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BERICHT/138: 85 Jahre "Sozialistische Politik und Wirtschaft" (spw)


spw - Ausgabe 5/2008 - Heft 165
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

85 Jahre "Sozialistische Politik und Wirtschaft"

Von Thilo Scholle


"Werte Genossen! Wir unternehmen hiermit den Versuch, einen längst gehegten Plan in die Wirklichkeit umzusetzen, mit dem wir hoffen, einem wirklichen Bedürfnis abzuhelfen. Die einzig bestehende Partei-Korrespondenz ist nach Absicht und in der Tat eine Nachrichten-Korrespondenz. Die Lücke, die neben einer Nachrichten-Korrespondenz besteht, wurde früher ausgefüllt durch eine große Anzahl freier Schriftsteller aus der Reihe der Parteigenossen. Deren Zahl hat die wirtschaftliche Katastrophe vermindert: es ist dem Einzelnen kaum möglich, auch nur die Spesen an Papier und Porto zur Versendung seiner Arbeiten an eine größere Zahl von Zeitungen aufzubringen. Beidem: dem Bedürfnis der Zeitungen nach Anregung und dem der Schriftsteller, sich zu äußern, will die Korrespondenz dienen."

Mit diesen eher dürren Worten führte Paul Levi in Heft 1 - erschienen am 15. Februar 1923 - die Leserinnen und Leser in das publizistische Konzept seiner Zeitschrift "Sozialistische Politik und Wirtschaft" (spw) ein (vgl. Ludewig 1981, 14ff.). Nach ihrem Gründer und Herausgeber umgangssprachlich auch "Levi-Korrespondenz" genannt, entwickelte sich die spw bald zur zentralen Zeitschrift des linken SPD-Flügels. Der Rechtsanwalt und Reichstagsabgeordnete Levi war mit einigen AnhängerInnen erst wenige Monate vorher nach Tätigkeiten in KPD, "Kommunistischer Arbeitsgemeinschaft" sowie der USPD wieder zur SPD gestoßen (vgl.: Rünker, Scholle 2005, 47 ff.; Krätke 1998, 31; Quack 1986) - Paul Levi sah seine Rückkehr in die SPD mit nüchternem Blick. Die putschistische und zunehmend aus Moskau bestimmte Politik der KPD lehnte er ab, der stark gemäßigten und nur auf parlamentarische Mittel setzenden Politik der SPD stand er äußerst kritisch gegenüber. Maßgeblich für ihn war, dass ohne eine starke und geeinte ArbeiterInnenbewegung die notwendige gesellschaftliche Dynamik hin zum Sozialismus nicht erreicht werden kann. Eine organisierte Parteilinke gab es in der SPD nicht. Vor allem Dank seiner publizistischen Aktivitäten entwickelte sich Paul Levi zur führenden Gestalt auf dem linken Parteiflügel.


Der Beginn der spw

Die Existenz der spw führte beim Parteivorstand nicht nur zu Freudensprüngen. Da die Zeitschrift nicht nur reines Theorieorgan blieb, sondern auch in innerparteilichen Auseinandersetzungen Position bezog, sah sich die Zeitschrift immer wieder mit dem Vorwurf, spalterischen Tendenzen Vorschub zu leisten, konfrontiert.

Erschien die Zeitschrift zu Beginn noch maschinengeschrieben, so konnte bald zu einer gedruckten Fassung übergegangen werden, deren Erscheinungsrhythmus sich auf ein wöchentliches Erscheinen einpendelte. Neben Paul Levi nahm seine enge Mitarbeiterin Mathilde Jacob mit der Geschäftsführung eine wichtige Rolle ein.

