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VORWÄRTS/1480: Die Zeit der Frauen* ist wertvoll!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 19/20 vom 14. Juni 2019

Die Zeit der Frauen* ist wertvoll!

von Sabine Hunziker


Die Zeit der Frauen* ist mehr wert, so lautet der Konsens am 13. SGB-Frauen*kongress im Januar 2018. Nicht nur eine der Weichen für den Frauenstreik 2019 wurde hier gelegt, sondern auch Problempunkte der Frau* im Spannungsfeld zwischen Markt und Familie analysiert. Rückschau und Ausblick.


Es wäre falsch zu sagen, dass die Initiative für den Frauen*streik vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund ausging. Doch am 13. SGB-Frauenkongress 2018 wurden für Streikaktionen zu diesem Thema Weichen gestellt. Im Dossier, dass anlässlich des Kongresses gedruckt wurde, findet sich eine genaue Analyse der Problematik rund um die verzögerte Gleichstellung zwischen Frau* und Mann*. Allerdings wird hier vor allem der Bereich Arbeit beleuchtet und Aspekte der systematischen Benachteiligung von Menschen in ihren Lebenssituationen werden weitgehend ausgeklammert. Wertvoll sind aber die Darstellungen zum Verfassungsgrundsatz "gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit" für Männer* und Frauen* und ihre Folgen in der Praxis hier in der Schweiz. Organisationen wie Gewerkschaften stellen konkrete Forderungen und bringen damit Prozesse der Veränderung in Gang.

Seit 38 Jahren ist in der Schweiz "gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit" für Frauen* und Männer* in der Verfassung verankert. Ohne dass Berufsanforderung oder Ausbildung dies erklären können, verdienen Frauen* im Schnitt immer noch gut sieben Prozent weniger als Männer. Auf das ganze Jahr gerechnet, macht diese Lohneinbusse Milliarden Franken aus, die in Form von Lohndiskriminierung Frauen* betreffen. Im Dossier des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes zum SGB-Frauenkongress mit dem Titel "Unsere Zeit ist mehr wert!" finden sich zu dieser "Nicht-Umsetzung" des Verfassungsartikels eine Reihe von Auflistungen von Forderungen mit dazugehörigen Erklärungen.


Massnahmenkatalog

"Es scheint, als wäre die Zeit der Frauen weniger wert als die Zeit der Männer", so beginnt die Einleitung der Publikation. Der Arbeit von Frauen* wird gesellschaftlich und wirtschaftlich weniger Wert zugestanden. Frauen* arbeiten mehr unbezahlt als Männer* und wenn sie gegen Bezahlung arbeiten, verdienen sie viel weniger als Männer*. Dies hat Folgen für ihre finanzielle Sicherheit bereits während dem Erwerbs- und Arbeitsleben wie auch im Pensionsalter. Neben der unbezahlten Care-Arbeit, die Wirtschaft wie Gesellschaft am Laufen hält, sind Frauen* in Teilzeit-Pensen tätig, in denen oft schlechte Arbeitsbedingungen vorherrschen und die sich im Niedriglohnbereich befinden. Typische Frauen*berufe müssen aufgewertet werden, Mindestlöhne in allen Branchen durchgesetzt, unbezahlte (Care-)Arbeit als Arbeitserfahrung anerkannt und Lohngleichheit sofort durchgesetzt werden.

Doch das ist noch nicht alles. Damit Frauen* nicht ungewollt in die "Teilzeitfalle" kommen, müssen die Kantone Infrastrukturen verbessern. Bezahlte Elternzeit scheint hierzulande noch unmöglich zu sein und es fehlt an Kinderbetreuung und Tagesschulen. Der Arbeitskampf richtet sich auch gegen sog. "Arbeitgeber*innen", welche die Arbeit immer mehr flexibilisieren wollen und so unsichere Arbeitsverhältnisse schaffen. In diesem Fall sind vor allem auch Mütter in einer schwierigen Situation da sie sich aufgrund von Verpflichtungen gegenüber der Familie flexible Arbeit in Form von unterschiedlichen Arbeits- oder fix vorgegebenen Urlaubszeiten nicht leisten können. Befristete Arbeitsverträge, Arbeit im Stundenlohn oder auf Abruf in Tieflohnbranchen generieren ungesunde und prekäre Arbeitsverhältnisse.


