1 Prozent liegen. Das geht aus Untersuchungen über Inflationsraten der Polnischen Nationalbank hervor. Diese niedrige Arbeitslosenquote wird allerdings durch eine ständige Abwanderung verursacht.

Ende 2016 lebten nach Angaben des Zentralamts für Statistik 2,5 Millionen Polen in der Emigration, 4,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Dazu kommt noch die sogenannte Pendelmigration: zwei Wochen zu Hause, zwei Wochen Arbeit im Ausland. Allerdings werden dafür nur Arbeitsplätze im Handel und in der Produktion angeboten. Die Situation für Hochschulabsolventen verbessert sich nicht und ist weiterhin prekär.

Im Gesundheitswesen ist vor allen Dingen der Zugang zu Leistungen nicht zufriedenstellend. Morawiecki verspricht eine Erhöhung bis 2024 auf 6 Prozent des BIP. Gleichzeitig steigert die Regierung die Militärausgaben und will schnell auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kommen. Morawiecki verspricht ein Nationales Institut für Onkologie und ein Nationales Programm für Kardiologie, Krebs und Herzkrankheiten sind die häufigsten Todesursachen.

Es könnte der Eindruck entstehen, dass dieses angekündigte Wohlfahrtstaatsmodell auch zu positiven Änderungen im Arbeitsrecht führen würde. Die Regierung plant zwar Änderungen, jedoch wird die Öffentlichkeit darüber nicht informiert. Sie plant nämlich recht ungünstige Bedingungen vor allem für die im neuen Gesetz so bezeichneten «mobilen» Arbeitskräfte. Deren Arbeitszeit kann auf 48 Wochenstunden verlängert werden - das könnte ein Vorspiel für die allgemeine Verlängerung der Wochenarbeitszeit sein. Besorgniserregend ist auch ein Passus, der Arbeitgebern die Möglichkeit eröffnet, Überstunden nur zu bezahlen, wenn sie es sich leisten können.

Ein weiteres Problem ist das Wohnungsbauprogramm «Wohnung+». Dabei unterschreibt der Mieter beim Immobilienmakler, dass er auf Anraten des Vermieters aus der Wohnung ausziehen wird (bei Mietgeldverzug oder Konflikten) und erklärt sich gleichzeitig einverstanden, dass er keinen Anspruch auf eine Sozialwohnung erhebt.

Ungerecht ist auch die Politik gegenüber Behinderten. Die Regierung hat zwar die Renten für erwachsene Behinderte angehoben, aber gleichzeitig ist es den Angehörigen nicht mehr möglich, Reha-Maßnahmen von der Steuer abzusetzen, wodurch die Familien von Behinderten jährlich einige tausend Zloty mehr zur Verfügung hatten.

Es ist also sehr fraglich, ob die Regierung im Bereich Soziales mehr als nur 500+ für die Gesellschaft realisieren wird.


* Ewa Groszewska aus Wroclaw ist Soziologin und eine linke Aktivistin.

(Übersetzung: Norbert Kollenda)


Nachtrag der Autorin:

Nach der Änderung des Gesetzes über das Institut des Nationalen Gedenkens (gegen den Gebrauch der Bezeichnung "polnische Todeslager" für deutsche Konzentrationslager, mit der tatsächlich anerkannt werden soll, daß Polen keine Verbrechen gegen Juden verübt hätten), die antisemitische Ressentiments in Polen wie auch antipolnische in Israel ausgelöst hat, gab die polnische Regierungspartei dem Druck Israels wegen des umstrittenen Reprivatisierungsgesetzes nach. Für viele Bürger in polnischen Städte wie Warschau und Lodz könnte das katastrophale soziale Folgen haben.

Zu den wirtschaftspolitischen Zielen der Regierung gehört, wie sie offiziell bekanntgab, die Förderung polnischer Unternehmen und die "Repolnisierung" des Finanzsektors. Unterdessen ist bekannt geworden, daß die Regierungspartei der JP Morgan Bank, die in Kürze in Warschau investieren will, staatliche Beihilfen zukommen lassen will. Die Idee, auf diese Weise Investoren zu gewinnen, beruht auf Plänen, in Polen einen großen Wirtschaftsraum mit Steuerbefreiungen und Subventionen vornehmlich für ausländische Investoren zu schaffen.

Außerdem wollen Parlament und Regierungspartei demnächst auf die Pläne zur Verschärfung des Abtreibungsrechts zurückkommen. Schwerwiegende Mißbildungen des Fötus sollen nach dem neuen Gesetz kein Grund mehr für eine Abtreibung sein. Dagegen haben Frauenorganisationen bereits Demonstrationen im ganzen Land angekündigt.

(Übersetzung aus dem Englischen: Redaktion Schattenblick)

Der Schattenblick veröffentlicht eine von der Autorin ergänzte Fassung des Artikels.

*

Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 33. Jg., März 2018, S. 17
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96
E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.sozonline.de
 
Die Soz erscheint monatlich und kostet 3,50 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
Normalabo: 58 Euro
Sozialabo: 28 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang