Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


VORWÄRTS/1583: Kaffeekrise durch Klimawandel


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 13/14 vom 24. April 2020

Kaffeekrise durch Klimawandel

von Andreas Boueke


Kaffeeröster*innen weltweit schätzen die Qualität des guatemaltekischen Hochlandkaffees. Doch in vielen Regionen Guatemalas könnte es bald vorbei sein mit dem Kaffeeanbau. Vor allem Tagelöhner*innen sowie Kleinanbauer*innen leiden unter niedrigen Weltmarktpreisen und den Konsequenzen des Klimawandels.


Bald wird er siebzig Jahre alt sein. Doch auf einen gesicherten Lebensabend kann sich der guatemaltekische Tagelöhner Sixto Pérez nicht freuen. Im Gegenteil, der dürre Mann hat Sorgen, existentielle Sorgen. Er weiss nicht, ob er und seine Familie in den kommenden Tagen ausreichend essen können. Längst kennt er das Gefühl anhaltenden Hungers. Doch noch vor wenigen Jahren konnte er sich nicht vorstellen, dass es soweit kommen würde. Damals hat er noch ordentlich verdient, denn er besass ein kleines Grundstück mit über tausend Kaffeepflanzen. "Ich bin inmitten von Kaffeepflanzungen aufgewachsen", erzählt er. "Früher gab es keinen chemischen Dünger. Der Kaffee wuchs mit der Kraft der Erde, guter Kaffee. Aber dann kamen die Krankheiten und wir mussten Pestizide sprühen. Alles hat sich verändert, vor allem das Wetter. Manchmal regnet es überhaupt nicht mehr. In diesem Jahr gab es nur zwei Gewitterregen und ein paar Nieselregen. Die haben nicht einmal den Boden nass gemacht."


Extremer Preiszerfall

Sixto Pérez ist in Santa Rosa aufgewachsen. In dieser südlichen Provinz des mittelamerikanischen Landes Guatemala wurden jahrzehntelang über zwanzig Prozent der nationalen Produktion wertvollen Hochlandkaffees geerntet. Der alte Mann hat spät geheiratet. Seine fast dreissig Jahre jüngere Frau Angela brachte drei Töchter zur Welt. Sie kann ihre Enttäuschung nicht verbergen: "Als wir geheiratet haben, war der Kaffeepreis noch gut und die Pflanzen hatten nicht diese furchtbaren Krankheiten. Seither ging es immer nur bergab. Jetzt können wir uns nichts mehr kaufen. Es gibt kein Geld. Wir essen nur noch schwarze Bohnen."

Die allermeisten der 270.000 Hektar Land, auf denen heute in Guatemala Kaffee angebaut wird, sind vom Kaffeerost befallen. Dieser Pilz überdauert Trockenperioden und kann sich durch kurze Regenschauer schnell auf weitere Pflanzen ausbreiten. Deshalb ist ein grosser Teil der Kaffeekirschen auf den Feldern von Santa Rosa klein und schrumpelig. Zwar finden auch deren Kaffeebohnen Käufer*innen auf dem nationalen Markt, aber der Preis liegt nicht einmal bei einem Zehntel dessen, was die schönen roten Kirschen kosten, die den Anforderungen des internationalen Marktes für Qualitätskaffee entsprechen.


Ökohysteriker?

Die Geschichte des Kaffeeexports aus Santa Rosa begann vor 120 Jahren mit einer Landnahme der Familie Lehnhoff. Die deutschen Einwanderer gründeten die erste grosse Kaffeefinca in dem Gebiet des indigenen Volkes der Xinca. Seitdem hat der Export der braunen Bohnen mehreren Generationen ein gutes Auskommen gesichert. Auch der junge Rechtsanwalt Quelvin Jiménez hat einige Hektar Land geerbt. Vor allem aber widmet er sich seiner Arbeit für eine Umweltschutzkommission in Santa Rosa. "Früher konnten Familien mit nur einem Hektar Land genug verdienen, um gut zu leben und ihre Kinder zur Schule zu schicken. Sie konnten hundert, zweihundert oder gar dreihundert Säcke Kaffee ernten. Heute füllen sie womöglich nicht mal mehr fünf Säcke. Die Leute haben nicht genug Geld, um ihre Pflanzungen angemessen zu pflegen und ihren Familien menschenwürdige Lebensbedingungen zu bieten."