Nulltoleranz gegenüber Sexismus und sexueller Belästigung

Frauen* sind Manövriermasse und billige Arbeitskräfte zugleich und aufgrund ihrer Situation den sog. Arbeitgeber*innen oft ausgeliefert. Hier sind steuerfinanzierte Kinderbetreuung, Arbeitsplatzgarantie sowie das Recht auf vorübergehende Reduktion der Arbeitszeit aufgrund Betreuungspflichten, das Recht auf Weiterbildung und damit verbundenen Aufstiegschancen oder Anerkennung ausserberuflicher Qualifikationen wichtig. Zudem sind leider auch heute Sexismus und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nicht verschwunden. Unter #meToo haben viele Frauen* ihre Erlebnisse öffentlich gemacht. Damit wurde sichtbar, was eigentlich schon lange bekannt war: Ein grosser Teil aller Frauen* hat bereits Belästigung erfahren oder sexuelle Gewalt erlebt. Noch immer ist es schwer für Arbeitende, sexuelle Belästigung und alltäglichen Sexismus anzuzeigen, die am Arbeitsplatz stattfinden. Unternehmen sind häufig undemokratische und autoritäre Welten, wo das Gesetz der Angst und des Schweigens herrscht. Hier müssen Gewerkschaften besser hinschauen und zu diesem Bereich Unternehmen in die Pflicht nehmen und Belästigung aktiv bekämpfen. Sogenannte "Arbeitgeber*innen" sind verpflichtet, die Gesundheit aller Mitarbeitenden zu schützen. Dazu gehört auch, einen gewaltfreien und belästigungsfreien Arbeitsplatz zu schaffen. Einerseits muss das Führungspersonal diese Kultur aktiv vorleben und andererseits das Personal aktiv dazu geschult und sensibilisiert werden. Es braucht im Betrieb Ansprechpersonen, die bei Fragen kontaktiert werden können. Zwar verbietet das heutige Gleichstellungsgesetz Belästigung, doch seine Bestimmungen sind ungenügend und zugleich werden sie schlecht angewendet.


Grosse Mobilisierung für die Gleichstellung

Am 14. Juni 1981 wurde per Volksabstimmung der Grundsatz "Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit" in die Verfassung geschrieben. Zehn Jahre später war der Artikel noch nicht befriedigend umgesetzt. So folgte am 14. Juni 1991 der Frauenstreik, wo Frauen* einen Streiktag durchführten, um unter anderem Lohngleichheit und Umverteilung der Arbeit zu fordern. Unerwartet gross war hier die Mobilisierung, so dass Druck entstand. 1995 wurde das Gleichstellungsgesetz angenommen. Weil aber die Verantwortung, die Lohndiskriminierung geltend zu machen, bei den Lohnempfänger*innen liegt, hat sich nur wenig verändert. Denn Arbeitgeber*innen haben scheinbar keine Verpflichtung, Lohngleichheit umzusetzen. So liegt auch Jahre später der durchschnittliche Lohn der Frauen* unter dem der Männer*. Zusätzlich erhalten Frauen* weniger Rente als Männer*.

Am SGB-Frauenkongress wurde der Beschluss gefällt, für die Respektierung des Verfassungsgesetzes zu kämpfen. Es wird zu einem neuen Frauen*streik kommen, der am 14. Juni 2019 zusammen mit Arbeiter*innen stattfindet. Der Streik wird sich u.a. auf alle Formen der bezahlten und unbezahlten Arbeit beziehen, auf Arbeitsteilung, auf Sexismus am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft. Mit einer Resolution fordert der SGB-Frauenkongress das Parlament auf, den Willen des Stimmvolkes zu respektieren und Lohngleichheit durchzusetzen. Unter anderem muss der Bund die Einhaltung des Gleichstellungsgesetzes überprüfen und laufend kontrollieren. Unternehmen, die ihre Löhne nicht korrekt analysieren oder Frauen* bei Löhnen diskriminieren, sollen sanktioniert werden.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 19/20 - 75. Jahrgang - 14. Juni 2019, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2019

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