Die sozialdemokratische Presselandschaft hatte sich im Jahr 1923 verändert. Neben den Schwierigkeiten der Zusammenlegung der Presseorgane von SPD und USPD führte vor allem die Wirtschaftskrise zu einem Sterben sozialdemokratischer Blätter. Ende 1922 wurde die "Sozialdemokratische Parteikorrespondenz" eingestellt, 1923 folgten "Der wahre Jacob", "Die Gleichheit", das "Mitteilungsblatt des Parteivorstandes" sowie mit der Zeitschrift "Neue Zeit" auch das zentrale Theorieorgan der Sozialdemokratie. Erst ab 1924 wurden diese Lücken mit der vom Parteivorstand herausgegebenen Zeitschrift "Neue Gesellschaft" sowie mit dem "Sozialdemokratischen Pressedienst" teilweise wieder geschlossen (Ludewig, 15f.)


spw als Ort linker Debatte

Mit der spw entwickelte sich das einzige Organ außerhalb der parteiöffentlichen Presse , das Einfluss auf politische Debatten in der Partei nahm, und deshalb auch vom SPD-Parteivorstand ernst genommen wurde. Zwar fanden sich in den Heften zum Teil auch tagespolitische Nachrichten. Charakteristisch wurden jedoch die Kommentare und Analysen.

Behandelt wurden sämtliche in der damaligen politischen Debatte wichtigen Themen aus Innen-, Außen- und Wirtschaftspolitik. Breiten Raum nahm die Analyse und Diskussion des Handelns von Parteivorstand und Reichstagsfraktion ein. Entscheidend war hier die Frage nach der Stellung und Aufgabe der SPD im Weimarer Parteiensystem. Auch geprägt durch Paul Levis Tätigkeit als Rechtsanwalt wurde zudem die Entwicklung der Justiz und des Umgangs mit rechter politischer Gewalt in der Weimarer Republik stark kritisiert (vgl. Levi 1924, spw 35).

Betrachtet man die einzelnen Artikel in der spw, so fällt zunächst die sprachliche Brillanz von Paul Levi ins Auge. Eine genaue Einordnung der einzelnen Artikel in den politischen Kontext der Zeit ist deutlich schwieriger, soll im folgenden jedoch anhand einiger Beispiele unternommen werden. Zwar ließen sich beispielsweise aus den Streitigkeiten um das Für und Wider von Koalitionen mit bürgerlichen Parteien oder der KPD mühelos Überschneidungen zu heutigen Diskussionen konstruieren. Allerdings wäre dies auf Grund der völlig anderen Beschaffenheit von gesellschaftlichem Kontext sowie der Ausrichtung und Struktur der Parteienlandschaft von nur geringem Wert für aktuelle politische Debatten.


Die Sozialdemokratie in der Weimarer Republik

Für die spw bestand die erste Aufgabe der Sozialdemokratie in erster Linie darin, für die Interessen der Arbeiterklasse einzustehen. Dass dies auch in Koalitionen mit bürgerlichen Parteien möglich sein konnte, wurde skeptisch gesehen. Erste Aufgabe sei, die Kraft der Arbeiterschaft zu bündeln und zu stärken (vgl. Levi 1928, spw 21). Eine prinzipielle Absage an Koalitionen bedeutete dies jedoch nicht. "Wir von unserem Standpunkt betrachten es nicht als einen Fehler, dass die Frage der Anteilnahme der Sozialdemokratischen Partei an der Regierung als eine taktische Frage diskutiert wird, die sie in Wirklichkeit ist. (...). Ganz allgemein kann man sagen, dass die Voraussetzung einer Koalition die Gemeinsamkeit eines Interesses ist. Diese Gemeinsamkeit braucht absolut keine dauernde zu sein. Ist nämlich die Gemeinsamkeit des Interesses eine dauernde, so kommt statt der Koalition die Verschmelzung. Dass aber das Bestehen eines vorübergehenden gemeinsamen Interesses zu einer Koalition auch einer sozialistischen Partei führen kann, ist an und für sich unbestritten; beispielsweise (...) die Verteidigung der demokratischen Staatsform (...)." (Levi 1928, spw 24). Für die von der SPD in der Weimarer Republik eingegangenen Regierungsbündnisse vermisste die spw solche Gemeinsamkeiten allerdings.

