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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2376: Mehr Wertschätzung für die bäuerliche Landwirtschaft


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 · April 2019
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Mehr Wertschätzung für die bäuerliche Landwirtschaft
Über das erfolgreiche Volksbegehren für die Rettung der Arten

Gespräch mit Rosi Reindl von Hans-Peter Gase und Paul Kleiser


In Bayern gab es Mitte Februar ein Volksbegehren zum Schutz der Artenvielfalt. Dort müssen die Leute auf die Ämter, um unterschreiben zu können. Trotzdem haben 18,4 Prozent der Bevölkerung unterzeichnet. Daraufhin hat die bayrische Staatsregierung einen Runden Tisch beim Bayrischen Landtag einberufen. Auf der Grundlage von dessen Arbeiten will die Staatsregierung einen Gesetzesentwurf vorlegen, der "noch besser" sein soll als der Text des Volksbegehrens.

Das Volksbegehren "Rettet die Bienen - Artenvielfalt ins Naturschutzgesetz" beinhaltet sechs Hauptforderungen:
1. Die Schaffung von Biotopverbünden.
2. Die Ausbildung von Landwirten und Schülern in ökologischer Landwirtschaft.
3. Mehr Transparenz durch einen jährlichen Statusbericht der Landesregierung zur Umsetzung der Naturschutzziele.
4. 20 Prozent ökologisch bewirtschaftete Flächen bis 2025, 30 Prozent bis 2030.
5. Mindestens 10 Prozent der Naturflächen müssen in Blühwiesen umgewandelt werden.
6. Weniger Einsatz von Pestiziden.

Hans-Peter Gase und Paul Kleiser sprachen für die SoZ mit Rosi Reindl. Sie engagiert sich seit 15 Jahren ehrenamtlich u.a. beim Bund Naturschutz, bei Zivilcourage für gentechnikfreie Landwirtschaft und bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft.


SoZ: Worum geht es bei dem Volksbegehren? Wie ist der Erfolg zu erklären?

Rosi Reindl: Der große Erfolg ist sicher auf die Parole "Rettet die Bienen" zurückzuführen. Damit waren natürlich alle anderen Insekten und vor allem die Wildbienen mitgemeint, die ja sehr wichtig sind für die Bestäubung der Blütenpflanzen. Wildbienen und andere Insekten sind die drittwichtigsten Nutztiere in der Landwirtschaft. Das Artensterben hat in den letzten 30 Jahren dramatisch zugenommen und trifft auch alle anderen in der Nahrungskette nachfolgenden Tiere. Im Bewusstsein der Menschen ist schon angekommen, dass sich ohne Bestäubung die Lebensmittelregale leeren würden.


SoZ: Die Biene ist nicht einmal so stark gefährdet wie andere Insektenarten, aber das Bild von der Biene hat hier offensichtlich mobilisierend gewirkt.

Rosi Reindl: Die Biene ist zweifellos ein Sympathieträger, wegen dem Honig, wegen der Bestäubung. Die Honigbienen werden ja von den Imkern umsorgt. Aber die Wildinsekten, die meistens in Symbiose mit bestimmten Pflanzen leben, haben einfach keine Chance wegen der intensiven Landwirtschaft und den Monokulturen. In Bayern ist die Forderung nach einem Gewässerrandstreifen, der weder gedüngt noch mit Pestiziden behandelt wird, wichtig. In allen anderen Bundesländern ist das schon üblich. Ein ganz wichtiger Faktor ist auch der Biotop-Verbund, damit der genetische Austausch zwischen den Insekten stattfinden kann. Wenn man immer nur ein paar Quadratmeter Blühfläche hat, kann der genetische Austausch nicht mehr stattfinden.

Ein weiteres Problem ist auch die starke Überdüngung der Felder, sodaß Pflanzen, die einen mageren Standort brauchen, dort gar nicht wachsen können. Und damit haben die dazugehörigen Insekten auch keine Chance. Außerdem geht es um die Lichtverschmutzung: 73 Prozent aller Tag- und Nachtfalterarten sind verschwunden!


SoZ: Da gibt es einen Konflikt zwischen der industriellen Landwirtschaft und einer alternativen Landwirtschaft, die nach ökologischen Kriterien arbeitet.

Rosi Reindl: Ja, denn wie werden die Subventionen vergeben? Momentan richten sie sich nach der Größe der Anbauflächen. Das muss sich ändern. Wir, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (www.abl-ev.de), fordern eine Agrarwende.

