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INTERNATIONAL/013: Taiwan - Von den Frauen hinter der Kamera und davor (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 114, 4/10

Von den Frauen hinter der Kamera und davor
Konfuzianisch-traditionelle Filmheldinnen contra globalisierte Regisseurinnen

Von Astrid Lipinsky


Die Filmgeschichte ist eine globale Geschichte. Frauen sind aus den ersten in Taiwan gedrehten Filmen nicht wegzudenken; aber Frauen spielten sich so, wie es dem Frauenbild der Männer hinter der Kamera entsprach. Heute hat sich die Sachlage geändert, wie die Autorin im Folgenden konstatiert.


Ein gutes Beispiel in der Filmgeschichte Taiwans ist der 1943 gedrehte Streifen "Sayon's Glocke". Er handelt von einer patriotischen (im Sinne der damaligen japanischen Kolonialherren in Taiwan) Ureinwohnerin namens Sayon. Sie lässt sich im Unwetter nicht davon abhalten, ihrem japanischen Lehrer mit dem Gepäck zu helfen, und ertrinkt. Der Film greift auf ein Ereignis zurück, das sich 1938 angeblich genau so abgespielt hat. Sayon, obwohl Ureinwohnerin, spricht selbstverständlich fließend Japanisch und wird vom damals populärsten japanischen Filmstar Yoshiko Yamaguchi gespielt. Im Gegensatz zu der einfachen, im abgelegenen taiwanischen Bergland lebenden 17-jährigen Sayon ist ihre Darstellerin ein globaler asiatischer Star ihrer Zeit: 1920 in der japanisch besetzten Mandschurei geboren, spricht sie fließend Chinesisch und tritt auch als Chinesin unter einem chinesischen Namen auf. Anders als Sayon, die stirbt, bringt es Yamaguchi 1974 zu einem Sitz im japanischen Oberhaus, den sie für 18 Jahre innehat, und macht Karriere als TV-Journalistin, zuständig für ganz Asien. Sie schafft es damit, sich vor der Kamera selbst darzustellen, aber hinter die Kamera gelangt sie nie.


Wellen schlagen

Wo stehen Taiwans Frauen heute, gut 60 Jahre später? Haben sie es hinter die Kamera geschafft und was ist ihr Status dort? Tatsächlich, Taiwans zu Recht weltweit renommierte Frauenbewegung hat auch hier Vorbildfunktion: Seit 1993 findet im Oktober für exakt neun Tage das internationale Frauen-Filmfestival "Women make waves" statt; und die Ausgabe von 2010 zeigt neben ausländisch-feministischen Filmen auch eine breite Auswahl einheimischer Produktionen. Und natürlich hat sich die Bewegung auch filmisch dokumentiert: Da gibt es nicht nur ein Filmporträt des 2008 - selbstverständlich am 8. März, dem Internationalen Frauentag - eröffneten Taiwan Women's Center, sondern auch eine regierungsamtliche DVD-Dokumentation der Bewegung. Nach den neun Tagen touren die Frauenfilme unter der Ägide des Bildungsministeriums für zwei Monate durch ganz Taiwan und werden überall kostenlos vorgeführt.


Nicht präsent, aber da...

Die siebzehnte Ausgabe versteht sich als erwachsen, aber auch jugendlich, gespiegelt im diesjährigen Festival-Motto "Rock your body": elastisch und dynamisch und körperbewusst. Ist das ein Rückzug auf den eigenen (weiblichen) Körper, eine Re-Individualisierung und Re-Privatisierung? Denn irgendwie sind Taiwans Filmemacherinnen zwar da, aber doch nicht präsent: Wird über Taiwans Filme gesprochen, dann ausschließlich über männliche Regisseure, von Hou Hsiaohsien über Edward Yang bis zu Ang Lee. Wo sind die Frauen? Sie drehen, wie das Festivalprogramm zeigt, die minutenkurzen und preiswerten Animationsfilme. Oder, auch nicht in abendfüllender Länge, Kurzporträts anderer Frauen. Oder sie dokumentieren ihre Umwelt: Wie ihre Schwestern weltweit drehen Taiwans Regisseurinnen Porträts ihrer Mütter oder behinderten Schwester. Sie filmen Lokalgeschichte - den Abriss eines Viertels für den U-Bahnbau oder die Schuljahre des Kindes einer nach Taiwan immigrierten "fremden Braut". Ihre Filme zeigen besonderes Interesse am engen (die eigene Familie) und breiteren sozialen Umfeld; jedenfalls nehmen sie einen sozialkritischen Blickwinkel ein. "Die Direktorinnen" dokumentieren eine Natur, der sie sich mit Bewunderung und voller Vorsicht nähern. Es sind keine Filme fürs Kino, und sie entstehen häufig als Studienprojekt. Sie haben schon einen pädagogischen Anspruch; und deshalb ist es nicht verwunderlich (und nicht unbedingt feministisch), dass das Bildungsministerium mit ihnen tourt.