Für die Analyse der bisherigen Regierungspolitik der SPD erkannten die AutorInnen der Zeitschrift die Zwänge beispielsweise durch die Reparationenfrage an. "So scheint uns gegenwärtig wie bisher die Politik des, gewiss gut gemeinten, Opfers verhängnisvoll zu sein, weil es zum Gegenteil dessen führt, was mit dem Opfer erkauft werden soll. Die Sozialdemokratie hat nur eine Aufgabe: in rücksichtslosem Kampf, auf dem viel günstigeren Boden, der jetzt geschaffen ist, sozial, wirtschaftlich, politisch das Proletariat zum schwersten Körper in Deutschland zu gestalten; aus diesem Einen folgt alles andere von selbst: Die Sicherheit der Republik und die Einheit des Reiches, die Stabilität in der Außenpolitik und die Befriedung Europas, die Rettung Deutschlands aus der gegenwärtigen Barbarei und der Glaube der Arbeitermassen an unsere Partei und an ihre eigene Zukunft" (Levi 1924, spw 37).

Die grundsätzliche Skepsis gegenüber den Handlungsmöglichkeiten der SPD in der Weimarer Republik hinderte die spw nicht an durchaus differenzierten Analysen von Staatlichkeit. So schrieb Paul Levi zum Thema "Faschismus und die Arbeiter" anhand des Beispiels Italien, "(...) aber wenn auch der liberale Staat zu uns in Gegensatz steht und er von uns als feindlich bekämpft wird, so ist noch lange nicht gesagt, dass jeder Staat, der an seine Stelle gesetzt werde, der bessere sei, und dass jede Handlung, die die Zerstörung des liberalen Staates bedeute oder anstelle dann eine revolutionäre Handlung sei, revolutionär so wie wir das Wort auffassen" (Levi 1927, spw 6.) Eine solche Handlung sei nicht revolutionär, sondern reaktionär.


Zur programmatischen Lage der Sozialdemokratie

Intensive Diskussionen wurden auch über die Programmatik der SPD geführt. Daneben spielte auch die Organisationspolitik, der Umgang der Führung mit der Opposition auf den Parteitagen, die dortigen Redezeiten und Antragsberatungen, sowie allgemein die Debattenkultur und intellektuelle Lage der Partei eine Rolle (vgl. u.a. Levi 1924, spw 38).

Zum Entwurf des Heidelberger Programms im Jahr 1924 schrieb Levi: "Der Programmentwurf ist ein Versuch, eine brüchige Praxis durch eine Theorie zu unterfüttern und damit haltbar zu machen. Der Versuch ist gescheitert. (...) Die vergangenen zehn Jahre haben uns doch gelehrt, dass Programme das Wesen einer Partei am wenigsten bestimmen. So wie Ideen nur Macht werden, indem sie die Massen erobert, so werden auch Programme nur leben in dem Maße, in dem sie die Parteiköpfe bestimmen und leiten. Hat ein Programm in dieser Beziehung versagt, so ist es Aufgabe eines Neuentwurfes, eben diese Lücke zu schließen. Diese Lücke zu schließen, hat der Entwurf nicht unternommen; er hat sich dabei beschieden, an den Grundlagen des Erfurter Programms herumzunagen" (Levi 1925, spw 31). Neben der Kritik an der dürftigen ökonomischen Analyse nahm Levi u.a. auch die Formulierung aufs Korn, die von der Organisation der "Arbeiter aller Kulturländer" sprach und damit einen Großteil der Menschheit ausschloss, sowie die Feststellung, dass "die Pflichten (der internationalen Solidarität) aufs innigste verknüpft mit den Pflichten der Sozialdemokratie eines jeden Landes gegenüber dem eigenen Volk (sind)". Hier sah Levi eine deutliche Abkehr von internationalistischen Überzeugungen.

Die Politik der KPD wurde in der spw intensiv analysiert und sehr kritisch betrachtet. Neben der reinen Obstruktionspolitik in den Parlamenten bezog sich die Kritik dabei vor allem auf die mageren gesellschaftlichen Analysen der Partei sowie deren zunehmende Abhängigkeit von der Zentrale in Moskau (Reuter 1923, spw 14).


Was bleibt?

