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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2280: 1848 - eine europäische Revolution, Teil I


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 · Juli/August 2018 Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

1848 - eine europäische Revolution, Teil I
Der "Wind der Revolution". Februar in Frankreich

von Manuel Kellner


Die Februarrevolution 1848 in Frankreich kam nicht aus dem Nichts. Seit der Revolution von 1830 hatte es immer wieder, vor allem in Paris, Proteste und Zusammenstöße gegeben. Die soziale Lage in der Hauptstadt war extrem angespannt. Der äußerst konservative und doch kluge Alexis de Tocqueville wandte sich am 29. Januar 1848 mit folgender Warnung an die Abgeordneten der Nationalversammlung, die er später in seinen Erinnerungen zitiert:

"Fühlen Sie nicht mit einer Art instinktiver, der Analyse unzugänglicher, aber untrüglicher Intuition, dass die Erde in Europa wieder bebt? Fühlen Sie nicht, wie soll ich sagen, den Wind der Revolution in der Luft? ... Nun denn! Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die verfallenden öffentlichen Sitten Ihnen in kurzer, vielleicht naher Zeit neue Revolutionen hervorbringen werden."

Am 21. Februar bricht die Revolution in Paris tatsächlich aus, und sie wird zum Startschuss für eine ganze Reihe weiterer Revolutionen in Europa.


Das Krähen und Krächzen des gallischen Hahns

Im Februar 1848 wurde die Julimonarchie von 1830, die selbst aus einer Revolution hervorgegangen war, in wenigen Tagen von einer Massenmobilisierung in Paris gestürzt. Wenige Monate später, gegen Ende Juni, schlug die neue republikanische Regierung einen Aufstand der Arbeiterinnen und Arbeiter von Paris brutal nieder.
Zum ersten Mal erschien dabei die moderne proletarische Klasse nicht einfach als Teil der plebejischen Masse und als linker Flügel liberaler und republikanischer bürgerlicher Kräfte, sondern als Todfeindin der Bourgeoisie, der Klasse der kapitalistischen Eigentümer der Produktionsmittel.


Unter dem "Bürgerkönig" Louis-Philippe hatte sich seit 1830 die kapitalistische Produktionsweise in Frankreich kräftig weiterentwickelt. Die Lebensbedingungen der jungen lohnarbeitenden Klasse waren fürchterlich: Hungerlöhne, Arbeitstage bis zu 16 Stunden, grauenhafte Arbeitsbedingungen, Willkürherrschaft der Chefs in den Betrieben.

Das Zensuswahlrecht gemäß den gezahlten Steuern schloss die große Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung von den Wahlen aus: 1847 z.B. waren nur 246.000 Menschen wahlberechtigt, bei einer Einwohnerzahl von 36 Millionen. Auf die Forderung, mehr Menschen zur Wahl zuzulassen, erwiderte der Regierungschef François Guizot zynisch: "Bereichert euch und ihr werdet Wähler!"

Ab 1830 gab es zahlreiche Erhebungen, wobei in der Regel zugleich republikanische und soziale Forderungen erhoben wurden, so in Lyon 1831 und 1834. Nicht nur die neu entstehende Arbeiterbewegung, auch die junge industrielle Bourgeoisie war unzufrieden, denn sie war von der Teilnahme an der Regierung weitgehend ausgeschlossen. Dort war der Einfluss der Finanzbourgeoisie, die mit Spekulationsgeschäften ihre Profite machte, sehr viel größer.

Im Jahr 1847 verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage dramatisch. Ursache dafür war die Kombination einer desaströsen Missernte mit einer Überproduktionskrise, die Zehntausende Lohnabhängige aufs Pflaster warf. Hinzu kam der Zusammenbruch der Börse, wo eine Spekulationsblase geplatzt war. Mit zunehmendem Elend gab es immer mehr Proteste.

In dieser Situation verlangte die legale bürgerliche Opposition eine Reihe von Reformen und organisierte dafür "Bankette", oberflächlich getarnte politische Versammlungen. Zugleich entwickelten sich Straßendemonstrationen von Arbeitern.

Guizot verbot kurzerhand ein für den 22. Februar vorgesehenes Bankett der Opposition. Arbeiter, Arbeiterinnen, Handwerker und Studenten gingen gemeinsam in Massen auf die Straße. Am 23. Februar eröffnete die Armee das Feuer und tötete 50 Demonstranten. Am Abend desselben Tages plünderten die Massen die Waffenfabriken und errichteten Barrikaden. Ein Teil der Nationalgarde ging auf ihre Seite über. Die Bewegung gegen das Verbot des Banketts stellte von da an die Frage der Macht.


Die Wende

Die Minister von Louis-Philippe flohen, seine Armee zersetzte sich rasch. Am 25. Februar erklärten sich die bürgerlichen Abgeordneten für eine liberalisierte Monarchie. Das Volk in Waffen zwang sie aber, eine provisorische republikanische Regierung auszurufen.

Diese Regierung wurde allerdings von der Bourgeoisie kontrolliert. Sie wurde den Bestrebungen der aufständischen Massen nicht gerecht. Diese wollten eine wirklich demokratische Republik und eine deutliche Verbesserung ihrer sozialen Lage.

Anknüpfend an die Reformpläne des gemäßigten Sozialisten Louis Blanc versuchte die Regierung, den Anschein einer sozialen Republik zu erwecken. Sie schuf eine Kommission zur Verbesserung der Lage der arbeitenden Klasse, ohne ihr allerdings Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen. Sie errichtete dennoch "nationale Werkstätten", in denen an die 100.000 Erwerbslose aufgefangen wurden.

Die bäuerliche Bevölkerungsmehrheit war gegen die neue Regierung. Die Arbeiter und Arbeiterinnen von Paris wollten darum die Wahlen zur Konstituierenden Versammlung so lange verschieben, bis die ländliche Bevölkerung Gelegenheit hatte, sich mit dem Programm des linken Republikanismus vertraut zu machen.

Am 14. April 1848 wurde eine Demonstration für die Verschiebung der Wahlen gewaltsam aufgelöst. In dieser Zeit schlossen sich viele alte monarchistische Honoratioren der Republik an. Zusammen mit den Gemäßigten erreichten sie bei den Wahlen am 23. April eine Mehrheit von 600 von 880 Sitzen gegen die entschiedenen Republikaner.

Am 15. Mai stürmte eine Demonstration die Nationalversammlung, verlangte die Unterstützung der polnischen Revolution und die Proklamierung einer neuen Regierung der entschieden republikanischen Minderheit. Die Repression schlug hart zu und enthauptete die junge Arbeiterbewegung fast vollständig. Die Regierung fühlte sich nun stark genug, die "Ordnung" wiederherzustellen und bereitete den Angriff auf die "nationalen Werkstätten" vor. Am 21. Juni beschloss die Nationalversammlung deren Schließung und die zwangsweise Rekrutierung der jungen Erwerbslosen für die Armee.

Am 23. Juni waren überall in Paris Barrikaden. Drei Tage lang wehrte sich die Bewegung verzweifelt. Am 26. Juni waren die Aufständischen geschlagen. 4.000 Arbeiter und Arbeiterinnen waren umgebracht worden. Danach folgt die Rache der Herrschenden, die Raserei der Konterrevolution: 1.500 wurden hingerichtet, 10.000 deportiert.

Am 10. Dezember kürte die Partei der "Ordnung" den Abenteurer Louis-Napoléon Bonaparte zum obersten Schiedsrichter der Nation. Alle Errungenschaften der Revolution von 1848 wurden geschleift.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 33. Jg., Juli/August 2018, S. 13
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2018

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