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VORWÄRTS/1456: Keine Zeit zur Erholung - Kämpfende indigene Bauern*gemeinschaften in Guatemala


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 11/12 vom 4. April 2019

Keine Zeit zur Erholung

von Sabine Hunziker


Kämpfende indigene Bauern*gemeinschaften in Guatemala: in den letzten Jahren sind Aktivist*innen stärker in den Vordergrund gerückt, die sich für Frauen*rechte stark machen und so gegen Femizide protestieren. Ein Bericht von Lesbia Artola, Koordinatorin der Organisation Comité Campesino del Altiplano (CCDA) de la Verapaces.


Tannen stehen am Fusse des Berges und ein Stern steigt im Hintergrund in den Himmel auf. Über dieses Bild legt sich eine Machete, die hier wohl die Kraft des Protestes symbolisiert. Lesbia Artola, Koordinatorin der Organisation CCDA, hatte das Fahnentuch vor sich über die Tischplatte gelegt. Neugierig schaute sie zum Publikum hin, um dann mit ihrem Bericht anzufangen. Die Veranstaltung vom 19. März 2019 fand im Kirchgemeindehaus Paulus in Bern statt, organisiert hatte ihn unter anderem Peace Brigades International (PBI). Vorbereitet hatte die Aktivistin eine Präsentation mit Bildern, stellenweise musste sie aber mit Tränen kämpfen, als sie dem Publikum von den Kämpfen erzählte.

Auch über 20 Jahre nach dem "Bürgerkrieg" in Guatemala werden Verbrechen praktisch nie geahndet. Es herrscht Straflosigkeit vor, die immer neue Morde und Übergriffe bringt. Hier ist es schlichtweg eine Gefahr, zu einer bestimmten Ethnie zu gehören. Will man Übergriffe auf den Ämtern melden, dann werden indigene Aktivist*innen diskriminiert und am Schalter abgewiesen. Artola zeigte Fotos und Filmsequenzen, auf denen die Ernte der Bauern*gemeinschaften von Militärtruppen geräumt resp. vernichtet wird. Anfangs machte es den Eindruck, als würde eine "Hochsicherheitsaktion" von Seiten des Militärs laufen. Am Schluss weinte eine Bäuerin, die sich über die Häcksel der Pflanzen beugte. Die zuvor angepflanzten Kardamom-Stauden wären eine wichtige Einnahmequelle der Menschen gewesen. Das ganze Feld wurde abgeholzt. Es braucht zwei oder drei Jahre, bis geerntet werden kann. Ist die Ernte vernichtet, bleibt nur extreme Armut übrig. Die Menschen hier sind verbunden mit der Erde, es ist alles, was sie haben: das sagte Lesbia Artola. Kommt eine Räumung, wird dies oft erst kurz davor angekündigt. Gesetze, wie dabei vorzugehen ist, werden nicht angewendet. Grossunternehmen kommen und nehmen das Land für ihre Monokulturen. Grosse Unternehmen haben Macht.


37 Jahre Kampf

In Guatemala kämpfen indigene Bauern*gemeinschaften für Landrechte. In den letzten Jahren gab es keine Zeit zur Erholung, weil es immer mehr Angriffe auf die Aktivist*innen gegeben hat, die für Agrargerechtigkeit und Nachhaltigkeit unter anderem in Alta Verapaz kämpfen. Über 85 Jahre bebauen die "Ureinwohner*innen" als Bäuer*innen schon ihre Äcker und trotzdem werden sie jetzt aus ihrem Land vertrieben - auch mit Hilfe von Haftbefehlen. Dahinter stecken Unternehmen, die auf dem Boden Palmöl oder Zucker anbauen. Trotzdem gibt es Erfolge: Die Organisation CCDA ist im Land in 20 Landesteilen präsent. Es gibt eine Infrastruktur und man begleitet und berät über 300 Gemeinschaften. Das Comité Campesino del Altiplano koordiniert die Kämpfe und arbeitet mit der Bevölkerung zusammen.