Zum zehnten Jahrestag des Ausbruchs des 1. Weltkriegs schrieb Paul Levi in der spw: "Als am 1. August 1914 (...) der Mobilmachungsbefehl angeschlagen wurde, da formten sich die Menschenmassen zu langen Zügen und jenes kannibalische Schauspiel begann, dass dann die philosophischen Deutschen als große Zeit bezeichneten; mit grölender Stimme, (...) zog das Volk der Denker und Dichter durch die Straßen, durch nichts einer Menschenfresserbande ungleich als durch die (...) Einbildung, an der Spitze der Zivilisationen zu marschieren. (...) Es hat nicht genügt, dass die Arbeiterschaft theoretisch das kommende Ereignis vorgesagt hatte, (...) Alle diese theoretische Erkenntnis ist vor dem Sturm der Ereignisse verblasst. (...) die Stellung des Proletariats im Staat und gegenüber der Bourgeoisie neu definiert, der Klassenkampf ward 'eingestellt' (...). Der Krieg hat das geographische und wirtschaftliche Weltbild umgestürzt; er hat das soziale gelassen" (Levi 1924, spw 46).

Im Herbst 1928 wurde die spw mit der u.a. vom späteren Gründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SAP), Max Seydewitz, herausgegebenen Zeitschrift "Der Klassenkampf" vereinigt. Paul Levi schrieb nur noch selten für das neue Blatt.

Die Debatten der spw waren bestimmt von den Umständen der Zeit. Manche Einschätzung der Politik der SPD mag im nachhinein zu hart gewesen sein. Der manchmal aufblitzende Optimismus, doch noch eine einige und aktionsfähige ArbeiterInnenbewegung herstellen zu können, mag vor den Erfahrungen des Faschismus tragisch wirken. Das letzte Zitat von Paul Levi macht aber eines deutlich: Hinter dem Wunsch nach der Einheit der ArbeiterInnenbewegung stand das Ziel, zur Erringung einer friedlichen und sozialen Welt beizutragen.

In der spw fanden sich viele Beiträge, die tagesaktuelle Ereignisse vor dem Hintergrund eines fundierten theoretischen Rahmens einzuordnen und mit einer strategischen Perspektive für die ArbeiterInnenbewegung zu versehen verstanden. Mit der Fusion beider Zeitschriften fand ein Projekt das Ende, das ein spannendes Beispiel dafür bietet, auf welch hohem Niveau inhaltliche und strategische Debatten auch in der Sozialdemokratie geführt werden können.


Thilo Scholle ist Mitglied der spw-Redaktion und lebt in Lünen.


Literatur
Krätke, Michael: Der letzte Ritter, in: spw 100, S. 31ff.
Levi, Paul: Faschismus und die Arbeiter, in: spw-Heft 6, 11. Februar 1927.
Levi, Paul: Verantwortung und Regierung, in: spw-Heft 21, 25. Mai 1928.
Levi, Paul: Voraussetzungen einer Koalition, in: spw-Heft 24, 15. Juni 1928.
Levi, Paul: Zum sozialdemokratischen Programmentwurf, in: spw-Heft 31, 7. August 1925
Levi, Paul: Justizbankrott, in: spw-Heft 35, 2. Juni 1924.
Levi, Paul: Die Aufgaben des Parteitags, in: spw-Heft 37, 11. Juni 1924.
Levi, Paul: Nach dem Parteitag, in: spw-Heft 38, 18, Juni 1924.
Levi, Paul: Nach zehn Jahren, in: spw-Heft 46, 26. Juli 1924.
Ludewig, Hans-Ulrich: Die "Levi-Korrespondenz", in: IWK, Heft 1/1981, S. 14ff.
Reuter, Ernst: Sekte oder Partei. Zur Krise des deutschen Kommunismus, in: spw-Heft 14, 12. April 1923.
Rünker, Reinhold/Scholle, Thilo: Linkssozialist in der SPD zu sein - Zum 75. Todestag von Paul Levi, in: spw 2/2005, S. 47ff.
Quack, Sibylle : Geistig frei und niemandes Knecht, Frankfurt am Main/Berlin 1986.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 5/2008, Heft 165, Seite 46-49
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2008