Quelvin Jiménez meint, der Temperaturanstieg in Santa Rosa sei definitiv eine Konsequenz des Klimawandels: "In den Höhenlagen gab es früher nie solche Hitze. Heute wird es auf 1200 Metern genauso heiss wie auf 100 Metern über dem Meeresspiegel. Der Kaffeerost hat sich ausgebreitet, weil der Pilz überall auf günstige Bedingungen trifft. Darauf waren wir überhaupt nicht vorbereitet."

In dem Temperaturanstieg sieht der Umweltaktivist ein Menschenrechtsthema, weil die Überlebensgrundlage von Menschen wie Doña Angela und Don Sixto zerstört wird. Quelvin Jiménez ist wütend, dass einige mächtige Politiker*innen diesen Zusammenhang abstreiten. "Sie nennen uns Ökohysteriker, weil wir über den Klimawandel sprechen. Wir fordern, dass alle Länder verantwortungsvoll handeln. Die Wirtschaft leidet und viele Leute sind gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Schuld daran ist der Klimawandel."


Kranke Pflanzen

Don Sixto steht auf einem Kaffeefeld, dessen Pflanzen nicht besonders frisch aussehen. "Als der Kaffeerost vor etwa zehn Jahren in diese Region kam, begann die grosse Krise der Kaffeebauern", erklärt er. "Der Pilz hat viele Pflanzen zerstört. Früher besass ich einen Hektar Land, auf dem ich hundertfünfzig Säcke Kaffee ernten konnte. Heute pflücke ich auf solchen Feldern nur noch vier oder fünf Säcke. Auch viele der grossen Landbesitzer*innen haben aufgehört, sich um ihre Pflanzungen zu kümmern."


Angst vor der Zukunft

Don Sixto musste sein Grundstück verkaufen. Heute arbeitet er als Tagelöhner, zusammen mit seiner Frau. Auf den Feldern ihrer Nachbarn pflücken die beiden Kirschen von zweieinhalb Meter hohen Pflanzen, deren grüne Blätter gelbe Flecken haben und Löcher mit braunen Rändern, Symptome des Kaffeerosts. Ab und zu bläst eine heftige Böe hellen Staub in ihre sonnengegerbten Gesichter. Doña Angela weiss, dass ihr Mann nur noch wenige Jahre lang wird arbeiten können - wenn überhaupt. Solche Gedanken an die Zukunft machen ihr Angst. "Ich frage ihn: 'Was wird werden, wenn du nicht mehr arbeiten kannst und wir beide alt sind?' Noch geht es. Jeder von uns kann etwa verdienen."


Schuld sind die Mächtigen

Wenige hundert Meter von dem Feld entfernt, auf dem Don Sixto und seine Frau Angela Kaffee ernten, steht eine kleine Kirche. Das bunt bemalte Holzgebäude ist umgeben von Kaffeefeldern und ein paar Häusern mit Wänden aus Lehmblöcken und Dächern aus rostigen Wellblechplatten. Einer der Laienprediger der Gemeinde heisst Tereso Ramos, ein resoluter Kleinbauer mit sonorer Stimme. Er ahnt nicht, dass Kaffee längst zu einem Spekulationsobjekt geworden ist. Der Weltmarktpreis hat nichts mehr mit den Produktionskosten zu tun. In Zeiten niedriger Zinsen investieren immer mehr Anleger*innen in Rohstoffe wie Kaffee. Sie spekulieren auf steigende oder fallende Preise. Wenn viel geerntet wird, sinkt der Preis. Manchmal sind die Profite einiger weniger Börsenhändler*innen höher als der gesamte Verdienst aller Kaffeebauern* der Welt. "Wir Bauern verdienen am wenigsten, obwohl wir das Produkt am besten kennen", klagt Tereso Ramos. "Wir müssen uns dem Preisdiktat der Reichen unterwerfen. Die Landbesitzer*innen können ihren Arbeitern auch nicht mehr zahlen. Sie bekommen ja selber keinen gerechten Preis. Schuld an diesem Unrecht sind die Mächtigen."

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 13/14 - 76. Jahrgang - 24. April 2020, S. 12
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: vorwärts, Postfach 8230, 8036 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2020

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang