SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 · Juli/August 2023
Klima | Klasse | Widerstand
"In der Klimafrage müssen die Gewerkschaften klassenbewusster
werden"
Gewerkschaften dürfen nicht nur Partikularinteressen vertreten
Gespräch mit Lisa Poettinger, die im Offenen Antikapitalistischen Klimatreffen München mitarbeitet. Die Fragen stellte Matthias Becker.
Ohne - oder sogar gegen - die Arbeiterklasse wird kein wirksamer Klimaschutz möglich sein. Ein wachsender Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung versucht, die soziale Frage und die ökologische Krise gemeinsam anzugehen - auch in München.
Deine Gruppe will Klimapolitik und Klassenkampf verbinden. Wie tut
ihr das?
Lisa Poettinger: Wir treffen uns seit etwa vier Jahren, weil wir eine antikapitalistische Analyse und eine Klassenperspektive in die Klimabewegung hineintragen wollen. Wir haben einen gewissen Zulauf aus der bürgerlichen Klimabewegung, z.B. von Fridays for Future. Viele haben den Eindruck, dass die bisherigen Methoden und Analysen keine Veränderungen bewirken - und einige kommen dann zu uns. Zuletzt haben wir uns an der bundesweiten Kampagne "Wir fahren zusammen" beteiligt, als Ver.di und Teile der Klimabewegung gemeinsam auf die Straße gegangen sind.
Ihr interveniert auch in lokale Konflikte - z.B., als vor zwei Jahren eine Fabrik von Bosch geschlossen werden sollte.
Das Werk stellte Kraftstoffpumpen und Einspritzventile für Pkw her. Die Produktion sollte an Standorte in Österreich und Tschechien verlagert und das Werk geschlossen werden. Wir haben zusammen mit Beschäftigten für den Erhalt des Werks und für eine ökologische Umstellung der Produktion gekämpft. Eine Idee war bspw., medizinische Geräte herzustellen.
Ein anderes Beispiel: BMW will einen neuen Autobahntunnel, um ein Werk im Norden der Stadt besser logistisch anzubinden. Das Unternehmen hat den Stadtrat mehr oder minder gezwungen, ein entsprechendes Planfeststellungsverfahren einzuleiten. Die neuen Straßen würden mitten durch ein armes Viertel und dessen Grünanlagen führen, mehrere Spielplätze würden wegfallen, eventuell sogar ein Kindergarten. Da prallt das Interesse der Bevölkerung auf das Interesse des Kapitals.
Dass wir zur Kooperation mit Lohnabhängigen und Gewerkschaften bereit sind, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Deswegen sind kürzlich Leute von einer Firma auf uns zugekommen, die Windkraftanlagen herstellt; das Werk soll geschlossen werden.
Bei der Auseinandersetzung um die Schließung des Bosch-Werks ist es euch gelungen, ein Bündnis von Lohnabhängigen und Klimaaktivsten zu schmieden. Ein nennenswerter Teil der Belegschaft wollte allerdings von eurem ökologischen Anliegen nichts wissen. Haltet ihr eure Intervention im nachhinein für erfolgreich?
70 Prozent der Belegschaft haben eine Petition mit dem Titel "Werk erhalten, Produktion umstellen" unterschrieben, wir sind gemeinsam auf die Straße gegangen. Sicher war das Argument "Klimaschutz" für viele Beschäftigte ein Mittel zum Zweck. Es ging ihnen in erster Linie darum, ihre Arbeitsplätze zu behalten. Aber durch einen gemeinsamen Kampf entstehen neue Kontakte und Beziehungen: Wir sprechen miteinander, lernen voneinander. Aus einem instrumentellen Verhältnis kann ein politisches werden.
Wir waren nicht erfolgreich, insofern wir weder die Konversion der Produktion noch den Erhalt des Werks durchgesetzt haben. Viele waren letztlich nicht so kämpferisch, wie sie sich anfangs geäußert haben. Sie haben die Abfindungen genommen und sind gegangen. Allerdings waren die Abfindungen durch den Kampf deutlich höher. Erfolgreich waren wir, weil wir gezeigt haben, dass gemeinsame Kämpfe möglich sind. Klimaschutz muss den Interessen der Beschäftigten nicht widersprechen.
Ich halte Kämpfe für Konversion für sinnvoll, um Alternativen aufzuzeigen. Die Arbeitenden im fossilen Sektor könnten theoretisch etwas sozialökologisch Verträgliches herstellen. Aber im Kapitalismus ist ihre Arbeit auch nach einer Konversion immer noch dem Profitstreben untergeordnet, selbst wenn es sich um Genossenschaften handelt. Letztendlich brauchen wir eine Gesamtstrategie, um den Kapitalismus zu überwinden. Die Konversion eines einzelnen Betriebs bringt wenig.
