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VORWÄRTS/1479: Anjuska Weil - "Frieden hat eine Zwillingsschwester, die Gerechtigkeit"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 19/20 vom 14. Juni 2019

"Frieden hat eine Zwillingsschwester, die Gerechtigkeit"

Interview mit Anjuska Weil von Damian Bugmann


Anjuska Weil gefällt das breite Spektrum der teilnehmenden Frauen* und ihr Engagement für einen eindrücklichen Streik. Die erfahrene Politaktivistin, PdA-Genossin und frühere Zürcher Kantonsrätin freut sich darauf, am Frauen*streik viele altbekannte Gesichter von Weggefährt*innen wieder zu sehen und viele neue Begegnungen zu machen.


vorwärts: Welches sind deine wichtigsten Anliegen als Frau und als Kommunistin?

Anjuska Weil: Das Wichtigste für mich ist Frieden. Doch wir leben in einer Welt, in der ständig irgendwo Krieg ist, Menschen für Interessen, die nicht die ihren sind, geschunden und getötet werden. Manche der Kriege werden international erst gar nicht mehr wahrgenommen. Krieg als Fortsetzung von Politik mit militärischen Mitteln zu überwinden, ist die vorrangigste Aufgabe. Dafür engagieren sich Frauen* rund um den Erdball immer wieder, meist nicht in klimatisierten Konferenzsälen, sondern mit Grenzen überschreitenden Friedensmärschen, in mutigen Aktionen zivilen Ungehorsams, hartnäckig und über lange Zeit. Doch Frieden ist mehr als Abwesenheit von Krieg. Frieden hat eine Zwillingsschwester, die Gerechtigkeit. Sie gebietet, die Ausbeutung der Menschen und der Natur rund um den Globus, jedoch insbesondere im globalen Süden, endlich zu beenden. Sie verlangt, dass jeder Mensch nach seinen Bedürfnissen leben, nach seinen Möglichkeiten zum Wohle aller beitragen kann. Doch davon sind wir in der heutigen Welt weit entfernt. Während die UNO schwächelt, erstarkt der militär-industrielle Komplex. Eine erschreckende Aufrüstungsrunde verschlingt gewaltige Ressourcen, die dringend für anderes, unter anderem die so (über-)lebenswichtigen Massnahmen gegen die Klimaerwärmung, gebraucht würden. Derweil setzen der Obermacho im Weissen Haus, aber auch andere Potentaten, unverhohlen auf Waffengewalt. Das können wir nicht einfach hinnehmen. Übrigens: Schon im Parteiprogramm der PdA von 1991 wird festgehalten: "Die Demokratie verträgt keine Inseln unkontrollierter, autoritärer, männlicher Herrschaft."


vorwärts: Was sensibilisierte dich für feministische Fragen und in welchem Jahr war das?

Anjuska Weil: 1971 entschieden die Schweizer Männer* nach einem langen Kampf von Frauen*organisationen uns endlich das Stimmrecht zu gewähren. 1973 konnten Frauen* erstmals in den Nationalrat gewählt werden. Ich war damals 27, lebte in St. Gallen. Im gleichen Jahr wurde die Schweizerische Vereinigung für Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs gegründet. Im St. Galler Komitee engagierte ich mich für dieses Anliegen, war dort die einzige verheiratete Frau mit zwei Kindern. Das erregte öffentlichen Anstoss. 1974 war ich meine Stelle im Kindergarten der heilpädagogischen Schule los. Dies einerseits wegen des Engagements für die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs, aber auch, weil ich gleichzeitig für die erste Initiative für ein Waffenausfuhrverbot warb. Ich konnte sogar die Religionslehrerin der Schule davon überzeugen, dass Waffen zu exportieren unchristlich sei. Das war dem Schulleiter zu viel. So ging ich denn am Morgen jeweils in der Backstube einer renommierten Bäckerei arbeiten, für 4.65 Franken in der Stunde. Zugegeben, das ist lange her, aber viel war das schon damals nicht. Ich habe nachgeschaut, teuerungsbereinigt auf heute umgerechnet sind es rund 10 Franken. Der Junior-Chef stolzierte jeweils in der Offiziersuniform durch die Backstube und erteilte Befehle, oft in harschem Ton. Meine erste 1.-Mai-Rede hielt ich keine hundert Meter von dieser Bäckerei entfernt. Als ich am nächsten Tag mit mulmigem Gefühl wieder am Arbeitsplatz erschien, meinte ein Kollege, der italienische Bäcker, augenzwinkernd, er sei stolz, Salvatore zu heissen. Ich verstand die versteckte Botschaft der Solidarisierung. Der Hoffnungsträger Salvador Allende war im September 1973 im blutigen Putsch der chilenischen Generäle gestürzt worden.


vorwärts: Wie erlebtest du die männerdominierten Gremien in der Partei und im Kantonsrat?

