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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2410: Sudan - Kampf für Demokratie


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 · Juli/August 2019
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Sudan: Kampf für Demokratie
Weitere Massenproteste sind angekündigt - Solidarität ist nötig

von Harald Etzbach


Es müssen sich am 3. Juni in der sudanesischen Hauptstadt Khartum schreckliche Szenen abgespielt haben. An diesem Tag überfielen paramilitärische Einheiten das friedliche Sit-in vor dem Oberkommando der sudanesischen Armee. Augenzeugen berichten von Soldaten, die wahllos um sich schossen, auf Demonstranten einprügelten und Zelte niederbrannten.


Die Leichen getöteter Demonstranten seien in den Nil geworfen worden. Ein Video von den Ereignissen zeigt Menschen, die in Panik davonlaufen, es sind Schüsse zu hören, auf dem Boden liegen reglose menschliche Körper. Über die Zahl der Opfer gibt es unterschiedliche Angaben, es ist von über 130 Toten, über 700 teils schwer verletzten Menschen und unzähligen Vergewaltigungen die Rede.

Nach der Auflösung des Sit-ins gingen die Attacken der Paramilitärs noch weiter. So wurden mehrere Krankenhäuser überfallen, in denen Verletzte eingeliefert worden waren. Verwundete wurden gezwungen, die Notaufnahmen zu verlassen, und mindestens ein Arzt wurde verhaftet, zudem gab es laut Berichten weitere sexuelle Übergriffe. Auch außerhalb der Hauptstadt wurden Sit-ins auf öffentlichen Plätzen aufgelöst, so etwa in Port Sudan im Norden sowie Gadarif und Sinja im Osten des Landes.


Brutale Unterdrückung

In Khartum begann der friedliche Protest vor dem Sitz des Oberkommandos Ende April. Seither waren in der immer weiter wachsenden Zeltstadt Tausende von Menschen aus allen Berufsgruppen und Schichten der Bevölkerung zusammengekommen, um für ein Ende der Militärherrschaft und eine zivile Übergangsregierung zu demonstrieren.

Unter dem Druck der öffentlichen Aktionen war schließlich im Mai eine Einigung erzielt worden. Beschlossen wurde die Bildung einer Übergangsregierung, jeweils zur Hälfte aus Vertretern des Militärs und Vertretern des Oppositionsbündnisses, für die Dauer einer dreijährigen Übergangsphase. Offenbar ging aber bereits diese Vereinbarung einigen Hardlinern in der herrschenden Militärclique zu weit.

Angeführt wurde der Überfall auf die friedlichen Demonstranten offenbar von Einheiten der Rapid Support Forces (RSF), einer berüchtigten Miliz, die in den letzten Jahren mit großer Brutalität den Aufstand in Darfur im Süden des Landes niedergeschlagen hat. Angehörige der RSF kämpfen zudem als Söldner auf der Seite Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate im Jemenkrieg.

Die Miliz wurde 2013 von dem im April gestürzten ehemaligen sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir geschaffen. Sie untersteht unmittelbar dem mächtigen Geheimdienst National Intelligence and Security Service (NISS). Für al-Bashir dienten die RSF als Parallelorganisation zum regulären Militär wie auch zu diversen anderen paramilitärischen Verbänden, mit dem Ziel, sich gegen Putschversuche aus deren Reihen abzusichern. Die RSF agieren daher politisch wie finanziell weitgehend autark. Bereits im September 2013 waren die RSF an der Niederschlagung einer Protestbewegung beteiligt. Damals gingen Menschen in mehreren Städten des Landes auf die Straße, um gegen die Kürzung von Subventionen für Grundnahrungsmittel zu demonstrieren. 170 Menschen sollen dabei getötet, mehrere hundert verletzt worden sein.


