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INTERNATIONAL/014: Johan Galtung kritisiert Berichterstattung zu Nordafrika (Transcend International)


Transcend International - 3. März 2011

Johan Galtung kritisiert internationale Berichterstattung zu Nordafrika

Prof. Johan Galtung moniert: "Internationale Presse versäumt angemessene Einordnung der Geschehnisse in Nordafrika und im Mittleren Osten"


Artikel 28 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 lautet: "Jeder hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können."

Der journalistische Fokus auf die, zu Recht als alarmierend einzustufende, Menschenrechtsbilanz der betroffenen Staaten verkennt folgenschwer die ebenfalls vorhandenen und salienten Forderungen der Demonstranten nach dem Rückzug im allgemeinen westlicher, und im besonderen US-amerikanischer kultureller, politischer, wirtschaftlicher und militärischer Einflussnahme aus den Entscheidungsebenen ihrer jeweiligen Länder. Darüber ist aufzuklären, denn die Durchsetzungsfähigkeit der nun verteufelten Regime wurde bisher ganz wesentlich durch die direkte materielle und technische Hilfe der USA und der EU gestärkt und überhaupt erst ermöglicht. Das muss klar und mit Nachdruck betont werden, da das Risiko einer anhaltenden Einmischung dieser Art weiterhin besteht. Darüber ist aufzuklären.

Zudem werden die umfangreichen Forderungen der politisierten Bewegungen im nordafrikanischen Raum von den Medien lediglich im Bereich der politischen und bürgerlichen Freiheiten aufgegriffen. Zwar wird über die sozialen Missstände berichtet, nicht aber darüber, dass diese eine Folge der, unter opportuner Hinnahme des Westens zementierten, Missachtung der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte sind, die am 16. Dezember 1966 im Internationalen Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte ebenfalls verbrieft wurden. Politische und bürgerliche Rechte sind unentbehrlich, aber sie sind eben nur ein Teil der Gleichung auf dem Weg zu gerechten gesamtgesellschaftlichen Zuständen. Darüber ist aufzuklären.

Die Aufstände in Nordostafrika sind Kämpfe für politische und ökonomische Menschenrechte sowie für Demokratie. Darüber hinaus kämpfen die Menschen aber auch für die Befreiung der arabischen Nation, die mit künstlich gezogenen Grenzen durch den Westen getrennt wurden. Die Fremdbeherrschung reicht von 500 Jahren durch das Ottomanische Reich, über den Kolonialismus bis hin zum Neo-Kolonialismus durch Italien, Großbritannien, Frankreich, Israel und die USA.

Sich ausschließlich auf die gewaltsamen Geschehnisse in Libyen oder auf die Massenförmigkeit der Aufhebungen in Nordafrika zu konzentrieren, wie es zahlreiche Medien gegenwärtig ganz erwartungsgemäß tun, geht schlicht an der makrohistorischen und geopolitischen Bedeutung der gegenwärtigen Vorgänge im Maghreb und Mashrek vorbei. So werden derzeit wichtige Momente zur angemessenen Einordnung der Geschehnisse versäumt. Wenn Journalisten, wie üblich, ihre Aufnahmegeräte ausschließlich auf die sich entfaltenden spektakulären Kräfte des Demos halten und Kommentatoren lediglich zur Einordnung des Augenscheinlichen befragt werden, ist das vergleichbar mit dem Starren auf einen Finger, der eigentlich auf etwas nahendes hinzeigt.

Nach Prof. Johan Galtungs Einsicht, sind die Geschehnisse im euromediterranen Raum, nichts geringeres als das augenscheinlichste Symptom einer Dynamik, die, bis spätestens 2020, zum Ende der, seit 1945 auch für Deutschland existentiellen, Pax Americana führen wird. Die Triebfedern und Konsequenzen dieses Vorgangs sind von Prof. Galtung intersubjektiv überprüfbar in seinem bereits 2008 erschienen Buch "The Fall of the U.S Empire - and then what?" erläutert worden.

Diese Stellungnahme Prof. Galtungs hat nicht zuletzt deshalb Gewicht, weil Galtung, seines Zeichens eine zentrale Gründungsfigur der Friedensforschung und derzeitiger Leiter der Transcend Peace University (http://www.transcend.org/tpu), bereits 1980 auf der Grundlage seiner friedens- und sozialwissenschaftlichen Studien den folgerichtigen Schluss zog, dass die Mauer circa 1989, spätestens aber 1990, fallen würde.


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Quelle:
Transcend International
Basel, Schweiz
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E-Mail: tps@transcend.org
Internet: www.transcend.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2011