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FORSCHUNG/054: Migration, Pressegeschichte und europäische Öffentlichkeit (UniBremen)


Universität Bremen - impulse aus der Forschung Nr. 2/2008

Migration, Pressegeschichte und europäische Öffentlichkeit
Kommunikations- und medienwissenschaftliche Forschung an der Universität Bremen

Von Andreas Hepp, Holger Böning und Michael Brüggemann


Versucht man die Breite der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Forschung an der Universität Bremen zu fassen, so wird dies am einfachsten möglich, wenn man sich die verschieden Forschungsthemen der aktuellen Drittmittelprojekte in diesem Fach vergegenwärtigt. Diese reichen von einer Forschung zu digitalen Medien und Migration, über Pressegeschichte bis hin zu Fragen einer europäischen Öffentlichkeit.

Von der E-Mail bis zur Qualitätszeitung, vom 17. Jahrhundert bis zu aktuellsten Entwicklungen, die Bremer Kommunikations- und Medienwissenschaft erforscht Medienkommunikation in ihrer ganzen Vielfalt. So besteht bereits seit 1957 das Institut für Deutsche Presseforschung, das seit 1981 eine Zentrale Wissenschaftliche Einrichtung der Universität Bremen ist. Daneben umfasst der Fachbereich Kulturwissenschaften das Fachgebiet Kommunikations- und Medienwissenschaft, das auch an dem DFG-Sonderforschungsbereich "Staatlichkeit im Wandel" der Universität Bremen und der Jacobs University beteiligt ist. Gebündelt werden die verschiedenen Forschungsaktivitäten seit 2005 durch das Institut für Medien, Kommunikation und Information (IMKI), das selbst verschiedene EU-Projekte und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierte Projekte realisiert.


Digitale Medien und Migration

In verschiedenen Projekten haben sich Mitglieder des IMKI bereits mit Fragen von Medien und Migration befasst, was aktuell in dem DFG-Projekt "Integrations- und Segregationspotenziale digitaler Medien" in Bezug auf E-Mail, Web 2.0 und Mobiltelefon vertieft wird. Fragestellung des Projektes ist, welchen Beitrag diese digitalen Medien für die kommunikative Vernetzung von türkischen, russischen und marokkanischen Migrantinnen und Migranten in Deutschland leisten oder wie sich dies für deren Vergemeinschaftung untereinander sowie für eine Integration in Deutschland auswirken kann. Um diese Fragen zu klären, wurden mit Angehörigen dieser Migrantengruppen Interviews geführt, sie gebeten, ihr persönliches Kommunikationsnetzwerk aufzuzeichnen und über zwei Wochen ihre Kommunikation in einem Tagebuch festzuhalten.

Diese Methodik eröffnet einen differenzierten Einblick in die Kommunikationsnetzwerke der Menschen im Alltag. Dabei kann die noch bis 2010 laufende Forschung zeigen, dass Migrantinnen und Migranten nicht einfach mehr durch eine "digitale Kluft" ausgeschlossen sind, sondern sich die digitalen Medien auf unterschiedlichen Ebenen aneignen. So bieten diese insbesondere für Jüngere unter den untersuchten Gruppen die Möglichkeit einer einfacheren kommunikativen Vernetzung in der Migrationsgemeinschaft.

Digitale Medien gestatten es, diese Vergemeinschaftungen "deterritorial" - also über verschiedene Länder hinweg - als Netzwerk Aufrecht zu halten. Zwar war das auch bereits zuvor durch Briefe oder das Versenden von selbstgemachten Videos üblich, mit digitalen Medien geht dies aber einfacher und zumindest in Teilen mit einer größeren Intensität. Eine solche Stabilisierung der deterritorialen Vergemeinschaftung muss aber nicht gegen eine soziale, politische oder ökonomische Integration gerichtet sein. Im Gegenteil sind viele Migrantinnen und Migranten mehrfach vernetzt, nämlich zum einen in ihrer Migrationsgemeinschaft, zum anderen mit Deutschen ohne Migrationshintergrund. Die bisherige Forschung in dem Projekt zeigt, dass Integration in einem solchen Blickwinkel neu gefasst werden muss, nämlich als kommunikative Vernetzung mit unterschiedlichen Gruppen und sich hierdurch ergebende Beteiligungschancen.