Wenn Bauern Umweltschutz betreiben und kleinere Felder mit mehr Ackerrand und Hecken einrichten, dann ist das für Insekten und kleine Wildtiere gut. Bauern mit drei kleinen Feldern und vielleicht noch Hecken dazwischen verzichten auf die einfache Bearbeitung ihres Bodens mit großen Maschinen. Wenn sie zudem keine Pestizide und keinen künstlichen Dünger ausstreuen, dann muss eben das noch mehr unterstützt werden.


SoZ: Die CSU hat Euer Volksbegehren massiv bekämpft, und hinter ihr steht u.a. der Bayerische Bauernverband.

Rosi Reindl: Der Bauernverband hat sehr enge Beziehungen zur Agrarindustrie, zur chemischen Industrie und zu den großen Landmaschinenherstellern. Zum besseren Verständnis ein Beispiel: Im Verein "Forum Moderne Landwirtschaft" sind ein paar Tierzuchtverbände, aber in erster Linie Bayer-Monsanto, BASF, Dupont, Dow, der Verband der Chemischen Industrie und viele andere Akteure, die mit der Landwirtschaft viel Geld verdienen. Der Vorsitzende dieses Vereins ist immer der Vorsitzende des Deutschen Bauernverbands. Die Entscheidungen zur Vergabe der Subventionen entsprechen daher den Interessen dieser Großverdiener.

Momentan laufen die Verhandlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU: Wie geht es mit den Subventionen nach 2020 weiter? So wie bisher? Oder wird der Bauer nach Leistungen bezahlt, die gesellschaftlich gefordert werden: Achtet er auf sauberes Wasser, saubere Luft, gesunden Boden, baut er Humus auf (wichtig gegen den Klimawandel). Bislang gehen 80 Prozent der Subventionen an 20 Prozent der Betriebe! Das muss sich ändern.


SoZ: Bayern war ja eigentlich das klassische Land der Kleinbetriebe. In der Nachkriegszeit gab es dort ungefähr 1,5 Millionen Höfe. Es gab ein gewaltiges Höfesterben, auch bedingt durch die Flurbereinigungen der 70er Jahre. Das war der Startschuss für die verheerenden Entwicklungen, die Vernichtung von Böden, aber auch von Insekten.

Rosi Reindl: Richtig, das war der Startschuss. Wenn viele kleine Felder zu wenigen großen zusammengelegt werden, dann werden die Hecken beseitigt. Genau da ist das Problem entstanden. Der Bauernverband steht immer noch für "schneller, weiter" und gibt immer noch die Losung aus: "Wir müssen für den Export produzieren".

Wir holen Futtermittel auch aus Übersee, um viele Tiere auf kleiner Fläche zu füttern und die Gülle bleibt hier - die geht ja nicht auf die Felder in den USA, in Südamerika oder Kanada. Und so haben wir die Probleme zu hoher Nitratwerte im Grundwasser, der Überdüngung und kaum noch Magerwiesen. Mal ganz abgesehen davon, dass wir auch Verantwortung für die Länder des Südens haben und unsere Fleisch- und Milcherzeugung auf heimischen Futtergrundlagen beruhen sollte, um nicht auch noch die Zerstörung der Regenwälder zu forcieren und die Vertreibung der Kleinbauern durch Sojaanbau.

Eine Forderung des Volksbegehrens ist, dass künftig Umweltschutz in den Land- und Forstwirtschaftsschulen gelehrt wird. Bislang wird dort immer mehr nur der Umgang mit der chemischen und der mechanisierten Landwirtschaft unterrichtet. Die Zusammenhänge und die Folgen, auch für die Landwirte, kommen kaum vor.


SoZ: Euer Volksbegehren fordert, dass bis 2030 auf 30 Prozent der Ackerböden ökologische Landwirtschaft betrieben wird. Die industrielle Landwirtschaft behauptet dagegen: das ist zu teuer. Der ärmere Teil der Bevölkerung wäre der Verlierer.

Rosi Reindl: Die ökologisch hergestellten Nahrungsmittel sind nicht zu teuer, die konventionellen sind zu billig, weil ihre Kosten externalisiert werden. Man denke nur an den Klimawandel, der zu einem Drittel von der Landwirtschaft verursacht wird. Diese Folgen werden ebenso wenig im Preis berücksichtigt wie die Reinigung des Grundwassers. Auch der Humusabbau ist für den Klimawandel mitverantwortlich. Wenn wir wirklich reale Preise hätten, wären die biologischen Lebensmittel wesentlich billiger als die anderen.

Aber wir brauchen Anreize: die ökologische Landwirtschaft muss gefördert werden und auch ihr Absatz, etwa in kommunalen Betrieben - Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern und Altenheimen - muss der Anteil an biologischen Lebensmitteln massiv erhöht werden, die Bevölkerung muss ermutigt werden, saisonal und regional einzukaufen, das Bewusstsein über die Zusammenhänge muss gestärkt werden...