Die Rolle der EU

Kommandeur der RSF ist Mohammed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti. Formal der stellvertretende Vorsitzende des militärischen Übergangsrats, ist Dagalo tatsächlich der eigentlich starke Mann in diesem Gremium. Seit 2014 haben die RSF auch die Kontrolle der sudanesischen Grenzen übernommen. In dieser Funktion wurden die RSF dabei im Rahmen des sogenannten Khartum-Prozesses massiv von der Europäischen Union unterstützt.

In den vergangenen Jahren hat die EU mehrere hundert Millionen Euro an den Sudan vergeben. Ihr Ziel ist, die Flüchtlingsströme, die den Sudan Richtung Norden durchqueren, bereits vor der libyschen oder ägyptischen Grenze aufzuhalten und damit ein Weiterkommen nach Europa zu verhindern. Die EU ist aus diesem Grund finanziell am Bau von zwei von den RSF und anderen betriebenen Flüchtlingslagern im Sudan beteiligt. Zudem wurden die RSF mit Hilfe von EU-Geldern mit Kameras, Scannern und elektronischen Servern zur Registrierung von Flüchtlingen aufgerüstet - einem Equipment, das natürlich genauso gut zur Überwachung und Kontrolle von Protestbewegungen benutzt werden kann. Milizenchef Hemeti sah sich daher in der Vergangenheit gerne auch einmal als Verbündeter der EU. Diese verliere "Millionen im Kampf gegen Migration, deswegen müssen sie uns unterstützen", sagte er vor zwei Jahren dem Sender al-Jazeera.

Die deutsche Regierung hat in diesem Zusammenhang verschiedentlich betont, dass sie im Sudan lediglich über die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), eine bundeseigene Entwicklungsagentur, aktiv sei und keine Gelder unmittelbar an das Militärregime gingen. Tatsächlich aber werden die 46 Millionen Euro, die die GIZ im Sudan verwaltet, im Rahmen des sog. Better-Migration-Management-Programms u.a. für die Schulung von Grenzsoldaten verwendet, darunter wohl auch Angehörige der RSF. Eine Zusammenarbeit bei technischen und logistischen Problemen der Grenzkontrolle besteht außerdem zwischen der deutschen Bundespolizei und der sudanesischen Polizei.

Nur wenige Tage vor dem Massaker in Khartum besuchten Hemeti und General Abdel Fattah al-Burhan, der Chef des militärischen Übergangsrats, eine Reihe von Treffen, die von Saudi-Arabien zusammen mit der Arabischen Liga und dem Golfkooperationsrat einberufen worden waren. Das Internetmagazin Middle East Eye berichtete unter Berufung auf einen nicht genannten sudanesischen Militärexperten, bei diesen Gesprächen sei es unter anderem auch um die Vorgehensweise gegen die Proteste im Sudan gegangen. al-Burhan sei dabei von Saudi-Arabien und seinen Verbündeten "grünes Licht" für eine gewaltsame Auflösung des Sit-ins vor dem sudanesischen Oberkommando gegeben worden. Ähnliche Gespräche hatten zuvor schon mit Ägypten stattgefunden. Zudem hatten Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate den sudanesischen Militärrat bereits im April mit Finanzhilfen in Höhe von drei Milliarden US-Dollar unterstützt.


Russland und die USA

Während Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate in offiziellen Erklärungen nach dem Massaker vom 3.Juni noch die Notwendigkeit eines konstruktiven Dialogs betonten und die EU die Einsetzung einer zivilen Übergangsregierung forderte, stellte sich Russland faktisch offen hinter die Militärregierung. So betonte der stellvertretende russische Außenminister Michail Bogdanow, man müsse im Sudan die Ordnung wieder herstellen und den Kampf gegen "Extremisten und Provokateure" aufnehmen.