Aktivist*in sein ist nicht einfach. Lesbia Artola erzählt von einer Kollegin, die zwei Jahre Gefängnis erhalten hat, weil sie ihr Land verteidigte. Orte, wo sie aufgewachsen sind und auch ihre Vorfahren gearbeitet haben. Was für Aktivist*innen der Gruppe gilt, wird für Leader*innen der Organisation CCDA vervielfacht: vor allem Personen in Schlüsselpositionen werden verfolgt, um damit den Kampf zu verhindern. Mit Hilfe der Kriminalisierung werden Leute aus der Gemeinschaft herausgenommen, isoliert und so versucht den Widerstand zu brechen. Es gibt viele politische Gefangene in Guatemala. Wer nicht schon inhaftiert ist, kann nicht mehr aus seiner Gemeinde raus, ohne verhaftet zu werden. So kommt es, dass bei den Kämpfen um Land auf ganze Familien Haftbefehle ausgestellt werden, inklusive Kinder. Ein wichtiger Grundsatz bei den Kämpfen ist, dass man mit zwar militanten aber auch mit friedlichen Mitteln kämpft. Bäuer*innen machten Strassensperren und haben so schon einige Male vorerst Erfolg bei Landräumungen gehabt. Das Prinzip der Masse gegen eine kleine Polizei- oder Armeeeinheit ist hier sinnvoll.


Frauen im Leadership

Seit mehr Frauen* als Leader*innen in den Kämpfen in Guatemala in Erscheinung treten, gibt es auch Attentate auf sie und sie werden vermehrt kriminalisiert, weil sie eben Leader*innen sind. Nicht zu vergessen ist, dass Guatemala eine der grössten Femizid-Raten der Welt hat. Exponiert sind auch Lesbia Astola und ihre Kollegin, und trotzdem machen sie weiter. Neben Repression vonseiten der Multis und der Regierung erleben Frauen, die Verantwortung in der Gemeinschaft Übernehmen, Sexismus von den eigenen Leuten. Die Bevölkerung in bestimmten Regionen ist sehr frauenfeindlich. Der "Machismo" ist da und Schritt für Schritt muss hier gegen Diskriminierung der Frauen angekämpft werden.

Heute ist es so, dass Frauen aber eine tragende Rolle übernehmen, doch dies wird noch nicht von allen akzeptiert. Dabei waren Frauen* schon immer Hauptakteurinnen in Landkämpfen, nun kämpfen sie neben der Landverteidigung auch um die Anerkennung dieser Tatsache und ihrer "Sichtbarkeit" in der Community. Im Fall der Organisation CCDA sind zwei Frauen an der Spitze und viele in mittleren Schlüsselpositionen zu finden. Neben dem Thema Landverteidigung beschäftigen sich Frauen* also auch mit ihrem Frau*sein in Verbindung mit dem Engagement gegen die Bedrohung von Umwelt und den Angriffen auf ihre Landrechte. Diskutiert wird viel und CCDA fördert Frauen mit Weiterbildungen zum Leader*innenship oder zu Themen rund um Weiblichkeit und Männlichkeit. Bei Frauen*treffen, bei denen Frauen* aus Widerstandsbewegungen zusammenkommen, wird auch über Feminismus gesprochen. Bei Diskussionen und Auseinandersetzungen im Kollektiv geht es oft auch um die Sorge um sich selbst im Kampf. "Man muss nicht alleine heilen, man heilt im Kollektiv", meinte Lesbia Artola. Während dem Alltag als Bäuerin und Mutter oder den Aktivitäten als Widerständige bleibt in der Hektik wenig Zeit für sich selber. Mehr noch sind die ständigen Bedrohungen kräfteraubend. Frauen* sind traumatisiert von tätlichen Übergriffen und Vergewaltigungen. Die Morde im Umfeld oder in den Familie brauchen sämtliche Kraftreserven auf.

Energie schöpfen in Glaube und Weltanschauung oder aus der Praxis mit Austausch von Tipps zu speziellen Pflanzen für Bäder oder Tees. Auch Artola hat schon einiges erlebt. Unter anderem wurde ihr die Schuld gegeben, dass Mitglieder der Organisation gestorben sind. Sie gibt aber nicht auf, sondern ist und bleibt immer da, wo es gefährlich ist und die Leader*innen verlässt ihre kämpfenden Kolleg*innen nicht. Es wird einem nichts geschenkt, doch Erfolge haben sich auch eingestellt. Früher hörte man im Dorf auf alte Männer, heute hört man auch die Meinung der Frauen* an. Jeder Tag bleibt eine Herausforderung, so schloss Lesbia Artola ihre Erzählung unter Beifall des Publikums.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 11/12/2019 - 75. Jahrgang - 4. April 2019, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2019

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