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VORWÄRTS/1500: Bis der letzte Käfig leer ist!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 25/26 vom 23. August 2019

Bis der letzte Käfig leer ist!

vom TIF-Kollektiv


Kraftvoll, bestimmt und friedlich: Am 29. Juni 2019 demonstrierten rund 400 Aktivist*innen für die Abschaffung der Nutztierhaltung. Erstmals gab es vor der Demo einen Tierrechtsmarkt mit Infoständen zur Massentierhaltung oder Merchandise zur Finanzierung von Kampagnen.

Es bleibt eine Herausforderung, die Schweizer Tierrechtsbewegung zu mobilisieren. Trotz der boomenden veganen Bewegung wachsen die schweizweiten Demos bisher nur in der Zahl, nicht jedoch in der Grösse. Die Gründe dafür sind vielfältig: manchen sind die Demos zu «radikal», anderen zu laut oder wiederum anderen zu wenig effektiv. Dies obwohl der Strassenprotest zu den wichtigsten Methoden jeder sozialen Bewegung gehört. Um mehr Leute ansprechen zu können, wurde diesmal ein Tierrechtsmarkt organisiert. Die Stände von beispielsweise Zürich Animal Save, Das Tier und Wir, Falafel Fun, Grüner Gaumen, Animal Rights Marc sowie der Tierrechtsorganisation Tier im Fokus (TIF) boten kritische Infos zur Schweizer Nutztierhaltung oder veganen Food und Drinks an.

Um 13 Uhr füllte sich langsam der Waisenhausplatz in Bern und die Demo begann. Organisatorin der Demo war die TIF. Der Umzug führte quer durch die Altstadt bis zum Rathausplatz und wieder zurück. Auf dem Rückweg passierten die Teilnehmer*innen Kramgasse und Kornhausplatz, wo besonders viele Passant*innen erreichten wurden.

Bei den grösseren TIF-Events arbeitet zudem ein sogenanntes Awareness-Team (awareness bedeutet Aufmerksamkeit, Gewahrsein) mit. Es begleitet den Event still und schreitet ein bei Diskriminierung. Das Ziel ist ein gutes Erlebnis für alle - für alle Menschen und auch Tiere. Idealerweise muss das Awareness-Team nicht einschreiten, so auch an der diesjährigen Demo nicht.

Nutztierhaltung und Klima

Dieses Jahr war neben der Abschaffung der Nutztierhaltung auch das Klima Thema. Denn mit der Nutztierhaltung bleibt nach wie vor eine der wichtigsten Ursachen für den Klimawandel ausgeklammert. Dabei plädieren unterdessen auch eine Studie von Agroscope und eine Empfehlung des Bundesamt für Umwelt im Rahmen der Totalrevision des CO2-Gesetzes für die Reduktion der landwirtschaftlichen Tierhaltung, um den Treibhausgasausstoss zu senken. Wie gross der Handlungsbedarf ist, zeigt ein Bericht des Bundesrates zum Postulat Bertschy (GLP): Kein einziges Umweltziel der Landwirtschaft wurde erreicht. Restlos ausverkauft war indes die Afterparty nach der Demo.

Im sympathischen Warmbächli frönten die Aktivist*innen zuerst dem herzhaften Dessert-Buffet. Im Anschluss führte der bekannte Schweizer Tierethiker Markus Wild in seinem ernsthaften, und doch auch humorvollem Referat einen neuen Begriff ein: Animal Mainstreaming. Er bezweckt, dass die Bedürfnisse von Tieren in allen Belangen des öffentlichen Lebens und der politischen Entscheidungen berücksichtigt werden. Bis Tierrechte Mainstream werden, dauert es noch. Der Kampf geht weiter. Auf der Strasse, zu Hause oder auf Social Media. Bis der letzte Käfig leer ist.

Keine Massentierhaltung

Wie bereits erwähnt, wurde die Demo am 29. Juni von TIF organisiert. Der Verein kümmert sich um ehemalige Nutztiere und setzt sich mit Hilfe von Aufklärung und Information für die Rechte der Tiere ein. Im Zentrum dieser Arbeit stehen ethnische, ökologische, politische und gesundheitliche Aspekte im Umgang mit Tieren. TIF unterstützt auch die Initiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz (Massentierhaltungsinitiative)», die am 12. Juni 2018 lanciert wurde. Die Massentierhaltung treibt die Klimaerwärmung voran, verschärft Welthunger und Wasserknappheit, verursacht Antibiotikaresistenzen und verletzt den Verfassungsgrundsatz des Tierschutzes. Ein Bündnis aus zahlreichen Tier- und Umweltorganisationen, darunter TIF, brachte jüngst die nötigen 100000 Unterschriften zusammen. Initiant der Initiative ist der Verein Sentience Politics.

In einem Kurzgespräch für den vorwärts geht ein Aktivist auf die Tierquälerei in der Schweiz ein, blickt auf die Demo zurück und spricht über die Zukunft.

Warum sind die Fälle rund um die Tierquälerei in der Schweiz gestiegen?

Wir beobachten eine gesellschaftliche Veränderung, die dem Tierwohl einen immer grösseren Stellenwert zuordnet. Diese Veränderung umfasst sowohl die Bevölkerung als auch die Institutionen. Die Bevölkerung schaut immer genauer hin bei der Tierhaltung und informiert bei Missständen die Behörden. Die Behörden und die Justiz ihrerseits bestrafen die Tierhaltenden öfters und härter als früher. Der moralische Status von Tieren in unserer Gesellschaft ist in den letzten Jahren gestiegen - und das dürfte sich so fortsetzen.

Ein kurzer Kommentar zur Demo in Bern?

Aktivist*innen aus der ganzen Schweiz kamen nach Bern, um für die Abschaffung der Nutztierhaltung zu protestieren. Die Demo war energisch und friedlich. Neben diversen Reden fanden auch aufsehenerregende Strassenaktionen statt. Trotz einer wachsenden veganen Bewegung ist es uns mit rund 400 Teilnehmenden nicht gelungen, die Grösse der Demo zu halten. In vergangenen Jahren waren wir jeweils 500 bis 700 Leute auf der Strasse. Die Gründe dafür sind vielfältig. Wer Veganismus als Lifestyle versteht, dem sind Demos zu radikal. Anderen wiederum sind Demos zu wenig effektiv.

Was sind nächste Pläne für politische Aktionen?

Wir haben soeben dazu beigetragen, dass die nationale Volksinitiative gegen Massentierhaltung zustande kommt. Sie wird im September eingereicht. Zudem werten wir gerade unsere Vegan-Umfrage 2019 aus. Erstmals überhaupt haben wir umfassend dokumentiert, wie die Veganer*innen ticken. Ziel ist eine Bewegungsanalyse, die wir im Spätsommer veröffentlichen werden. Demnächst stehen wir zudem wieder auf der Strasse: ausgerüstet mit Tablets und Laptops stellen wir uns in einem Kreis auf und zeigen den Passant*innen die schockierende Realität in der Schweizer Tierindustrie.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 25/26 - 75. Jahrgang - 23. August 2019, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2019

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