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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2307: Privatisierung in Deutschland


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10 · Oktober 2018
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Privatisierung in Deutschland

von Larissa Peiffer-Rüssmann


Seit mehr als drei Jahrzehnten entledigt sich der Staat seiner Aufgaben durch eine immer schneller voranschreitende Privatisierung einst öffentlicher Dienstleistungen. Dazu gehören neben Post und Bahn, dem Energiesektor und der Flugsicherung auch eine wachsende Zahl von Bildungseinrichtungen.


Auf kommunaler Ebene verkaufen Städte und Gemeinden ihre Wohnungen, Stadtwerke und Schulgebäude. Immer häufiger wird die Abfallentsorgung privat erledigt. Bei (Hoch-)Schulen, Krankenhäusern und Justizvollzugsanstalten ebenso wie bei Wasser-, Klär- und Elektrizitätswerken kommt es zu Privatisierungen in Teilbereichen. Die versprochene Entlastung der öffentlichen Haushalte durch die Privatisierungsoffensive hat nicht stattgefunden - sehr wohl aber die Vernichtung von rund 1,2 Millionen Arbeitsverhältnissen und steigende Kosten für Wasser, Strom und Gas.

Das Buch versteht sich als "Weckruf", es klärt auf über die Art und Weise, wie der Staat durch den öffentlichen Ausverkauf staatlichen Eigentums geplündert wird und wer hinter der einflussreichen Privatisierungslobby steht. Es liest sich wie ein Nachschlagewerk über die Privatisierungpolitik in Deutschland anhand ausgewählter Beispiele des Ausverkaufs der öffentlichen Daseinsvorsorge, an dem sich neben den Wirtschaftsverbänden und Stiftungen auch ranghohe Politiker ohne jeden Skrupel beteiligen.


Schulen als Geschäftsmodell

Die Privatisierungwelle boomt, immer mehr Privatschulen öffnen ihre Pforten und über hundert Hochschulen befinden sich bereits in privater Trägerschaft. Das alles sind kostenpflichtige Bildungsangebote, vom Staat gefördert, obwohl sie die soziale Selektion verstärken. Auch Schulgebäude - häufig marode und hoch sanierungsbedürftig - fallen durch "öffentlich-private Partnerschaften" in die Hände privater Betreiber, die sich dann auch um Hausmeister und Reinigungsdienste kümmern.

Wir erfahren, wie in Zeiten knapper öffentlicher Kassen der Staat seine Verantwortung für die Bildungspolitik sukzessive abbaut zugunsten von Unternehmen, Wirtschaftsverbänden, Industrie- und Handelskammern sowie Unternehmensstiftungen, allen voran die Bertelsmann-Stiftung, die mit Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie Unterrichtsmaterialien ihre Ideologie in die Schulen tragen. Ihnen geht es nicht mehr um die freie Entfaltung der Begabungen und individuellen Interessen, sondern um die Verwertbarkeit des Wissens für die Wirtschaft. Junge Menschen werden nur noch als ökonomische Größe wahrgenommen. Auch die Computerkonzerne wie Apple und Samsung nehmen Einfluss durch die Bereitstellung von Notebooks und Tablets und die Entsendung unternehmenseigener Mitarbeiter.

In Zeiten eklatanten Lehrermangels und knapper Unterrichtsmaterialien nimmt die Zahl der Einfluss nehmenden Konzerne rasant zu, die Auflistung macht einen schwindlig und ich frage mich, was E.on, Super RTL, Nestlé und McDonald's in Kindergärten und Schulen zu suchen haben. Eindrucksvoll wird dargestellt, wie die Lebensmittelindustrie Werbung für ihre ungesunden Produkte macht, wie die Automobilhersteller den Klimaschutz erläutern und der Energiekonzern RWE in Schulen für den klimaschädlichen Braunkohleabbau u.a. im Hambacher Forst werben darf.


Privatisierungen im Sozialsystem

Der radikalste Abbau des Sozialstaats wurde mit dem Umbau der Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung eingeleitet. Hier wurde ein sozialpolitischer Paradigmenwechsel vorgenommen. Auf einmal wurde vom gesetzlichen "Zwangssystem" gesprochen, da ging es nicht mehr um Solidarität, sondern um "Eigenverantwortung" und Leistung. Mit Hilfe der Bertelsmann-Stiftung wurden "Lösungsmodelle" für den "Reformstau" erarbeitet. Die Chronologie der Demontage der Sozialsysteme wird umfassend dargestellt - am Ende stehen die Sieger fest, u.a. die Lebensversicherungen und die Banken.

