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Z/140: Die Pariser Kommune 1871


Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 85 - März 2011

Die Pariser Kommune 1871

Von Marga Beyer


"In Erwägung unsrer Schwächen machtet
Ihr Gesetze, die uns knechten solln.
Die Gesetze seien künftig nicht beachtet
In Erwägung, dass wir nicht mehr Knecht sein wolln.
In Erwägung, dass ihr uns dann eben
Mit Gewehren und Kanonen droht
Haben wir beschlossen, nunmehr schlechtes Leben
Mehr zu fürchten als den Tod"


Brecht schrieb diese aufrüttelnden Verse "Resolution der Kommunarden" in Anlehnung an die Diktion der zum Zeitpunkt der Kommune tätigen I. Internationale, in deren Beschlüssen es hieß: "In Erwägung ..."

Marx' berühmte Schrift "Der Bürgerkrieg in Frankreich"(1), in der er die Heldentaten, Schwächen und Fehler der Pariser Kommune analysierte, wurde am 30. Mai 1871 vom Generalrat der Internationale beschlossen. Dieses Dokument verkündete die welthistorische Bedeutung der Kommune als einen ersten Versuch der Arbeiterklasse, ihre eigene Klassenherrschaft zu errichten. Nur zwei Tage zuvor war diese Arbeiterherrschaft von den vereinigten reaktionären Armeen Frankreichs und Deutschlands zerschossen, niedergeknüppelt und schließlich blutig niedergeworfen worden. Mit den herrschenden Kreisen beider Länder jubelten die Herrschenden Europas und feierten den Sieg über die Arbeiter.

Vom 18. März bis zum 28. Mai 1871 bestand die Pariser Kommune. Nur wenige Wochen verblieben dem Pariser Proletariat, seine Ausbeuter davonzujagen und seine eigene Macht zu errichten. Hervorgegangen aus allgemeinen Wahlen schlossen sich die Bürger von Paris zusammen und entschieden die Machtfrage zu ihren Gunsten. Die Kommune "war wesentlich eine Regierung der Arbeiterklasse, das Resultat des Kampfes der hervorbringenden gegen die aneignende Klasse, die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte."(2) Die Kommunarden nahmen die Staatsmacht in ihre eigenen Hände, sie bezogen die Bürger in die zu lösenden Aufgaben ein; sie veröffentlichten alle Reden und Handlungen und sie weihten das Publikum ein in alle ihre Unvollkommenheiten.(3) Tiefgreifende demokratische und soziale Maßnahmen wurden durchgeführt und eine allgemeine Volksbewaffnung geschaffen. Zur Politik der Kommune gehörte der Erlass der Wohnungsmiete für die letzten drei Quartale, Aufschub der Kündigung der Mieter durch die privaten Hausbesitzer. Die Abgeordneten der Kommune sollten jederzeit absetzbar und an die bestimmten Instruktionen ihrer Wähler gebunden sein. Der öffentliche Dienst sollte für Arbeiterlohn besorgt werden. "Die Kommune sollte", so Marx, "nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zur gleichen Zeit."(4)

Allgemein bekannt sind die Dekrete über die Inbesitznahme der von der Bourgeoisie verlassenen Betriebe und Werkstätten, über das Verbot der Nachtarbeit in den Bäckereien u.a.m. Es wurden Kommissionen zur Umgestaltung der verschiedensten Lebensbereiche gebildet. So wurden z.B. die Unterrichtsanstalten dem Volk unentgeltlich geöffnet und damit die Schulbildung jedermann zugänglich gemacht. Weniger bekannt ist, dass sich die Kommune sehr resolut der Veränderung im kulturellen Leben zuwandte. Mit einem Dekret vom 21. Mai wurden die Theater der Volksbildungskommission unterstellt. Viele der in Paris verbliebenen Theaterschaffenden, Komponisten und Maler stellten ihre Kunst in den Dienst der Kommunarden. Mitglieder der Nationalgarde, Arbeiter und Frauen aus dem Volk nahmen erstmals selbstbewusst Besitz von den kulturellen Reichtümern. Ein Dekret vom 12. Mai 1871 beauftragte den berühmten Maler Gustave Courbet, die Pariser Museen gemeinsam mit einer Künstlergenossenschaft zu übernehmen, die Kunstwerke zu bewahren und Ausstellungen für ein breites Publikum vorzubereiten. In diesem Sinne lehnte die Kommune auch das Ansinnen englischer Kapitalisten ab, wertvolle Gemälde aus dem Louvre zu erwerben. Die Kommune war nach den Worten von Marx "die erste Revolution, in der die Arbeiterklasse offen anerkannt wurde als die einzige Klasse, die noch einer gesellschaftlichen Initiative fähig war; anerkannt selbst durch die große Masse der Pariser Mittelklasse-Kleinhändler, Handwerker, Kaufleute ...".(5) Gemeinsam schufen sie das Neue, Einmalige und gemeinsam verteidigten sie ihre Errungenschaften; gemeinsam unterlagen sie kämpfend den Herrschenden Europas.