Insgesamt weist das Projekt somit darauf hin, dass die Beschäftigung mit Medien und Migration einer Umorientierung bedarf: Mit Etablierung der digitalen Medien geht es nicht einfach mehr nur um die Frage, wie Migrantinnen und Migranten in den Medien wie Fernsehen oder Zeitung dargestellt werden. Darüber hinaus wird es wichtig in den Blick zu bekommen, wie kommunikative Vernetzungsprozesse über neue Medien verlaufen - Prozesse, die gerade nicht vor nationalen Grenzen halt machen und so dem deterritorialen Charakter von Migrationsgemeinschaften entsprechen.


Pressegeschichte

Andere inhaltliche Schwerpunkte werden in der Zentralen Wissenschaftlichen Einrichtung Deutsche Presseforschung gelegt, die sich mit der Geschichte jener Medien befasst, die in den vergangenen vier Jahrhunderten die Entstehung der Moderne und den Charakter unserer Gesellschaft wie wenig anderes geprägt haben. An erster Stelle steht hier die Zeitung, deren Geburt 1605 in Straßburg erfolgte. Das neue Medium ermöglichte es erstmals allen Menschen, sich regelmäßig über die politischen Ereignisse zu informieren, Grundlage für eine im Jahrhundert der Aufklärung zunehmende Urteilsfähigkeit zu Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung. Untersuchungsgegenstand sind aber auch Kalender, Zeitschriften, Intelligenz- oder Anzeigenblätter, die Illustrierten und die Arbeiterpresse sowie die Geschichte des Journalismus und des Journalistenberufs.

Was heute über das erste Jahrhundert der Zeitung bekannt ist, verdankt sich einer dreibändigen Bibliographie von Else Bogel und Elger Blühm. Diese erste international beachtete Publikation im Jahr 1971 begründete den Ruf des Instituts. Im Projekt "Deutsche Presse" wird seit fünfzehn Jahren Ort für Ort, Landschaft für Landschaft das historische Pressewesen aufgearbeitet. Sämtliche Periodika eines Ortes, Zeitungen, Zeitschriften, Intelligenzblätter, Messrelationen, Jahrbücher und Kalender werden von den Anfängen im 15. Jahrhundert bis zum Jahre 1815 nicht nur bibliographisch beschrieben, sondern auch inhaltlich charakterisiert. Hinzu kommen Biographien der Redakteure, Herausgeber, Autoren, Verleger und Drucker. Sechs inzwischen erschienene umfangreiche Bände sind Hamburg und seinen Nachbarorten Altona, Wandsbek und Schiffbek sowie der historischen Landschaft Braunschweig-Wolfenbüttel gewidmet. Der zweite große deutsche Verlagsort Leipzig wird demnächst fertig gestellt sein.

Ein weiteres Projekt dokumentiert knapp 20.000 Schriften, mit denen Gebildete sich im 18. und 19. Jahrhundert bemühten, aufklärerisches Gedankengut an den "gemeinen Mann" zu vermitteln und "Volksaufklärung", so der zeitgenössische Begriff, zu betreiben. In aktuell von der DFG geförderten Forschungsprojekten wird die Geschichte der Kalender, in einem weiteren die einer bisher unbeachtet gebliebenen Quelle, der Zeitungsextrakte, bearbeitet. Schließlich ist ein eigenes Ressort des Instituts der noch viel zu wenig erforschten Geschichte der deutsch-jüdischen Presse gewidmet.


Europäische Öffentlichkeit

Mit politisch hoch aktuellen Entwicklungen beschäftigt sich der von der Universität Bremen und der Jacobs University getragene DFG-Sonderforschungsbereich "Staatlichkeit im Wandel", an dem auch ein kommunikations- und medienwissenschaftliches Projekt beteiligt ist. Die Verständigungsprobleme zwischen der Europapolitik und den Menschen werden oftmals zurückgeführt auf das Fehlen einer europäischen Öffentlichkeit. Gemeint ist damit ein grenzüberschreitender allgemein zugänglicher Kommunikationsraum, in dem sich die Menschen in Europa über die gemeinsamen Belange informieren, austauschen und verständigen können.