Als im Februar über das EU-weite Verbot von Verbrennungsmotoren diskutiert wurde, organisierte die IG Metall aus Protest Betriebsversammlungen. Martin Feder (Bosch, IGM Bamberg) sah "die Zukunft der industriellen Fertigung in Gefahr". Müssen die Gewerkschaften nicht viel stärker den Gebrauchswert der Arbeit in den Mittelpunkt stellen - auch mit konkreten Forderungen?
Es ist ein großes Problem, wenn Gewerkschaften nicht im Sinne des Klassenbewusstseins handeln, sondern Partikularinteressen bestimmter Beschäftigtengruppen vertreten. In der Klimafrage geht es darum, was uns als Klasse gut tut, nicht nur darum, wovon ein einzelner Beschäftigter profitiert. Und das ist eben nicht die Produktion von Luxusautos, sondern gesellschaftlich Nützliches und eben auch Klimaschutz. Unsere Klasse trifft die Klimakrise viel härter als die Kapitalist:innen, die sich Bunker bauen und vor den Folgen schützen können.
Ihr habt mittlerweile Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften gesammelt. Was hat gut funktioniert, was nicht?
Wichtig ist der direkte Austausch mit den Beschäftigten, nicht nur mit Funktionär:innen. Unsere Genoss:innen haben z.B. tagelang vor dem Bosch-Werk Flugblätter verteilt und den direkten Kontakt gesucht. Wir müssen etwas an der Basis aufbauen.
Während der Kampagne "Wir fahren zusammen" haben wir drei- bis viermal in der Woche an Bushaltestellen, U-Bahn-Haltestellen und vor den Brotzeithäuschen Flugblätter verteilt und Kontakte aufgebaut. Ein SPD-Funktionär wollte verhindern, dass wir an einer Pressekonferenz der Kampagne teilnehmen. Dagegen haben sich dann Ver.di-Vertrauensleute gewehrt, sodass wir letztlich dabei waren.
Einige Münchner Klimaaktivisten haben den ÖPNV-Streik unterstützt, indem sie Streikbrecher blockiert haben.
Es gab zwei Blockaden eines Betriebshofs, wo die Busse für den Münchner Osten losfahren. Dort wurden einerseits streikbrechende Kolleg:innen blockiert, zum andern die Fahrer:innen von Subunternehmen. Die Aktion wurde gemischt aufgenommen. Die organisierten Beschäftigten fanden die Aktion ziemlich gut, weil wir dadurch die Auswirkungen des Streiks verstärkt haben. Die Blockierten waren ziemlich unzufrieden, viele vermutlich aus Angst vor Repression und Jobverlust, gerade bei den Subunternehmen.
Was plant ihr als nächstes?
Wir werden uns an den Protesten gegen die Automesse IAA im September beteiligen - die größte Pkw-Werbeshow weltweit, wo neben ein paar Alibifahrrädern 550-PS-Karren ausgestellt werden. Wir brauchen eine überregionale Beteiligung, wir rechnen mit einem repressiven Vorgehen der Polizei, auch weil in Bayern Wahlkampfjahr ist. Außerdem haben die Razzien gegen die Letzte Generation gezeigt, dass Repressionen aus Bayern schnell in andere Bundesländer exportiert werden können.
Nächstes Jahr wird es dann wieder Verhandlungen und wahrscheinlich Streiks im ÖPNV geben. Ver.di verhandelt den Tarifvertrag öffentlicher Nahverkehr neu und will erreichen, dass es einen gemeinsamen Tarif für die kommunalen Verkehrsunternehmen gibt. Das werden wir unterstützen.
Wie siehst du die weitere Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften?
Wir haben bei dem Tarifkonflikt im Frühjahr erlebt, dass die Streik- und Konfliktbereitschaft groß war. Bei steigender Inflation und Wohnungsnot kommen wir mit Sozialpartnerschaft nicht weiter. Aber die Tradition der Sozialpartnerschaft, die von der Sozialdemokratie in den Gewerkschaften durchgesetzt wurde, ist ein großes Hindernis. Die entsprechenden Strukturen lassen sich nicht leicht aufbrechen. Nötig sind Zusammenarbeit und Intervention von außen, denke ich.
ÖPNV braucht Zukunft heißt das Bündnis aus Ver.di und Fridays
for Future, das am 3. März im Rahmen des Global Strike einen gemeinsamen
Aktionstag organisiert hat:
https://oepnvbrauchtzukunft.de/
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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 38. Jg., Juli/August 2023, S. 3
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 25. August 2023
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