Seit Anfang 2000 treten taiwanische Regisseurinnen den ausländischen Filmemacherinnen, auch zahlenmäßig, auf Augenhöhe gegenüber. Seit 2005 boomen Kurzfilme und Animationsfilmchen von weniger als zehn Minuten Dauer. Auch die durch das knappe Budget bedingte Kürze entspricht dem weltweiten Trend. Es gibt keine englischen Untertitel, und auch in Taiwan fangen Frauen an, sich um die Männer zu kümmern: Der Hauptfilm "der Waves" von 2010 ist die Dokumentation ihrer Interviews mit gewalttätigen Ehemännern der Regisseurin Guo Xiaoyun (Kuo Shiao-yun), die noch 2008 die feministische Doku "Allerfernste Liebe" gedreht hatte und ihre Motivation für die Männer-Täter-Interviews damit erklärt, dass es an Dokumentationen der Stimmen der Männer fehle. Ihr Film zeigt tatsächliche Fälle häuslicher Gewalt und die Männer in ihrer Täterrolle, auch wenn sie mit deren eigener Stimme unterlegt (aber nicht entschuldigt) ist.


BLICKWECHSEL

"Hand in Hand", der Schlussfilm des Festivals 2010, dokumentiert die Beziehung einer jungen Frau zu einem mehrere Jahrzehnte älteren Mann. Das sind keine Frauen, wie sie in den taiwanischen Spielfilmen männlicher Regisseure auftauchen, und es sind auch keine Themen, die sie interessieren. Insofern gibt es schon (wie weltweit) den frauenspezifischen Blick. Frauen filmen, was Frauen im Alltag konkret betrifft. Die große patriotische Historie überlassen sie den Männern. Und die Frauen, die in den Männerfilmen von heute vorkommen? Im Film "1895" beispielsweise, der den historischen Beitrag der Hakka, einer hanchinesischen Volksgruppe, zu Taiwans Geschichte festschreiben möchte, erfüllen Frauen einerseits das (konfuzianische) Klischee der gehorsamen, sich aufopfernden Hausfrau und treuen Gattin, deren Treue sie zwingt, dem im Kampf gefallenen Mann in den Tod zu folgen. Andererseits sind die Frauen starke Matriarchinnen, die den Familienbetrieb am Laufen halten und durch das Aufziehen der Kinder den Fortbestand der Familie sichern, also die vorrangigste konfuzianische Kindespflicht erfüllen. Solche starken Frauen und Überlebenden finden sich auch im Kassenschlager von 2008, dem Film "Cape No 7". Während der japanische Lehrer 1945 seine Schülerin-Geliebte verlässt und das eigene Schicksal bejammert, stirbt das Mädchen nicht wie noch Sayon und wie die Frau des Hakka-Anführers im Film "1895", sondern wird zu einer schönen, aktiv beschäftigten alten Frau. Gleichzeitig verdankt die jugendliche japanische Filmheldin es nur der eigenen aktiven Überzeugungskraft, dass ihr Geliebter sich zu einer Liebeserklärung und dem Happy End von "Cape No 7" durchzuringen vermag.

Die Männer - zumindest die einheimischen taiwanischen - stolpern unbeholfen und realitätsfern durch die Szene wie der Verkäufer des lokalen Schnapses. Die Frauen sind dagegen nicht nur attraktiv, sondern auch tatkräftige Organisationstalente. Arme Romeos! Kein Wunder, dass sich Taiwans Regisseurinnen ihrer sozialtherapeutisch annehmen und dass die Frauen selbst bei einem Mann hinter der Kamera vor der Kamera das Sagen haben!


Anmerkung:
(1) Das jährliche Frauenfilmfestival wird von der Vereinigung taiwanischer Filmdirektorinnen organisiert.
Weitere Informationen auf www.wmw.com.tw


Literatur- und Webtipps zum taiwanischen Film:
Emilie Yueh-Yu Yeh; Darrell William Davis: A Treasure Island. Taiwan Film Directors. (Columbia University Press 2005)
Ri Koran (Li Xianglan; Yoshiko Yamaguchi): Looking back at my days as Ri Koran. Otaka Yoshiko interviewed by Tanaka Hiroshi, Utsumi Aiko and Onuma Yasuaki. (Zcommunications 2005). Online:
www.zcommunications.org/looking-back-on-my-days-as-ri-koran-li-xianglan-by-koran-ri
Taipei Times: www.taipeitimes.com.tw/News/taiwan/archives/2010/11/10/2003488182


Zur Autorin:
Astrid Lipinsky ist Universitätsassistentin am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien mit den Schwerpunkten Gender und Recht. Sie lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 114, 4/2010, S. 16-17
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2011