Seit 2003 wird in dem Forschungsprojekt die Transnationalisierung von Öffentlichkeiten in Europa untersucht. Ein erster Schritt hierzu war die Auswertung der Presseberichterstattung in der nationalen Presse (Qualitätszeitungen und Boulevardzeitungen) seit 1982 in sechs verschiedenen Ländern (Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich, Polen). Diese Analysen zeichnen das Bild einer nach nationalen Grenzen segmentierten Öffentlichkeit: Fast alle Zeitungen widmen der EU eine über die Jahre steigende Aufmerksamkeit. In allen Ländern wird der Blick nach Brüssel ausgeprägter. Die wechselseitige Beobachtung und Vernetzung der Berichterstattung zwischen den Ländern steigt aber nicht an. Es wird nicht mehr als früher über andere EU-Länder berichtet. Und auch Sprecher aus diesen Ländern werden nicht häufiger als früher zitiert. Eine inhaltliche Konvergenz der Berichterstattung bleibt auf einzelne Themen beschränkt.

Aktuell werden in dem Projekt die Gründe für solche nationalen "Segmentierungen" untersucht. Dabei zeichnet sich ab, dass sich in den verschiedenen europäischen Nationalstaaten relativ stabile politische Diskurskulturen herausgebildet haben, also Muster, wie man über das Ausland, aber auch über weitere europäische Themen berichtet. Die Unterschiede in der Diskurskultur erklären, warum identische politische Geschehnisse in Brüssel in verschiedenen Ländern auf unterschiedliche Weise dargestellt werden. Sie stellen Barrieren für einen intensivierten grenzüberschreitenden Austausch dar. Eine gemeinsame, europäische Diskurskultur entwickelt sich hingegen erst ansatzweise. Dies wird aktuell an der Quelle öffentlicher Berichterstattung untersucht, durch Interviews und Beobachtungsaufenthalte in verschiedenen europäischen Zeitungsredaktionen. Bei einer Verlängerung durch die DFG kann das auf langfristige Erklärungen angelegte Projekt noch bis 2014 weiterforschen.


Medienkultur im Wandel

Die vorgestellten Beispiele zeigen insgesamt, welchen Stellenwert Medienkommunikation seit mehreren Jahrhunderten in unseren Kulturen hat. So lässt sich die Entwicklung der Moderne nicht jenseits von Buchdruck und Presse verstehen, hängen Staaten und Staatenbünde wie Europa auf das engste von medialen Öffentlichkeiten ab und verändern digitale Medien die Möglichkeiten menschlicher Kommunikationsbeziehungen.

Wir können also die zentralen Bedeutungsangebote unserer Kulturen kaum mehr jenseits von Medien erfassen, weswegen man heutige Kulturen auch pointiert als "Medienkulturen" bezeichnen kann. Über die Breite der verschiedenen Projekte hinweg eint dabei die kommunikations- und medienwissenschaftliche Forschung an der Universität Bremen ein solcher Blick auf Kultur.


Andreas Hepp ist Sprecher des IMKI, Institut für Medien, Kommunikation und Information, und Professor am Fachbereich Kulturwissenschaften der Universität Bremen. Er leitet das Sfb-Projekt "Die Transnationalisierung von Öffentlichkeit am Beispiel der EU" und das DFG-Projekt "Integrations- und Segregationspotenziale digitaler Medien für Migranten/ innen". Schwerpunkte seiner Forschung sind die transnationale und transkulturelle Kommunikation sowie der gegenwärtige Medienwandel.

Holger Böning ist Professor für Neuere Deutsche Literatur und Geschichte der deutschen Presse und Sprecher der Zentralen Wissenschaftlichen Einrichtung Deutsche Presseforschung an der Universität Bremen. In der Forschung befasst er sich vor allem mit populärer Aufklärung im deutschsprachigen Raum und der Geschichte der periodischen Presse.

Michael Brüggemann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Koordinator des Sfb-Projekts "Die Transnationalisierung von Öffentlichkeit am Beispiel der EU" an der Jacobs University Bremen. Arbeitsschwerpunkte des promovierten Kommunikations- und Medienwissenschaftlers sind transnationale Kommunikation und Journalismusforschung.

Weitere Informationen:
www.imki.uni-bremen.de
www.dgpuk2009.uni-bremen.de
www.presseforschung.uni-bremen.de
www.sfb597.uni-bremen.de/publicsphere


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Quelle:
Universität Bremen - impulse aus der Forschung
Nr. 2/2008, Seite 6-9
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Eberhard Scholz (verantwortlich)
Universitäts-Pressestelle
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Telefon: 0421/218-60 150, Fax: 0421/218-42 70
E-Mail: presse@uni-bremen.de
Internet: www.uni-bremen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2009