Anjuska Weil: Ich kannte nichts anderes. Als ich in St. Gallen erstmals an einer PdA-Versammlung im Sääli einer Beiz teilnahm, sassen dort - nebst dem jungen Genossen, der mich mitgenommen hatte - Männer* mittleren Alters, die meisten Arbeiter. Sie begrüssten mich freundlich, aber etwas verunsichert. Einer schubste seinen Tischnachbarn diskret mit dem Ellbogen und flüsterte ihm zu. "Jetzt müssen wir uns benehmen und darauf achten, wie wir reden, nicht dass die junge Frau gleich wieder geht." Christiane Jacquet aus Lausanne und ich waren 1983 die beiden ersten Frauen in der Parteileitung der PdAS, die damals Politisches Bureau hiess. Das Frauen*thema kam Anfang der 90er-Jahre in Schwung. Auf das Parteiprogramm folgten neue Statuten, die eine Geschlechterquote für alle Gremien vorsahen. 1990 wurde die Volksinitiative "Frauen* gehören in jedes Haus" mit der Forderung nach Frauen*quoten in allen Rathäusern lanciert. Leider erreichte sie die nötige Unterschriftenzahl nicht.

Im Zürcher Kantonsrat machte mir vor allem die "Wand der grauen Herren" aus zahlreichen SVP-Kantonsräten und Vertretern von anderen bürgerlichen Parteien Mühe. Anliegen, die mir wichtig waren, schmetterten sie Montag für Montag ab. Sie brauchten nicht klug zu argumentieren, sie hatten die Macht der Mehrheit. Ein einziges Mal unterstützte ich einen SVP-Vorstoss: Als die Bauernvertreter postulierten, die Pausenmilch in der Schule sollte wieder eingeführt werden, verlangte ich das Wort und hielt fest, dass dies für viele Arbeiterkinder in Zürich ein willkommenes Angebot wäre. Und ich fügte hinzu: "Allerdings, ihr Herren auf der gegenüber liegenden Ratsseite, diese Milch würde dann von vielen Migrantenkindern getrunken, jenen, die Sie eigentlich gar nicht hier haben wollen. Doch das ist Ihr Dilemma, nicht meines." Während der Nato-Intervention im zerfallenden Jugoslawien, insbesondere des Bosnienkriegs, gelang es mir, Frauen* aus fast allen Fraktionen zu gewinnen, um sich in der Ratspause mit bosnischen Müttern zu treffen. Dies war ein Beitrag im Kampf für deren Bleiberecht, das auf der Kippe stand.


vorwärts: In welchem jeweiligen Zeitgeist stehen die Frauenstreiks 1991 und 2019?

Anjuska Weil: 1991 war die Neue Frauen*bewegung, welche aus der 68er-Bewegung hervorgegangen war, stark, bunt und vielfältig. In Zürich zum Beispiel gab es neben den traditionellen Frauenorganisationen die Frauenbefreiungsbewegung FBB, den Weiberrat, das Frauenzentrum mit dem Frauenambulatorium, die lesbischen Frauen versteckten sich nicht mehr, traten selbstbewusst an die Öffentlichkeit, das Radio LoRa hatte schon damals sein Frauen*programm mit dem Titel "Die Hälfte des Äthers". Frauen Macht Politik!, die FraP!, machte ihre ersten Schritte in Gemeinde- und Kantonsrat - und damit sind nur ein paar der vielen Frauen*initiativen genannt. Der Frauen*streik mit dem kämpferischen Motto "Wenn Frau will, steht alles still" war ein fröhlich-entschlossener Aufbruch, der viele Frauen* und Männer* aufrüttelte. Er stellte überkommene Rollenbilder der Frau* lebhaft, immer wieder auch kreativ und humorvoll, in Frage. Die Lohngleichheit war natürlich schon damals ein Thema, jedoch eines unter mehreren. Der Frauen*streik 1991 war ein Ereignis, das lange nachhallte. Auch der Frauen*streik 2019 wird von einer breiten Koalition von Frauen*organisationen getragen, doch anders als 1991 sind besonders die Gewerkschaftsfrauen eine treibende Kraft. Auch dieser Frauen*streik soll vielfältig, bunt und kämpferisch werden. Doch wird auch er ein Schweiz weites Fest von Frauen*power? Ich hoffe es. Ganz besonders hoffe ich, dass die so alte Forderung der Lohngleichheit endlich den nötigen Widerhall findet.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 19/20 - 75. Jahrgang - 14. Juni 2019, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2019

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