Gründlich beleuchtet wird auch die Lobbyarbeit, in die Abgeordnete der etablierten Bundesparteien verstrickt waren und sind. Großzügige Spenden der Finanz- und Versicherungswirtschaft an alle reformwilligen Parteien runden das Geschäft um den Sozialabbau ab.

Das einst hoch gelobte Gesundheitssystem wird immer mehr dem Diktat des Marktes unterworfen. Die einkommens- und vermögensunabhängige gesetzliche Krankenversicherung beruht im Gegensatz zur Privatversicherung auf dem Solidarprinzip. Doch genau das wird immer mehr aufgeweicht durch umfangreiche Zuzahlungen und Leistungskürzungen. Die Entwicklung zur Zweiklassenmedizin schreitet voran, es geht nicht mehr um die Schwere einer Krankheit, sondern um den Versichertenstatus.

Auch der Krankenhaussektor erlebt einen beispiellosen Privatisierungsdruck. Das Buch geht der Frage nach, welche Auswirkungen der enorme Kostendruck bei den privaten Krankenhäusern zugunsten hoher Profite hat und wie sich dies auf die öffentlichen Krankenhäuser auswirkt.


Kommunale Versorgung

Immer häufiger gehen die chronisch unterfinanzierten Kommunen öffentlich-private Partnerschaften (ÖPPs) ein, um der fortschreitenden Verschuldung zu entgehen. Diese Privatunternehmen werden dann mit der Planung, Sanierung oder dem Bau städtischer Gebäude beauftragt. Diese "heimlichen" Privatisierungen sind langfristig teurer, denn Private wollen natürlich Gewinne machen. Die Kommunen sparen zwar kurzfristig Ausgaben, gehen aber über Jahrzehnte laufende Verträge mit unkalkulierbaren Zahlungsverpflichtungen ein. Am Ende zahlen die Verbraucher höhere Preise. Oft sind die Verträge geheim und nicht einmal die gewählten Vertreter erhalten eine umfassende Einsicht.

Wirklich haarsträubend ist die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt. Die überschuldeten Kommunen verkaufen bedenkenlos ihre Wohnungsbaugesellschaften mit dem Ergebnis, dass Mieten und Wohnungspreise in die Höhe schnellen, ehemalige Sozialwohnungen weichen Wohnkomplexen, die sich nur gut Verdienende leisten können. Gleichzeitig werden auf dem Immobilienmarkt Milliardengewinne gemacht. Angesichts dieser verheerenden Entwicklung bin ich fassungslos, wenn der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums im August dieses Jahres den weitgehenden Verzicht auf den sozialen und den öffentlichen Wohnungsbau empfiehlt: Alles soll der Markt richten. Die Wissenschaft ganz im Dienst der Immobilienmafia!

Weitere Themen im Buch sind der "Postraub", die Entgleisungen bei der Privatisierung der Bahn und öffentlich-private Partnerschaften im Straßenverkehrswesen. Selbst die Bundeswehr wird zum Truppenübungsplatz für ÖPPs.

Noch ist der Widerstand gegen diese Entwicklung gering. Wir werden sie nur dann aufhalten, wenn es uns gelingt, einer breiten Öffentlichkeit die verheerenden Folgen klar zu machen. Dieses Buch trägt umfassend zur Aufklärung bei. Der neoliberale Geist in seiner zerstörischen Wirkung muss aufgehalten werden.


Tim Engartner:
Staat im Ausverkauf, Privatisierung in Deutschland
Frankfurt a.M.: Campus, 2016. 268 S., Euro 22,95


Schon im alten Rom...

Nachdem es im antiken Rom beinahe täglich gebrannt hatte, gründete Marcus Licinius Crassus im Jahr 70 v.u.Z. eine private Feuerwehr. Wenn es brannte, erschien Crassus am Ort des Geschehens und unterbreitete dem Besitzer des brennenden Gebäudes ein Angebot: War er bereit, sein Haus zu einem Bruchteil des angemessenen Preises zu verkaufen, schritten die Löschtruppen zur Tat. Wenn nicht, Pfiff Crassus seine Feuerwehrsklaven zurück und ließ dem Feuer seinen Lauf. So wurde er einer der reichsten Römer seiner Zeit.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10, 33. Jg., Oktober 2018, S. 20
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2018

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