Diese Äußerung ist nicht verwunderlich, denn für die russische Afrikapolitik spielt der Sudan schon seit längerer Zeit eine wichtige Rolle. So trat Anfang Mai dieses Jahres eine Vereinbarung in Kraft, die noch vom gestützten Präsidenten al-Bashir ausgehandelt worden war: Russische Kriegsschiffe erhalten demnach die Erlaubnis, sudanesische Häfen zu benutzen. Damit ist Russland seinem Ziel, Marinestützpunkte in Afrika zu errichten, deutlich nähergekommen - mit der Nutzung sudanesischer Häfen positioniert sich Russland damit sogar in unmittelbarer Nähe des strategisch wichtigen Suezkanals.

Als ausdrückliches Ziel wird in der Vereinbarung ferner die Entwicklung einer umfangreichen militärischen Kooperation zwischen den beiden Ländern genannt, unter anderem auch der Erfahrungsaustausch über internationale Friedensmissionen im Rahmen der UNO. Zudem plant das russische Verteidigungsministerium im Sudan die Einrichtung eines Büros zur Ausbildung der sudanesischen Armee und von Personal, das von Russland gelieferte Waffen und militärische Ausrüstung benutzen und warten soll. Zugleich mit den Militärabkommen hat Russland auch eine Reihe von Verträgen zum Abbau von Rohstoffen im Sudan geschlossen. Insbesondere im Westen des Landes werden große Uranvorkommen vermutet. Zum Schutz sudanesischer Minen sollen dabei unter anderem auch Söldner des privaten russischen Militärunternehmens Wagner eingesetzt worden sein.

Die USA haben zwar eine "unabhängige und glaubwürdige" Untersuchung der Ereignisse vom 3. Juni gefordert, bisher aber keine konkreten Schritte in dieser Richtung unternommen. Trumps erratische Außenpolitik scheint im Augenblick vor allem auf eine Eindämmung des Iran zu zielen, und dieses Interesse teilt er mit Saudi-Arabien und den Golfstaaten, den Unterstützern der sudanesischen Militärregierung.

Generalstreik

Trotz massiver Repression und teils offener, teils verdeckter internationaler Unterstützung für das Militärregime geht die Revolution im Sudan weiter. Ein Generalstreik eine Woche nach dem Massaker vom 3. Juni wurde trotz der vom Regime verhängten Internetsperre massenhaft befolgt. Überall im Land finden auch weiterhin kleinere Demonstrationen statt. An der Ribat-Universität in Khartum organisierten Studenten aus Protest gegen vorgezogene Examensprüfungen am 22. Juli ein Sit-in auf dem Campus. Die Studenten forderten außerdem eine zivile Übergangsregierung.

Die Opposition hat für den 30.Juni weitere Massendemonstrationen angekündigt, nachdem die Militäjunta einen Vorschlag Äthiopiens für eine Übergangsregierung aus Militärs und Zivilisten abgelehnt hat. Das Datum hat symbolische Bedeutung, es ist der 30. Jahrestag des Staatsstreichs, der 1989 den ehemaligen Präsidenten Omar al-Bashir an die Macht brachte und die letzte gewählte Regierung des Sudan stürzte.

Offenbar spielen die Generäle nach der Zerschlagung des Sit-ins vor dem Gebäude des Oberkommandos jetzt auf Zeit, daher ist es entscheidend, dass der Druck der Straße wieder zunimmt. Ebenso wichtig ist die Organisierung internationaler Solidarität und Öffentlichkeit sowie eine Kampagne, die von den europäischen und anderen Regierungen fordert, ihre Zusammenarbeit mit dem sudanesischen Militärregime zu beenden. Schließlich wird es für die Protestbewegung im Sudan angesichts von massiver gewaltsamer Repression durch die Armee und paramilitärische Gruppen entscheidend sein, ob es ihr gelingt, einfache Soldaten dazu zu bewegen, sich der Revolution anzuschließen und sie zu verteidigen. Dass dies eine reale Möglichkeit ist, zeigen Berichte über Verhaftungen Dutzender von Soldaten, die sich geweigert haben, gegen die friedliche Belagerung des Oberkommandos gewaltsam vorzugehen.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 34. Jg., Juli/August 2019, S. 17
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2019

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