SoZ: Wenn es um die Kosten geht: Bayern bekommt jährlich rund 1,25 Mrd. Euro von der EU. Ein Drittel des EU-Haushalts geht ja in die Landwirtschaft, dafür gibt sie 60 Milliarden Euro aus, davon bekommt Bayern einen erklecklichen Betrag. Gibt es von eurer Seite Argumente, wie dieses Geld umverteilt werden könnte? Das ist ja auch in Hinblick auf die Europawahlen ein wichtiger Punkt.

Rosi Reindl: Ja, wir haben in einem Flugblatt zusammengetragen, wie wir uns die Agrarwende vorstellen (siehe www.abl-ev.de). Ein Punkt darin ist das neue Konzept für die Honorierung gesellschaftlicher Leistungen. Für die Landwirte geht es ja um die Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen und gesunden Lebensmitteln. Und es geht auch darum, dass junge Leute motiviert werden, auf dem Land zu bleiben. Das Höfesterben ist dramatisch.


SoZ: Die industrielle Landwirtschaft fördert auch die Abwanderung in die Städte.

Rosi Reindl: Das allgemeine Problem der Landflucht wird dadurch verstärkt, dass man von der Landwirtschaft kaum noch leben kann (etwa weil der Milchpreis zu niedrig ist). Und weil der Einsatz von Maschinen usw. schon so viele Arbeitsplätze vernichtet hat, gibt es dort für junge Leute keine berufliche Perspektive mehr.

Wir brauchen wieder mehr Wertschätzung für unsere Lebensmittel und die bäuerliche Arbeit. Dieses "billig, billig, billig", diese Koste-es-was-es-wolle-Mentalität" geht auf Kosten der Umwelt und der nächsten Generationen und ist verantwortungslos. Wir brauchen eine gerechtere Verteilung der EU-Direktzahlungen, bei der die Leistung für das Gemeinwohl und Honorierung der bäuerlichen Arbeit mehr zählen als die Förderung des Flächenbesitzes.


SoZ: Es ist ja nicht nur die industrielle Landwirtschaft. Aus Bayern wandern auch viele ab, weil Infrastruktur zerstört wird. In vielen Dörfern gibt es keine Gaststätte, keine Bank, keinen Einkaufsladen mehr. Das sind alles Folgen des Zentralismus und des Vorrangs der Städte.

Rosi Reindl: Früher gab es noch in jeder Ortschaft eine Molkerei, eine Metzgerei und kleinere Läden. Es wird immer schwieriger, die kleinen Betriebe und Strukturen aufrechtzuerhalten - auch wegen der EU-Richtlinien. Kleine Schlachthöfe machen zu, die Tiere müssen immer weiter transportiert werden. Es ist ein globaler Preiskampf, der da stattfindet: Wer kann am allerbilligsten liefern? Es gibt noch drei große Molkereien, die den Preis bestimmen - nur nicht der Bauer.


SoZ: Es gibt jetzt Verhandlungen mit der CSU, ob es einen gemeinsamen Vorschlag gibt, oder ob in einer Volksabstimmung über zwei verschiedene Entwürfe abgestimmt wird. Was meinst du dazu?

Rosi Reindl: Der Vorschlag vom Volksbegehren ist der Mindeststandard. Die Initiatoren vom Volksbegehren hatten ja nur eingeschränkte Möglichkeiten. Da gibt es genaue Vorschriften, was man in ein Volksbegehren hineinschreiben darf und was nicht: Es darf sich nur auf ein Thema beziehen, man braucht Rechtsanwälte, um den Text zu schreiben, und es dürfen keine Forderungen erhoben werden, die in den Haushalt eingreifen. Der Bauernverband hat unter den Landwirten die Angst geschürt: Wenn ihr das Volksbegehren unterschreibt, gibt es keine Förderung mehr.

Der Runde Tisch hingegen, der jetzt im Landtag eingerichtet wurde, hat ganz andere Möglichkeiten. Der kann in den Vorschlag noch verschiedene andere Punkte reinnehmen. Darum haben die Initiatoren gesagt: Wenn der Vorschlag vom Landtag besser ist, dann nehmen wird diesen Vorschlag an. Aber Mindeststandard müssen die Forderungen des Volksbegehrens sein.

Sehr wichtig ist uns auch die Transparenz: Wir wollen die Landesregierung verpflichten, jährlich einen Statusbericht über den Zustand der Artenvielfalt und ihre Aktivitäten für die im Volksbegehren genannten Ziele abzugeben.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 34. Jg., April 2019, S. 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2019

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