Wer aber konnte den heroischen Kampf der Kommunarden unterstützen? Proletarier vieler Länder, Mitglieder in Parteien und Gewerkschaften und vor allem die Mitglieder der I. Internationale. Die Verteidigung der Kommune wurde zu einer internationalen Angelegenheit auch nach ihrem Niedergang.

Die revolutionären deutschen Arbeiter erkannten das Neue, das Beispielgebende der Kommune und spürten zugleich die Tragik dieses ungleichen Kampfes. Sie stellten sich vorbehaltlos an die Seite der Kommune und entfalteten eine breite Solidaritätsbewegung für die "Himmelstürmer von Paris". Die Sozialdemokraten bekannten sich in Resolutionen zu ihren Klassengenossen, sammelten Gelder, veröffentlichten Dokumente des Rates der Kommune und verbreiteten täglich die neuesten Nachrichten über die Lage in Paris. Letzteres war deshalb so wichtig, weil die herrschenden Klassen mit Lügen und Falschmeldungen die Arbeiter von ihrer Solidarität abhalten wollten. "Man hat uns die 'internationale Aktionspartei' genannt; gut, wir akzeptieren den Namen und unsre Parole sei fortan: internationale Aktion des Proletariats gegen die internationale Reaktion der Bourgeoisie und des Junkerthums!"(6)

Nach mehrmonatiger Untersuchungshaft wurden Bebel und Liebknecht aus dem Gefängnis entlassen. Man glaubte, die Androhung härtester Strafen würden die Arbeiterführer vom politischen Kampf abhalten. Aber weit gefehlt. Liebknecht stürzte sich mit Feuereifer in die Redaktionsarbeit des "Volksstaat". Er bezeichnete den Klassencharakter der Kommune als "eine Arbeiterregierung in dem eigentlichsten Sinne des Worts".(7)

August Bebel, inzwischen alleiniger Vertreter der revolutionären Kräfte im Reichstag, nutzte unerschrocken die Parlamentstribüne. Seine Worte, "daß der Kampf in Paris nur ein kleines Vorpostengefecht ist, dass die Hauptsache in Europa uns noch bevorsteht"(8), fanden ein großes Echo. Unbeirrt von den Drohungen der herrschenden Klassen standen die Arbeiterführer an der Spitze ihrer Partei zur Kommune. Der "Volksstaat" erklärte mutig: "Wir sind, und wir erklären uns solidarisch mit der Kommune, und sind bereit, jeder Zeit und gegen Jedermann die Handlungen der Kommune zu vertreten... Wir erklären hiermit formell im Namen der sozial-demokratischen Arbeiterpartei: Nicht allein das Recht, sondern die Pflicht hatte Bebel, im Reichstag für die Commune zu sprechen. Hätte er es verabsäumt, so würde er die sozialdemokratische Partei schlecht vertreten haben; hätte er im entgegengesetzten Sinne gesprochen, so wäre er nicht länger Mitglied der sozial-demokratischen Partei."(9)

Jahrzehntelang begingen die Arbeiter in vielen Ländern den 18. März als ihren Feier- und Gedenktag an die Pariser Kommunarden. Nichts und keiner war vergessen. Auch die Schandtaten der herrschenden blieben im Gedächtnis künftiger Generationen. Die Aneignung der Lehren der Kommune war für die proletarische Bewegung und für die Herausbildung einer einheitlichen Partei von entscheidender Bedeutung.


Dr. Marga Beyer - Berlin, Historikerin


Anmerkungen

(1) Karl Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation, in: Marx/Engels, Werke, Bd.17, Berlin 1973, S. 312-362.

(2) Ebd., S. 342.

(3) Ebd., S. 348.

(4) Ebd., S. 339.

(5) Ebd., S. 344.

(6) Der Volksstaat. Organ der sozial-demokratischen Arbeiterpartei und der Internationalen Gewerksgenossenschafften (Leipzig), Nr. 34 vom 26. April 1871, S. 1.

(7) Der Volksstaat, a.a.O., Nr. 31 vom 15. April 1871, S. 1 ("Die Beamten der Kommune sind größtentheils Arbeiter: Barlin ist Buchbinder; Pindy Tischler, Amouroux Hutmacher, Theiß Ciseleur, Dereure Schuhmacher, Qudet Porzellanmaler, Ranvier Porzellanmaler usw. ­... Die Mitglieder der Regierung beziehen einfache Arbeitslöhne ­... und machen sich schon dadurch allein einer Todsünde in den Augen der Ordnungsmänner schuldig, die sich keine Regierung denken können, welche das Volk nicht aufs Schamloseste ausbeutelt und ausbeutet.")

(8) August Bebel, Aus der Rede im Deutschen Reichstag gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen, 25. Mai 1871, in: A. Bebel, Ausgewählte Reden und Schriften, Band 1: 1863-1878, Berlin 1970, S. 150.

(9) Der Volksstaat, a.a.O., Nr. 46 vom 7. Juni 1871. S. 4.


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Quelle:
Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 85,
März 2011, Seite 134 - 136
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2011