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BERICHT/232: Vince Gilligan, Erfinder der TV-Serie Breaking Bad, zu Gast in Berlin (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 141, September 2013
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Markt, Mensch, Verbrechen
Vince Gilligan, Erfinder der TV-Serie Breaking Bad, zu Gast im WZB

von Paul Stoop



Fernsehen? Ja richtig: Fernsehen. Und zwar eine Fernsehserie, nicht immer ein kulturell gehobenes Genre. Im WZB, wo sonst über Theorien und Methoden, über Forschungsdesign und Empirie gesprochen wird, war am 26. August TV-Zeit. Zu Gast war der Erfinder und Produzent der im Januar 2008 gestarteten amerikanischen Serie Breaking Bad, Vince Gilligan, deren letzte Staffel gerade angelaufen ist.

Für Fans der Serie, die im Laufe der Jahre ein großes internationales Publikum gewann, war es egal, wo Gilligans einziger öffentlicher Auftritt in Deutschland stattfand. Für Steffen Huck, Direktor der WZB-Abteilung Ökonomik des Wandels, gab es aber außer seiner persönlichen Begeisterung für BrBa einen wissenschaftlichen Grund, Gilligan einzuladen. "Breaking Bad ist wie ein sozialwissenschaftliches Laboratorium", sagte Huck in seiner Einführung. "Es geht um soziale Beziehungen, ökonomische Rahmenbedingungen, um Entscheidungen des Einzelnen und um moralischen Wandel." In den Wirtschaftswissenschaften sei die Vorstellung nicht mehr beherrschend, der Mensch verhalte sich durchweg rational und sei kalkulierbar, weil er sich nicht wesentlich verändert. "Der Chemielehrer Walter White, der nach seiner Krebsdiagnose beschließt, die ökonomische Zukunft seiner Familie durch den Einstieg in die Drogenproduktion zu sichern, wandelt sich dramatisch." Und Whites aktiver Eintritt in den Drogenmarkt schaffe ganz neue Bedingungen. "Experimente wie die von WZB-Fellow Nora Szech zeigen, dass Menschen gegen ihre eigentlichen Überzeugungen handeln, wenn sie sich in einer Marktsituation befinden", sagte Huck.

Die wissenschaftliche Herangehensweise an das Markt- und -Entscheidungs-Thema leuchtet Gilligan ein. Sein Film handele vom Wandel, sagte er. Nicht nur die Hauptfigur Walter White entwickele sich weiter, sondern auch dessen Frau Skyler, die von einem bestimmten Zeitpunkt an Walters kriminelle Geschäfte deckt, oder auch Jesse Pinkman, der White alias "Heisenberg" assistiert und am Ende aussteigt, erschüttert durch die Gewaltverbrechen, derer sich die ungleichen Drogenköche und -dealer schuldig gemacht haben. Aber TV ist nicht Theorie oder Experiment, es ist ein visuelles Medium, in dem dann auch, wie der emeritierte Opernintendant Sir Peter Jonas als dritter Dialogpartner in der Runde bemerkt, Wandel auch in manchen charakteristischen Details zum Ausdruck kommt - etwa in der zunehmenden Zahl kurzgeschorener Männerköpfe in der Serie.

Breaking Bad, eine dramatisierte Darstellung der amerikanischen Gesellschaft? Kapitalismuskritik? Auch bei diesen Fragen zögert der Erfinder und Chefproduzent der Serie. "Es kommen grundlegende Probleme der amerikanischen Gesellschaft zur Sprache, nicht zuletzt das Gesundheits- und das Rechtssystem. Wer nicht reich ist, hat keine Chance. Aber im Vordergrund stehen doch der einzelne Mensch und seine Wandlungen", beharrt Gilligan. "Die Serie ist eine Charakterstudie, die Darstellung eines Mannes, der sich extrem wandelt - zum Negativen."

Walter White musste nicht kriminell werden. Er hatte die Chance auf einen nichtkriminellen Ausweg aus seiner Zukunftspanik, als seine ehemalige Freundin Gretchen - reich geworden mit der Firma, aus der White vor vielen Jahren gegen ein Trinkgeld Abschied nahm - die Übernahme seiner Krebstherapie anbot. "Thanks ... but no thanks", antwortete er auf das großzügige Angebot. Die Chance war vertan, White entschied sich für den Weg des Verbrechens.

White geht seinen Weg, konsequent und kompetent. Konsequent ist er als Lügner, der seine Taten als wohltätiges Werk für die Zukunft seiner Familie rationalisiert: "Es sind Lippenbekenntnisse zu den Familienwerten, die wir dauernd von White hören", sagt Gilligan. Das Lügen und seine Tarnung sind die Eigenschaften, die er am besten beherrscht. Kompetent ist der Chemielehrer als Drogenproduzent, der dem Markt ein immer reineres Produkt liefert. Verbrecherischer Ehrgeiz, Perfektionismus und Größenwahn bestimmen sein Leben, und Männlichkeitswahn. "Ein Mann muss seine Familie versorgen", redet White sich ein - eine Einstellung, in der ihn sein Großabnehmer Gus Fring, der ihn zeitweise praktisch angestellt hat, bestärkt. Es ist die Psychologie von Marktteilnehmern im Kampf um Profit, Marktanteile, Absatzgebiete.

Applaus im WZB für einen nach- und mitdenkenden Serienentwickler, Produzent und Regisseur, der mit einem herausragenden Team von Autoren, Musikexperten und Requisiten-Managern in die letzte kurze Saison geht. Es durfte spekuliert werden, ob White am Ende der letzten Staffel entkommt, nachdem sein Schwager, der Drogenfahnder Hank Schrader, ihm auf die Schliche gekommen ist. Das wurde nach dem Dialog vor vollem Haus denn auch kräftig getan. Überlebt White? Spekulationen machten unter den Zuhörern die Runde. Gretchen, die eine bisher nur vage angedeutete Rolle in der Vorgeschichte Walter Whites gespielt hat, könnte eine Schlüsselrolle spielen. Walter White, wenn er denn nicht durch den Krebs zu Tode käme, könnte aber auch in einer ironischen Wendung durch einen läppischen Alltagsunfall sterben. Oder von seinem Sohn Walter Jr., der von Autos begeistert ist, versehentlich überfahren werden.

Alles möglich - Vince Gilligan schweigt natürlich. Er arbeitet an der Idee einer neuen Serie rund um die Figur des agilen Rechtsanwalts Saul Goodman herum ("Better call Saul"). Aber da könnte im Kontext des globalen Wettbewerbs und angesichts der menschlichen Möglichkeiten zum Guten und zum Bösen wohl noch allerlei dazwischen kommen.



Zum Mitschnitt der Veranstaltung:
http://www.youtube.com/WZBlive

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 141, September 2013, Seite 42-43
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph. D.
10785 Berlin, Reichpietschufer 50
Tel.: 030/25 49 10, Fax: 030/25 49 16 84
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2013