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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2529: Von Schlichtung bis Klassenjustiz - Tarifrunden werden nach und nach beendet


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 · Juni 2023
Klima | Klasse | Widerstand

Von Schlichtung bis Klassenjustiz
Tarifrunden werden nach und nach beendet

von Violetta Bock


Im öffentlichen Dienst ist die Tarifrunde für 2,5 Millionen Beschäftigte beendet. Knapp 66 Prozent der Mitglieder stimmten dem Tarifergebnis zu (2018 lag die Zustimmung bei über 80 Prozent). Nominell ist es das beste Tarifergebnis, das je erzielt wurde. In Zeiten der Inflation bedeutet es jedoch wegen einmalig 3000 Euro netto für den Inflationsausgleich und tabellenwirksamen Erhöhungen erst ab März 2024 einen Reallohnverlust. Mit der langen Laufzeit von 24 Monaten in instabilen Zeiten setzte sich die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände durch. Positiv ist, dass Mindestbeträge inzwischen immer öfter Eingang in die Ergebnisse finden.


Auf der Seite der Bahn

Streikbereitschaft und Streikfähigkeit wurden in den letzten Monaten deutlich unter Beweis gestellt. Dennoch ist ein Streik nie ein Spaziergang, sondern immer auch eine besondere Kraftanstrengung. Ob am Ende das Ergebnis besser ausfällt, ist am Anfang nicht absehbar. In NRW rechnete letztes Jahr wohl niemand damit, dass 77 Streiktage an den Unikliniken notwendig sein würden.

Ein längerer Streik ist jedoch auch immer eine Ausnahmesituation, die Organisierung auf einem ganz anderen Niveau ermöglicht, gerade weil mit dem Alltag gebrochen wird und manche Dynamik dann erst entstehen kann. Dass ein Drittel der Ver.di-Mitglieder dazu bereit war, ist klassenpolitisch ein gutes Zeichen.

Ob es bei der Bahn dazu kommt, ist noch offen. Das Unternehmen versucht, einen weiteren Streik der EVG mit Hilfe einer gerichtlichen einstweiligen Verfügung aufzuhalten. Der geplante 50stündige Warnstreik sei unverhältnismäßig und zum Schaden Dritter - gemeint sind damit nicht nur private Reisende sondern ebenso die Industrie und der Güterverkehr -, begründete die Bahn ihren Eilantrag.

Die Arbeitsrichterin riet zum Vergleich und stellte sich damit klar auf die Seite des Unternehmens. Aus ihrer Sicht wären die Voraussetzungen für Verhandlungen erfüllt. Konkret ging es darum, den Mindestlohn von 12 Euro als Basis für weitere Tariferhöhungen zu nehmen. Dies hat die Bahn nun vor Gericht zugesagt. Etwa 2000 Beschäftigte der Deutschen Bahn erhalten ihn bislang nur über Zulagen. Die EVG stimmte diesem Vergleich zu, weitere Verhandlungstage wurden angesetzt


EVG gibt sich kämpferisch

Es ist höchst bedenklich und ein Ausdruck von Klassenjustiz, dass die Bahn dem Angriff auf das Streikrecht durch die Richterin folgte, zumal in manchen Fällen der ökonomische Druck von Streiks über die Androhung von Schadensersatzansprüchen an die Gewerkschaften zurückgegeben wird. Die EVG verhandelt derzeit mit 50 Eisenbahn- und Verkehrsunternehmen über höhere Löhne. Die Hauptforderungen der EVG sind nach wie vor 12 Prozent mehr Lohn, mindestens 650 Euro mehr und eine Laufzeit von zwölf Monaten. Die DB möchte dagegen eine Laufzeit von 27 Monaten und tabellenwirksame Erhöhungen wie in anderen Tarifrunden durch Einmalzahlungen vermeiden.

Ob es in der Verhandlungsrunde Ende Mai zu einem Abschluss kommt, ist bei Redaktionsschluss noch nicht absehbar, Forderungen und Angebot der DB liegen bisher weit auseinander. Die Situation wird nicht einfacher, nachdem nun ein Tarifabschluss nach dem anderen erzielt wurde und dabei die Inflationsausgleichssonderzahlung immer ein wesentlicher Hebel war, um tabellenwirksame Erhöhungen um ein Jahr zu verschieben und die Laufzeit zu verlängern.

Im Unterschied zu den anderen Tarifrunden hat die EVG jedoch die GDL im Nacken, die ihre Forderungen für die Verhandlungen im Herbst noch nicht bekannt gegeben hat. Bislang hat die EVG in dieser Tarifrunde einen kämpferischen Kurs eingeschlagen, sowohl mit der Zusammenführung von Tarifrunden bei verschiedenen Eisenbahnunternehmen, der Zusammenarbeit mit Fridays for Future, als auch mit dem Megastreik zeitgleich mit Ver.di Ende März. Sie hat dadurch Mitglieder und Vertrauen gewonnen und die Sozialpartnerschaft beendet, wie es ein Kollege auf der Streikkonferenz auf den Punkt brachte. Nach den wirkungsvollen Warnstreiks - bei denen im Unterschied zu anderen Gewerkschaften kein Streikgeld gezahlt wird - wäre als nächstes eine Urabstimmung fällig.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 38. Jg., Juni 2023, S. 7
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 16. Juni 2023

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